Geistig kleben geblieben
aus e-mail von Doris Pumphrey, 18. September 2023
https://www.manova.news/artikel/geistig-kleben-geblieben
23. November 2022
*Geistig kleben geblieben
Die Protestform des Sich-Festklebens ist Ausdruck von Dekadenz und
politischer Desorientierung.*
/
von //Madita Hampe
<//(//Jahrgang" rel="noopener">https://www.manova.news/autoren/madita-hampe>//(//Jahrgang 2002, lebt
in Leipzig)/
Eine neue Form der politischen Einflussnahme hat die Bühne betreten:
junge Menschen, die ihre Hände mit Sekundenkleber auf dem Boden
anleimen, in der Absicht, ihren klimapolitischen Zielen Gehör zu
verschaffen. Dabei bemerken sie nicht, auf welche neurotische Ebene des
Diskurses sie sich herabgelassen haben, und sabotieren sich somit
selbst. Wer, um seine Forderungen durchzusetzen, kein besseres Mittel
zur Hand hat als die mutwillige Schädigung anderer und der eigenen
Gesundheit, verdient keinen Applaus. Ein solches Verhalten ist infantil
und beschädigt eine ohnehin schon gespaltene Gesellschaft.
Während die allermeisten Normalbürger bis zum Erbrechen genervt sind von
Straßenblockaden und Klebeaktionen, die zeitweilig sogar den Verkehr von
Rettungswagen behinderten, wähnen sich Organisationen wie „Die letzte
Generation“ in absoluter moralischer Überlegenheit. Und das, obwohl die
Form, die sie für ihren Protest gewählt haben, wohl die letzte ist, mit
der man politische Entscheidungsträger zu einem Umdenken bewegt. Sie ist
weder zielführend noch gesellschaftlich akzeptabel.
Ihren Ursprung hat diese Klima-Klebebewegung in einer politischen
Desorientierung, bei der die Betroffenen offensichtlich nicht mehr in
der Lage sind zu beurteilen, wer die Adressaten ihres Protests sein
sollten. Mehr noch: Die Beteiligten gehen mit einem unangebracht
selbstgerechten Habitus ans Werk, als würden sie der Gesellschaft durch
ihre Aktionen einen unabkömmlichen Dienst erweisen, für den sie
kollektiv als Helden gefeiert gehörten. Mit ernsthaftem politischem
Diskurs hat das nichts zu tun.
Mit welcher Selbstverständlichkeit die neue Garde von Klimaaktivisten
erwartet, man müsse ihr für ihr gesellschaftliches Engagement — oder
besser: ihre Behinderung des gesellschaftlichen Lebens — den roten
Teppich ausrollen, ist absurd.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Es ist durchaus legitim, gegen die
eigene Regierung mit Verweigerung und Blockade vorzugehen. In einem
Staat, der nicht mehr einwandfrei demokratisch funktioniert, kann es
sogar notwendig sein. Sind die regulären Wege demokratischer Teilhabe
verstellt, ist ziviler Ungehorsam oft das richtige Mittel. Was man nicht
erwarten darf, ist, dass diejenigen, gegen die man protestiert und
aufbegehrt, von denen man sich emanzipiert, einen dafür feiern. Allein
das Bedürfnis danach und die Entrüstung beim Ausbleiben desselben zeigen
deutlich, wie merkwürdig verschoben das Verhältnis jener Aktivisten zur
Autorität ist.
*Protest mit Befindlichkeiten
*In der Autostadt in Wolfsburg beispielsweise klebten sich Ende Oktober
2022 neun Mitglieder der Gruppe „Scientist Rebellion“ in einem
Ausstellungsraum von Volkswagen (VW) fest. Im Nachhinein beklagten sie
sich, der Autokonzern hätte sie schlecht behandelt und es versäumt, ihre
Grundbedürfnisse zu erfüllen. So hätte VW ihnen beispielsweise weder
Topf, noch Sichtschutz zum Urinieren zur Verfügung gestellt und die
Heizung heruntergeregelt. Zwar suchte ein Pressesprecher das Gespräch
mit den Protestierenden. Doch im Wesentlichen ließ VW diese einfach
kleben und schloss den Ausstellungsraum für Besucher, sodass die
Aktivisten ohne Publikum eineinhalb Tage vor den Autos fixiert blieben.
Laut Darstellung von VW seien Eimer und Sichtschutz nicht vorhanden
gewesen. Den Beteiligten sei stattdessen angeboten worden, die Toiletten
zu benutzen. Bis auf eine Person hätten alle dieses Angebot angenommen (1).
Einer der Klebenden war Gianluca Grimalda, Wirtschaftswissenschaftler am
Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Im Nachhinein beschuldigte er VW,
zunächst keinen Arzt zu ihm gelassen zu haben, nachdem er Schwellungen
an seiner festgeklebten Hand bemerkte. Ein Mediziner, der dann doch
hereindurfte, konnte nicht ausschließen, dass in seiner Hand
Blutgerinnsel entstehen. Grimalda twitterte darauf, weil er sein Leben
nicht riskieren wolle, lasse er sich vom Boden entfernen und gehe ins
Krankenhaus (2).
Ziel des Ganzen sei es gewesen, auf klimapolitische Forderungen
aufmerksam zu machen, etwa die „Entkarbonisierung“ des Verkehrssektors,
die Wiedereinführung des 9-Euro-Tickets oder ein generelles Tempolimit
auf Autobahnen. Lassen wir einmal die Frage, ob und inwieweit diese
Forderungen politisch erstrebenswert sind, außen vor. Sie sind zunächst
einmal legitim und diskurswürdig.
Aber welchen Sinn hat es, sich zur Durchsetzung dieser Ziele
ausgerechnet in einem Ausstellungsraum von Volkswagen festzukleben?
Zunächst einmal sind es ja nicht die Autokonzerne, die über Tempolimit
und 9-Euro-Ticket entscheiden. Müssten Protestgruppen wie „Scientist
Rebellion“ oder „Die letzte Generation“ sich damit nicht eher an die
Bundesregierung wenden?
Doch zu den derzeit Regierenden zeichnet die Aktivisten ein gespaltenes
Verhältnis aus. Zwar protestierte beispielsweise „Die letzte Generation“
Anfang November in Berlin, indem sie die Parteizentralen der
Ampelparteien mit Farbe beschmierte, dennoch wird die Organisation von
den Grünen weiterhin öffentlich verteidigt, beispielsweise gegen den
Vorwurf, zur „Klima-RAF“ zu werden. Mit einer wirklich einschneidenden
Blockade verlören sie hier also womöglich einen ihrer wichtigsten
politischen Fürsprecher (3).
*Kleben fürs Klima ist infantil
*Aus irgendeinem Grund scheinen die beteiligten Aktivisten von denen,
die sie anprangern und blockieren, nicht nur Anerkennung, sondern auch
Unterstützung und Fürsorge zu erwarten und sind geradezu schockiert,
wenn diese liebevolle Bemutterung ausbleibt. Die Idee, mit der
mutwilligen Schädigung seiner selbst andere dazu zu bringen, zu tun, was
man will, weil diese sich dann um einen sorgen, setzt zunächst einmal
voraus, dass man es überhaupt mit Personen zu tun hat, denen das eigene
Wohlbefinden am Herzen liegt.
Dem Unternehmen Volkswagen ist doch völlig egal, ob irgendjemand seine
eigene Gesundheit aufs Spiel setzt, um zwei Nächte festgeklebt in
Ausstellungsräumen zu kampieren. Genauso wenig ist es seine Aufgabe, für
das Wohlbefinden der Betroffenen Sorge zu tragen oder die Gewährleistung
ihrer Bedürfnisse zu garantieren. Auch Besucher der Autostadt werden
sehr wahrscheinlich nicht aufs Fahrrad umschwenken, nur weil der Weg zu
ihrem neuen Leasingmodel durch ein paar Angeleimte versperrt wird.
Die Annahme, die eigenen Wünsche auf diese Weise durchsetzen zu können,
setzt ein geradezu naives Vertrauen in die Gutwilligkeit von Politikern,
Konzernen und Autoritäten allgemein voraus. Zudem zeugt sie nicht gerade
von einem gesunden Selbstverständnis als souveräner Staatsbürger. Im
Gegenteil handelt es sich bei derartigen Aktionen vielmehr um eine
verkappte politische Borderline-Struktur à la: „Wenn du nicht tust, was
ich will, schädige ich mich selbst.“ Ein selbstbewusster politischer
Bürger würde im Subtext vielmehr sagen:
/„Ich bin Teil des Souveräns, der bestimmt, was in diesem Land
geschieht. Ich habe ein Recht auf Repräsentation. Niemand kann mir
dieses nehmen oder zugestehen. Ich nehme es mir. Ihr seid dazu
verpflichtet, meine Anliegen zu prüfen und gegebenenfalls umzusetzen.
Tut ihr das nicht, entziehe ich euch mein Vertrauen.“/
Auch der Gedanke, unbeteiligte Mitbürger so lange zu drangsalieren, bis
die Autorität aus Mitleid oder gar echter Sorge um diese tut, was von
ihr gefordert wird, ist nicht besonders erwachsen, sondern lediglich
eine andere Spielart der Erpressung. Diese trägt zur weiteren Spaltung
der Gesellschaft bei, nicht zum vereinten Protest gegen die Regierung,
und ist deshalb auch kein adäquates Mittel zur gesellschaftlichen
Veränderung. Es ist wie bei Geschwistern, die misshandelt werden, sich
gegeneinander wenden und um die rare Anerkennung der Eltern
konkurrieren, anstatt sich vereint gegen diese zu stellen.
*Politische Desorientierung
*Generell ist festzustellen, dass eine gewisse politische Umnachtung um
sich zu greifen scheint, wenn es darum geht, den richtigen Adressaten
für den eigenen Protest auszuwählen. Die Klimakleber demonstrieren im
öffentlichen Raum mit dem Ziel, möglichst viel Aufsehen zu erregen,
Menschen zum Nachdenken zu bringen, politische Themen in die breite
Masse zu tragen. Doch dabei fehlt ihnen etwas ganz Essenzielles: Nämlich
ein Gefühl dafür, wer die eigentlichen Verbündeten sind und wer die
politischen Gegner.
Wen will ich überhaupt erreichen mit dem, was ich tue? Wer hat die Macht
über die Zustände, die ich anprangere? Oft scheint jene
Aktivistengeneration sich denjenigen, die für die Misere der
Umweltzerstörung verantwortlich sind, eher anzudienen als gegen sie
vorzugehen. Stattdessen wird der Protest einfach an irgendwen
adressiert. Hauptsache Krach machen. Das führt zu solch grotesken
Aktionen wie jener in der britischen Nationalgalerie, wo zwei
Aktivistinnen die berühmten /Sonnenblumen/ von Vincent van Gogh mit
Tomatensuppe übergossen, um gegen „Öl“ zu protestieren (4).
*Eine Frage der Hierarchie
*Bei der Frage nach Umweltzerstörung handelt es sich um einen
politischen Konflikt. Seit einigen Jahren jedoch erleben wir, wie
insbesondere eine Gruppe junger Aktivisten diesen politischen Konflikt
umdeutet in einen Generationenkonflikt. Dabei findet eine merkwürdige
Verschiebung eigentlich angebrachter Wut statt und letztlich eine
Entlastung der wahren Verantwortlichen.
Geht man als junger Mensch davon aus, dass pauschal alle Menschen über
40 die Zukunft der nächsten Generation auf dem Gewissen haben, findet
man auch nichts Problematisches daran, diesen Menschen öffentlich
Unannehmlichkeiten zu bereiten, etwa mit der Blockade einer Straße.
Es trifft sowieso irgendwie immer die Richtigen. Dies wiederum bereitet
den Boden für eine sich ausbreitende Ablehnung von allem, was als alt
oder traditionell angesehen wird, wie etwa individueller Personenverkehr
oder gar die Kunst. Auf diese Weise entnimmt man dem Konflikt jedoch die
Dimension der Hierarchie. Das eigentlich Selbstverständliche, dass für
Zustände, die man anprangert, immer in erster Linie diejenigen
verantwortlich sind, die die Macht haben, fällt so hinten runter. Schuld
sind dann nicht mehr die Regierungen, die Atomkraftwerke bauen, sondern
der Einzelne, der abends das Licht anmacht.
Auch der Gedanke, dass wenn die Autofahrer nur lange genug im Stau
gestanden haben, oder die Kunstliebhaber nur lange genug um Van Gogh
getrauert, sie sich in aufkeimender Empörung der Klimabewegung
anschließen würden und so den öffentlichen Druck erhöhen, ist nicht nur
weltfremd, sondern auch in hohem Maße unsolidarisch. In einer Demokratie
sollte es nicht darum gehen, anderen Bürgern so lange Schaden zuzufügen,
bis sie — aus Verzweiflung — die eigenen politischen Ansichten
übernehmen. Man tritt ihnen, im besten Fall, mit überzeugenden
Argumenten entgegen.
Wenn man sich jedoch nicht traut, seinen Unmut dort kundzutun, wo er
hingehört, nämlich in den Vorzimmern der Regierungsgebäude und den
Plenarsälen der Parlamente, weil man es sich dann mit denjenigen
verscherzt, von denen man eigentlich wie von einem liebevollen
Elternteil angenommen, gelobt und geliebt werden will, endet man im
Zweifelsfall dabei, Kunstwerke von Künstlern zu zerstören, die seit über
130 Jahren tot sind — oder, wie im Fall der beiden Aktivistinnen, im
Gefängnis.
Im Auge der Öffentlichkeit jedenfalls hat man sich lächerlich gemacht,
genau wie die Aktivisten aus Wolfsburg, deren Befindlichkeiten sich
letztlich als größer erwiesen als ihr Drang zur Revolution.
*Anmerkungen und Quellen:*
(1)
(2)
(3)
(4) https://www.youtube.com/watch?v=LTdquzu-BXg
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.