Informationen zu den Kriegen in der Ukraine und in Westasien
(I von III)
aus e-mail von Clemens Ronnefeldt, vom 9. Oktober 15:31 Uhr
Liebe Friedensinteressierte,
beiliegend einige Informationen zu
den Kriegen in der Ukraine und in Westasien.
1. n tv: Ukraine-Krieg im Liveticker
2. LMD: Die Clans der Ukraine
3. Die Zeit: Ukrainische Sicherheitskonferenz: Wolodymyr Selenskyj hat einen neuen Plan
4. Newsweek: Exklusiv: Russlands Lawrow warnt vor "gefährlichen Folgen" für die USA in der Ukraine
5. IPG: Gefragter Mediator
6. NZZ: Israel und Gaza News
7. IPG: Thomas Friedmann: Die andere Partei Gottes
8. Handelsblatt: Das sind Israels wichtigste Waffenlieferanten
9. DLF: Steht die Nahost-Region vor einem großen Krieg?
10. Nahost: Hisbollah-Vize rückt laut Bericht von Gazafrieden als Bedingung ab
11. SZ: Interview mit Rula Hardal und Omri Boehm:
"Die Zwei-Staaten-Lösung wäre ein Desaster“
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1. n tv: Ukraine-Krieg im Liveticker
09.10.2024
Ukraine-Krieg im Liveticker
12:04 Umfrage: Für Russen ist Deutschland ein feindliches Land
Wegen der Unterstützung für die Ukraine sieht eine Mehrheit von Russen
und Russinnen Deutschland als feindliches Land. Laut einer
repräsentativen Umfragge des unabhängigen Lewada-Zentrums für
Meinungsforschung in Moskau haben 62 Prozent der Russen ein schlechtes
oder eher schlechtes Verhältnis zu Deutschland.
Noch 2019 war es umgekehrt: 61 Prozent der russischen Bevölkerung
hatten ein gutes oder eher gutes Bild von Deutschland. Lewada-Chef Lew
Gudkow leitet aus den Antworten ab, dass eine verstärkte antideutsche
Propaganda in Russland Wirkung zeige. "Deutschland hat die Ukraine und
Polen überholt als feindselige Länder", sagte er. Nur in den USA und
Großbritannien sehe die russische Bevölkerung noch größere Feinde.
(…)
11:30 Trubetskoy zu Biden-Absage: "Für die Ukraine ist das keine gute Nachricht“
Angesichts der Hurrikan-Lage in Florida sagt US-Präsident Biden seine
Deutschlandreise und damit auch den Ukraine-Gipfel in Ramstein ab. Für
Kiew "absolut enttäuschend", erklärt der ukrainische Journalist Dennis
Trubetskoy. Zudem rechnet der Experte in wenigen Wochen mit einem
Stromproblem in seinem Land.
(…)
04:56 Biden kommt nicht zum Ukraine-Gipfel in Ramstein
US-Präsident Biden wird nicht persönlich am Ukraine-Gipfel am Samstag
in Ramstein teilnehmen. Das bestätigt Pentagon-Sprecherin Sabrina
Singh. Es werde noch daran gearbeitet, was das für den Zeitplan von
US-Verteidigungsminister Lloyd Austin bedeute. US-Außenminister Antony
Blinken, der Biden bei der Reise begleiten sollte, hat seinen
Deutschland-Besuch ebenfalls abgesagt.
Biden hatte wegen des auf den Bundesstaat Florida zusteuernden
Hurrikans "Milton" seine geplanten Reisen nach Deutschland und Angola
verschoben. Denkbar wäre nun, dass Biden virtuell an dem Gipfel mit
rund 50 NATO-Mitgliedstaaten teilnimmt.
(…)
23:16 Ukraine: Nächster Friedensgipfel wohl später als geplant
Die ukrainische Führung richtet sich auf eine mögliche Verschiebung
des für November erhofften zweiten Friedensgipfels ein. Für die
Vorbereitung ist in Kiew das Präsidialamt unter Andryj Jermak
zuständig. Dessen Beraterin Darija Sariwna sagt dem Nachrichtenportal
"Telegraf", dass ein Novembertermin wohl nicht zu halten sei.
Trotzdem solle alles für den kommenden Gipfel vorbereitet werden.
Derzeit liefen Konferenzen über einzelne Themen des Friedensplans von
Präsident Wolodymyr Selenskyj, erläutert Sariwna auf Telegram. Die
letzte derartige thematische Konferenz - über humanitäre Fragen wie
den Austausch von Gefangenen - werde am 30. und 31. Oktober
stattfinden. "Die Frage eines Datums für den zweiten Friedensgipfel
wird nach Abschluss der thematischen Konferenzen entschieden",
schreibt sie.
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1. LMD: Die Clans der Ukraine
Anm. von C.Ronnefeldt: Vor ziemlich genau 10 Jahren
erschien dieser Artikel in der renommierten Le Monde Diplomatique.
Er kann mithelfen, die Gegenwart besser zu verstehen.
https://web.archive.org/web/20141017204304/http://www.monde-diplomatique.de/pm/2014/10/10/a0043.text
10.10.2014
Die Clans der Ukraine
Machtverhältnisse in einer Demokratie, die nie existiert hat
von Klaus Müller
Klaus Müller ist Professor für Politikwissenschaft und Zeitgeschichte
an der AGH University of Science and Technology in Krakau.
Die ukrainische Politik hat im September erneut eine überraschende Wende
genommen. Noch vor Kurzem sprach der ukrainische Verteidigungsminister
von einem großen Krieg, wie ihn Europa seit 1945 nicht gesehen habe.
Und US-Politiker beschrieben die Ukraine als Schauplatz eines Krieges
Russlands gegen Europa, der sich jederzeit noch ausweiten könne.
Doch dann folgte Mitte September eine Vereinbarung, die auf einen
Kurswechsel hinausläuft, der den Konflikt um die Zukunft der Ukraine
entschärfen könnte: Zwar soll der wirtschaftliche Teil des
EU-Assoziierungsabkommen am 1. November 2014 in Kraft treten, doch
seine volle Implementierung ist auf Ende 2015 verschoben.
Ebenso wichtig: Den umkämpften Territorien im Osten wird für drei
Jahre eine weitgehende Autonomie gewährt. Das wäre in der Tat ein
Ausweg aus der größten innenpolitischen Katastrophe des Landes seit
dem Zweiten Weltkrieg, die bereits mehr als 3 500 Tote gefordert und
eine Million Ostukrainer aus zerstörten Städten und Dörfern vertrieben hat.
Doch in Kiew kritisieren oppositionelle Stimmen, allen voran Julia
Timoschenko, die relative Waffenruhe im Osten des Landes als Kniefall
vor Moskau und kündigen eine Verfassungsbeschwerde an. Aktivisten der
Maidan-Bewegung sehen die Werte verraten, für die sie protestiert
haben; ihre militantesten Vertreter fragen sich, wofür sie fünf Monate
lang gekämpft und Opfer gebracht haben.
Dmytro Jarosch, der Führer des "Rechten Sektors", warnt Präsident
Poroschenko, es könnte ihm ähnlich ergehen wie seinem Vorgänger
Janukowitsch. Und unter den rechten Milizen im Osten wächst die Idee
eines Marschs auf Kiew.
Kaum jemand stellte die näherliegende Frage, warum man nicht schon
früher zu einem Kompromiss bereit war, etwa in Form des Fahrplans zu
einer Verfassungsreform und Neuwahlen, den die Außenminister
Frankreichs, Deutschlands und Polens im Februar unter Beteiligung der
ukrainischen Opposition ausgehandelt hatten.
Die Entzauberung der Maidan-Revolution schreitet schneller voran als
die der Orangen Revolution von 2005. Beide teilen das eigentümliche
Schicksal eines Ereignisses von globaler Bedeutung, das gleichwohl an
den realen Machtverhältnissen und den politischen Institutionen der
Ukraine genauso wenig geändert hat wie an den wirtschaftlichen Strukturen.
In ihrem Zerfall, der bereits mit dem Amtsantritt Petro Poroschenkos
einsetzte, wird die Maidan-Bewegung als das erkenntlich, was sie schon
bei ihrer Entstehung im Spätherbst 2013 war: eine temporäre Koalition
höchst unterschiedlich motivierter Protestgruppen.
Der gemeinsame Gegner führte soziale Protestbewegungen,
nationalistische Kampftrupps und um die Macht rivalisierende Eliten
zusammen. Was in der westlichen Öffentlichkeit als Kampf europäischer
Werte gegen einen wiederauferstandenen russischen Imperialismus
porträtiert wurde, verdeckte in Wahrheit die höchst unterschiedlichen
Interessen jeder dieser Gruppierungen.
Die ursprünglichen Motive für den Protest der ukrainischen Bevölkerung
gehen aus einer im Dezember 2013 veröffentlichten landesweiten Umfrage
der International Foundation for Electoral Systems (Ifes) hervor.(1)
Demnach handelte es sich in erster Linie um einen Überlebenskampf in
einer heillos defekten Demokratie.
Als die brennendsten Probleme wurden Inflation, Armut und
Arbeitslosigkeit genannt, gefolgt von Korruption und einem maroden
Gesundheitswesen. 74 Prozent der Befragten hatten kein Vertrauen zu
den politischen Institutionen, am wenigsten zu dem von Korruption
durchsetzten Parlament und zur Regierung, letztlich also zur gesamten
politischen Klasse.
Zwei Drittel misstrauten dem noch amtierenden Präsidenten Wiktor
Janukowitsch, aber ebenso Oppositionellen wie Julia Timoschenko und
Arsenij Jazenjuk und vor allem Oleh Tjahnybok, dem Chef der
nationalistischen Swoboda-Partei.
Als zentrales Problem sahen die Befragten die Funktionsweise der
ukrainischen Demokratie als solcher. In diesem Sinne trifft es zu,
dass die Mehrheit der Maidan-Demonstranten auf einen radikalen Wandel
aus war und sich nicht mit dem Rücktritt von Janukowitsch begnügte.
Verstärkt und erweitert wurden diese Motive durch die Eskalation der
Gewalt auf dem Maidan und die Repression des Regimes.
Die von USAID finanzierte Studie zeigt aber auch, dass zu den Motiven,
die die Kiewer Bevölkerung auf die Straße trieben, keinesfalls
irgendwelche geopolitischen Strategien gehörten. Ende 2013 sahen
lediglich 14 Prozent im Verhältnis zu Russland und nur 4 Prozent im
möglichen Beitritt zur Eurasischen Union ein Problem.
34 Prozent bevorzugten engere Wirtschaftsbeziehungen mit Russland, 35
Prozent mit der EU, während 17 Prozent hierin keinen Gegensatz erkannten.
Die Initiative ging allerdings seit Februar auf andere Gruppierungen
über: auf nationalistische Stoßtrupps, die den Rückzug von
Janukowitsch erzwangen, und auf Mitglieder des Parlaments, die mit der
Technik des Machterhalts per Fraktionswechsel seit jeher vertraut waren.
Die aus dem alten Personal zusammengesetzte Übergangsregierung hielt
sich an die bewährten Muster opportunistischer Regierungsumbildungen.
Ein selbst ernannter Maidan-Rat, der sich aus Führern der
Anti-Janukowitsch-Parteien rekrutierte, entschied über die Verteilung
der Regierungsämter.
Die Kontinuität oligarchischer Macht wurde dann im Mai durch die Wahl
eines neuen Präsidenten gesichert. Petro Poroschenko war der Kandidat
des westlich orientierten Pintschuk-Clans, der seit einigen Jahren für
die Aufnahme der Ukraine in EU und Nato plädiert.
Der Öffentlichkeit hatte sich Poroschenko durch die Liveübertragung
der Maidan-Proteste in seinem eigenen Sender empfohlen. Mit seinem
Sieg war der rivalisierende Achmetow-Clan aus Donezk, der hinter der
Partei der Regionen, also hinter Janukowitsch, stand, in die Defensive
gedrängt.
Diese oligarchischen Strukturen sorgen dafür, dass das Verhältnis
zwischen nationalen Bewegungen, Parteien, Medien und politischer Macht
von außen kaum zu durchschauen ist. Die dominierenden Clans haben sich
im Übergang der Ukraine von einer Sowjetrepublik in die Unabhängigkeit
herausgebildet.
Die kommunistische Führung hat dabei das Konzept der staatlichen
Souveränität von den westukrainischen Nationalisten übernommen - mit
dem Ziel, sich aus der zerfallenden Sowjetunion herauszulösen und
damit ihre Machtpositionen zu erhalten.
Der letzte Vorsitzende des Ukrainischen Obersten Sowjets, Leonid
Krawtschuk, vollbrachte das Kunststück, sich an die Spitze der zuvor
unterdrückten Nationalbewegungen zu setzen, indem er Ukrainisch zur
Staatssprache machte und die desaströse Wirtschaftslage dem Moskauer
Zentrum zuschrieb. Und die Interessen der Fabrikdirektoren und
Arbeiter in den östlichen Regionen wurden durch die Privatisierung
ihrer Industrien in ukrainische Hände bedient.
In den ersten fünf Jahren der Transformation ging die Hälfte der
Unternehmen in privaten Besitz über. Die drei großen "Clans" der
1990er Jahre bildeten die territoriale und sektorale Gliederung der
ukrainischen Wirtschaft ab.
Der Donezker Clan gruppierte sich um Rinat Achmetow, der die Schwer-
und Metallindustrie dominierte; wichtige Verbündete waren der
Industrieverband Donbass um Serhij Taruta, Witali Hajduk und die
Gebrüder Klujew.
Die Dnepropetrowsker Gruppe war am engsten mit der politischen
Maschine von Leonid Kutschma, dem zweiten Präsidenten der Ukraine,
verwoben. Wiktor Pintschuk, anfangs in der Metallindustrie engagiert,
ist Kutschma familiär verbunden und stimmte seine Interessen mit der
Finanzgruppe Privat von Ihor Kolomojskyj ab.
Dieser Gruppe hatten sich Julia Timoschenko und Serhij Tihipko
angeschlossen. Der Kiewer Clan als dritte Kraft profitierte von seinen
direkten Verbindungen zur Präsidialverwaltung Kutschmas, sah jedoch
seinen Einfluss unter den veränderten politischen Rahmenbedingungen
zusehends schwinden.
Klitschkos Wahl wurde vom Pintschuk-Clan organisiert
Am Ende von Kutschmas Amtszeit im Januar 2005 hatten sich die Clans
mittels Übernahmen und Zusammenschlüssen von ihren jeweiligen Regionen
emanzipiert und politische Schlüsselämter in Kiew erobert: die Leitung
des Außenministeriums, des Energieministeriums, der Zentralbank, des
Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats sowie der Zollbehörde,
aber auch den Vorsitz in wichtigen parlamentarischen Ausschüssen.
Für die Massenloyalität sorgt in diesem oligarchischen System die seit
Ende der 1990er Jahre zugelassene Konkurrenz von Parteien, über die
verschiedene Kapitalgruppen ihre Interessen koordinierten. Die
Öffentlichkeitsarbeit der Clans läuft über Fernsehstationen und
Zeitungen, die sie über ihre eigenen Mediengruppen kontrollieren.(2)
Die Veränderungen der ukrainischen Politik seit der Jahrtausendwende
gehen auf die wechselnden Koalitionen dieser Kapitalgruppen zurück,
die wiederum Verschiebungen im Parteiensystem bewirken. Die von
Timoschenko gegründete Vaterlandspartei konnte sich die Unterstützung
des größten Autoproduzenten Tariel Vasadze sichern; Janukowitschs
Partei Unsere Ukraine konnte auf Poroschenko, Taruta und Hajduk zählen.
Angesichts dessen war kaum zu erwarten, dass der Sieg der Orangen
Koalition von 2005 die Geschäftsgrundlage der Politik verändern würde.
Stattdessen wurden in der Ära Timoschenko die Rivalitäten bei der
Verteilung der Gewinne aus russischem Gasimporten in die Regierung
selbst hineingetragen.
Von einer proeuropäischen Politik der Orangen Koalition - im Gegensatz
zu einer prorussischen Orientierung der vorangegangenen wie der
folgenden Regierung unter Janukowitsch - kann also kaum die Rede sein.
Denn auch die außenpolitischen Optionen waren stets von den
Investitionsinteressen der Industriegruppen instruiert.
Allerdings keineswegs nach dem schlichten Schema "Ost gegen West". Die
im Osten der Ukraine operierenden Unternehmen sind längst in der
Schweiz, Österreich oder Luxemburg registriert.
Achmetow besitzt Stahlwerke in Italien und Großbritannien. In
geschäftlichen Angelegenheiten vertrauen diese Konzerne
internationalen Unternehmensberatern und Rechtsanwälten,
Interessenkonflikte werden vor Gerichten in London oder New York
ausgetragen.
Vor allem Pintschuk ist für einen raschen EU-Beitritt und sponsert den
Ukrainischen Lunch beim Davoser Weltwirtschaftsforum. Umgekehrt
setzten Poroschenko und Vasadze noch vor wenigen Jahren auf eine
liberalisierungskritische Linie, um ihre Produkte weiterhin durch
Einfuhrzölle gegen europäische Konkurrenz abzuschirmen.
Angesichts des vorherrschenden Opportunismus wäre es also trügerisch,
die parteipolitische Szenerie der Ukraine in starre innen- und
geopolitische Lager einzuteilen.
Der "westliche" Präsident Juschtschenko hatte 2005 kein Problem,
Janukowitsch den Weg zur Rückkehr an die Macht zu ebnen, auf Kosten
Timoschenkos. Und Poroschenko war Gründungsmitglied der Partei der
Regionen und 2001 deren stellvertretender Vorsitzender.
Als er jetzt im Mai zum Präsidenten gewählt wurde, meinte er, mit der
neu gebildeten Regierung könne er gut zusammenarbeiten, weil er das
Personal aus seiner früheren Arbeit bestens kenne. Noch 2012 fungierte
Poroschenko als Wirtschaftsminister unter Janukowitsch.
Eine seiner ersten Amtshandlungen als Präsident bestand darin, die
Unternehmer-Politiker Taruta und Kolomojskij zu Gouverneuren von
Donezk respektive Dnjepropetrowsk zu ernennen. Aus der
Clan-Perspektive hat Poroschenkos Wahl den weiteren Vorteil,
Timoschenko als die große "westorientierte" Rivalin des
Pintschuk-Clans vorerst von der Macht fernzuhalten.
In der westlichen Wahrnehmung wurden diese Details der
innerukrainischen Machtspiele durch die Rhetorik eines neuen Kalten
Kriegs zugedeckt. Anders in der Ukraine selbst, wo die Ernüchterung
bald einsetzte.
Im Sommer 2014 waren auf dem Maidan - als letzte Zeichen des
politischen Protests - nur noch die Zeltlager übrig, die sich bis zum
Chreschtschatyk-Boulevard erstreckten. Die Symbole der Militanz -
Militärausrüstung, Barrikaden, Schutzschilde, Steinhaufen und
Reifenstapel - sind zu Stadtmöbeln geworden.
Ähnlich sieht es in den westlicheren Städten aus, wie etwa in Lwiw
oder Iwano-Frankiwsk: Ukrainische Fähnchen und die schwarz-roten
Embleme der westukrainischen Nationalisten, Anti-Putin-T-Shirts und
Bandera-Plaketten werden als Souvenirs feilgeboten, finden allerdings
mangels Touristen nur geringen Absatz.
Die gewaltsame Räumung der Kiewer Protestzone Anfang August erfolgte
nicht, weil die Forderungen des Maidan nach einem Ende der Korruption
und eines von Oligarchen vereinnahmten Staats erfüllt worden wären.
Sie sollte vielmehr die Kontinuität des politischen Geschäfts
demonstrieren und gewährleisten. Niemand weiß dies besser als Witali
Klitschko, heute Bürgermeister von Kiew.
Die erfolgreiche Wahlkampagne Klitschkos wurde vom Pintschuk-Clan
organisiert. Noch im April hatte Klitschko auf die Besonderheiten der
ukrainischen Demokratie verwiesen: Parteien werden von oben her
finanziert, ihre Finanziers sichern sich die parlamentarische
Repräsentation ihrer Interessen durch Vertraute, die sie auf den
Parteilisten platzieren.
Sobald die Alimentierung von oben ausbleibt, fällt eine Partei in sich
zusammen. Die Abgeordneten können auch in Abwesenheit parlamentarisch
abstimmen, damit politische Verpflichtungen nicht ihre laufenden
Geschäfte behindern. Achmetow, die Nummer eins der ukrainischen
Oligarchen, hatte nach seiner Wahl über die Liste der Partei der
Regionen 2006 das Parlamentsgebäude kaum betreten.
Die Übersetzung wirtschaftlicher Interessen in parlamentarische
Stimmen sorgt zugleich für einen gewissen "Pluralismus": Um auf Nummer
sicher zu gehen, unterstützte Pintschuk Abgeordnete von gleich drei
Parteien.
Den Abgeordneten wiederum verschafft dies eine gewisse Autonomie, weil
sie je nach politischer Wetterlage ihre Positionen - und ihre
Einkommen - durch Partei- oder Fraktionswechsel sichern können. So
haben nach der Flucht von Janukowitsch im Februar 2014 nicht weniger
als 72 Abgeordnete dessen Partei der Regionen verlassen.
Über die Eigenheiten der ukrainischen Demokratie von oben hatte die
Bevölkerung spätestens nach dem Verpuffen der Orangen Revolution
keinerlei Illusionen. Nur wenige Monate nach der Wahl Juschtschenkos
zum Präsidenten Anfang 2005 glaubte nicht einmal ein Viertel der
Ukrainer, dass es mehr Demokratie im Lande gebe.( )Und 60 Prozent der
Befragten sahen das Land auf einem falschen Weg.(3)
Die folgenreichste Aktion der neuen Regierung war die
"Anti-Terror-Operation" im Osten, in den Medien "ATO" genannt (wobei
sich viele einen anderen Anfangsbuchstaben hinzudenken). Es handelt
sich um eine Art Kriegserklärung, die sich zu sehr an der
Feindsemantik von US-Beratern orientierte, als dass sie in der
Bevölkerung große Begeisterung ausgelöst hätte. Und auch die Armee war
in sich zu gespalten, um in einem internen Krieg voll einsatzfähig zu
sein.
Das veranlasste die Regierung, über die Wiedereinführung der
Wehrpflicht hinaus eine Nationalgarde aufzubauen, die sich auf
Freiwilligenverbände stützt.(4)
Die Kämpfe in den östlichen Regionen werden also von Verbänden ohne
klare Kommandostruktur geführt, deren Vielfalt kaum überschaubar ist.
Die Tatsache, dass die Kampfgruppen in den Regionen um Mariupol,
Lugansk oder Donezk von den Oligarchen Kolomoiskij, Taruta und anderen
finanziert werden, zeigt dabei, wie weit die Usurpation von
Staatsfunktionen durch oligarchische Gruppen gediehen ist.
Die nationalistischen Stoßtrupps des Maidan interpretieren ihren
"Anti-Terror-Einsatz" als "Einladung" zum Kampf gegen einen
prorussischen Separatismus. Allerdings muss man bezweifeln, dass viele
Ukrainer von einem aufgeheizten Nationalismus beseelt sind.
In Kiew sah man im August nur wenige Nationalflaggen. Und selbst in
der westlichen Ukraine will der nationalistische Funke kaum zünden. In
den Straßen von Iwano-Frankusk oder Lwiw machen die Bürger einen
großen Bogen um die Stände von Gruppen, die zum Eintritt in die
Nationalgarde oder auch nur zu Spenden auffordern.
Die für die Medien inszenierte Zerstörung von Symbolen aus der
Sowjetzeit war das Werk kleiner rechtsradikaler Minderheiten. In Kiew
ist von der Leninstatue an der Mündung des
Taras-Schewtschenko-Boulevards zwar nur der Sockel geblieben, aber am
Eingang zur Aula der gleichnamigen Universität prangen nach wie vor
die Embleme der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften.
Mit Juschtschenko wurden die Nationalisten salonfähig
Im Museum zum Großen Vaterländischen Krieg führt man die frisch
uniformierten Rekruten noch immer durch die gemeinsame Geschichte des
sowjetischen Siegs über Nazideutschland. Auch in den Museen Lwiws ist
von einem antirussischen Nationalismus noch nichts zu sehen.
Das Personal des Lwiwer Stadtmuseums, das unter anderem alte
französische Landkarten von einer bis in den Kuban hineinreichenden
Großukraine präsentiert, drückt sich sehr zurückhaltend aus, wenn man
nach Symon Petljura, dem antisowjetischen Freiheitshelden der frühen
1920er Jahre, fragt.
Man scheint sich darüber im Klaren, dass der ukrainische Nationalismus
selbst in der heroischen Phase nach dem Ersten Weltkrieg ein
Minderheitenprojekt war. Die Dominanz nationaler Symbole in der
aktuellen Politik hat andere Gründe.
Seit der Unabhängigkeit wurden nationalistisch aufbereitete Themen
immer wieder zur politischen Mobilisierung eingesetzt, stießen
allerdings im Osten kaum auf Resonanz. In den westlichen Landesteilen
dagegen waren nationalistische und neofaschistische Kampfgruppen schon
immer aktiv.
Aber in der Öffentlichkeit und bei Wahlen spielten sie eine marginale
Rolle. Die radikale Rechte überzeugte selbst im Kerngebiet des
westukrainischen Nationalismus nur ein paar Prozent der Wähler und
verunsicherte die Öffentlichkeit von Lwiw allenfalls durch
Fackelmärsche. Und die paramilitärische Studentenvereinigung in Lwiw
wurde wegen rassistischer Umtriebe aus dem Ukrainischen
Studentenverband ausgeschlossen.
Der Aufstieg der Neofaschisten in der ukrainischen Politik geschah
erst, als Juschtschenko den autoritären Führer der Sozial-Nationalen
Partei Oleh Tjahnybok in seine Wahlallianz Unsere Ukraine aufnahm und
ihm damit parlamentarische Respektabilität verschaffte.
Seitdem versuchen Tjahnybok und seine Gefolgschaft, jetzt im weniger
verdächtigen Rahmen der Swoboda-Partei, die Bevölkerung durch
Kampagnen gegen Korruption und gegen die Oligarchen anzusprechen -
ebenfalls ohne Erfolg. Die rechte Swoboda erreichte bei den
Präsidentschaftswahlen im Mai gerade 1,1 Prozent, der neofaschistische
Rechte Sektor 0,7 Prozent.
Dieses schwache Ergebnis darf allerdings nicht über die
Funktionalisierung der neofaschistischen Subkulturen durch die
vermeintlich prowestlichen Parteien hinwegtäuschen.(5)
Schon Juschtschenko würdigte die faschistischen Kampforganisationen
der 1930er und 1940er Jahre als nationalen Widerstand. Deren
Kommandeure Roman Schuschkewitsch und Stepan Bandera wurden trotz
aller Proteste des polnischen, russischen und auch des Europäischen
Parlaments offiziell zu "Helden der Ukraine'" ernannt. Ein
gigantisches Porträt Banderas war noch im August dieses Jahres auf dem
Maidan zu sehen.
Auch ohne Wahlerfolge haben rechtsradikale Demagogen ihre Position im
Zentrum des Staats erstaunlich konsolidiert. Der Rechte Sektor des
Maidan sieht heute seine Stoßtrupps, jetzt in reguläre Einheiten der
Nationalgarde umgewandelt, zur Aufstandsbekämpfung im Osten eingesetzt.
Und indem Swoboda-Chef Tjahnybok sich in der Maidan-Koalition
profilieren konnte, vermochte er sich den Nimbus eines international
respektablen "Proeuropäers" zuzulegen. Noch vor einigen Jahren konnte
man die ukrainischen Rechten als relativ ungefährlich einschätzen, da
sie im Gegensatz zu den Politikern der großen Parteien über keine
finanziellen Mittel verfügten.
Das hat sich geändert, weil inzwischen die Oligarchen Kolomojskij und
Taruta mehrere Bataillone der Nationalgarde finanzieren, die sich
hauptsächlich aus westukrainischen "Patrioten'" zusammensetzen.
Doch dieser Patriotismus der rechten Art spricht die meisten Ukrainer
trotz pausenloser Berichterstattung von den Fronten des Bürgerkriegs
keineswegs an. Weitaus mehr Beachtung finden die steigenden Preise und
die drohenden Sparprogramme.
Die Kosten den Bürgerkriegs bekam die Bevölkerung zunächst nur in Form
zusätzlicher Steuern zu spüren. Seit Juli wird zusätzlich zu erhöhten
Verbrauchsabgaben eine explizite Kriegssteuer auf alle Einkommen erhoben.
Eine durch IWF-Auflagen erzwungene Steuerreform soll künftig auch
Monatseinkommen von weniger als 1 700 Dollar stärker belasten.
Allerdings spielt diese Schwelle zum höchsten Steuersatz bei einem
offiziellen Durchschnittseinkommen von monatlich 225 Euro für die
meisten Ukrainer ohnehin keine Rolle.
Die seit Monaten angekündigten harten Reformen treffen eine
Bevölkerung, die im täglichen Leben ohnehin improvisieren muss, um die
dürftigen formellen Einkommen durch alle möglichen informellen
Aktivitäten aufzubessern. Nach den Erfahrungen mit früheren
IWF-Programmen wissen die Leute sehr wohl, was in den kommenden
Monaten zu erwarten ist: steigende Preise ohne Wachstum.
Die Oligarchen präsentieren sich nun als Realpolitiker
Das Versprechen Poroscherenkos, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) bis
2020 zu verdoppeln, wird sich demnächst an dem vom IWF
prognostizierten BIP-Einbruch von 10 Prozent messen lassen müssen.
Genauso unglaubwürdig ist die Ankündigung, die Militärausgaben auf 5
Prozent des Sozialprodukts zu steigern und die Rüstungsindustrie zum
Motor eines wirtschaftlichen Aufschwungs zu machen.
Es ist nicht das erste Mal, dass ukrainische Politiker interne
Probleme mit Verweis auf den äußeren Gegner in Moskau erklären wollen.
Die autoritäre Formierung der Politik in den 1990er Jahren wurde damit
gerechtfertigt, dass die Festigung des ukrainischen Staats wichtiger
sei als die Demokratie. Die Oligarchisierung der Wirtschaft wurde als
notwendiger Aufbau einer nationalen Bourgeoisie dargestellt.
Und wenn sich jetzt die "Anti-Terror-Aktion" - angeblich eine Sache
von Stunden - über Monate hinzieht, wird das eingesickerten russischen
Truppen zugeschrieben. Dieser Erklärung liegt freilich die fatale
Fehleinschätzung zugrunde, dass die regionale Polarisierung des Landes
auf militärischem Weg zu überwinden sei.
Dabei wird vergessen, dass die Anläufe zu einer "Ukrainisierung der
Ukraine", die 1993/94 und nach 2004 unternommen wurden, im Donbass wie
auf der Krim sezessionistische Reaktionen ausgelöst hatten, die nur
durch Konzessionen entschärft werden konnten.
Mit dem Vorschlag einer Föderalisierung der Ukraine scheint sich diese
Einsicht langsam durchzusetzen. Die Besinnung auf eine politische
Konfliktlösung geht bezeichnenderweise wiederum von oligarchischen
Kreisen aus.
Kurz bevor Poroschenko seinen Friedensplan der ukrainischen
Öffentlichkeit vorstellte, hatte Pintschuk am 14. September beim
Davoser Weltwirtschaftsforum in Genf zum Ukrainischen Lunch geladen.
Das Ergebnis war die gemeinsame Erklärung einer paritätisch besetzten
Gruppe von Vertretern internationaler Konzerne aus der Ukraine,
Deutschland, Russland und den USA.
Darin wird die Dezentralisierung der Ukraine vorgeschlagen, ferner
Minderheitenschutz und Sprachenrechte für den Osten und eine
bündnispolitische Neutralität nach Schweizer oder finnischem Muster.
Dazu die Empfehlung, das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen
Union so zu gestalten, dass es mit Handelsbeziehungen zu Russland und
später auch zur Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft kompatibel ist.
Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen am 26. Oktober können die
Ukrainer zu Poroschenkos Vorschlägen Stellung nehmen.
Nach der jüngsten Umfrage des Kiewer Internationalen Instituts für
Soziologie findet Poroschenkos Initiative mehr Zuspruch als die
militanteren Positionen der Swoboda, der Radikalen Partei und von
Julia Timoschenko.
Ein Vertrauensbeweis für den Präsidenten ist das allerdings nur
angesichts schlechterer Alternativen. Ein realistisches Bild der Lage
dürfte die letzte Erhebung des Zentrums für Sozial- und Marktforschung
(Socis) in Kiew geben: 60 Prozent der Befragten stellten keine
Verbesserung ihrer Lebenssituation fest, ein Viertel konstatierte eine
Zunahme der Korruption.(6 )
Wie die Korruption im Alltag aussieht, konnte ich Ende Juli an der
Nationalen Iwan-Franko-Universität Lwiw erleben.
Bei ihrer Anmeldung zur Immatrikulation wurden zahlreiche Studenten
von ihren Eltern begleitet. Manche von ihnen wollten sich vor allem
vergewissern, dass sie die unter der Hand zu entrichtende
Aufnahmegebühr in Höhe mehrerer Monatsgehälter gut investiert haben.
Wenn sie erfahren, dass eine Aufbesserung von Noten am Semesterende
billiger zu haben ist, werden sie womöglich sogar dankbar sein.
Auf den Straßen gehört die Korruption, wenn auch in kleinerem Maßstab,
zum täglichen Leben. Als ein Kiewer Obsthändler nahe der
Taras-Schewschtschenko-Universität Polizisten sieht, die mit einer
Kontrolle am Nachbarstand offenbar ihr Gehalt aufbessern, meint er
nur: "So leben wir.“
Fußnoten:
(1) Ifes, Public Opinion in Ukraine 2013, Dezember 2013.
(2) Slawomir Matuszak, "The Oligarchic Democracy. The Influence of Business Groups on Ukrainian Politics", Warschau (Center for Eastern Studies) 2012.
(3) Nur 14 Prozent glaubten an einen Rückgang der Korruption. Siehe Paul Kubicek, "The History of Ukraine", Westport (Greenwood) 2008, S. 173-175.
(4) Siehe Hélène Richard, "Ukrainische Patrioten. Vom Maidan an die Ostfront", "Le Monde diplomatique, September 2014.
(5) www.kiis.com.ua/?lang=rus&cat=reports&id=391&page=1 <https://web.archive.org/web/20141017204304/http://www.kiis.com.ua/%3Flang%3Drus%26cat%3Dreports%26id%3D391%26page%3D1>.
(6) socis.kiev.ua/ua/press/zahalnonatsionalne-sotsiolohichne-doslidzhennja-100-dniv-dijalnosti-prezydenta-ukrajiny.html <https://web.archive.org/web/20141017204304/http://socis.kiev.ua/ua/press/zahalnonatsionalne-sotsiolohichne-doslidzhennja-100-dniv-dijalnosti-prezydenta-ukrajiny.html>.
Klaus Müller ist Professor für Politikwissenschaft und Zeitgeschichte
an der AGH University of Science and Technology in Krakau.
Le Monde diplomatique Nr. 10534 vom 10.10.2014, Seite 8-9, 719 Dokumentation, Klaus Müller
——
3. Die Zeit: Ukrainische Sicherheitskonferenz: Wolodymyr Selenskyj hat einen neuen Plan
Ukrainische Sicherheitskonferenz: Wolodymyr Selenskyj hat einen neuen Plan
Wie kann der Krieg enden?
Auf einer Konferenz in Kiew wird die ukrainische Strategie diskutiert.
Entscheidend könnte Joe Biden sein: Er will noch etwas erreichen.
Von Anna Sauerbrey
15. September 2024, 2:11 Uhr
(…)
Eröffnet wird die Konferenz von Präsident Wolodymyr Selenskyj
persönlich, sein Stabschef Andrij Jermak spricht ebenso wie der neue
Außenminister, der Verteidigungsminister, der Chef des
Militärgeheimdienstes.
Auch die USA sind gut vertreten, Kongressabgeordnete sind gekommen,
Joe Bidens Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan wird
zugeschaltet, und Donald Trumps früherer Außenminister Mike Pompeo
spricht als Trump-Unterstützer, Trump-Erklärer und Verfechter der
Haltung, dass die Unterstützung der Ukraine sehr wohl im nationalen
Interesse der USA liegt – eine Haltung, die sein früherer Chef
bekanntlich nicht teilt. (…)
Nun soll eine weitere Konferenz folgen. Russland soll eingeladen
werden, auch wenn es derzeit unwahrscheinlich scheint, dass russische
Vertreter tatsächlich kommen.
Noch vor dieser Konferenz will Selenskyj mit Joe Biden einen neuen
"Friedensplan" besprechen. Die beiden Regierungschefs treffen sich am
Rande der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York, die
am 24. September beginnt. Selenskyj sagte am Wochenende auf der Yalta
European Strategy in Kiew, er werde ein Paket vorschlagen, "das den
Weg zu einem Frieden bereiten wird".
Spekulationen darüber, was der Plan enthalten könnte, bestimmen gute
Teile der Kaffee- und Hinterzimmergespräche auf der Konferenz.
Gesicherte Informationen dringen nicht nach außen.
Denkbar ist, dass die Ukraine sich bereit erklärt, über ein
Teilabkommen mit Russland zu sprechen. Beide Seiten könnten darüber
verhandeln, auf künftige Angriffe auf die Energieinfrastruktur des
jeweils anderen Landes zu verzichten.
Die Washington Post hatte im August berichtet, Katar habe als
Vermittler solche Gespräche bereits angebahnt. Doch als die Ukraine in
die Region Kursk einmarschierte, verlief sich der Vorstoß im Sande.
Denkbar ist auch, dass die britisch-amerikanische Erlaubnis,
weitreichende Waffen tiefer auf russischem Territorium einzusetzen,
Teil einer Einigung zwischen Biden und Selenskyj sein könnte. Das
würde den Druck auf Russland erhöhen, Gesprächen zuzustimmen.
Sorgt sich Biden um sein politisches Erbe?
Der russische Präsident jedenfalls scheint Angriffe mit Storm Shadow
auf Russland zu fürchten. Er reagierte auf Spekulationen über ein
amerikanisch-britisches Ja am Freitag mit verbalen Drohgebärden ("Das
würde bedeuten, dass Nato-Länder im Krieg mit Russland sind") und ließ
sechs britische Diplomaten ausweisen.
Joe Biden, das deutet sein Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan
auf der Kiewer Konferenz an, will bis zum Ende seiner Amtszeit im
Januar 2025 noch etwas Entscheidendes erreichen. Biden hat zwar die
westliche Allianz zusammengebracht, die die Ukraine bis heute stützt,
und im gespaltenen Kongress immer wieder Milliardenhilfen für das Land
durchgesetzt.
Doch er könnte aus dem Amt scheiden, ohne dass der Krieg entschieden
ist. Macht Biden Druck aus Sorge um sein politisches Erbe? "Der
Präsident will die verbleibenden vier Monate seiner Amtszeit dazu
nutzen, der Ukraine in die bestmögliche Lage zu verhelfen", sagt Jake
Sullivan.
Doch ob es vor der Wahl in den USA überhaupt einen echten Durchbruch
geben kann, gehört zu den wabernden Unsicherheiten dieses Spätsommers.
Sollte Donald Trump noch einmal Präsident werden, würden sich die
Vorzeichen schließlich aller Wahrscheinlichkeit nach völlig ändern.
Das Rennen zwischen Kamala Harris und Donald Trump bleibt knapp – und
warum sollte Putin vorher von seinen Maximalforderungen abrücken, dass
die Ukraine sämtliche von Russland annektierte Gebiete abtritt, auch
solche, die noch nicht erobert sind, und auf eine Nato-Mitgliedschaft
verzichtet?
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unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.