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Die Opfer der israelischen Bombardierungen können nur noch in Massengräbern beerdigt werden. (Foto Al Jazeera)


globalbridge.ch, 23. November 2023 Von: in Allgemein, Medienkritik, Militär, Politik

(Red.) Kein sicherer Ort, nirgends, nicht für Krankenhaus-Patienten, nicht für die Ärzte und das Pflegepersonal, und auch nicht für Journalisten, die wahrheitsgemäß berichten könnten und sollten. So verschafft sich Israel die Hoheit über die Berichterstattung über ihren Krieg in Gaza.

Die Berichtshoheit über den Krieg in Gaza liegt bei der israelischen Armee. Von Israel verursachte dauerhafte Strom- und Internetausfälle behindern Journalisten, die von vor Ort berichten. Drohungen der israelischen Armee gegen Journalisten in Gaza machen deren Arbeit lebensgefährlich. Israel kontrolliert das Telefonnetz im Gazastreifen, so ist es möglich, dass sie die Bewohner per SMS bedrohen und auffordern, ihre Häuser zu verlassen. Der israelische Präsident Isaac Herzog verwies Anfang November im Gespräch mit US-Außenminister Antony Blinken auf sechs Millionen SMS-Botschaften und mehr als vier Millionen Anrufe, mit denen die Israelische Armee auf bevorstehende Angriffe hingewiesen habe. Das sei der Beleg, dass Israel das humanitäre internationale Recht einhalte, so Herzog. 

Journalisten und Angehörige im Visier

Journalisten werden direkt von der israelischen Armee angerufen und aufgefordert, ihre Arbeit einzustellen, ihre Wohnungen zu verlassen und sich in den Süden des Gazastreifens zurückzuziehen. Tun sie es nicht – unter Verweis auf den international verbrieften Schutz von Journalisten und Zivilisten auch in Kriegssituationen oder weil sie auch einfach nicht wissen, wohin sie gehen sollen – werden sie oder ihre Familien Opfer israelischer Bombardements.  Der Büroleiter von Al Jazeera in Gaza, Wael al-Dahdouh war Ende Oktober von der israelischen Armee aufgefordert worden, Gaza Stadt, seine Heimat, zu verlassen und in den Süden zu gehen. Zwei Tage später wurde seine Familie – seine Frau Amna, sein Sohn Mahmoud (16), die Tochter Sham (7) und der Enkelsohn Adam – im Flüchtlingslager Nusairat, südlich von Gaza Stadt, bei einem israelischen Raketenangriff getötet. 

Nur wenige Tage später erhielt die Familie der Al Jazeera Reporterin Youmna AlSayed einen Anruf, in dem sie aufgefordert wurde, ihre Wohnung in Gaza-Stadt zu verlassen und in den Süden zu gehen. Ihr Ehemann habe den Anruf entgegengenommen, erklärte die Journalistin dem Sender, der die Drohungen öffentlich machte. Die Person habe ihren Ehemann mit vollem Namen angesprochen und erklärt: „Hier ist die israelische Armee. Wir fordern Sie auf, in den Süden abzuziehen, weil es in den kommenden Stunden da, wo Sie jetzt sind, sehr gefährlich werden wird.“ Sieben Familien lebten in dem Haus, mit vielen vertriebenen Angehörigen vermutlich mehr als 100 Personen. Doch nur ihre Familie sei von der israelischen Armee bedroht worden.

Israel handele ungestraft weiter und versuche „den Überbringer der Nachrichten zum Schweigen zu bringen“, kritisierte der Sender in einer Erklärung. Al Jazeera verurteile die Gewalt und forderte internationale Institutionen auf, „Journalisten und alle unschuldigen Zivilisten zu schützen.“

Doch internationale Institutionen sind machtlos. Die Vereinten Nationen, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, Hilfsorganisationen wie «Ärzte ohne Grenzen», Internationale Vereinigungen, die für die Rechte und den Schutz von Journalisten, Ärzten, Kindern, Frauen, Lehrern, Menschen mit besonderen Bedürfnissen und für die Einhaltung des internationalen humanitären Rechts eintreten, werden selber angegriffen. Israel beschimpft und beleidigt sie und setzt sein Wüten gegen die Menschen in Gaza fort. Journalisten, Zivilisten, Ärzte werden in ihren Wohnungen, Büros und in Krankenhäusern von der israelischen Armee zu „militärischen Zielen“ erklärt, bombardiert und getötet.

Am vergangenen Montag (20.11.23) teilte das Komitee für den Schutz von Journalisten (CPJ) mit, dass im Krieg gegen Gaza mindestens 50 Journalisten und Medienmitarbeiter getötet wurden. 

Allein am 18. November seien fünf Journalisten getötet worden. Es sei nach dem 7. Oktober, an dem sechs Journalisten getötet wurden, der zweit-tödlichste Tag für Journalisten im Gaza-Krieg gewesen. Am 19. November wurde Bilal Jadallah in seinem Auto durch einen israelischen Luftangriff getötet. Er leitete das «Press House Palestine», das junge Journalisten und Medien unterstützte. Unter den 50 bestätigten Toten befinden sich laut CPJ 45 palästinensische Journalisten, 4 Israelis und 1 Libanese. 11 Journalisten wurden verletzt, 3 Journalisten werden vermisst, 18 Journalisten wurden verhaftet. CPJ vermerkt neben den gezielten, tödlichen Angriffen auf Journalisten und Medienmitarbeiter weitere Angriffe auf die Presse- und Informationsfreiheit. Dazu gehören Drohungen, Cyperattacken, Zensur und die Ermordung von Familienangehörigen. 

Beim Angriff der Qassam-Brigaden am 7. Oktober 2023 wurden 4 Journalisten getötet.

Auf ein Schreiben der Nachrichtenagenturen AFP und Reuters an die Israelischen Streitkräfte (IDF), in dem gefordert wurde, die Sicherheit der Journalisten im Gaza-Streifen zu gewährleisten, erhielten sie zur Antwort, dass man eine solche Zusicherung nicht machen könne.

Die libanesische Tageszeitung Al Akhbar berichtete (11.11.2023) unter Berufung auf ungenannte Quellen, dass sich im Fall des Al Jazeera Büroleiters Al-Dahdouh selbst ein „hochrangiger amerikanischer Beamter“ eingeschaltet habe. Der Beamte habe den Ministerpräsidenten Katars aufgefordert, Al Dahdouh von der Front (Gaza City) zu entfernen, weil er sonst getötet werde und der Sender auch seine Lizenz in Israel verlieren könnte. Dann könnten Al Jazeera Korrespondenten auch nicht mehr über das Geschehen in den von Israel besetzten Gebieten im Westjordanland berichten.

Während am Mittwoch (22.11.2023) Berichte über die Einigung zwischen Israel und Hamas über eine viertägige Waffenpause und den Austausch von Gefangenen international die Schlagzeilen bestimmen, berichtet Al Dahdouh aus Khan Younis im Süden des Gazastreifens, wo er mit anderen Journalisten die Beerdigung von mehr als 100 Toten beobachtet. Die Aufnahmen zeigen ein Massengrab, in dem in blaue Säcke eingewickelte Leichname in einer langen Reihe und übereinander gestapelt liegen. Ein Bulldozer füllt die Grube mit Sand. Die Toten seien aus dem Al Shifa-Krankenhaus und aus dem Beit Hanoun Krankenhaus, so der Reporter. Sie seien dort unter Belagerung gewesen. Sie konnten nicht behandelt und nur tot evakuiert werden.


Ärzte und Krankenhäuser im Visier

Um die Berichtshoheit über das Geschehen im Krieg gegen Gaza zu sichern, werden auch Ärzte, medizinisches Personal und ihre Familien von den israelischen Streitkräften getötet. Angriffe auf UN-Schulen, Krankenhäuser, Kirchen oder Moscheen haben vor allem eine Botschaft an die Bewohner von Gaza: Es gibt für Euch keinen sicheren Ort und zwar nirgends.


Krankenhäuser werden von den israelischen Streitkräften zur „Hamas – Kommandozentrale“ deklariert und damit zum militärischen Ziel erklärt. Die Klinikleitung wird jeweils aufgefordert, sich zu ergeben und die Klinik zu evakuieren. Die Krankenhäuser werden bombardiert und belagert. Panzer und gepanzerte Fahrzeuge rücken auf das Klinikgelände vor. Soldaten dringen ein und durchsuchen Stockwerk für Stockwerk, Raum für Raum und hinterlassen eine Spur der Verwüstung, wie Videoclips des Krankenhauspersonals oder auch der mitstürmenden IDF-Informationseinheit selber zeigen. Schließlich wird militärisches Material gefunden und präsentiert, mit dem die IDF-Darstellung untermauert werden soll: das Krankenhaus wurde als „Hamas-Kommandozentrale“ genutzt, das militärische Vorgehen gegen die Klinik ist gerechtfertigt.


Die palästinensische Seite hat mehr als einmal die Anschuldigungen zurückgewiesen und eine Untersuchung der Vereinten Nationen gefordert, vergeblich. Journalisten, die nur die israelische Interpretation hören oder sehen, müssen sich fragen, wie das Material in ein Krankenhaus gekommen sein mag, wenn die Darstellung der Gesundheitsbehörde stimmt. Eine Möglichkeit wäre, dass verletzte Kämpfer im Krankenhaus behandelt wurden und ihre Waffen in einem Raum abgelegt und vergessen wurden. Eine andere Möglichkeit wäre, dass Kämpfer im Krankenhaus behandelt wurden und dann die Klinik ohne ihre Waffen verließen, um nicht zur Zielscheibe zu werden. Eine dritte Möglichkeit wäre, dass die israelische Armee – oder Teile – die Waffen mitgebracht und selber dort platziert hat, um die Richtigkeit ihrer Anschuldigungen an das Krankenhaus zu beweisen. Wie auch immer, nur eine unabhängige Untersuchung könnte die Wahrheit ans Licht befördern. Zumindest darüber müssten Medien berichten.


Am 12. November forderten die UN-Organisationen UNFPA (UN-Bevölkerungsfonds arabische Staaten), UNICEF (UN-Hilfswerk für Kinder) Regionalbüro für den Mittleren Osten und Nordafrika und der Weltgesundheitsorganisation WHO (Regionalbüro für das östliche Mittelmeer) in einer gemeinsamen Erklärung, Angriffe auf die Gesundheitsversorgung in Gaza sofort zu stoppen.

Man sei „entsetzt“ über die jüngsten Berichte von Angriffen auf und in der Umgebung der Krankenhäuser Al Shifa, Al Rantissi, Nasser Kinderkrankenhaus, Al Quds Krankenhaus und weitere Kliniken in Gaza- Stadt und im Norden von Gaza, hieß es. Viele Menschen seien getötet worden, darunter auch viele Kinder. Der sichere Zugang zu den Kliniken für das Personal, für Verletzte und alle Patienten werde verhindert. Früh- und Neugeborenen fehle es an lebenserhaltenden Maßnahmen, weil es keinen Strom, keinen Sauerstoff oder auch kein Wasser gebe. Seit Kriegsbeginn habe es mindestens 137 Angriffe auf die Gesundheitsversorgung in Gaza gegeben, so die WHO am 12. November. 521 Personen seien bei diesen Angriffen getötet und 686 seien verletzt worden.


Am 18. November organisierte die WHO mit anderen UN-Organisationen eine schwierige Evakuierung aus dem Al Shifa-Krankenhaus, das als angebliche „Hamas-Kommandozentrale“ von der israelischen Armee beschossen, bedroht, umstellt und durchsucht wurde. Die Durchsuchung hält an.


Am frühen Samstagmorgen (18.11.2023) hatte die IDF die Evakuierung der Klinik angeordnet. Zu dem Zeitpunkt befanden sich rund 2.500 Inlandsvertriebene, Verletzte und Patienten sowie Ärzte und medizinisches Personal in der Klink. Die israelische Armee dementierte, die Evakuierung der Klinik angeordnet zu haben.


Am 20. November verurteilte die WHO den Angriff auf das Indonesische Krankenhaus, bei dem mindestens 12 Personen, darunter Patienten und ihre Angehörigen, getötet worden seien. Dutzende Menschen seien verletzt worden bei dem Angriff. Die Israelische Armee dementierte, die Klinik angegriffen zu haben.


Das Indonesische Krankenhaus, 2016 mit Geld von indonesischen Organisationen und der indonesischen Regierung gebaut, wurde seit dem 7. Oktober fünf Mal angegriffen. Die WHO hat seit Beginn des Krieges am 7. Oktober 335 Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen in den von Israel besetzten und abgeriegelten palästinensischen Gebieten registriert. 164 Einrichtungen im Gaza-Streifen wurden ganz oder teilweise zerstört, im besetzten Westjordanland wurden 171 Angriffe registriert. In Gaza hat sich nach WHO-Angaben die Zahl der Betten in Krankenhäusern von 3500 auf 1400 reduziert. Von den 35 Krankenhäusern wurden 21 ganz oder teilweise zerstört und können nicht mehr arbeiten. Auch viele der anderen Krankenhäuser wurden bombardiert oder beschossen, haben nicht genügend Treibstoff für Strom, für die Abwasserversorgung, es fehlt an Medikamenten und Verbandsmaterial.


Am 7. Oktober wurden in Israel bei dem Angriff der palästinensischen Qassam-Brigaden 33 Gesundheitseinrichtungen angegriffen, so die WHO.


Am 22.11.2023 (New York Ortszeit) traf sich der UN-Sicherheitsrat erneut zu einer offenen Besprechung über „Die Lage im Mittleren Osten, einschließlich der besetzten palästinensischen Gebiete“. Im Vorfeld hatten sich am 16. November mehr als 30 unabhängige Experten des UN-Menschenrechtsrates an die Öffentlichkeit gewandt. Die „schweren Menschenrechtsverletzungen Israels gegen die Palästinenser nach dem 7. Oktober, besonders in Gaza, deuten auf einen bevorstehenden Völkermord hin“. Die Internationale Gemeinschaft, „nicht nur Staaten, sondern auch nicht-staatliche Akteure und Unternehmen, müssen alles in ihrer Macht Stehende tun, um sofort die Gefahr eines Völkermords am palästinensischen Volk zu stoppen und um endgültig die israelische Apartheid und Besatzung von palästinensischem Territorium zu beenden.“


(Red.) Die unterstrichenen Stellen im Text sind Links auf offizielle Berichte der WHO, UNFRA, UNICEF und anderer internationaler Organisationen, wo weitere wichtige Informationen über die Gräueltaten der israelischen Armee zu finden sind. Einfach anklicken.


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