16.08.2024

Geopolitik Frankreichs Kampf um die Macht in Westafrika

anti-spiegel.ru, 16. August 2024 06:00 Uhr, von Anti-Spiegel

Mali, Burkina Faso und Niger haben nach Putschen französische Truppen, Medien und NGOs aus ihren Ländern geworfen und streben das Ende des französischen Neokolonialismus an. Frankreich nutzt die ihm treu ergebenen afrikanischen Länder, um einen Gegenschlag zu versuchen.


Screenshot_2024_08_16_at_15_45_02_Frankreichs_Kampf_um_die_Macht_in_Westafrika_Anti_Spiegel


Der geopolitische Kampf zwischen dem US-geführten Westen einerseits und Russland und China andererseits dürfte sich in Afrika entscheiden. Der aufstrebende Kontinent ist reich an Bodenschätzen, der Wohlstand wächst und damit entstehen auch die Absatzmärkte der Zukunft. Wer die Sympathien Afrikas gewinnt und mit den afrikanischen Ländern dauerhaft freundschaftliche und partnerschaftliche Beziehungen aufbaut, der dürfte im geopolitischen Kampf um die künftige Weltordnung am Ende die Nase vorne haben.

Aus diesem Grund berichte ich viel über die politischen Ereignisse in Afrika, wo die ehemalige Kolonialmacht Frankreich, die bisher Westafrika dominiert hat, rasend schnell an Einfluss verliert. Jetzt hat der Marokko-Korrespondent der russischen Nachrichtenagentur TASS eine sehr interessante Analyse über die politische Situation in Westafrika geschrieben, die ich Ihnen nicht vorenthalten will und daher übersetzt habe.

Beginn der Übersetzung:

Die verschwindende Kolonialmacht: Wer Frankreich in Westafrika hilft, die Reste seines Einflusses zu bewahren

Pervin Mamed-Sade, TASS-Korrespondent in Marokko, darüber, wie die in den Ländern der Allianz der Sahelstaaten herrschenden Regime die Aktionen von Paris und seinen Satelliten wahrnehmen.

Die Serie militärischer Rebellionen und Putsche, die in den letzten Jahren in der Sahelzone (die Gebiete vom Senegal bis zum Sudan) stattgefunden hat, hat dem System der informellen Vormundschaft von Paris über seine ehemaligen Kolonien in Afrika, besser bekannt als Franceafrique (französisches Afrika), einen schweren Schlag versetzt. Die ehemals monolithische Struktur, die auf einer soliden politischen und militärischen Unterstützung autoritärer afrikanischer Regime, verdeckter Diplomatie und informeller wirtschaftlicher und privater Beziehungen zwischen den Eliten beruhte, beginnt rasch zu bröckeln.

Die treibende Kraft hinter diesem wirklich historischen Wandel war die Machtübernahme der Militärs in Mali, Burkina Faso und Niger unter den Parolen von Patriotismus, Panafrikanismus und der Notwendigkeit, mit dem Neokolonialismus zu brechen. Letzteres bedeutete vor allem die Abhängigkeit von Frankreich. Dieses Land hatte die Sahelzone jahrzehntelang als sein natürliches Interessensgebiet und als Gebiet für den Abbau wertvoller Bodenschätze wie Uran, Gold und Lithium betrachtet.

Militärische Machtergreifungen hat es in der Sahelzone schon früher gegeben, und das ist sogar zu einem sehr häufigen Mittel geworden, um die herrschende Elite auszuwechseln. Dies war jedoch das erste Mal, dass die Rebellen die Macht mit so unverhohlenen antifranzösischen Parolen und Plänen an sich rissen.

Zerstörerische Folgen

Die Folgen der langen militärischen und wirtschaftlichen Präsenz von Paris in der Region wurden von einer neuen Generation von Politikern als zerstörerisch erkannt. Die seit mehr als acht Jahren andauernde Anti-Terror-Operation „Barkhane“ des französischen Kontingents in der Sahelzone hat nach Angaben der malischen Regierung die Bedrohung durch Extremisten in der Region nicht verringert. Darüber hinaus hat das offizielle Bamako, vertreten durch den Premierminister der Übergangsregierung, Chogel Kokalla Maiga, Frankreich direkt beschuldigt, Terrorgruppen im Land auszubilden.

2022 und 2023 waren die französischen Truppen gezwungen, Mali, Burkina Faso und Niger, die einen antifranzösischen Gürtel in Westafrika bilden, vollständig zu verlassen. Danach verblieben nur noch in Gabun, Elfenbeinküste, Senegal und Tschad sowie in Dschibuti französische Militärkontingente.

Und obwohl das offizielle Paris versucht, die Schwächung der eigenen Position als bewusste und unabhängige Abkehr von der Francafrique-Politik hin zu einer neuen ausgewogenen Partnerschaft mit seinen ehemaligen Kolonien darzustellen, sehen die aktuellen Ereignisse wie eine Flucht unter dem Druck überfälliger objektiver Prozesse aus. Frankreich wurde in den meisten Gesellschaften West- und Zentralafrikas zum Hauptziel antiwestlicher und antikolonialer Stimmungen. Paris wurde zunehmend beschuldigt, autoritäre Regime zu unterstützen, die dem Kontinent Reichtum und Bodenschätze entzogen.

Die Interessen Frankreichs wurden in Niger, das viele Jahre lang als zuverlässige Bastion der Pariser Vorherrschaft in der Sahelzone gegolten hatte, empfindlich getroffen. Die nigrische Militärregierung unter der Führung von General Abdourahmane Tchiani hat Ende Juli 2023 die Einstellung der Uran- und Goldexporte nach Frankreich verkündet. Unter dem Jubel der Bevölkerung zog Frankreich innerhalb weniger Monate sein Militärkontingent aus Niger ab und einige Zeit später verlor der französische Atomgigant, das staatliche Unternehmen Orano, auf Beschluss der Regierung in Niamey seine Lizenz für die Erschließung eines der größten Uranvorkommen der Welt, Imouraren. Um das Ausmaß der Verluste zu verstehen, muss man daran denken, dass Niger vor nicht allzu langer Zeit zu den führenden Uranexporteuren sowohl nach Frankreich als auch nach Europa insgesamt gehörte und dass ein Viertel der Uran-Lieferungen in die EU-Länder aus Niger kam.

Die Stimmen, die die finanzielle Souveränität der Sahelländer durch die Abschaffung des von der französischen Zentralbank kontrollierten westafrikanischen Franc, der zunehmend als „letzte Kolonialwährung“ bezeichnet wird, fordern, wurden immer lauter.

Es lohnt sich vielleicht, den Senegal, der in der Pariser Politik in der Region seit jeher einen besonderen Platz einnimmt, gesondert zu betrachten. Dakar war von 1902 bis zur Auflösung der Kolonie im Jahr 1958 das Zentrum der Verwaltung von Französisch-Westafrika. Nach dem Sieg des linken panafrikanistischen Duos Bassirou Diomaye Faye und Ousmane Sonko (ersterer wurde Präsident, letzterer Premierminister) bei den Wahlen im April im Senegal hat es das offizielle Dakar noch nicht eilig, harte Erklärungen zur künftigen Zusammenarbeit mit Paris abzugeben. Allerdings gehörte die Schließung der französischen Stützpunkte im Senegal zu den wichtigsten Versprechen im Wahlkampf.

In einer kürzlich abgegebenen Erklärung sagte Faye, dass die Verhandlungen zwischen Dakar und Paris über die französische Militärpräsenz in Senegal in aller Ruhe und ohne impulsive Entscheidungen geführt werden sollten. „Ich kann Ihnen nicht sagen, wann es (die Schließung der französischen Basen im Senegal – Anm. d. Verf.) passieren wird, weil die Veränderungen, die zwischen [unseren] Ländern stattfinden müssen, in aller Ruhe und mit gutem Willen diskutiert werden müssen“, sagte er vor Reportern.

In einer Situation, in der die Widersprüche zwischen Burkina Faso, Mali und Niger auf der einen und Frankreich auf der anderen Seite nach wie vor recht groß sind, scheint die senegalesische Regierung eine weitaus moderatere Position einzunehmen. Gleichzeitig versucht Dakar, die Spannungen zwischen dem rebellischen Saheltrio und der Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten (ECOWAS), die traditionell auf der Seite der französischen Politik steht, zu verringern.

Die neue Allianz

Im September 2023 gründeten Burkina Faso, Mali und Niger die Allianz der Sahelstaaten, eine regionale Organisation für kollektive Verteidigung. Im Gründungsdokument heißt es: „Die Verletzung der Souveränität oder der territorialen Integrität eines oder mehrerer Gründungsmitglieder wird als Aggression gegen alle Parteien betrachtet und erfordert deren individuelle oder kollektive Unterstützung bis hin zum Einsatz militärischer Gewalt“. Es liegt auf der Hand, dass sich die gemeinsamen Bemühungen im Rahmen der Allianz nicht nur gegen die zahlreichen illegalen bewaffneten Gruppen von Extremisten und Terroristen richten, die in der Sahelzone operieren, sondern auch gegen die Streitkräfte anderer Länder, einschließlich der Nachbarländer, die unter dem einen oder anderen Vorwand einmarschieren oder intervenieren könnten.

Von Anfang an sprachen die Vertreter der an der Allianz beteiligten Länder offen über den Wunsch, „mit zuverlässigen Partnern wie Russland, China und der Türkei zusammenzuarbeiten“. Frankreich wurde dabei nicht erwähnt. In der gegenwärtigen Situation hat Paris keine andere Wahl, als sich auf die loyalen Länder zu konzentrieren und verschiedene Kräfte und Mittel zu sammeln, um die Reste seines Einflusses in der Sahelzone und in Westafrika zu bewahren.

Der Verlust des geopolitischen Einflusses Frankreichs auf seine ehemaligen afrikanischen Kolonien verringert sein globales Gewicht erheblich, auch innerhalb der EU. Die frankophonen Länder Afrikas waren für Paris lange Zeit in vielen Bereichen bequeme Partner: Sie versorgten die französische Wirtschaft zu niedrigen Preisen mit den notwendigen Rohstoffen, gaben ihre Stimmen in verschiedenen internationalen Organisationen ab, stellten Territorium für französische Stützpunkte und Militärkontingente zur Verfügung und versorgten die ehemalige Kolonialmacht mit talentiertem Personal.

Nach Ansicht regionaler Analysten ist die Allianz ein politischer und ideologischer Feind des französischen Kurses, der auf den Ideen der Erweckung des afrikanischen Selbstbewusstseins und der Wiederherstellung der wahren Souveränität und Würde der Völker der Region beruht. „Natürlich wird sich Frankreich den Aktivitäten der Allianz mit aller Macht entgegenstellen, auch durch die Unterstützung extremistischer Gruppen in der Region“, ist sich Salif Sidibe, ein in der malischen Hauptstadt Bamako lebender Politikwissenschaftler, sicher. „Ein weiteres Ziel von Paris ist es, die Länder der Sahelzone an der Ausbeutung ihrer Bodenschätze zu hindern, denn Frankreich, das sich vor vielen Jahren Zugang zu den fossilen und unterirdischen Bodenschätzen in der Region verschafft hat, betrachtet diese als strategische Ressourcen für sich und seine zukünftigen Generationen.“

Die Elfenbeinküste und Benin scheinen nach den politischen Veränderungen der letzten Jahre die Schauplätze für Frankreichs neuen Aktivismus zu sein. Zumindest sind es diese beiden Länder, die in den Erklärungen der Führungskräfte der Allianz regelmäßig erwähnt werden, wenn es um reale und potenzielle Bedrohungen geht, hinter denen Paris deutlich sichtbar ist. Seltsamerweise stehen die Elfenbeinküste und Benin zusammen mit Ghana ebenfalls auf der Liste der westafrikanischen Länder, in denen US-Aufklärungsdrohnen stationiert werden könnten, um die Bewegungen von Kämpfern zu verfolgen und wertvolle Primärinformationen zu sammeln.

Der Präsident von Burkina Faso, Captain Ibrahim Traoré, hat der Elfenbeinküste bei mehreren Gelegenheiten offen unfreundliches Verhalten vorgeworfen. „Alle Kräfte, die daran arbeiten, Burkina Faso zu destabilisieren, sind in der Elfenbeinküste. Die Elfenbeinküste muss ihre Politik überdenken und aufhören, diejenigen zu beherbergen, die versuchen, Burkina Faso zu destabilisieren. Irgendwann müssen wir die Heuchelei aufgeben und die Wahrheit sagen: Wir haben Probleme mit der Regierung der Elfenbeinküste“, sagte er kürzlich in einem Interview mit dem staatlichen Fernsehsender RTB.

In einer weiteren öffentlichen Erklärung erklärte Traoré, dass seinen Informationen zufolge in Abidjan (der größten Stadt der Elfenbeinküste und einem der Wirtschaftszentren Westafrikas) „ein Operationszentrum zur Destabilisierung Burkina Fasos“ untergebracht sei. In Bezug auf Benin wies er darauf hin, dass sich im Norden des Landes zwei französische Stützpunkte befinden, die als Ausbildungszentren für terroristische Operationen dienen, die regelmäßig das Gebiet von Burkina Faso treffen.

Interessanterweise sagte Traoré bei seinen Anschuldigungen gegen seine Nachbarn, dass „die Imperialisten Burkina Faso ausrauben und destabilisieren wollen“, und machte damit deutlich, dass jemand Mächtigeres hinter den Aktionen der Regierungen der Elfenbeinküste und Benins steht.

Die Anschuldigungen von General Tchiani

Anfang August sorgte ein Fernsehinterview mit dem nigrischen Präsidenten, General Abdourahmane Tchiani, für großes Aufsehen, in dem er Frankreich anhand von Daten und Fakten beschuldigte, die Lage im Land destabilisieren zu wollen und den Terrorismus in Westafrika zu unterstützen. Ihm zufolge zogen französische Geheimdienstagenten der Generaldirektion für äußere Sicherheit (DGSE), die gezwungen waren, Niger zu verlassen, nach Benin und Nigeria. Tchiani erzählte, dass sich die DGSE-Mitarbeiter im Oktober 2023 mit Terroristen der Gruppen Boko Haram und Islamischer Staat in Westafrika getroffen haben. „Sie schlugen diesen Terroristen vor, einen offenen Krieg gegen den nigrischen Staat zu führen, gegen die neue nigrische Regierung, die es gewagt hatte, die französischen Soldaten aufzufordern, ihr Gebiet zu verlassen“, fügte Tchiani hinzu.

Später, im Januar 2024, habe Frankreich mit zwei Hubschraubern militärische Ausrüstung an Boko-Haram-Terroristen geliefert. „Die Franzosen haben es getan und tun es immer noch. Sie sollen wissen, dass wir sie beobachten und zum richtigen Zeitpunkt handeln werden“, versicherte der nigrische Präsident. Bezeichnenderweise haben weder Frankreich noch Benin oder Nigeria in irgendeiner Weise auf diese schwerwiegenden Anschuldigungen reagiert.

Es gibt noch viele andere Beispiele. So schreiben die Informationsdienste der Allianz über Aufklärungsflugzeuge der französischen Luftwaffe, die von der Basis in Cotonou (der Hauptstadt Benins) starten und entlang der Grenze zu Niger fliegen. Oder über die Ausbildungslager von Militanten in Benin, die ihre Gastgeber zur Destabilisierung der Region nutzen wollen.

Indem es Spannungen in der Sahelzone provoziert, versucht Frankreich, einen Keil zwischen die Länder zu treiben, die beschlossen haben, sich aus der Vormundschaft von Paris zu lösen, und diejenigen, die sich weiterhin an der ehemaligen Kolonialmacht orientieren. Dabei besteht die Gefahr, dass die herrschenden Kreise der Elfenbeinküste und Benins unter starken öffentlichen Druck geraten, wenn man die äußerst skeptische Wahrnehmung des französischen politischen Kurses in der Region durch die Massen und die wachsende Popularität der Führungskräfte der Allianz bedenkt, die ihre Fähigkeit unter Beweis stellen, einen unabhängigen Kurs zu verfolgen und geschickt an die Forderungen und Bestrebungen der „afrikanischen Straße“ zu appellieren. Wahrscheinlich aus demselben Grund gibt es keine offensichtlichen Bemühungen Frankreichs, Oppositionelle aus den Sahelländern unter seinen Schirm zu nehmen und sie medial zu fördern. Die politischen Aussichten für solche Projekte sind sehr gering.

Während die französische Regierung es bisher vorgezogen hat, zu schweigen und nicht auf die Vorwürfe der Unterstützung militanter Gruppen in der Sahelzone zu reagieren, hat die Regierung der Elfenbeinküste es schließlich für nötig befunden, auf die Vorwürfe zu reagieren, die in den letzten Monaten gegen sie erhoben wurden. Tene Birahima Ouattara, der Verteidigungsminister der Elfenbeinküste und jüngerer Bruder von Präsident Alassane Ouattara, hat die Anschuldigungen der Allianz persönlich zurückgewiesen. In einem Interview mit der französischen Zeitschrift Jeune Afrique sagte er, dass „die Elfenbeinküste nie versucht hat, Burkina Faso zu destabilisieren“. „Das macht keinen Sinn. Wenn wir das täten, würden Tausende und Tausende von Menschen aus Burkina Faso hierher kommen. Das sind alles Missverständnisse, und ich hoffe, dass sie mit der Zeit ausgeräumt werden“, sagte er. Der Verteidigungsminister räumte jedoch ein, dass es seit der Machtübernahme von Hauptmann Traoré in Burkina Faso keine gemeinsamen Militäroperationen oder Austausch von Geheimdienstinformationen gegeben habe.

Ob man den Zusicherungen des Verteidigungsministers der Elfenbeinküste in den Hauptstädten der Nachbarländer – Bamako, Niamey und Ouagadougou – Glauben schenken wird, ist die große Frage. Eines ist jedoch klar: Zwischen den Ländern der Allianz und ihren pro-französischen Nachbarn hat sich eine schwere Vertrauenskrise entwickelt, die nur sehr schwer zu überwinden sein wird.

Ende der Übersetzung


Info: https://anti-spiegel.ru/2024/frankreichs-kampf-um-die-macht-in-westafrika


unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält

16.08.2024

August 1962: Die entscheidende Rolle der CIA bei der Inhaftierung von Nelson Mandela und der vergessene Beitrag Kubas zu dessen Freilassung

nachdenkseiten.de, 15. August 2024 um 12:37 Ein Artikel von: Florian Warweg

Die selbsternannte „westliche Wertegemeinschaft“ versucht immer gerne vergessen zu machen, auf welcher Seite der Geschichte sie über Jahrzehnte im Kampf gegen Kolonialismus und Apartheid stand und auf welcher Seite die Länder des sozialistischen Blocks. Exemplarisch dafür steht die Festnahme von Nelson Mandela im August 1962, die nur gelang, weil der US-Geheimdienst CIA den Sicherheitsorganen des Apartheitsstaates Südafrika die entscheidende Information zu seinem Aufenthalt zukommen ließ. Mandelas Freilassung nach Jahrzehnten in Kerkerhaft ist wiederum zu großen Teilen dem Engagement Kubas im südlichen Afrika zu verdanken.


Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Podcast: Play in new window | Download


Über Jahrzehnte galt es nur als Gerücht, bis die New York Times (NYT) es im Juni 1990, kurz nach der Freilassung des Anführers des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) und weltweit bekanntesten Anti-Apartheid-Kämpfers, bestätigte

Über einen Agenten innerhalb des Afrikanischen Nationalkongresses lieferte der Geheimdienst (die CIA) den südafrikanischen Sicherheitsbehörden genaue Informationen über die Aktivitäten von Herrn Mandela, die es der Polizei ermöglichten, ihn zu verhaften (…).“

Die NYT zitiert dann einen damals involvierten CIA-Mitarbeiter, der sichtbar stolz erklärt:

Wir haben Mandela an die südafrikanische Sicherheitsbehörde übergeben. Wir haben ihnen alle Einzelheiten mitgeteilt, was er tragen würde, die Uhrzeit, wo er sich aufhalten würde.“

Screenshot_2024_08_16_at_15_38_54_240815_1962_01.png_PNG_Grafik_964_511_Pixel_


Dem weiteren Bericht zufolge setzte der US-Auslandsgeheimdienst umfassende Ressourcen ein, um Mandela festnehmen zu lassen, weil man in Washington befürchtete, dass eine erfolgreiche Anti-Apartheid-Bewegung „die befreundete südafrikanische Regierung bedrohen könnte“. Eine Ausbreitung solcher Bewegungen außerhalb der Grenzen Südafrikas, so die Sorge der damaligen CIA-Analysten, „würde die Stabilität anderer afrikanischer Staaten gefährden“.

Es lässt sich folglich festhalten: Der Kampf gegen Apartheid wird von den USA und ihren westlichen Verbündeten als „Gefahr“ bewertet. Die Einordnung des Apartheid-Regimes in Pretoria als „befreundet“ spricht ebenso für sich. Mehr als zynisch erscheint auch die Begründung, eine Ausbreitung der Ideen des ANC würde die „Stabilität“ anderer afrikanischer Staaten gefährden. Es waren genau die von den USA und ihren westlichen Verbündeten (zum großen Teil noch aktive Kolonialmächte wie Frankreich und Portugal), die in den 1950er- und 1960er-Jahren alles dafür taten, dass die Staaten im südlichen Afrika nach ihrer Unabhängigkeit nicht zur Ruhe kamen, aus Sorge vor einer Annäherung an den sowjetischen Block, denn fast alle anti-kolonialen Bewegungen der Zeit hatten eine sozialistische oder kommunistische Ausrichtung. Beispielhaft sei etwa auf die Ermordung von Patrice Émery Lumumba, den ersten Premier des unabhängigen Kongos, unter anderem durch direkte Unterstützung von belgischen und US-amerikanischen Geheimdiensten, verwiesen oder auch auf die durchgeführten Destabilisierungsmaßnahmen nach der Unabhängigwerdung von Portugal im Jahr 1975 in Angola und Mosambik.

Während das Apartheidregime mit Unterstützung der USA und Westeuropas alles daran setzte, den ANC zu zerstören sowie Mandela und den ANC als „terroristisch“ zu denunzieren, ermöglichten unter anderem die Sowjetunion, Kuba und die DDR die Ausbildung von ANC-Kadern (u.a. als Ärzte, Lehrer und Ingenieure) und initiierten direkt ab 1962 eine großangelegte Kampagne zu seiner Freilassung. 

Viele ANC-Publikationen, darunter auch die bekannte ANC-Zeitschrift Sechaba, wurden von 1967 bis 1990 von der DDR finanziert und ebenso dort gedruckt. Natürlich erfolgte diese Hilfe im Rahmen des damaligen Systemwettstreits und hatte neben der proklamierten Solidarität mit dem Unabhängigkeitskampf der damaligen „Dritten Welt“ auch geo- und machtpolitische Motive. Das ändert aber nichts daran, dass die eine Seite, die sich heute gerne als Vorreiter für Demokratie und Menschenrechte geriert, die kolonialen Unterdrücker sowie Bewahrer eines Apartheidregimes unterstützte, während die andere Seite, die heute als „Unrechtsregime“ bezeichnet wird, die Gruppen unterstützte, die gegen diese koloniale und rassistische Unterwerfung aufbegehrten und für gleichberechtigte politische Teilhabe kämpften. Zumindest außenpolitisch betrachtet, müsste man die genannten Attribute wohl eher umgekehrt verteilen.

Die sich von den USA und der EU sehr unterscheidende Haltung ausnahmslos aller afrikanischen Staaten, auch Südafrikas, in Bezug auf Russland und den aktuellen Konflikt in der Ukraine hat einen nicht zu unterschätzenden Hintergrund in dieser erwähnten Vergangenheit und Positionierung. 

Die zentrale Rolle von Kuba im Kampf gegen Apartheid und für die Freilassung von Mandela

Nelson Mandela hat bis zu seinem Lebensende nie vergessen, welche Länder den anti-kolonialen und Anti-Apartheids-Kampf in Afrika unterstützten und welche nicht. Einen besonderen und heute zumindest im Westen weitgehend vergessenen Beitrag zu dieser Befreiung von Kolonialismus und Apartheid leistete Kuba. Mandela, nach seiner Freilassung am 11. Februar 1990 auf den kubanischen Militäreinsatz gegen die südafrikanische Armee (SADF) in Angola angesprochen, antwortete:

Ich war im Gefängnis, als ich von der massiven Unterstützung erfuhr, die die kubanischen internationalistischen Truppen dem Volk von Angola leisteten. Wir in Afrika sind daran gewöhnt, Opfer von Nationen zu sein, die sich unserer Länder bemächtigen oder unsere Souveränität untergraben wollen. In der ganzen Geschichte Afrikas ist dies das erste Mal, dass ein ausländisches Volk aufgestanden ist, um eines unserer Länder zu verteidigen. Das kubanische Volk nimmt daher einen besonderen Platz in den Herzen der Völker Afrikas ein. Die Niederlage der Apartheid-Armee war eine Inspiration für das kämpfende Volk Südafrikas.“

Es ist daher auch kein Zufall, dass einer von Mandelas ersten Auslandsbesuchen nach seiner Freilassung Fidel Castro und Kuba galt. Bei seiner Rede anlässlich des kubanischen Nationalfeiertags am 26. Juli (Beginn der Kubanischen Revolution mit Sturm auf die Moncada-Kaserne) erklärte er unter anderem, dass dem kubanischen Engagement und deren militärischem Sieg gegen die Truppen des südafrikanischen Apartheidsregimes die Legalisierung des ANCs sowie seine Freilassung zu verdanken sei: 

Kubas Anwesenheit dort und die für die Schlacht von Cuito Cuanavale (Entscheidungsschlacht zwischen südafrikanischen Truppen und kubanisch-angolanischen zwischen Oktober 1987 und März 1988) entsandten Verstärkungen haben eine historische Bedeutung. Die entscheidende Niederlage der rassistischen Armee in Cuito Cuanavale war ein Sieg für ganz Afrika. Dieser Sieg in Cuito Cuanavale hat es Angola ermöglicht, Frieden zu schließen und seine eigene Souveränität zu erlangen. Die Niederlage der rassistischen Armee ermöglichte es dem namibischen Volk, seine Unabhängigkeit zu erlangen. Die entscheidende Niederlage der aggressiven Apartheidkräfte zerstörte den Mythos der Unbesiegbarkeit des weißen Unterdrückers. Die Niederlage der Apartheidarmee diente als Inspiration für das kämpfende Volk Südafrikas. Ohne die Niederlage von Cuito Cuanavale wären unsere Organisationen nicht legalisiert worden. Die Niederlage der rassistischen Armee in Cuito Cuanavale hat es mir ermöglicht, heute hier bei Ihnen zu sein. Lang lebe die Kubanische Revolution, lang lebe der Genosse Fidel Castro!“

Die Dankbarkeit Südafrikas manifestierte sich auch während den Trauerfeierlichkeiten zum Staatsbegräbnis von Nelson Mandela im Dezember 2013. Viele westliche Medienvertreter zeigten ihr Unverständnis, als Raúl Castro, als einem von sechs der anwesenden 91 Staatsoberhäupter, die Ehre erteilt wurde, bei der Zeremonie zu sprechen. Die Worte des Präsidenten des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC), Jacob Zuma, mit denen er Raúl Castro begrüßte, fanden keinen Eingang in die westliche Berichterstattung:

Jetzt werden wir Ihnen den Staatschef vorstellen, der von einer kleinen Insel kommt, den Vertreter einer kleinen Insel, eines Volkes, das uns befreite, das für uns kämpfte, das Volk von Kuba.“

Den meisten anwesenden afrikanischen Staatschefs und den Millionen Afrikanern, die das Staatsbegräbnis am Fernseher verfolgten, war im Gegensatz zu westlichen Medienvertretern und Politikern bewusst, wieso ausgerechnet jener Karibikinsel diese zentrale Rolle beim Staatsbegräbnis von Nelson Mandela eingeräumt wurde.

Historische Rückschau auf Kubas Rolle in Angola und im Kampf gegen die südafrikanische Apartheids-Armee

Durch die Nelkenrevolution im April 1974 in Portugal kam es zum Zusammenbruch des portugiesischen Kolonialreiches, aus denen vier unabhängige Staaten hervorgingen, deren politische Führungen eng mit Kuba verbunden waren. Während in Mosambik, Kap Verde und Guinea-Bissau der Prozess der Unabhängigwerdung relativ unproblematisch verlief, kam es in Angola zu einem Bürgerkrieg zwischen den drei Hauptguerillagruppen FNLA, UNITA und MPLA.

FNLA und UNITA, unterstützt von den USA und Südafrika (im späteren Verlauf auch China), kämpften gegen die als prosowjetisch geltende MPLA, die allerdings auf Grund von ideologischen Differenzen vorübergehend keine sowjetische Militärhilfe erhielt. Sowohl MPLA als auch die UNITA hatten jeweils eigene Regierungen ernannt. Im Juni 1975 rief Agosthino Neto, Präsident der MPLA-Regierung, Kuba das erste Mal um Hilfe. Daraufhin schickte Kuba, welches seit Mitte der 1960er-Jahre enge Kontakte zur MPLA pflegte, 230 Militärberater. Doch die FNLA- und UNITA-Truppen, verstärkt durch Soldaten Südafrikas, drangen immer weiter in das Gebiet der MPLA ein und ab August 1975 zeichnete sich die Niederlage der MPLA ab.

Operation Carlotta“ – Über 30.000 kubanische Soldaten landen in Angola

Die Kubaner reagierten, indem sie im September 1975 die Operation Carlotta (benannt nach der Anführerin des Sklavenaufstandes von 1843, dem größten in der kubanischen Geschichte) initiierten. Tausende von kubanischen Kampftruppen wurden nachweislich ohne Rücksprache und Unterstützung der UdSSR nach Angola verschifft. Allerdings nahm die UdSSR ab Juni ihre Waffenlieferungen an die MPLA wieder auf. Die südafrikanische Armee (SDAF) startete im Oktober 1975 eine Offensive mit mehr als 10.000 Mann und gepanzerten Fahrzeugen, unterstützt von UNITA und FNLA, gegen die MPLA.

Kuba verstärkte daraufhin, diesmal unterstützt durch von den Sowjets bereitgestellte Il-62-Langstreckenflieger, die Truppenverlegung. Bis Mitte November waren so mehr als 20.000 kubanische Soldaten nach Angola verlegt worden. Diesen Truppen gelang es, die gemeinsame Offensive von SDAF und UNITA im Süden Angolas sowie die Offensive der FNLA und der neu in den Krieg getretenen zairischen Truppen, die kurz vor der Hauptstadt Luanda standen, zu stoppen. Durch die fortgesetzte Luftbrücke wurde das kubanische Truppenkontingent bis Mitte Dezember auf 36.000 erhöht, was in der Folge zur Zerschlagung der FNLA und dem Rückzug der UNITA-Rebellen, den südafrikanischen und zairischen Truppen im Januar 1976 führte.

Quelle: Granma (gemeinfrei)

Kuba zwingt Südafrika zum Rückzug

Kuba hatte somit fast im Alleingang die südafrikanische Armee zum Rückzug gezwungen, die von Südafrika und den USA unterstützten Guerillagruppen zurückgedrängt oder ganz zerschlagen und zum anderen die MPLA, die vorher kurz vor der Niederlage stand, zur dominierenden Kraft in Angola gemacht. Zudem hatte sie die damalige Supermacht UdSSR durch ihr Engagement in eine Lage gebracht, in der die Sowjets gezwungen waren, gegen ihren anfänglichen Willen aktiv in den Angola-Krieg einzugreifen, um so einen Gesichtsverlust gegenüber der „Dritten Welt“ zu vermeiden.

Der außenpolitische Gewinn, den Kuba aus seinem Militäreinsatz zog, war beträchtlich. Das militärische Engagement in Angola „transformierte Kuba von einer Regionalmacht mit größeren Ambitionen zu einem vollwertigen Player auf der internationalen Bühne“. So die Einschätzung von Prof. Dr. H. Michael Erisman, einem der bekanntesten US-amerikanischen Politologen mit Lateinamerika-Schwerpunkt und Verfasser des Standardwerkes „Kuba in den internationalen Beziehungen“.

Darüber hinaus konnte Kuba der UdSSR seinen Wert als sozialistisches Führungsland der Dritten Welt beweisen und somit seinen autonomen Handlungsspielraum ausweiten sowie gleichzeitig zusätzliche ökonomische Unterstützung einfordern. Diese erhielt es auch. 1976 erhöhte sich das Handelsvolumen Kubas mit der Sowjetunion um das 250-Fache.

Zudem erhöhte Kuba seine Reputation und Einfluss als erfolgreicher Vorkämpfer der Entwicklungsländer gegen Rassismus und US-Imperialismus sowie seiner Alliierten, in diesem Fall exemplarisch dargestellt durch den erzwungenen Rückzug Südafrikas. Auch die Wahl Kubas zum Vorsitz der Blockfreien Staaten im Jahr 1979 basierte vor allem auf dem militärischen Engagement Kubas in Angola.

Im Gegensatz zu der Stationierung von kubanischen Truppen in Algerien und Syrien, die nach Beendigung der Kampfhandlungen zum großen Teil wieder abgezogen wurden, sollte die Truppenstationierung in Angola 16 Jahre anhalten. Dies war nicht von vornherein so geplant worden, aber angesichts der immer wieder erfolgten Übergriffe von Seiten der UNITA sowie der SADF im Süden Angolas entschlossen sich die Kubaner, zur Konsolidierung der Regierung Neto längerfristig im Land zu bleiben. Dazu unterzeichneten die Kubaner 1977 einen Militärvertrag mit Angola, der ihnen uneingeschränkt alle Rechte, die zur Verteidigung notwendig sein sollten, einräumte. Angola wurde von den Kubanern zudem zum Haupttrainingzentrum für südafrikanische Befreiungsbewegungen wie der namibischen SWAPO und des ANC ausgebaut, die so unter dem Schutz und Anleitung von kubanischen Truppen trainieren konnten.

Das „Stalingrad Südafrikas“ und das Ende des Apartheid-Regimes

Im Oktober 1987 begannen SADF-Truppen in Zusammenarbeit mit der UNITA eine erneute Großoffensive mit dem Ziel, doch noch die Macht in Angola zu erringen. Diese Offensive wurde in Cuito Cuanavale von einem fast reinen angolanischen MPLA-Heer zum Stehen gebracht. Nach zehn Jahren militärischem Training unter kubanischer Anleitung waren angolanische Truppen in die Lage versetzt worden, eigenständig, auch ohne direkte kubanische Truppenunterstützung, gegen die einst als unbesiegbar geltende SADF-Armee zu bestehen. Damit hatten die Kubaner einen bedeutenden Wandel im militärischen Gleichgewicht der südafrikanischen Region erreicht. 

Dies führte schlussendlich zu einer strategisch sehr nachteiligen Situation für Südafrika, da auf dem Boden selbst rein angolanische MPLA-Einheiten ihnen Paroli bieten konnten, und in der Luft kubanische und angolanische MIG-23-Piloten gegen die südafrikanischen Mirage-III-Kampfflugzeuge die Lufthoheit erobert hatten. Aufbauend auf dieser strategischen Ausgangslage griffen die kubanischen Bodentruppen nun selbst in den Kampf ein. Aufgestockt auf inzwischen 40.000 Mann begannen die Kubaner im Frühjahr 1988 eine Gegenoffensive mit 400 Panzerfahrzeugen und 200 MIG-23, die sich auch auf Namibia ausweitete und in der Schlacht von Calenque ihren Höhepunkt fand. 

Quelle: Granma

Diese gilt als die größte konventionelle Schlacht in Afrika nach dem Zweiten Weltkrieg. Im sogenannten „Stalingrad Südafrikas“ erlitt die südafrikanische Armee die größten Verluste ihrer Geschichte und zog sich daraufhin hinter die namibische Grenze zurück.

Jene zwei Schlachten von Cuito Cuanavale und Calenque gelten als definitiver Wendepunkt im südlichen Afrika und als Anfang vom Ende des Apartheid-Regimes. Die politischen, militärischen sowie ökonomischen Kosten wurden für alle Beteiligten, insbesondere aber für Südafrika, zu hoch, sodass Pretoria sich im Mai 1988 gezwungen sah, Angola und Kuba Friedensverhandlungen anzubieten. 

Aus diesen Friedensverhandlungen, so Harvard-Professor Jorge Dominguez in seinem wissenschaftlichen Standardwerk zu Kubas Außenpolitik (To Make a World Safe for Revolution. Cuba’s Foreign Policy), „gingen die Kubaner als international anerkannte Vorkämpfer für die Anliegen der Dritten Welt hervor“. Abschließend betont er: 

Erst durch den Einsatz der kubanischen Truppen wurde diese Veränderung der Machtverhältnisse in Afrika erreicht.“

Mac Maharaj, einer der Hauptvertreter des ANC für den Verhandlungsprozess zur Beendigung der Apartheid und Minister unter Präsident Nelson Mandela, erklärte in einem Gastbeitrag für die New York Times anlässlich des Todes von Fidel Castro am 25. November 2016: 

Der Einsatz Castros von Tausenden kubanischen Elitetruppen im Kampf für die Freiheit in Angola trug letztlich dazu bei, dass das Apartheidregime und die Befreiungskräfte unter Führung des ANC den Übergang Südafrikas von der weißen Minderheitsregierung zur Demokratie aushandelten. Die Welt wird immer wissen, dass es einmal einen Mann namens Fidel Castro gab. Die Afrikaner werden ihn nie vergessen. Seine unerschütterlichen antikolonialen und Anti-Apartheid-Überzeugungen garantieren ihm einen besonderen Platz in den Herzen der Südafrikaner.“

Titelbild: Shutterstock / Derick P. Hudson


Mehr zum Thema:

Exklusiv-Interview mit Fernando González Llort: „Äußerst kritische Wirtschaftslage“

Forschungsdienst des Kongresses: USA haben seit 1991 weltweit 251 militärische Interventionen durchgeführt – seit 1798 waren es 469

Heute vor 60 Jahren wurde der ANC-Führer Nelson Mandela mit Hilfe der CIA festgenommen

Welche Rolle spielte die Bundesregierung bei der Ermordung von Hunderttausenden Kommunisten in Indonesien ab 1965?

Trump-Vize J.D. Vance nennt Deutschland „Klientelstaat der USA“ – Teilt Bundesregierung diese Einschätzung?

Rubriken:

Außen- und Sicherheitspolitik Audio-Podcast einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte Erosion der Demokratie Militäreinsätze/Kriege

Schlagwörter:


Info: https://www.nachdenkseiten.de/?p=119675


unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält

16.08.2024

Übererweitern und ausgleichend RusslandDie Auswirkungen der Kosten-Verhänderungsoptionen besessen

James Dobbins, Raphael S. Cohen, Nathan Chandler, Bryan Frederick, Edward Geist, Paul DeLuca, Forrest E. Morgan, Howard J. Shatz, Brent Williams


rand.org, Zusammenfassung veröffentlicht am 24. Apr. 2019  (übersetzt mit beta, unkorrigiert)


PDF herunterladen


Foto von mnn/Adobe Stock


Anmerkung der Redaktion, April 2022: Wir empfehlen Ihnen, diesen Forschungsbrief und den vollständigen Bericht zu untersuchen, auf dem er basiert. Da russische staatliche Medien und Personen, die mit Putins Entscheidung sympathisieren, in die Ukraine einzudringen, diese Forschung in den letzten Wochen falsch charakterisiert haben, ermutigen wir Sie jedoch auch, diese hilfreiche Ressource auf Russlands „Feuerschlauch der Falschheit“-Ansatzung für Propaganda und unsere Forschung zum „Truth Decay“ zu untersuchen, was ein Phänomen ist, das durch die Verbreitung von Informationen getrieben wird.

Dieser Brief fasst einen Bericht zusammen, der umfassend gewaltfreie, kostensanken Optionen untersucht, die die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten in wirtschaftlichen, politischen und militärischen Bereichen verfolgen könnten, um - die Ausweitung und Unwüdlichkeit des Ungleichgewichts zu betonen - Russlands Wirtschaft und die Streitkräfte und die politische Stellung des Regimes im In- und Ausland. Einige der untersuchten Optionen sind deutlich vielversprechender als andere, aber jeder müsste in Bezug auf die gesamte US-Strategie für den Umgang mit Russland bewertet werden, was weder der Bericht noch dieser Schriftversuch versucht haben.

Die Maxime, dass „Russland nie so stark oder so schwach ist, wie es scheint“ im heutigen Jahrhundert ebenso wahr wie im 19. und 20.

Teilen auf Twitter

Das heutige Russland leidet unter vielen Schwachstellen - Öl- und Gaspreise weit unter dem Höchststand, die einen Rückgang des Lebensstandards verursacht haben, Wirtschaftssanktionen, die diesen Rückgang weiter verschärft haben, einer alternden und bald zu ergehenden Bevölkerung und dem zunehmenden Autoritarismus unter Wladimir Putins jetzt fortgesetzter Herrschaft. Solche Schwachstellen sind mit tiefsitzenden (wenn auch übertriebenen) anxietiesÄngsten über die Möglichkeit eines vom Westen inspirierten Regimewechsels, dem Verlust des Status von großer Macht und sogar militärischer Angriffe verbunden.

Trotz dieser Schwachstellen und Ängste bleibt Russland ein mächtiges Land, das es immer noch schafft, ein US-Peer-Konkurrent in einigen wichtigen Bereichen zu sein. In der Erkenntnis, dass ein gewisses Maß an Wettbewerb mit Russland unvermeidlich ist, führten RAND-Forscher eine qualitative Bewertung von „Kosten-Einlegen-Optionen“ durch, die das Gleichgewicht bringen und Russland überfordern könnten. Solche kostenverhängenden Optionen könnten Russland neue Belastungen aufbürden, idealerweise schwerere Belastungen, als den Vereinigten Staaten auferlegt würden, um diese Optionen zu verfolgen.

Die Arbeit baut auf dem Konzept des langfristigen strategischen Wettbewerbs auf, der während des Kalten Krieges entwickelt wurde, von denen einige bei RAND entstanden sind. Ein bahnbrechender RAND-Bericht von 1972 postulierte, dass die Vereinigten Staaten ihr strategisches Denken davon abhalten müssten, der Sowjetunion in allen Dimensionen voraus zu sein und zu versuchen, die Konkurrenz zu kontrollieren und sie in Bereiche des US-Vorteils zu leiten. Wenn diese Verschiebung erfolgreich erfolgen könnte, so der Bericht, könnten die Vereinigten Staaten die Sowjetunion dazu veranlassen, ihre begrenzten Ressourcen in Gebiete zu verlagern, die weniger bedrohlich waren.

Der neue Bericht wendet dieses Konzept auf das heutige Russland an. Ein Team von RAND-Experten entwickelte wirtschaftliche, geopolitische, ideologische, informative und militärische Optionen und bewertete sie qualitativ in Bezug auf ihre Erfolgswahrscheinlichkeit bei der Ausweitung Russlands, ihrer Vorteile und ihrer Risiken und Kosten.


Abbildung 1.  Russische Ölexporte sinken
























Wirtschaftliche Kostenverwend


Die Ausweitung der US-Energieproduktion würde Russlands Wirtschaft betonen, möglicherweise seinen Staatshaushalt und damit seine Verteidigungsausgaben einschränken. Durch die Annahme einer Politik, die das Weltangebot ausweitet und die globalen Preise drückt, können die Vereinigten Staaten die russischen Einnahmen begrenzen. Dies bedeutet wenig Kosten oder Risiken, führt zu Kosten oder Risiken für die US-Wirtschaft nach zweitklassigen und braucht keine multilaterale Unterstützung.

Die Verhängung tieferer Handels- und Finanzsanktionen würde wahrscheinlich auch die russische Wirtschaft schwächen, insbesondere wenn solche Sanktionen umfassend und multilateral sind. Ihre Wirksamkeit wird also von der Bereitschaft anderer Länder abhängen, sich einem solchen Prozess anzuschließen. Aber Sanktionen sind mit Kosten und, abhängig von ihrer Schwere, beträchtlichen Risiken verbunden.

Die Erhöhung der Fähigkeit Europas, Gas von anderen Lieferanten als Russland zu importieren, könnte Russland wirtschaftlich erweitern und Europa gegen russischen Energiezwang puffern. Europa bewegt sich langsam in diese Richtung, indem es Vergasungsanlagen für Flüssigerdgas (LNG) baut. Aber um wirklich effektiv zu sein, würde diese Option die globalen LNG-Märkte flexibler gestalten müssen, als sie es bereits sind, und es wäre notwendig, dass LNG mit russischem Gas preisgünstiger wird.

Die Förderung der Auswanderung von qualifizierten Arbeitskräften und gut ausgebildeten Jugendlichen aus Russland hat wenig Kosten oder Risiken und könnte den Vereinigten Staaten und anderen Aufnahmeländern helfen und Russland schaden, aber alle Effekte - sowohl positiv für die Aufnahmeländer als auch negativ für Russland - wären schwer zu bemerken, außer über einen sehr langen Zeitraum. Diese Option hat auch eine geringe Wahrscheinlichkeit, Russland zu verlängern.


Geopolitische Kostenverwendung


Die Auszubildenden der Syrischen Demokratischen Kräfte, die eine gleiche Anzahl arabischer und kurdischer Freiwilliger repräsentieren, stehen bei ihrer Abschlussfeier in Nordsyrien am 9. August 2017 in Formation.

Foto von Sgt. Mitchell Ryan/DoD

Die Bereitstellung tödlicher Hilfe für die Ukraine würde Russlands größten Punkt der externen Verwundbarkeit ausnutzen. Aber jede Erhöhung der US-Militärwaffen und Ratschläge für die Ukraine müssten sorgfältig kalibriert werden, um die Kosten für Russland zu erhöhen, sein bestehendes Engagement aufrecht zu erhalten, ohne einen viel breiteren Konflikt zu provozieren, in dem Russland aufgrund der Nähe erhebliche Vorteile hätte.

Die zunehmende Unterstützung der syrischen Rebellen könnte andere politische Prioritäten der USA gefährden, wie die Bekämpfung des radikal-islamischen Terrorismus, und könnte die gesamte Region weiter destabilisieren. Darüber hinaus könnte diese Option angesichts der Radikalisierung, Fragmentierung und des Niedergangs der syrischen Opposition nicht einmal machbar sein.

Die Liberalisierung in Belarus würde wahrscheinlich keinen Erfolg haben und könnte eine starke russische Reaktion hervorrufen, eine, die zu einer allgemeinen Verschlechterung des Sicherheitsumfelds in Europa und einem Rückschlag für die US-Politik führen würde.

Eine Ausweitung der Beziehungen im Südkaukasus, die wirtschaftlich mit Russland konkurrieren, wäre aufgrund von Geographie und Geschichte schwierig.

Die Reduzierung des russischen Einflusses in Zentralasien wäre sehr schwierig und könnte sich als kostspielig erweisen. Es ist unwahrscheinlich, dass ein verstärktes Engagement Russland wirtschaftlich viel verlängern wird und wahrscheinlich überproportional teuer für die Vereinigten Staaten sein wird.

Transnistrien und die Ausweisung der russischen Truppen aus der Region wäre ein Schlag für das russische Prestige, aber es würde auch Moskau Geld sparen und möglicherweise den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten zusätzliche Kosten aufbürtieren.


Ideologische und Informationskosten


Moskauer protestieren am 15. März 2014 gegen den Krieg in der Ukraine und Russlands Unterstützung des Separatismus auf der Krim auf den Kreisboulevards in Moskau.

Foto von Dmitry Vereshchagin/Adobe Stock

Das Vertrauen in das russische Wahlsystem zu verringern, wäre aufgrund der staatlichen Kontrolle über die meisten Medienquellen schwierig. Dies könnte die Unzufriedenheit mit dem Regime erhöhen, aber es gibt ernsthafte Risiken, dass der Kreml die Repression verstärken oder aus dem Ausschreitungskonflikt führen und einen Ablenkungskonflikt im Ausland verfolgen könnte, der westlichen Interessen zuwiderlaufen könnte.

Die Wahrnehmung, dass das Regime nicht das öffentliche Interesse verfolgt, könnte sich auf weit verbreitete, groß angelegte Korruption konzentrieren und die Legitimität des Staates weiter in Frage stellen. Aber es ist schwer einzuschätzen, ob politische Volatilität und Proteste zu einem ausgedehnten Russland führen würden - weniger in der Lage oder geneigt, westliche Interessen im Ausland zu bedrohen - oder zu einem Russland, das eher dazu neigt, als Vergeltung zu schlagen oder abzulenken, was dies zu einer risikoreichen Option macht.

Die Förderung von Inlandsprotesten und anderen gewaltfreien Widerstand würde sich darauf konzentrieren, das russische Regime abzulenken oder zu destabilisieren und die Wahrscheinlichkeit zu verringern, dass es aggressive Aktionen im Ausland verfolgen würde, aber die Risiken sind hoch und es wäre schwierig für westliche Regierungen, die Inzidenz oder Intensität der Anti-Regime-Aktivitäten in Russland direkt zu erhöhen.

Die Untergrabung des russischen Images im Ausland würde sich auf die abnehmende russische Stellung und den Einfluss konzentrieren und damit die Behauptungen des Regimes, Russland wieder in seinen früheren Glanz zurückzuführen, zu untergraben. Weitere Sanktionen, die Entfernung Russlands aus internationalen Foren ohne UN-Staaten und der Boykott solcher Ereignisse wie die WM könnten von westlichen Staaten umgesetzt werden und würde dem russischen Prestige schaden. Aber inwieweit diese Schritte der russischen Binnenstabilität schaden würden, ist ungewiss.

Während keine dieser Maßnahmen eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit hat, würden sie alle oder alle die tiefsten Ängste des russischen Regimes ausploppen und könnten als abschreckende Drohung eingesetzt werden, Russlands aktive Desinformations- und Subversionskampagnen im Ausland zu vermindern.


Luft- und Raumfahrtkosten


Marines, die den Thunderbolts der Marine Fighter Attack Squadron (VMFA) 251 zugewiesen wurden, entfernen eine Schulung AGM-88 HARM aus einer F/A-18C Hornet auf dem Flugdeck des Flugzeugträgers Nimitz - Klasse USS Theodore Roosevelt (CVN 71).

Foto von Anthony N. Hilkowski/DVIDS

Die Wiederpost von Bombern innerhalb der leicht schlagsamen Reichweite wichtiger russischer strategischer Ziele hat eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit und würde Moskaus Aufmerksamkeit auf sich nehmen und die russischen Ängste erhöhen. Die Kosten und Risiken dieser Option sind niedrig, solange die Bomber auf dem Höhepunkt der meisten ballistischen und bodengestützten Kreuzfahrtraketen Russlands basieren.

Die Wiederposting von Kämpfern, damit sie ihren Zielen näher sind als Bomber, als eine Möglichkeit, höhere Sortierraten zu erreichen, um ihre kleineren Nutzlasten zu kompensieren, würde Moskau wahrscheinlich noch mehr betreffen als die Wiederposter, aber die Erfolgswahrscheinlichkeit ist gering und die Risiken sind hoch. Da jedes Flugzeug während eines konventionellen Konflikts mehrere Einsätze fliegen müsste, wären die russischen Führer wahrscheinlich zuversichtlich, dass sie viele Kämpfer am Boden zerstören und ihre Einsatzflugplätze mit wenigen oder gar keinen Zugängen ihres Raketenbestands schließen könnten.

Der Einsatz zusätzlicher taktischer Atomwaffen an Standorte in Europa und Asien könnte Russlands Angst genug verstärken, um die Investitionen in seine Luftabwehr deutlich zu erhöhen. In Verbindung mit der Bomber-Option hat sie eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit, aber der Einsatz solcher Waffen könnte dazu führen, dass Moskau auf eine Weise reagiert, die den US-amerikanischen und verbündeten Interessen widerspricht.

Die Neupositionierung der US-amerikanischen und verbündeten ballistischen Raketenabwehrsysteme, um russische ballistische Raketen besser zu betreiben, würde Moskau auch alarmieren, wäre aber wahrscheinlich die am wenigsten effektive Option, da Russland die aktuellen Systeme und alle geplanten Upgrades mit einem kleinen Prozentsatz seines bestehenden Raketeninventars leicht sättigen könnte, so dass viele Raketen immer noch verfügbar sind, um die USA zu halten.

Es gibt auch Möglichkeiten, Russland dazu zu bringen, sich im strategischen Wettbewerb auszudehnen. In Bezug auf die Vorteile würden solche Entwicklungen Moskaus gezeigte Angst vor US-Luftkraftfähigkeiten und Doktrinen ausnutzen. Die Entwicklung neuer Low-Beobachtbarer Langstrecken-Bomber oder einfach deutlich mehr Arten hinzuzufügen, die bereits verfügbar oder programmiert sind (B-2 und B-21), wäre besorgniserregend für Moskau, ebenso wie die Entwicklung autonomer oder ferngesteuerter Kampfflugzeuge und die Produktion in hoher Zahl. Alle Optionen würden Moskau wahrscheinlich dazu anregen, immer größere Ressourcen dafür bereitzustellen, seine Befehls- und Kontrollsysteme schwieriger, mobiler und redundanter zu machen.

Ein Hauptrisiko dieser Optionen besteht darin, in Wettrüsten hineingezogen zu werden, die zu kostensenerscheinenden Strategien gegen die Vereinigten Staaten führen. Zum Beispiel würde die Investition in ballistische Raketenabwehrsysteme und weltraumgestützte Waffen Moskau alarmieren, aber Russland könnte sich gegen solche Entwicklungen verteidigen, indem es Maßnahmen ergreift, die wahrscheinlich wesentlich billiger wären als die Kosten dieser Systeme für die Vereinigten Staaten.

Was die Erfolgsunwahrscheinlichkeit betrifft, sind einige Optionen gute Kosten-anzwing-Strategien, aber einige - wie mehr in HARMs oder andere elektronische Kriegsführungstechnologien zu investieren - sind eindeutig besser als andere, und einige Ansätze sollten vermieden werden, wie zum Beispiel solche, die sich auf weltraumgestützte Waffen oder ballistische Raketenabwehrsysteme konzentrieren.

Die Vereinigten Staaten könnten Russland in ein kostspieliges Wettrüsten bringen, indem sie aus dem nuklearen Rüstungskontrollregime ausbrechen, aber die Vorteile werden die US-Kosten wahrscheinlich nicht überwiegen. Die finanziellen Kosten eines nuklearen Wettrüstens wären für die Vereinigten Staaten wahrscheinlich so hoch wie für Russland, vielleicht höher. Aber die ernsteren Kosten wären politisch und strategisch.


Maritime Kostenverwendungsmaßnahmen


Ein US-Segler an Bord des Lenkwaffenzerstörers USS Mustin (DDG 89) feuert einen Torpedo auf ein simuliertes Ziel während des Valiant Shield 2014 im Pazifischen Ozean am 18. September 2014 ab.

Foto von Petty Officer 3. Klasse Declan Barnes/DVIDS

Die zunehmende Haltung der US-amerikanischen und verbündeten Seestreitkräfte und Präsenz in Russlands Betriebsgebieten könnten Russland dazu zwingen, seine Marineinvestitionen zu erhöhen, was Investitionen aus potenziell gefährlicheren Gebieten ablenken würde. Aber die Höhe der Investitionen, die erforderlich sind, um eine echte Blue-Wasser-Marine-Fähigkeit wiederherzustellen, macht es unwahrscheinlich, dass Russland dazu gezwungen oder gelockt werden könnte.

Die zunehmenden Forschung und Entwicklung der Marine würden sich auf die Entwicklung neuer Waffen konzentrieren, die es US-U-Booten ermöglichen, eine breitere Reihe von Zielen zu bedrohen oder ihre Fähigkeit zu verbessern, russische Atomraketen-U-Boote (SSBNs) zu bedrohen, die Russland die Kosten für die U-Boot-Kriegsführung aufzwingen könnten. Es gibt nur begrenzte Risiken, aber der Erfolg hängt davon ab, diese Fähigkeiten entwickeln zu können und ob sie die russischen Ausgaben ausreichend beeinflussen können.

Die Verlagerung der nuklearen Haltung gegenüber SSBNs würde dazu führen, dass der Prozentsatz der US-amerikanischen Atomdrotte, die SSBNs zugewiesen wird, erhöht, indem die Größe dieser Flotte erhöht wird. Während es Russland zwingen könnte, in Fähigkeiten zu investieren, die in einer Blue-water-Umgebung in zwei Ozeanen operieren können und die Risiken für die strategische Haltung der USA reduzieren würden, ist es unwahrscheinlich, dass die Option Russland dazu verleiten wird, seine Strategie zu ändern und sich so zu erweitern.

Die Überprüfung des Schwarzmeeraufbaus würde den Einsatz verstärkter Anti-Zugangs- und Flächenverweigerung über dem Schwarzen Meer beinhalten, um die Kosten für die Verteidigung russischer Basen auf der Krim in die Höhe zu treiben und den Nutzen für die Beschlagnahme durch Russland zu verringern. Russland würde sicherlich eine energische diplomatische und informative Kampagne starten, um die NATO-Küsten und Nicht-NATO-Staaten von der Teilnahme abzubringen. Auch der Betrieb im Schwarzen Meer ist für die USA politisch und logistisch schwieriger. Die Marine als die russische Marine; sie ist auch gefährlicher für erstere in einem Konflikt.



Land und Multidomain Kosten-Versende


Die Übung Artemis Strike war eine von Deutschland geführte taktische Live-Feuerübung mit Live-Patrioten und Stinger-Raketen bei der NATO Missile Firing Installation in Chania, Griechenland, vom 31. Oktober bis 9. November 2017. Mehr als 200 US-Soldaten und etwa 650 deutsche Flieger nahmen an der realistischen Ausbildung innerhalb eines kombinierten Konstrukts teil, übten die mit der Kraftprojektion verbundenen Härten aus und bildeten die Betreiber ihrer Luftabwehrsysteme auf.


Foto von Anthony Sweeney/DVIDS


Die Erhöhung der US-Streitkräfte in Europa, die Erhöhung der Bodenkapazitäten der europäischen NATO-Mitglieder und der Einsatz einer großen Anzahl von NATO-Streitkräften an der russischen Grenze hätten wahrscheinlich nur begrenzte Auswirkungen auf die Verlängerung Russlands. Alle Optionen würden die Abschreckung erhöhen, aber die Risiken variieren. Eine allgemeine Zunahme der NATO-Bodenstreitkräfte in Europa - einschließlich der Schließung der europäischen NATO-Mitgliedsbereitschaftslücken und der Erhöhung der Anzahl der US-Streitkräfte, die an traditionellen Standorten in Westeuropa stationiert sind, hätte begrenzte Risiken. Aber große Einsätze an Russlands Grenzen würden das Konfliktrisiko mit Russland erhöhen, insbesondere wenn sie als herausfordernde russische Position in der Ostukraine, Weißrussland oder im Kaukasus wahrgenommen würden.

Die Erhöhung der Größe und Häufigkeit der NATO-Übungen in Europa kann dazu beitragen, die Bereitschaft und Abschreckung zu erhöhen, aber es ist unwahrscheinlich, dass es eine kostspielige russische Antwort auslösen wird, es sei denn, die Übungen senden auch riskante Signale. Große NATO-Übungen, die in der Nähe der russischen Grenzen abgehalten wurden, und Übungen, die Gegenangriffe oder offensive Szenarien praktizieren, könnten als Ausdruck der Absicht und Bereitschaft wahrgenommen werden, offensive Operationen in Betracht zu ziehen. Zum Beispiel könnte eine NATO-Übung, die einen Gegenangriff simuliert, um das NATO-Territorium, das den vorrückenden russischen Streitkräften verloren geht, wie eine Übung aussehen, um sich auf eine Invasion eines russischen Territoriums wie Kaliningrad vorzubereiten.

Die Entwicklung, aber nicht der Einsatz einer Mittelstreckenrakete könnte Russland wieder in Übereinstimmung mit dem Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme bringen, könnte aber auch zu einer Beschleunigung der russischen Raketenprogramme führen. Sich aus diesem Vertrag zurückzuziehen und die Raketen zu bauen, aber sie nicht in Europa einzusetzen, würde den US-Fähigkeiten wenig hinzufügen und würde Russland wahrscheinlich dazu veranlassen, solche Raketen selbst zu stationieren - und vielleicht mehr in ballistische Raketenabwehr zu investieren. Der weitere Schritt der Entsendung der Raketen nach Europa zu unternehmen, in der Annahme, dass die NATO-Verbündeten bereit seien, würde auch mit ziemlicher Sicherheit eine russische Antwort auslösen, die möglicherweise erhebliche Ressourcen oder zumindest die Ablenkung erheblicher Ressourcen von anderen Verteidigungsausgaben einbezieht, obwohl es schwer zu beurteilen ist, welcher Anteil auf Verteidigungsfähigkeiten im Vergleich zu Offensive oder Vergeltung gelenkt würde.


Inkrementelle Investitionen in neue Technologien zur Bekämpfung der russischen Luftverteidigung und zur Erhöhung der US-Langstreckenbrände könnten die Verteidigung und Abschreckung erheblich verbessern, während die russischen Investitionen in Gegenmaßnahmen zwingend erhöht werden. Investitionen in revolutionärere Technologien der nächsten Generation könnten angesichts der russischen Bedenken über neue physikalische Prinzipien noch größere Auswirkungen haben, aber je nach Fähigkeit könnten solche Investitionen auch strategische Stabilität riskieren, indem sie das russische Regime und die Führung in einer Krise bedrohen.


Implikationen für die Armee


Die Aufgabe, „Russland zu erweitern“, muss nicht in erster Linie auf die Armee oder sogar auf die US-Streitkräfte als Ganzes fallen. Tatsächlich fallen die vielversprechendsten Wege, um Russland zu erweitern - diejenigen mit dem höchsten Nutzen, dem geringsten Risiko und der größten Erfolgswahrscheinlichkeit - wahrscheinlich außerhalb der militärischen Domäne. Russland strebt keine militärische Parität mit den Vereinigten Staaten an und könnte daher einfach wählen, nicht auf einige US-Militäraktionen zu reagieren (z. B. Verschiebungen in der Marinepräsenz); andere US-Militäraktionen (z. B. Posen, die Russland näher sind) könnten sich letztlich als kostspieliger für die Vereinigten Staaten erweisen als Russland. Dennoch haben unsere Ergebnisse mindestens drei große Auswirkungen auf die Armee.


  1. Die USA Die Armee sollte ihre sprachliche und analytische Expertise in Russland wieder aufbauen. Da Russland eine langfristige Bedrohung darstellt, muss die Armee das Humankapital entwickeln, um sich an diesem strategischen Wettbewerb zu beteiligen.

  2. Die Armee sollte erwägen, zu investieren und die anderen Dienste zu fördern, um mehr in Fähigkeiten zu investieren, wie Armee taktische Raketensysteme, indirekte Brandschutzfähigkeitsunternehmen 2, Langstrecken-Anti-Luft-Verteidigung und andere Systeme, die der Bekämpfung der russischen Anti-Zugriffs- und Flächenverweigerungsfunktionen entgegenwirken sollen. Die Armee könnte auch erwägen, einige F&E-Ressourcen für wenigerreife, futuristische Systeme auszugeben (z. B. schwärmende unbemannte Luftfahrzeuge oder Fernkampffahrzeuge). Während diese Maßnahmen an sich wahrscheinlich nicht ausreichen würden, um Russland stark auszudehnen, würden sie den US-Abschreckungsbemühungen zugute kommen und könnten eine breitere gesamtstaatliche Politik verstärken.

  3. Selbst wenn die Armee nicht direkt an der Ausweitung Russlands per se beteiligt wäre, würde sie eine Schlüsselrolle bei der Abmilderung des möglichen Rückschlags spielen. Alle Optionen, um Russland zu verlängern, entstehen ein gewisses Risiko. Infolgedessen müssen die Verbesserung der US-Abschreckungshaltung in Europa und die Erhöhung der militärischen Fähigkeiten der USA (z. B. ein verbessertes Javelin- oder aktive Schutzsystem für Armeefahrzeuge) Hand in Hand gehen, um Russland zu verlängern, um sich gegen die Wahrscheinlichkeit abzuwehren, dass Spannungen mit Russland eskalieren.


Schlussfolgerungen

Die vielversprechendsten Optionen, um „Russland zu verlängern“, sind diejenigen, die seine Schwachstellen, Ängste und Stärken direkt angehen und Schwachstellen, die Schwachstellen, die Schwäche ausnutzen, während sie Russlands aktuelle Vorteile untergraben. In dieser Hinsicht ist Russlands größte Verwundbarkeit in jedem Wettbewerb mit den Vereinigten Staaten seine Wirtschaft, die vergleichsweise klein und stark von Energieexporten abhängig ist. Die größte Sorge der russischen Führung rührt von der Stabilität und Dauerhaftigkeit des Regimes her, und Russlands größte Stärke liegen im militärischen und Infokriegsbereich. Die folgende Tabelle zeichnt aus den früheren Tabellen, um die vielversprechendsten Optionen zu identifizieren.

Die meisten der diskutierten Optionen, einschließlich der hier aufgeführten, sind in gewissem Sinne eskalierend, und die meisten würden wahrscheinlich zu einer russischen Gegenkation führen. Daher besteht neben den spezifischen Risiken, die mit jeder Option verbunden sind, ein zusätzliches Risiko, das einem allgemein verstärkten Wettbewerb mit einem nuklear bewaffneten Gegner in die Fall ist. Das bedeutet, dass jede Option bewusst geplant und sorgfältig kalibriert werden muss, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Obwohl Russland die Kosten für diesen verstärkten Wettbewerb weniger leicht tragen wird, als die Vereinigten Staaten es tun werden, müssen beide Seiten nationale Ressourcen von anderen Zwecken ablenken. Die Ausweitung Russlands um seiner selbst willen ist in den meisten Fällen keine ausreichende Grundlage, um die hier diskutierten Optionen zu prüfen. Vielmehr müssen die Optionen im breiteren Kontext der nationalen Politik betrachtet werden, die auf Verteidigung, Abschreckung und dem Einklang zwischen den Interessen der USA und Russlands beruht.






































Cover: Overextending and Unbalancing Russia

Verfügbar für Download

PDF herunterladen










Info: https://www.rand.org/pubs/research_briefs/RB10014.html


unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält

16.08.2024

Neues vom Wirtschaftskrieg (250): Ukraine kurz vorm Ramsch

lostineu.eu, vom 15. August 2024

Russland umgeht Bargeld-Sanktionen. Russischer Oligarch will Luxemburg ruinieren. Und die Ratingagentur Fitch stuft die Kreditwürdigkeit der Ukraine auf “RD” herab.

  • Die Ratingagentur Fitch stuft die Kreditwürdigkeit der Ukraine auf “RD” von zuvor “C” herab. Die US-Bonitätswächter begründen den Schritt mit dem Ablauf einer Zahlungsfrist für die Zinsen auf eine Anleihe über 750 Millionen Dollar mit einer Laufzeit bis 2026. Die Zahlung wäre am 1. August fällig gewesen. “RD” steht im Fitch-Bewertungssystem für “Restricted Default”, auf Deutsch etwa “eingeschränkter Ausfall”. (Reuters) – Trotz der Herabstufung auf (kurz vor) Ramsch tut die EU immer noch so, als erfülle die Ukraine alle Voraussetzungen zum Beitritt – wozu auch eine funktionierende Marktwirtschaft zählt…
  • Russischer Oligarch will Luxemburg ruinieren. Der russisch-israelische Geschäftsmann Michail Fridman hat seine Drohung wahr gemacht und fordert vor Gericht mindestens 16 Milliarden US-Dollar von Luxemburg. (…) Luxemburg hatte beschlossen, das Vermögen von Fridman einzufrieren, nachdem er und ein Geschäftspartner von ihm auf die EU-Sanktionsliste gesetzt worden war. Die erhobenen Vorwürfe waren aber nicht hinreichend belegt, urteilte im April der Gerichtshof der EU, und die Sanktionen seien daher ungerechtfertigt. (Luxemburger Wort)
  • Russland umgeht Bargeld-Sanktionen: Eine Auswertung von Reuters hat ergeben, dass Russland weiterhin Zugang zu Dollar- und Euro-Banknoten hat. Die Nachrichtenagentur beruft sich dabei auf bislang unveröffentlichte Zolldaten. Trotz der Sanktionen sind demnach seit März 2022 Dollar- und Euro-Banknoten im Wert von rund 2,3 Milliarden US-Dollar nach Russland gelangt. (…) Geholfen haben dabei Länder wie die Vereinigten Arabischen Emirate und die Türkei, die keine Handelsbeschränkungen mit Russland verhängt haben. (telepolis)

11 Comments

  1. Arthur Dent
    15. August 2024 @ 23:23

    Lehmann Brothers hatten AAA kurz vor Exitus.
    Die Sprengung der Pipelines war eigentlich egal, Deutschland wollte doch aus moralischen Gründen kein Gas mehr von Russland. Durch NS2 ist überhaupt noch kein Gas geflossen. Zudem schaltet die Bundesregierung auch voll funktionstüchtige Atomkraftwerke oder Kohlekraftwerke ab. Muss der Steuerzahler immer tief in die Tasche greifen. Also, welcher Schaden ist eigentlich entstanden? Und wenn man Wolodomyr Z. verhaften könnte, dann hätte man wieder was zum eintauschen gegen amerikanische Journalisten, die irgendwo einsitzen. Zu fügt sich zusammen, was zusammen gehört. Die Ampel ist wirklich schon das Optimum, dass den Bürger vor Schaden bewahrt und… Schluss, ich kann nicht mehr.
    ????

Reply

  • exKK
    15. August 2024 @ 18:41

    “Trotz der Herabstufung auf (kurz vor) Ramsch tut die EU immer noch so, als erfülle die Ukraine alle Voraussetzungen zum Beitritt – wozu auch eine funktionierende Marktwirtschaft zählt…”

    Das Legalitätsprinzip ist in der EU längst zum Ich-Wünsch-Mir-Was-Prinzip verkommen.
    Oder mit anderen Worten: Legal? Illegal? Scheissegal!

    Reply

    • Michael
      15. August 2024 @ 19:11

      Schlimmer noch: die politische Legitimität war schon immer Ramsch!

      Reply

  • Michael
    15. August 2024 @ 17:24

    Und inzwischen verkündet die Berliner Zeitung:” Internationales
    Wall Street Journal: Ukraine hinter Nord-Stream-Sprengung, Berlin war informiert”
    Ich wage zu behaupten dass damit, wenn zutreffend, Personalien in Berlin sich der Begünstigung und Mittäterschaft und des Hochverrats schuldig gemacht haben! Außerdem darf man wohl mindestens erwarten dass jegliche Hilfe für die Ukraine umgehend eingestellt wird und für die Reparatur der Pipeline Reparationen von der Ukraine verlangt werden!

    Reply

    • Skyjumper
      15. August 2024 @ 19:00

      Wie man der letzten Pressekonferenz des Bundespressesprechers Büchner entnehmen durfte beabsichtigt die Regierung NICHT irgendwelche Zusammenhänge zwischen den verdächtigten Ukrainern und der Hilfe für die Ukraine herzustellen.

      Läuft halt wie bei den ganzen Messerstechern: Alles nur verwirrte Einzeltäter. Man kann nur noch resigniert den Kopf schütteln.

      Reply

      • exKK
        15. August 2024 @ 23:27

        “Alles nur verwirrte Einzeltäter.”

        Bis auf unsere Regierungen und die allermeissten Politiker in EUropa… diese Kriegshetze gegen Russland wirkt alles unglaublich gut orchestriert.

      • Helmut Höft
        16. August 2024 @ 08:45

        … unglaublich gut orchestriert. und hier ist die Partitur: https://www.rand.org/pubs/research_briefs/RB10014.html

    • bruno neurath-wilson
      16. August 2024 @ 08:54

      Hochverrat??? Wirklich “Hochverrat”??? Zum § 81 StGB passt das aber nicht. Vorsicht mit den Worten ????

      Reply

  • Michael
    15. August 2024 @ 17:00

    Ich bleibe bei meinem Mantra: wann wird die Ampel, wann wird Habeck die Öffentlichkeit darüber aufklären was die Sanktionen gegen Russland die EU und insbesondere Deutschland kosten!? Das die russische Wirtschaft wächst und in den USA die Profite der Kriegsgewinnler sprudeln ist hinlänglich bekannt!

    Reply

    • exKK
      15. August 2024 @ 19:03

      “…wann wird Habeck die Öffentlichkeit darüber aufklären was die Sanktionen gegen Russland die EU und insbesondere Deutschland kosten!? ”

      Wenn er [Habeck] Kanzler ist – also nie!
      Seinen Hut hat er ja heute in den Ring geworfen.

      Reply

      • Annette Hauschild
        16. August 2024 @ 08:47

        Fragen Sie einfach den Wirtschaftsminister. Direkt per Email, oder über Frag den Staat“. Da wird Ihre Frage gleich öffentlich gestellt. Wenn das viele tun dann erzeugt das eher eine Wirkung, als wenn es nur hier im Forum Gast im kleinen Kreis geschieht.


  • Info: https://lostineu.eu/neues-vom-wirtschaftskrieg-250-ukraine-kurz-vorm-ramsch


    unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält

    16.08.2024

    State of Swing   Eine Sahm-Regel für die deutsche Schuldenbremse

    makronom.de, 15. August 2024,  von André KühnlenzDeutschlandThe State of Swing

    Die Arbeitslosenquote in den USA hat gerade eine kritische Schwelle gerissen. Für Deutschland gilt dies bereits seit 2022. Die Bundesregierung sollte dringend handeln. Ein State of Swing-Blogbeitrag von André Kühnlenz.

    Wer wissen will, wie die Konjunktur eines Landes läuft, muss nur auf den Arbeitsmarkt schauen. Diese Erkenntnis gilt zwar besonders für die USA, wo die Unternehmen in Abschwungphasen schneller als in Europa ihre Jobs streichen. Doch auch hierzulande sollte niemand die Daten vom Arbeitsmarkt als nachrangig abtun, wenn es darum geht, die Konjunktursignale zu erkennen.

    Entgegen einem Vorurteil lässt sich nicht nur aus sozialen Gründen beim Blick auf den Stellenzuwachs und die Zahl der Arbeitslosen sehr viel über den künftigen Konjunkturverlauf ablesen. Er liefert auch wertvolle Erkenntnisse darüber, ob ein Land an mangelnder Strukturpolitik leidet oder ob nicht doch das zyklische Auf und Ab eine Volkswirtschaft zurückhält. Eine Frage, die seit Monaten die deutsche Wirtschaft plagt.


    Die ersten Tage im August haben es jetzt wieder einmal gezeigt: Viele Marktteilnehmer warten förmlich auf Signale vom US-Arbeitsmarkt, damit sie wie eine Herde überfällige Kursübertreibungen (wie zuletzt wohl bei den Mega-Techs) korrigieren können. Wie stark der aktuelle Kursverfall ausfallen wird, hängt aber entscheidend davon ab, ob die US-Wirtschaft in eine Rezession fallen wird und ob Schocks einen solchen Abschwung verstärken, wenn sie ihn nicht wie die Finanzkrise oder die Pandemie auslösen.


    US-Jobreport von Juli löst Doom-Stimmung aus

    Nun mögen die Arbeitsmarktdaten in den USA vom Juli, die die neue Doom-Stimmung an Börsen ausgelöst haben, tatsächlich wetterbedingt (weniger Jobaufbau wegen eines Hurrikans) verzerrt gewesen sein. Einige Ökonomen beeilten sich auch, darauf hinzuweisen, dass von einer Wirtschaftskrise bislang jede Spur fehlt. Allerdings: Wenn die Unternehmen ihre Jobs erst einmal abbauen, würde sich die Frage auch niemand mehr stellen.

    Ein Blick auf den jüngsten Trend im Jobaufbau in den USA zeigt nämlich, dass die Sorgen der Marktteilnehmer nicht von der Hand zu weisen sind. Die US-Wirtschaft steht am Scheideweg: entweder Rezession, wenn auch vermutlich eher eine milde, oder eine sanfte Landung des Wachstums, die die Grundlage für einen längeren Aufschwung bildet.

    Aufschwungsphasen sind in jeder Marktwirtschaft dadurch geprägt, dass die Unternehmen verstärkt investieren. Denn nur wer investiert, kann seinen Marktanteil (und damit Gewinnanteil) halten oder ausbauen. Es reicht also nicht nur, die verschlissenen Maschinen und Geräte zu ersetzen, sondern das Management muss den Kapitalstock erweitern, was eben meist auch einen Stellenaufbau erfordert.


    Der Stellenaufbau hängt an den Investitionen

    Solange ein Aufschwung läuft, führt die Marktkonkurrenz dazu, dass die Neu- oder auch Nettoinvestitionen der Unternehmen stärker steigen als die Gesamtausgaben einer Volkswirtschaft. Historisch ist dies in den USA sehr gut belegt, wie die Nettoinvestitionsquote zeigt, also der Anteil der Neuinvestitionen an den Gesamtausgaben.


    Immer wenn diese Investitionsquote steigt, gibt es auch nennenswerten Jobaufbau. Dies stützt zugleich die Konsumnachfrage, die die Unternehmen mit ihren Investitionen schlussendlich bedienen wollen. Nun zeigt die Geschichte, dass eine steigende Investitionsquote in einem Aufschwung in der Regel mit Jobwachstum von mindestens 1,25% auf Jahressicht einhergeht (vgl. Grafik).

    Genau um solche Schwellenwerte drehen sich die aktuellen Konjunktursorgen der Marktteilnehmer. Anders, als US-Notenbankchef Jerome Powell auf der jüngsten Pressekonferenz in einem anderen Zusammenhang meinte, sind sie aber keine zufälligen statistischen Schwellenwerte, die sich ökonomisch nur schwer begründen lassen würden.


    Schwelle für das Jobwachstum bei 1,25%

    Es ergibt Sinn, dass das Jobwachstum erst ein bestimmtes Tempo erreichen muss, damit der Unternehmenssektor überhaupt verstärkt investiert. Und auch andersherum: Es entstehen nur ausreichend neue Jobs, wenn die Unternehmen verstärkt in neuen Kapitalstock aus Geräten, Maschinen, Fabriken, Patenten oder Fahrzeugen investieren.

    Man könnte es auch die Regel „State of Swing“ nennen: Ein geringerer Jobaufbau als grob 1,25% signalisiert in der Regel eine Rezession. Die Regel wurde in der gleichnamigen Blogkategorie – mittlerweile bei Never Mind the Markets untergekommen – schon öfter erwähnt. Zuletzt im September 2022, als wir darauf hingewiesen haben, dass der Jobaufbau in den USA nach der Pandemie so stark ist, dass eine Rezession noch lange nicht ansteht. Auch wenn die Entwicklung der Zinsen vordergründig etwas anderes suggerierte.

    Gemäß der Regel „State of Swing“ wachsen seit Juni die Risiken für eine US-Rezession. Damals hatten die Statistiker die Jobzahlen der Vormonate erheblich revidiert: Zuvor sah es noch danach aus, als ob der Jobaufbau oberhalb der Schwelle von 1,25% abprallen würde – was genau dem Soft-Landing-Szenario entsprochen hätte.


    Schwelle für die Arbeitslosenquote bei 0,5 Prozentpunkten

    Doch nach den Revisionen sieht es danach aus, als ob sich der Jobaufbau nicht beschleunige. Das gestiegene Rezessionsrisiko zeigt sich bereits im Momentum der Arbeitszeit. Damit ist die Wachstumsrate der jüngsten drei Monate gegenüber den drei Monaten zuvor und auf das Jahr hochgerechnet gemeint (vgl. Grafik).


    Eine analoge Schwelle ist seit Veröffentlichung der US-Jobzahlen für den Juli in aller Munde. Die Sahm-Regel, die nach der US-Ökonomin Claudia Sahm benannt ist. Die heutige Chefökonomin bei der Investmentgesellschaft New Century Advisors hatte früher bei der US-Notenbank gearbeitet. Ihre Formel ist genau das Spiegelbild zur Regel „State of Swing“: Lässt das Jobwachstum nach, steigt umgekehrt die Arbeitslosenquote.

    Konkret schlägt Sahm vor, dass die kritische Schwelle für die Veränderung der Arbeitslosenquote bei 0,5 Prozentpunkten liegt. Dazu vergleicht sie jeweils den jüngsten Dreimonatsdurchschnitt der Arbeitslosenquote mit ihrem Tief in den vorherigen zwölf Monaten (also ohne den jeweils aktuellen Monat). Genau diese Schwelle ist nun im Juli gerissen worden mit einem Wert von 0,53 Prozentpunkten.


    Eine Rückkopplungsschleife am Arbeitsmarkt droht

    Wie ein historischer Vergleich zeigt, geht die Sahm-Regel genau wie die Regel «State of Swing» mit den beschriebenen Schwankungen der Investitionen einher (vgl. Grafik). Dies unterstreicht, dass Notenbankchef Powell sie nicht unbedingt als unökonomisch abtun sollte, wie er es eben auf der jüngsten Pressekonferenz getan hat. Schließlich stagniert die Investitionsquote (ohne den privaten Wohnungsbau) schon seit geraumer Zeit.


    Deutlich ernster nimmt die Sahm-Regel Bill Dudley, der ehemalige Chef der Notenbank von New York. Er hatte mit dazu beigetragen, dass die Marktteilnehmer sich derzeit so sehr auf den Schwellenwert von 0,5 Prozentpunkten fokussieren. „Historisch gesehen erzeugen sich verschlechternde Arbeitsmärkte eine sich selbst verstärkende Rückkopplungsschleife“, schrieb er kürzlich in seiner Kolumne für den Finanzinformationsdienst Bloomberg.

    Damit meint er Folgendes: Wenn Arbeitsplätze schwieriger zu finden sind, kürzen die Haushalte ihre Ausgaben, die Wirtschaft schwächelt und die Unternehmen reduzieren ihre Investitionen, was zu Entlassungen und weiteren Ausgabenkürzungen führt. „Aus diesem Grund ist die Arbeitslosigkeit nach Überschreiten der Schwelle von 0,5 Prozentpunkten immer viel stärker gestiegen – der geringste Anstieg betrug fast zwei Prozentpunkte von der Talsohle bis zum Höhepunkt.“


    Die Sahm-Regel ist kein Krisenauslöser

    Doch diesmal könnte sich Dudley irren, denn wie die Investitionsquote der US-Unternehmen zeigt, ist sie seit der Pandemie noch nicht wieder so stark gestiegen, dass sie entsprechend in einer Rezession wieder heftig korrigiert werden müsste. Auch deswegen bestehen noch gute Chancen, dass es bald zu einer „weichen Landung“ ohne Wirtschaftskrise kommen könnte. Und selbst wenn, dürfte der Abschwung wohl eher milde ausfallen – solange allerdings unvorhergesehene Schocks ausbleiben.

    Claudia Sahm warnt auch davor, dass die Marktteilnehmer die Regel nicht mechanistisch als Auslöser einer Rezession interpretieren sollten. Die Idee sei eher gewesen, dass die Schwelle der Politik dabei helfen könnte, rasch Schritte zur Unterstützung der Wirtschaft zu beschließen. Da Investoren aber gerne mechanistische Regeln lieben, hat die aktuelle Marktreaktion wohl eher ihr Eigenleben.

    Bei einem erwarteten Anstieg der realen (also inflationsbereinigten) US-Staatsausgaben um mehr als 4% und einem staatlichen Haushaltsdefizit im Wahljahr von mehr als 7% des Bruttoinlandprodukts (BIP), dürfte jedenfalls ohnehin wenig Bedarf bestehen, dass die Regierung noch eingreifen sollte.


    Deutsche Arbeitslosigkeit steigt bereits kräftig

    Ganz im Gegensatz zu Deutschland: Denn die Sahm-Regel ergibt hier einen Schwellenwert sogar von nur 0,133 Prozentpunkten. Um so viel ist die deutsche Arbeitslosenquote zum Beispiel in der technischen Rezession von Ende 2012/Anfang 2013 gestiegen, als zwei Quartale mit BIP-Minus gezählt wurden.


    Alle größeren Wirtschaftseinbrüche wie die Finanzkrise oder die Pandemie gingen mit durchaus stärkeren Anstiegen der Arbeitslosenquote einher (vgl. Grafik). Für solche schweren Wirtschaftskrisen bietet die Schuldenbremse explizit die „außergewöhnliche Notsituation“ an, die nationale Schuldenregeln für den Bund vorübergehend außer Kraft setzt.

    Nun kann aktuell zwar nicht von einer regelrechten Wirtschaftskrise in Deutschland gesprochen werden. Die mehr als zweieinhalbjährige Stagnation hat aber bereits dazu geführt, dass die Arbeitslosenquote insgesamt um einen Prozentpunkt seit ihrem jüngsten Tief auf 6% gestiegen ist.


    Die Zeit ist reif für die Notfallklausel in der Schuldenbremse

    Der Anstieg erreicht damit bereits Dimensionen wie in der Finanzkrise und in der Pandemie, als großzügige Kurzarbeitsregelungen die Jobkrise abgefedert hatten. Der Schwellenwert von 0,133 Prozentpunkten wird bereits seit Sommer 2022 gerissen, kurz darauf schrumpfte auch das Jobwachstum unter die 1,25%, die auch hier gemäß der Regel „State of Swing“ gelten.


    Es bietet sich also an, dass sich der Bundestag für die Notfallklausel in der Schuldenbremse an der Schwelle von 0,133 Prozentpunkten ausrichtet. Diese könnte man auch die «Keine-Wunder»-Regel nennen, gemäß den Accounts des Autors dieser Zeilen auf den sozialen Medien. Denn eins ist klar, die Arbeitskräftenachfrage schrumpft eben bereits seit Sommer 2022 und keine Wende ist in Sicht (vgl. Grafik oben). Die neuesten Umfragen unter Einkaufsmanagern zeigen sogar, dass im Juli der Jobabbau bereits begonnen hat (vgl. Grafik unten).

    Es spricht viel dafür, dass die von Dudley beschriebene Rückkopplungsspirale am Arbeitsmarkt – ausgelöst durch Krieg und Energiekrise – Deutschland längst voll erfasst hat. Auch wenn das Arbeitskräftehorten noch viel überdeckt. Und dies hat dann eher wenig mit mangelnder Strukturpolitik zu tun. Anders als in den USA erfordert dies eine drängende Reaktion der Politik, um eine lange Lähmung zu verhindern. Deutschland kann noch von Glück reden, dass die US-Rezession wohl eher milde verlaufen wird, wenn sie denn kommt.

     

    Zum Autor:

    André Kühnlenz ist Redakteur bei der Finanz und Wirtschaft. Auf Twitter: @keineWunder

    Hinweise:

    Die State-of-Swing-Taktiktafel der Konjunkturanalyse finden Sie hier.

    Dieser Beitrag ist ebenfalls im The State of Swing-Blog der Finanz und Wirtschaft erschienen. In Kooperation mit der FuW veröffentlichen wir die Blog-Beiträge auch im Makronom.


    Info: https://makronom.de/eine-sahm-regel-fuer-die-deutsche-schuldenbremse-47110?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=eine-sahm-regel-fuer-die-deutsche-schuldenbremse


    unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält




    Weiteres:




    Konjunktur

    Die State of Swing-Taktiktafel


    makronom.de, vom 8. Februar 2018,  von André KühnlenzThe State of Swing, Chartbook

    Anhand von drei Impulsen lässt sich gut beobachten, in welchem Stadium sich der Konjunkturzyklus gerade befindet. In der State of Swing-Taktiktafel haben wir in Kooperation mit der „Finanz und Wirtschaft“ diese Impulse für 18 Länder bzw. Wirtschaftsräume übersichtlich zusammengestellt.


    Konjunkturzyklen treten seit fast 200 Jahren in allen marktwirtschaftlich organisierten Volkswirtschaften auf. Seit dieser Zeit versuchen Ökonomen zu ergründen, was hinter den Schwankungen der privaten Wirtschaftsleistung steckt – und ob und wie sich Konjunkturkrisen und die damit verbundenen Jobverluste abfedern lassen. Erklärungsversuche reichen von Marktversagen bis hin zu massenpsychologischen Phänomenen, die die Menschen mal mehr ausgeben lassen, mal eher weniger.

    Ideologische Motive waren und sind selten von diesen Erklärungsversuchen zu trennen. Sollte der Staat eingreifen, um die marktwirtschaftliche Ordnung zu stützen? Oder reichen die Selbstheilungskräfte des Marktes aus, damit eine Volkswirtschaft von allein (oder höchstens durch minimale Eingriffe des Staates) wieder ins Gleichgewicht findet? Für einige durch Marx geprägte Zeitgenossen naht sogar immer wieder der Untergang des Kapitalismus, sobald eine Rezession ausbricht.

    Kein Konjunkturbeobachter wird sich vermutlich gänzlich von seiner ideologischen Einstellung lösen können, selbst dann nicht, wenn er oder sie sich hinter den kompliziertesten Mathemodellen versteckt. Im Blog The State of Swing der Schweizer Zeitung „Finanz und Wirtschaft“ und von „Makronom“ versuchen wir, etwas Licht in den Dschungel aus Interessen und Fakten zu bringen, die sich doch selten sauber voneinander trennen lassen.

    Die Grundidee von The State of Swing lehnt sich an die zahlreichen Fußball-Taktikblogs an: Es geht nicht darum, jede kleinste Einzelheit des Geschehens auf dem Platz zu beleuchten – es geht uns um den roten Faden. So wie die Taktikvorgaben des Trainers im Fußball ein Spiel entscheidend prägen, wollen wir die entscheidenden Bewegungen in den Volkswirtschaften nachzeichnen – also die Swings, die über Aufschwung oder Abschwung, über Aufstieg oder Abstieg einer Volkswirtschaft entscheiden.


    Kapitalimpuls, Profitimpuls, Kreditimpuls

    Dabei liegt das Augenmerk oftmals auf drei für die konjunkturelle Entwicklung wesentlichen Impulsen, die weiter unten genauer erklärt werden: dem Kapitalimpuls, dem Profitimpuls und dem Kreditimpuls. Mittlerweile sind die Statistiken der meisten Länder zumindest in Europa und Nordamerika so gut, dass wir diese drei Impulse sehr genau und nah am aktuellen Rand entlang nachvollziehen können. Die folgende Übersicht zeigt die Daten für 18 Länder bzw. Wirtschaftsräume – sie ist also eine Art Taktiktafel der Konjunkturanalyse:


    USALine chart with 3 lines.

    The chart has 1 X axis displaying Time. Data ranges from 2001-02-15 00:00:00 to 2019-08-15 00:00:00.

    The chart has 1 Y axis displaying values. Data ranges from -5.15 to 3.12.

    End of interactive chart.

    Euroraum (ohne Irland)Line chart with 3 lines.

    The chart has 1 X axis displaying Time. Data ranges from 2001-02-15 00:00:00 to 2019-08-15 00:00:00.

    The chart has 1 Y axis displaying values. Data ranges from -4.63 to 1.55.

    End of interactive chart.

    DeutschlandLine chart with 3 lines.

    The chart has 1 X axis displaying Time. Data ranges from 2001-02-15 00:00:00 to 2019-08-15 00:00:00.

    The chart has 1 Y axis displaying values. Data ranges from -6.95 to 2.56.

    End of interactive chart.

    GroßbritannienLine chart with 3 lines.

    The chart has 1 X axis displaying Time. Data ranges from 2001-02-15 00:00:00 to 2019-08-15 00:00:00.

    The chart has 1 Y axis displaying values. Data ranges from -3.43 to 3.56.

    End of interactive chart.

    FrankreichLine chart with 3 lines.

    The chart has 1 X axis displaying Time. Data ranges from 2001-02-15 00:00:00 to 2019-08-15 00:00:00.

    The chart has 1 Y axis displaying values. Data ranges from -3.49 to 2.8.

    End of interactive chart.

    ItalienLine chart with 3 lines.

    The chart has 1 X axis displaying Time. Data ranges from 2001-02-15 00:00:00 to 2019-08-15 00:00:00.

    The chart has 1 Y axis displaying values. Data ranges from -4.37 to 2.62.

    End of interactive chart.

    SpanienLine chart with 3 lines.

    The chart has 1 X axis displaying Time. Data ranges from 2001-02-15 00:00:00 to 2019-08-15 00:00:00.

    The chart has 1 Y axis displaying values. Data ranges from -9.6 to 5.09.

    End of interactive chart.

    NiederlandeLine chart with 3 lines.

    The chart has 1 X axis displaying Time. Data ranges from 2001-02-15 00:00:00 to 2019-08-15 00:00:00.

    The chart has 1 Y axis displaying values. Data ranges from -8.51 to 12.71.

    End of interactive chart.

    SchweizCombination chart with 3 data series.

    The chart has 1 X axis displaying Time. Data ranges from 2001-02-15 00:00:00 to 2019-08-15 00:00:00.

    The chart has 1 Y axis displaying values. Data ranges from -4.42 to 2.28.

    End of interactive chart.

    Eurozone ohne Deutschland/IrlandLine chart with 3 lines.

    The chart has 1 X axis displaying Time. Data ranges from 2001-02-15 00:00:00 to 2019-08-15 00:00:00.

    The chart has 1 Y axis displaying values. Data ranges from -5.07 to 2.06.

    End of interactive chart.

    SchwedenLine chart with 3 lines.

    The chart has 1 X axis displaying Time. Data ranges from 2001-02-15 00:00:00 to 2019-08-15 00:00:00.

    The chart has 1 Y axis displaying values. Data ranges from -7.66 to 6.96.

    End of interactive chart.

    PolenLine chart with 3 lines.

    The chart has 1 X axis displaying Time. Data ranges from 2001-02-15 00:00:00 to 2019-02-15 00:00:00.

    The chart has 1 Y axis displaying values. Data ranges from -12.38 to 9.42.

    End of interactive chart.

    BelgienLine chart with 3 lines.

    The chart has 1 X axis displaying Time. Data ranges from 2001-02-15 00:00:00 to 2019-08-15 00:00:00.

    The chart has 1 Y axis displaying values. Data ranges from -11.15 to 13.54.

    End of interactive chart.

    ÖsterreichLine chart with 3 lines.

    The chart has 1 X axis displaying Time. Data ranges from 2001-02-15 00:00:00 to 2019-08-15 00:00:00.

    The chart has 1 Y axis displaying values. Data ranges from -5.02 to 2.46.

    End of interactive chart.

    IrlandLine chart with 3 lines.

    The chart has 1 X axis displaying Time. Data ranges from 2001-02-15 00:00:00 to 2019-08-15 00:00:00.

    The chart has 1 Y axis displaying values. Data ranges from -46.53 to 29.56.

    End of interactive chart.

    FinnlandLine chart with 3 lines.

    The chart has 1 X axis displaying Time. Data ranges from 2001-02-15 00:00:00 to 2019-08-15 00:00:00.

    The chart has 1 Y axis displaying values. Data ranges from -9.04 to 6.65.

    End of interactive chart.

    Tschechische RepublikLine chart with 3 lines.

    The chart has 1 X axis displaying Time. Data ranges from 2001-02-15 00:00:00 to 2019-08-15 00:00:00.

    The chart has 1 Y axis displaying values. Data ranges from -11.19 to 7.64.

    End of interactive chart.

    GriechenlandLine chart with 3 lines.

    The chart has 1 X axis displaying Time. Data ranges from 2001-02-15 00:00:00 to 2018-11-15 00:00:00.

    The chart has 1 Y axis displaying values. Data ranges from -11.42 to 8.58.

    End of interactive chart.

    Anmerkung: Hier finden Sie genauere Angaben zur Datenbasis und Berechnungsweise. Grau: Rezessionen. Quellen: Makronom / Finanz und Wirtschaft / @keineWunder

     

    Was genau aber sagen uns diese drei Impulse? Gehen wir sie der Reihe nach durch.


    Kapitalimpuls

    Wir wissen, dass die Ausgaben eines Landes für Kapitalgüter (Maschinen, Anlagen, Geräte, Patente, Wirtschaftsgebäude etc.) oft die entscheidende Rolle dafür spielen, ob eine Volkswirtschaft floriert oder nicht. Deswegen wollen wir diese Investitionsausgaben als Kapitalimpuls darstellen.

    So beginnt ein Aufschwung meistens damit, dass die Unternehmen ihre Ausgaben für Neuinvestitionen schneller ausweiten und dabei auch ihren bestehenden Kapitalstock durch neue Geräte usw. modernisieren. Investieren die Unternehmen in neuen Kapitalstock, bauen sie dabei auch regelmäßig neue Jobs auf, was wiederum garantiert, dass die private Konsumnachfrage zulegt. Schließlich bedeuten mehr Arbeitsplätze auch mehr Konsumenten, die dann all die Güter und Dienstleistungen kaufen, die von den Unternehmen produziert werden.

    Damit kommen wir zur ersten wichtigen Frage, die wir immer wieder stellen können: Weiten die Unternehmen ihre Investitionen im Aufschwung so kräftig aus, dass diese schneller wachsen als ihr gesamtes Einkommen? Dies lässt sich ganz einfach beobachten, indem wir uns das Verhältnis der Neuinvestitionen zum Nettoeinkommen (Nettowertschöpfung) anschauen. Steigt diese Investitionsquote, wollen wir dieses Phänomen einen positiven Kapitalimpuls nennen.

    Lenken wir den Blick auf die gesamte Volkswirtschaft, werden wir oft feststellen, dass der Rest der Einkommensgrössen im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt sinkt, wenn die Investitionsquote steigt: Das sind dann vor allem die Konsumausgaben oder die Staatsausgaben. Da dies eine mathematisch-logische Entwicklung ist (alle Quotenänderungen ergeben immer null), reicht es für den schnellen Überblick also, sich auf die Investitionsquote der Unternehmen zu konzentrieren und zu schauen, ob sie einen positiven Kapitalimpuls signalisiert.

    Beobachten wir aber über den Verlauf eines Aufschwungs einen steigenden Anteil der Investitionen und einen sinkenden Anteil der Konsumausgaben, dürfen sich alle diejenigen Konjunkturforscher und Ökonomen bestätigt fühlen, die im relativen Zurückbleiben des Konsums die eigentliche Ursache für jede Rezession ausmachen.


    Profitimpuls

    Auf der anderen Seite sind es auch die Investitionen in den Kapitalstock, die die Produktivität der Unternehmen verbessern. So können die Unternehmen am effektivsten ihren Gewinn steigern, während sie fortlaufend neue Beschäftigte einstellen und die Löhne erhöhen. Deswegen sind die operativen Gewinne der zweite wichtige Impuls, den wir hier beobachten wollen. Schliesslich sind die Gewinnmargen das wichtigste Signal, das darüber entscheidet, ob sich weitere Investitionen lohnen.

    Wir wollen hier aber die operativen Gewinne nicht ins Verhältnis zum Umsatz setzen, sondern wie schon vorher beim Kapitalimpuls zum Einkommen der Unternehmen (also Gewinn- und Lohnsumme). Nicht überraschen sollte es uns also, wenn die operativen Gewinne im Aufschwung schneller wachsen als die Lohnsumme und damit natürlich auch das gesamte Einkommen. Ablesen können wir das an der Quote der Profite gemessen am Nettoeinkommen (Nettowertschöpfung), die im Aufschwung steigt und damit einen positiven Impuls liefert.

    Zu beachten ist allerdings, dass die operativen Gewinne immer nur die Gewinnsumme messen können, die sich aus der Produktion an einem Standort ergibt – wenn die Unternehmen also ihre Produktion auf den inländischen oder den ausländischen Märkten verkaufen. Was hier nicht mit eingeht, sind Finanzergebnisse, die aus Anlagen in Aktien oder Anleihen oder aus ausländischen Direktinvestitionen resultieren. Der Profitimpuls gibt damit zwar den entscheidenden Trend einer Volkswirtschaft wieder, jedoch sollten wir im Hinterkopf behalten, dass gerade Großkonzerne eine reale Gewinnflaute in einer Volkswirtschaft auch durch gute Entwicklungen am Finanzmarkt oder an Auslandsstandorten ausgleichen können.


    Kreditimpuls

    Eng verflochten mit dem Kapital- und dem Profitimpuls ist der Kreditimpuls. Denn wenn schon die Investitionen und die Profite schneller wachsen als das Einkommen, muss es einen Mechanismus geben, der den Kapitalaufbau über die laufenden Einkommen hinaushebt. Und das kann durch einbehaltene Gewinne geschehen, die Ersparnis eines Landes oder aus dem Neukreditgeschäft, bei dem die Banken neues Geld schaffen. Deswegen beobachten wir das Verhältnis der Nettokreditflüsse der Unternehmen zu ihrer Nettowertschöpfung. Steigt es, haben wir wieder einen positiven Kreditimpuls.


    Ein roter Faden für die Konjunkturentwicklung

    Der Kapitalimpuls, der Profitimpuls und der Kreditimpuls können uns also dabei helfen, den roten Faden der Konjunkturentwicklung zu erfassen. Eine Rezession zum Beispiel ist sehr oft dadurch charakterisiert, dass der Kapitalimpuls negativ wird. Das heißt nichts anderes, als dass die Neuinvestitionen schrumpfen, oder wenn sie noch wachsen, dann auf jeden Fall langsamer als das Einkommen. Alle drei Impulse müssen aber nicht unbedingt immer im Gleichlauf zusammenhängen. Mal dreht der eine früher ins Positive, mal läutet der andere den Abschwung oder den Aufschwung ein.

    Und natürlich können die drei Impulse eine detailliertere Analyse der zahlreichen volkswirtschaftlichen Größen oder der Bewegungen auf den Finanzmärkten nicht ersetzen. Gleichwohl kristallisieren sich all diese Entwicklungen wie in einem Brennglas in den drei Impulsen. Daher sind sie auch die Grundlage unserer Taktiktafel der Konjunkturanalyse. Sie liefern allerdings umso klarere Signale, je grösser die Wirtschaftsräume sind, die wir hier beobachten.

    Vor einem sollte man sich aber noch hüten: So gilt zwar der Zusammenhang, dass fast jede Rezession mit einem negativen Kapitalimpuls einhergeht. Doch es gibt hier keine Automatismen. Denn manchmal erfasst eine Investitionsflaute nur einen kleinen Teil einer Volkswirtschaft, der sich aber umso heftiger in den Makrozahlen spiegelt – wie zuletzt ab 2015 in den USA, als es vor allem die Schieferöl- und -gasbranche traf.

    Bleibt der Rest der Wirtschaft aber stabil und baut weiter Jobs auf, laufen die Geschäfte an den Auslandstandorten immer noch gut, muss eine sinkende Investitionsquote oder Gewinnquote nicht unbedingt in eine Rezession führen. Doch dies scheinen tatsächlich nur Ausnahmen zu sein. Wird der Kapitalimpuls negativ, oder sieht es so aus, als könnte er bald drehen, kann er uns in der Regel als Warnsignal für eine nahende Wirtschaftskrise dienen. Gleichwohl müssen wir uns auch immer die konkrete Entwicklung anschauen, wie sie sich in den üblichen Wachstumsraten im Detail abzeichnet.

     

    Screenshot_2024_08_16_at_09_27_50_Kapitalimpuls_Profitimpuls_Kreditimpuls_Die_State_of_Swing_Taktiktafel

    Zum Autor:

    André Kühnlenz ist Redakteur bei der Finanz und Wirtschaft. Außerdem bloggt er auf weitwinkelsubjektiv.com. Auf Twitter: @keineWunder

    Hinweis:

    Dieser Beitrag ist ebenfalls im The State of Swing-Blog der Finanz und Wirtschaft erschienen. In Kooperation mit der FuW veröffentlichen wir die Blog-Beiträge auch im Makronom.


    Info: https://makronom.de/die-state-of-swing-taktiktafel-2-25092


    unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält

    16.08.2024

    Nachrichten von Pressenza: Die USA bereiten sich auf einen aussichtslosen Krieg gegen China vor

    aus e-mail von  <newsletter@pressenza.com>, 16. August 2024, 7:30 Uhr


    Nachrichten von Pressenza - 16.08.2024


    Die USA bereiten sich auf einen aussichtslosen Krieg gegen China vor


    Im Krieg gibt es keine Gewinner – und in einem Krieg zwischen den USA und China würde die ganze Welt verlieren. Von Megan Russell Dabei geht es nicht nur um den massenhaften Verlust von Menschenleben, sondern auch um die Auswirkungen&hellip;

    https://www.pressenza.net/?l=de&track=2024/08/die-usa-bereiten-sich-auf-einen-aussichtslosen-krieg-gegen-china-vor/


     -----------------------


    Pressenza - ist eine internationale Presseagentur, die sich auf Nachrichten zu den Themen Frieden und Gewaltfreiheit spezialisiert hat, mit Vertretungen in Athen, Barcelona, Berlin, Bordeaux, Brüssel, Budapest, Buenos Aires, Florenz, Lima, London, Madrid, Mailand, Manila, Mar del Plata, Montreal, München, New York, Paris, Porto, Quito, Rom, Santiago, Sao Paulo, Turin, Valencia und Wien.


    unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält

    16.08.2024

    Springers Einwürfe: Ein neuartiges nukleares Risiko

    Derzeit entwickelte Kernreaktoren brauchen mittelstark angereichertes Uran. Damit verschwimmt die Grenze zwischen kommerziellem Nuklearbrennstoff und Bombenmaterial.


    © matejmo / Getty Images / iStock (Ausschnitt)

    Das steigende Interesse an alternativen Konzepten für Atomkraftwerke entfacht eine neue Debatte um die Risiken des radioaktiven Brennmaterials.


    Ist die Energiewende sauber durchgerechnet? Kann die Forschung wirklich die Zukunft voraussagen? Und widerspricht die Quantenphysik sich selbst? In seinen Kommentaren geht der Physiker und Schriftsteller Michael Springer diesen und anderen Fragen am Rande des aktuellen Wissenschaftsgeschehens nach. Seit 2005 erscheint seine Kolumne »Springers Einwürfe«.

    In der schönen neuen Welt der Kernenergie sollen viele kompakte Kraftwerke ihre Umgebung mit Strom versorgen, ohne die Atmosphäre mit schädlichem Treibhausgas zu belasten. Die Rede ist von alternativen Reaktorkonzepten (»advanced reactors«), die, so das deutsche Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung, gegenüber herkömmlichen Atomkraftwerken eine ganze Reihe von Vorteilen versprechen: Nicht nur billiger, sicherer und abfallärmer sollten sie arbeiten, sie wären obendrein »weniger geeignet zur Erzeugung von Spaltstoffen für Atomwaffen«.


    Abgesehen davon, dass derzeit noch keines dieser Kraftwerke tatsächlich Strom ins Netz speist, weckt vor allem der letzte Punkt starke Zweifel. Die neuen Reaktoren operieren mit höher angereichertem Uran als ein herkömmlicher Atommeiler – und geraten damit an und über die Grenze zu waffenfähigem Kernmaterial.

    Davor warnen fünf ausgewiesene Experten für nukleare Sicherheit, zu denen die altgedienten US-Regierungsberater Richard Garwin und Frank von Hippel gehören. Sie sehen bei fortgeschrittenen Reaktoren die Gefahr einer unkontrollierten Weitergabe (Proliferation) des brisanten Brennmaterials.


    Ein heutiges Kernkraftwerk läuft mit Uran, in dem der natürliche Anteil des spaltbaren Isotops U-235 von 0,7 Prozent auf 3 bis 5 Prozent angereichert wurde; man spricht von low-enriched uranium (LEU). Doch für die meisten neuartigen Reaktoren reicht LEU nicht: Da sie kleiner konzipiert sind und somit mit weniger Brennstoff auskommen sollen, muss der U-235-Anteil höher konzentriert werden – bis auf 19,75 Prozent. Damit nähert sich dieses so genannte high-assay low-enriched uranium (HALEU) haarfein der Schwelle von 20 Prozent U-235, ab der per Definition hoch angereichertes, waffenfähiges Uran (highly enriched uranium, HEU) vorliegt.

    Die 20-Prozent-Grenze wurde 1979 von der US Nuclear Regulatory Commission festgelegt. Seither ist die Nukleartechnik nicht stehen geblieben. Mit modernen Ansätzen lassen sich auch aus schwächer angereicherten Kernbrennstoffen Bomben basteln. Eine HALEU-Waffe könnte schon ab zwölf Prozent Anreicherung funktionieren, wenn man einige hundert Kilogramm Kernbrennstoff zu einer Kugel von einem halben Meter Durchmesser formt und mit einem Neutronenreflektor ummantelt. Per Flugzeug, Lastwagen oder Motorboot ließe sich das klobige Gerät ins Ziel bringen, und es würde eine mit der Hiroshima-Bombe vergleichbare Verheerung anrichten.

    Das gruselige Szenario löst hoffentlich einen heilsamen Schock aus

    Das gruselige Szenario der Experten löst hoffentlich einen heilsamen Schock aus – sofern es nicht schon zu spät ist. Die US-Regierung macht gerade mehrere Milliarden Dollar locker, um von privater Hand bald mehr als 100 Tonnen HALEU jährlich produzieren zu lassen. Die Atommächte Großbritannien und Frankreich wollen nachziehen, während Russland und China ohnedies schon längst auf großen Mengen mittelstark angereicherten Urans sitzen.


    All das ereignet sich in einer von Krisen geschüttelten Welt, in der mehr oder weniger offen über den »begrenzten« Einsatz nuklearer Kampfmittel spekuliert wird. Gleichzeitig versagen sukzessive alle im Kalten Krieg etablierten Abkommen zur Rüstungskontrolle. Der Konfliktforscher Matthew Bunn von der Harvard University meint, noch nie seit der Kubakrise von 1962 sei das Risiko eines Nuklearkriegs so groß gewesen wie heute. Er kann nur hoffen, dass die verfeindeten Regierungen fachkundigen Rat einholen, um vertrauensbildende Maßnahmen anzubahnen – wie das im Kalten Krieg geschah.

    Michael Springer

    Michael Springer

    Michael Springer ist Schriftsteller und Wissenschafts­publizist. Seit 2005 betreut er die Kolumne »Springers Einwürfe« in »Spektrum der Wissenschaft«.






    Info:


    unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält

    15.08.2024

    Deutsche Industrie fit für Kriegsproduktion machen

    Screenshot_2024_08_16_at_08_39_52_Deutsche_Industrie_fit_f_r_Kriegsproduktion_machen_Gr_ne_Alternative

    gruenealternative.de, Simon Lissner, 15.8.2024
    Das Strategiepapier der Bundesregierung zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie vom Juni 2023, lässt an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Endlich ist der Vorwand da – grünes Licht für ungehemmte Aufrüstung und wahrlich – eine Lizenz zum Gelddrucken für die Rüstungsindustrie.


    Sucht man Kritik an den wahnwitzigen Aufrüstungsplänen, sucht man weitgehend vergeblich. Die “Kritik” der deutschen Medien beschränkt sich darauf, den Regierungsentwurf zur Errichtung einer dezidierten Kriegsindustrie vom Standpunkt des Militarismus zu kritisieren. Danach ist von allem was die – meist – Herren des ballernden Gewerbes wünschen, und bekommen sollen, noch zu wenig (z.B. Kreiszeitung, Feb. 2024).

    Beachte. Es ist der Entwurf einer SPD-geführten Regierung, im Gefolge die GRÜNEN und natürlich, voll umfänglich zustimmend, auch die FDP.
    Weil trotz proppevoller Auftragsbücher die Kriegsproduktion nach Ansicht Habecks (Grüner Wirtschaftsminister) und Pistorius (SPD-Kriegsminister) nicht ausreichend in Schwung kommt, kommt nun der Vorschlag: “Die Bundesregierung um Robert Habeck und Boris Pistorius plant deshalb eine direkte Beteiligung an der Rüstungsindustrie.” (MSN Portal, 8.8.24, Autor: Mark Simon Wolf).

    Das allein wäre ja fast beruhigend, betrachtet man, wie unfähig zurzeit deutsche Staatsunternehmen nicht unbeträchtlicher Größe gemanagt werden. Aber: Der Plan ist viel zu gefährlich für irgendwelche Späße.

    Der Vorwand für eine Aufrüstungsspirale und den Unfug einer angeblichen “Zeitenwende” (Kanzler Scholz) die unsere Nachfahren noch weit ins 22 Jahrhundert belasten wird, ist der Ukraine-Krieg. Da dürfte der Ukraine Krieg, der für die Rechtfertigung einer Produktion so ziemlich jedes grausamen Mordwerkzeugs dient, so oder anders, beendet sein. Militaristen aller NATO-Länder werden nicht müde an die Dummheit der Menschheit zu appelieren: “Nach dem Krieg ist vor dem Krieg …”. Die Ausrufung einer “Zeitenwende” ist geradezu Kerosin für die massive Aufrüstung zu kommenden Kriegen. Das ist die Weichenstellung für die künftigen Formen der Konfliktlösung. Dabei schreckt diese Bundesregierung nicht davor zurück, zunächst die neuerliche Stationierung atomwaffenfähiger Sprengkörper der USA zu befürworten, wie im Rahmen der Europäischen “Verteidigung” den Bau eigener Atomwaffen zu diskutieren, (zum Beispiel: Deutschlandfunk v. 16.2024).
    Nachdem die SPD Politikerin Katarina Barley (SPD) neue europäische Atomwaffen ins Gespräch brachte, kommt aus den Koalitionsparteien lauwarme Kritik. Strack-Zimmermann meint eher, wie übrigens auch Hofreiter Toni von den GRÜNEN, da sei der zweite vor dem ersten Schritt getan. Erst müssen die Rüstungsanstrengungen Europas “koordiniert” werden, was immer das heißen mag, dann ja was eigentlich dann? Dann schau’n mer ma’. Frankreich und die Briten haben bereits Nuklearwaffen. Sicher können die da deutsche Unterstützung gebrauchen. Und Alt-Außenminister Fischer (noch oder ehem. Grüner?) schreckt nicht davor zurück, zum Atomwaffen-Lobbyisten zu mutieren: “Auf die Frage, ob zu der Abschreckung auch gehöre, dass Deutschland sich eigene Atomwaffen anschaffe, sagte er: »Das ist in der Tat die schwierigste Frage. Sollte die Bundesrepublik Atomwaffen besitzen? Nein. Europa? Ja. Die EU braucht eine eigene atomare Abschreckung.«”, (Der Spiegel v. 3.12.23). Natürlich ist auch für ihn “der Russe” schuld.
    Diese ganzen Überlegungen liegen zeitlich lange vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine (Februar 2022). Das ist einer der zahlreichen Hinweise, dass dieser Krieg der nun endlich vollumfänglich nutzbare Vorwand ist, kriegsbereitschaft in Europa zu generieren. In einem Beitrag der TAZ vom 5.12.2020 berichtet, der seinerzeitige GRÜNE Abgeordnete Tobias Lindner, Obmann im Verteidigungsausschuss, anlässlich GRÜNER Basisforderungen zum Abzug amerikanischer Atomwaffen (GA-Vorstandsmitglied K.W. Koch war daran vorneweg beteiligt) äußerte sich: “Als er Mitte November auf dem Podium des „Nato Talk“ sitzt, einer Konferenz der Bundesregierung mit Thinktanks und hochrangigen Militärs, lehnt er einen schnellen Abzug ab. Er wolle lieber dafür arbeiten, dass es „2030 oder 2035“ vielleicht ein „window of opportunity“ gebe, in dem man mit Russland über eine Reduzierung der Atomwaffen auf beiden Seiten reden könne. Der grüne Ex-Außenminister Joschka Fischer sagt an gleicher Stelle sogar: Auf die US-Atomwaffen dürfe Deutschland gar nicht verzichten.”. Die TAZ weiter: “Ein „window of opportunity“ im Jahr 2035, man würde jetzt gerne das Gesicht von Karl-Wilhelm Koch sehen.”. (Bestätigung für die Darstellung von U. Reitz, s.u.).

    Ehemalige Bekenntnisse im Rahmen Europas, sich als “Friedensmacht” zu positionieren, können vor dem Hintergrund dieses Entwurfes eines Strategiepapiers durchaus als alt-imperiale Drohung gelesen werden: “Unser bewährtes Koordinatensystem basiert auf europäischer Integration, transatlantischer Partnerschaft und einer aktiven Rolle bei der gemeinsamen Gestaltung einer globalen Friedensordnung in den Vereinten Nationen und anderen internationalen Organisationen.” (S. 2 Mitte). Nämlich: Frieden ist, wenn unsere Ordnung durchgesetzt ist und – bist du nicht willig, brauch ich Gewalt, dafür zeig ich schon mal die “Folterwerkzeuge”. Noch leicht verschämt aber unschwer zu entschlüsseln heisst es unter der Überschrift “Das sicherheits- und verteidigungspolitische Umfeld” als homage an die “alternativlose Lage” und damit notwendige “Realpolitik”: “Fortschritte in der Forschung und der Entwicklung neuer Technologien, wie z.B. in der Digitalisierung, im Bereich der Künstlichen Intelligenz, unbemannter Systeme, der Hyperschalltechnik, der Biotechnologien und der Cyberinstrumente, werden grundlegende Auswirkungen auf die sicherheits- und verteidigungs-relevanten Systeme der Zukunft haben. Damit sind auch Fragen nach dem möglichen Destabilisierungspotenzial und der Völkerrechtskonformität des Einsatzes neuer Technologien in Waffensystemen verbunden. Auch die zivile und militärische Nutzung des Weltraums wird vor dem Hintergrund der sicherheitspolitischen Veränderungen künftig an sicherheits- und verteidigungspolitischer Bedeutung weiter gewinnen.” (ebd. S. 1). Natürlich stellt “man” das nicht nur fest, natürlich will “man” das auch “haben”. Sonst wäre es ja kein Strategiepapier. Also: Offenbar schreckt diese Bundesregierung und ihre “Ratgeber” nicht vor der Entwicklung neuer biologischer Waffen zurück? Die sind jedenfalls dezidiert genannt, wie auch der Größenwahn, in “Weltraum gestützte Waffen” zu investieren. Soviel zum Thema Lippenbekenntnis: Biowaffen und ihre Herstellung sind international geächtet und verboten. Aber: Bekanntlich gilt da wohl, legal, illegal, scheißegal. Auch diese Sozialdemokratisch-Grün-Liberale Bundesregierung ist dem Atomwaffensperrvertrag nicht beigetreten und sie lügt sich und uns nun nachträglich einen Begründungszusammenhang zusammen. Ich bin mit dem “Russen” in “Berlin, der “gelben Gefahr” (Übernahme des Motorradmarktes durch die Japaner” aufgewachsen und musste auch nicht chinesisch lernen (die lernen fleissig Deutsch), deren Okkupation Europas/Deutschlands bereits im vergangenen Jahrhundert voraus gesagt wurde. Aber die Führer;innen der hochgerüstetsten Staaten des Planeten (USA, Deutschland, Frankreich, also die NATO-Staaten) erzählen uns unablässig und nun mit wachsender Begeisterung, dass “wir” wieder “Kriegsfähig werden (?!) müssen”. Dabei führen “wir” seit 1945 unablässig einen Krieg nach dem anderen, und haben nicht einen einzigen mit all den Waffenarsenalen verhindert, geschweige denn, die Welt der so “beglückten” und mit Kriegen überzogenen Menschen, sei besser geworden.


    Das Märchen von der “unimperialistischen Weltordnung”

    Sich selbst in die Tasche lügen bringt’s in der Regel nicht. Der ganze Auftritt der SPD und Grünen Führung begründet sich damit, dass Deutschland/Europa und der Verbund der NATO angeblich “die Guten” sind. Selbstgewiß wird ein unerschütterliches Selbstvertrauen zur Schau getragen, und mit den ja geradezu altruistisch anmutenden Zielen, letzten Endes jede dieser Ertüchtigungsschritte zu eine Kriegsindustrie gerechtfertigt. Man/frau mag zum Ukraine Krieg stehen, wie man/frau will. Aber um den geht es hinsichtlich der Dimension der angestrebten Ertüchtigung gar nicht. Vielmehr geht es ganz unaltruistisch darum: Wie werden die Re(i)chtümer des Planeten künftig verteilt werden? Am besten so, wie die modernen Imperien Europa, USA, China, Indien, Russland – Afrika mit einer ausgesprochen jungen Bevölkerung wird sich noch zu Wort melden – künftig die Ressourcen verteilen wollen: Und da setzt “man” zusehends auf Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Darauf soll sich Europa nun vorbereiten.

    Kriegsursache “das Böse” / “der Teufel Putin”?

    Zweifellos ist richtig, dass Putin Aggressor in der Ukraine und an der beschriebenen Entwicklung ursächlich beteiligt ist. Aber “er”, also die Führer Russlands, ist/sind weder die ersten, noch die einzigen die zur Durchsetzung dessen, was sie für Interessen ihres Staates halten, Waffen sprechen liessen und lassen. Zweifellos ist auch richtig, dass kein freiheitlicher Mensch, freiheitlich nicht etwa im Sinne der Freiheit zur hemmungslosen Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, sondern im Sinne von Solidarität, Frieden, Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und Glück für alle Menschen auf dem Planeten, unter “putinschen” Verhältnissen leben müssen sollte. Wie dem auch sei, trotz vielfältiger Bemühung einseitiger, um nicht zu sagen “alternativer Geschichtsschreibung”, hat die Sache eine weitere Seite. Der Focus-Korrespondent Ulrich Reitz erzählt am 6.8.24 eine etwas andere Geschichte unter der Überschrift “Baerbock und Scholz fühlen sich mächtig wichtig – die echten Deals machen andere“. Nun ist der Focus eher dem konservativ-bürgerlichen Journalismus verpflichtet. Neben der Bemerkung, dass der “altersschwache US-Präsident” es doch tatsächlich geschafft hat, “Scholz” im “persönlichen Gespräch” davon zu übezeugen, im Zuge eines Gefangenenaustauschs den russischen Agenten und “Tiergartenmörder” frei zulassen und damit den deutschen Rechtsstaat und seine Justiz zu düpieren, geht es in dem Artikel auch noch um das Thema des der beschleunigten Rüstungsspirale dienende Narrativ der “russischen Gefahr”. Da veröffentlicht also dieses konservativ-reaktionäre Blatt: “Was Baerbock – in einem Beitrag in der „Bild“-Zeitung – erzählte, ist allerdings nur die eine Version. Von Seiten der Russen und mit Blick auf die zeitlichen Zusammenhänge sieht es anders aus: “Nachdem die Amerikaner in Polen und Rumänien ein Nato-Raketenabwehrschild aufgebaut hatten, kündigte der damalige russische Präsident Medwedew – heute Putins Lautsprecher – die Stationierung der Iskander-Raketen in Kaliningrad an – das war 2008. Dann verhandelten Russen und Amerikaner – Motto: Verzichtet Washington auf den Abwehrschild in Polen und Rumänien, verzichtet Moskau auf die Iskander-Stationierung. Die Verhandlungen scheiterten, die Russen stationierten die Raketen in Kaliningrad. Das war 2013. Der außenpolitisch schwache demokratische Präsident Obama reagierte nicht. Danach kam Trump, und der kündigte schließlich für die USA 2019 den INF-Vertrag auf. ” (siehe dazu passend oben die Bestätigung dieser Darstellung durch den GRÜNEN Lindner, der “die Russen” im Sinne des “window of opportunity” bis 2035 “zappeln” lassen wollte, statt sich für ein Endes des nukelaren Droh-Irsinns einzusetzen).

    Die jung gebliebenen Älteren von uns fühlen sich da durchaus an die Kuba-Krise erinnert, die fast zu einem nuklearen Inferno geführt hätte. Die Jüngeren unter uns mögen da mal “googeln”. Unterschied zu damals: Kennedy und Chruschtschow einigten sich in allerletzter Sekunde. Die Dummheit, imperialer Größenwahn unserer “Helden” heute, so interpretiere ich den Fokus Beitrag, kosten nun hundertausenden Menschen in der Ukraine ihr Leben, Gesundheit Hab und Gut – und sorgt für eine Eskalationsspirale ohne Gleichen in der Menschheitsgeschichte, deren Ende unabsehbar ist und die Welt in den Abgrund eines Dritten Weltkrieges zu stürzen droht. Das ist bittere Realität und da hilft auch nicht die ignorante Verleugnung imperialer Interessen des Westens, wie sie vornehmlich Frau Baerbock und Herr Scholz wie eine Monstranz vor sich hertragen, um mit dem Schuldfinger auf “böse Russen” und “Chinesen” zu weisen.


    Info: https://gruenealternative.de/deutscheindustrie


    unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält

    15.08.2024

    Pepe Escobar: Wie ein BRICS-Trio Israel in die Enge treibt

    seniora.org, 15. August 2024, Von Pepe Escobar 15. August 2024  – übernommen von thecradle.co

    Während sich Israel auf der internationalen Bühne zunehmend isoliert, koordinieren die BRICS-Mitglieder Iran, Russland und China im Stillen ein umfassendes Programm zur diplomatischen und militärischen Unterstützung Palästinas.


    Trio.pngPhoto Credit: The Cradle)

    Die globale Mehrheit ist sich darüber im Klaren, dass die Völkermörder in Tel Aviv mit allen Mitteln versuchen, einen apokalyptischen Krieg zu provozieren   – natürlich mit voller militärischer Unterstützung der USA.


    Stellen Sie diese kämpferische Denkweise der 2.500 Jahre alten persischen Diplomatie gegenüber. Der amtierende iranische Außenminister Ali Bagheri Kani hat kürzlich erklärt, dass Teheran alles daran setzt, „den ‚Traum‘ des israelischen Regimes, einen totalen regionalen Krieg auszulösen“, zu verhindern.


    Aber man sollte den Feind nie stören, wenn er in völliger Panik ist. Sun Tzu hätte dieser Maxime zugestimmt. Der Iran wird sich sicherlich nicht einmischen, wenn die USA und die G7-Mitglieder alle Register ziehen, um eine Art Waffenstillstandsabkommen zwischen der Hamas und Israel für den Gazastreifen auszuhandeln, um eine ernsthafte militärische Vergeltung durch den Iran und die Achse des Widerstands zu verhindern.


    Anfang dieser Woche trug diese Warnung Früchte: Der Hamas-Vertreter im Libanon, Ahmed Abdel Hadi, teilte gestern mit, dass die Hamas bei der vorläufigen Verhandlungsrunde am Donnerstag   – also heute   – nicht auftauchen wird. Der Grund?


    „Das klare Klima ist voller Täuschung und Verzögerung seitens Netanjahu, der auf Zeit spielt, während die Achse eine Antwort auf die Ermordung der Märtyrer [Hamas-Politbürochef Ismail] Haniyeh und [Hisbollah-Militärkommandeur Fuad] Shukr vorbereitet... [Hamas] wird sich nicht auf Verhandlungen einlassen, die Netanjahu und seiner extremistischen Regierung Deckung bieten.“


    Das Wartespiel, eigentlich eine Meisterleistung strategischer Zweideutigkeit, um Israels Nerven zu strapazieren, wird also weitergehen. Unter all dem billigen Drama des kollektiven Westens, der den Iran anfleht, nicht zu reagieren, gibt es eine Leere. Im Gegenzug wird nichts angeboten.

    Schlimmer noch. Washingtons europäische Vasallen   – das Vereinigte Königreich, Frankreich und Deutschland   – gaben eine Erklärung ab, die direkt aus der Verzweiflungsreihe stammt, in der sie „den Iran und seine Verbündeten auffordern, von Angriffen abzusehen, die die regionalen Spannungen weiter verschärfen und die Möglichkeit gefährden würden, einen Waffenstillstand und die Freilassung der Geiseln zu vereinbaren. Sie werden die Verantwortung für Handlungen tragen, die diese Chance auf Frieden und Stabilität gefährden. Kein Land und keine Nation profitiert von einer weiteren Eskalation im Nahen Osten.“


    Vorhersehbarerweise kein einziges Wort über Israel. In dieser neo-orwellschen Formulierung ist es, als ob die aufgezeichnete Geschichte des Planeten begann, als der Iran ankündigte, Vergeltung für die Ermordung von Haniyeh in Teheran zu üben.


    Die iranische Diplomatie antwortete den Vasallen rasch und betonte ihr „anerkanntes Recht“, die nationale Souveränität zu verteidigen und Abschreckung gegen Israel, die eigentliche Quelle des Terrorismus in Westasien, zu schaffen. Und vor allem betonte man, dass man „von niemandem eine Erlaubnis“ für die Ausübung dieses Rechts einhole.


    Der Kern der Sache entzieht sich vorhersehbar der westlichen Logik: Hätte Washington im vergangenen Jahr einen Waffenstillstand im Gazastreifen erzwungen, wäre die Gefahr eines apokalyptischen Krieges, der Westasien erschüttert, vermieden worden.


    Stattdessen genehmigten die USA am Mittwoch ein weiteres Waffenpaket im Wert von 20 Milliarden Dollar für Tel Aviv, was genau zeigt, wie sehr sich die Amerikaner für einen dauerhaften Waffenstillstand einsetzen.


    Palästina trifft die BRICS

    Die israelischen Provokationen, insbesondere die Ermordung von Haniyeh, waren ein direkter Affront gegen drei führende BRICS-Mitglieder: Iran, Russland und China.

    Die Reaktion auf Israel impliziert also eine konzertierte Aktion des Trios, die sich aus den miteinander verflochtenen umfassenden strategischen Partnerschaften ergibt.

    Zuvor hatte der chinesische Außenminister Wang Yi am Montag ein wichtiges Telefongespräch mit dem amtierenden iranischen Außenminister Ali Bagheri Kani geführt, in dem er alle Bemühungen Teherans um Frieden und Stabilität in der Region nachdrücklich unterstützte.

    Es signalisiert auch die chinesische Unterstützung für eine iranische Reaktion auf Israel. Vor allem, wenn man bedenkt, dass die Ermordung Haniyehs in Peking als unverzeihlicher Schlag gegen die beträchtlichen diplomatischen Bemühungen des Landes gewertet wurde, nur wenige Tage nachdem der Hamas-Chef zusammen mit anderen palästinensischen politischen Vertretern die Erklärung von Peking unterzeichnet hatte.


    Am Dienstag traf der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), Mahmoud Abbas, mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin in dessen Nowo-Ogarjowo-Residenz in Moskau zusammen. Was Putin zu Abbas sagte, ist ein Juwel der Untertreibung:


    „Es ist allgemein bekannt, dass Russland heute leider seine Interessen und sein Volk mit Waffen in der Hand verteidigen muss, aber was im Nahen Osten [Westasien] geschieht, was in Palästina geschieht, bleibt sicherlich nicht unbemerkt.“


    Doch es gibt ein ernstes Problem. Der von den USA und Israel unterstützte Abbas ist wie eine Art zerbrochenes Schilfrohr, das in Palästina kaum noch Glaubwürdigkeit genießt. Jüngste Umfragen zeigen, dass 94 Prozent der Bewohner des Westjordanlandes und 83 Prozent der Bewohner des Gazastreifens seinen Rücktritt fordern. Unterdessen machen weniger als 8 Prozent der Palästinenser die Hamas für ihre derzeitige, schreckliche Lage verantwortlich. Überwältigendes Vertrauen wird in den neuen Hamas-Führer Yahya Sinwar gesetzt.


    Moskau befindet sich in einer komplizierten Lage: Es versucht, einen neuen politischen Prozess in Palästina mit seinen staatsmännischen Instrumenten voranzutreiben, und zwar auf viel eindringlichere Weise als die Chinesen. Doch Abbas wehrt sich dagegen.

    Es gibt jedoch einige vielversprechende Ansätze. In Moskau sagte Abbas, man habe über BRICS gesprochen: Wir haben uns mündlich darauf geeinigt, dass Palästina im Rahmen des „Outreach“-Formats eingeladen wird“, und äußerte die Hoffnung, dass:


    „Es könnte ein besonderes Format eines Treffens organisiert werden, das ausschließlich Palästina gewidmet ist, so dass alle Länder ihre Meinung zu den aktuellen Entwicklungen äußern können ... Es wird alles so relevant wie möglich sein, wenn man bedenkt, dass die Länder dieser Vereinigung [BRICS] alle mit Palästina befreundet sind.“


    Das ist an sich schon ein bedeutender diplomatischer Sieg Russlands. Die Tatsache, dass Palästina in den Kreis der BRICS-Staaten aufgenommen wird, um ernsthafte Gespräche zu führen, wird immense Auswirkungen auf alle muslimischen Staaten und die globale Mehrheit haben.


    Wie man eine tödliche Antwort kalibriert

    Was das Gesamtbild   – die Antwort der Achse des Widerstands auf Israel   – betrifft, so ist Russland ebenfalls stark involviert. Kürzlich landete eine Reihe russischer Flugzeuge im Iran, die Berichten zufolge offensive und defensive militärische Ausrüstung an Bord hatten, darunter das bahnbrechende Murmansk-BN-System, das in der Lage ist, alle Arten von Funksignalen, GPS, Kommunikation, Satelliten und elektronische Systeme in einer Entfernung von bis zu 5.000 Kilometern zu blockieren und zu stören.


    Dies ist der ultimative Albtraum für Israel und seine NATO-Helfer. Wenn der Iran das elektronische Kriegsführungssystem Murmansk-BN einsetzt, kann es das gesamte israelische Stromnetz, das nur 2.000 Kilometer entfernt ist, buchstäblich lahm legen, indem es Militärbasen und auch das Stromnetz angreift.


    Wenn der Iran mit seinem Gegenschlag wirklich über die Stränge schlagen und dem Besatzungsstaat eine epische, unvergessliche Lektion erteilen will, könnte dies durch eine Kombination aus dem Murmansk-BN und neuen iranischen Hyperschallraketen geschehen.


    Und vielleicht ein paar zusätzliche russische Hyperschall-Überraschungen. Schließlich reiste der Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates, Sergej Schoigu, vor kurzem nach Teheran, um sich mit dem iranischen Generalstabschef Generalmajor Bagheri zu treffen, um die Feinheiten ihrer umfassenden strategischen Partnerschaft, auch im militärischen Bereich, abzustimmen.


    Generalmajor Bagheri ließ sogar die BRICS-Katze aus dem Sack, als er sagte: „Wir werden die dreiseitige Zusammenarbeit von Iran, Russland und China begrüßen.“ So schließen sich die Zivilisationsstaaten in der Praxis zusammen, um das in die westliche „demokratische“ Plutokratie eingebaute „Forever War“-Ethos zu bekämpfen.


    So sehr Russland und China Palästina und den Iran auf verschiedenen Ebenen unterstützen, ist es unvermeidlich, dass sich der Fokus der Forever Wars nun gegen sie alle richtet. Die Eskalation greift um sich   – in der Ukraine, in Israel, in Syrien, im Irak und im Jemen sowie in den Farbrevolutionen von Bangladesch (erfolgreich) bis Südostasien (gescheitert).


    Das bringt uns zu dem zentralen Drama in Teheran: Wie kann man eine Reaktion sorgfältig kalibrieren, die Israel bedauern lässt, aber nicht zu blutenden Wunden vom Iran zu Russland und China führt.


    Der übergreifende Zusammenprall zwischen Eurasien und NATOstan ist unvermeidlich. Putin selbst hat dies mit deutlichen Worten zum Ausdruck gebracht, als er sagte: „Jegliche Friedensgespräche mit der Ukraine sind unmöglich, solange sie Angriffe auf die Zivilbevölkerung durchführt und Atomkraftwerke bedroht.“


    Das Gleiche gilt für Israel in Gaza. „Friedensgespräche“   – oder Waffenstillstandsverhandlungen   – sind unmöglich, solange Gaza und souveräne Staaten wie Syrien, Irak und Jemen nach Belieben beschossen werden.


    Es gibt nur einen Weg, damit umzugehen: militärisch, mit intelligenter Gewalt.


    Der Iran könnte in Absprache mit seinen strategischen Partnern Russland und China versuchen, einen dritten Weg zu finden. Das Projekt Israel legt seine eigene Wirtschaft praktisch lahm, um den Besatzungsstaat vor einer tödlichen Reaktion des Iran und der Achse des Widerstands zu schützen.


    Teheran könnte also Sun Tzu bis zum Äußersten treiben   – das Abwarten, die psychologischen Operationen, die unerträgliche strategische Zweideutigkeit   – und die israelischen Siedler dazu zwingen, in ihren unterirdischen Bunkern zu schmoren, bis die gesamte, übergreifende, koordinierte Strategie steht, um einen tödlichen Schlag zu führen.

     

    Pepe Escobar

    Quelle: https://thecradle.co/articles/how-a-brics-trio-is-staring-down-israel
    Mit freundlicher Genehmigung von thecradle.co
    Die Übersetzung besorgte Andreas Mylaeus


    Info: https://seniora.org/index.php?option=com_acymailing&ctrl=url&subid=3998&urlid=6132&mailid=2303


    unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält

    15.08.2024

    Pressemitteilung: Petition für einen gerechten Frieden in Gaza

    aus e-mail von Ingrid Rumpf, 15. August 17:48 Uhr


    image003


    Heute haben sieben Organisationen eine Petition mit dem Titel „Für einen gerechten Frieden in
    Gaza. Waffenexporte stoppen & Hilfsblockade beenden!“ gestartet. Mit der Petition fordern
    namhafte NGOs gemeinsam mit lokalen Initiativen die Bundesregierung unter anderem dazu
    auf, keine Rüstungsgüter mehr nach Israel zu exportieren, wenn die Gefahr besteht, dass sie
    völkerrechtswidrig eingesetzt werden. Die Bundesregierung hat bekräftigt, trotz zahlreich
    dokumentierter Völkerrechtsverletzungen weiter Waffen an Israel liefern zu wollen. Die Petition
    ist ein zivilgesellschaftlicher Protest gegen diese Absichtserklärung. Sie stellt acht Forderungen
    an die Bundesregierung, ihre politische Reaktion auf den Krieg in Gaza grundsätzlich zu
    ändern.
    Die Petition wurde auf der Plattform openPetition veröffentlicht und kann unter diesem Link
    eingesehen und unterschrieben werden: https://openpetition.de/!pxyvh
    „Statt Waffen zu liefern und damit Öl ins Feuer zu gießen, sollte die Bundesregierung alles tun,
    um die Situation zu deeskalieren. Sie muss sich gegenüber der israelischen Regierung mit allen
    Mitteln dafür einsetzen, dass in Gaza ein Waffenstillstand zu Stande kommt. Die Gewalt im
    Westjordanland muss gestoppt und die illegale Besatzung beendet werden“, so Gerold König,
    Bundesvorsitzender von pax christi.


    Tsafrir Cohen, Geschäftsführer der Frankfurter Hilfs- und Menschenrechtsorganisation medico
    international, stellt fest: „Die Bundesregierung versucht zu verhindern, dass israelische
    Kriegsverbrechen in Den Haag verhandelt und strafrechtlich verfolgt werden.
    Damit verliert sie
    nicht nur weltweit zunehmend an Glaubwürdigkeit, sondern unterwandert auch die
    internationale Gerichtsbarkeit und fördert so eine Kultur der Straflosigkeit.“


    Serap Altinisik, Vorstandsvorsitzende von Oxfam Deutschland e.V.: „Die Menschen in Gaza sind
    aufgerieben von Bombardements und Blockade. Mehr als eine halbe Million leidet unter
    katastrophalem Nahrungsmittelmangel. Pro Person und Tag gibt es weniger als fünf Liter
    Wasser für Trinken und Hygiene – weniger als ein Drittel des in Notsituderlichen
    (?)
    Minimums. Humanitäre Hilfe kann das Leid zwar etwas mindern, aber keine Politik ersetzen. Die
    Bundesregierung darf deshalb nicht länger tatenlos zusehen, wie die israelische Regierung die
    Beschneidung der Wasserversorgung als Mittel der Kriegsführung einsetzt.“


    Dr. med. Angelika Claußen, Vorsitzende der ärztlichen Friedensorganisation IPPNW, fügt hinzu:
    „Das Menschenrecht auf Leben und Gesundheit wird in Gaza täglich verletzt. 40.000 Menschen
    kamen bereits direkt durch Angriffe des israelischen Militärs ums Leben. Die Zahl der Toten liegt
    jedoch um ein Vielfaches höher, wenn man sie nach internationalen Public Health-Maßstäben
    misst und all jene hinzu zählt, die durch zerstörte Gesundheitsinfrastruktur, Hunger,
    Wassermangel und fehlende sanitäre Einrichtungen starben. Die Rettung von Menschenleben
    muss für die Bundesregierung jetzt oberste Priorität haben!“


    Die Petition wurde initiiert von:
    CARE Deutschland e.V.
    IPPNW Deutschland
    medico international
    NRC Flüchtlingshilfe Deutschland
    Oxfam Deutschland e.V.
    pax christi, Deutsche Sektion e.V.
    Weltfriedensdienst e.V.
    Sie wird von zahlreichen weiteren Organisationen unterstützt.


    Pressekontakte:
    Frederic Jage-Bowler, IPPNW Deutschland: 030 698074-15, jagebowler@ippnw.de
    Anne Jung, medico international: 0151 17165769, jung@medico.de
    Zoe-Marie Lodzik, NRC Flüchtlingshilfe Deutschland: 0151 57860663,
    zoemarie.lodzik@nrc-hilft.de
    Annika Zieske, Oxfam Deutschland e.V.: 030 45 30 69 715, azieske@oxfam.de
    Gerold König, pax christi, Deutsche Sektion e.V.: 0178 3431107, g.koenig@paxchristi.de
    Stefanie Wurm, Weltfriedensdienst e.V.: 030 253990-18, wurm@wfd.de


    Info: https://dpg-netz.de/wp-content/uploads/NewsHome/Pressemitteilung-%E2%80%93-Petition-fuer-einen-gerechten-Frieden-in-Gaza.pdf  (Zum Herunterladen)


    unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält

    15.08.2024

    Als ehemaliger IDF-Soldat und Historiker des Völkermords hat mich mein jüngster Besuch bei israelischen Soldaten im Gazastreifen im Januar zutiefst beunruhigt.

    By Omer Bartov Tue 13 Aug 2024 00.00 EDT

    Genozidforscher Omar Bartov über die mentale Situation in

    Israel nach dem 7. Oktober


    https://www.theguardian.com/world/article/2024/aug/13/israel-gaza-historian-omer-bartov

    Am 19. Juni 2024 sollte ich an der Ben-Gurion University of the Negev (BGU) in Be'er Sheva, Israel, einen Vortrag halten. Mein Vortrag war Teil einer Veranstaltung über die weltweiten Campus-Proteste gegen Israel, und ich hatte vor, den Krieg in Gaza anzusprechen und allgemein die Frage zu stellen, ob es sich bei den Protesten um aufrichtige Empörung oder um Antisemitismus handelt, wie einige behauptet hatten. Aber die Dinge liefen nicht wie geplant ab.

    Als ich am Eingang des Hörsaals ankam, sah ich eine Gruppe von Studenten, die sich versammelt hatte. Es stellte sich bald heraus, dass sie nicht wegen der Veranstaltung gekommen waren, sondern um dagegen zu protestieren. Die Studenten waren anscheinend durch eine WhatsApp-Nachricht aufgerufen worden, die am Vortag verschickt worden war und in der auf die Vorlesung hingewiesen und zum Handeln aufgerufen wurde: "Wir werden es nicht zulassen! Wie lange wollen wir noch Verrat an uns selbst begehen?!?!?!?!!"

    In der Nachricht wurde weiter behauptet, ich hätte eine Petition unterzeichnet, in der Israel als "Apartheidregime" bezeichnet wurde (tatsächlich bezog sich die Petition auf ein Apartheidregime im Westjordanland). Ich wurde auch "beschuldigt", im November 2023 einen Artikel für die New York Times geschrieben zu haben, in dem ich feststellte, dass, obwohl die Äußerungen der israelischen Führer auf völkermörderische Absichten hindeuteten, immer noch Zeit sei, Israel daran zu hindern, einen Völkermord zu verüben. In diesem Punkt war ich schuldig im Sinne der Anklage. Der Organisator der Veranstaltung, der renommierte Geograph Oren Yiftachel, wurde ebenfalls kritisiert. Zu seinen Vergehen gehörte, dass er Direktor der "antizionistischen" B'Tselem, einer weltweit angesehenen Menschenrechts-NGO, war.

    Als die Podiumsteilnehmer und eine Handvoll meist älterer Fakultätsmitglieder den Saal betraten, hinderte das Sicherheitspersonal die protestierenden Studenten am Einlass. Sie hielten sie jedoch nicht davon ab, die Tür des Hörsaals offen zu halten, Parolen in ein Megafon zu rufen und mit aller Kraft gegen die Wände zu hämmern.

    Nach über einer Stunde der Störung kamen wir überein, dass es vielleicht am besten wäre, die protestierenden Studenten zu einem Gespräch einzuladen, unter der Bedingung, dass sie die Störung einstellen. Eine ganze Reihe dieser Aktivisten kam schließlich herein, und in den folgenden zwei Stunden setzten wir uns zusammen und unterhielten uns. Wie sich herausstellte, waren die meisten dieser jungen Männer und Frauen erst kürzlich vom Reservistendienst zurückgekehrt, bei dem sie im Gazastreifen eingesetzt worden waren.

    Dies war kein freundlicher oder "positiver" Meinungsaustausch, aber er war aufschlussreich. Diese Studenten waren nicht unbedingt repräsentativ für die Studentenschaft in Israel insgesamt. Sie waren Aktivisten in rechtsextremen Organisationen. Aber in vielerlei Hinsicht spiegelte das, was sie sagten, eine viel weiter verbreitete Stimmung im Lande wider.

    Ich war seit Juni 2023 nicht mehr in Israel gewesen, und bei diesem jüngsten Besuch fand ich ein anderes Land vor als das, das ich bisher kannte. Obwohl ich viele Jahre im Ausland gearbeitet habe, ist Israel das Land, in dem ich geboren und aufgewachsen bin. Es ist der Ort, an dem meine Eltern lebten und begraben sind; es ist der Ort, an dem mein Sohn seine eigene Familie gegründet hat und die meisten meiner ältesten und besten Freunde leben. Da ich das Land von innen kenne und die Ereignisse seit dem 7. Oktober noch intensiver als sonst verfolgt habe, hat mich das, was mir bei meiner Rückkehr begegnet ist, zwar nicht völlig überrascht, aber doch zutiefst beunruhigt.

    Bei meinen Überlegungen zu diesen Fragen kann ich nicht umhin, meinen persönlichen und beruflichen Hintergrund zu berücksichtigen. Ich habe vier Jahre lang in den Israelischen Verteidigungsstreitkräften (IDF) gedient, unter anderem im Jom-Kippur-Krieg von 1973, im Westjordanland, auf dem Nordsinai und im Gazastreifen, wo ich meinen Dienst als Kommandant einer Infanteriekompanie beendete. Während meiner Zeit im Gazastreifen erlebte ich aus erster Hand die Armut und Hoffnungslosigkeit der palästinensischen Flüchtlinge, die in überfüllten, heruntergekommenen Vierteln ihr Leben fristen. Am lebhaftesten erinnere ich mich daran, wie ich in den schattenlosen, stillen Straßen der ägyptischen Stadt ʿArīsh - die damals von Israel besetzt war - patrouillierte, durchbohrt von den Blicken der ängstlichen, verbitterten Bevölkerung, die uns aus ihren verschlossenen Fenstern beobachtete. Zum ersten Mal verstand ich, was es bedeutet, ein anderes Volk zu besetzen.

    Der Militärdienst ist für jüdische Israelis mit 18 Jahren obligatorisch - obwohl es einige Ausnahmen gibt -, aber danach kann man immer noch aufgefordert werden, erneut in den IDF zu dienen, für Ausbildung oder operative Aufgaben oder im Falle von Notfällen wie einem Krieg. Als ich 1976 einberufen wurde, war ich Student an der Universität Tel Aviv. Während dieses ersten Einsatzes als Reserveoffizier wurde ich bei einem Trainingsunfall schwer verwundet, ebenso wie eine Reihe meiner Soldaten. Die IDF vertuschten die Umstände dieses Ereignisses, das durch die Nachlässigkeit des Kommandanten der Ausbildungsbasis verursacht wurde. Ich verbrachte die meiste Zeit des ersten Semesters im Krankenhaus von Be'er Sheva, kehrte dann aber zu meinem Studium zurück und schloss es 1979 mit einer Spezialisierung in Geschichte ab.

    Diese persönlichen Erfahrungen weckten mein Interesse an einer Frage, die mich schon lange beschäftigte: Was motiviert Soldaten zum Kämpfen? In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg vertraten viele amerikanische Soziologen die Ansicht, dass Soldaten in erster Linie füreinander kämpfen und nicht für ein größeres ideologisches Ziel. Aber das passte nicht ganz zu dem, was ich als Soldat erlebt hatte: Wir glaubten, dass wir für eine größere Sache kämpften, die über unsere eigene Gruppe von Kameraden hinausging. Als ich mein Studium abgeschlossen hatte, begann ich mich auch zu fragen, ob Soldaten im Namen dieser Sache zu Handlungen gezwungen werden können, die sie sonst als verwerflich empfinden würden.

    Im Extremfall schrieb ich meine Doktorarbeit in Oxford, die später als Buch veröffentlicht wurde, über die Indoktrination der deutschen Armee durch die Nazis und die Verbrechen, die sie im Zweiten Weltkrieg an der Ostfront beging. Was ich herausfand, stand im Widerspruch zu dem, was die Deutschen in den 1980er Jahren über ihre Vergangenheit dachten. Sie zogen es vor, zu glauben, dass die Armee einen "anständigen" Krieg geführt hatte, auch wenn die Gestapo und die SS "hinter ihrem Rücken" Völkermord verübten. Die Deutschen brauchten noch viele Jahre, um zu begreifen, wie sehr sich ihre eigenen Väter und Großväter am Holocaust und am Massenmord an vielen anderen Gruppen in Osteuropa und der Sowjetunion beteiligt hatten.

    Als Ende 1987 die erste palästinensische Intifada, also der Aufstand, ausbrach, lehrte ich an der Universität Tel Aviv. Ich war entsetzt über die Anweisung von Yitzhak Rabin, dem damaligen Verteidigungsminister, an die IDF, palästinensischen Jugendlichen, die Steine auf schwer bewaffnete Truppen warfen, "Arme und Beine zu brechen". Ich schrieb ihm einen Brief, in dem ich ihn warnte, dass ich aufgrund meiner Nachforschungen über die Indoktrination der Streitkräfte in Nazideutschland befürchtete, dass die IDF unter seiner Führung einen ähnlich schlüpfrigen Weg einschlagen würden.

    Wie meine Forschungen gezeigt hatten, hatten die jungen deutschen Männer bereits vor ihrer Einberufung Kernelemente der Nazi-Ideologie verinnerlicht, insbesondere die Ansicht, dass die untermenschlichen slawischen Massen, angeführt von heimtückischen bolschewistischen Juden, Deutschland und den Rest der zivilisierten Welt mit der Vernichtung bedrohten und dass Deutschland daher das Recht und die Pflicht habe, sich im Osten einen "Lebensraum" zu schaffen und die Bevölkerung dieser Region zu dezimieren oder zu versklaven. Dieses Weltbild wurde den Truppen weiter eingeimpft, so dass sie beim Einmarsch in die Sowjetunion ihre Feinde durch dieses Prisma wahrnahmen. Der heftige Widerstand, den die Rote Armee leistete, bestätigte nur die Notwendigkeit, sowjetische Soldaten und Zivilisten gleichermaßen zu vernichten, vor allem aber die Juden, die als Hauptverantwortliche für den Bolschewismus angesehen wurden. Je mehr Zerstörung sie anrichteten, desto mehr Angst bekamen die deutschen Truppen vor der Rache, die sie im Falle eines Sieges ihrer Feinde erwarten konnten. Das Ergebnis war die Tötung von bis zu 30 Millionen sowjetischen Soldaten und Bürgern.

    Zu meinem Erstaunen erhielt ich einige Tage, nachdem ich ihm geschrieben hatte, eine einzeilige Antwort von Rabin, in der er mir vorwarf, ich hätte es gewagt, die IDF mit dem deutschen Militär zu vergleichen. Dies gab mir die Gelegenheit, ihm einen ausführlicheren Brief zu schreiben, in dem ich meine Recherchen und meine Besorgnis über den Einsatz der IDF als Instrument der Unterdrückung unbewaffneter besetzter Zivilisten erläuterte. Rabin antwortete erneut mit der gleichen Aussage: "Wie können Sie es wagen, die IDF mit der Wehrmacht zu vergleichen." Aber im Nachhinein glaube ich, dass dieser Austausch etwas über seinen späteren intellektuellen Weg verrät. Denn wie wir aus seinem späteren Engagement wissen, "war ich nicht völlig überrascht von dem, was mir begegnete, aber es war dennoch zutiefst beunruhigend" ... Omer Bartov. Im Osloer Friedensprozess, so fehlerhaft er auch sein mochte, erkannte er schließlich, dass Israel auf Dauer den militärischen, politischen und moralischen Preis der Besatzung nicht tragen konnte.

    Seit 1989 lehre ich in den Vereinigten Staaten. Ich habe viel über Krieg, Völkermord, Nazismus, Antisemitismus und den Holocaust geschrieben und versucht, die Zusammenhänge zwischen der industriellen Tötung von Soldaten im Ersten Weltkrieg und der Ausrottung der Zivilbevölkerung durch Hitlers Regime zu verstehen. Neben anderen Projekten habe ich viele Jahre damit verbracht, den Wandel der Heimatstadt meiner Mutter - Buchach in Polen (heute Ukraine) - von einer Gemeinde des interethnischen Zusammenlebens zu einer Gemeinde zu erforschen, in der sich die nichtjüdische Bevölkerung unter der Nazi-Besatzung gegen ihre jüdischen Nachbarn wandte. Die Deutschen kamen zwar mit dem ausdrücklichen Ziel in die Stadt, die Juden zu ermorden, aber die Geschwindigkeit und Effizienz der Tötung wurde durch die Zusammenarbeit mit den Einheimischen erheblich erleichtert. Diese Einheimischen wurden durch bereits bestehende Ressentiments und Hass motiviert, die auf das Aufkommen des Ethnonationalismus in den vorangegangenen Jahrzehnten und die vorherrschende Ansicht, dass die Juden nicht zu den nach dem Ersten Weltkrieg geschaffenen neuen Nationalstaaten gehörten, zurückgeführt werden können.

    In den Monaten seit dem 7. Oktober ist das, was ich im Laufe meines Lebens und meiner beruflichen Laufbahn gelernt habe, schmerzhafter als je zuvor geworden. Wie viele andere habe auch ich diese letzten Monate als emotional und intellektuell herausfordernd empfunden. Wie viele andere sind auch Familienmitglieder von mir und meinen Freunden direkt von der Gewalt betroffen.

    Der Hamas-Anschlag vom 7. Oktober war ein enormer Schock für die israelische Gesellschaft, von dem sie sich bis heute nicht erholt hat. Es war das erste Mal, dass Israel für längere Zeit die Kontrolle über einen Teil seines Territoriums verlor, wobei die IDF nicht in der Lage waren, das Massaker an mehr als 1.200 Menschen - viele davon auf grausamste Weise getötet - und die Entführung von weit über 200 Geiseln, darunter zahlreiche Kinder, zu verhindern. Das Gefühl, vom Staat im Stich gelassen zu werden, und die anhaltende Unsicherheit - mit Zehntausenden von israelischen Bürgern, die noch immer aus ihren Häusern entlang des Gazastreifens und an der libanesischen Grenze vertrieben wurden - sind tiefgreifend.

    Heute herrschen in weiten Teilen der israelischen Öffentlichkeit, einschließlich derjenigen, die gegen die Regierung sind, zwei Gefühle vor.

    Das erste ist eine Kombination aus Wut und Angst, der Wunsch, die Sicherheit um jeden Preis wiederherzustellen, und ein völliges Misstrauen gegenüber politischen Lösungen, Verhandlungen und Versöhnung. Der Militärtheoretiker Carl von Clausewitz stellte fest, dass der Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist, und warnte davor, dass er ohne ein definiertes politisches Ziel zu grenzenloser Zerstörung führen würde. Die Stimmung, die jetzt in Israel vorherrscht, droht ebenfalls, den Krieg zu seinem eigenen Zweck zu machen. In dieser Sichtweise ist die Politik ein Hindernis für die Erreichung von Zielen und nicht ein Mittel zur Begrenzung der Zerstörung. Dies ist eine Sichtweise, die letztlich nur zur Selbstvernichtung führen kann.

    Das zweite vorherrschende Gefühl - oder vielmehr das Fehlen eines Gefühls - ist die Kehrseite des ersten. Es ist die völlige Unfähigkeit der heutigen israelischen Gesellschaft, Mitgefühl für die Bevölkerung des Gazastreifens zu empfinden. Die Mehrheit, so scheint es, will nicht einmal wissen, was in Gaza geschieht, und dieser Wunsch spiegelt sich in der Fernsehberichterstattung wider. Die israelischen Fernsehnachrichten beginnen in diesen Tagen in der Regel mit Berichten über die Beerdigung von Soldaten, die bei den Kämpfen in Gaza gefallen sind und stets als Helden bezeichnet werden, gefolgt von Schätzungen, wie viele Hamas-Kämpfer "liquidiert" wurden. Hinweise auf den Tod von palästinensischen Zivilisten sind selten und werden in der Regel als Teil der feindlichen Propaganda oder als Anlass für unerwünschten internationalen Druck dargestellt. Angesichts so vieler Toter wirkt dieses ohrenbetäubende Schweigen nun wie eine eigene Form der Rachsucht.

    Natürlich hat sich die israelische Öffentlichkeit längst an die brutale Besatzung gewöhnt, die das Land in 57 der 76 Jahre seines Bestehens geprägt hat. Aber das Ausmaß dessen, was die IDF derzeit in Gaza anrichtet, ist ebenso beispiellos wie die völlige Gleichgültigkeit der meisten Israelis gegenüber dem, was in ihrem Namen geschieht. 1982 protestierten Hunderttausende Israelis gegen das Massaker an der palästinensischen Bevölkerung in den Flüchtlingslagern Sabra und Schatila im Westen Beiruts durch christliche maronitische Milizen, das von der IDF unterstützt wurde. Heute ist eine solche Reaktion unvorstellbar. Die Art und Weise, wie die Augen der Menschen glasig werden, wenn man das Leiden der palästinensischen Zivilbevölkerung und den Tod von Tausenden von Kindern, Frauen und älteren Menschen erwähnt, ist zutiefst beunruhigend.

    Wenn ich diesmal meine Freunde in Israel traf, hatte ich oft das Gefühl, dass sie Angst hatten, ich könnte sie in ihrem Kummer stören, und dass ich, da ich nicht im Lande lebe, ihren Schmerz, ihre Angst, ihre Fassungslosigkeit und ihre Hilflosigkeit nicht nachvollziehen könnte. Jede Andeutung, dass das Leben auf dem Lande sie gegenüber dem Schmerz der anderen betäubt hat - dem Schmerz, der schließlich in ihrem Namen zugefügt wurde - führte nur zu einer Mauer des Schweigens, zu einem Rückzug in sich selbst oder zu einem schnellen Themenwechsel. Der Eindruck, den ich gewann, war einheitlich: Wir haben keinen Platz in unseren Herzen, wir haben keinen Platz in unseren Gedanken, wir wollen nicht darüber sprechen oder gezeigt bekommen, was unsere eigenen Soldaten, unsere Kinder oder Enkel, unsere Brüder und Schwestern, gerade jetzt in Gaza tun. Wir müssen uns auf uns selbst konzentrieren, auf unser Trauma, unsere Angst und unsere Wut.

    In einem Interview vom 7. März 2024 äußerte sich der Schriftsteller, Landwirt und Wissenschaftler Zeev Smilansky in einer Weise, die ich schockierend fand, gerade weil sie von ihm kam. Ich kenne Smilansky seit mehr als einem halben Jahrhundert. Er ist der Sohn des berühmten israelischen Schriftstellers S. Yizhar, dessen Novelle Khirbet Khizeh aus dem Jahr 1949 der erste Text in der israelischen Literatur war, der sich mit dem Unrecht der Nakba auseinandersetzte, der Vertreibung von 750 000 Palästinensern aus dem späteren Staat Israel im Jahr 1948. Smilansky sprach über seinen eigenen Sohn Offer, der in Brüssel lebt:

    Offer sagt, dass für ihn jedes Kind ein Kind ist, egal ob es in Gaza oder hier ist. Ich fühle nicht so wie er. Unsere Kinder hier sind für mich wichtiger. Es gibt dort eine schockierende humanitäre Katastrophe, das verstehe ich, aber mein Herz ist blockiert und mit unseren Kindern und unseren Geiseln gefüllt ... In meinem Herzen ist kein Platz für die Kinder in Gaza, so schockierend und schrecklich es auch ist, und obwohl ich weiß, dass Krieg keine Lösung ist.

    Ich höre Maoz Inon zu, der seine beiden Eltern verloren hat [die am 7. Oktober von der Hamas ermordet wurden] ... und der so schön und überzeugend über die Notwendigkeit spricht, nach vorne zu schauen, dass wir Hoffnung bringen und Frieden wollen müssen, weil Kriege nichts bewirken, und ich stimme ihm zu. Ich stimme ihm zu, aber ich kann nicht die Kraft in meinem Herzen finden, mit all meinen linken Neigungen und meiner Liebe für die Menschheit, ich kann es nicht ... Es ist nicht nur die Hamas, es sind alle Gazaner, die zustimmen, dass es in Ordnung ist, jüdische Kinder zu töten, dass dies eine lohnende Sache ist ... Mit Deutschland gab es eine Versöhnung, aber sie haben sich entschuldigt und Reparationen gezahlt, und was [wird] hier passieren? Auch wir haben furchtbare Dinge getan, aber nichts, was mit dem vergleichbar wäre, was hier am 7. Oktober passiert ist. Es wird notwendig sein, sich zu versöhnen, aber wir brauchen etwas Abstand.

    Dies war eine weit verbreitete Meinung unter vielen linksgerichteten, liberalen Freunden und Bekannten, mit denen ich in Israel sprach. Es war natürlich etwas ganz anderes als das, was rechte Politiker und Medienvertreter seit dem 7. Oktober sagen. Viele meiner Freunde erkennen die Ungerechtigkeit der Besatzung an und bekennen sich, wie Smilansky sagte, zu einer "Liebe zur Menschlichkeit". Aber in diesem Moment, unter diesen Umständen, ist dies nicht das, worauf sie sich konzentrieren. Stattdessen sind sie der Meinung, dass im Kampf zwischen Gerechtigkeit und Existenz die Existenz den Sieg davontragen muss, und dass im Kampf zwischen einer gerechten Sache und einer anderen - der der Israelis und der der Palästinenser - unsere eigene Sache den Sieg davontragen muss, egal um welchen Preis. Denjenigen, die an dieser eindeutigen Entscheidung zweifeln, wird der Holocaust als Alternative präsentiert, auch wenn er für den gegenwärtigen Moment irrelevant ist. Dieses Gefühl ist nicht plötzlich am 7. Oktober entstanden. Seine Wurzeln liegen viel tiefer.

    Am 30. April 1956 hielt Moshe Dayan, der damalige Stabschef der IDF, eine kurze Rede, die zu einer der berühmtesten in der Geschichte Israels werden sollte. Er sprach bei der Beerdigung von Ro'i Rothberg, einem jungen Sicherheitsoffizier des neu gegründeten Kibbuz Nahal Oz, der 1951 von den IDF errichtet und zwei Jahre später in eine zivile Gemeinde umgewandelt wurde, zu den Trauernden. Der Kibbuz befand sich nur wenige hundert Meter von der Grenze zum Gazastreifen entfernt, gegenüber dem palästinensischen Viertel Shuja'iyya.

    Rothberg war am Vortag ermordet worden, und seine Leiche wurde über die Grenze geschleppt und verstümmelt, bevor sie mit Hilfe der Vereinten Nationen in israelische Hände zurückgegeben wurde. Dayans Rede ist zu einer Ikone geworden, die bis heute sowohl von der politischen Rechten als auch von der Linken verwendet wird:

    Gestern Morgen wurde Ro'i ermordet. Geblendet von der Stille des Morgens, sah er nicht die, die ihm am Rande der Furche auflauerten. Lasst uns die Mörder heute nicht anklagen. Warum sollten wir sie für ihren brennenden Hass auf uns verantwortlich machen? Seit acht Jahren leben sie in den Flüchtlingslagern von Gaza, während wir vor ihren Augen das Land und die Dörfer, in denen sie und ihre Vorfahren gelebt haben, in unser Eigentum verwandelt haben.

    Wir sollten das Blut von Roi nicht bei den Arabern in Gaza suchen, sondern bei uns selbst. Wie konnten wir unsere Augen verschließen und uns unserem Schicksal nicht offen stellen, uns der Mission unserer Generation in all ihrer Grausamkeit nicht stellen? Haben wir vergessen, dass diese Gruppe von Jungs, die in Nahal Oz wohnt, auf ihren Schultern die schweren Tore des Gazastreifens trägt, auf deren anderer Seite sich Hunderttausende von Augen und Händen drängen, die auf unseren Moment der Schwäche warten, damit sie uns auseinanderreißen können - haben wir das vergessen?...

    Wir sind die Generation der Siedler; ohne Stahlhelm und Kanonenmündung werden wir keinen Baum pflanzen und kein Haus bauen können. Unsere Kinder werden kein Leben haben, wenn wir keine Unterkünfte graben, und ohne Stacheldraht und Maschinengewehre werden wir nicht in der Lage sein, Straßen zu pflastern und Wasserbrunnen zu graben. Millionen von Juden, die ausgerottet wurden, weil sie kein Land hatten, blicken aus der Asche der israelischen Geschichte auf uns und befehlen uns, ein Land für unser Volk zu besiedeln und wiederzuerrichten. Doch jenseits der Grenzfurche erhebt sich ein Ozean des Hasses und der Rachsucht, der auf den Moment wartet, in dem die Ruhe unsere Bereitschaft abstumpft, auf den Tag, an dem wir den Botschaftern der verschwörerischen Heuchelei Gehör schenken, die uns auffordern, die Waffen niederzulegen ...

    Lasst uns nicht davor zurückschrecken, den Abscheu zu sehen, der das Leben von Hunderttausenden von Arabern begleitet und erfüllt, die um uns herum wohnen und auf den Moment warten, in dem sie nach unserem Blut greifen können. Wenden wir unsere Augen nicht ab, damit unsere Hände nicht schwach werden. Dies ist das Schicksal unserer Generation. Dies ist die Entscheidung unseres Lebens - bereit und bewaffnet und stark und zäh zu sein. Denn wenn das Schwert aus unserer Faust fällt, wird unser Leben ausgelöscht werden.

    Am nächsten Tag nahm Dayan seine Rede für das israelische Radio auf. Doch etwas fehlte. Es fehlte der Hinweis auf die Flüchtlinge, die den Juden dabei zusahen, wie sie das Land bebauten, von dem sie vertrieben worden waren, und die man nicht dafür verantwortlich machen sollte, dass sie ihre Enteigner hassten. Obwohl er diese Zeilen bei der Beerdigung geäußert und anschließend geschrieben hatte, ließ Dayan sie in der aufgezeichneten Fassung weg. Auch er hatte dieses Land vor 1948 gekannt. Er erinnerte sich an die palästinensischen Dörfer und Städte, die zerstört wurden, um Platz für jüdische Siedler zu schaffen. Er hatte Verständnis für die Wut der Flüchtlinge jenseits des Zauns. Aber er glaubte auch fest an das Recht und die dringende Notwendigkeit einer jüdischen Siedlung und Staatlichkeit. Im Kampf zwischen der Beseitigung von Ungerechtigkeit und der Übernahme des Landes entschied er sich für die eine Seite, wohl wissend, dass sein Volk damit dazu verdammt war, sich für immer auf die Waffe zu verlassen. Dayan wusste auch genau, was die israelische Öffentlichkeit akzeptieren konnte. Seine Ambivalenz in Bezug auf die Frage, wo Schuld und Verantwortung für Ungerechtigkeit und Gewalt liegen, und seine deterministische, tragische Sicht der Geschichte führten dazu, dass die beiden Versionen seiner Rede schließlich sehr unterschiedliche politische Richtungen ansprachen.

    Jahrzehnte später, nach vielen weiteren Kriegen und Strömen von Blut, betitelte Dayan sein letztes Buch Shall the Sword Devour Forever? Das 1981 veröffentlichte Buch beschreibt seine Rolle beim Abschluss eines Friedensabkommens mit Ägypten zwei Jahre zuvor. Er hatte endlich die Wahrheit über den zweiten Teil des Bibelverses erfahren, aus dem er den Titel des Buches entnommen hatte: "Weißt du nicht, dass es am Ende Bitterkeit sein wird?"

    Aber in seiner Rede von 1956, in der er auf das Tragen der schweren Tore von Gaza und auf die Palästinenser anspielte, die auf einen Moment der Schwäche warten, spielte Dayan auf die biblische Geschichte von Samson an. Der Israelit Samson, dessen übermenschliche Kraft von seinem langen Haar herrührte, hatte die Angewohnheit, in Gaza Prostituierte aufzusuchen, wie sich seine Zuhörer erinnern werden. Die Philister, die ihn als ihren Todfeind betrachteten, hofften, ihn vor den verschlossenen Toren der Stadt in einen Hinterhalt locken zu können. Aber Simson hob die Tore einfach auf seine Schultern und lief frei. Erst als seine Geliebte Delila ihn austrickste und ihm die Haare abschnitt, konnten die Philister ihn gefangen nehmen und einkerkern, indem sie ihm die Augen ausstachen (wie es auch die Gazaner getan haben sollen, die Ro'i verstümmelten) und ihn so noch machtloser machten. Doch in einem letzten Akt der Tapferkeit, als er von seinen Entführern verhöhnt wird, ruft Simson die Hilfe Gottes an, ergreift die Säulen des Tempels, zu dem er geführt worden war, stürzt sie auf die ihn umgebende fröhliche Menge und ruft: "Lasst mich mit den Philistern sterben!"

    Diese Tore von Gaza sind tief in der zionistischen israelischen Vorstellungswelt verankert, ein Symbol für die Kluft zwischen uns und den "Barbaren". Im Fall von Ro'i, so Dayan, "verstopfte die Sehnsucht nach Frieden seine Ohren, und er hörte die Stimme des Mordes nicht, die im Hinterhalt lag. Die Tore von Gaza lasteten zu schwer auf seinen Schultern und brachten ihn zu Fall".

    Am 8. Oktober 2023 wandte sich Staatspräsident Isaac Herzog an die israelische Öffentlichkeit und zitierte die letzte Zeile von Dayans Rede: "Dies ist das Schicksal unserer Generation. Dies ist die Entscheidung unseres Lebens - bereit und bewaffnet und stark und zäh zu sein. Denn wenn das Schwert aus unserer Faust fällt, wird unser Leben ausgelöscht werden."

    Am Tag zuvor, 67 Jahre nach Ro'i's Tod, hatten militante Hamas-Kämpfer 15 Bewohner des Kibbuz Nahal Oz ermordet und acht Geiseln genommen. Seit dem israelischen Vergeltungsangriff auf den Gazastreifen wurde das palästinensische Viertel Shuja'iyya gegenüber dem Kibbuz, in dem 100.000 Menschen lebten, von der Bevölkerung geräumt und in einen riesigen Schutthaufen verwandelt.

    Einer der seltenen literarischen Versuche, die grausame Logik der israelischen Kriege zu entlarven, ist Anadad Eldans außergewöhnliches Gedicht Samson Tearing His Clothes aus dem Jahr 1971, in dem dieser antike hebräische Held in den Gazastreifen hinein- und wieder herausfährt und dabei nichts als Verwüstung hinterlässt. Samson, der Held, der Prophet, der den ewigen Feind des Volkes bezwingt, verwandelt sich in dessen Todesengel, einen Tod, den er, wie wir uns erinnern, am Ende auch über sich selbst bringt, in einer großen selbstmörderischen Aktion, die bis heute durch die Generationen hallt.

    Als ich in Gaza war, begegnete ich Samson, wie er mit zerrissener Kleidung und zerkratztem Gesicht herauskam, Flüsse flossen und die Häuser sich beugten, um ihn vorbeizulassen, seine Schmerzen entwurzelten Bäume und verfingen sich in den verwickelten Wurzeln. In den Wurzeln steckten Strähnen seines Haares. Sein Kopf glänzte wie ein Schädel aus Stein, und seine schwankenden Schritte zerrissen meine Tränen Samson ging und zog eine müde Sonne, zerbrach Fensterscheiben und Ketten im Meer von Gaza wurden ertränkt. Ich hörte, wie die Erde unter seinen Schritten stöhnte, wie er ihr den Bauch aufschlitzte. Samsons Schuhe kreischten, wenn er ging.

    Der 1924 in Polen als Avraham Bleiberg geborene Eldan kam als Kind nach Palästina, kämpfte im Krieg von 1948 und zog 1960 in den Kibbuz Be'eri, etwa 4 km vom Gazastreifen entfernt. Am 7. Oktober 2023 überlebten der 99-jährige Eldan und seine Frau das Massaker an etwa hundert Bewohnern des Kibbuz, als die Militanten, die in ihr Haus eindrangen, sie aus unerklärlichen Gründen verschonten.

    Nach dem 7. Oktober, als dieser obskure Dichter auf wundersame Weise überlebte, wurde ein anderes Werk von ihm in den israelischen Medien verbreitet. Denn es schien, als hätte Eldan, der seit langem über Leid und Schmerz aufgrund von Unterdrückung und Ungerechtigkeit berichtet, die Katastrophe, die sein Haus heimsuchte, vorausgesehen. Im Jahr 2016 hatte er eine Gedichtsammlung mit dem Titel Sechs Stunden der Morgendämmerung veröffentlicht. Das war die Stunde, in der der Hamas-Angriff begann. Das Buch enthält das erschütternde Gedicht An den Mauern von Be'eri, in dem er den Tod seiner Tochter durch Krankheit betrauert (der Name des Kibbuz bedeutet auf Hebräisch auch "mein Brunnen").

    Nach dem 7. Oktober scheint das Gedicht auf unheimliche Weise sowohl die Zerstörung vorauszusagen als auch eine bestimmte Sichtweise des Zionismus zu vermitteln, die ihren Ursprung in der Katastrophe und Verzweiflung der Diaspora hat und die Nation in ein verfluchtes Land bringt, in dem Kinder von ihren Eltern begraben werden, und doch die Hoffnung auf einen neuen und hoffnungsvollen Aufbruch in Aussicht stellt:

    Auf die Mauern von Be'eri schrieb ich ihre Geschichte aus Ursprüngen und Tiefen, die von der Kälte zerfranst waren, als sie lasen, was im Schmerz geschah, und ihre Lichter stürzten in den Nebel und die Dunkelheit der Nacht, und ein Heulen erzeugte ein Gebet, denn ihre Kinder sind gefallen und eine Tür ist verschlossen, denn die Gnade des Himmels atmet Verwüstung und Trauer, wer wird untröstliche Eltern trösten, denn ein Fluch flüstert, es soll weder Tau noch Regen geben, du darfst weinen, wenn du kannst, es gibt eine Zeit, in der die Dunkelheit brüllt, aber es gibt eine Morgendämmerung und ein Strahlen.

    Auf den Mauern von Be'eri für verschiedene Menschen unterschiedliche Dinge. Soll es als Klage über die Zerstörung eines schönen und unschuldigen Kibbuz in der Wüste gelesen werden, oder ist es ein Schrei des Schmerzes über die endlose blutige Vendetta zwischen den beiden Völkern dieses Landes? Der Dichter hat uns nicht gesagt, was er meint, wie es bei Dichtern üblich ist. Schließlich hat er es vor Jahren in Trauer um seine geliebte Tochter geschrieben. Aber in Anbetracht seines langjährigen stillen, präzisen und eindringlichen Werks scheint es nicht abwegig zu sein, zu glauben, dass das Gedicht ein Aufruf zur Versöhnung und Koexistenz war und nicht zu weiteren Zyklen des Blutvergießens und der Rache.

    Es ist so, dass ich eine persönliche Verbindung zum Kibbuz Be'eri habe. Dort ist meine Schwiegertochter aufgewachsen, und meine Reise nach Israel im Juni diente in erster Linie dazu, die Zwillinge - meine Enkelkinder - zu besuchen, die sie im Januar 2024 auf die Welt gebracht hat. Der Kibbuz war jedoch verlassen worden. Mein Sohn, meine Schwiegertochter und ihre Kinder waren mit einer Familie von Überlebenden - engen Verwandten, deren Vater immer noch als Geisel festgehalten wird - in eine nahegelegene leerstehende Wohnung gezogen, was eine unvorstellbare Kombination aus neuem Leben und untröstlichem Leid in einem Haus ergab.

    Ich war nicht nur nach Israel gekommen, um meine Familie zu besuchen, sondern auch, um Freunde zu treffen. Ich hoffte, mir einen Reim darauf machen zu können, was in dem Land seit Beginn des Krieges geschehen war. Der abgebrochene Vortrag an der BGU stand nicht ganz oben auf meiner Tagesordnung. Doch als ich an jenem Tag Mitte Juni im Hörsaal ankam, wurde mir schnell klar, dass diese brisante Situation auch einige Hinweise auf die Mentalität einer jüngeren Generation von Studenten und Soldaten liefern könnte.

    Nachdem wir uns hingesetzt und zu reden begonnen hatten, wurde mir klar, dass die Studenten sich Gehör verschaffen wollten und dass niemand, vielleicht nicht einmal ihre eigenen Professoren und Universitätsverwalter, daran interessiert war, ihnen zuzuhören. Meine Anwesenheit und ihr vages Wissen um meine Kritik am Krieg lösten in ihnen das Bedürfnis aus, mir, aber vielleicht auch sich selbst, zu erklären, woran sie als Soldaten und als Bürger beteiligt gewesen waren.

    Eine junge Frau, die erst kürzlich von einem langen Militärdienst im Gazastreifen zurückgekehrt war, sprang auf die Bühne und sprach eindringlich über die Freunde, die sie verloren hatte, über das böse Wesen der Hamas und die Tatsache, dass sie und ihre Kameraden sich opferten, um die zukünftige Sicherheit des Landes zu gewährleisten. Nach der Hälfte ihrer Rede brach sie in Tränen aus und trat von der Bühne zurück. Ein junger Mann, gesammelt und wortgewandt, wies meinen Hinweis zurück, dass Kritik an der israelischen Politik nicht unbedingt antisemitisch motiviert sei. Dann begann er mit einem kurzen Überblick über die Geschichte des Zionismus als Antwort auf den Antisemitismus und als politischer Weg, den kein Nichtjude verleugnen darf. Sie waren zwar über meine Ansichten verärgert und durch ihre eigenen jüngsten Erfahrungen in Gaza aufgewühlt, aber die von den Studenten geäußerten Meinungen waren keineswegs außergewöhnlich. Sie spiegelten einen viel größeren Teil der öffentlichen Meinung in Israel wider.

    Da sie wussten, dass ich zuvor vor einem Völkermord gewarnt hatte, waren die Schüler besonders darauf bedacht, mir zu zeigen, dass sie menschlich sind, dass sie keine Mörder sind. Sie bezweifelten nicht, dass die IDF tatsächlich die moralischste Armee der Welt sei. Aber sie waren auch davon überzeugt, dass jeder Schaden, der den Menschen und Gebäuden im Gazastreifen zugefügt wurde, völlig gerechtfertigt war, dass alles die Schuld der Hamas war, die sie als menschliche Schutzschilde benutzte.

    Sie zeigten mir Fotos auf ihren Handys, um zu beweisen, dass sie sich Kindern gegenüber bewundernswert verhalten hatten, leugneten, dass es im Gazastreifen Hunger gab, bestanden darauf, dass die systematische Zerstörung von Schulen, Universitäten, Krankenhäusern, öffentlichen Gebäuden, Wohnhäusern und Infrastruktur notwendig und gerechtfertigt war. Sie betrachteten jede Kritik anderer Länder und der Vereinten Nationen an der israelischen Politik schlicht als antisemitisch.

    Anders als die Mehrheit der Israelis hatten diese jungen Leute die Zerstörung des Gazastreifens mit eigenen Augen gesehen. Mir schien, dass sie nicht nur eine bestimmte Sichtweise verinnerlicht hatten, die in Israel alltäglich geworden ist - nämlich dass die Zerstörung des Gazastreifens als solche eine legitime Reaktion auf den 7. Oktober war -, sondern auch eine Denkweise entwickelt hatten, die ich vor vielen Jahren beobachtet hatte, als ich das Verhalten, die Weltanschauung und das Selbstverständnis von Bundeswehrsoldaten im Zweiten Weltkrieg untersucht hatte. Soldaten, die bestimmte Feindbilder verinnerlicht haben - die Bolschewiken als Untermenschen, die Hamas als menschliche Tiere - und die breite Bevölkerung als weniger menschlich und rechtlos ansehen, neigen dazu, Gräueltaten, die sie beobachten oder begehen, nicht dem eigenen Militär oder sich selbst, sondern dem Feind zuzuschreiben.

    Tausende von Kindern wurden getötet? Das ist die Schuld des Feindes. Unsere eigenen Kinder wurden getötet? Das ist sicherlich die Schuld des Feindes. Wenn die Hamas ein Massaker in einem Kibbuz verübt, sind sie Nazis. Wenn wir 2.000-Pfund-Bomben auf Flüchtlingsunterkünfte abwerfen und Hunderte von Zivilisten töten, dann ist die Hamas schuld, weil sie sich in der Nähe dieser Unterkünfte versteckt. Nach dem, was sie uns angetan haben, haben wir keine andere Wahl, als sie auszurotten. Nach dem, was wir ihnen angetan haben, können wir uns nur vorstellen, was sie uns antun würden, wenn wir sie nicht vernichten. Wir haben einfach keine andere Wahl.

    Mitte Juli 1941, nur wenige Wochen nachdem Deutschland den von Hitler ausgerufenen "Vernichtungskrieg" gegen die Sowjetunion begonnen hatte, schrieb ein deutscher Unteroffizier von der Ostfront nach Hause:

    Das deutsche Volk ist unserem Führer zu großem Dank verpflichtet, denn wenn diese Bestien, die hier unsere Feinde sind, nach Deutschland gekommen wären, hätten solche Morde stattgefunden, wie sie die Welt noch nie gesehen hat ... Was wir gesehen haben ... grenzt an das Unglaubliche ... Und wenn man Der Stürmer [eine Nazizeitung] liest und die Bilder betrachtet, ist das nur eine schwache Illustration dessen, was wir hier sehen, und der Verbrechen, die hier von den Juden begangen werden.

    Ein im Juni 1941 herausgegebenes Propagandablatt der Armee zeichnete ein ähnlich alptraumhaftes Bild der politischen Offiziere der Roten Armee, das viele Soldaten bald als Spiegelbild der Realität empfanden:

    Jeder, der einmal in das Gesicht eines roten Kommissars geschaut hat, weiß, wie die Bolschewiken sind. Da braucht es keine theoretischen Ausdrücke. Wir würden die Tiere beleidigen, wenn wir diese meist jüdischen Männer als Bestien bezeichnen würden. Sie sind die Verkörperung des satanischen und wahnsinnigen Hasses gegen die gesamte edle Menschheit ... [Sie] hätten allem sinnvollen Leben ein Ende bereitet, wenn dieser Ausbruch nicht im letzten Moment eingedämmt worden wäre.

    Zwei Tage nach dem Hamas-Angriff erklärte Verteidigungsminister Yoav Gallant: "Wir kämpfen gegen menschliche Tiere, und wir müssen entsprechend handeln", und fügte später hinzu, Israel werde "ein Viertel nach dem anderen in Gaza zerstören". Der frühere Premierminister Naftali Bennett bestätigte dies: "Wir kämpfen gegen Nazis." Premierminister Benjamin Netanjahu forderte die Israelis auf, "sich daran zu erinnern, was Amalek euch angetan hat", und spielte damit auf die biblische Aufforderung an, die "Männer und Frauen, Kinder und Säuglinge" von Amalek auszurotten. In einem Radiointerview sagte er über die Hamas: "Ich bezeichne sie nicht als menschliche Tiere, denn das wäre eine Beleidigung für Tiere". Der stellvertretende Knesset-Sprecher Nissim Vaturi schrieb auf X, dass Israels Ziel die "Auslöschung des Gazastreifens vom Angesicht der Erde" sein sollte. Im israelischen Fernsehen erklärte er: "Es gibt keine unbeteiligten Menschen ... wir müssen dort hineingehen und töten, töten, töten. Wir müssen sie töten, bevor sie uns töten." Finanzminister Bezalel Smotrich betonte in einer Rede: "Das Werk muss vollendet werden ... Totale Zerstörung. Das Gedenken an Amalek muss unter dem Himmel ausgelöscht werden." Avi Dichter, Landwirtschaftsminister und ehemaliger Leiter des Geheimdienstes Shin Bet, sprach von der "Ausrollung der Nakba von Gaza". Ein 95-jähriger israelischer Militärveteran, der in seiner Motivationsrede an die IDF-Soldaten, die sich auf den Einmarsch in den Gazastreifen vorbereiteten, dazu aufforderte, "die Erinnerung an sie, ihre Familien, Mütter und Kinder auszulöschen", wurde vom israelischen Staatspräsidenten Herzog mit einer Ehrenurkunde ausgezeichnet, weil er "Generationen von Soldaten ein wunderbares Beispiel gegeben hat". Kein Wunder, dass es unzählige Social-Media-Posts von IDF-Soldaten gab; in denen dazu aufgerufen wird, "die Araber zu töten", "ihre Mütter zu verbrennen" und Gaza "platt zu machen". Es sind keine disziplinarischen Maßnahmen seitens ihrer Kommandeure bekannt.

    Das ist die Logik der endlosen Gewalt, eine Logik, die es erlaubt, ganze Bevölkerungen zu vernichten und sich dabei völlig gerechtfertigt zu fühlen. Es ist eine Logik der Opferrolle - wir müssen sie töten, bevor sie uns töten, so wie sie es zuvor getan haben - und nichts stärkt die Gewalt mehr als ein gerechtfertigtes Gefühl der Opferrolle. Schaut euch an, was uns 1918 passiert ist, sagten deutsche Soldaten 1942 und erinnerten an den propagandistischen "Dolchstoß"-Mythos, der Deutschlands katastrophale Niederlage im Ersten Weltkrieg auf jüdischen und kommunistischen Verrat zurückführte.

    Schauen Sie sich an, was uns im Holocaust passiert ist, als wir darauf vertrauten, dass andere zu unserer Rettung kommen würden, sagen die IDF-Soldaten im Jahr 2024 und erteilen sich damit selbst die Lizenz zur wahllosen Zerstörung auf der Grundlage einer falschen Analogie zwischen der Hamas und den Nazis.

    Die jungen Männer und Frauen, mit denen ich an diesem Tag sprach, waren voller Wut, nicht so sehr auf mich - sie beruhigten sich ein wenig, als ich meinen eigenen Militärdienst erwähnte -, sondern weil sie sich, so glaube ich, von allen um sie herum verraten fühlten. Verraten von den Medien, die sie als zu kritisch empfanden, von hochrangigen Kommandeuren, die sie für zu nachsichtig gegenüber den Palästinensern hielten, von Politikern, die es nicht geschafft hatten, das Fiasko des 7. Oktober zu verhindern, von der Unfähigkeit der IDF, den "totalen Sieg" zu erringen, von Intellektuellen und Linken, die sie zu Unrecht kritisierten, von der US-Regierung, die nicht schnell genug ausreichend Munition lieferte, und von all den heuchlerischen europäischen Politikern und antisemitischen Studenten, die gegen ihre Aktionen in Gaza protestierten. Sie schienen ängstlich, unsicher und verwirrt zu sein, und einige litten wahrscheinlich auch unter PTBS.

    Ich erzählte ihnen die Geschichte, wie 1930 das deutsche Studentenwerk demokratisch von den Nazis übernommen wurde. Die Studenten von damals fühlten sich durch den Verlust des Ersten Weltkriegs, den Verlust von Chancen durch die Wirtschaftskrise und den Verlust von Land und Prestige nach dem demütigenden Friedensvertrag von Versailles verraten. Sie wollten Deutschland wieder groß machen, und Hitler schien dieses Versprechen erfüllen zu können. Deutschlands innere Feinde wurden beseitigt, seine Wirtschaft florierte, andere Nationen fürchteten es wieder, und dann zog es in den Krieg, eroberte Europa und ermordete Millionen von Menschen. Schließlich wurde das Land völlig zerstört. Ich habe mich laut gefragt, ob vielleicht die wenigen deutschen Studenten, die diese 15 Jahre überlebt haben, ihre Entscheidung von 1930, den Nationalsozialismus zu unterstützen, bereut haben. Aber ich glaube nicht, dass die jungen Männer und Frauen an der BGU die Tragweite dessen verstanden, was ich ihnen gesagt hatte.

    Die Studenten waren beängstigend und verängstigt zugleich, und ihre Angst machte sie umso aggressiver. Dieses Ausmaß an Bedrohung sowie eine gewisse Überschneidung der Meinungen schienen bei ihren Vorgesetzten, den Professoren und Verwaltungsangestellten, Furcht und Unterwürfigkeit hervorgerufen zu haben, die große Zurückhaltung zeigten, sie in irgendeiner Weise zu disziplinieren. Gleichzeitig jubelten zahlreiche Medien und Politiker diesen Engeln der Zerstörung zu und nannten sie Helden, kurz bevor sie sie unter die Erde brachten und ihren trauernden Familien den Rücken zukehrten. Die gefallenen Soldaten seien für eine gute Sache gestorben, wird den Familien gesagt. Aber niemand nimmt sich die Zeit, zu erklären, was diese Sache eigentlich ist, außer dem bloßen Überleben durch immer mehr Gewalt.

    Und so taten mir auch diese Studenten leid, die sich nicht bewusst waren, wie sie manipuliert worden waren.

    Als ich Ende Juni in die Vereinigten Staaten zurückkehrte, dachte ich über meine Erfahrungen in diesen zwei chaotischen und beunruhigenden Wochen nach. Ich war mir meiner tiefen Verbundenheit mit dem Land, das ich verlassen hatte, bewusst. Dabei geht es nicht nur um meine Beziehung zu meiner israelischen Familie und meinen Freunden, sondern auch um den besonderen Tenor der israelischen Kultur und Gesellschaft, der sich durch einen Mangel an Distanz oder Respekt auszeichnet. Das kann herzerwärmend und aufschlussreich sein; man findet sich fast augenblicklich in intensiven, ja intimen Gesprächen mit anderen auf der Straße, in einem Café, in einer Bar wieder.

    Doch genau dieser Aspekt des israelischen Lebens kann auch unendlich frustrierend sein, da es so wenig Respekt vor gesellschaftlichen Anstandsregeln gibt. Es gibt fast einen Kult der Aufrichtigkeit, eine Verpflichtung, seine Meinung zu sagen, egal, mit wem man spricht oder wie sehr man dadurch beleidigt werden könnte. Diese gemeinsame Erwartung schafft sowohl ein Gefühl der Solidarität als auch eine Grenze, die nicht überschritten werden darf. Wenn Sie zu uns gehören, sind wir alle eine Familie. Wenn du dich gegen uns wendest oder auf der anderen Seite der nationalen Kluft stehst, bist du ausgeschlossen und kannst damit rechnen, dass wir hinter dir her sind.

    Dies mag auch der Grund dafür gewesen sein, warum ich dieses Mal zum ersten Mal Bedenken hatte, nach Israel zu gehen, und warum ein Teil von mir froh war, wieder abzureisen. Das Land hatte sich auf sichtbare und subtile Weise verändert, auf eine Weise, die eine Barriere zwischen mir als Beobachter von außen und denen, die ein organischer Teil des Landes geblieben sind, hätte bilden können.

    Aber ein anderer Teil meiner Befürchtungen hatte mit der Tatsache zu tun, dass sich mein Blick auf das Geschehen in Gaza verändert hatte. Am 10. November 2023 schrieb ich in der New York Times: "Als Historiker des Völkermords glaube ich, dass es keinen Beweis dafür gibt, dass in Gaza ein Völkermord stattfindet, obwohl es sehr wahrscheinlich ist, dass Kriegsverbrechen und sogar Verbrechen gegen die Menschlichkeit geschehen. [...] Wir wissen aus der Geschichte, dass es entscheidend ist, vor einem möglichen Völkermord zu warnen, bevor er stattfindet, anstatt ihn nachträglich zu verurteilen, wenn er bereits stattgefunden hat. Ich denke, wir haben noch Zeit."

    Ich glaube das nicht mehr. Als ich nach Israel reiste, war ich zu der Überzeugung gelangt, dass spätestens seit dem Angriff der IDF auf Rafah am 6. Mai 2024 nicht mehr geleugnet werden kann, dass Israel systematische Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord begangen hat. Nicht nur, dass dieser Angriff auf die letzte Ansammlung von Gaza-Bewohnern - die meisten von ihnen wurden bereits mehrfach von der IDF vertrieben, die sie nun erneut in eine so genannte sichere Zone drängte - eine völlige Missachtung jeglicher humanitärer Standards zeigte. Es zeigte auch deutlich, dass das ultimative Ziel dieses ganzen Unterfangens von Anfang an darin bestand, den gesamten Gazastreifen unbewohnbar zu machen und seine Bevölkerung so zu schwächen, dass sie entweder ausstirbt oder alle Möglichkeiten nutzt, um aus dem Gebiet zu fliehen. Mit anderen Worten, die Rhetorik der israelischen Führung seit dem 7. Oktober wurde nun in die Realität umgesetzt - nämlich, wie es in der UN-Völkermordkonvention von 1948 heißt, dass Israel "in der Absicht handelt, die palästinensische Bevölkerung im Gazastreifen ganz oder teilweise zu vernichten", "indem es sie tötet, ihr schweren Schaden zufügt oder ihr Lebensbedingungen auferlegt, die ihre Vernichtung herbeiführen sollen".

    Dies waren Fragen, die ich nur mit einer kleinen Handvoll Aktivisten, Wissenschaftlern, Völkerrechtsexperten und, was nicht überrascht, palästinensischen Bürgern Israels diskutieren konnte. Außerhalb dieses begrenzten Kreises sind solche Äußerungen über die Unrechtmäßigkeit der israelischen Aktionen in Gaza in Israel ein Gräuel. Selbst die große Mehrheit der Regierungsgegner, die einen Waffenstillstand und die Freilassung der Geiseln fordern, wird sie nicht akzeptieren.

    Seit ich von meinem Besuch zurückgekehrt bin, habe ich versucht, meine Erfahrungen dort in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Die Realität vor Ort ist so verheerend, und die Zukunft erscheint so düster, dass ich mir erlaubt habe, mich in eine kontrafaktische Geschichte zu vertiefen und einige hoffnungsvolle Spekulationen über eine andere Zukunft anzustellen. Ich frage mich, was geschehen wäre, wenn der neu gegründete Staat Israel seine Verpflichtung erfüllt hätte, eine Verfassung auf der Grundlage seiner Unabhängigkeitserklärung zu erlassen. Dieselbe Erklärung, in der es heißt, dass Israel "auf Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden gegründet sein wird, wie es die Propheten Israels vorausgesehen haben; es wird allen seinen Einwohnern ungeachtet ihrer Religion, ihrer Ethnie oder ihres Geschlechts die völlige Gleichheit der sozialen und politischen Rechte gewährleisten; es wird Religions-, Gewissens-, Sprach-, Bildungs- und Kulturfreiheit garantieren; es wird die heiligen Stätten aller Religionen schützen; und es wird den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen treu sein".

    Welche Auswirkungen hätte eine solche Verfassung auf das Wesen des Staates gehabt? Wie hätte sie den Wandel des Zionismus von einer Ideologie, die die Juden von der Erniedrigung des Exils und der Diskriminierung befreien und sie mit den anderen Nationen der Welt gleichstellen wollte, zu einer Staatsideologie des Ethnonationalismus, der Unterdrückung anderer, des Expansionismus und der Apartheid gemildert? In den wenigen hoffnungsvollen Jahren des Osloer Friedensprozesses sprach man in Israel davon, es zu einem "Staat für alle seine Bürger" zu machen, für Juden und Palästinenser gleichermaßen. Die Ermordung von Premierminister Rabin im Jahr 1995 setzte diesem Traum ein Ende. Wird es Israel jemals gelingen, die gewalttätigen, ausgrenzenden, militanten und zunehmend rassistischen Aspekte seiner Vision, wie sie heute von so vielen seiner jüdischen Bürger vertreten wird, abzulegen? Wird es jemals in der Lage sein, sich selbst wieder so zu sehen, wie es sich seine Gründer so wortgewandt vorgestellt hatten - als eine Nation, die auf Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden basiert?

    Im Moment ist es schwierig, sich solchen Fantasien hinzugeben. Aber vielleicht bete ich gerade wegen des Tiefpunkts, an dem sich die Israelis und noch viel mehr die Palästinenser jetzt befinden, und wegen des Weges der regionalen Zerstörung, auf den ihre Führer sie gebracht haben, dass endlich andere Stimmen laut werden. Denn, um es mit den Worten des Dichters Eldan zu sagen: "Es gibt eine Zeit, in der die Dunkelheit brüllt, aber es gibt auch eine Zeit der Morgendämmerung und des Glanzes".

    unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält

    15.08.2024

    Die lange Lektüre
    Als ehemaliger IDF-Soldat und Genozidhistoriker war ich zutiefst beunruhigt über meinen kürzlichen Besuch in Israel

    theguardian.com, vom 13 Aug 2024 06.00 CEST

    In diesem Sommer wurde einer meiner Vorlesungen von rechtsextremen Studenten protestiert. Ihre Rhetorik erinnerte an einige der dunkelsten Momente der Geschichte des 20. Jahrhunderts – und überschnitten sich in einem schockierenden Ausmaß mit den israelischen Mainstream-Ansichten

    Von Omer Bartov

    Letzte Änderung am Do 15 Aug 2024 10.28 CEST

    O19. Juni 2024 sollte ich einen Vortrag an der Ben-Gurion-Universität des Negev (BGU) in Be’er Sheva halten,Israel. Mein Vortrag war Teil einer Veranstaltung über die weltweiten Campus-Proteste gegen Israel, und ich plante, den Krieg in Gaza anzusprechen und im weiteren Sinne die Frage, ob die Proteste aufrichtige Empörungsbekundungen oder durch Antisemitismus motiviert waren, wie einige behauptet hatten. Aber die Dinge klappten nicht wie geplant.

    Als ich am Eingang des Hörsaals ankam, sah ich eine Gruppe von Studenten, die sich versammelten. Es stellte sich bald heraus, dass sie nicht dort waren, um an der Veranstaltung teilzunehmen, sondern um dagegen zu protestieren. Die Studenten waren, wie es erschien, durch eine WhatsApp-Nachricht vorgeladen worden, die am Vortag erschien, die den Vortrag markierte und zum Handeln aufrief: "Wir werden es nicht zulassen! Wie lange werden wir Verrat gegen uns begehen?!?!????!!!

    Die Nachricht behauptete weiter, dass ich eine Petition unterzeichnet habe, die Israel als ein „Regime der Apartheid“ beschrieb (tatsächlich bezog sich die Petition auf ein Apartheid-Regime im Westjordanland). Ich war auch „angeklagte“, im November 2023 einen Artikel für die New York Times geschrieben zu haben, in dem ich erklärte, dass, obwohl die Aussagen der israelischen Führer auf völkermörderische Absicht hindeuteten, es immer noch Zeit sei, Israel vom Völkermord abzuhalten. In dieser Hinsicht war ich schuldig, wie angeklagt. Ähnlich kritisiert wurde der Veranstalter der Veranstaltung, der angesehene Geograph Oren Yiftachel. Zu seinen Vergehen gehörte es, als Direktor des „antizionistischen“ B’Tselem, einer weltweit angesehenen Menschenrechts-NGO, gedient zu haben.

    Als die Podiumsteilnehmer und eine Handvoll meist älterer Fakultätsmitglieder in die Halle eintraten, hinderten die Sicherheitsleute an der Einreise. Aber sie hielten sie nicht davon ab, die Hörsaaltür offen zu halten, riefen Slogans auf einem Bullhorn und schlugen mit all ihrer Wachsamkeit an die Wände.

    Nach mehr als einer Stunde Unterbrechung waren wir uns einig, dass der vielleicht beste Schritt nach vorn wäre, die Studentenprotestler zu bitten, sich uns zu einem Gespräch zu beteiligen, unter der Bedingung, dass sie die Störung stoppen. Eine ganze Reihe dieser Aktivisten kam schließlich herein und für die nächsten zwei Stunden setzten wir uns hin und unterhielten uns. Wie sich herausstellte, waren die meisten dieser jungen Männer und Frauen vor kurzem aus dem Reservedienst zurückgekehrt, während derer sie im Gazastreifen im Gazastreifen eingesetzt worden waren.

    Dies war kein freundlicher oder „positiver“ Meinungsaustausch, aber es war aufschlussreich. Diese Studenten waren nicht unbedingt repräsentativ für die Studentenschaft in Israel als Ganzes. Sie waren Aktivisten in rechtsextremen Organisationen. Aber in vielerlei Hinsicht spiegelte das, was sie sagten, eine viel weiter verbreitete Stimmung im Land wider.

    Ich war seit Juni 2023 nicht mehr in Israel, und bei diesem letzten Besuch fand ich ein anderes Land als das, das ich gekannt hatte. Obwohl ich viele Jahre im Ausland arbeite, ist Israel der Ort, an dem ich geboren und aufgewachsen bin. Es ist der Ort, an dem meine Eltern gelebt haben und begraben sind; es ist der Ort, an dem mein Sohn seine eigene Familie gegründet hat und die meisten meiner ältesten und besten Freunde leben. Da ich das Land von innen aus kenne und die Ereignisse seit dem 7. Oktober noch genauer verfolgt als sonst, war ich nicht ganz überrascht von dem, was ich bei meiner Rückkehr erlebt habe, aber es war immer noch zutiefst beunruhigend.


    ichWenn ich diese Probleme beriet, kann ich nicht umhin, meinen persönlichen und beruflichen Hintergrund zu nutzen. Ich diente vier Jahre lang in den israelischen Verteidigungskräften (IDF), ein Begriff, der den Jom-Kippur-Krieg von 1973 und die Entsende im Westjordanland, im nördlichen Sinai und Gaza umfasste, was meinen Dienst als Infanteriekompanie-Kommandeur beendete. Während meiner Zeit in Gaza sah ich aus erster Hand die Armut und Hoffnungslosigkeit palästinensischer Flüchtlinge, die in verstopften, altersschwachen Vierteln ihren Lebensunterhalt beschlichen. Am lebhaftesten erinnere ich mich, wie ich die schattlosen, stillen Straßen der ägyptischen Stadt "Arsch", die damals von Israel besetzt war, durchtrat, durchbohrt von den Blicken der ängstlichen, verärgerten Bevölkerung, die uns von ihren Fenstern aus beobachtete. Zum ersten Mal habe ich verstanden, was es bedeutet, ein anderes Volk zu besetzen.

    Der Militärdienst ist für jüdische Israelis obligatorisch, wenn sie 18 Jahre alt werden - obwohl es einige Ausnahmen gibt -, aber danach können Sie immer noch aufgefordert werden, in der IDF wieder für Ausbildung oder operative Aufgaben oder im Notfall wie einem Krieg zu dienen. Als ich 1976 einberufen wurde, war ich ein Bachelor-Studium an der Universität Tel Aviv. Während dieses ersten Einsatzes als Reserveoffizier wurde ich bei einem Trainingsunfall schwer verletzt, zusammen mit einer Partitur meiner Soldaten. Die IDF vertuschte die Umstände dieses Ereignisses, das durch die Nachlässigkeit des Kommandanten der Ausbildungsbasis verursacht wurde. Ich verbrachte den größten Teil des ersten Semesters im Krankenhaus von Be’er Sheva, kehrte aber zu meinem Studium zurück und schloss 1979 mit einer Fachrichtung in der Geschichte ab.

    Diese persönlichen Erfahrungen machten mich umso mehr für eine Frage interessiert, die mich lange beschäftigte: Was motiviert Soldaten zu kämpfen? In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg argumentierten viele amerikanische Soziologen, dass Soldaten in erster Linie füreinander kämpfen, anstatt für ein größeres ideologisches Ziel. Aber das passte nicht ganz zu dem, was ich als Soldat erlebt hatte: Wir glaubten, dass wir für eine größere Sache dabei waren, die unsere eigene Gruppe von Kumpels übertraf. Als ich meinen Bachelor-Abschluss abgeschlossen hatte, hatte ich auch begonnen zu fragen, ob Soldaten im Namen dieser Sache dazu gebracht werden könnten, auf eine Weise zu handeln, die sie sonst verwerflich finden würden.

    In der Lage, den extremen Fall, schrieb ich meine Doktorarbeit in Oxford, die später als Buch veröffentlicht wurde, über die Nazi-Indoktrination der deutschen Armee und die Verbrechen, die sie an der Ostfront im Zweiten Weltkrieg begangen hat. Was ich fand, widerlief, was den Deutschen in den 1980er Jahren zuwiderlief. Sie zogen es vor zu denken, dass die Armee einen „ständigen“ Krieg geführt habe, auch wenn die Gestapo und die SS Völkermord „hinter ihrem Rücken“ verübten. Die Deutschen brauchten noch viele Jahre, um zu erkennen, wie mitschuldig ihre eigenen Väter und Großväter im Holocaust und der Massenmord an vielen anderen Gruppen in Osteuropa und der Sowjetunion waren.

    Als die erste palästinensische Intifada oder der Aufstand Ende 1987 ausbrach, lehrte ich an der Universität Tel Aviv. Ich war entsetzt über die Anweisung von Yitzhak Rabin, dem damaligen Verteidigungsminister, der IDF, „die Arme und Beine“ palästinensischen Jugendlichen zu brechen, die Steine auf schwer bewaffnete Truppen warfen. Ich schrieb ihm einen Brief, in dem ich warnte, dass ich aufgrund meiner Forschungen über die Indoktrination der Streitkräfte Nazi-Deutschlands befürchte, dass die IDF unter seiner Führung einen ähnlich rutschigen Weg einschlagen würde.


    ‘I was not entirely surprised by what I encountered, but it was still profoundly disturbing’ … Omer Bartov.

    Ich war nicht ganz überrascht von dem, was mir begegnete, aber es war immer noch zutiefst beunruhigend" ... Omer Bartov.Foto: David Degner/The Guardian



    Wie meine Forschung gezeigt hatte, hatten junge deutsche Männer schon vor ihrer Wehrpflicht Kernelemente der Nazi-Ideologie verinnerlicht, insbesondere die Ansicht, dass die untermenschlichen slawischen Massen, angeführt von heimtückischen bolschewistischen Juden, Deutschland und dem Rest der zivilisierten Welt mit Zerstörung bedrohten, und dass damit Deutschland das Recht und die Pflicht habe, sich selbst zu schaffen, um sich selbst zu entlarven.. Diese Weltanschauung wurde dann weiter in die Truppen eingeprägt, so dass sie, als sie in die Sowjetunion einmarschierten, ihre Feinde durch dieses Prisma wahrnahm. Der erbitterte Widerstand der Roten Armee bestätigte nur die Notwendigkeit, sowjetische Soldaten und Zivilisten gleichermaßen völlig zu zerstören, und vor allem die Juden, die als Hauptanstifter des Bolschewismus angesehen wurden. Je mehr Zerstörung sie anführten, desto angst die deutschen Truppen zu einer Rache, die sie erwarten konnten, wenn ihre Feinde sie durchsetzten. Das Ergebnis war die Tötung von bis zu 30 Millionen sowjetischen Soldaten und Bürgern.

    Zu meinem Erstaunen erhielt ich einige Tage, nachdem ich ihm geschrieben hatte, eine einzeilige Antwort von Rabin, in der ich mich dafür kaute, die IDF mit dem deutschen Militär zu vergleichen. Dies gab mir die Möglichkeit, ihm einen ausführlicheren Brief zu schreiben, in dem ich meine Forschung und meine Angst darüber erklärte, die IDF als Werkzeug der Unterdrückung gegen unbewaffnete, besetzte Zivilisten zu benutzen. Rabin antwortete erneut mit derselben Aussage: „Wie kann man es wagen, die IDF mit der Wehrmacht zu vergleichen.“ Aber im Nachhinein glaube ich, dass dieser Austausch etwas über seine spätere intellektuelle Reise offenbart hat. Denn wie wir aus seinem späteren Engagement im Osloer Friedensprozess wissen, wie fehlerhaft auch immer, erkannte er schließlich, dass Israel auf lange Sicht den militärischen, politischen und moralischen Preis der Besatzung nicht aufrechterhalten konnte.

    Seit 1989 unterrichte ich in den Vereinigten Staaten. Ich habe ausgiebig über Krieg, Völkermord, Nazismus, Antisemitismus und den Holocaust geschrieben, um die Verbindungen zwischen der industriellen Tötung von Soldaten im Ersten Weltkrieg und der Ausrottung der Zivilbevölkerung durch Hitlers Regime zu verstehen. Unter anderem habe ich viele Jahre damit verbracht, die Transformation der Heimatstadt meiner Mutter – Buchach in Polen (heute Ukraine) – von einer Gemeinschaft des interethnischen Zusammenlebens in eine zu erforschen, in der sich unter der Nazi-Besatzung die Gentilbevölkerung gegen ihre jüdischen Nachbarn wandte. Während die Deutschen mit dem ausdrücklichen Ziel, ihre Juden zu ermorden, in die Stadt kamen, wurde die Geschwindigkeit und Effizienz des Mordes durch lokale Zusammenarbeit erheblich erleichtert. Diese Einheimischen waren motiviert durch bereits bestehende Ressentiments und Hass, die auf den Aufstieg des Ethnonationalismus in den vorangegangenen Jahrzehnten zurückgehen können, und der vorherrschenden Ansicht, dass die Juden nicht zu den neuen Nationalstaaten gehörten, die nach dem ersten Weltkrieg geschaffen wurden.

    In den Monaten seit dem 7. Oktober ist das, was ich im Laufe meines Lebens und meiner Karriere gelernt habe, schmerzhafter als je zuvor geworden. Wie viele andere habe ich diese letzten Monate emotional und intellektuell herausfordernd gefunden. Wie viele andere waren auch Mitglieder meiner eigenen und der Familien meiner Freunde direkt von der Gewalt betroffen. Es gibt keinen Mangel an Trauer, wo immer Sie sich hinwenden.


    TDer Hamas-Angriff am 7. Oktober war ein enormer Schock für die israelische Gesellschaft, von der sie nicht begonnen hat, sich zu erholen. Es war das erste Mal, dass Israel die Kontrolle über einen Teil seines Territoriums über einen längeren Zeitraum verlor, da die IDF nicht in der Lage war, das Massaker an mehr als 1.200 Menschen zu verhindern - viele auf die erdenkliche Weise getötet - und die Einnahme von weit über 200 Geiseln, einschließlich Dutzenden von Kindern. Das Gefühl der Aufgabe durch den Staat und die anhaltende Unsicherheit – mit Zehntausenden israelischer Bürger, die immer noch aus ihren Häusern entlang des Gazastreifens und an der libanesischen Grenze vertrieben werden, ist tiefgreifend.

    Heute herrschen zwei Gefühle in weiten Teilen der israelischen Öffentlichkeit, einschließlich derjenigen, die sich der Regierung widersetzen, zwei Gefühle.

    Die erste ist eine Kombination aus Wut und Angst, dem Wunsch, die Sicherheit um jeden Preis wiederherzustellen, und ein völliges Misstrauen gegenüber politischen Lösungen, Verhandlungen und Versöhnung. Der Militärorist Carl von Clausewitz stellte fest, dass der Krieg die Ausweitung der Politik mit anderen Mitteln sei, und warnte, dass er ohne ein definiertes politisches Ziel zu grenzenloser Zerstörung führen würde. Die Stimmung, die jetzt in Israel herrscht, droht ebenfalls einen Krieg zu seinem eigenen Ende zu machen. Aus dieser Sicht ist die Politik eher ein Hindernis, Ziele zu erreichen, als ein Mittel zur Begrenzung der Zerstörung. Das ist eine Ansicht, die letztlich nur zur Selbstvernichtung führen kann.

    Das zweitherrliche Gefühl – oder eher mangelndes Gefühl – ist die Kehrseite des ersten. Es ist die völlige Unfähigkeit der israelischen Gesellschaft, heute Empathie für die Bevölkerung von Gaza zu empfinden. Die Mehrheit, so scheint es, will nicht einmal wissen, was in Gaza passiert, und dieser Wunsch spiegelt sich in der TV-Berichterstattung wider. Die israelischen Fernsehnachrichten beginnen heutzutage normalerweise mit Berichten über die Beerdigungen von Soldaten, die ausnahmslos als Helden beschrieben werden, die bei den Kämpfen in Gaza gefallen sind, gefolgt von Schätzungen, wie viele Hamas-Kämpfer "liquidiert" wurden. Verweise auf palästinensische zivile Todesfälle sind selten und werden normalerweise als Teil der feindlichen Propaganda oder als Grund für unwillkommenen internationalen Druck dargestellt. Angesichts so viel Tod wirkt dieses ohrenbetäubende Schweigen nun wie seine eigene Form der Rache.

    Natürlich hat sich die israelische Öffentlichkeit vor langer Zeit zu der brutalen Besetzung geärert, die das Land 57 der 76 Jahre seines Bestehens geprägt hat. Aber das Ausmaß dessen, was derzeit in Gaza von der IDF verübt wird, ist ebenso beispiellos wie die völlige Gleichgültigkeit der meisten Israelis gegenüber dem, was in ihrem Namen getan wird. 1982 protestierten Hunderttausende Israelis gegen das Massaker an der palästinensischen Bevölkerung in den Flüchtlingslagern Sabra und Shatila im Westen Beiruts durch maronisische christliche Milizen, die von der IDF unterstützt wurden. Heute ist diese Art von Antwort undenkbar. Die Art und Weise, wie die Augen der Menschen glasieren, wenn man das Leiden palästinensischer Zivilisten erwähnt, und der Tod von Tausenden von Kindern und Frauen und älteren Menschen, ist zutiefst beunruhigend.

    Als ich diesmal meine Freunde in Israel traf, fühlte ich oft, dass sie Angst hatten, dass ich ihre Trauer stören könnte, und dass ich, wenn ich aus dem Land lebe, ihren Schmerz, ihre Angst, ihre Verwirrung und ihre Hilflosigkeit nicht begreifen konnte. Jede Andeutung, dass das Leben im Land sie dem Schmerz anderer betäuben ließ – der Schmerz, der schließlich in ihrem Namen zugefügt wurde – erzeugte nur eine Mauer des Schweigens, einen Rückzug in sich selbst oder einen schnellen Wechsel des Themas. Der Eindruck, den ich bekam, war konsequent: Wir haben keinen Platz in unseren Herzen, wir haben keinen Platz in unseren Gedanken, wir wollen nicht darüber sprechen oder gezeigt werden, was unsere eigenen Soldaten, unsere Kinder oder Enkel, unsere Brüder und Schwestern gerade jetzt in Gaza tun. Wir müssen uns auf uns selbst konzentrieren, auf unser Trauma, unsere Angst und unsere Wut.

    In einem Interview am 7. März 2024 äußerte der Schriftsteller, Bauer und Wissenschaftler Zeev Smilansky genau dieses Gefühl in einer Weise, die ich schockierend fand, gerade weil es von ihm kam. Ich kenne Smilansky seit mehr als einem halben Jahrhundert, und er ist der Sohn des gefeierten israelischen Autors S. Yizhar, dessen 1949 erschienener Roman Khirbet Khizeh der erste Text in der israelischen Literatur war, der sich der Ungerechtigkeit der Nakba stellte, der Vertreibung von 750.000 Palästinensern aus dem, was 1948 zum Staat Israel wurde. Über seinen eigenen Sohn, Offer, der in Brüssel lebt, kommentierte Smilansky:

    Angebot sagt, dass für ihn jedes Kind ein Kind ist, egal ob es in Gaza oder hier ist. Ich fühle mich nicht wie er. Unsere Kinder hier sind mir wichtiger. Es gibt dort eine schockierende humanitäre Katastrophe, ich verstehe das, aber mein Herz ist blockiert und mit unseren Kindern und unseren Geiseln gefüllt ... Es gibt keinen Platz in meinem Herzen für die Kinder in Gaza, wie schockierend und erschreckend es auch ist und obwohl ich weiß, dass Krieg nicht die Lösung ist.

    Ich höre Maoz Inon, der sowohl seine Eltern [am 7. Oktober von der Hamas ermordeten] verloren hat ... als auch der, der so schön und überzeugend über die Notwendigkeit spricht, nach vorne zu schauen, dass wir Hoffnung bringen und Frieden wollen, weil Kriege nichts erreichen werden, und ich stimme ihm zu. Ich stimme ihm zu, aber ich kann nicht die Kraft in meinem Herzen finden, mit all meinen linken Neigungen und Liebe zur Menschheit, ich kann es nicht ... Es ist nicht nur die Hamas, es sind alle Bewohner des Gazastreifens, die zustimmen, dass es in Ordnung ist, jüdische Kinder zu töten, dass dies eine würdige Sache ist ... Mit Deutschland gab es Versöhnung, aber sie entschuldigten sich und bezahlten Reparationen. Auch wir haben schreckliche Dinge getan, aber nichts, was dem nahe kommt, was hier am 7. Oktober passiert ist. Es wird notwendig sein, sich zu versöhnen, aber wir brauchen etwas Abstand.

    Dies war eine allgegenwärtige Stimmung unter vielen linken, liberalen Freunden und Bekannten, mit denen ich in Israel sprach. Es war natürlich ganz anders als das, was rechte Politiker und Medienvertreter seit dem 7. Oktober sagen. Viele meiner Freunde erkennen die Ungerechtigkeit der Besatzung an und bekennen sich, wie Smilansky sagte, zu einer „Liebe zur Menschheit“. Aber in diesem Moment, unter diesen Umständen, ist dies nicht das, worauf sie sich konzentrieren. Stattdessen haben sie das Gefühl, dass im Kampf zwischen Gerechtigkeit und Existenz die Existenz siegen muss, und im Kampf zwischen einer gerechten Sache und einer anderen – dem der Israelis und der der Palästinenser – ist es unsere eigene Sache, die triumphierend sein muss, unabhängig vom Preis. Für diejenigen, die an dieser krassen Wahl zweifeln, wird der Holocaust als Alternative dargestellt, so irrelevant er auch für den gegenwärtigen Moment ist.

    Dieses Gefühl erschien am 7. Oktober nicht plötzlich. Seine Wurzeln sind viel tiefer.


    OAm 30. April 1956 hielt Moshe Dayan, damals IDF-Stabschef, eine kurze Rede, die zu einer der berühmtesten in der Geschichte Israels werden sollte. Er wandte sich an die Trauernden bei der Beerdigung von Ro’i Rothberg, einem jungen Sicherheitsbeamten des neu gegründeten Nahal Oz-Kibbuz, der 1951 von der IDF gegründet wurde und zwei Jahre später zu einer zivilen Gemeinschaft wurde. Der Kibbuz lag nur wenige hundert Meter von der Grenze zum Gazastreifen mit Blick auf das palästinensische Viertel Shuja’iyya.

    Rothberg war am Vortag getötet worden, sein Leichnam wurde über die Grenze gezerrt und verstümmelt, bevor er mit Hilfe der Vereinten Nationen in israelische Hände zurückgebracht wurde. Dayans Rede ist zu einem ikonischen Statement geworden, das sowohl von der politischen als auch von der Linken bis heute verwendet wird:

    Gestern Morgen wurde Ro’i ermordet. Von der Ruhe des Morgens geblendet, sah er die nicht, die im Hinterhalt auf ihn warteten, am Rand der Furche. Lassen Sie uns den Mördern heute keine Anschuldigungen vorwerfen. Warum sollten wir sie für ihren brennenden Hass auf uns verantwortlich machen? Seit acht Jahren wohnen sie in Gazas Flüchtlingslagern, wie vor ihren Augen haben wir das Land und die Dörfer, in denen sie und ihre Vorfahren in unser eigenes Grundstück verweilt waren, verwandelt.

    Wir sollten Rois Blut nicht von den Arabern in Gaza, sondern von uns selbst suchen. Wie haben wir unsere Augen verschlossen und uns nicht offen unserem Schicksal gestellt, nicht der Mission unserer Generation in all ihrer Grausamkeit gegenüber? Haben wir vergessen, dass diese Gruppe von Jungs, die in Nahal Oz wohnen, die schweren Tore von Gaza auf ihren Schultern trägt, auf deren andere Seite Hunderttausende von Augen und Händen sich für unseren Moment der Schwäche beten, so dass sie uns zerreißen können - haben wir das vergessen?...

    Wir sind die Siedlungsgeneration; ohne einen Stahlhelm und die Schnauze der Kanone werden wir nicht in der Lage sein, einen Baum zu pflanzen und ein Haus zu bauen. Unsere Kinder werden kein Leben haben, wenn wir keine Unterstände graben, und ohne Stacheldraht und Maschinengewehre werden wir nicht in der Lage sein, Straßen zu ebnen und Wasserbrunnen zu graben. Millionen von Juden, die ausgerottet wurden, weil sie kein Land hatten, schauen uns aus der Asche der israelischen Geschichte an und befohlen uns, ein Land für unser Volk zu besiedeln und wiederzubeleben. Aber jenseits der randirschende Welle steigt ein Ozean des Hasses und des Drangs nach Rache auf und wartet auf den Moment, in dem die Ruhe unsere Bereitschaft stumpfen wird, für den Tag, an dem wir die Botschafter der verschwörerischen Heuchelei begnügen, die uns auffordern, unsere Waffen niederzulegen ...

    Lassen Sie uns nicht davor zurückschrecken, die Abscheu zu sehen, die das Leben von Hunderttausenden von Arabern begleitet und erfüllt, die um uns herum wohnen und auf den Moment warten, in dem sie nach unserem Blut greifen können. Lassen Sie uns unsere Augen nicht abwenden, damit unsere Hände nicht schwach werden. Das ist das Schicksal unserer Generation. Das ist die Wahl unseres Lebens – bereit und bewaffnet und stark und hart. Denn wenn das Schwert von unserer Faust fällt, wird unser Leben abgesengt.

    Am nächsten Tag nahm Dayan seine Rede für das israelische Radio auf. Aber etwas fehlte. Vorbei war der Hinweis auf die Flüchtlinge, die die Juden dabei beobachteten, wie sie das Land kultivierten, aus dem sie vertrieben worden waren, die nicht dafür verantwortlich gemacht werden sollten, ihre Enteignungen zu hassen. Obwohl er diese Zeilen bei der Beerdigung ausgesprochen und später geschrieben hatte, entschied sich Dayan, sie aus der aufgenommenen Version zu streichen. Auch er hatte dieses Land vor 1948 gekannt. Er erinnerte an die palästinensischen Dörfer und Städte, die zerstört wurden, um Platz für jüdische Siedler zu schaffen. Er verstand die Wut der Flüchtlinge über den Zaun. Aber er glaubte auch fest an die Rechte und die dringende Notwendigkeit jüdischer Siedlung und Staatlichkeit. Im Kampf zwischen der Bekämpfung von Ungerechtigkeit und der Übernahme des Landes wählte er seine Seite, wohl wissend, dass es sein Volk dazu verdammt, sich für immer auf die Waffe zu verlassen. Dayan wusste auch gut, was die israelische Öffentlichkeit akzeptieren konnte. Es war wegen seiner Ambivalenz darüber, wo Schuld und Verantwortung für Ungerechtigkeit und Gewalt lagen, und seiner entschlossenen, tragischen Sicht der Geschichte, dass die beiden Versionen seiner Rede an sehr unterschiedliche politische Orientierungen appellierten.


    Moshe Dayan, then Israel’s minister of defence, with Henry Kissinger, US national security advisor, in 1974.

    Moshe Dayan, damals Israels Verteidigungsminister, 1974 mit Henry Kissinger, dem nationalen Sicherheitsberater der USA.Foto: FotoQuest/Getty Images


    Jahrzehnte später, nach vielen weiteren Kriegen und Blutflüssen, betitelte Dayan sein letztes Buch Shall the Sword Devour Forever? Das 1981 veröffentlichte Buch beschrieb seine Rolle bei der Erreichung eines Friedensabkommens mit Ägypten zwei Jahre zuvor. Er hatte endlich die Wahrheit über den zweiten Teil des biblischen Verses erfahren, aus dem er den Titel des Buches nahm: „Wissen Sie nicht, dass es in letzterem Ende Bitterkeit sein wird?“

    Aber in seiner Rede von 1956, mit seinen Hinweisen auf das Tragen der schweren Tore von Gaza und den Palästinensern, die auf einen Moment der Schwäche warteten, spielte Dayan auf die biblische Geschichte von Samson an. Wie sich seine Zuhörer erinnert hätten, war Samson der Israelite, dessen übermenschliche Kraft aus seinen langen Haaren stammte, in der Angewohnheit, Prostituierte in Gaza zu besuchen. Die Philister, die ihn als ihren Todfeind ansahen, hofften, ihn an die verschlossenen Tore der Stadt zu überfallen. Aber Samson hob einfach die Tore auf seinen Schultern und ging frei. Erst als seine Geliebte Delilah ihn austrickste und ihm die Haare abschnitt, konnten ihn die Philister gefangen nehmen und einsperren, was ihn umso machtloser machte, indem sie seine Augen ausstochen (wie die Bewohner des Gazastreifens, die Ro’i verstümmelten, angeblich auch getan haben). Aber in einer letzten Leistung der Tapferkeit, wie er von seinen Entführern verspottet wird, ruft Samson um Gottes Hilfe, ergreift die Säulen des Tempels, zu dem er geführt wurde, und bricht es auf die fröhliche Menge um ihn herum zusammen und ruft: „Lass mich mit den Philistern sterben!“

    Diese Tore von Gaza sind tief in der zionistischen israelischen Vorstellungskraft untergebracht, ein Symbol für die Kluft zwischen uns und den „Barbarianern“. Im Fall von Ro’i, behauptete Dayan, „die Sehnsucht nach Frieden versperrte seine Ohren, und er hörte nicht, wie die Stimme des Mordes im Hinterhalt wartete. Die Tore von Gaza belasteten sich zu schwer auf seinen Schultern und brachten ihn zu Fall.“

    Am 8. Oktober 2023 wandte sich Präsident Isaac Herzog an die israelische Öffentlichkeit und zitierte die letzte Zeile von Dayans Rede: „Dies ist das Schicksal unserer Generation. Das ist die Wahl unseres Lebens – bereit und bewaffnet und stark und hart. Denn wenn das Schwert von unserer Faust fällt, wird unser Leben abgeholzt.“ Am Vortag, 67 Jahre nach Ro’is Tod, hatten Hamas-Aktivisten 15 Bewohner des Kibbuz Nahal Oz ermordet und acht Geiseln genommen. Seit Israels Vergeltungsüberfall in Gaza wurde das palästinensische Viertel Shuja’iyya gegenüber dem Kibbuz, in dem 100.000 Menschen gelebt hatten, von seiner Bevölkerung geleert und in einen riesigen Schutthaufen verwandelt.


    One of the seltener literarischer Versuche, die düstere Logik der israelischen Kriege aufzudecken, ist Anadad Eldans außergewöhnliches Gedicht Samson Tearing His Clothes von 1971, in dem dieser alte hebräische Held seinen Weg ins und aus Gaza krachen und nur Verderbnis in seinen Spuren hinterlassen. Ich erfuhr zuerst von diesem Gedicht aus Arie Dubnovs herausragendem hebräischsprachigen Essay „Die Tore von Gaza, "veröffentlicht im Januar 2024. Samson, der Held, der Prophet, der Dums des ewigen Feindes der Nation, verwandelt sich in seinen Todesengel, ein Tod, der, wie wir uns erinnern, auch in einer großen selbstmörderischen Aktion auf sich bringt, die bis heute durch die Generationen widerhallt.

    Als ich ging
    nach Gaza traf ich
    Samson kommt heraus und zerriss seine Kleidung
    auf seinen zerkratzten Gesichtsflüssen floss
    und die Häuser sen, um ihn zu lassen
    pass
    seine Schmerzen entwurzelten Bäume und wurden in der
    verheddert
    Wurzeln. In den Wurzeln waren seine
    Haar.
    Sein Kopf glänzte wie ein Schädel aus Stein
    und seine schwankenden Schritte zerrten meine Tränen
    Samson ging mit einer müden Sonne
    zerschmetterte Fensterscheiben und Ketten im Gaza-Kinedsee
    wurde ertränkt. Ich hörte, wie
    die Erde stöhnte unter seinen Stufen,
    wie er ihren Bauch aufschlitzte. Samson
    Schuhe kreischen, als er ging.

    Der 1924 als Avraham Bleiberg in Polen geborene Eldan kam als Kind nach Palästina, kämpfte 1948 im Krieg und zog 1960 in den Kibbuz Be’eri, etwa 4 km vom Gazastreifen entfernt. Am 7. Oktober 2023 überlebten der 99-jährige Eldan und seine Frau das Massaker an etwa hundert Bewohnern des Kibbuz, als die Militanten, die in ihr Haus gingen, sie unerklärlicherweise verschonlich verschonlich verschonierten.

    Nach dem 7. Oktober, nach dem wundersamen Überleben dieses obskuren Dichters, wurde ein anderes Werk von ihm in israelischen Medien weit verbreitet. Denn es schien, als hätte Eldan, ein langjähriger Chronist der Trauer und des Schmerzes, die durch Unterdrückung und Ungerechtigkeit ausgelöst wurden, die Katastrophe vorhergesagt, die sein Zuhause erschütterte. 2016 hatte er unter dem Titel Six the Hour of Dawn eine Gedichtsammlung veröffentlicht. Das war die Stunde, in der der Hamas-Angriff begann. Das Buch enthält das erschütternde Gedicht On the Walls of Be’eri, das den Tod seiner Tochter vor Krankheit trauert (auf Hebräisch bedeutet der Name des Kibbuz auch „mein gut“).

    Im Gefolge des 7. Oktober scheint das Gedicht sowohl die Zerstörung vorherzierungsvorhersagen als auch eine bestimmte Sicht des Zionismus zu vermitteln, die ihren Ursprung in der diasporischen Katastrophe und Verzweiflung hat und die Nation in ein verfluchtes Land bringt, in dem Kinder von ihren Eltern begraben werden, aber dennoch die Hoffnung auf eine neue und hoffnungsvolle Morgendämmerung ausdringen:

    An den Wänden von Be’eri schrieb ich ihre Geschichte
    aus Herkunft und Tiefe, die durch Kälte ausgefranst sind
    wenn sie lasen, was vor Schmerzen und ihren Lichtern geschah
    stürzte in denist und die Dunkelheit der Nacht und ein heulen hervorgebracht
    Gebet, denn ihre Kinder sind gefallen und eine Tür ist verschlossen
    für die Gnade des Himmels atmen sie Trostlosigkeit und Trauer
    wer tröstet untröstliche Eltern, für einen Fluch
    lässt Flüstern weder Tau noch Regen, man kann weinen, wenn man kann
    es gibt eine Zeit, in der Dunkelheit brüllt, aber es gibt Morgendämmerung und Ausstrahlung

    Wie Dayans Lobrede für Ro’i bedeutet On the Walls of Be’eri für verschiedene Menschen verschiedene Dinge. Sollte es als Klagelied über die Zerstörung eines schönen und unschuldigen Kibbuz in der Wüste gelesen werden, oder ist es ein Schrei des Schmerzes über den endlosen blutigen Rachefeldzug zwischen den beiden Völkern dieses Landes? Der Dichter hat uns nicht seine Bedeutung gesagt, wie es die Art der Dichter ist. Immerhin hat er das vor Jahren in Trauer um seine geliebte Tochter geschrieben. Aber angesichts seiner vielen Jahre ruhigen, präzisen und sengenden Werkes scheint es nicht phantasievoll zu glauben, dass das Gedicht eher ein Aufruf zur Versöhnung und Koexistenz war, als für mehr Zyklen von Blutvergießen und Rache.


    As es passiert, ich habe eine persönliche Verbindung zum Be’eri Kibbuz. Dort wuchs meine Schwiegertochter auf, und meine Reise nach Israel im Juni war in erster Linie, um die Zwillinge zu besuchen - meine Enkelkinder -, die sie im Januar 2024 auf die Welt gebracht hatte. Der Kibbuz war jedoch aufgegeben worden. Mein Sohn, meine Schwiegertochter und ihre Kinder waren mit einer Familie von Überlebenden in eine nahe gelegene leerstehende Wohnung gezogen - nahe Verwandte, deren Vater immer noch als Geisel gehalten wird - und eine unvorstellbare Kombination aus neuem Leben und untröstlicher Trauer in einem Haus.

    Ich war nicht nur die Familie, sondern auch nach Israel gekommen, um Freunde zu treffen. Ich hoffte, das, was seit Kriegsbeginn im Land passiert war, zu verstehen. Der abgebrochene Vortrag in der BGU stand nicht ganz oben auf meiner Agenda. Aber als ich an diesem Mitte Juni im Hörsaal ankam, verstand ich schnell, dass diese explosive Situation auch einige Hinweise auf das Verständnis der Mentalität einer jüngeren Generation von Studenten und Soldaten geben könnte.

    Nachdem wir uns hingesetzt hatten und zu reden begannen, wurde mir klar, dass die Studenten gehört werden wollten und dass niemand, vielleicht sogar ihre eigenen Professoren und Universitätsverwalter, daran interessiert war, zuzuhören. Meine Anwesenheit und ihr vager Wissen über meine Kritik am Krieg lösten in ihnen das Bedürfnis aus, mir zu erklären, aber vielleicht auch sich selbst, was sie als Soldaten und als Bürger engagiert hatten.

    Eine junge Frau, die vor kurzem vom langen Militärdienst in Gaza zurückgekehrt war, sprang auf die Bühne und sprach mit Nachdruck über die Freunde, die sie verloren hatte, die bösartige Natur der Hamas und die Tatsache, dass sie und ihre Kameraden sich selbst opferten, um die zukünftige Sicherheit des Landes zu gewährleisten. Tief verstört begann sie auf halbem Weg durch ihre Rede zu weinen und trat zurück. Ein junger Mann, der gesammelt und artikuliert wurde, wies meinen Vorschlag zurück, dass Kritik an der israelischen Politik nicht unbedingt durch Antisemitismus motiviert sei. Er startete dann einen kurzen Überblick über die Geschichte des Zionismus als Antwort auf den Antisemitismus und als einen politischen Weg, den keine Heiden ein Recht zu leugnen hätten. Während sie durch meine Ansichten verärgert waren und durch ihre eigenen jüngsten Erfahrungen in Gaza aufgeregt waren, waren die von den Studenten geäußerten Meinungen in keiner Weise außergewöhnlich. Sie spiegelten viel größere Teile der öffentlichen Meinung in Israel wider.

    Da ich wusste, dass ich zuvor vor Völkermord gewarnt hatte, wollten die Studenten mir besonders zeigen, dass sie menschlich waren, dass sie keine Mörder waren. Sie hatten keinen Zweifel daran, dass die IDF tatsächlich die moralischste Armee der Welt war. Aber sie waren auch davon überzeugt, dass jeder Schaden, der den Menschen und Gebäuden in Gaza zugefügt wurde, völlig gerechtfertigt war, dass es die ganze Schuld der Hamas war, sie als menschliche Schutzschilde zu benutzen.

    Sie zeigten mir Fotos auf ihren Telefonen, um zu beweisen, dass sie sich bewundernswert gegenüber Kindern verhalten hatten, bestritten, dass es Hunger in Gaza gab, bestand darauf, dass die systematische Zerstörung von Schulen, Universitäten, Krankenhäusern, öffentlichen Gebäuden, Wohnungen und Infrastruktur notwendig und gerechtfertigt sei. Sie betrachteten jede Kritik an der israelischen Politik anderer Länder und der Vereinten Nationen als einfach antisemitisch.

    Im Gegensatz zur Mehrheit der Israelis hatten diese jungen Menschen die Zerstörung von Gaza mit eigenen Augen gesehen. Es schien mir, dass sie nicht nur eine bestimmte Ansicht verinnerlicht hatten, die in Israel alltäglich geworden ist - nämlich, dass die Zerstörung von Gaza als solches eine legitime Antwort auf den 7. Oktober war - sondern auch eine Art zu denken entwickelt hatten, die ich vor vielen Jahren beim Studium des Verhaltens, der Weltanschauung und der Selbstwahrnehmung der deutschen Armeesoldaten beobachtet hatte. Nachdem sie bestimmte Ansichten des Feindes – die Bolschewiki als Untermenschen ; Hamas als Menschentiere - und der breiteren Bevölkerung als weniger als menschlich verinnerlicht und unwürdige Rechte verinnerlicht haben, neigen Soldaten, die Gräueltaten beobachten oder verüben, dazu, sie nicht ihrem eigenen Militär oder sich selbst, sondern dem Feind zuzuschreiben.

    Tausende Kinder wurden getötet? Es ist die Schuld des Feindes. Unsere eigenen Kinder wurden getötet? Das ist sicherlich die Schuld des Feindes. Wenn die Hamas ein Massaker in einem Kibbuz verübt, sind sie Nazis. Wenn wir 2.000-Pfund-Bomben auf Flüchtlingsunterkünfte abwerfen und Hunderte von Zivilisten töten, ist es die Schuld der Hamas, sich in der Nähe dieser Unterkünfte versteckt zu haben. Nach dem, was sie uns angegangen sind, haben wir keine andere Wahl, als sie auszurotten. Nach dem, was wir ihnen angegangen sind, können wir uns nur vorstellen, was sie uns angehen würden, wenn wir sie nicht zerstören. Wir haben einfach keine Wahl.

    Mitte Juli 1941, nur wenige Wochen nachdem Deutschland das, was Hitler als „Krieg der Vernichtung“ gegen die Sowjetunion bezeichnet hatte, startete, schrieb ein deutscher Unteroffizier von der Ostfront aus zu Hause:

    Das deutsche Volk schuldet unserem Führer eine große Schuld, denn wenn diese Bestien, die hier unsere Feinde sind, nach Deutschland gekommen wären, solche Morde hätten stattgefunden, die die Welt noch nie gesehen hat ... Was wir gesehen haben ... grenzt an das Unglaubliche ... Und wenn man den Der Stürme [eine Nazi-Zeitung] liest und hier ein Bild von dem, was wir hier sehen, ist das, was wir hier sehen,von den Juden.

    Ein Propagandablatt der Armee, das im Juni 1941 herausgegeben wurde, zeichnet ein ähnlich alptraumhaftes Bild politischer Offiziere der Roten Armee, das viele Soldaten bald als Spiegel der Realität empkundierten:

    Wer jemals das Gesicht eines Roten Kommissars betrachtet hat, weiß, wie die Bolschewiki sind. Hier gibt es keinen Bedarf an theoretischen Ausdrücken. Wir würden die Tiere beleidigen, wenn wir diese meist jüdischen Männer als Tiere beschreiben würden. Sie sind die Verkörperung des satanischen und wahnsinnigen Hasses gegen die ganze edle Menschheit ... [Sie] hätten allen Sinnvollen Leben ein Ende gesetzt, wenn diese Eruption im letzten Moment nicht aufgestaut worden wäre.

    Israel’s prime minister, Benjamin Netanyahu, visits Rafah in the Gaza Strip on 18 July 2024.

    Israels Premierminister Benjamin Netanyahu besucht Rafah am 18. Juli 2024.Foto: Avi Ohayon/Israel Gpo/Zuma Press Wire/Rex/Shutterstock


    Zwei Tage nach dem Hamas-Angriff erklärte Verteidigungsminister Yoav Gallant: „Wir kämpfen gegen menschliche Tiere, und wir müssen entsprechend handeln“, und fügte später hinzu, dass Israel „ein Viertel nach dem anderen in Gaza auseinanderbrechen“ würde. Der ehemalige Premierminister Naftali Bennett bestätigte: „Wir kämpfen gegen Nazis.“ Premierminister Benjamin Netanyahu ermahnte die Israelis, „sich daran zu erinnern, was Amalek Ihnen angetan hat“, in Anspielung auf den biblischen Aufruf, Amaleks „Männer und Frauen, Kinder und Säuglinge“ auszurotten. In einem Radiointerview sagte er über die Hamas: „Ich nenne sie nicht menschliche Tiere, weil das Tiere beleidigen würde.“ Der stellvertretende Knesset-Sprecher Nissim Vaturi schrieb auf X, dass Israels Ziel darin bestehen sollte, "den Gazastreifen vom Antone der Erde zu zermürben". Im israelischen Fernsehen erklärte er: „Es gibt keine unbeteiligten Menschen ... wir müssen dort hingehen und töten, töten, töten. Wir müssen sie töten, bevor sie uns töten.“ Finanzminister Bezalel Smotrich betonte in einer Rede: „Die Arbeit muss abgeschlossen sein ... Totale Zerstörung. „Die Erinnerung an Amalek unter dem Himmel aus.“ Avi Dichter, Landwirtschaftsminister und ehemaliger Chef des Geheimdienstes Shin Bet, sprach über die „Ausbreitung der Gaza Nakba“. Ein israelischer 95-jähriger Militärveteran, dessen Motivationsrede vor IDF-Truppen, die sich auf die Invasion von Gaza vorbereiteten, sie aufforderte, „ihres Andenken, ihre Familien, Mütter und Kinder auszulöschen“, erhielt vom israelischen Präsidenten Herzog eine Ehrenurkunde dafür, dass er Generationen von Soldaten „ein wunderbares Beispiel gegeben hatte“. Kein Wunder, dass es unzählige Social-Media-Posts von IDF-Truppen in Gaza gab, die dazu aufriefen, „die Araber zu töten“, „ihre Mütter zu verbrennen“ und Gaza „abzuflachen“. Es gab keine bekannten Disziplinarmaßnahmen ihrer Kommandeure.

    Dies ist die Logik der endlosen Gewalt, eine Logik, die es einem erlaubt, ganze Bevölkerungen zu zerstören und sich dabei völlig gerechtfertigt zu fühlen. Es ist eine Logik der Opferrolle – wir müssen sie töten, bevor sie uns töten, wie sie es vorher getan haben – und nichts stärkt Gewalt mehr als ein aufrichtiges Opfergefühl. Schauen Sie sich an, was uns 1918 passierte, sagten deutsche Soldaten 1942 und erinnerten sich an den propagandistischen „Stich-in-the-Back“-Mythos, der Deutschlands katastrophale Niederlage im ersten Weltkrieg auf jüdischen und kommunistischen Verrat zurückführte. Schauen Sie sich an, was uns im Holocaust passiert ist, als wir darauf vertrauten, dass andere uns zu Hilfe kommen würden, sagen IDF-Truppen im Jahr 2024 und geben sich damit die Lizenz für wahllose Zerstörung aufgrund einer falschen Analogie zwischen der Hamas und den Nazis.

    Die jungen Männer und Frauen, mit denen ich an diesem Tag sprach, waren voller Wut, nicht so sehr gegen mich - sie beruhigten sich ein wenig, als ich meinen eigenen Militärdienst erwähnte - sondern weil sie sich, glaube ich, von allen um sie herum verraten fühlten. Verraten von den Medien, die sie als zu kritisch empfanden, von hochrangigen Kommandeuren, die sie für zu milde gegenüber den Palästinensern hielten, von Politikern, die es versäumt hatten, das Fiasko vom 7. Oktober zu verhindern, indem die IDF nicht in der Lage war, „totalen Sieges zu erreichen“, indem Intellektuelle und Linke sie unfair kritisierten, durch die US-Regierung, die nicht genügend Antibiotika herstellten.Antisemitische Studenten protestieren gegen ihre Aktionen in Gaza. Sie schienen ängstlich und unsicher und verwirrt, und einige litten wahrscheinlich auch an PTBS.

    Ich erzählte ihnen die Geschichte, wie das deutsche Studentenwerk 1930 demokratisch von den Nazis übernommen wurde. Die Studenten dieser Zeit fühlten sich durch den Verlust des Ersten Weltkriegs, den Verlust der Chancen wegen der Wirtschaftskrise und den Verlust von Land und Prestige im Zuge des demütigenden Friedensvertrags von Versailles verraten. Sie wollten Deutschland wieder groß machen, und Hitler schien in der Lage zu sein, dieses Versprechen zu erfüllen. Deutschlands inneren Feinde wurden weggesteckt, seine Wirtschaft florierte, andere Nationen fürchteten es wieder, und dann ging es in den Krieg, eroberte Europa und ermordete Millionen von Menschen. Schließlich wurde das Land völlig zerstört. Ich fragte mich laut, ob vielleicht die wenigen deutschen Studenten, die diese 15 Jahre überlebten, ihre Entscheidung 1930 bedauerten, den Nazismus zu unterstützen. Aber ich glaube nicht, dass die jungen Männer und Frauen an der BGU die Auswirkungen dessen verstanden haben, was ich ihnen gesagt hatte.

    Die Studenten waren gleichzeitig beängstigend und verängstigt, und ihre Angst machte sie umso aggressiver. Dieses Ausmaß an Bedrohung sowie ein gewisses Maß an Meinungsverschiedenheiten schienen Angst und Unterwürfigkeit in ihren Vorgesetzten, Professoren und Administratoren hervorgerufen zu haben, die große Abneigung zeigten, sie in irgendeiner Weise zu disziplinieren. Zur gleichen Zeit haben eine Vielzahl von Medienexperten und Politikern diese Verdrängungsgelern bejubelt, sie nur einen Moment als Helden bezeichnet, bevor sie sie in den Boden gesteckt und ihren trauernden Familien den Rücken gekehrt haben. Die gefallenen Soldaten starben aus einem guten Zweck, wird den Familien gesagt. Aber niemand nimmt sich die Zeit, um zu artikulieren, was diese Ursache tatsächlich über das schiere Überleben hinausgeht, durch immer mehr Gewalt.

    Und so taten mir auch diese Studenten, die so nicht wussten, wie sie manipuliert worden waren. Aber ich verließ dieses Treffen voller Beklommenheit und Vorahnung.


    As Ich ging Ende Juni zurück in die Vereinigten Staaten, ich dachte über meine Erfahrungen über diese beiden chaotischen und beunruhigenden Wochen nach. Ich war mir meiner tiefen Verbindung zu dem Land bewusst, das ich verlassen hatte. Es geht nicht nur um meine Beziehung zu meiner israelischen Familie und meinen Freunden, sondern auch um den besonderen Tenor der israelischen Kultur und Gesellschaft, der durch ihren Mangel an Distanz oder Ehrerbietung gekennzeichnet ist. Das kann herzerwärmend und aufschlussreich sein; man kann sich fast augenblicklich in intensiven, sogar intimen Gesprächen mit anderen auf der Straße, in einem Café, in einer Bar befinden.

    Doch derselbe Aspekt des israelischen Lebens kann auch endlos frustrierend sein, da es so wenig Respekt vor sozialen Nettigkeiten gibt. Es gibt fast einen Kult der Aufrichtigkeit, eine Verpflichtung, Ihre Meinung zu sagen, egal mit wem Sie sprechen oder wie viel Beleidigung es verursachen kann. Diese gemeinsame Erwartung schafft sowohl ein Gefühl der Solidarität als auch von Linien, die nicht überschritten werden können. Wenn Sie bei uns sind, sind wir alle Familie. Wenn Sie sich gegen uns wenden oder auf der anderen Seite der nationalen Kluft sind, sind Sie ausgeschlossen und können erwarten, dass wir nach Ihnen kommen.

    Das mag auch der Grund gewesen sein, warum ich dieses Mal zum ersten Mal besorgt war, nach Israel zu gehen, und warum ein Teil von mir froh war, zu gehen. Das Land hatte sich in sichtbarer und subtiler Weise verändert, wie es eine Barriere zwischen mir, als Beobachter von außen und denen, die ein organischer Teil davon geblieben sind, eine Barriere hätte erhöhen können.

    Aber ein anderer Teil meiner Befürchtungen hatte damit zu tun, dass sich meine Sicht der Geschehnisse in Gaza verschoben hatte. Am 10. November 2023 schrieb ich in der New York Times: "Als Historiker des Völkermords glaube ich, dass es keinen Beweis dafür gibt, dass Völkermord jetzt in Gaza stattfindet, obwohl es sehr wahrscheinlich ist, dass Kriegsverbrechen und sogar Verbrechen gegen die Menschlichkeit stattfinden. [...] Wir wissen aus der Geschichte, dass es entscheidend ist, vor dem Potenzial für Völkermord zu warnen, bevor es auftritt, anstatt es verspätet zu verurteilen, nachdem es stattgefunden hat. Ich glaube, wir haben noch Zeit.“

    Das glaube ich nicht mehr. Als ich nach Israel reiste, war ich davon überzeugt, dass es zumindest seit dem Angriff der IDF auf Rafah am 6. Mai 2024 nicht mehr möglich war, zu leugnen, dass Israel systematische Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord verübt wurde. Es war nicht nur so, dass dieser Angriff auf die letzte Konzentration der Bewohner des Gazastreifens – die meisten von ihnen bereits mehrmals von der IDF vertrieben wurden, die sie nun erneut in eine so genannte Sicherheitszone drängte – eine völlige Missachtung aller humanitären Standards zeigte. Es zeigte sich auch deutlich, dass das Endziel dieses gesamten Unternehmens von Anfang an darin bestand, den gesamten Gazastreifen unbewohnbar zu machen und seine Bevölkerung so zu schwächen, dass sie entweder aussterben oder alle möglichen Optionen suchen würde, um das Gebiet zu verlassen. Mit anderen Worten, die Rhetorik, die von den israelischen Führern seit dem 7. Oktober verbreitet wurde, wurde nun in die Realität umgesetzt – nämlich, wie es die UN-Gruhekonvention von 1948 ausdrückte, dass Israel „mit der Absicht handelte, die palästinensische Bevölkerung in Gaza ganz oder teilweise zu zerstören, "als so, indem es tötet, schwere Schäden verursacht oder die Zerstörung von Menschen verursacht".

    Dies waren Themen, die ich nur mit einer sehr kleinen Handvoll Aktivisten, Gelehrten, Völkerrechtsexperten und, nicht überraschend, palästinensischen Bürgern Israels diskutieren konnte. Über diesen begrenzten Kreis hinaus sind solche Aussagen über die Illegalität israelischer Aktionen in Gaza in Israel ein Gräuel. Selbst die überwiegende Mehrheit der Demonstranten gegen die Regierung, diejenigen, die einen Waffenstillstand und die Freilassung der Geiseln fordern, wird sie nicht würdigen.

    Seit ich von meinem Besuch zurückgekehrt bin, versuche ich, meine Erfahrungen dort in einen größeren Kontext zu stellen. Die Realität vor Ort ist so verheerend, und die Zukunft erscheint so düster, dass ich mir erlaubt habe, mich einer konterkischen Geschichte hinzugeben und einige hoffnungsvolle Spekulationen über eine andere Zukunft zu führen. Ich frage mich, was passiert wäre, wenn der neu geschaffene Staat Israel sein Engagement erfüllt hätte, eine Verfassung auf der Grundlage seiner Unabhängigkeitserklärung zu erlassen? Dieselbe Erklärung, in der es hieß, dass Israel „auf Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden basieren wird, wie es von den Propheten Israels vorgesehen ist; sie wird die vollständige Gleichheit der sozialen und politischen Rechte gegenüber allen ihren Bewohnern unabhängig von Religion, Rasse oder Geschlecht gewährleisten; sie wird die Freiheit der Religion, des Gewissens, der Sprache, der Erziehung und der Kultur gewährleisten; sie wird die Heiligen Stätten aller Religionen schützen, und sie wird die Prinzipien der Vereinten Nationen schützen.


    Welche Auswirkungen hätte eine solche Verfassung auf die Natur des Staates gehabt? Wie hätte es die Transformation des Zionismus von einer Ideologie gemildert, die die Juden von der Erniedrigung des Exils und der Diskriminierung befreien und sie auf das gleiche Stehen mit den anderen Nationen der Welt zu bringen, zu einer staatlichen Ideologie des Ethnonationalismus, Unterdrückung anderer, Expansionismus und Apartheid? Während der wenigen hoffnungsvollen Jahre des Osloer Friedensprozesses begannen die Menschen in Israel davon zu sprechen, es zu einem „Staat aller seiner Bürger“, Juden und Palästinenser gleichermaßen, zu machen. Die Ermordung von Premierminister Rabin im Jahr 1995 beendete diesen Traum. Wird es Israel jemals möglich sein, die gewalttätigen, ausschließenden, militanten und zunehmend rassistischen Aspekte seiner Vision zu verwerfen, da es jetzt von so vielen seiner jüdischen Bürger dort angenommen wird? Wird sie sich jemals neu vorstellen können, wie es sich seine Gründer so eloquent vorgestellt hatten - als eine Nation, die auf Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden basiert?

    Es ist derzeit schwierig, sich solchen Fantasien hinzugeben. Aber vielleicht gerade wegen des Tiefpunkts, in dem sich die Israelis und noch viel mehr Palästinenser jetzt befinden, und der Flugbahn der regionalen Zerstörung, auf die ihre Führer sie gesetzt haben, bete ich, dass endlich alternative Stimmen erhoben werden. Denn, in den Worten des Dichters Eldan, "gibt es eine Zeit, in der die Dunkelheit brüllt, aber es Morgendämmerung und Glanz gibt".

    Folgen Sie dem Long Read on X at.gdnlongread, unsere Podcasts hörenhierund melden Sie sich für die lange gelesene wöchentliche E-Mail anhier.

    Wir alle wurden von den jüngsten Ereignissen in Israel und Gaza zutiefst erschüttert. Dieser jüngste Konflikt markiert den Beginn eines Kapitels, das wahrscheinlich Millionen von Leben betreffen wird, sowohl im Nahen Osten als auch darüber hinaus, auf Jahre hinaus. Mit Reportern vor Ort und anderen, die Live-Blogs, Videos, Podcasts und Foto-Essays produzieren, während sich die Geschichte entfaltet, ist der Guardian darauf ausgelegt, Ihnen rund um die Uhr unabhängigen, faktengeprüften Journalismus zu bringen.


    Info: https://www.theguardian.com/world/article/2024/aug/13/israel-gaza-historian-omer-bartov


    unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält

    15.08.2024

    Ukraine: Hunderttausende Männer wegen Kriegsdienst untergetaucht

    multipolar-magazin.de, 13. August 2024 , Kiew. (multipolar)

    Ausschussvorsitzender: Rund 800.000 Wehrpflichtige leben „im Untergrund“ / Anzahl der Deserteure erreicht neuen Höchststand / Widerstand in Bevölkerung und Unternehmen


    Rund 800.000 Männer sind laut Dmytro Natalukha, dem Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses des ukrainischen Parlaments, innerhalb der Ukraine untergetaucht, um sich dem Kriegsdienst zu entziehen. Dies berichtet die US-Zeitung „Financial Times“ (4. August) und bezeichnet den Zustand als Leben „im Untergrund“. Die wehrpflichtigen Männer wechselten demnach ihren Wohnort und arbeiten nur inoffiziell gegen Barzahlung. Die ukrainischen Behörden hätten keinen Zugriff auf diese Männer.

    Auch zeichnet sich verstärkter Widerstand gegen neue Rekrutierungen ab: In der nordwestukrainischen Stadt Kowel kam es Anfang August zu spontanen Protesten der Bevölkerung, nachdem mehrere junge Männer von der Polizei verhaftet und zur örtlichen Registrierungsstelle für den Militärdienst gebracht wurden. Die Behörden ließen die Eingezogenen daraufhin wieder frei. Zudem erreichte die Zahl der Deserteure im ersten Halbjahr 2024 mit 29.000 eingeleiteten Verfahren ein Rekordhoch. Zahlreiche Männer versuchen auch weiterhin, das Land zu verlassen. Regelmäßig kommt es zu Berichten über an der Grenze festgenommene, tödlich verunglückte oder erschossene Ukrainer.

    Diese Entwicklungen stehen im Zusammenhang mit zwei neuen Mobilisierungsgesetzen, die im April von Präsident Wolodymyr Selenskyj unterzeichnet wurden und im Mai in Kraft traten. Ende 2023 hatte Selenskyj bereits verkündet, dass die Ukraine 500.000 neue Soldaten brauche, um der russischen Armee standzuhalten. Laut amtlichen ukrainischen Zahlen ist bereits jeder achte wehrfähige Mann im Land Invalide.

    Das erste Gesetz senkt das Mindestalter für den Einzug von Wehrpflichtigen von 27 auf 25 Jahre ab. Laut Angaben der New York Times betrug die Anzahl der 25- und 26-jährigen männlichen Ukrainer im Jahr 2022 jedoch lediglich 467.000, einschließlich derjenigen, die in den von Russland kontrollierten Gebieten oder im Ausland leben. Das zweite Gesetz verpflichtet alle ukrainischen Männer im Alter von 18 bis 60 Jahren, sich bei den militärischen Registrierungsstellen zu melden und die entsprechenden Dokumente stets bei sich zu führen. Verstöße gegen das Gesetz werden mit Geldstrafen und dem Verlust des Führerscheins geahndet.

    Auch ukrainische Männer im Ausland in dieser Altersspanne müssen sich bei den Registrierungsstellen melden, was nur in ihrem Heimatland möglich ist. Kommen sie dem nicht nach, stehen ihnen keine konsularischen Dienstleistungen wie die Verlängerung ihres Passes mehr zur Verfügung. Dies kann rechtliche Folgen haben, beispielsweise bei der Eröffnung eines Bankkontos im Ausland. Laut dem Statistischen Amt der Europäischen Union waren Ende 2023 mindestens 650.000 ukrainische Männer zwischen 18 und 64 Jahren in der EU, Schweiz, Norwegen, Island und Liechtenstein als Flüchtlinge registriert, davon 247.000 im Alter zwischen 18 und 60 Jahren allein in Deutschland.

    Eine anfangs diskutierte Begrenzung des Wehrdienstes in der Ukraine auf maximal 36 Monate hat das ukrainische Parlament hingegen nicht beschlossen – offenbar auf Druck des neuen Oberbefehlshabers der Streitkräfte Oleksandr Syrskyj. Laut der Deutschen Welle sind jedoch der Wunsch der Soldaten nach Erholung, ein schlechter psychologischer Zustand sowie Erschöpfung die Hauptgründe für die hohe Anzahl an Deserteuren. Die offizielle Wehrdienstzeit beträgt 18 Monate. Gegen das neue Mobilisierungsgesetz hatten ukrainische Fernfahrer bereits im Mai mit einer Blockade der Autobahn Kiew-Odessa protestiert.

    Durch die neue Mobilisierungskampagne gerät auch die ukrainische Wirtschaft weiter unter Druck. Laut Informationen der Financial Times fordern die größten Unternehmen des Landes umfassende Ausnahmen für ihre Mitarbeiter vom Militärdienst, um das wirtschaftliche Überleben der Ukraine zu sichern. Die Firmen hatten vorgeschlagen, eine Schutzgebühr von 20.000 Griwna (440 Euro) für jeden Arbeiter an den Staat zu zahlen oder eine Gehaltsgrenze einzuführen, ab der man nicht mehr mobilisiert werden darf. Auch wegen der stark verbreiteten Korruption in der Ukraine, die es wohlhabenden Bürgern ermöglicht, sich vom Kriegsdienst freizukaufen, hat sich in dem Land eine Debatte über ein gerechtes Wehrpflichtsystem entzündet.


    Hinweis zum Urheberrecht: Multipolar-Meldungen können frei von anderen Portalen übernommen werden. Bedingung einer Übernahme ist die Nennung der Quelle und die Einbettung des Originallinks. Textliche Ergänzungen oder andere inhaltliche Veränderungen der Originalmeldung müssen durch einen separaten Hinweis an die Leserschaft kenntlich gemacht werden.


    Info: https://multipolar-magazin.de/meldungen/0082


    unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält

    15.08.2024

    Nord Stream 2: Biden/Scholz PK Febr. 22 / Bauernopfer gefunden?

    aus e-mail von Doris Pumphrey, 15. August 2024, 16:42 Uhr


    Bundesregierung.de Mitschrift Pressekonferenz 7.2.2022

    <https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/pressekonferenz-von-bundeskanzler-scholz-und-dem-praesidenten-der-vereinigten-staaten-von-amerika-biden-am-7-februar-2022-in-washington-2003648>

    *Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz und dem Präsidenten der

    Vereinigten Staaten von Amerika Biden

    am 7. Februar 2022 in Washington


    */Auszüge zu den Fragen an Präsident Biden und Bundeskanzler Scholz über

    Nord Stream 2:


    /*Frage*: Herr Präsident, ich will Sie schon seit Langem fragen: Sie

    sind gegen Nord Stream 2. Sie haben das nicht erwähnt. Haben Sie

    Zusicherungen von Bundeskanzler Scholz bekommen, dass Deutschland dieses

    Projekt stoppen wird, wenn Russland in die Ukraine einmarschiert? (…)


    *P Biden:* Ich beantworte zunächst die erste Frage. Wenn Russland zum

    Beispiel mit Panzern und Truppen die Grenze zur Ukraine überquert, wird

    es Nord Stream 2 nicht mehr geben.


    *Zusatzfrage:* Aber wie genau machen Sie das? Das Projekt ist unter der

    Kontrolle Deutschlands.


    *P Biden:* Ich verspreche Ihnen: Das werden wir schaffen.


    *BK Scholz:* Schönen Dank für Ihre Frage. (…)

    (auf Englisch) Vielleicht ist das auch eine gute Gelegenheit, dass wir

    uns an unsere amerikanischen Freunde wenden. Wir stehen vereint. Wir

    unternehmen alle notwendigen Schritte, und alle von uns tun das gemeinsam.


    *Zusatzfrage:* Werden Sie heute diese Verpflichtungen eingehen, Nord

    Stream 2 zu beenden?


    *BK Scholz* (auf Englisch): Wie ich bereits gesagt habe: Wir stehen da

    zusammen. Wir sind hier absolut einer Meinung. Wir unternehmen die

    gleichen Schritte. Wir werden eine harte Reaktion gegenüber Russland fahren.


    *Frage:* Herr Präsident, (…) Zu Nord Stream 2 würde ich von Ihnen gern

    wissen, ob Sie angesichts der russischen Bedrohung nicht finden, dass

    Deutschland jetzt schon seine Position zu Nord Stream 2 überdenken sollte.

    (…)  Herr Bundeskanzler, an Sie auch eine Nachfrage zu Nord Stream 2:

    Sie sagen, alle Optionen lägen auf dem Tisch. Sie nennen Nord Stream 2

    nicht beim Namen. Glauben Sie nicht, dass Sie, wenn Sie es beim Namen

    nennen würden, Vertrauen bei östlichen Bündnispartnern und auch hier in

    den USA zurückgewinnen könnten?


    *P Biden:* Es gibt keinen Grund, Vertrauen zurückzugewinnen. Er hat das

    Vertrauen der Vereinigten Staaten. Deutschland ist einer unserer

    wichtigsten Alliierten und Verbündeten auf der ganzen Welt. (…)

    Deutschland ist ein komplett verlässlicher Partner. Daran habe ich keine

    Zweifel.


    *BK Scholz*: Wir sind eng mit den Vereinigten Staaten verbunden. Die

    transatlantische Partnerschaft zwischen Deutschland und den USA zählt zu

    den ganz, ganz wichtigen Konstanten der deutschen Politik, die auch für

    die Zukunft von allergrößter Bedeutung ist. Sie können sich darauf

    verlassen, dass das auch in der Zukunft immer ganz, ganz vorn bei den

    Prioritäten ist.

    (…)


    *Zusatzfrage:* Herr Präsident, (…) Zu Nord Stream 2 auch noch einmal die

    Frage: Halten Sie die aktuelle Positionierung in der jetzigen Situation

    angesichts der russischen Bedrohung für in Ordnung?


    *P Biden:* Sehen Sie, es gibt für die Vereinigten Staaten keinen Zweifel

    daran, dass Deutschland unglaublich zuverlässig als Partner ist und eine

    der größten Kräfte in der Nato.

    Zur Frage, ob Nord Stream 2 bei einer Invasion seitens Russlands

    voranschreiten würde: Das passiert einfach nicht.

    -------------------------------------------------------------------_


    RT DE 15.8.2024

    _*Bauernopfer gefunden? Ukrainischer General Saluschny soll Anschlag auf

    Nord Stream koordiniert haben


    *Wer war für den Anschlag auf Nord Stream verantwortlich? Ein US-Medium

    legt eine neue Fährte: Selenskij habe von den Plänen gewusst, wollte sie

    aber auf Bitten des CIA stoppen. Ex-Generalstabschef Saluschny habe den

    Plan eigenmächtig umgesetzt. Der weist die Vorwürfe als Provokation zurück.


    In der Frage, wer für den Anschlag auf Nord Stream verantwortlich ist,

    legt das /Wall Street Journal /(WSJ) eine neue Fährte

    <https://www.wsj.com/world/europe/nord-stream-pipeline-explosion-real-story-da24839c?mod=hp_lead_pos7>.

    Im Mai 2022 habe sich eine kleine Gruppe ukrainischer Militärs mit

    Geschäftsleuten getroffen und in heiterer Runde den Anschlag auf Nord

    Stream verabredet, schreibt das /WSJ/. Als Quelle gibt die Zeitung vier

    mit der Sache vertraute Personen an, die allerdings anonym bleiben.

    Präsident Selenskij sei informiert worden und habe den Plan zunächst

    unterstützt. An der Planung beteiligt war auch der damalige

    Generalstabschef der ukrainischen Streitkräfte, Waleri Saluschny.

    Saluschny ist inzwischen ukrainischer Botschafter in Großbritannien.


    Westliche Geheimdienste, so erzählt das /WSJ/ die Geschichte weiter,

    hätten allerdings von den Plänen Wind bekommen. Der US-Geheimdienst CIA

    hätte schließlich Selenskij gebeten, von den Anschlagplänen Abstand zu

    nehmen. Selenskij sei dem auch nachgekommen und habe die Notbremse

    gezogen. Das konnte den schon in Bewegung gesetzten Zug jedoch nicht

    mehr vollständig stoppen. Generalstabschef Saluschny hat sich

    selbstständig gemacht und den Plan eigenmächtig weiter verfolgt. Die

    Segeljacht Andromeda wurde gechartert, hunderte Kilogramm Sprengstoff an

    Bord gebracht. Ausrüstung fürs Tiefseetauchen besorgt und los ging es

    einmal quer durch die Ostsee. Die Kosten für die Sprengung der Pipeline

    gibt das /WSJ/ mit 300.000 US-Dollar an.


    Auf seine Beteiligung am Anschlag befragt, antwortete Saluschny, die

    ukrainischen Streitkräfte hätten gar nicht die Berechtigung gehabt,

    Operationen außerhalb des eigenen Territoriums durchzuführen. Es handele

    sich bei den Anschuldigungen um reine Provokation. Bei der jetzt

    veröffentlichten Geschichte würde Saluschny das Bauernopfer abgeben.

    Selenskij wäre dagegen reingewaschen und die Spur in die USA müsste von

    den Medien des Mainstreams weiterhin nicht erwähnt werden. Bequem ist

    obendrein, dass es keinerlei schriftliche Aufzeichnungen geben soll.


    Erst gestern meldete Generalbundesanwalt Rommel einen Ermittlungserfolg.

    Die Bundesanwaltschaft hat einen ersten Haftbefehl gegen einen Ukrainer

    erlassen, der sich in Polen aufhalten soll. Der Gesuchte konnte sich

    seiner Verhaftung allerdings entziehen. Die Spur droht kalt zu werden,

    was vielen ganz recht sein dürfte. Trotz der vehementen Anschuldigungen

    gegenüber der Ukraine will die Bundesregierung an der Unterstützung des

    Landes festhalten. Ob ein tatsächlicher Aufklärungswille besteht, ist

    weiterhin unklar. Aber der Wille zum Geschichtenerzählen ist ungebrochen.


    unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält

    15.08.2024

    "Die Deutschen haben keine Angst vor Krieg" Wie in Russland über die Stationierung von US-Langstreckenraketen berichtet wird

    anti-spiegel.ru, 15. August 2024 10:00 Uhr, von Anti-Spiegel

    Die Entscheidung der USA, in Deutschland wieder bodengestützte Langstreckenraketen zu stationieren, hat in Russland hohe Wellen geschlagen und viele Russen fragen sich, warum die Deutschen diese Provokation mitmachen.


    In Russland sind die Menschen wesentlich geschichtsbewusster als in Deutschland, weshalb man sich in Russland noch an die 1980er Jahren erinnert, als die Stationierung von Kurz- und Mittelstreckenraketen in Deutschland die Gefahr eines Atomkrieges aus Versehen erhöhte, weil die kurze Vorwarnzeit dieser Raketen der Gegenseite keine Zeit lässt, ein Radarsignal genau zu analysieren. Das bedeutet, dass man ein Signal irrtümlich für eine gegnerische Rakete halten und dann selbst auf den Knopf drücken kann.

    Genau diese Gefahr bestand in den 1980er Jahren, als in der DDR die russischen SS-20 und der Bundesrepublik die US-amerikanischen Pershing-Raketen stationiert waren. Der INF-Vertrag war vor allem für Europa eine unglaubliche Erhöhung der eigenen Sicherheit. Eine Übersicht über die nuklearen Rüstungskontrollverträge, die es im und nach dem Kalten Krieg zwischen den USA und Russland gegeben hat und die die USA alle gekündigt und/oder gebrochen haben, finden Sie hier.

    Den INF-Vertrag hat Präsident Trump 2019 gekündigt und es war bekannt, dass die USA bereits im Vorwege gegen ihn verstoßen hatten. Der Vertrag verbat ausdrücklich bodengestützte Kurz- und Mittelstreckenraketen, aber da die USA in ihrer sogenannten Raketenabwehr, die sie damals in Polen und Rumänien aufgebaut haben, Startrampen vom Typ Mk-41 eingebaut haben, die normalerweise Tomahawk-Marschflugkörper von Schiffen aus abfeuern können, war klar, dass die USA den Vertrag brechen würden, denn landgestützte Tomahawk-Marschflugkörper waren nach dem INF-Vertrag verboten, wurden durch den Einbau der Mk-41 in die Raketensilos in Polen und Rumänien aber möglich.

    Und so kam es auch, denn kaum zwei Wochen nachdem die Kündigung des INF-Vertrages wirksam geworden war, haben die USA bereits zum ersten Mal einen solchen Raketenstart vom Land aus getestet.

    Im Juli haben die USA verkündet, sie würden wieder solche Raketen in Deutschland stationieren, was die Bundesregierung ganz begeistert aufgenommen hat. In Russland ist man regelrecht fassungslos darüber, dass die deutsche Regierung dieses riskante Spiel mitspielt und dass es in Deutschland keine Proteste dagegen gibt, wie es sie in den 80er Jahren gegeben hat.

    Hier übersetze ich einen Artikel der russischen Nachrichtenagentur TASS über das Thema, der zeigt, wie in Russland über das Thema gedacht wird.


    Beginn der Übersetzung:

    Die Hälfte der Deutschen ist dagegen: Deutschland bereitet sich auf die Stationierung von Langstreckenwaffen aus den USA vor

    Die USA beabsichtigen, in einigen Jahren bodengestützte Kurz- und Mittelstreckenraketen in Deutschland zu stationieren und damit gegen die Bedingungen des freiwilligen Moratorium Russlands für die Stationierung von Kurz- und Mittelstreckenraketen zu verstoßen. Die deutsche Regierung hält die Pläne der USA für eine „sehr gute Entscheidung“, obwohl etwa die Hälfte der Deutschen dagegen ist. Wie die USA und Deutschland diese entscheidende Idee erklären und ob sie auf den Widerstand der deutschen Bürger stoßen wird, hat die TASS zusammengestellt.

    Das Gebiet amerikanischer Waffen

    Ab 2026 wird Deutschland neue Waffen aus den USA erhalten, deren Reichweite größer ist als die der heute in Europa stationierten Waffen. So will Washington das Engagement der USA in der NATO und den Beitrag Deutschlands zur „integrierten europäischen Abschreckungsfähigkeit“ demonstrieren.

    Laut einer gemeinsamen schriftlichen Erklärung der USA und Deutschlands werden die Waffen SM-6-Mehrzweckraketen, Tomahawk-Marschflugkörper und experimentelle Hyperschallwaffen umfassen. Die SM-6 hat eine maximale Reichweite von etwa 450 Kilometern. Die Tomahawk hat eine maximale Reichweite von über 1.600 Kilometern, das sind also Mittelstreckenraketen. Die USA haben seit den 1980er Jahren keine solchen bodengestützten Systeme mehr in Europa stationiert.

    Bundeskanzler Olaf Scholz nannte die Entscheidung „sehr gut“. Sie passe in die Sicherheitsstrategie der Bundesregierung, denn Deutschland brauche „eine eigene Verteidigung und Abschreckung“ und dafür brauche es Präzisionswaffen. „Diese Entscheidung wurde lange vorbereitet und ist keine wirkliche Überraschung für alle, die sich mit Sicherheits- und Friedenspolitik beschäftigen“, sagte er.

    Die Frage der Stationierung von US-Waffen auf dem deutschem Gebiet gab es schon vor Jahren mal. Im Rahmen des sogenannten „NATO-Doppelbeschlusses“, der am 12. Dezember 1979 von den Staatsoberhäuptern Großbritanniens, der USA, Frankreichs und Deutschlands verabschiedet wurde. Die NATO-Mitglieder vereinbarten, dass die Amerikaner schrittweise bis zu 600 mobile Mittelstreckenraketen (ballistische Pershing-2 und Marschflugkörper BGM-109G, die bodengestützte Version der Tomahawk) auf in Westeuropa, einschließlich der Bundesrepublik Deutschland, stationieren würden. Die Stationierung der Pershing-2 begann in Westdeutschland am 30. November 1983 und endete Ende 1985. Der Prozess wurde von Massenprotesten begleitet, aber die Regierung hielt an ihrer Entscheidung fest.

    Allerdings änderte sich die Politik schließlich mit der Unterzeichnung eines der wichtigsten Dokumente in der Geschichte der Rüstungskontrolle.

    Kein Moratorium

    1987 schlossen die UdSSR und die USA den Vertrag über die Vernichtung von Kurz- und Mittelstreckenraketen (INF-Vertrag). Die Vertragsparteien einigten sich auf ein Verbot der Erprobung von landgestützten Raketen mit mittlerer (1.000-5.500 km) und kurzer (500-1.000 km) Reichweite sowie von Trägersystemen für diese Raketen.

    Dieses Dokument war jahrzehntelang eines der wichtigsten Rüstungskontrollinstrumente, obwohl es immer wieder Gegenstand von Streitigkeiten zwischen den USA und Russland war. Doch das Ende seiner Existenz wurde 2018 eingeläutet, als die Regierung des damaligen US-Präsidenten Donald Trump die Kündigung des Vertrags verkündete.

    Der formale Grund waren Anschuldigungen Washingtons gegen Moskau: Die USA behaupteten, dass Russlands neuer Marschflugkörper 9M729 angeblich eine größere Reichweite habe als im INF-Vertrag festgelegt. Moskau wies diese Anschuldigungen zurück und wies darauf hin, dass die USA im Gegenteil gegen die Bestimmungen des Vertrags verstießen, unter anderem durch die Stationierung der Mk41-Startvorrichtungen der US-Raketenabwehr in Polen und Rumänien, die auch zum Abschuss des Tomahawks benutzt werden können.

    Daraufhin kündigte Washington am 2. Februar 2019 seinen Rückzug aus dem Abkommen an, und sechs Monate später, am 2. August, lief der Vertrag offiziell aus.

    Russland hat seitdem versucht, mit den USA und den NATO-Ländern zu verhandeln, um einige der im INF-Vertrag vorgesehenen Garantien beizubehalten. Insbesondere bot Moskau an, ein freiwilliges Moratorium für die Stationierung bodengestützter Kurz- und Mittelstreckenraketen auf seinem Gebiet einzuführen. Es versprach, solche Raketen erst dann zu stationieren, wenn Washington mit der Stationierung solcher Systeme in Europa oder anderen Regionen beginnt. Die NATO hat diese Vorschläge jedoch nicht unterstützt.

    Der russische Präsident Wladimir Putin wies später darauf hin, dass die USA diese Raketen nicht nur herstellen, sondern sie auch bereits nach Europa und auf die Philippinen gebracht haben.

    „Wenn irgendwo US-amerikanische Kurz- und Mittelstreckenraketen auftauchen, behalten wir uns das Recht vor, spiegelbildlich zu handeln“, sagte der russische Präsident nach dem Gipfeltreffen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) Anfang Juli in Astana.

    Er sagte auch, dass Russland im Zusammenhang mit den Aktionen der USA bereit sei, mit der Produktion von Kurz- und Mittelstreckenraketen zu beginnen. Ihm zufolge sind die Entwicklungsarbeiten in dieser Richtung bereits im Gange.

    Die Pläne der USA, ihre Waffen in Deutschland zu stationieren, verschärfen die ohnehin schon schwierige Situation noch weiter. Wie Putin warnte, wird Russland sein einseitiges Moratorium für die Stationierung von Kurz- und Mittelstreckenraketen nicht mehr einhalten, wenn US-Langstreckenraketen in Deutschland auftauchen.

    Der Präsident wies darauf hin, dass im Falle der Umsetzung von Washingtons Plan „wichtige staatliche und militärische Regierungseinrichtungen, Verwaltungs- und Industriezentren sowie Verteidigungsinfrastrukturen Russlands“ in Reichweite der Waffen sein werden. „Und die Flugzeit solcher Raketen, die in Zukunft mit Nuklearsprengköpfen bestückt werden können, zu Zielen auf unserem Territorium wird etwa 10 Minuten betragen“, erklärte Putin.

    Nach Ansicht des russischen Botschafters in Washington, Anatolij Antonow, birgt das Vorgehen Washingtons die Möglichkeit eines Raketenwettrüstens in sich und könnte zu einer unkontrollierten Eskalation führen, während die Entscheidung selbst „Russlands Verpflichtung zu einem Moratorium für die Stationierung von bodengestützten Kurz- und Mittelstreckenraketen zerschlägt“.

    Dabei scheint Deutschland nicht im Geringsten besorgt über die Konsequenzen, die dieserSchritt nach sich ziehen könnte. Scholz begründet das damit, dass in Russland eine „unglaubliche Aufrüstung“ stattgefunden habe, insbesondere im Bereich der Systeme, die Europa bedrohen. Er erwartet, dass die Stationierung von US-Raketen unter anderem zur Abschreckung Russlands beitragen wird. Ähnlich argumentierte der deutsche Finanzminister Christian Lindner.

    Doch diese Versuche seitens der Bundesrepublik, sich zu „schützen“, verschlimmern die Situation offenbar nur. Der stellvertretende russische Außenminister Sergej Rjabkow hat bereits vor der Absicht Russlands gewarnt, eine militärische Antwort auf die Bedrohung durch die Pläne des Pentagons zu entwickeln. „Die Situation [nach dem Kalten Krieg] hat sich dramatisch verändert und diese Aktionen zielen in erster Linie darauf ab, der Sicherheit unseres Landes zu schaden, ohne Rücksicht darauf, ob dadurch die Chancen für irgendeine Art von Verhandlungen in der Zukunft steigen oder ob es sie überhaupt nicht geben wird“, sagte Rjabkow.

    Die Deutschen sind dagegen

    Es wäre unfair zu sagen, dass alle Deutschen die Stationierung von US-Waffen in ihrem Land unterstützen. Laut einer Umfrage von Forsa im Auftrag des Fernsehsenders RTL lehnen 49 Prozent der Bundesbürger die Pläne ab. Gleichzeitig äußerten 45 Prozent der Befragten die gegenteilige Meinung.

    Am ablehnendsten ist die Haltung zu dieser Idee in Ostdeutschland: 74 Prozent der Ostdeutschen waren dagegen. In Westdeutschland hingegen stößt sie auf große Begeisterung: 49 Prozent sind dafür und 45 Prozent dagegen.

    Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius von der SPD sprach sich vor diesem Hintergrund für eine öffentliche Debatte über diese Frage aus.

    „Wir brauchen diese öffentliche Debatte, um die Ernsthaftigkeit der Lage zu verdeutlichen: Auf der einen Seite stellt das aggressive Verhalten Russlands eine neue Bedrohung für Europa dar, auf der anderen Seite haben wir eine Fähigkeitslücke, die wir kurzfristig nur mit Hilfe unserer amerikanischen Verbündeten schließen können, bis wir diese Waffen selbst entwickeln“, sagte er der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

    Die Debatte dürfte jedoch kaum etwas bewirken. Die derzeitige Bundesregierung habe wiederholt deutlich gemacht, dass sie in den meisten außen- und sicherheitspolitischen Fragen nicht bereit sei, sich von der Meinung ihrer Bürger leiten zu lassen und diese zu berücksichtigen, sagte Artjom Sokolow, Forscher am Zentrum für Europäische Studien der Moskauer Institut für Internationale Beziehungen, gegenüber der TASS.

    „Die Raketenentscheidung ist ein solches Beispiel. Selbst in der deutschen Expertenwelt weisen viele darauf hin, dass eine derartige Entscheidung, falls sie ohne Diskussion im Bundestag oder mit der Öffentlichkeit getroffen wird, sich auf die Haltung der Deutschen gegenüber ihrer Regierung auswirken wird. Sie haben allen Grund zu der Annahme, dass diese Regierung ohne Rücksicht auf die Interessen der Bürger handelt“, so der Experte.

    Es ist unwahrscheinlich, dass die Regierung von Olaf Scholz oder die nächste Regierung, die ihn ersetzen wird, diese Entscheidung radikal überdenken wird. Artjom Sokolow weist darauf hin, dass die deutsche Außenpolitik entscheidend von den Interessen der transatlantischen Einheit und damit von den außenpolitischen Interessen der USA abhängig ist.

    „Während Berlin in anderen Jahren in die eine oder andere Richtung manövrieren und sich auf die eine oder andere Weise dem entziehen konnte, was die USA ihm aufzuzwingen versuchten, ist die Regierung von Olaf Scholz nicht in der Lage, eine solche Politik zu verfolgen, und ist gezwungen, sich in wichtigen außenpolitischen Fragen ganz auf die Position Washingtons zu verlassen. Mehr noch, diese Regierung betrachtet diese Situation als ein unbedingtes Gut für Deutschland“, erklärte der Experte.

    Die Ideale haben sich geändert

    Trotz der Polarisierung der Gesellschaft bei der Stationierung von US-Waffen ist die aktuelle Situation, wie Pistorius feststellte, nicht mit den Ereignissen der 1980er Jahre vergleichbar, als die USA Pershing-2-Atomraketen in Westdeutschland stationiert haben. Damals löste das Massenproteste und eine blühende Friedensbewegung aus. Heute gibt es trotz der Unzufriedenheit einiger Bürger mit den Maßnahmen der Regierung keine Friedensbewegung in Deutschland, sagte Alexander Rahr, deutscher Politikwissenschaftler und Vorsitzender der Eurasischen Gesellschaft in Berlin.

    „Die Gesellschaft hat ganz andere Leitlinien. Das, was wir in den letzten 50 Jahren erlebt haben – Empörung über die Raketen der Amerikaner und Friedensbewegungen -, das gibt es heute nicht mehr. Das liegt an vielen Faktoren. Erstens ist die Erinnerung an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs verschwunden. Zweitens: Das Schuldgefühl ist verschwunden. Das Feindbild hat sich ganz auf Russland verlagert. Das ist einfach ein Generationsproblem“, sagte der Experte gegenüber der TASS.

    Ihm zufolge wollen sich viele Deutsche heute nicht mehr daran orientieren, obwohl sie die Handlungen des Landes im Zweiten Weltkrieg nicht rechtfertigen, da „das alles lange her ist“.

    „Wir leben im 21. Jahrhundert und der Zweite Weltkrieg ist für uns so weit weg wie die Napoleonischen Kriege, das höre ich immer wieder. Auch in den Medien heißt es, dass es nichts gibt, was an die alten Zeiten erinnert, und dass wir uns nach vorne bewegen sollten. Man sagt, dass wir für den Holocaust Buße tun sollen, aber die Tatsache, dass 20 Millionen Sowjetbürger im Krieg gestorben sind, wird in den Schulen nicht mehr gelehrt. Die alten Ideale verschwinden aus der deutschen Gesellschaft, die Menschen haben keine Angst vor dem Krieg“, so Alexander Rahr abschließend.

    Ende der Übersetzung


    Info: https://anti-spiegel.ru/2024/wie-in-russland-ueber-die-stationierung-von-us-langstreckenraketen-berichtet-wird


    unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält

    15.08.2024

    Verfassungsrechtler Boehme-Neßler zu Corona und Justiz: „Wir haben es ja damals nicht besser gewusst, ist eine faule Ausrede“

    nachdenkseiten.de, 15. August 2024 um 9:00 Ein Artikel von Marcus Klöckner

    „Die Justiz hat ihre rechtsstaatliche Rolle als unabhängige Kontrollinstanz gegenüber den Behörden, der Regierung und dem Parlament nicht erfüllt. Das Bundesverfassungsgericht hat unzählige Grundrechtsverletzungen einfach hingenommen“ – das sagt der Verfassungsrechtler Volker Boehme-Neßler im Interview mit den NachDenkSeiten. Scharf kritisiert der Professor für Verfassungsrecht die Richter in Karlsruhe, aber auch die untergeordneten Gerichte. Laut Boehme-Neßler haben Richter „das gemacht, was viele in Politik und Gesellschaft gemacht haben. Sie haben die Kritiker stigmatisiert, in eine Ecke gestellt, nicht ernstgenommen und ihre Argumente ignoriert. Das war ein schwerer Fehler.“ Ein Interview über Justizabgründe in Sachen Corona, die RKI-Protokolle und die Corona-Impfpflicht der Bundeswehr, die „nie hätte eingeführt werden dürfen“. Und: Boehme-Neßler fordert eine Amnestie für Verstöße im Zusammenhang mit den Coronamaßnahmen.

    Herr Boehme-Neßler, wir haben auf den NachDenkSeiten im Mai dieses Jahres ein Interview zur Rechtsprechung und dem Verhalten der Justiz im Hinblick auf die Coronamaßnahmen mit Ihnen geführt. Sie sagten, dass Sie die Corona-Impfpflicht bei der Bundeswehr für „verfassungswidrig“ halten und diese „sofort abgeschafft werden“ müsste. Mittlerweile besteht die Impfpflicht nicht mehr. Mittlerweile wurden auch die Protokolle des Robert Koch-Instituts (RKI) ungeschwärzt veröffentlicht. Sehen Sie sich in Ihrer Betrachtung bestärkt?

    Ja, absolut. Eine Impfpflicht ist eine gravierende Einschränkung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit. Der Staat darf Grundrechte einschränken, aber nur ausnahmsweise und nur dann, wenn die Einschränkung verhältnismäßig ist. Der Bundeswehr ging es mit der Impfpflicht darum, Ansteckungswellen innerhalb der Soldaten zu verhindern. Die Impfung verhindert keine Ansteckungen. Sie verhindert auch nicht, dass Geimpfte andere Menschen anstecken. Sie bietet nur einen eingeschränkten Eigenschutz und keinen Fremdschutz. Die Impfung war deshalb weder geeignet noch erforderlich, um die Kampfkraft der Armee im Pandemiefall zu erhalten. Juristisch gesprochen: Sie war unverhältnismäßig und deshalb verfassungswidrig. Sie hätte niemals eingeführt werden dürfen.

    Die RKI-Protokolle zeigen jetzt deutlich: Das war sowohl dem RKI als auch dem Gesundheitsminister sehr früh bekannt. Auf Druck des Gesundheitsministers wurden diese Informationen aber der Öffentlichkeit vorenthalten. Verfassungsrechtlich bedeutet das: Der Staat hat unzählige Grundrechte verletzt, obwohl er wusste, dass seine Maßnahmen nicht verhältnismäßig sind. Das ist ungeheuerlich. Und aus verfassungsrechtlicher Perspektive frustrierend, um nicht zu sagen traurig. Verfassung und Justiz waren in der Krise nicht stark genug, um dem übergriffigen Staat Einhalt zu gebieten. Wenn wir das nicht intensiv und umfassend aufarbeiten, habe ich die Befürchtung, dass unser Justizsystem auf Dauer beschädigt ist.

    Nun rückt verstärkt die Forderung nach Aufarbeitung der Maßnahmenpolitik in den Vordergrund.

    Wir müssen alle Bereiche der Politik und der Gesellschaft systematisch untersuchen. Was ist schiefgelaufen? Warum? Wer hat bewusst eine bestimmte Politik betrieben und womöglich gelogen und manipuliert? Wer hat „nur“ versagt? Das sind einige der wichtigen Fragen, die geklärt werden müssen.

    Diese Zeit hat viele Wunden geschlagen und viele Menschen traumatisiert. Hier liegen wichtige Gründe für eine Spaltung der Gesellschaft, für eine erhöhte Aggressivität im täglichen Umgang und eine Verrohung der Kommunikation. Zeit heilt alle Wunden, sagt man. Das mag im individuellen Leben so sein. Für ganze Gesellschaften stimmt das so pauschal aber nicht. Aus der psychologischen Forschung zu den Kriegskindern des Zweiten Weltkriegs wissen wir, dass Traumata von Generation zu Generation weitergegeben werden. Die Gesellschaft muss sich deshalb mit dem Corona-Geschehen ehrlich und kritisch auseinandersetzen. Sonst nimmt sie auf Dauer Schaden. Und natürlich gibt es einen zweiten Grund, warum Aufarbeitung dringend nötig ist. Wir müssen aus den Fehlern lernen. Dazu müssen wir die Fehler aber erst erkennen und analysieren.

    Ihr Bezug zur Vererbung von Traumata erscheint mir an dieser Stelle sehr wichtig. Denn in der Politik ist es entweder nicht angekommen oder aber es wird ignoriert, wie weitreichend die Maßnahmenpolitik war. Sie war für nicht wenige Bürger tatsächlich traumatisierend. Und zwar, wenn man Schilderungen von Bürgern zu dieser Zeit zuhört, sogar schwer traumatisierend. Hier gilt es sich vor Augen zu halten: Mitbürger konnten sich nicht von sterbenden Angehörigen verabschieden. Was heißt das, wenn ein Sohn weiß, dass seine Mutter gerade stirbt, er aber nicht in das Krankenhaus gelassen wird? Was heißt es, wenn ein Sohn stirbt und die Mutter keinen Abschied nehmen darf? Das sind jetzt nur zwei mögliche Kombinationen, es ist „nur“ eine konkrete Auswirkung der Maßnahmenpolitik – neben vielen weiteren. Im Hinblick auf das erlebte Leid, auf die offensichtlich in der Gesellschaft vorhandenen Traumata: Was bedeutet hier die Weigerungshaltung der Politik, an die Aufarbeitung der Coronapolitik ranzugehen?

    Dass die Politik bisher eine Aufarbeitung verweigert, ist feige und verantwortungslos. Nicht verarbeitete Traumata haben negative Spätfolgen und belasten das weitere Leben. Das gilt nicht nur für Individuen, sondern auch für Gesellschaften. Immer wieder wird eine Verrohung der Gesellschaft diagnostiziert. Dafür finden sich viele Beispiele. Nicht aufgearbeitete gesellschaftliche Traumata sind sicher eine – nicht die einzige – Ursache dafür.

    Das ist eine Entwicklung, die für die freiheitliche Demokratie gefährlich ist. Denn Freiheit und Demokratie leben auch von einem Mindestmaß an Vernunft, Liberalität und Kultiviertheit. Sie setzen ein Minimum an Vertrauen voraus, in staatliche Institutionen und in die Mitbürger. In einer traumatisierten Gesellschaft fehlt das. Die Folge: Der starke und autoritäre Staat kommt wieder, um die Folgen der Verrohung in Grenzen zu halten. Das ist nicht die Idee der freiheitlichen demokratischen Verfassung.

    Zu den Protokollen. Welche Bedeutung hat der Inhalt der Protokolle aus rechtlicher Sicht? Was lesen Sie raus? Oder anders gefragt: Was bedeuten die nun an die Öffentlichkeit gelangten Informationen im Hinblick auf die Coronarechtsprechung und das Verhalten der Gerichte?

    Wie sehr die Gerichte ihre Rolle verfehlt haben, zeigen die RKI-Protokolle. Natürlich wusste jeder Richter, dass das RKI keine unabhängige Forschungsinstitution ist. Es ist eine Bundesbehörde, die in die Behördenhierarchie eingebunden und gegenüber dem Gesundheitsminister weisungsgebunden ist. Das RKI darf nichts tun, was ihm der Minister verbietet.

    Trotzdem haben die Gerichte das RKI als entscheidende und oft einzige Informationsquelle genutzt. Obwohl es qualifizierte und renommierte Kritiker gab, haben sie ihre Urteile im Zweifel, nicht selten sogar ausschließlich, auf die Informationen des RKI gestützt. Man hätte schon damals wissen müssen, dass dies ein Fehler ist. Für Verwaltungsgerichte gilt der sogenannte Amtsermittlungsgrundsatz. Sie müssen selbstständig den Sachverhalt ermitteln, also die relevanten Informationen und Fakten recherchieren. Dazu hätte gehört, nicht nur auf das RKI zu hören, sondern auch Kritiker ernst zu nehmen und sich mit ihren Argumenten auseinanderzusetzen. Was haben die Gerichte stattdessen gemacht? Sie haben das gemacht, was viele in Politik und Gesellschaft gemacht haben. Sie haben die Kritiker stigmatisiert, in eine Ecke gestellt, nicht ernstgenommen und ihre Argumente ignoriert. Das war ein schwerer Fehler, wie spätestens jetzt die RKI-Protokolle zeigen. Aber auch damals war klar, wie unverantwortlich dieses Verhalten war.

    Wir haben es ja damals nicht besser gewusst, wird heute oft als Rechtfertigung vorgebracht. Das ist – man muss es so offen sagen – eine faule Ausrede. Richter kennen den Amtsermittlungsgrundsatz. Sie wussten, dass sie umfassend recherchieren und eine breite Informationsgrundlage für ihre Urteile haben müssen. Man wusste, dass das RKI weisungsgebunden und gerade nicht unabhängig und objektiv ist. Wie die RKI-Files jetzt zeigen, hat der Minister dauernd und intensiv Einfluss auf das genommen, was das RKI veröffentlicht hat – und was es verschwiegen hat. Für die Gerichte heißt das: Sie haben viele Urteile auf der Grundlage unvollständiger oder sogar falscher Informationen gefällt. Die Urteile, die sich ausschließlich auf Informationen des RKI stützen, sind – man muss es so hart sagen – Fehlurteile.

    Was bedeutet all das?

    Der Verfassungsstaat gibt seinen Bürgern ein Versprechen. Er verspricht, dass er die Grundrechte immer, auch im Krisenfall, garantiert. Das gibt den Bürgern eine große Freiheit und eine enorme Sicherheit. Dieses Versprechen hat der Verfassungsstaat während der Coronakrise gebrochen. Die Justiz hat ihre rechtsstaatliche Rolle als unabhängige Kontrollinstanz gegenüber den Behörden, der Regierung und dem Parlament nicht wahrgenommen. Das Versagen beginnt ganz oben, beim Bundesverfassungsgericht. Karlsruhe hat unzählige Grundrechtsverletzungen einfach hingenommen. Es hat der exzessiven und autoritären Corona-Politik der Bundes-und Landesregierungen keine Grenzen gesetzt. Als Hüter der Verfassung hätte es der Regierung und dem Parlament rote Linien ziehen müssen. 

    Gerade auch das Verhalten der Karlsruher Richter wirft im Hinblick auf die veröffentlichten Protokolle viele – unangenehme – Fragen auf.

    Aus den ungeschwärzten Protokollen wird klar, wie direkt und intensiv die Einwirkungen des Ministers auf die ihm untergeordnete Behörde waren. Das RKI hat Wissen, das für die öffentliche Einschätzung der Pandemie und der Impfstoffe wichtig gewesen wäre, einfach zurückgehalten. Es war ein Instrument, um die Öffentlichkeit zu manipulieren. Das zeigt, wie angreifbar, sogar fatal die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Bundesnotbremse und zu den Schulschließungen sind. Die Richter in Karlsruhe haben sich bei ihnen fast ausschließlich auf die Informationen durch das RKI gestützt. Das war ein entscheidender Fehler.

    Man muss sich das einmal vorstellen. Die Richter ignorieren die kritische Expertise, die es damals gab. Sie stützen sich auf eine Behörde, die gegenüber dem Gesundheitsminister weisungsgebunden ist. Jetzt wird klar, wie irreführend, teilweise falsch deren Informationen waren. Was für eine Blamage für das Gericht! Und wie erschreckend, dass auf dieser Grundlage extreme Grundrechtsverletzungen legitimiert wurden. Da gibt es tatsächlich viel, was aufgearbeitet werden muss.

    Und es ist ja noch schlimmer. Auch die aktuelle Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Maßnahmenpolitik tut in weiten Teilen so, als sei sie blind und taub. Oder?

    Das aktuelle Verhalten von Gerichten und Behörden macht fassungslos. Sie verhängen weiter Strafen und Bußgelder für Verstöße gegen Corona-Maßnahmen. Gleichzeitig wissen wir aber, dass viele Maßnahmen sinnlos und rechtswidrig waren. Beispiel: Immer noch werden Bußgelder eingetrieben, weil Bürger damals gegen die Maskenpflicht verstoßen haben. Inzwischen ist aber längst bekannt, dass die Maskenpflicht wenig wirksam war – und deshalb ein rechtswidriger Eingriff in Grundrechte. Trotzdem wird immer noch sanktioniert, wer sich damals dagegen gewehrt hat. Unfassbar. Es wäre ein schöner Beginn einer Aufarbeitung, wenn Behörden und Justiz die Verfolgung derartiger Verstöße einstellen würden.

    Gerichte verhängen weiter drakonische Strafen gegen Ärzte, die – mutmaßlich – falsche Atteste zur Befreiung von der Maskenpflicht ausgestellt haben. Vor dem Hintergrund, dass die Maskenpflicht ein verfassungswidriger Eingriff in Grundrechte war, ist das ein Skandal. Auch der Prozess gegen den „Richter von Weimar“ ist ein Skandal, der kaum wahrgenommen wird. Der Familienrichter hatte 2021 die Corona-Schutzmaßnahmen an zwei Schulen für rechtswidrig erklärt und aufgehoben. Ende 2023 wurde er dafür in erster Instanz wegen Rechtsbeugung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Das wird man in der zweiten Instanz dringend überdenken müssen.

    In manchen Staaten gibt es eine generelle Amnestie für alle Verstöße gegen Corona-Maßnahmen. Das wäre sicher auch in Deutschland bitter nötig, um das Klima für eine Aufarbeitung zu verbessern.

    Vergangene Woche sorgte eine Veröffentlichung des Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Kubicki für Wirbel. Kubicki hatte die RKI-Protokolle studiert und dabei auf folgende Passagen aufmerksam gemacht:

    „Der Zeitpunkt der Veröffentlichung ist abhängig von der Zustimmung des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) […]. Eine Herabstufung vorher würde möglicherweise als Deeskalations-Signal interpretiert, daher politisch nicht gewünscht.“ Außerdem: „Reduzierung des Risikos von sehr hoch auf hoch wurde vom BMG abgelehnt.“ Und weiter: „In Hinblick auf das BMG sollte die Herabstufung aus strategischen Gründen zunächst auf hoch und nicht moderat erfolgen.“

    Diese Stellen sind Protokollen vom 9. und vom 22. Februar sowie vom 20. April 2022 entnommen. Ersichtlich wird daraus, dass die Bürger Deutschlands länger unter der sehr hohen Risikoeinstufung leben mussten, als es eigentlich vonseiten der RKI-Wissenschaftler für nötig befunden wurde. Das heißt: Sehr hohe Risikoeinstufung aufgrund einer politischen Entscheidung.

    Was heißt das im Hinblick auf die schweren Grundrechtseingriffe, denen Bürger ausgesetzt waren? Wie sieht Ihre rechtliche Einordnung aus?

    Die Risikoeinstufung hat direkte Auswirkungen auf die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Grundrechtseingriffen. Wenn die Risikoeinstufung falsch war, war auch die verfassungsrechtliche Einordnung falsch. Eingriffe in Grundrechte, die nicht verhältnismäßig sind, sind schwere Verletzungen der Grundrechte und verfassungswidrig. Und verhältnismäßig ist nur, was auch erforderlich ist. Bei einer sehr hohen Risikoeinstufung können Einschränkungen der Grundrechte erforderlich und damit erlaubt sein, die bei einer niedrigeren Risikoeinstufung verboten wären. Kurz: Je höher das Risiko, desto eher sind Grundrechtseingriffe erlaubt. Und umgekehrt. Vor dem Hintergrund dieser neuen Informationen müssen auch die Grundrechtseingriffe neu bewertet werden.

    Gerade wurde in einem Artikel hervorgehoben, dass wohl RKI-Protokolle nachträglich vor Veröffentlichung verändert wurden. Ist das aus rechtlicher Sicht überhaupt erlaubt?

    Selbstverständlich ist das rechtlich nicht erlaubt. Protokolle haben ja eine wichtige Funktion: Sie sollen vertrauenswürdige Aufzeichnungen sein, die zeigen, was konkret gesagt und getan wurde. Wer sie manipuliert, kann sich strafbar machen, etwa wegen Urkundenfälschung.

    Wie könnte nun eine systematische Aufarbeitung innerhalb der Justiz aussehen? Wäre eine eigene Untersuchungskommission auf Ebene der Justiz ein Mittel?

    Denkbar wäre, dass das Bundesjustizministerium eine Kommission einsetzt, um das Justizversagen in der Coronazeit zu analysieren. Natürlich ist dabei wichtig, dass diese Kommission mit unabhängigen Persönlichkeiten besetzt ist. Es kann nicht sein, dass die Akteure selbst mit der Aufarbeitung befasst werden. Auch die Rechtswissenschaft wäre gefordert, sich aus unterschiedlichsten Perspektiven wissenschaftlich mit diesem Thema zu befassen. Eine weitere Möglichkeit: Musterprozesse zu speziellen Aspekten der Coronamaßnahmen könnten ebenfalls helfen, die Justiz-Dimension der Pandemie aufzuarbeiten. Damit könnte ein Aufarbeitungsprozess innerhalb der Justiz in Gang gesetzt werden. Aber natürlich kann – besser: muss – auch die Gesellschaft selbst die Rolle der Justiz während der Corona-Pandemie aufarbeiten. In Ansätzen passiert das bereits. Unabhängige Journalisten und kritische Bürgergruppen sammeln Material und diskutieren das öffentlich. Natürlich ist das erst ein ganz früher Anfang.

    Lassen Sie mich etwas näher diese Ausführungen beleuchten. Das Verhalten der Justiz, das heißt: die Corona-Rechtsprechung, ist ein großer Komplex, der meines Erachtens aus mehreren Ebenen besteht. Es geht einmal um die Rechtsprechung ganz oben. Das heißt, um das Verhalten und die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Aber auch um die generelle Positionierung der Karlsruher Richter. Die Richter hätten zum Beispiel frühzeitig öffentlich der Politik signalisieren können, dass sie Maßnahmen nicht mittragen werden. Sie hätten auf Schwächen in der Rechtsprechung der unteren Gerichte verweisen und damit der Justiz im Allgemeinen signalisieren können: Vorsicht! Stattdessen meinte der Verfassungsgerichtspräsident Stephan Harbarth, dass sich in der Corona-Krise gezeigt habe, dass der Rechtsstaat funktioniere. Diese Aussage stammt, um das hervorzuheben, von dem „obersten Richter“ der Republik. Wie denken Sie über diese Aussage?

    Sie haben recht. Es ist eine wichtige Aufgabe der Karlsruher Richter, der Politik durch ihre Rechtsprechung „rote Linien“ zu ziehen. Deshalb gilt – vielleicht muss man sagen: galt – das Gericht auch als Hüter der Verfassung. Es ist unverantwortlich, dass die Richter das in der Coronakrise nicht getan haben.

    Was die Aussage von Herrn Harbarth angeht: Das sehe ich völlig anders. Der Rechtsstaat hat in der Krise weitgehend versagt. Vielleicht meint Herr Harbarth seine Aussage wirklich ernst? Dann wäre das eine schockierende und erschreckende Naivität und Realitätsblindheit, die mich fassungslos macht. Aber ich glaube eher, dass Herr Harbarth das macht, was alle machen, die in der Krise Verantwortung getragen und gravierende Fehler gemacht haben. Er vertuscht seine Fehler und redet sich sein Verhalten im Nachhinein schön. In diesem Verhalten der Verantwortlichen liegt ein wichtiger Grund dafür, warum die Aufarbeitung so mühselig und schwierig ist – und weiter sein wird. Ein Blick in die Geschichte zeigt: Eine Aufarbeitung nimmt meistens erst dann Fahrt auf, wenn die Verantwortlichen nicht mehr in ihren Positionen sind. Vielleicht ist das dieses Mal ja anders? Die historische Empirie spricht dagegen, aber die Hoffnung stirbt zuletzt.

    Um an die vorangegangene Frage anzuknüpfen: Wenn wir über eine Aufarbeitung im Bereich der Justiz sprechen, also wenn wir über das Verhalten des Bundesverfassungsgerichts sprechen, dann tun sich doch Abgründe auf, oder? Was ich meine: Die Richter sind alle formal hochqualifiziert. Die Fragilität der Maßnahmenpolitik hätten sie doch an irgendeiner Stelle erkennen müssen. Warum war das aber – offensichtlich – nicht der Fall? Oder anders gesagt: Wenn die Richter hätten erkennen müssen (oder zumindest kritisch hätten hinterfragen müssen), dass die fachliche Basis, auf die die Maßnahmenpolitik gestützt wurde, die Tragfähigkeit eines Wackelpuddings hatte, oder zumindest die begründete Möglichkeit bestand, dass dem so ist, warum haben sie sich so verhalten, wie zu beobachten war?

    Worauf die Fragen zielen: Über die tatsächliche Unabhängigkeit des hohen Gerichts von der Politik wird ja nicht erst seit dem Bekanntwerden der gemeinsamen Abendessen zwischen Richtern und der Bundesregierung diskutiert. Wie sehen Sie das mit den Augen eines Juristen? Wie sieht es mit der politischen Unabhängigkeit des Karlsruher Gerichts aus?

    Die Institution Bundesverfassungsgericht ergibt nur Sinn, wenn das Gericht völlig von der Politik unabhängig ist. Es soll ja die Politik rechtlich kontrollieren und ihr Grenzen setzen. Deshalb hat die Verfassung dem Bundesverfassungsgericht auch völlige Unabhängigkeit garantiert. Rechtlich gesehen sind die Richter nur so lange von der Politik abhängig, wie sie noch nicht zum Richter ernannt sind. Das liegt daran, dass die Richter nach der bisherigen Konzeption vom Parlament ernannt werden. Wer zum Richter ernannt ist, ist aber völlig unabhängig.

    In der Theorie …

    Genau, das ist der rechtliche, der theoretische Aspekt des Problems. Die rechtliche Unabhängigkeit und Freiheit allein reicht natürlich nicht. Richter müssen auch Persönlichkeiten sein, die diese Freiheit nutzen. Aus meiner Sicht liegt hier das entscheidende Problem. Wenn wir keine innerlich unabhängigen Persönlichkeiten mit Rückgrat und Zivilcourage im Gericht haben, nützt die rechtlich garantierte Unabhängigkeit des Gerichtes nichts. Dann treffen die Richter keine mutigen Entscheidungen, die dem übergriffigen Staat in den Arm fallen. Dann sind ihre Entscheidungen vorsichtig, ängstlich und vom Bemühen gekennzeichnet, nicht anzuecken. Das ist es, was wir in der Pandemie gesehen haben.

    Die Kernfrage ist also: Wie schaffen wir es, kluge, unabhängige, mutige Persönlichkeiten zu Richterinnen und Richtern am Bundesverfassungsgericht zu machen? Wahrscheinlich ist das bisherige Ernennungsverfahren dazu wenig geeignet. Aus meiner Sicht sollte man darüber nachdenken, ob man nicht öffentliche, mehrtägige Anhörungsverfahren vor dem Parlament macht. Dann könnten sich alle – die Parlamentarier und die Bürger – ein besseres Bild von den Kandidatinnen und Kandidaten machen.

    Jetzt sind wir etwas vom Konkreten zum Thema Aufarbeitung in der Justiz abgewichen. Aber das hat eben auch mit der angesprochenen Komplexität zu tun. Die Ausgangsfrage wollte darauf hinaus zu erfahren, wie eine Aufarbeitung im Hinblick auf das Verhalten des Bundesverfassungsgerichts aussehen könnte. Haben Sie da Vorstellungen?

    Eine Aufarbeitung innerhalb der Justiz ist langwierig und schwierig. Andere Richter und andere Instanzen distanzieren sich durch neue Urteile von den problematischen Entscheidungen in der Coronazeit. So würde eine Aufarbeitung durch die Justiz selbst aussehen. Natürlich gibt es Änderungen der Rechtsprechung und Korrekturen zum Besseren. Aber das dauert lange. Deshalb denke ich, dass die Aufarbeitung der Rolle, die Karlsruhe in der Pandemie gespielt hat, eher von außen kommt: von Gesellschaft und Medien, von Politik und (Rechts-)Wissenschaft.

    Und wie sieht es auf Ebene der Politik mit der Aufarbeitung aus? Welche Möglichkeiten gibt es?

    Rechtlich gibt es zwei Instrumente, die zur Aufarbeitung geeignet sind: Parlamentarische Untersuchungsausschüsse und Enquete-Kommissionen. Beide haben unterschiedliche Funktionen und Befugnisse. Ich plädiere dafür, beide Instrumente nebeneinander zu nutzen.

    Parlamentarische Untersuchungsausschüsse können vom Bundestag und den Landtagen eingesetzt werden, um konkrete Vorgänge zu untersuchen und spezifische Fragen zu beantworten. Sie haben dafür weitgehende rechtliche Befugnisse, die denen der Staatsanwaltschaft ähneln. Sie können Beweise erheben, Zeugen vernehmen und die Zwangsmittel der Strafprozessordnung anwenden. Ein denkbarer Auftrag wäre etwa: Wie haben die Gesundheitsminister Spahn und Lauterbach das RKI missbraucht und die Bevölkerung manipuliert? Allerdings sind Untersuchungsausschüsse nur für einzelne konkrete Fragen vorgesehen. Aber es spricht nichts dagegen, mehrere Untersuchungsausschüsse nebeneinander zu verschiedenen Einzelfragen einzusetzen.

    Enquete-Kommissionen können viel breiter arbeiten. Sie können ausführlich komplexe Vorgänge und historische Geschehnisse analysieren, kritisch auswerten und aufarbeiten. Sie bestehen aus Abgeordneten und unabhängigen Experten, die gemeinsam ein Thema bearbeiten und am Ende dem Parlament einen umfassenden Bericht vorlegen. Es wäre – finde ich – wichtig, dass der Bundestag eine solche Enquete-Kommission zur Corona-Politik in Deutschland einsetzt.

    Ganz entscheidend wird die Aufarbeitung durch die Gesellschaft selbst und durch die Politik sein. Dabei wäre es ganz wesentlich, dass die Medien und die Wissenschaft sich selbstkritisch auf ihre Verantwortung besinnen und zur Aufarbeitung beitragen. Erste Ansätze gibt es dazu, wie ich finde. Aber das ist erst der Schneeball. Ob aus dem Schneeball eine Lawine wird, muss sich noch zeigen. Der Kipppunkt, an dem aus Vertuschung und simulierter Aufarbeitung eine echte Aufarbeitung wird, ist noch nicht erreicht.


    Titelbild: r.classen/shutterstock.com


    Rubriken: Erosion der Demokratie Gesundheitspolitik Innen- und Gesellschaftspolitik Interviews Lobbyorganisationen und interessengebundene Wissenschaft


    Schlagwörter:


    Info: https://www.nachdenkseiten.de/?p=119645


    unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält

    15.08.2024

    Armageddon - Evangelikale und die letzte Schlacht

    Armageddon - Evangelikale und die letzte Schlacht


    arte.tv, Verfügbar bis zum 28/10/2024

    Von der Macht und dem politischen Einfluss amerikanischer christlicher Fundamentalist*innen auf die US-Regierung und ihre Nahostpolitik. Vor dem Angriff der Hamas auf Israel fertiggestellt, zeigt der Film, wie evangelikale Prediger*innen den Konflikt anheizen und damit dazu beitragen, die Beziehungen zwischen Israelis und Palästinenser*innen nachhaltig zu vergiften.


    „Armageddon - Die letzte Schlacht“ wurde vor dem 7. Oktober 2023 gedreht. Der Dokumentarfilm zeigt, wie einflussreiche evangelikale Pastoren zur "letzten Schlacht" im Heiligen Land aufrufen, die ihrer Meinung nach die Wiederkunft Christi einleiten wird. Er enthüllt, wie vom Glauben getriebene Politiker Israel als Schlüssel zu ihrer prophetischen Vision über das Ende der Tage betrachten. Und welch verheerenden Einfluss diese Ideologie auf die amerikanische Außenpolitik hat. 


    Der Investigativreporter Lee Fang untersucht, welche Folgen die finanzielle und politische Unterstützung radikaler evangelikaler Gruppen wie Christians United for Israel des Fernsehpredigers John Hagee für die US-Politik hat. Er interviewt den geistlichen Berater von Donald Trump, Dr. Robert Jeffress, dessen Predigten von über tausend Fernsehstationen in den USA und 28 weiteren Ländern übertragen werden. Fang spricht mit Abgeordneten und evangelikalen Senatoren über ihre Haltung zum Nahostkonflikt. Und Ex-Militärs berichten ihm über die Verstrickungen der US-Armee mit der evangelikalen Bewegung.


    Mit Gary Burd, der auf einem schweren Motorrad durch die amerikanische Provinz fährt, um zu predigen, erhält das Kamerateam Zugang zur evangelikalen Gemeinschaft. „Armageddon - Die letzte Schlacht“ deckt auf, wie evangelikale Christen die brisante Situation in Israel und Palästina immer wieder anheizen und damit zur Eskalation der Gewalt im Nahen Osten beitragen. Ein Film von erschreckender Aktualität.


    Regie: Tonje Hessen Schei

    Land: Deutschland

    Jahr: 2022

    Herkunft: ZDF


    Info: Video https://www.arte.tv/de/videos/094466-000-A/armageddon-evangelikale-und-die-letzte-schlacht Dauer 95 Min.


    unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält




    Weiteres:




    Evangelikale - Mit Gott an die Macht (1/3)Der große Kreuzzug

    Verfügbar bis zum 29/09/2024

    AudiodeskriptionAm Anfang war Billy Graham. Mitten im Kalten Krieg etablierte sich der US-amerikanische Prediger als "Papst" der Evangelikalen – einer christlich-konservativen Bewegung, die das Ziel verfolgt, den gesellschaftlichen Einfluss der Religion auszubauen. Sein "großer Kreuzzug" wurde in den folgenden Jahrzehnten von einer mächtigen politisch-religiösen Lobby vereinnahmt.

    Jesus lebt, und das Christentum ist in vollem Aufschwung. Diese Wiederauferstehung ist nicht den sogenannten „historischen“ Konfessionen – katholisch, evangelisch, orthodox – zu verdanken, sondern den Evangelikalen. Laut Schätzungen werden 2025 über 800 Millionen Menschen dieser Strömung angehören. Die christliche Erneuerungsbewegung hat sie über alle Kontinente hinweg binnen weniger Jahrzehnte bis an die Spitze der Macht gebracht.
    Wie ist es den Evangelikalen gelungen, ihre neue moralische Ordnung durchzusetzen und überall dort, wo sie an die Regierung kommen, die Trennung von Geistlichem und Weltlichem, von Religion und Politik in Frage zu stellen? Wie lässt sich dieser ultrakonservative Umschwung erklären?
    Am Anfang war Billy Graham. Mitten im Kalten Krieg faszinierte der charismatische Prediger die Massen auf der ganzen Welt ebenso wie die herrschenden Eliten in Washington. Er wurde zum „Papst“ der Evangelikalen und verhalf dieser neuen christlichen Bewegung zu einem enormen Aufschwung. Auf seinen Reisen um den Globus füllte er ganze Stadien, wandte sich in einfachen Worten an die Neubekehrten und brachte so eine Missionierungsdynamik in Gang, die immer mehr Menschen dazu bewegte, sich in den Dienst Gottes zu stellen. Bald wimmelte es auf allen Kontinenten nur so von Megachurches, und von Korea über Nigeria bis Brasilien ernteten neue religiöse Führer erfolgreich, was Billy Graham gesät hatte – und gaben ihrem spirituellen Kampf eine noch radikalere Ausrichtung.
    Die Evangelikalen zählen nicht nur zu den dynamischsten Strömungen des zeitgenössischen Christentums, sie sind auch eine mächtige politisch-religiöse Bewegung, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, jede Entwicklung zu bekämpfen, die eine Gefahr für die gesellschaftliche Vormacht der sogenannten „jüdisch-christlichen“ Kultur darstellen könnte. Aus diesem Grund lehnen sie Abtreibung, Gleichberechtigung von LGBTIQ-Personen und Islam vehement ab und bestreiten die Evolutionstheorie ebenso wie die Existenz des Klimawandels. Im Ergebnis verhalf die Christliche Rechte mit Unterstützung ihrer evangelikalen Gefolgschaft Gestalten wie Donald Trump in den USA und Jair Bolsonaro in Brasilien zur Macht, die zwar zwielichtige Machenschaften verfolgten, aber im Namen Gottes regieren wollten.


    Regie: Thomas Johnson

    Autor:in: Thomas JOHNSON

    Produktion

    • Artline Films

    • Pbs International

    Produzent/-in: MILLE Olivier

    Land

    • Frankreich

    • USA

    Jahr: 2023

    Herkunft: ARTE F


    Info: Video https://www.arte.tv/de/videos/093034-000-A/evangelikale-mit-gott-an-die-macht-1-3

    Dauer 53 Min.


    unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält




    weiteres:




    Evangelikale - Mit Gott an die Macht (2/3)Evangelikale an der Macht


    Verfügbar bis zum 29/09/2024


    Ab den 1970-er Jahren war die Säkularisierung Amerikas den evangelikalen Anführern zunehmend ein Dorn im Auge. In einer Gesellschaft, die sie als dekadent anprangerten, setzten sie auf die Wahrung familiärer Werte und verwandelten den Evangelikalismus ganz nebenbei in ein politisches Sprungbrett. Evangelikale Aussteiger berichten.

    In den 1970er Jahren ebnete die steile Karriere von Billy Graham den Weg für weitere, noch extremere TV-Missionare wie Jerry Falwell oder Francis Schaeffer. Dank dieser Star-Prediger gingen Gott, Medien und Politik nun Hand in Hand. Obwohl Billy Graham mit der Starrheit der Christlichen Rechten fremdelte, wuchs deren Einfluss. In den 1980er Jahren radikalisierte sich der Diskurs um die Wahrung der familiären Werte weiter und verhalf Ronald Reagan ins Weiße Haus. Auch die „Sünde“ der Abtreibung sorgte für eine Polarisierung der Gesellschaft – oder zumindest trugen die Evangelikalen massiv dazu bei, diesen Eindruck zu erwecken. 
    Bisher unveröffentlichte Archivbilder und Interviews mit evangelikalen Aussteigern veranschaulichen diesen Wendepunkt in der Geschichte der Bewegung, dessen ideologische Auswirkungen heute mehr denn zu spüren sind. Sie verdeutlichen nicht nur den Ursprung der von den Evangelikalen propagierten Morallehre, sondern vermitteln auch einen Eindruck von den Lobby-Methoden, mit denen sowohl um Seelen als auch um Wählerstimmen gekämpft wird.
    Nach den Wahlsiegen von Trump und Bolsonaro hat die evangelikale Lobbyarbeit spektakuläre Ausmaße angenommen. Vor allem in Brasilien, das lange Zeit als größte katholische Nation der Welt galt, verblüfft der Siegeszug des Evangelikalismus, der dort in den vergangene 30 Jahren rasanten Zulauf erlebt hat. 2022 stellten die Abgeordneten der Evangelischen Parlamentarischen Front (FPE) sogar 35 % der Sitze im brasilianischen Nationalkongress.  Vor allem die Ärmsten der Armen wenden sich ihrer Kirche zu, die ihnen Nahrung, medizinische Versorgung, Zugang zu Bildung und – mit Gottes Hilfe – Wohlstand verspricht.


    Regie: Thomas Johnson

    Autor:in: Thomas JOHNSON

    Produktion

    • Artline Films

    • Pbs International

    Produzent/-in: MILLE Olivier

    Land

    • Frankreich

    • USA

    Jahr: 2023

    Herkunft: ARTE F


    Info: Video https://www.arte.tv/de/videos/093035-000-A/evangelikale-mit-gott-an-die-macht-2-3 Dauer 52 Min.


    unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält




    Weiteres:




    Evangelikale - Mit Gott an die Macht (3/3)Gott über allem?


    Verfügbar bis zum 29/09/2024


    Zu Beginn des 21. Jahrhunderts schafften es die Evangelikalen, an die Spitze der Macht zu gelangen. Und noch weiter: Sie exportieren ihre messianische Hoffnung auf die Rückkehr Christi auch ins Heilige Land. So brachten sie Donald Trump dazu, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen. Ein Schritt hin zum Wiedererwachen eines gefährlichen christlichen Nationalismus.

    Am 6. Januar 2021 stürmte ein aufgeheizter Mob das Washingtoner Kapitol, drang in das Repräsentantenhaus ein und betete. Die Bilder schockierten Beobachter auf der ganzen Welt, waren aber die Konsequenz einer extrem polarisierten Stimmung, die Donald Trump im Verlauf seiner Präsidentschaft geschürt hatte. Nie zuvor war die Verbindung zwischen Religion und Politik so offensichtlich wie in seiner Amtszeit, in der sich ein christlicher Nationalismus ungebremst entfalten konnte.
    In den vier Jahren der Trump-Regierung verschärften die von ihm unter evangelikalem Einfluss getroffenen Entscheidungen die Spannungen und Verwerfungen innerhalb der US-amerikanischen Gesellschaft. Nur wenige Monate nach seinem Einzug ins Weiße Haus erkannte Donald Trump Jerusalem als Hauptstadt Israels an. Dieser symbolträchtige Schritt war das Ergebnis geheimer Verhandlungen seiner evangelikalen Ratgeber und verlieh dem Präsidenten eine fast biblische Statur.  Der radikalste Teil seiner Wählerschaft stützt sich auf eine „Prophezeiung“ aus der Heiligen Schrift und ist fest von einer baldigen Rückkehr Christi überzeugt – im Heiligen Land! Diese messianische Hoffnung lässt die palästinensische Frage völlig außer Acht und setzt auf eine massive Finanzierung der israelischen Siedler, die sich die Gunst der Stunde zunutze machen. Was diese Umtriebe so beunruhigend macht, ist ihr Schauplatz, der seit Jahrzehnten als Pulverfass gilt.

    2021 rang sich die von der Entwicklung offenbar überforderte Weltweite Evangelische Allianz dazu durch, den Aufstieg des christlichen Nationalismus und den Schulterschluss mit rechtsextremen Parteien zu verurteilen. Was jedoch den Wertekanon angeht, bleibt das Erbe Trumps und seiner evangelikalen Gefolgschaft besorgniserregend. Während ein Teil seiner Wähler sich – abgeschreckt durch diverse Auswüchse – von ihm abgewandt hat, haben viele noch immer Vertrauen in seinen ehemaligen Vizepräsidenten Mike Pence. Als „evangelikaler Thronfolger“ im Weißen Haus kann er sich Chancen für 2024 ausrechnen und bandelt bereits heimlich mit der extremen Rechten in Europa an. Vor allem aber wurden drei ultrakonservative Richter am Obersten Gerichtshof der USA ernannt. Dies führte bereits dazu, dass das Recht auf Abtreibung gekippt wurde, und lässt mit Blick auf die Zukunft das Schlimmste befürchten.


    Regie: Thomas Johnson

    Autor:in: Thomas JOHNSON

    Produktion

    • Artline Films

    • Pbs International

    Produzent/-in: MILLE Olivier

    Land

    • Frankreich

    • USA

    Jahr: 2023

    Herkunft: ARTE F


    Info: Video https://www.arte.tv/de/videos/093036-000-A/evangelikale-mit-gott-an-die-macht-3-3 Dauer 53 Min.


    unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält

    15.08.2024

    Das Philosophische Quartett |2006| Demographie als Schicksal - Das Drama der Geburtenraten - YouTube

    youtube.com, vom 12. Okt. 2014


    Gäste: Roger Willemsen, Gunnar Heinsohn (EA: 29.10.2006) 


    Inhalt: "Seit der Publikation von Samuel Huntingtons umstrittener Epochendiagnose vom „Zusammenprall der Kulturen“ ist das Denken der Soziologen von der Annahme beherrscht, mit dem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums, der vermeintlichen Weltenwende, entstehe eine neue Konfliktlandschaft, deren Verwerfungen nicht länger mehr durch den Antagonismus von westlich-kapitalistischer und kommunistischer Ideologie definiert, sondern von kulturellen und religiösen Agenten strukturiert würde. Huntington selber hat als Gegner des westlichen Way of life asiatische Staaten, das Großreich China zumal, und die islamisch geprägte Welt ausgemacht. Das ist freilich so neu nicht: In den Zuordnungen des Islam erkennt der Europäer mit historischem Gedächtnis die alte „orientalische Frage“ wieder. 


    Geht es aber in Wahrheit nicht um eine ganz andere Konfliktlinie, die im gegenwärtigen Lärm der Interessenten unbeachtet zu bleiben neigt, eine Konfliktlinie, an deren Verlauf deutlich werden kann, dass die intensivsten Auseinandersetzungen unserer Zeit wohl doch nicht nur ideengeschichtliche, kulturell oder religiös intonierte Ursachen haben? Diese Reibungsgrenze verläuft an demographisch heißen und den demographisch kühlen Zonen des Planeten. Sie wird, so konstatiert der Bremer Soziologe Gunnar Heinsohn, konkret unter anderem am Schicksal der ungezählten Millionen junger Männer in den benachteiligten Ländern und Völkern der asiatisch-afrikanischen Dritten Welt, den, wie er sagt „überflüssigen Söhnen“, in denen sich ein nicht zu überschätzendes Frustrations- und Resignationspotential staut, das nach Entladungen drängt.


     Aus dieser anderen Diagnose ergeben sich politisch – strategische wie ethische Konsequenzen für eine Definition der westlichen Position auch im Hinblick auf bevorstehende, eher heikle Diskurse mit den anderen monotheistischen Religionen. Zivilisationsarbeit in den demographisch unruhigen Zonen, Absenkung der Geburtenrate zur demographisch Temperaturregelung scheint daher eine der vordringlichen Aufgaben zu werden. 


    Wie eine Politik aussehen müsste, die sich nicht an den Symptomen abarbeitet, sondern sich mit umfassend geopolitischem Blick und weltethischer Verantwortung entschlossen den Ursachen zuwendet, darüber diskutieren im „Philosophischen Quartett“ Peter Sloterdijk und Rüdiger Safranski mit Ihren Gästen, dem Bremer Soziologen und Gewaltforscher Gunnar Heinsohn und dem Publizisten und Schriftsteller Roger Willemsen." (Text: ftsmedia.de)


    Info: Video https://www.youtube.com/watch?v=kZRnuHeqQjw Dauer 1:00:48 Uhr


    unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält

    15.08.2024

    Gewaltwelle gegen Israel Nahost: Führt eine rote Kuh zum Religionskrieg?

    bz-berlin.de, vom 18.11.2014, 18:45 Uhr


    Blick auf den Tempelberg mit Felsenizdom Foto: ab lb Ken hpl (Bild)


    Nahostexperte Rafael Seligmann analysiert die Versuche religiöser Eiferer, die Spannungen anzuheizen. Auslöser der Krise ist eine rötliche Kuh aus Texas.

    Eine rote Kuh droht in Jerusalem zum roten Tuch zu werden. Die rote Kuh ist seit biblischer Zeit ein religiöses Symbol des Judentums. Heute besteht die Gefahr, dass die religiöse Tradition als Instrument missbraucht wird, um den anschwellenden Konflikt zwischen Juden und Moslems in der ihnen und den Christen heiligen Stadt Jerusalem zum offenen Religionskrieg anzuheizen.

    Die Bestimmung einer „roten Kuh“ wird in der Bibel als göttliches Gesetz erwähnt: „Der Herr hat geboten: Sage den Israeliten, dass sie zu dir führen eine rötliche Kuh ohne Makel, an der kein Gebrechen ist und auf die noch nie ein Joch gekommen ist.“


    Eine makellose rotfellige Kuh ist extrem selten. In biblischer Zeit wurde eine dreijährige rote Kuh von einem Priester am Jerusalemer Ölberg vollständig verbrannt. Ihre mit Wasser vermischte Asche diente dazu, die Menschen von ihren Sünden zu reinigen, ehe sie den Tempel betraten.

    Im Juni nun wurde in Texas ein rotfelliges Kalb geboren. Religiöse jüdische Eiferer sehen dies als göttliches Zeichen, dass die Zeit für einen Wiederaufbau des bereits zweimal zerstörten jüdischen Tempels reif ist.


    Tatsächlich ist die Möglichkeit, dass der zuletzt im Jahre 70 von den Römern zerstörte jüdische Tempel in absehbarer Zukunft wiederaufgebaut wird, faktisch ausgeschlossen. Denn das israelische Oberrabbinat hat gläubigen Juden das Betreten des Tempelbergs ausdrücklich verboten. Dies sei religiöser Frevel. Die einzige Kraft, die befugt sei, den 3. Tempel wieder zu errichten, sei der Messias – also das Ende der Welt.


    Doch nicht alle Juden erkennen die Beschlüsse ihres Oberrabbinats an. Kleine Gruppen von Zeloten können es nicht erwarten, den Aufbau eines jüdischen Tempels zu erleben. Sie setzen all ihre Kraft dafür ein, dass das Heiligtum so schnell wie möglich wieder errichtet wird. Dafür beten sie, auch auf dem Tempelberg.


    Damit bekommt die religiöse Sehnsucht eine hochgefährliche politische Dimension.

    Denn die Mehrheit der Moslems leugnet, dass der jüdische Tempel an diesem Ort stand. Für sie ist der Haram-al-Sharif, das edle Heiligtum, von dem aus der Prophet Mohammed im Jahre 632 auf seinem Pferd Burak in den Himmel ritt, das dritthöchste Heiligtum. Dort stehen die Al-Aksa-Moschee und der (moslemische) Felsendom, dessen Goldkuppel das Stadtbild Jerusalems beherrscht.



    Eiferer glauben, diese rote Kuh aus Texas sei ein Zeichen Gottes für den Aufbau des Tempels (Foto: Temple Institute) Foto: Temple Institute


    Fanatischen Moslems ist der Gedanke unerträglich, dass Juden ihre Gebete auf ihrem islamischen Heiligtum verrichten. Um die religiösen Spannungen abzubauen, erlaubt die israelische Regierung Juden nur einen zeitlich sehr begrenzten Zugang zum Tempelberg.

    Hamas und andere radikale Gruppen nutzen die Glaubenskonflikte, um die religiösen Spannungen zwischen Juden und Moslems mit allen Mitteln anzufachen. Am 29. Oktober versuchte man, den jüdischen Tempel-Aktivisten Yehuda Glick zu ermorden. Der Mordanschlag vom Dienstag soll den Hass weiter anheizen. Palästinenserpräsident Abbas warnt vor einem Glaubenskrieg, doch gleichzeitig feiert er palästinensische Mörder als Märtyrer.

    Das heilige Jerusalem, ja das ganze Land, steht am Rande einer Intifada, eines Krieges um die Vorherrschaft im Heiligen Land.


    Screenshot_2024_08_15_at_22_19_54_bildschirmfoto_2014_11_18_um_19_46_29_1416336585.jpg_AVIF_Grafik_748_746_Pixel_Skaliert_78_


    Info: https://www.bz-berlin.de/archiv-artikel/rote-kuh-religionskrieg-israel-palaestina-tempelberg-hamas


    unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält

    14.08.2024

    Habecks Wärmepumpen-Rechnung: Seltsame 40 %

    Screenshot_2024_08_15_at_10_55_52_Habecks_W_rmepumpen_Rechnung_Seltsame_40_


    neopresse.com, 15. August 2024, Von: NEOPresse, Themen:

    Robert Habeck auf Tour: Gestern wurden Berichte gesendet, u.a. auf ARD und ZDF, bei denen der Wirtschaftsminister bei einer Frau in Niedersachsen deren neu eingebaute Wärmepumpe für 75.000 Euro (abzüglich der Förderungen) besichtigte. Die Rechnung des Wirtschaftsministers in einem Video, das aus diesem Anlass gleichfalls weithin diskutiert wurde: Immobilien mit Wärmepumpen wären laut einem Internetportal / Immobilienportal 40 % teurer als Immobilien ohne Wärmepumpe. Die Botschaft soll wohl lauten: Es lohnt sich. Unabhängig von den individuellen Gegebenheiten bei Ihnen zu Hause ist die Rechnung aus zwei Gründen nicht nachvollziehbar:


    • Zum einen wird der Wirtschaftsminister auf keine Fall zwischen Neubauten und Altbestand unterschieden haben. Im Neubau werden aktuell häufig Wärmepumpen eingesetzt. Die Preise für Neubauten sind allerdings nicht wegen der Wärmepumpen höher, sondern weil sie schlicht hochwertiger sind (Sanierungsbedarf im Bestand, Materialien und so fort – auch die Aktualität des Wärmesystems selbstverständlich).
    • Zum anderen wird die Rechnung ohne den Wirt gemacht: Wer Wärmepumpen verbaut und dafür ein Haus sanieren muss (Wärmedämmung), muss sicherlich 10.000e Euro investieren: Dass die „Verkaufspreise“ – Portale bieten meist Angebotspreise – höher sind, ist nicht verwunderlich.


    Die Methode, nach der hier gerechnet wird, unterstellt Vergleichbarkeit, die es nicht gibt.

    Damit soll wohl die Krise bei den Wärmepumpenherstellern, die in Kurzarbeit mündet, zumindest gelindert werden. Das ist löblich. Wir erinnern:

    Immer mehr Nachrichten über Krisen bei Wärmepumpen. So wurde kürzlich berichtet, dass die Stadt Oranienburg teils deshalb die neuen Stromanschlüsse verweigere. Wir hatten darüber berichtet. Vor zwei Wochen zeigte sich, dass der Hersteller Windhager nun Probleme habe. Stellenabbau wollte der Hersteller Nibe betreiben – wegen zu geringer Nachrfrage wie es hieß.

    In ganz Europa würden die Verkäufe eingebrochen sein, hieß es weiter. Zeit, darüber nachzudenken? Wir erinnern.


    „Einer der Eckpfeiler der gegenwärtigen Energiewende ist das Gebäudeenergiegesetz, d. h. die Novelle, die als „Heizungsgesetz“ landläufig bekannt ist. Die Weichen werden in den kommenden Wochen und Monaten gestellt. Einer der Eckpfeiler dieser Entwicklung wiederum sind Wärmepumpen, die in zahlreichen Haushalten zumindest den verlangten Anteil von 65 % an der Wärmeerzeugung bereitstellen sollen. Die Begeisterung der Menschen hält sich offenbar noch in sehr engen Grenzen. Denn die Kunden kaufen ersichtlich nicht.


    Problem: Verunsicherung nach den Ampel-Gesetzen

    Die Zahlen sind offenbar eindrücklich. So habe die EBM-Pabst-Gruppe aus der Nähe von Stuttgart 15.000 Mitarbeiter. In Landshut aber hat der Heizungsbauer (Lüfter, Gebläse und Pumpen für die Heizungssysteme) Kurzarbeit für die Werke in Landshut angemeldet.

    Wie kann das passieren? Der Verkaufsschlager Wärmepumpen ist zum Ladenhüter mutiert, wobei wohl vor allem Gasheizungen speziell in diesem Unternehmen sogar dramatisch weniger nachgefragt werden.

    Aus der gesamten Branche kommen dazu Forderungen an Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck. Die langwierige Debatte um das Gesetz habe die Menschen verunsichert, zudem würde die Konjunkturentwicklung die Verunsicherung und die Kaufunwilligkeit vergrößern. Eine interne Verbandsumfrage gehe sogar für das 1. Quartal 2024 davon aus, dass es einen „deutlichen Rückgang des Marktes“, sprich des Marktes für Heizsysteme, geben würde.

    Zudem hatte das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) ohnehin von einem deutlichen Rückgang der Förderanträge gesprochen. Jan Brockmann, Präsident des Bundes der Heizungsbauer und Michael Hilpert vom Zentralverband Sanitär, Heizung, Klima, haben eine „zuverlässige Förderung“ verlangt. Sonst würde das Ziel, der Einbau von 500.000 Wärmepumpen im kommenden Jahr, nicht erreicht.

    Alles nur Kaufmannsklage? Möglich. Aber sehen Sie sich in Ihrer Nachbarschaft um.“


    Info: https://www.neopresse.com/politik/habecks-waermepumpen-rechnung-seltsame-40/?


    unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält

    Seite 20 von 615

    < 1 2 3 4 .. 10 .. 17 18 19 20 21 22 23 .. 30 .. 40 .. 50 .. 100 .. 200 .. 300 .. 400 .. 500 .. 590 .. 600 .. 610 .. 612 613 614 615 >
    Diese Webseite verwendet Cookies. Hier erfahren Sie alles zum Datenschutz ok