aus e-mail vom Doris Pumphrey, 1. Februar 2024, 11:14 Uhr
(...) Die Anordnung vorläufiger Maßnahmen beendet die jahrzehntelange
Straffreiheit Israels für zahlreiche Verbrechen gegen Palästina und die
Palästinenser. Das Gericht hat dem Alarm entsprochen, den Mandelas
geliebtes Land geschlagen hat. Seine Entscheidung antwortet auf den Ruf
von Millionen von Juden, Christen und Muslimen weltweit, die marschieren
und skandieren, damit „Nie wieder“ für alle gleichermaßen gilt
https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/geopolitik/einige-der-handlungen-israels-scheinen-unter-die-voelkermordkonvention-zu-fallen-li.2182208
31.1.2024
*Klage gegen Israel:
„Der Internationale Gerichtshof rettet das Völkerrecht aus den Trümmern
von Gaza“
*Die Vorabentscheidung des Internationalen Gerichtshofs zur Klage gegen
Israel belegt die verheerende Kriegsführung im Gazastreifen.
*Ein Gastbeitrag von Mona Ali Khalil***/
/*In einer Rede im Dezember 1997 anlässlich des „Internationalen Tages
der Solidarität mit dem palästinensischen Volk“ (/lt. UN-Resolution
32/40B an jenem 29. November, Anm. d. Red./) versicherte Nelson Mandela
seinen Zuhörern, dass er und seine südafrikanischen Landsleute „nur zu
gut wissen, dass unsere Freiheit ohne die Freiheit der Palästinenser
unvollständig ist“. 26 Jahre später, im Dezember 2023, reichte Südafrika
beim Internationalen Gerichtshof (IGH) eine Klage ein, der zufolge die
israelischen Militäroperationen und die kollektive Bestrafung der
gesamten Zivilbevölkerung im Gazastreifen – als Reaktion auf den
Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober – in Charakter und Absicht einem
Völkermord entsprechen.
Am 26. Januar 2024 ordnete das Gericht an, dass Israel die Tötung von
Palästinensern im Gazastreifen einstellen muss. Zuvor hatte es die von
Südafrika vorgebrachten Anschuldigungen als „plausibel“ bewertet; mit
dem eigentlichen Sachverhalt werde es sich zu gegebener Zeit befassen.
Da es bis zu einem endgültigen Urteil mehrere Jahre dauern kann, ordnete
das Gericht jetzt schon vorläufige Maßnahmen an, um weiteren Schaden zu
verhindern. Schließlich hat die Völkermordkonvention zwei Säulen: nicht
nur die Bestrafung, sondern auch die Verhinderung des genozidalen
Verbrechens.
Mit dem Urteil gegen Israel und anderen gegen Russland und Myanmar hat
der IGH den Glauben an die Anwendbarkeit des Völkerrechts
wiederhergestellt, seine Integrität und Unparteilichkeit sowie die
Aufrechterhaltung des Rechts unter Beweis gestellt und bestätigt, dass
kein Staat über dem Gesetz steht. Im vorliegenden Fall erinnert der IGH
die Welt daran, dass die Verbrechen der einen Partei die Verbrechen der
anderen nicht entschuldigen. Er erinnert außerdem daran, dass die
Tatsache oder auch nur die Möglichkeit des Völkermord-Verbrechens
niemals aufhören sollten, das Gewissen der Menschheit zu erschüttern.
Weit davon entfernt, „unbegründet“ zu sein, wie ein Sprecher der
US-Regierung behauptete, kam der IGH zu dem Schluss, dass „einige der
von Südafrika behaupteten Handlungen und Unterlassungen, die Israel in
Gaza begangen haben soll, unter die Bestimmungen der
Völkermordkonvention zu fallen scheinen“. Der Konvention gehören sowohl
Israel als auch Südafrika als Vertragsstaaten an.
Das Gericht bestätigte prima facie (/bis auf Widerruf, Anm. d. Red./)
die eigene Zuständigkeit und beschied den israelischen Antrag auf
Abweisung der Klage negativ. In seiner öffentlichen Verlesung der
Entscheidung erinnerte der Präsident des IGH, ein Amerikaner, an den
Angriff auf Israel am 7. Oktober, bei dem fast 1200 Israelis und andere
getötet und rund 240 Geiseln genommen wurden, und an die umfassende
Militäroperation Israels als Vergeltungsmaßnahme, in deren Verlauf
bislang 25.700 Palästinenser getötet, 63.000 verletzt und 1,7 von 2,2
Millionen vertrieben wurden.
*„Recht der Palästinenser, vor Völkermord geschützt zu werden“
*Bei der Bewertung der Plausibilität des Völkermordvorwurfs berief sich
das Gericht auf Erklärungen mehrerer hochrangiger UN-Beamten, darunter
des UN-Generalsekretärs. Gegenstand war, die verheerenden Folgen der
israelischen Militäraktion, ihre katastrophalen Auswirkungen auf die
gesamte Zivilbevölkerung des Gazastreifens, insbesondere auf
palästinensische Kinder, den Zusammenbruch der humanitären Infrastruktur
und das zu erwartende Massensterben durch drohende Hungersnot und
Krankheiten festzustellen. Das Gericht verwies auch auf Äußerungen
hochrangiger israelischer Politiker, darunter des israelischen
Präsidenten, wonach es in Gaza „keine unbeteiligten Zivilisten“ gebe und
„die gesamte Nation“ für den Angriff der Hamas verantwortlich sei.
Es zitierte auch inhumane Äußerungen des israelischen
Verteidigungsministers, der von einem Kampf gegen „menschliche Tiere“
sprach und eine „vollständige Belagerung des Gazastreifens“ anordnete,
bei der es „keinen Strom, keine Lebensmittel und keinen Treibstoff“
geben solle. Das Gericht stellte fest, dass die Fakten und Umstände
„ausreichend sind, um zumindest einige der von Südafrika als
schutzbedürftig geltend gemachten Rechte als plausibel anzuerkennen.“ Es
bestätigte sowohl das Recht Südafrikas auf Klageeinreichung als auch
„das Recht der Palästinenser im Gazastreifen, vor Völkermord und
ähnlichen verbotenen Handlungen geschützt zu werden“.
Sowohl die extreme Gefährdung der Zivilbevölkerung im Gazastreifen als
auch die Erklärungen des israelischen Premierministers, demzufolge der
Krieg noch viele Monate dauern werde, begründeten die Dringlichkeit der
Situation: „Es besteht die reale und unmittelbare Gefahr, dass ein nicht
wieder gut zu machender Schaden entsteht.“ Dementsprechend wies die
überwältigende Mehrheit von 15 der insgesamt 17 Richter den Staat Israel
an, alle in seiner Macht stehenden Maßnahmen zu ergreifen, um einen
Völkermord zu verhindern.
- Mit Blick auf die Palästinenser im Gazastreifen die Verhinderung
sämtlicher verbotenen Handlungen gemäß der Völkermordkonvention zu
gewährleisten, einschließlich der Tötung und Verursachung schwerer
körperlicher oder seelischer Schäden, der vorsätzlichen Schaffung von
Lebensbedingungen, die auf die physische Vernichtung dieser Gruppe im
Ganzen oder in Teilen abzielen, und der Verhängung von Maßnahmen zur
Verhinderung von Geburten;
- mit sofortiger Wirkung sicherzustellen, dass das israelische Militär
keine der oben beschriebenen Handlungen begeht;
- alle in ihrer Macht stehenden Maßnahmen zu ergreifen, um die direkte
und öffentliche Aufstachelung zum Völkermord an den Palästinensern im
Gazastreifen zu verhindern und zu bestrafen;
- sofortige und wirksame Maßnahmen zur Bereitstellung dringend
benötigter grundlegender Dienstleistungen und humanitärer Hilfe zu
ergreifen mit dem Ziel, die widrigen Lebensbedingungen der Palästinenser
im Gazastreifen zu verbessern;
- wirksame Maßnahmen einzuleiten, um die Zerstörung von Beweismitteln im
Zusammenhang mit den mutmaßlichen Taten zu verhindern und deren
Erhaltung zu gewährleisten; und
- dem Gericht innerhalb eines Monats einen Bericht über alle Maßnahmen
vorzulegen, die ergriffen wurden, um seiner Anordnung nachzukommen.
*Faktisch muss Israel Art, Umfang und Ausmaß der Kriegsführung ändern
*Schließlich betonte das Gericht, dass alle Konfliktparteien im
Gazastreifen an das humanitäre Völkerrecht gebunden sind, und forderte
die sofortige und bedingungslose Freilassung der von der Hamas und
anderen bewaffneten Gruppen entführten Geiseln. Das Gericht bestätigte
auch, dass seine Anordnungen an Israel „verbindliche Wirkung haben und
somit völkerrechtliche Verpflichtungen begründen“.
Von den 15 Richtern des Gerichtshofs, die vom Sicherheitsrat und der
Generalversammlung gewählt werden, stimmte nur einer gegen die
vorläufigen Maßnahmen: der Richter aus Uganda. Der von Südafrika
benannte Ad-hoc-Richter stimmte in allen Punkten mit der überwältigenden
Mehrheit. Sogar der von Israel bestellte Ad-hoc-Richter stimmte bei zwei
der sechs vorläufigen Maßnahmen mit der Mehrheit: bei derjenigen, die
sich auf die Aufforderung zum Völkermord bezieht, und bei derjenigen,
die die Gewährung humanitärer Hilfe betrifft.
In Ausübung seines Vorrechts, die vorläufigen Maßnahmen selbst zu
formulieren, gab das Gericht dem Antrag Südafrikas auf eine Reihe
vorläufiger Maßnahmen mit einer wichtigen Ausnahme statt. Zwar forderte
es Israel nicht – wie von Südafrika gefordert – auf, „seine
Militäroperationen im Gazastreifen einzustellen“, aber es wies Israel
unmissverständlich an, das Töten und die vorsätzliche Schädigung von
Zivilisten einzustellen. Faktisch bedeutet das, dass Israel die Art, den
Umfang und das Ausmaß seiner Militäroperationen im dicht besiedelten
Gazastreifen grundlegend ändern muss.
Israel kann der Anordnung des Weltgerichtshofs, zu der es rechtlich
verpflichtet ist, nicht nachkommen, ohne die wahllose und unerbittliche
Bombardierung des Gazastreifens einzustellen. Es muss zulassen, dass die
dringend benötigte humanitäre Hilfe Millionen hungernder Männer, Frauen
und Kinder erreicht. Selbst wenn Israels Führer (wie zuvor diejenigen
Russlands und Myanmars) die Anordnungen des Gerichts ignorieren, sollten
Israels Verbündete ihre bedingungslose militärische, finanzielle und
diplomatische Unterstützung überdenken.
Wenn Israel nicht bereit ist, Handlungen einzustellen, die der
Weltgerichtshof als möglichen Völkermord bewertet, sollten die
Vereinigten Staaten und das Vereinigte Königreich das Urteil und die
Anordnungen des höchsten Rechtsorgans der Uno beherzigen. Für all jene,
die Frieden, Gerechtigkeit, Sicherheit und gleiche Menschenrechte für
das palästinensische und für das israelische Volk erstreben, erweckt das
IGH-Urteil das Völkerrecht aus den Trümmern von Gaza zu neuem Leben. Die
Anordnung vorläufiger Maßnahmen beendet die jahrzehntelange
Straffreiheit Israels für zahlreiche Verbrechen gegen Palästina und die
Palästinenser. Das Gericht hat dem Alarm entsprochen, den Mandelas
geliebtes Land geschlagen hat. Seine Entscheidung antwortet auf den Ruf
von Millionen von Juden, Christen und Muslimen weltweit, die marschieren
und skandieren, damit „Nie wieder“ für alle gleichermaßen gilt – eine
tiefgreifende Mahnung am 27. Januar, dem Holocaust-Gedenktag.
/Dieser Beitrag erschien zuerst bei Passblue <https://www.passblue.com/>
am 27. Januar 2024./
*/Zur Person: /*/Mona Ali Khalil ist Juristin mit internationalem
Renommee und 25 Jahren Erfahrung, u.a. als leitende Juristin bei den
Vereinten Nationen und der Internationalen Atomenergie-Organisation
(IAEO). Ihre Spezialgebiete sind Friedenssicherung, Friedenserzwingung,
Abrüstung und Terrorismusbekämpfung. Sie ist Mitglied des Harvard Law
School Program on International Law and Armed Conflict, außerdem
Gründerin und Chefin des Beratungsunternehmens MAK LAW INTERNATIONAL.
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Info: https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/geopolitik/einige-der-handlungen-israels-scheinen-unter-die-voelkermordkonvention-zu-fallen-li.2182208
Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.