anti-spiegel.ru, 23. April 2024 17:59 Uhr, von Anti-Spiegel
Das russische Fernsehen hat ein Interview mit dem syrischen Präsidenten Assad ausgestrahlt, das zeigt, warum westliche Medien kein Interview mit Assad oder auch Putin zeigen wollen. Assads Aussagen würden wohl viele Menschen im Westen nachdenklich machen.
Im russischen Fernsehen gibt es eine Sendung mit dem Namen „Globale Mehrheit“, in der der Moderator dem Publikum Persönlichkeiten aus den Ländern vorstellt, die die globale Mehrheit stellen, also nicht aus westlichen Ländern. Der Titel der Sendung ist durchaus gut gewählt, denn der US-geführte Westen umfasst knapp 50 Staaten, während die restlichen 140 Staaten der Welt nicht zum Westen gehören und bei immer mehr Abstimmungen in UNO den Mut haben, gegen die Position des US-geführten Westens zu stimmen.
In der aktuellen Folge der Sendung hat der Moderator den syrischen Präsidenten Assad besucht und interviewt. In der Sendung wurde das Interview zusammengefasst, aber schon diese halbstündige Zusammenfassung war so interessant, dass ich sie komplett auf Deutsch übersetzt habe.
Beginn der Übersetzung:
In letzter Zeit hört man immer öfter den Begriff der globalen Mehrheit. Aber wer gehört dazu, aus welchen Ländern besteht sie und vor allem, wer regiert diese Staaten, schließlich hängt vom politischen Willen dieser Regierenden nicht weniger als die Zukunft der ganzen Welt ab. Heute möchte ich Ihnen den Präsidenten der Arabischen Republik Syrien, Baschar al-Assad, vorstellen – einen Mann, der sich dem kollektiven Westen widersetzt und es geschafft hat, seinen Staat, das historische Schicksal und die Identität seines Volkes zu bewahren. Wir trafen uns im syrischen Präsidentenpalast. Ich hatte ihn zum Gespräch über Fragen der Multipolarität, der nationalen Traditionen und Kulturen eingeladen.
Der Präsident Syriens ist ein Mann mit einem besonderen Lebensweg. Baschar war noch keine fünf Jahre alt, als sein Vater durch einen Staatsstreich an die Macht kam. Hafez al-Assad war Vorsitzender der Baath-Partei, die Sozialismus mit arabischem Nationalismus verband. Er befürwortete eine teilweise Liberalisierung der Wirtschaft und schätzte den Westen für seine wissenschaftlichen und technischen Errungenschaften, so dass der Präsident seinen Sohn Baschar am Hurriya Lyceum in Damaskus studieren ließ. Doch der Vater bereitete seinen Sohn nicht auf die Regierung vor. Auch Baschar al-Assad selbst strebte sie nicht an. Er schloss sein Studium an der medizinischen Fakultät der Universität Damaskus als Augenarzt mit Auszeichnung ab, arbeitete in einem Krankenhaus und absolvierte dann ein Praktikum in Großbritannien, wo er ein Jahr später sein Studium fortsetzte.
Assad: Bei allen großen Konflikten der letzten Jahrzehnte ging es um die nationale Identität. Man muss lernen, sie vor äußeren Einflüssen zu schützen, denn der einzige Weg, jemanden zu besiegen, ist, seine Identität zu zerstören. Natürlich ist Identität ein weites Feld und umfasst viele Aspekte, darunter Kultur, das Wertesystem und die eigenen Traditionen.
Frage: Und die USA versuchen gezielt, nationale Traditionen zu zerstören?
Assad: Ja, das ist richtig. Das ist ihre Art der Kontrolle. Aber wenn man seiner Identität treu bleibt, hat man die Kraft, „Nein“ zu sagen. Man kann die Situation analysieren und nach bestem Wissen und Gewissen manövrieren. Aber wenn man seine nationale Identität verloren hat, geht es nur noch um den persönlichen Vorteil – das Geld. Und Geld ist international, und mit Geld kann man kontrollieren. So kontrolliert Amerika alle seine Partner, im Westen wie im Osten. Und es kann jedes Land und jeden Politiker kontrollieren.
Baschar al-Assad führte in England ein bescheidenes Leben wie in seiner Heimat. Als Oberschüler ging er wie alle anderen Schüler zum Unterricht. Er hatte keine Leibwächter und keinen eigenen Fahrer, wie viele seiner Mitschüler aus wohlhabenden Familien. Seine Lehrer erinnern sich an ihn als einen tüchtigen und nachdenklichen Jungen.
Frage: Herr Präsident, bevor wir fortfahren, möchte ich ein paar inoffizielle Fragen stellen. Krieg ist eine schwierige Entscheidung. Welchen Preis hat das syrische Volk für seine Unabhängigkeit, seine Freiheit und seine Würde bezahlt? Es hat sich geweigert, ein Satellit des Westens zu werden.
Assad: Der Preis war sehr hoch. Viele andere Länder würden ihn nicht zahlen. Aber wir leben in einer Welt des Dschungels, oder ich würde sogar sagen, in einer Welt der Sklaverei. Und in einer Welt der Sklaverei hat Würde einen sehr hohen Preis. Es wird keine Rechte geben, kein unabhängiges Land, nicht einmal das Recht zu leben, wenn man diesen Preis nicht zahlt. Es ist der Preis für das Recht, zu existieren, für das Recht, zu sein. Unser Krieg ist ein Krieg um die Existenz, deshalb war dieser Preis so hoch.
Das moderne Syrien gibt es erst seit etwas mehr als 70 Jahren, aber schon im vierten Jahrtausend vor Christus gab es hier eine Zivilisation. Das Land hat eine Bevölkerung von rund 17 Millionen Menschen, von denen die überwiegende Mehrheit Muslime sind, meist Sunniten, und etwa fünf Prozent Christen. Die übrigen sind Atheisten oder gehören anderen Religionen an. Damaskus ist die älteste Hauptstadt der modernen Welt. Es ist die einzige Stadt auf unserem Planeten, die seit Jahrtausenden ununterbrochen existiert. Syrien ist nicht nur die Wiege der Zivilisation. Es war immer das Zentrum aller wichtigen Ereignisse in der Region.
Frage: Ich habe den Eindruck, dass sich die globale Situation in der Welt verändert und dass die Staats- und Regierungschefs der Länder, die zur globalen Mehrheit zählen, allmählich den Weg der Verteidigung ihrer nationalen Interessen einschlagen, während der Einfluss der USA in der Welt abnimmt.
Assad: Absolut richtig. Man lernt aus den Fehlern der Vergangenheit und wir könnten mit dem Westen Freunde sein, aber der Westen braucht keine Freunde. Er braucht nicht einmal Partner, er braucht nur Vasallen.
Frage: Vielleicht unterstützt und fördert der Westen deshalb jetzt Politiker wie Selensky, denn mit solchen Leuten kann man leichter umgehen.
Assad: Natürlich. Das sind Leute, die zu allem „Ja“ sagen – egal ob rechts, links, oben, unten, – sie sagen zu allem „ja, Chef“.
Frage: Und sie mögen keine unabhängigen Politiker wie Sie oder wie beispielsweise den russischen Präsidenten.
Assad: Ja, sie reden gerne über Demokratie, aber sie können es nicht ertragen, wenn man „Nein“ sagt. In ihrer Demokratie geht es immer um ein „Ja“. Und „Ja“ muss zu absolut allem gesagt werden. Das ist ihre Demokratie.
Ich habe mich oft gefragt, warum ein junger, vielversprechender Augenarzt, der alle Möglichkeiten hatte, für immer in London zu bleiben, sich entschied, in sein Heimatland zurückzukehren und den Kampf seines Volkes für Souveränität und Unabhängigkeit anzuführen. Und heute steht Syrien zusammen mit Russland für eine multipolare Welt ein. Auch auf diese Frage antwortete Assad.
Assad: Multipolarität hat es immer gegeben. Sie ist die Grundlage der globalen Zivilisation. Zu allen Zeiten hat es unterschiedliche Formen der gesellschaftlichen Organisation der Menschen gegeben. Davon zeugen die verschiedenen Reiche der Geschichte, die sich stark voneinander unterschieden. Manchmal standen sie einander feindlich gegenüber, manchmal arbeiteten sie zusammen. Aber sie alle waren sehr verschieden. Multipolarität kann wirtschaftlich und kulturell sein. Aber der Punkt ist, dass die Welt multipolar geschaffen wurde. Die Unipolarität, die nach dem Zusammenbruch der UdSSR entstanden ist, ist neu für die Menschheit. Unipolarität ist unnatürlich und hat zu dem Chaos geführt, für das mein Land und viele andere Länder der Welt heute bezahlen. Das Problem von heute ist das Fehlen klarer Regeln für die Beziehungen zwischen den Staaten, was zu ständigen Konflikten führt. Solange es verschiedene Sprachen und Kulturen gibt, ist die Welt multipolar. Wichtig ist, dass dies rechtlich anerkannt werden sollte. Russland und Syrien tragen nach Kräften zu diesem Prozess bei.
Frage: Was ist aus Ihrer Sicht heute die Rolle Russlands bei diesem wichtigen Ergebnis, das Sie gemeinsam erreicht haben?
Assad: Ich höre oft, dass Russland angeblich dem Präsidenten oder der syrischen Regierung geholfen hat. Aber das ist eine falsche Einschätzung. Russland hat das syrische Volk unterstützt und die Souveränität Syriens verteidigt. Damit hat es auch das Völkerrecht verteidigt, das auf dem Papier ja existiert. Russland hat sich gegen den internationalen Terrorismus gestellt und es ist naiv zu glauben, dass die Terroristen von heute lokale Banden sind. Es ist ein globales Netzwerk, das in Europa, Russland, Indonesien und anderen Teilen der Welt operiert. Der heutige Terrorismus ist ideologisch geeint. Und gegen ihn hat sich Russland in Syrien in den Kampf gestürzt. Indem es die Syrer verteidigte, verteidigte es auch sein Land. Die Tatsache, dass Russland in den Kampf gegen den Terrorismus eingegriffen hat, ist für die Welt insgesamt und insbesondere für den Mittelmeerraum von großer Bedeutung, da Syrien eine sehr wichtige geostrategische Lage einnimmt.
Nicht jeder weiß, dass der Westen Syrien 2011 angegriffen hat, um die Gefahr eines Bündnisses der Großmächte des Nahen Ostens – Iran, Türkei und Syrien – abzuwenden. Wäre es zu dieser Allianz gekommen, wäre der Nahe Osten schon vor Jahrzehnten zu einem mächtigen Player auf der Weltbühne geworden und hätte sich der Kontrolle des Westens völlig entzogen. Zudem war Syrien der wichtigste Verbündete des Iran. Durch die Zerstörung Syriens hat der kollektive Westen den Iran geschwächt, was zur Unterzeichnung des Atomabkommens führte. Der internationale Terrorismus, der sich als Opposition gegen die Regierung getarnt hatte, wurde in den Kampf gegen Syrien mit einbezogen. Und natürlich konnte sich Russland nicht heraushalten, da die gleichen Kräfte zuvor gegen Russland eingesetzt wurden.
Frage: Ich möchte eine Frage bezüglich der Militäroperation stellen. Ihrer Meinung nach wird die Militäroperation den Lauf der Weltgeschichte verändern. Wie sind Sie zu dieser Schlussfolgerung gekommen?
Assad: Ich meinte, dass die Militäroperation den Lauf der Geschichte korrigieren wird. Nicht verändern oder neu schreiben, sondern korrigieren. Russland als Großmacht widersetzt sich der westlichen Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder. Für mich macht es keinen Unterschied, ob Russland den globalen Terror in Syrien oder in der Ukraine bekämpft. Der Feind ist derselbe. Russland stärkt die Stabilität in der Welt, politisch und militärisch. Und das tut es, weil es selbst gelitten hat. Der Zusammenbruch der UdSSR geschah nicht spontan. Er wurde herbeigeführt, indem kleine ethnische Gruppen, die historisch zusammengelebt hatten, gezielt gegeneinander ausgespielt wurden. Ein Beispiel ist die Krim, die Chruschtschow in die Grenzen der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik eingegliedert hat. Die Russen in dieser Region haben nie die Unabhängigkeit von Russland angestrebt. Aber die Nazis begannen, allem Russischen den Krieg zu erklären. Und jeder weiß doch, dass Russen, Weißrussen und Ukrainer sich in Geschichte, Sprache und Kultur nahe stehen und dass in der Ostukraine mehrheitlich Russen leben. Aber die ukrainischen Nazis haben ein bestimmtes Ziel. Amerika hat die aggressiven Nationalisten schon vor dem Zweiten Weltkrieg aktiv unterstützt und sie während des Krieges angeheizt. Und seit 2004 setzt es sie über seine Geheimdienste im Kampf gegen Russland ein. Und das ist nicht normal. Ich bin mir sicher, dass der Kampf mit einem Sieg Russlands enden wird, der die Brüdervölker wieder vereinen wird. Deshalb sage ich, dass Russland korrigiert, was andere getan haben.
Ich habe mehr als zwei Stunden mit dem syrischen Präsidenten gesprochen. Und natürlich konnte ich nicht umhin, nach China zu fragen. Dieser Staat spielt heute eine sehr wichtige Rolle. Und die Beziehungen zu China beeinflussen die Außenpolitik mehrerer Länder auf der ganzen Welt.
Noch vor einem halben Jahrhundert war China ein armes Entwicklungsland. Heute ist es die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt. Die Armut ist überwunden und in der technologischen Entwicklung liegt das Land vor den USA. In China werden zwei- bis dreimal so viele Patente angemeldet wie im gesamten Westen.
Assad: Nach dem Zusammenbruch der UdSSR entstand die Illusion, der Liberalismus habe den endgültigen Sieg errungen und das Paradies auf Erden müsse politisch und wirtschaftlich wie Amerika sein. Es schien, dass Geld zum wichtigsten Ziel des Lebens werden sollte, dem Ethik, Gefühle und Humanismus geopfert werden müssten. China bot jedoch ein anderes Modell: eine ausgewogene Kombination aus kommunistischen Idealen und kapitalistischer Wirtschaft. Dort koexistiert ein zentralisierter Sozialstaat mit der unternehmerischen Freiheit. Seit 2008 haben wir erlebt, wie China vor dem Hintergrund des ebenso stetigen Niedergangs des Westens stetig gewachsen ist. Das heißt, China hat bewiesen, dass Elemente des Kapitalismus für eine Wirtschaft notwendig sind. Aber der Kapitalismus als Regierungsform ist dem Untergang geweiht. So sehen wir Chinas strategische Rolle in der Welt.
Frage: Wie sieht es bei Ihnen mit Investitionen aus? Vielleicht haben Sie große Projekte mit China oder mit anderen Ländern?
Assad: Wir leben schon lange ohne ausländische Investitionen. Vor dem Krieg gab es wegen der Blockade des Westens, die 1979 begann, keine. Diese Blockade war stillschweigend, aber ziemlich hart. Deshalb haben wir gelernt, den sozialen Sektor selbst zu entwickeln und nicht-westliche Investitionen anzuziehen. Während des Krieges gab es keine Investitionen, also arbeiten wir nur mit syrischen Investoren oder solchen aus der arabischen Welt zusammen, die aus Angst vor US-Sanktionen im Geheimen agieren. Auch die Chinesen wollen nicht unbedingt bei uns investieren, weil wir ihnen schon Geld schulden. Diese Schulden versuchen wir so weit wie möglich zu tilgen, um den Weg für Investitionen frei zu machen.
Vor dem Krieg war Syrien ein wirtschaftlich völlig autarkes Land. Ein Drittel des Einkommens wurde durch Öl erwirtschaftet, ein Drittel durch die Landwirtschaft und ein Drittel durch die Industrieproduktion, denn das Land produzierte alles außer schweren Luxusgütern. Sogar Medikamente wurden hier hergestellt. Doch während des Krieges wurde die Ölindustrie nicht nur physisch, sondern auch durch Sanktionen zerstört. Heute sind die aktiven Felder unter amerikanischer Kontrolle. Die Industrieproduktion ist praktisch zum Erliegen gekommen, das Land kann sich kaum noch selbst ernähren, während die USA mit dem Verkauf von syrischem Öl mehr Geld verdienen, als es kostet, die US-Truppen in Syrien zu unterhalten.
Frage: Herr Präsident, eines der Hauptmerkmale der westlichen Eliten ist natürlich der Komplex der Exklusivität. Die haben keine Freunde, sie haben Vasallen. Aber das Schicksal dieser Vasallen ist immer traurig. Ein Feind der USA zu sein, ist viel ehrenvoller und verlässlicher, denn die sogenannten Partner der USA landen immer auf der Straße. Können Sie kommentieren, wie Verhandlungen denen verlaufen?
Assad: Der Westen hat längst einen Cäsarenwahn entwickelt. Dagegen kann nur eine Schocktherapie helfen. Jahrhundertelang haben sie andere Länder versklavt und ausgeplündert. Und nur ein harter Schlag wird sie auf den Boden der Tatsachen zurückbringen. Denen, die sich mit ihrem Vasallenstatus abgefunden haben, muss man helfen, in die Realität zurückzukehren. Und vielleicht sollten wir mit denen beginnen, die den Glauben an sich selbst verloren haben. Und erst dann sollten wir uns mit dem kollektiven Westen befassen. Man muss lernen, „Nein“ zu sagen, wenn einem etwas nicht gefällt. Das ist aber nicht einfach, denn der Druck kann sanfte Form sein. Er ist nicht immer eine direkte Drohung. Aber im Grunde ist er eine Drohung. Wir haben gelernt, mit ihnen in ihrer Sprache zu reden. Formell gibt es keinen Krieg zwischen uns, obwohl man das, was sie tun, als Terror bezeichnen kann. Wir versuchen, ihre Blockade zu umgehen, sonst wird der Krieg in unserem Land nie enden. Aber die Welt verändert sich sehr schnell: Neue Allianzen und Bündnisse entstehen und es entstehen ebenfalls neue Möglichkeiten, die Besatzer in die Schranken zu weisen. Diese Länder nutzen aktiv Medien und soziale Netzwerke, um das Selbstvertrauen der Menschen in abhängigen Ländern zu untergraben, und das muss bekämpft werden. Wir müssen lernen, nationale Interessen zu verfolgen und dürfen keine Angst davor haben.
Frage: Herr Präsident, Sie haben ja schon einige Erfahrungen im Westen gesammelt. Sehen Sie Möglichkeiten, den Dialog mit dem Westen wieder aufzunehmen, vielleicht in einer strategischen Perspektive?
Assad: Es gibt immer Hoffnung. Auch wenn wir wissen, dass es wahrscheinlich nichts wird. Wir müssen es versuchen. Politik ist die Kunst des Möglichen. Egal, wie schlecht wir sie finden, wir müssen mit ihnen zusammenarbeiten und ihnen erklären, dass wir unsere Rechte nicht aufgeben werden und dass wir nur auf der Basis von Gleichberechtigung zur Zusammenarbeit bereit sind. Amerika hält derzeit illegal einen Teil unseres Landes besetzt, finanziert Terroristen und unterstützt Israel, das ebenfalls unser Land besetzt hat. Aber wir treffen uns regelmäßig mit ihnen, obwohl diese Treffen zu keinem Ergebnis führen. Aber die Zeiten ändern sich. Ich habe lange im Westen gelebt und habe Respekt vor ihren wissenschaftlichen und kulturellen Errungenschaften. Diese Errungenschaften haben sie stark gemacht. Aber ihre Stärke hat sie zu moralischem Verfall geführt. Auch die politische Klasse ist degeneriert. Westliche Politiker denken nur an ihre eigene Karriere. Sie kümmern sich nicht mehr um die Interessen ihrer Länder. Ihre Medien schaffen eine virtuelle Realität und arbeiten gleichzeitig an der Zerstörung der Familie, der Atomisierung der Gesellschaft und der Isolierung des Individuums. All das birgt die Gefahr, dass ihre Errungenschaften in Zukunft zunichte gemacht werden.
Ich habe oft darüber nachgedacht, dass die westlichen Politiker, mit denen ich sprechen durfte, in gewisser Weise primitiver geworden sind. Und wir haben nicht bemerkt, dass erfahrene, charismatische, effektive Leute, denen man vertrauen konnte und die ihr Wort hielten, durch Leute mit einem viel niedrigeren Niveau ersetzt wurden. Als ich unterwegs war, um Baschar al-Assad zu treffen, fragte ich mich, mit welchem der heutigen Politiker oder Regierungschefs er wohl gerne sprechen würde.
Assad: Heute gibt es im Westen keinen Politiker mehr, den man als Staatsmann bezeichnen könnte. Seit den Tagen von Reagan und Thatcher hat es sie nicht mehr gegeben. Seit den 80er Jahren hat sich das gesamte politische Umfeld dramatisch verändert. Die westliche Politik wurde von wirtschaftlichen Prinzipien dominiert und der Kapitalismus begann, seine eigenen Regeln zu diktieren. Länder wurden zu Unternehmen, Staatschefs zu Konzernchefs. Unternehmen handeln aber im Interesse der Wirtschaft: Sie fusionieren, plündern andere aus und gehen bankrott, alles im Namen des Profits. Moderne Politiker denken nicht mehr strategisch, sie lösen nur die momentanen Probleme, die an sie herangetragen werden. Sie sind auch nicht mehr verantwortlich für das, was sie sagen. Alles, was vereinbart wird, kann schon am nächsten Tag wieder rückgängig gemacht werden. Aus diesen Gründen kann ich mit Sicherheit sagen, dass es derzeit keinen einzigen Politiker im Westen gibt, mit dem ich einen Dialog führen möchte oder der mich interessieren würde.
Frage: Herr Präsident, können Sie uns etwas über Ihre Erfahrungen im Kampf gegen den destruktiven Einfluss von NGOs erzählen? Die Proteste, die 2010 und 2011 stattfanden, wurden schließlich über NGOs vom kollektiven Westen finanziert.
Assad: Wir befinden uns seit fünf Jahrhunderten in einem Zustand der Konfrontation mit dem Westen. Mitte der 70er Jahre begann der Westen, den Terrorismus zu finanzieren, um uns zu bekämpfen, aber ohne Erfolg. Aber in den 90er Jahren änderten sich die Methoden. Der Druck wurde durch die Presse, das Satellitenfernsehen, das Internet und natürlich durch NGOs ausgeübt. Diese Organisationen sind wahrscheinlich die gefährlichsten, weil sie sich als Hilfsorganisationen ausgeben. In Wirklichkeit sammeln sie Informationen, um sie gegen die Interessen des Staates zu verwenden. Wir haben sie schon vor dem Krieg genau im Auge behalten. Wir wussten, dass die USA und die CIA über solche Organisationen nicht nur ihre Gegner, sondern auch ihre Verbündeten kontrollieren. Als der Krieg begann, haben sie alle diese Organisationen geschlossen, ebenso wie ihre Botschaften. Das war logisch, denn wir hätten sie sowieso rausgeschmissen. Da dieses Instrument der Einflussnahme wegfiel, blieb nur die direkte Konfrontation in Form der Finanzierung von Terrorbanden. Diese Organisationen, ob in der Ukraine oder bei uns, haben genau ein Ziel: die Meinung der Menschen zu beeinflussen, Einfluss auf die Regierung zu gewinnen und einen Machtwechsel herbeizuführen, der den Interessen des eigentlichen Eindringlings dient. Wären diese Organisationen wirklich humanitär, würden sie die UNO unterstützen. Das haben sie aber nie getan.
Natürlich konnte ich nicht umhin, den syrischen Präsidenten nach der Arabischen Liga zu fragen. Diese Organisation ist und bleibt ein Meilenstein für die arabische Welt.
Die Liga der Arabischen Staaten wurde auf der Grundlage des Alexandria-Vertrags gegründet, der im Oktober 1944 in Alexandria verabschiedet wurde. Fünf arabische Staaten – Ägypten, Syrien, Jordanien, der Irak und der Libanon – unterzeichneten das Abkommen, in dem die Gleichheit aller Mitgliedstaaten der künftigen Organisation proklamiert wurde. Auf der Grundlage dieses Abkommens wurde 1945 die Arabische Liga gegründet. Im Jahr 2011 wurde die Mitgliedschaft Syriens aber auf Druck des Westens ausgesetzt. Im Mai 2023 trat es der Organisation wieder bei.
Assad: Wir wurden gebeten, in die Arabische Liga zurückzukehren, und das haben wir getan. Der Ausschluss Syriens war unrechtmäßig und die Tatsache, dass wir gebeten wurden, zurückzukehren, zeigt, dass die Organisation ihre Legitimität wiedererlangt hat. Syrien war einer der Gründerstaaten der Liga und viele haben verstanden, dass die Organisation ohne Syrien nicht mehr die Bedeutung hat, die sie einmal hatte. Syrien war immer ein wichtiger Player in der Region und der Krieg gegen Syrien schadet nicht nur Syrien, sondern der gesamten arabischen Welt. Natürlich habe ich mich gefreut, dass das Land in die Organisation zurückgekehrt ist, die es gegründet hat. Aber jetzt hängt alles davon ab, wie einflussreich die Arabische Liga sein wird, welche Rolle der Arabische Rat spielen wird. Was, wenn sich das Ganze als genauso ineffizient erweist wie die UNO?
Frage: Herr Präsident, der Konflikt zwischen Palästina und Israel ist heute einer der größten Spannungsherde. Wie sehen Sie diese Situation, die Gründe für das, was jetzt geschieht?
Assad: Die westliche Politik, insbesondere die amerikanische, beruht auf dem Prinzip „Teile und herrsche“. Das ist ihre Art der Kontrolle, eine Art Erpressung. So ein Verhalten ist sittenwidrig. Aber es ist die Realität. Amerika macht aus jedem Konflikt eine gefährliche chronische Krankheit wie Diabetes oder Krebs. Den Preis für den Konflikt müssen aber die Kriegsparteien zahlen. Und wenn wir von Amerika sprechen, meinen wir den gesamten Westen, denn er wird vollständig von den USA kontrolliert. Amerika profitiert von jedem Konflikt und beobachtet dann, wie sich das Chaos ausbreitet und wartet auf den Moment, um den entscheidenden Schlag zu führen. Sie profitieren von jedem Konflikt.
Frage: Was halten Sie von der „Muslimbruderschaft“?
Assad: Als Großbritannien vor 100 Jahren die Muslimbruderschaft in Ägypten gründete, wollte man an die arabische Identität appellieren. Und viele Menschen in der arabischen Welt haben das aufgenommen. Heute ist die Zugehörigkeit zur arabischen Welt für viele Menschen wichtiger als die Staatsbürgerschaft eines bestimmten Landes. Mit dieser Idee wollte man sich die Kontrolle über die Region sichern. Dazu musste man alle inneren Beziehungen innerhalb der Staaten zu zerstören. In unserem Land zum Beispiel gab es ursprünglich viele Christen. Sie sind keine Einwanderer, sondern lebten schon vor dem Islam hier. Aber die Muslimbruderschaft hat den Glauben verzerrt, um Muslime und Christen gegeneinander aufzuhetzen. Jede politische Partei kann ihre eigene Version einer Gesellschaftsordnung anbieten, aber das Argument „Allah will es so“ darf die Menschen nicht dazu bringen, für die Muslimbruderschaft zu stimmen. Sie tun genau das, indem sie darauf bestehen, dass Allah selbst sie an der Macht sehen will. Die Muslimbruderschaft war die erste religiöse Bewegung, die auf Aggression setzte. Ihre militanten Parolen wurden von Al-Qaida, dem IS und Dschebhat An-Nusra übernommen, und ihr Ziel war die Zerstörung aller politischen, sozialen, religiösen und nationalen Bindungen, die den gesamten Nahen Osten seit Jahrhunderten zusammenhalten.
Frage: Herr Präsident, der Nahe Osten spürt meiner Meinung nach die Veränderungen, die Bewegung in Richtung Multipolarität. Die Staatsmänner des Nahen Ostens koordinieren ihre Aktionen immer weniger mit den Amerikanern, mit dem kollektiven Westen. Meiner Meinung nach muss das erwähnt werden. Stimmen Sie dieser These zu?
Assad: Viele Länder haben begriffen, dass Amerika keine Freunde hat. Und diejenigen, die dachten, sie seien Partner der USA, verstehen jetzt, dass Amerika keine Partner hat. Auch im Westen. Freundschaft und Partnerschaft setzen gemeinsame Interessen voraus. Amerika hat aber nur seine eigenen Interessen. Deshalb können die Beziehungen zu diesem Land weder stabil noch sicher sein. Aus diesem Grund haben alle Länder der Welt begonnen, ihre Beziehungen zu China auszubauen, auch der Westen und Südamerika. Und das ist verständlich, denn Amerika missachtet die Interessen seiner vermeintlichen Partner, setzt den Dollar aktiv als Waffe ein und nutzt ihn, um politischen Druck auszuüben. Es ist ihnen egal, dass die Erhöhung des Leitzinses die Inflation und die Arbeitslosigkeit in den Partnerländern erhöht, mit denen niemand über diese Maßnahmen spricht. Aber das kann nicht ewig so weitergehen.
Ich habe oft mit Präsident Assad gesprochen und jedes Mal war ich beeindruckt von der bemerkenswerten Ruhe, die dieser Mann ausstrahlt, und gleichzeitig von der unerschütterlichen Zuversicht eines Staatsführers, der die tausendjährige Geschichte seines Landes und seines Volkes hinter sich hat. Natürlich kann nicht jeder die Stimme seiner Vorfahren hören, aber das ist wohl das Kennzeichen eines wahren Staatsführers, dem sein Volk folgt und vertraut. Natürlich hat sich Baschar al-Assad in seiner Jugend sein Leben ganz anders vorgestellt, aber etwas zwang ihn, eine Entscheidung zu treffen.
1994 kam Baschar al-Assads älterer Bruder, den sein Vater als Nachfolger vorgesehen hatte, bei einem Autounfall ums Leben. Dieses tragische Ereignis veränderte Baschars Leben entscheidend. 1995 kehrte er nach Syrien zurück und trat als Sanitätsoffizier in die Armee ein. Er absolvierte militärische Kurse in verschiedenen Laufbahnen und verbrachte die nächsten 15 Jahre damit, seine militärischen Leistungen zu verbessern. Am 11. Juni 2000 wurde er zum Generalleutnant befördert und zum Oberbefehlshaber der syrischen Streitkräfte ernannt. Gleichzeitig wurde Baschar al-Assad im Juni 2000 auf dem 9. Parteitag der Arabischen Sozialistischen Baath-Partei zum Regionalsekretär der Partei gewählt und anschließend für das Amt des Präsidenten Syriens nominiert. Er trat sein Amt an, nachdem er am 17. Juli 2000 vor dem Volksrat den verfassungsmäßigen Amtseid abgelegt hatte. Damit wurde Baschar al-Assad im Alter von 34 Jahren Staatsoberhaupt der Arabischen Republik Syrien.
Assad: Als ich jung war, hatte ich viele Pläne und wollte sie alle verwirklichen. Als ich älter wurde, habe ich gemerkt, dass alles seinen Preis hat und dass man Prioritäten setzen muss. Wenn man das nicht kann, erreicht man nichts. Ich vermisse diese Zeit nicht, denn ich habe viel Erfahrung gesammelt und bin viel effizienter geworden.
Frage: Herr Präsident, Sie nutzen doch soziale Medien, vielleicht lesen Sie, was Ihre Mitbürger in den Kommentaren über Ihre Arbeit schreiben. Ist das für Sie interessant?
Assad: Bevor ich Präsident wurde, leitete ich eine staatliche Organisation für die Entwicklung des Internets in unserem Land. Ich interessiere mich seit meiner Jugend für neue Technologien und glaube an die Zukunft der Informationstechnologien. Ich bin mir jedoch bewusst, dass es mit Hilfe des Internets und der sozialen Netzwerke leicht ist, sich von außen in das Innenleben eines Landes einzumischen. Deshalb vergesse ich bei meiner Arbeit in den sozialen Netzwerken nicht die realen Kontakte zu den Menschen. Soziale Netzwerke können trügerisch sein, denn man weiß nie, ob die Kommentare echt sind, ob die Meinungen echt sind – man muss alles mit dem vergleichen, was man persönlich beobachtet. Die öffentliche Meinung im Internet spiegelt nicht die Meinung der Mehrheit wider. Das sind nur Fragmente, die auch gefälscht sein könnten. Deshalb sollte man sich bei seinen Entscheidungen nicht auf soziale Medien verlassen. Als ich mich in Syrien aktiv für die Internettechnologie einsetzte, wusste ich, dass es auch Nachteile gibt und man sich der möglichen Gefahren bewusst sein muss.
Frage: Haben Sie Hobbys oder Hilfsmittel, wie lenken Sie sich ab, wie entspannen Sie sich, damit Sie danach effizienter arbeiten und sich auf das Wesentliche konzentrieren können?
Assad: Als ich jung war, habe ich mich weder für Kino noch für Fernsehen interessiert. Schon als Kind habe ich lieber gelesen und Sport getrieben. Aber als ich älter wurde, habe ich Talkshows entdeckt, und wenn ich Zeit habe, schaue ich mir auch gerne Dokumentationen im Internet an. Wenn ich Sport treibe, höre oder sehe ich Nachrichten. Ich mag auch Musik, aber ich höre sie nur, wenn ich in der richtigen Stimmung bin.
Frage: Herr Präsident, Sie sind Vater von drei Kindern. Erzählen Sie mir aus Ihrer Erfahrung, aus dem schwierigen Weg, den Sie gegangen sind. Möchten Sie, dass Ihre Kinder im Staatsdienst arbeiten, der so kompliziert und manchmal so umstritten ist?
Assad: Als ich noch zu Lebzeiten meines Vaters an der Entwicklung des Internets in Syrien arbeitete, konnte ich mir nicht vorstellen, dass ich einmal eine Karriere in der Regierung machen würde. Ich hatte keine Stelle in der Regierung und mein Vater hat nie mit mir über meine Zukunft gesprochen. Ich glaube, dass jeder diese Fragen für sich selbst entscheidet, je nachdem, wie er seinen Platz in der Welt sieht, und ich weiß nicht, welche Zukunft meine Kinder wählen werden. Wir sind alle Bürger unseres Landes und werden ihm dienen. Und in welcher Form, das muss jeder für sich selbst entscheiden. Man kann Politiker sein und seinem Land nicht dienen. Es kommt auf die Person an, wie sie ist. Und es ist nicht die Aufgabe der Eltern, für ihre Kinder zu entscheiden, was sie sein sollen. Eltern können sie nur zur Liebe zum Heimatland, zum Respekt vor der Geschichte des Landes und zur Bereitschaft, dem Land zu dienen, erziehen. Meine Kinder studieren keine Politik. Der eine will Programmierer werden, der andere Ingenieur. Und überhaupt: Politik ist nicht Arbeit. Sie ist Dienen. Das Wichtigste ist, dass man sich in einem bestimmten Bereich qualifiziert. Und dann überlegt man, was man für das Land tun kann. Meine Kinder haben den Krieg miterlebt und fragen mich oft: „Warum hat der Krieg angefangen?“ Wenn ihre Altersgenossen dem Angriff des Liberalismus widerstehen können und verstehen, warum der Krieg unvermeidlich war, werden sie eine sehr erfolgreiche Generation sein.
Einmal, als ich noch sehr jung war, sahen meine Großmutter und ich Muammar Gaddafi im Fernsehen. Auf dem Gipfel der Arabischen Liga sprach er über das wahrlich nicht beneidenswerte Schicksal von Saddam Hussein. Gaddafi rief den arabischen Staatschefs wörtlich zu: „Glaubt dem Westen nicht, jeder von euch kann der Nächste sein!“ Natürlich ging diese Rede in die Geschichte ein, aber im Jahr 2008 verstanden nur wenige, was Muammar al-Gaddafi damit meinte. Als plötzlich Baschar al-Assad auf dem Bildschirm erschien, rief Oma wörtlich: „Er wird der Nächste sein, er ist derjenige, den der kollektive Westen zu vernichten versucht“.
Leider hat der Westen das tatsächlich versucht, aber Baschar al-Assad hat es geschafft, sein Land gemeinsam und Seite an Seite mit seinem Volk zu verteidigen. Meine Großmutter bezeichnet ihn deshalb als nicht weniger als den „Ritter des Nahen Ostens“, und das ist er auch. Damit verabschieden wir uns von Ihnen, vor uns liegen neue Begegnungen mit klugen Vertretern der globalen Mehrheit, denn die Welt ist groß und vielfältig, und so soll es immer bleiben.
(Ende) der Übersetzung
Info: https://www.anti-spiegel.ru/2024/der-syrische-praesident-assad-im-o-ton-ueber-die-gruende-fuer-den-konflikt-mit-dem-westen
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.