nachdenkseiten.de, 24. Juni 2024 um 10:30
Ein Artikel von Karin Leukefeld
Ohne die einseitigen wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen von EU und USA wäre Syrien längst eine große Baustelle. Anfang Juni 2024 fand in Damaskus zum 21. Mal die Buildex statt, eine internationale Bauausstellung. Ausstellungsort war das Internationale Messegelände entlang der Flughafenautobahn. Anfang der 2000er-Jahre, kurz nachdem der junge Bashar al Assad syrischer Präsident geworden war, war die Messe noch unterhalb der Universität auf dem alten Messegelände im Stadtzentrum von Damaskus. Das ist inzwischen viel zu klein geworden.
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2019, nachdem sich die Kriegslage in Syrien im größten Teil des Landes beruhigt hatte, zog Buildex viele internationale Aussteller an. Alle erwarteten den Beginn des Wiederaufbaus und gute Geschäfte. Doch mit der anhaltenden, von EU und USA propagierten Isolation des Landes ist die internationale Präsenz in den Ausstellungshallen zurückgegangen. Internationale Unternehmen werden meist durch örtliche Repräsentanten vertreten.
Ohne die gegen Syrien verhängten einseitigen wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen (Unilateral Coercive Measures, UCM) durch die EU (seit 2011) und durch die USA (1979, 2019, 2023) hätte sich das Land längst in eine große Baustelle verwandelt. Die Menschen hätten Arbeit und Brot, könnten ihre Familien ernähren, ihre zerstörten Häuser und Werkstätten wiederaufbauen und ihre Felder neu bewirtschaften.
Zur Vorgeschichte
Diese Entwicklung ist von EU und USA offensichtlich nicht gewollt. Die einseitigen wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen verhindern die Einfuhr schwerer Baugeräte, von Baumaterialien und vor allem die notwendigen Investitionen, die Syrien allein nicht stemmen kann. Sie fördern Schmuggel und Korruption, sie verschlechtern die Lebensverhältnisse der Bevölkerung und verstoßen gegen die UN-Charta. Die UN-Sonderberichterstatterin Alena Douhan hat – wie schon ihr Vorgänger Idriss Jazairy – wiederholt darauf hingewiesen . Die UN-Vollversammlung fordert seit Jahren ein Ende der einseitigen Zwangsmaßnahmen, weil sie gegen das internationale Recht verstoßen. USA und EU setzen die eigenen Interessen über das internationale Recht. Im Mai 2023 debattierte der US-Kongress darüber, das sogenannte „Caesar-Gesetz“ aus dem Jahr 2019 in ein „Anti-Assad-Regime-Normalisierungsgesetz“ zu verschärfen.
Der neue Gesetzestext bekräftigt, dass die USA „bereit sind, den Regierungen Kosten aufzuerlegen, die eine (politische, kl) Normalisierung oder Geschäftsvereinbarungen mit dem Assad-Regime planen“. Sowohl Bashar als auch Asma Assad mache das „bahnbrechende Gesetz“ klar, dass die USA gegen beide „als auch gegen ihre Finanziers und Unterstützer vorgehen werden“. Das amerikanische Volk stehe „in überwältigender, parteiübergreifender Opposition zur anhaltenden Schreckensherrschaft von Assad“ und unterstütze „die Entstehung eines freien Syriens“, so der republikanische Abgeordnete Wilson (Südcarolina) in einer Presseerklärung. Der Gesetzentwurf wurde im Februar 2024 im Kongress mit 389 Stimmen zu 32 Gegenstimmen angenommen und muss nun noch den Senat passieren, um dann vom Präsidenten unterzeichnet zu werden.
Für Millionen Syrer, die ihre Heimat wiederaufbauen wollen, dürfte besonders bitter sein, dass 13 US-amerikanisch-syrische Exilorganisationen für ihre Zuarbeit zu dem Gesetz vom US-Kongressmann Joe Wilson namentlich besonders gewürdigt wurden.
Von Solarpanelen und Sparglühbirnen
In den Hallen der Buildex 2024 in Damaskus sind vor allem Produkte für die Energiegewinnung zu sehen. Der Energie-, der Strommangel ist immerwährendes Thema bei der Bevölkerung. Die völkerrechtswidrige Besetzung der syrischen Öl- und Gasressourcen im Nordosten und Osten des Landes durch US-Truppen verhindert, dass Syrien die nationale Ressource nutzen kann. Das Land ist auf Lieferungen befreundeter Staaten angewiesen, die – wie der Iran – selbst unter EU- und USA-Zwangsmaßnahmen wirtschaften müssen.
Solarpanele auf den Dächern von Aleppo
Aleppo war die erste Stadt, wo schon 2016 die ersten Solarpanele die Straßen erleuchteten. Heute boomt der Verkauf von Solarpanelen aus syrischer Produktion. Firmen, die sie herstellen, und Installationsfirmen, die Solarpanele installieren, schießen wie Pilze aus dem Boden. Obwohl es vor allem in der Provinz Homs auch sehr starken Wind gibt, der inzwischen mit zwei großen Windturbinen eines Familienunternehmens eingefangen und ins Stromnetz eingespeist wird, genießen Windanlagen in Syrien kein großes Vertrauen. „Was, wenn sie umfallen, wenn Vögel hineinfliegen“, fragt Ingenieur Mahran Al Nafori, als die Autorin nach Windanlagen fragt. Es ist nicht das erste Mal, dass diese Art von Vorbehalten gegenüber Windenergie bei syrischen Gesprächspartnern deutlich wird.
Al Nafori leitet eine Firma für Solarpanele, die aktuell über eine sehr gute Auftragslage verfügt, wie er berichtet. Auf seinem Handy zeigt er Pläne für eine große Flächenanlage zur Gewinnung von Sonnenenergie für die Industriezone Hassia bei Homs. Dort haben viele Firmen sich auf ihre Lager- und Produktionshallen inzwischen Solarpanele installiert, um die allgemeine Stromversorgung für den Betrieb zu sichern. Leider seien Solarpanele in Syrien noch immer zweieinhalbmal teurer als in China beispielsweise, rechnet Al Nafori vor. Die Einfuhr der Materialien sei wegen der wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen gegen Syrien teuer. Die Unternehmer bezahlen für Importe häufig bis zu vier Mal Zoll, weil der Transport – wegen der wirtschaftlichen Strafmaßnahmen – über verschiedene Häfen laufen muss, bis er in Syrien ankommt. Hinzu kommen hohe Gebühren für Versicherungen und Transportcontainer. Schließlich belegt der syrische Staat Einfuhren mit weiteren Zöllen.
Der Betrieb Al Nafori ist ein Familienunternehmen und Mahran Al Nafori ist froh, seinen Sohn an seiner Seite zu wissen. Der sei Ingenieur und kenne sich in der Firma inzwischen bestens aus. „Leider möchte er sich nun im Ausland weiter qualifizieren“, seufzt Al Nafori. Alles wolle er seinem Sohn ermöglichen, aber er wolle ihn auch nicht verlieren. „Die jungen Leute, die Syrien verlassen, kommen nicht wieder zurück.“ Er könne das verstehen, schließlich seien die Perspektiven in Syrien schwierig, die Gehälter niedrig und das Leben werde immer teurer. Letztlich müsse der Junge seinen Weg gehen, er als Vater müsse ihn unterstützen.
Die Mittelschicht ist weggebrochen
„Die Messe hier sieht eher wie eine Heimwerkermesse aus“, meint A., der mit einem Freund an den Ständen vorbeischlendert. „Hier werden Dinge ausgestellt, die gebraucht werden, wenn das Haus fertig ist, aber wo sind die Firmen, die Investoren, die die Häuser bauen?“ Das habe auch etwas mit den innersyrischen Verhältnissen zu tun, wendet sein Freund T. ein. „Es gibt keine Freigabe von Bauland, keine Freigabe von staatlichen Bauaufträgen, irgendwie stehen wir uns selber im Weg.“ Das Einzige, was sicher sei, sei dass die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher würden, sind beide sich einig: „Die Mittelschicht ist hier total weggebrochen.“
Je nachdem, mit wem man spricht, werden unterschiedliche Gründe für die wirtschaftliche Krise genannt, die weniger einer Stagnation als vielmehr einem Rückschritt gleicht. Das aufstrebende Syrien, im Jahr 2010 eine der am schnellsten wachsenden Ökonomien unter den Staaten der arabischen Welt, ist nur noch ein Schatten seiner selbst.
Die gewollte Verknappung und Bestrafung von Lieferanten durch die langen finanziellen Greifarme von EU und USA sollen den syrischen Staat zwingen, sich westlichen Forderungen nach Reformen und umfassender Umstrukturierung zu fügen. Weitere Ziele für den Westen ist ein Friedensvertrag Syriens mit Israel, die Aufgabe der von Israel besetzten und annektierten Golanhöhen, ein Ende der Unterstützung palästinensischer Organisationen und ein Ende der strategischen Partnerschaft mit Iran. Die Interpretation der UNSR-Resolution 2254 (2015) wird von EU und USA entsprechend ihren Interessen vorgenommen und medial untermauert. Die UNSR-Resolution 2254 (2015) allerdings soll „von Syrern geführt“ werden. Und weiter heißt es in dem Text: „Das syrische Volk wird über die Zukunft Syriens entscheiden.”
Die geopolitischen Interessen von USA, EU, NATO und Partnern lassen das de facto nicht zu. Nach fast 12 Jahren ist klar, dass nicht „das syrische Volk“ über seine Zukunft entscheiden können soll, sondern Washington, London, Paris, Berlin und Brüssel. Dort macht man Bashar al-Assad für die Lage in Syrien verantwortlich. Joe Wilson, Republikaner aus Süd-Carolina erklärt, man könne einen „Kriminellen“ nicht von der internationalen Gemeinschaft anerkennen lassen. „Assad und sein Regime dürfen nicht dafür belohnt werden, dass sie während des letzten Jahrzehnts sinnlose Gewalt gegen das syrische Volk verübt haben und das bis heute fortsetzen.“ Mit der schwierigen Alltagsrealität in Syrien hat das vermutlich deshalb wenig zu, weil Wilson und andere Politiker im Ausland Syrien und seine Probleme gar nicht kennen.
Politik von Handel trennen
Der Stand der Firma Al Bayan auf der Buildex strahlt in allen Farben des Regenbogens. Al Bayan verkauft Leuchtmittel, Glühbirnen in allen Größen und Formen, „geeignet für Strom aus Batterien, besonders gut geeignet für Strom von Solarpanelen, aber auch für Starkstrom“, zählt Ingenieur Hazem H. auf. „Unsere Glühbirnen sind sehr sicher und haben eine Garantie von zwei Jahren.“ Darum seien die Produkte der Firma Al Bayan bei den Kunden besonders beliebt.
Ingenieur Hazem Habbab verkauft Glühbirnen
Die Firma sei 2017 neu gegründet worden, antwortet Ingenieur Hazem Habbab auf die Frage, wie lange es Al Bayan schon gäbe. „Vor dem Krieg waren wir schon sehr bekannt. Aber unsere Firma und die gesamten Produktionsmittel wurden während des Krieges komplett zerstört. „Wir waren in Qaboun, unweit der alten Pullmann-Station, dem Busbahnhof in Richtung Norden.“ Als die Firma 2017 neu wiedereröffnet wurde, konnte man auf langjährige Erfahrung zurückblicken. Die Kunden kannten die gute Qualität und so seien alle „optimistisch gewesen, dass Syrien wiederaufgebaut werden“ könne. Doch es passierte nichts, der Ingenieur zuckt mit den Schultern. Die Blockade – die Syrer sprechen von „Sanktionen“ -, der Wirtschaftskrieg gegen Syrien, er seufzt: „Wenn die Regierungen, die das anordnen, nur die Politik von dem Handel und der Wirtschaft unseres Landes trennen würden“, wäre schon viel geholfen.
Ohne Optimismus geht nichts
Zu den großen Verlierern des Krieges gehören die Geschäftsleute von Aleppo. Gut ein Dutzend Industriegebiete wurden verwüstet, die große Industriestadt Scheich Najjar wurde 2012 von der „Freien Syrischen Armee“ geplündert und zerstört. Maschinen, Computer, Fuhrparks und Rohstoffe wurden über die Grenze in die Türkei gebracht.
Generaldirektor der Industriezone Scheich Najjar, Aleppo, ist der Ingenieur Hazem Ajjan.
Hazem Ajjan, Generaldirektor von Scheich Najjar, ist dennoch optimistisch, dass es wieder aufwärts gehen wird mit dem syrischen Handel. „Ohne Optimismus geht hier nichts voran“, sagt der hochgewachsene Mann und lächelt durch die große Brille. 945 Unternehmen hätten die Produktion wieder aufgenommen, vor dem Krieg waren es 1.025, berichtet er im Gespräch mit der Autorin. „Etwa die Hälfte der Unternehmen waren vor dem Krieg schon hier, die andere Hälfte sind Neugründungen“, fährt er fort. Schwerpunktmäßig seien es Betriebe der Textilindustrie. „Leider kommt ein Großteil der Baumwolle nicht mehr aus Syrien, sondern muss importiert werden“, sagt Herr Ajjan. „Vor dem Krieg wurden in Scheich Najjar (jährlich, kl) 2 Millionen Tonnen syrische Baumwolle verarbeitet, jetzt sind es nur 15.000 Tonnen syrische Baumwolle, die wir bekommen. 90 Prozent der Baumwolle werden in die Türkei geschmuggelt und dort verkauft.“
Das große Anbaugebiet für Baumwolle liegt östlich von Aleppo im Euphrat-Tal, das in weiten Bereichen von der US-Armee und der syrischen Selbstverwaltung kontrolliert wird. Diese verhindern die Lieferung der Baumwolle nach Aleppo und vermarkten sie auf ihre Weise in der Türkei. Die Baumwolle, die in Aleppo heute noch verarbeitet wird, stammt aus dem Gebiet von Sfireh, südöstlich von Aleppo und aus Al Ghab im Nordwesten Syriens. Al Ghab ist eine weite, fruchtbare Ebene, die sich über mehr als 60 Kilometer zwischen dem Küstengebirge Al Ansariyah und den Zawiyah-Hügeln von Al Suqaylabiyah bis nach Jisr as-Shoughour im Norden erstreckt. Der Orontes-Fluss hat über Jahrhunderte mit seinen jährlichen Überschwemmungen für einen sumpfartigen, sehr fruchtbaren Boden gesorgt, auf dem heute Landwirtschaft und Fischzucht betrieben wird. Baumwolle braucht viel Wasser und kann daher auch in Al Ghab kultiviert werden. Al Ghab wird allerdings zu Teilen noch von Dschihadisten der Hayat Tahrir al-Sham (HTS), einem Ableger von Al Qaida, kontrolliert.
Seit September 2018 kann die Industriestadt wieder rund um die Uhr an 7 Tagen die Woche mit Strom versorgt werden, berichtet Herr Ajjan. Die damit verbundenen hohen Kosten hielten anfangs vor allem die kleineren Betriebe davon ab, zurückzukehren. Die Verwaltung von Scheich Najjar stelle auch die Wasserversorgung sicher, sagt der Ingenieur stolz. Es gebe Trinkwasser und Industriewasser, das die Fabriken zur Kühlung nutzen könnten. Die sechs Wassertürme seien im Krieg zerstört worden, vier konnten bisher wiederaufgebaut werden. Heute arbeiteten 51.000 Menschen in Scheich Najjar, sagt Hazem Ajjan, die Hälfte in der Produktion, die andere Hälfte beim Wiederaufbau der Fabriken. Das Angebot der Industriestadt, eine Schule und Wohnungen für die Arbeiterfamilien zur Verfügung zu stellen, ziehe viele an.
Einer, der in Scheich Najjar wohnt, ist Abu Faisal, ein schlanker, großer Mann mit weißen, kurz geschnittenen Haaren. Herr Ajjan beauftragt ihn, die Autorin beim Besuch einiger Firmen in Scheich Najjar zu begleiten. Abu Feisal steigt ins Auto und leitet den Fahrer sicher durch das endlos wirkende Labyrinth von Straßen über das weitläufige Gelände. Dabei berichtet er über Firmen rechts und links und den Wiederaufbau. „Am 20.7.2012 wurde Scheich Najjar überfallen“, erzählt er. „Am 20.7.2014 hat die Armee Scheich Najjar wieder befreit. Am 20.7.1974 wurde ich geboren und – was meinen Sie – am 20.7.2001 habe ich geheiratet. Wenn das kein Glückstag ist!“ Dann zeigt Abu Faisal – was so viel heißt wie „der Vater von Faisal“ – auf ein mehrstöckiges hohes Gebäude und sagt, dort wohnten viele Arbeiter und auch er wohne dort mit seiner Familie. Die Schule sei wieder geöffnet „und wir haben Strom“, fügt er verschmitzt hinzu. „Unser Leben hier wird wieder besser“.
Bonbons, Bonbons, Bonbons
In der Süßwarenfabrik von Issa al Hassan wird als erstes ein hoch gefüllter Teller mit Bonbons auf den Empfangstisch gestellt. Die Fabrik wurde 2009 gegründet, Vater und Großvater stellten Süßigkeiten noch in der Backstube her. Der Überfall auf Scheich Najjar (2012) und der Krieg führten dazu, dass al Hassan seine Fabrik schließen musste. Er siedelte mit der Familie in den Sudan über und startete die Produktion neu. Der Sudan war damals ruhig und bot eine gute neue Lebensgrundlage für viele Syrer. Während al Hassan vor dem Krieg rund 70 Mitarbeiter beschäftigen konnte, waren es im Sudan 100 Mitarbeiter.
Der Süßwarenfabrikant Issa al Hassan floh vor dem Krieg in Syrien in den Sudan und von dort vor dem Krieg zurück nach Syrien. Sein Vater und Großvater haben die Süßigkeiten noch in der Backstube hergestellt.
Doch dann brach 2023 im Sudan der Krieg aus, der bis heute andauert. Herr Issa konnte Frau und Kinder sicher in einem anderen Land unterbringen und zog mit dem ältesten Sohn Mohamed zurück nach Aleppo. Dort nahmen sie die Produktion wieder auf. Heute arbeiten 40 Arbeiter und Arbeiterinnen in Produktion und Buchhaltung bis zu 10 Stunden am Tag. Ein firmeneigener Bus bringt sie zur Fabrik nach Scheich Najjar und abends wieder zurück nach Aleppo. Abnehmer für die Bonbons seien weiter der Sudan, Kuwait und Irak, zählt al Hassan auf. Der wichtigste Markt aber sei Syrien. Das große Problem seien die Maschinen, die in die Jahre gekommen seien. „Die meisten unserer Maschinen kommen aus Europa. Sie sind alt und es fehlen Ersatzteile“, berichtet al Hassan der Autorin bei einem Rundgang. „Aber wir haben sehr clevere Ingenieure, die sie irgendwie wieder reparieren können.“
Ingenieure bauen Maschinen nach, weil die Lieferung von Ersatzteilen für die Maschinen durch die einseitigen wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen blockiert werden. Neue Maschinen zu kaufen ist zu teuer.
In der Ecke einer der oberen Hallen stehen fünf Arbeiter um ein Metallgerüst, an dem sie vorsichtig herumschrauben. „Weil wir von unseren früheren Partnerfirmen nicht mehr beliefert werden, haben die Ingenieure angefangen, die Maschinen nachzubauen“, erklärt al Hassan. Stolz zeigt er auf ein fast fertiges Duplikat einer alten Produktionsmaschine. „So können wir die Produktion bei Bedarf steigern. Bonbons und Süßigkeiten gehen gut auf dem syrischen Markt und bei unseren arabischen Nachbarn. Wie jetzt beim Opferfest (Eid al-Adha) haben wir immer besonders viel zu tun.“
Die feinsten Handtücher kommen aus Aleppo
Das Familienunternehmen Hateks liegt in einem Viertel von Textilunternehmen. Der Inhaber Yacoub Abaji wartet schon an dem großen Eingangstor. Freundlich lächelt der kleine, rundliche Mann in Jeans und T-Shirt in den Wagen und zeigt dem Fahrer, wo er ihn im Schatten abstellen kann. Seine Tochter Pascale übernimmt die Führung durch das Werk, das eindeutig bessere Zeiten gesehen hat. „2010 war Hateks die größte Fabrik für Handtücher im Mittleren Osten“, berichtet sie routiniert. „Wir haben in die EU geliefert, nach Frankreich, Deutschland, Großbritannien. IKEA gehörte zu unseren Kunden, denn wir hatten die feinste Baumwolle in der ganzen Region. 27.000 Handtücher pro Tag wurden gefertigt. Wir hatten 270 Arbeiter.“ Der Großvater sei Schneider gewesen und habe 1943 die feinsten Herrenanzüge und Pyjamas genäht, erzählt Pascale Abaji. Irak sei immer einer der größten Abnehmer gewesen.
Pascale Abaji ist in dem Familienunternehmen Hateks die rechte Hand von Yacoub Abaji, ihrem Vater. Sie ist für das Färben der Handtücher zuständig. Im Labor testet sie selber die Farben aus, bis sie dem Kunden gefallen.
Dann habe der Krieg begonnen und vier Jahre seien sie ohne Arbeit geblieben. Maschinen, Computer, Werkzeug sei geplündert und in die Türkei verschleppt worden. Später seien sie von dort angerufen worden, ob sie ihre Maschinen zurückkaufen wollten! Eine der großen Hallen ist bis heute zerstört. „Hier standen über 70 Nähmaschinen für die Endfertigung“, sagt Pascale. Alle Nähmaschinen seien gestohlen worden. Mitte 2016 habe der Wiederaufbau der Fabrik begonnen, der 3,5 Jahre dauern sollte. Wegen der Wirtschaftsblockade, die gegen Syrien verhängt worden sei, sei es sehr schwierig gewesen, Ersatzteile zu bekommen. Heute zählten der Irak und Kuwait zu den ausländischen Kunden, auch Familien aus Saudi-Arabien bestellten Handtücher bei ihnen. Alles andere sei gestoppt. Sie beschäftigten 40 Arbeiterinnen und Arbeiter, die Produktion richte sich nach der Auftragslage.
Farbversuche. Die Firma Hateks Int. Co stellt hochwertige Qualitätshandtücher her. Pascale Abaji ist für das Färben zuständig.
Zügig geht sie vor, zeigt die Räume, in denen die Arbeiter sich umziehen können, Toiletten und Waschräume. Für jeden gibt es einen Spint für persönliche Sachen. Dann geht es weiter durch die großen, hohen Hallen, in denen große Maschinen stehen. Pascale Abaji erklärt die einzelnen Arbeitsschritte: Zunächst werden die Fäden maschinell auf große Rollen gewickelt, die wiederum auf noch größere Rollen gewickelt werden. Die großen Rollen werden auf die Webmaschinen montiert, die – je nach Vorgabe – zwei breite, drei mittlere oder vier schmale Handtücher weben. Die Fäden werden von oben und von unten verwebt, wodurch eine dichte, flauschige Oberfläche entsteht. Die Rollen werden in den Färbevorgang gegeben und anschließend getrocknet. Danach würden die Handtücher von der Rolle geschnitten und kämen in die Endfertigung, sagt Pascale.
In der Halle für die Endfertigung stehen einige Nähmaschinen, an denen Männer und Frauen arbeiten. Sie nähen das Etikett und einen Aufhänger ein und säumen mit einer feinen Naht die Ränder. Jedes Handtuch wird auf Fehler geprüft, bevor es für den Versand fertiggemacht wird. Auf Anfragen werden auch Bademäntel genäht.
Endfertigung der Handtücher. Etikett und Aufhänger werden eingenäht, die Ränder gesäumt.
Später lädt Yacoub Abaji noch zu einem Tee in seinem Büro ein. Neben einer Sitzecke und dem Schreibtisch stehen auch ein handgeschnitzter Küchenschrank, eine lange Anrichte und ein großer Tisch mit Stühlen in dem Raum. Auf dem Tisch liegt eine große, rote Decke aus feinster Aghabani-Stickerei. „Das ist die Kücheneinrichtung meiner Mutter“, sagt Herr Abaji. „Bei dem schweren Erdbeben im vergangenen Jahr wurde das Nachbarhaus unseres Familienhauses zerstört. Wir konnten unsere Mutter und das Haus evakuieren und haben einen Teil der Möbel hierhergebracht.“
Pascale Abaji mit ihrem Vater Yacoub geben nicht auf und hoffen, dass es besser werden wird.
Trotz schwerer Schicksalsschläge und trotz des Verlustes großer Teile der Fabrik wird die Familie nicht aufgeben. Pascale und ihr Bruder haben beschlossen, zu bleiben. Beide arbeiten in der Firma mit und stehen dem Vater zur Seite. „Es wird besser werden“, sagt Yacoub Abaji zum Abschied und weist die Tochter an, den Gästen jeweils ein Geschenkpaket mit Handtüchern zu überreichen. „Es wird besser werden.“
Titelbild: Rosen Ivanov Iliev/shutterstock.com
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unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.