Das u.s Interview mit der ukrainischen Historikerin Marta Havryshko
zeichnet ein Stimmungs- und Sittenbild der modernen Ukraine. Es trägt die
Überschrift: „*Die Ukraine ist keine Demokratie. Die Menschen haben
Angst, ihre Meinung zu sagen*.“
Die m.E. wichtigere Aussage ist allerdings Havryshkos Warnung an ihre
Freunde.
*„Mit solchen Freunden”, und damit meine ich die USA und Europa, „braucht
man keine Feinde mehr.” Ich habe sie gewarnt: „Traut dem Westen nicht. Das
sind eure Entscheidungen. Es ist euer Land. Ich will euch nicht sagen, was
ihr tun sollt, aber ich würde dem Westen keine Sekunde lang vertrauen.
Schaut euch seine Geschichte an.“*
Havryshko durchschaut die westliche Propaganda, wenn sie folgendes sagt.
*Die USA waren nicht nur der größte Partner der Ukraine, sie waren auch
der wichtigste Entscheidungsträger, der Hauptlieferant. Die Ukraine kann
diesen Krieg ohne Waffen, Geheimdienstinformationen und Unterstützung aus
den USA nicht überleben. Drohnen, Starlink-Zugang, Informationen zum
Schlachtfeld – all das hängt von der amerikanischen Unterstützung ab.*
*... Die europäischen Länder sind nicht bereit, einzugreifen. Sie haben
weder den Willen noch die Truppen noch die wirtschaftlichen Mittel – vor
allem, nachdem sie den Zugang zu billigem russischen Öl und Gas verloren
haben. Ihre Volkswirtschaften leiden.*
*Die europäischen Staats- und Regierungschefs sprechen zunehmend offen
über ihre Absichten: Sie wollen die ukrainischen Männer
instrumentalisieren. Sie wollen sie benutzen, um Russland zu schwächen,
Zeit zu gewinnen, um aufzurüsten und sich auf ihre eigenen künftigen Kriege
vorzubereiten. Sie wollen Russland ausbluten lassen – auf Kosten von
ukrainischen Menschenleben.*
*Dieser Gedanke – dass die Ukraine als Stellvertreter benutzt wird – wird
in der Ukraine immer populärer. Für die Ukrainer ist dies ein
existenzieller Krieg.*
Havryshko blockiert sich aber selbst in ihrer Sicht auf Russland. Denn
wenn nach ihrer eigenen Erkenntnis in der Ukraine der kollektive Westen mit
all seinen Ressourcen gegen Russland kämpft, um es zu besiegen, dann ist
dieser Krieg in erster Linie für Russland ein existentieller, was Russland
ja spätestens seit 2008 auch öffentlich erklärt hat.
Die Frage, die sich mir stellt, ist, warum eine so mutige, kluge und
kritische Frau wie Marta Havryshko nicht erkennt, dass die Beweggründe
Russlands für die Invasion 2022 nicht Hass auf die Ukraine oder
Eroberungssucht waren, sondern die Wahrnehmung der gleichen existenziellen
Bedrohung, die sie heute der Ukraine zubilligt. Könnte es sein, dass sich
die Antwort darauf in der Überschrift "versteckt"?
Viele Grüße
Heinz
_______
https://www.nachdenkseiten.de/?p=133046
*Interview mit der ukrainischen Historikerin Marta Havryshko:*
*„Die Ukraine ist keine Demokratie. Die Menschen haben Angst, ihre Meinung
zu sagen.“*
17. Mai 2025 um 11:00
Ein Artikel von Michael Holmes
<https://www.nachdenkseiten.de/?gastautor=michael-holmes>
Die ukrainische Historikerin und Dissidentin *Marta Havryshko* ist eine
unabhängige Stimme, die sich offen gegen die Verharmlosung rechtsextremer
Strukturen und gegen die zunehmende Repression gegenüber Friedensaktivisten
und Regierungskritikern stellt. Für ihr Engagement zahlt sie einen hohen
Preis: Sie erhält regelmäßig Todesdrohungen, weil sie den autoritären Umbau
unter Präsident Selenskyj kritisiert. Zugleich verurteilt sie den
russischen Angriff. Havryshko lehrt als Assistenzprofessorin an der Clark
University in Massachusetts (USA). Im Interview spricht sie über die Macht
neonazistischer Gruppen, die zunehmende Unterdrückung der Opposition und
die verbreitete Kriegsmüdigkeit in der ukrainischen Bevölkerung. Den
westlichen Leitmedien wirft sie vor, die Politik der ukrainischen Regierung
und die grausame Realität eines sinnlosen Krieges zu beschönigen. Das
Interview führte *Michael Holmes*.
*Dieser Beitrag ist auch als **Audio-Podcast
<**">https://www.nachdenkseiten.de/upload/podcast/250516-IV-Holmes-Havryshko-NDS.mp3>**
verfügbar.*
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*Michael Holmes:*
*Hallo! Heute ist es mir eine große Freude, mit Marta Havryshko zu
sprechen. Marta, Sie sind eine ukrainische Historikerin. Heute arbeiten Sie
als Assistenzprofessorin an der Clark University in Massachusetts, USA. Sie
haben auch an den Universitäten von Lviv und Basel sowie am Holocaust
Memorial Museum gearbeitet.*
*Marta Havryshko:*
Hallo, ja. Ich war zeitweise an vielen Universitäten und Institutionen
tätig, die sich mit dem Holocaust, der Erinnerung und der Geschichte
befassen, unter anderem am Münchner Zentrum für Holocaust-Studien.
*Michael Holmes:*
*Sie sind spezialisiert auf Holocaust- und Völkermordstudien sowie auf
sexuelle Gewalt. Sie schreiben gerade ein Buch über sexuelle Gewalt während
des Zweiten Weltkriegs in der Ukraine.*
*Marta Havryshko:*
Ja, genau.
*Heute werden wir uns hauptsächlich auf die Gegenwart konzentrieren. Wir
werden auch einen Blick auf die Geschichte werfen, weil sie für die
Gegenwart relevant ist. Ich freue mich sehr, mit Ihnen zu sprechen, denn
Sie sind eine ausgesprochene Kritikerin der Regierung Selenskyj. Sie haben
Angst vor den zunehmend diktatorischen Tendenzen der Regierung, und Sie
sind besonders besorgt über die Macht der extremen Rechten. In der Ukraine
sprechen wir von Hardcore-Neonazi-Gruppen und Ideologen der weißen
Vorherrschaft in der Armee, der Polizei und in der Politik. Um es klar zu
sagen, es ist nicht so, dass die gesamte ukrainische Regierung eine
faschistische Regierung ist. Das würde zu weit gehen, und natürlich sind
Sie gegen die russische Invasion, und es steht Ihnen frei, über Ihre
Gefühle in dieser Hinsicht zu sprechen. Aber ich denke, dass Stimmen wie
die Ihre in den westlichen Medien nicht genug gehört werden. Sie geben dem
Krieg in der Ukraine, der Situation in der Ukraine und der öffentlichen
Meinung in der Ukraine viele Nuancen, die in den westlichen Medien fast
immer untergehen. Es ist auch wichtig, zu erwähnen, dass Sie persönlich
Morddrohungen von diesen rechtsradikalen Gruppen erhalten haben. Wer sind
Sie? Wie sind Sie nach Massachusetts gekommen? Woher kommen Sie aus der
Ukraine? Und warum werden Sie von Ihrer eigenen Regierung und der radikalen
Rechten bedroht?*
Okay. Hallo, alle zusammen. Ich bin sehr froh, bei Ihnen zu sein. Ich bin
ukrainische Staatsbürgerin. Ich wurde in Galizien geboren, in der Nähe der
Stadt Lemberg, in einer Region, die sehr nationalistisch ist. Deshalb war
der Nationalismus Teil meines gesamten Lebens. Ich wurde mit dem
Nationalismus indoktriniert. Ich habe immer die ukrainische Sprache
gesprochen. Ich bin also in einer Familie aufgewachsen, in der die
ukrainische nationale Identität sehr, sehr präsent war, trotz des sehr
unterschiedlichen ethnischen Hintergrunds in meiner Familie. Und dann
verteidigte ich meine Dissertation über die öffentliche Meinung in
Galizien, als die Nazis an die Macht kamen.
Danach wandte ich meine Aufmerksamkeit den geschlechtsspezifischen
Aspekten der ukrainischen Nationalisten zu. Und hier begann mein
eigentliches Problem, denn zu dieser Zeit arbeitete ich an der Akademie der
Wissenschaften der Ukraine, einer postsowjetischen Institution mit einer
langen Tradition der Staatstreue. Als ich also begann, der Frage nach der
geschlechtsspezifischen Dimension der ukrainischen Nationalisten
nachzugehen, hatte ich dieses strahlende Bild von ukrainischen Frauen vor
Augen, die bereit waren, ihr Leben für die Ukraine zu opfern, und die so
patriotisch und enthusiastisch waren. Ich hatte diese romantische
Vorstellung von ihrem Engagement. Aber als ich dann anfing, tiefer in
dieses Thema einzutauchen, begriff ich, dass es im Grunde ein Mythos war,
dass viele Frauen gezwungen wurden, vor Ort bestimmte Aufgaben für die
ukrainischen Nationalisten zu erfüllen, und dass viele Frauen auch unter
verschiedenen Arten von Gewalt durch die ukrainischen Nationalisten zu
leiden hatten, einschließlich sexueller Gewalt.
Als ich anfing, darüber zu sprechen – ich erinnere mich an meine erste
Konferenz in Lviv im Jahr 2014 –, sagte mir einer der Professoren: „Sie
setzen diese sowjetische Propaganda fort. Was Sie sagen, ist nicht wahr.“
Ich wurde von vielen meiner Kollegen angegriffen. Aber ich habe nicht
aufgehört. Ich widmete mich voll und ganz meiner Arbeit und verbrachte viel
Zeit damit, Interviews mit den weiblichen Mitgliedern der ukrainischen
Nationalisten zu führen, und was ich von ihnen erfuhr, war augenöffnend.
Viele von ihnen waren bereit, über sexuelle Gewalt zu sprechen, die sie
nicht nur erlitten, als sie von den Sowjets verhaftet und als
Teilnehmerinnen der ukrainischen Nationalisten verhört wurden, sondern auch
durch die ukrainischen Nationalisten selbst. Die Beziehungen zwischen den
Geschlechtern in der ukrainischen nationalistischen Bewegung waren sehr
patriarchalisch, und die Frauen erlitten sehr viel Gewalt. (…)
Dann habe ich meine Aufmerksamkeit auch auf die Behandlung jüdischer
Frauen gelenkt, die von den ukrainischen Nationalisten gejagt wurden. Ich
beschloss, ein Buch über den Holocaust in der Ukraine und die sexuelle
Gewalt gegen jüdische Menschen zu schreiben. Dabei konzentriere ich mich
vor allem auf die lokalen Täterinnen und Täter. Bei meinen Recherchen habe
ich festgestellt, dass auch viele einheimische Männer in der von den Nazis
besetzten Ukraine an sexueller Gewalt beteiligt waren. Viele der
ukrainischen Nationalisten sind heute als Freiheitskämpfer bekannt. Wenn
man über ihre Taten während der Nazi-Besatzung, ihre Kollaboration mit den
Nazis, ihre Beteiligung am Holocaust und ihre verschiedenen Formen der
Gewalt gegen jüdische Menschen spricht, entweiht man in den Augen vieler
Patrioten in der Ukraine das Andenken an diejenigen, die für die
Unabhängigkeit der Ukraine gekämpft haben.
Deshalb bin ich seit Langem das Ziel vieler besorgter ukrainischer Bürger,
vor allem derjenigen, die sehr konservative und rechte Ansichten haben, die
versuchen, dieses sehr helle Bild der ukrainischen Nationalisten zu
bewahren, vor allem in der Westukraine. Aus diesem Grund machen sie Jagd
auf mich. Sie organisieren eine Mobbing-Kampagne gegen mich,
Verleumdungskampagnen. Ich habe in der Ukraine antisemitische Angriffe
erlebt. Als die russische Invasion begann, und nach dieser wütenden Rede
Putins, verstand ich sofort, dass es für mich noch schwieriger werden
würde, meine Forschung fortzusetzen. Ich hatte wirklich Angst vor dem
Krieg, und ich hatte Angst vor russischen Panzern und der russischen
Besatzung. Aber ich hatte auch Angst vor meinen ukrainischen Nachbarn, die
diese Hexenjagd entwickeln werden, um ihre Frustration, ihre Wut zu
kanalisieren. Und ich hatte recht, denn viele begannen, diese
Diffamierungskampagne zu entwickeln und Jagd auf sogenannte innere Feinde
zu machen.
Deshalb habe ich zu Beginn des russischen Einmarsches 2022 meinen
neunjährigen Sohn mitgenommen. Wir verbrachten eine Woche in Polen. Dann
wurde ich an das Hamburger Institut für Sozialforschung eingeladen. Dann
wechselte ich an die Universität Basel, wo ich einen Kurs über den Krieg in
der Ukraine und Gender-Aspekte unterrichtete. Und dann wurde ich an die
Clark University eingeladen.
Kürzlich zeigte ich meinen Studenten Todesdrohungen von einem
amerikanischen Neonazi, der jetzt in der Ukraine kämpft. Ich wurde von der
örtlichen Polizei in Massachusetts und vom FBI kontaktiert. Wir versuchen,
diesen Mann und das gesamte Netzwerk amerikanischer Neonazis, die jetzt in
der Ukraine kämpfen, aufzuspüren. Jeder einzelne Krieg zieht all diese
extremen Rechten an, weil sie nach militärischer Ausbildung dürsten, und
viele von ihnen bereiten sich auf Terroranschläge vor, auf einen Krieg der
Ethnien, wie sie es nennen. Die Ukraine wurde zu einem sicheren Paradies
für viele Neonazis aus der ganzen Welt. Wir haben zum Beispiel deutsche
Neonazis. Sie loben Hitler. Diese Leute werden in der Ukraine als
Freiheitskämpfer gefeiert. Es sind Neonazis und Rassisten, die sich auf
einen Rassenkrieg vorbereiten, und deshalb ist die Frage der Neonazis in
der Ukraine nicht nur eine Frage der Sicherheit für die Ukraine, es ist
eine Frage der Sicherheit für die ganze Welt, denn wir haben heute Neonazis
aus verschiedenen Kontinenten in der Ukraine, auch aus Russland, denn die
sind heute gespalten. Einige von ihnen unterstützen Russland, einige von
ihnen unterstützen die Ukraine. Die Quintessenz ist, dass der Krieg in der
Ukraine für alle Arten von weißen Rassisten sehr attraktiv geworden ist,
und viele von ihnen sind jetzt in der Ukraine, wo sie militärisch
ausgebildet werden und Unterstützung und finanzielle Vorteile erhalten, und
einige von ihnen werden sogar von den ukrainischen Medien gefeiert, die sie
als Freiheitskämpfer darstellen.
*Es ist sehr glaubwürdig, was Sie sagen. Es ist klar, dass es eine
ernsthafte Bedrohung durch die extreme Rechte gibt. Aber Menschen könnten
trotzdem entgegnen: Nun, die extreme Rechte gibt es in fast jedem Land.
Warum soll das in der Ukraine anders sein? Können Sie uns also eine
Vorstellung davon geben, wie stark die extreme Rechte ist, wie
einflussreich sie ist? Und wie ist das Verhältnis zur Regierung? Denn viele
lachen darüber und sagen: Ach, kommen Sie, Selenskyj ist doch selbst Jude!
Das müssen Sie erklären! Außerdem: Fühlen Sie, Ihre Freunde oder andere
Dissidenten sich auch von der ukrainischen Regierung bedroht?*
Ich habe eine ganze Vorlesung über Neonazis in Europa und den USA
gehalten. Was aber anders ist: Viele dieser Gruppen werden von den
Sicherheitsdiensten in ihren Ländern genau beobachtet, und viele von ihnen
werden von den Regierungen verfolgt, die versuchen, ihre Netzwerke
aufzuspüren, um diese Gruppen zu verbieten. In der Ukraine ist einer der
prominenten Freiheitskämpfer Denis Nikitin, der den Spitznamen White Rex
trägt. Er war an der Ausbildung deutscher Neonazis beteiligt. Er wurde aus
Deutschland ausgewiesen und ist nun mit einem Schengen-Verbot belegt.
Nachdem er dieses Verbot erhalten hatte, landete er in der Ukraine. Und
jetzt ist er der Leiter des russischen Freiwilligenkorps und wird als
Freiheitskämpfer gefeiert. Aber wenn man seine sozialen Medien verfolgt,
ist er ein offener Neonazi und weißer Rassist. Er feiert Hitlers Geburtstag
und macht aus seinen Ansichten keinen Hehl. Diese sogenannte russische
Befreiungsarmee ist unter der Aufsicht des ukrainischen
Militärgeheimdienstes organisiert. Letztes Jahr organisierten sie eine
Konferenz in Lviv, an der Neonazis aus ganz Europa teilnahmen. Und warum?
Die Ukraine ist auf der Suche nach Soldaten. Deshalb sind die Neonazis ein
Instrument für die ukrainische Regierung, und sie nutzen ihre Kontakte und
ihre Vernetzung mit Neonazis in Deutschland, in Frankreich, in Spanien, in
Großbritannien, um sie in die Ukraine zu bringen und sie zum Kämpfen zu
bringen.
Ein weiteres Problem besteht darin, dass ukrainische Neonazis in die
öffentlichen Schulen eingeladen werden, wo sie eine sogenannte Erziehung
zum Mut fördern sollen. Im Grunde genommen indoktrinieren sie also Kinder,
zum Beispiel das Asow-Bataillon.
*Wir sollten die russische Freiwilligenarmee ein wenig erklären. Das sind
russische Neonazis, die die russische Regierung mit Unterstützung der
Ukraine bekämpfen?*
Ganz genau. Sie kämpften auch innerhalb Russlands.
*Und dann sprachen Sie über das Asow-Bataillon, das berühmteste und
umstrittenste. Die westlichen Medien sagten oft: Ja, sie haben
problematische nationalistische Ansichten. Sie behaupten, dass sie
Hardcore-Neonazis sind, also: Hakenkreuze, Hitler. Sie sind nicht nur
Nationalisten. Sie sind rechtsextrem, weiße Suprematisten?*
Ja, und sie wurden in die Nationalgarde und die ukrainischen Streitkräfte
eingegliedert. Ihre Eingliederung bedeutet, dass sie zusätzliche staatliche
Unterstützung und Schutz erhalten. Das bedeutet nicht, dass sie ihre
Ideologie verloren oder irgendwie ihre politische Agenda aufgegeben haben.
Nein, es bedeutet, dass sie jetzt ihre gewalttätigen extremistischen Ideen
offen mit staatlichem Schutz verbreiten. Wenn wir ihre Äußerungen, ihre
Ideologien verfolgen, sind sie ganz offen homophob. Sie sprechen von
inneren Feinden, politischen Feinden der Ukraine, die verfolgt und ihrer
politischen Rechte beraubt werden sollten, d.h. von Linken, von sogenannten
pro-russischen Politikern. Sie rufen grundsätzlich zu Gewalt und
politischem Terror gegen sie auf. C14-Mitglieder – eine weitere
Neonazi-Organisation – sind prominente Kämpfer mit einem prominenten
Kommandanten, die in einigen ukrainischen Städten Morde verübt haben. Der
Grad der Unterstützung, den Asow heutzutage in der Ukraine genießt, ist
unverantwortlich. Sie legitimieren rassistische Rhetorik. Sie sind offene
Antisemiten. (…)
Es ist nicht schwer, all diese Gruppen zu identifizieren. Es ist nicht
schwer, sie zu verhaften. Für den Staat ist es nicht schwer, ihre Geschäfte
zu unterbinden. Aber das tun sie nicht, denn sie haben ihnen freie Hand
gelassen, und sie tun, was sie wollen, und sie diskutieren in ihren Gruppen
offen darüber, wer mich zum Beispiel umbringen soll, weil ich sie
bloßstelle. Ich schreibe ständig über sie. Sie fühlen sich so mächtig und
so geschützt durch den Staat, dass sie in ihren Nachrichten an mich oft
diesen Satz verwenden: Wir sind der Staat, wir sind der Sicherheitsdienst.
Und das stimmt zum Teil, denn im ukrainischen Sicherheitsdienst gibt es
viele Leute, die ihre Ansichten teilen, die Mitglieder von Neonazi-Gruppen
sind. Wenn ich also in die Ukraine komme, werden sie sich um mich kümmern.
Vielleicht haben einige unserer Zuschauer und Zuhörer von der Webseite
Myrotvorets gehört. Sie wurde von einigen pensionierten Mitgliedern des
ukrainischen Sicherheitsdienstes eingerichtet und ist eng mit diesem
verbunden. Sie stellen auf dieser Webseite die Namen und persönlichen Daten
derjenigen ein, die sie als Feinde des ukrainischen Volkes betrachten.
Viele dieser Menschen sind dann Mobbingattacken und Verfolgungen
ausgesetzt. In den Jahren 2015 und 2016 forderten das US-Außenministerium,
europäische Länder und Human Rights Watch die Ukraine auf, diese Webseite
zu untersuchen und abzuschalten. Aber diese Webseite ist immer noch in
Betrieb. Und vor Kurzem, vor etwa sechs Monaten, tauchte mein Name auf. Ich
war erschrocken. Sie haben einige meiner Artikel über ukrainische
Staatsangehörige und einige meiner Beiträge in den sozialen Medien über sie
auf die Webseite gestellt. Es ist also lächerlich.
Ich stehe der ukrainischen Erinnerungspolitik sehr kritisch gegenüber. Sie
benutzen meine Kritik als Beweis dafür, dass ich gegen die Ukraine bin,
dass ich ein Feind des ukrainischen Volkes bin. Aber das Feiern von
Nazi-Kollaborateuren, Nazi-Revisionismus und Nazi-Apologien ist nicht der
beste Weg, unsere Jugend zu erziehen. Wir können nicht einerseits alle
Denkmäler für Stalin und Lenin abschaffen, andererseits aber
Bandera-Denkmäler errichten und Straßen nach Nazi-Kollaborateuren benennen,
die am Holocaust und an der Gewalt gegen Polen, Roma und Tschechen
beteiligt waren.
Diejenigen, die versuchen, die Verfolgung russischsprachiger Menschen, die
russenfeindliche Rhetorik und die Entmenschlichung anzusprechen,
diejenigen, die die Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine im
Zusammenhang mit der Zwangsmobilisierung ansprechen, werden zum Schweigen
gebracht, sie werden verfolgt, und sie erzwingen eine Selbstzensur, weil es
nicht einfach ist.
*Erst sprachen Sie von der Bedrohung durch die extreme Rechte. Jetzt
sprechen Sie auch davon, dass die Regierung Andersdenkende zensiert?*
Ja, ich werde keine Namen nennen, weil ich sie nicht in Gefahr bringen
möchte. Einer meiner Kollegen aus Lemberg zum Beispiel kritisierte
öffentlich das harte Vorgehen gegen die orthodoxe Kirche in der Ukraine,
die dem Moskauer Patriarchat angehört, und am nächsten Tag stattete ihm der
ukrainische Sicherheitsdienst einen Besuch ab. Er ist aus der Ukraine
geflohen, weil er Angst hatte, dass er ins Gefängnis kommen würde.
Wir haben noch einen anderen Kollegen, der sich ebenfalls sehr kritisch
zur Erinnerungspolitik in der Ukraine äußert. Ihm steht ein Prozess bevor,
und alle Beweise werden vom Sicherheitsdienst der Ukraine vorgelegt. Sie
sind also Wachhunde, diese Mitglieder des Sicherheitsdienstes. Sie
versuchen, die Menschen einzuschüchtern. Sie wollen ihr Eigentum
beschlagnahmen. Sie wollen sie entlassen. Eine Professorin wurde entlassen.
Und was war der Grund dafür? Nicht ihre freie Meinungsäußerung, sondern die
ihrer Tochter, die ein Video auf ihrem TikTok veröffentlicht hat, in dem
sie das harte Vorgehen gegen die ukrainisch-orthodoxe Kirche kritisiert,
und man hat ihr zusätzlich vorgeworfen, dass dieses Video auf Russisch
aufgenommen wurde und nicht in unserer ‚patriotischen Sprache’. Das ist
lächerlich.
Diejenigen, die in der ukrainischen akademischen Welt sehr mächtig sind
und sich selbst als Liberale bezeichnen, die angesehene Fachleute und
Entscheidungsträger sind, sind in Wirklichkeit Teil des Problems. Zunächst
einmal leugnen sie das Problem mit den Neonazis in der Ukraine und den
wachsenden Einfluss der extremen Rechten. Aber sie zetteln auch Gewalt
gegen diejenigen an, die sich offen gegen sie aussprechen – wie ich. Ich
habe sogar meine ukrainischen Kollegen gefragt: „Werdet ihr euch um meinen
Sohn kümmern, der jetzt zwölf Jahre alt ist, wenn ich von denen getötet
werde, die eurer Darstellung nach gar nicht existieren?” Und viele von
ihnen sagten: „Nein, wir werden uns nicht um deinen Sohn kümmern.”
Letztes Jahr wurde eine ukrainische Professorin ermordet. Sie war
Professorin in meiner Heimatstadt, am Polytechnikum. Es gibt viele Hinweise
darauf, dass sie von einem russischsprachigen Mann getötet wurde, der
vielen Neonazi-Gruppen in den sozialen Medien folgte. Einige Studien
zeigen, dass Menschen, die diesen Neonazi-Gruppen folgen, zur Gewalt
indoktriniert werden. Dieser Mann war Mitglied des Rechten Sektors, einer
rechtsextremen Gruppe. Er folgte auch anderen sehr rassistischen,
neonazistischen Social-Media-Kanälen. Er hat sie letztes Jahr getötet. Das
war zwei Wochen nach meinem Besuch in der Ukraine letztes Jahr. Jetzt habe
ich wegen ihres Todes wirklich Angst, in die Ukraine zurückzukehren. Sie
war in der Ukraine sehr beliebt. Sie war eine Nationalistin, ein ehemaliges
Mitglied des Parlaments in Lviv, ihrer Heimatstadt. Sie hat sich sogar
daran beteiligt, mich zu schikanieren. Sie nannte mich „linkes Gesindel”,
„Gendergesindel”. Aber als sie umgebracht wurde, war ich wirklich bestürzt.
Monate zuvor hatte sie einen öffentlichen Streit mit Mitgliedern der
Asow-Bewegung über die russische Sprache. Viele Mitglieder der
Asow-Bewegung kommen nicht aus der Westukraine, sondern aus Charkiw,
Odessa, Cherson und anderen hauptsächlich russischsprachigen Regionen. Sie
begann sie zu kritisieren und sagte: „Ihr seid keine wahren Patrioten, wenn
ihr nicht zum Ukrainischen wechselt.” Es war eine sehr öffentliche
Diskussion. Danach erhielt sie eine Menge Drohungen. Das Problem ist, dass
diese Kommandeure – die Asow-Kommandeure – berühmte Kommandeure sind. Wenn
Sie einen Beitrag über sie schreiben, fangen die Leute, die ihnen gegenüber
loyal sind oder ihre Loyalität zeigen wollen, sofort an, etwas zu
unternehmen. Ich erinnere mich, dass ich von der Surda-Solo-Brigade
angegriffen wurde, als ich letztes Jahr ihre Fotoausstellung kritisierte.
Sie feierten Galizien, indem sie Fotos rekonstruierten und sich im Grunde
mit Nazi-Kollaborateuren gleichsetzten. Sie stellten das alte Foto neben
das neue und setzten sich so mit Menschen gleich, die Hitler die Treue
geschworen und den Zielen des Dritten Reiches gedient hatten. Als ich diese
Methode der Selbstdarstellung kritisierte, begannen sie, mich öffentlich zu
schikanieren. Sie nannten mich unpatriotisch. Und aufgrund ihres Status in
der Gesellschaft begannen Leute, die sie bewunderten, mich ebenfalls zu
bedrohen. Im Grunde haben sie also diese Gewalt gegen mich angezettelt.
Sie haben eine Menge Veröffentlichungen und YouTube-Videos über mich
gemacht und behauptet, ich sei ein russischer Agent und würde die
sowjetische Propaganda gegen ukrainische Nationalisten und Freiheitskämpfer
fortsetzen. Das ist wahnsinnig. Wenn man sagt, dass man für die Demokratie
gegen die russische Autokratie kämpft, kann man keine Nazi-Kollaborateure
feiern. Das ist Holocaust-Leugnung und Verdrehung.
Viele Nationalisten haben tatsächlich am Holocaust teilgenommen. Sie waren
willige Henker. Sie profitierten vom Mord an ihren jüdischen Nachbarn. Und
warum? Weil sie antisemitisch waren. Sie glaubten, dass die Ukraine ein
Ethnostaat ohne Juden sein sollte. Sie glaubten an den Judenbolschewismus –
dass die Juden mit den Sowjets verbunden und für die sowjetischen
Verbrechen verantwortlich waren, darunter dem Holodomor, Stalins Hungersnot
und andere Gräueltaten gegen die Ukraine.
*Lassen Sie uns nun zur ukrainischen Regierung kommen. Ich meine, Sie
haben deutlich gemacht, dass es einen starken Einfluss der extremen Rechten
gibt. Aber wie groß ist er? Was ist mit der Regierung selbst? Ist sie eine
Diktatur oder noch nicht?*
Als Trump diese Behauptung aufstellte, waren natürlich viele Menschen in
der Ukraine verärgert. Sie begannen, Selenskyj zu verteidigen. „Oh,
Selenskyj ist kein Diktator.” Aber Selenskyj ist auf dem Weg zur Diktatur.
Er ist auf dem Weg dorthin. Ich glaube, Selenskyj will keine Wahlen, auch
aus Sicherheitsgründen. Wahlen sind nur möglich, wenn man das Kriegsrecht
aufhebt. Und wenn man das Kriegsrecht aufhebt, sollte man die Grenzen
öffnen. Sobald man die Grenzen öffnet, werden viele Menschen – vor allem
Männer im wehrfähigen Alter – das Land verlassen. Viele Männer versuchen,
der Einberufung zu entgehen. Sie wollen keine posthumen Helden werden.
Aber Selenskyj hat auch eine Menge Parteien in der Ukraine verboten. Alle
linken Parteien sind jetzt verboten. Und viele von ihnen wurden bereits vor
der umfassenden russischen Invasion verboten. Selenskyj behauptete, sie
seien pro-russisch und würden die politischen Interessen Russlands
unterstützen. Außerdem gibt es in der Ukraine keine freie Presse. Das
Kriegsrecht ist in dieser Hinsicht sehr hilfreich für die ukrainische
Regierung und die ukrainischen Behörden, weil sie all diesen Druck auf die
ukrainischen Medien mit Sicherheitsgründen rechtfertigen. Sie sagen:
Darüber kann man nicht schreiben, weil es die westliche Unterstützung
untergräbt. Denn wir, die Ukraine, stehen in den Augen der westlichen
Politiker, der westlichen Bevölkerung und der einfachen Menschen im Westen
schlecht da. Also tun Sie das bitte nicht. Und wenn Sie das tun, müssen Sie
mit Konsequenzen rechnen.
Ein weiterer Grund ist die Selbstzensur. Warum es sie gibt? Zunächst
einmal, weil viele, wirklich viele Journalisten glauben, dass sie jetzt
patriotischer sein sollten. Sie sollten mehr Aktivisten als Profis sein.
Deshalb unterstützen sie im Grunde all diese Ideen, dass es in der Ukraine
keine Neonazis und keine Rechtsextremen geben darf. Sie unterstützen diesen
Diskurs und tragen zu diesem Diskurs bei, indem sie verschiedene
Dokumentarfilme entwickeln, indem sie verschiedene Videos mit
Asow-Kommandeuren oder anderen produzieren. Sie machen ihre Arbeit nicht.
Sie stellen keine schwierigen Fragen. Sie fragen Asow-Führer Bilensky nie
nach seiner Rassentheorie und seinen antisemitischen Behauptungen – nie;
denn sie haben Angst, dass die Antwort nicht sehr angenehm ausfallen wird,
und das können sie nicht zulassen.
Und viele von ihnen sind im Grunde in die ukrainische Armee eingebettet.
Um Zugang zu exklusivem Material zu erhalten, üben viele ukrainische
Journalisten Selbstzensur aus. Und sie glauben, dass sie einige
Informationen verbergen sollten. Aus diesem Grund gibt es in der Ukraine
keine freie Meinungsäußerung. Ich glaube nicht an die freien Medien.
Wir haben politische Verfolgung in der Ukraine. Es gibt viele Anzeichen
für politische Unterdrückung. Sogar Poroschenko, der ehemalige Präsident –
er steht heute unter Sanktionen –, und viele politische Gegner, Mitglieder
seiner Partei zum Beispiel, sehen sich oft mit Hindernissen konfrontiert,
wenn sie ins Ausland reisen, um mit verschiedenen Politikern zu sprechen.
Und das ist ein Zeichen von politischer Verfolgung, denn Selenskyj ist
nicht glücklich darüber, dass Poroschenko im Ausland über die entstehende
Diktatur in der Ukraine spricht. Das ukrainische politische Regime ist
keine Demokratie.
*Als ich vor zwei Jahren in der Ukraine war, haben mir zwei oder drei
Ukrainer deutlich gesagt, dass sie gegen den Krieg sind. Und sie denken,
dass die Regierung zu einer Diktatur wird. Und sie sagten, sie würden das
nicht öffentlich sagen, weil es zu gefährlich wäre. Und sie sagten, sie
würden nur mit Freunden darüber sprechen und so weiter. Sie haben mich auch
gewarnt: Stell diese Fragen nicht – du kannst getötet werden.*
Ganz genau. Das ist eines der Zeichen dafür, dass es sich nicht um eine
Demokratie handelt, denn die Menschen haben Angst, ihre Meinung zu sagen.
Vor allem vor der Kamera, sogar vor westlichen Journalisten. Denn die
ukrainische Regierung beobachtet genau, wie westliche Medien über die
Ukraine berichten und wie sie sie darstellen. Und im Grunde können diese
Menschen in Gefahr geraten – auch ihre Familienangehörigen. Sie können
verhaftet werden, sie können bedroht werden, sie können entlassen werden.
*Wir saßen in einem Zug, und dieser junge Mann schaute sich immer um,
bevor er mit mir sprechen konnte. Und er sagte: „Ich werde Ihnen meinen
Namen nicht sagen.” Als Journalist weiß ich, wann ich mich in einer
Diktatur befinde und wann nicht. Ich weiß nicht, ob es sich um eine
vollständige Diktatur handelt, aber die Ukraine ist auf dem Weg dorthin.*
Ja, sie ist auf dem Weg. Wenn Sie sehen, wer die ukrainische Regierung
kritisiert – diese Leute haben die Ukraine größtenteils verlassen. Sie sind
jetzt in westlichen Demokratien, denn in der Ukraine ist es für sie zu
gefährlich. Und ich könnte mir nicht vorstellen, dass ich in der Ukraine so
offen sein würde. Das ist unmöglich.
Und ein weiteres Zeichen der Diktatur in der Ukraine und der
Menschenrechtsverletzungen – massiver Menschenrechtsverletzungen – ist mit
der Zwangsmobilisierung verbunden. Das ist eines der schmerzhaften Themen.
Denn, wissen Sie, viele Menschen – einige Menschen im Westen – sind im
Grunde Opfer der ukrainischen Kriegspropaganda. Sie glauben, dass
ukrainische Männer einfach nur Verrückte sind und dass sie nur an den
glorreichen Tod auf dem Schlachtfeld denken. Das ist Blödsinn. Meine
Freunde, meine Bekannten, Freunde von Freunden – sie verkaufen ihre Autos,
ihre Wohnungen, um Bestechungsgelder zu zahlen, um Ausnahmeregelungen zu
erhalten oder um aus der Ukraine zu fliehen. Und sie zahlen heutzutage 20,
30, 40, sogar 50.000 Dollar, um dieser Mission zu entkommen.
Und was wir heutzutage beobachten – Selenskyj sagte kürzlich in einem
Interview mit Ben Shapiro, dass die Fälle von gewaltsamer Mobilisierung,
von erzwungener Mobilisierung, nur gelegentlich vorkommen. Es handele sich
nicht um ein systematisches Problem. Und jeder einzelne Fall werde genau
überwacht und untersucht. Das ist nicht wahr, denn jeden Tag gibt es
Dutzende von Videos, die von einfachen Menschen gemacht werden, die
versuchen, diese Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren. Menschen
werden von der Straße gezerrt und wie Fleisch in Militärtransporter
gestopft. Menschen mit schweren Krankheiten – wie Tuberkulose oder Krebs –
werden an die Front geschickt. Und das ist eine klare
Menschenrechtsverletzung.