Artikel zu den Kriegen in der Ukraine und in Westasien sowie zum Thema Militarismus (I von II)
aus e-mail von Clemens Ronnefeldt, 16. Juni 2025, 16:32 Uhr
Liebe Friedensinteressierte,
nachfolgend sende ich einige Artikel zu den
Kriegen in der Ukraine und in Westasien
sowie zum Thema Militarismus.
1. Der Spiegel: Trump will sich Ukraine-Waffenlieferungen von der Nato bezahlen lassen
2. BR: Patriot-Kauf für die Ukraine: "Alle müssen Portemonnaies öffnen"
3. Der Standard: Ultraorthodoxe Partei verlässt Koalition von Ministerpräsident Netanjahu
4. Der Freitag: Politik: Alle Palästinenser in ein Lager sperren, wie nennt ihr das?
5. DLF: Kommentar zu „humanitärer Stadt“ in Gaza: Vertreibung anders etikettiert
6. Tagesschau: U-Boot-Geschäft Netanjahu wollte, dass Merkel-Berater entlassen wird
7. NewYorkTimes: Omer Bartov: Ich bin Genozid-Forscher. Ich erkenne es, wenn ich es sehe.
8. IPG: Peter Beinart: Der Wind hat sich gedreht
9. ai: Offener Brief zu Gaza: Prominente fordern Bundesregierung zum Handeln auf
10. Der Freitag: Politik: 27 ehemalige EU-Botschafter fordern: EU muss Handelsabkommen mit Israel jetzt aussetzen
11. Die Zeit: Alexander Kluge: "Ich muss mich ganz in die Perspektive des Gegners hineinversetzen"
12. Nuclearban: Zeitungsanzeige: 80 Jahre nach Hiroshima: Für eine Zukunft ohne Atomwaffen! <>
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1. Der Spiegel: Trump will sich Ukraine-Waffenlieferungen von der Nato bezahlen lassen
Wert von bis zu 300 Millionen Dollar
Trump will sich Ukraine-Waffenlieferungen von der Nato bezahlen lassen
Erstmals seit seiner Rückkehr ins Amt plant US-Präsident Trump, Waffen
in die Ukraine zu liefern – offenbar per präsidentieller Vollmacht.
Zudem kündigt er ein »bedeutendes Statement« zu Russland an.
11.07.2025, 07.20 Uhr
Die USA wollen der Ukraine künftig Waffen über die Nato liefern. Das
Bündnis bezahle die Waffen vollständig, sagt US-Präsident Donald Trump
dem Sender NBC News.
»Wir schicken Waffen an die Nato, und die Nato wird die vollen Kosten
für diese Waffen erstatten.« Erstmals seit seiner Rückkehr ins Amt
will Trump damit Waffen in die Ukraine schicken.
Dafür soll eine besondere präsidentielle Vollmacht genutzt werden, wie
zwei mit der Entscheidung vertraute Personen erklären. Diese erlaube
es dem Präsidenten, auf Bestände des US-Militärs zurückzugreifen. Das
Paket könnte einen Wert von rund 300 Millionen Dollar haben und
Patriot-Abwehrraketen sowie Mittelstreckenraketen umfassen.
Deutschland will derweil von den USA Luftverteidigungssysteme vom Typ
Patriot kaufen, um sie der Ukraine im Krieg gegen Russland zur
Verfügung zu stellen. Dies kündigte Bundeskanzler Friedrich Merz bei
einer internationalen Wiederaufbaukonferenz in Rom an. Dem Vernehmen
nach geht es um zwei Systeme.
Die Ukraine fordert vom Westen mehr Hilfe für die Flugabwehr, um dem
massiven russischen Beschuss mit Drohnen und Raketen etwas
entgegenhalten zu können. Allein in der Nacht zum Donnerstag waren
Kyjiw und Umgebung wieder Ziel von mehr als 400 Angriffen.
Der befürchtete 1000-Drohnen-Angriff
Merz verwies auf ein Telefonat mit US-Präsident Donald Trump. Darin
habe er »ihn auch gebeten, diese Systeme zu liefern«. Jetzt wird
zwischen Berlin und Washington verhandelt.
Um Luftverteidigung ging es auch bei einem Zusammenkommen des
ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj mit zwei US-Senatoren.
Bei dem Treffen in Rom mit dem Republikaner Lindsey Graham und dem
Demokraten Richard Blumenthal gehe es vor allem um die Abwehr eines
befürchteten russischen Angriffs mit 1000 Drohnen, teilt Selenskyj auf
Telegram mit.
Die Stärkung der Luftverteidigung habe Priorität. Besonders wichtig
seien Investitionen in Abfangdrohnen. Zudem sei über fortgesetzte
Lieferungen aus den USA und eine gemeinsame Waffenproduktion
gesprochen worden.
In Rom wurde auch über die zivile Hilfe für die Ukraine gesprochen,
die nach mehr als drei Jahren russischem Angriffskrieg schwer
gezeichnet ist. Dabei wurden weitere Milliarden auf den Weg gebracht,
auch ein neuer europäischer Fonds mit Beteiligung der
Privatwirtschaft. Das Geld soll insbesondere in die Reparatur und den
Neubau von Energieanlagen fließen, aber auch in Industriebetriebe und
digitale Rechenzentren. Merz betonte, dass damit auch die Moral der
Ukrainer gestärkt werden solle.
Neue Milliardenhilfen für den Wiederaufbau
Nach Angaben aus Berlin umfasst der neue Fonds eine Milliarde Euro.
Die EU-Kommission sprach von mehr als 2,3 Milliarden. Bislang wurden
im Rahmen von vier Wiederaufbaukonferenzen in den vergangenen Jahren
schon mehr als 16 Milliarden Euro mobilisiert – was trotzdem bei
Weitem nicht reichen wird. Die Weltbank schätzt die Gesamtkosten für
den Wiederaufbau auf mehr als 500 Milliarden. Der ukrainische
Ministerpräsident Denys Schmyhal nannte sogar eine Summe von 850
Milliarden.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warb in Rom dafür,
zusätzlich zur Militärhilfe eine »Koalition zum Wiederaufbau« zu
bilden. »Die Ukraine braucht Investitionen. Alles, was wir zum Schutz
der Ukraine bauen, schützt auch Sie«, sagte er in seiner Rede. Vorbild
soll der Marshallplan sein, mit dem die USA nach dem Zweiten Weltkrieg
Europa halfen. Dem russischen Präsidenten Wladimir Putin warf
Selenskyj abermals vor, sein Land mit »reinem Terror« zu überziehen.
»Putin hat nur zwei Verbündete: Terror und den Winter.«
Merz versichert »unerschütterliche« Unterstützung
Merz versicherte Selenskyj weiterer deutscher Hilfe: »Unsere
Unterstützung für ihr Land ist unerschütterlich.« An die Adresse
Putins sagte er: »Russland muss verstehen, dass es sich militärisch
nicht durchsetzen wird.« Zugleich appellierte der CDU-Chef an Trump,
Europa nicht im Stich zu lassen. »Bleiben Sie bei uns, und bleiben Sie
bei den Europäern. Wir stehen auf derselben Seite.«
Trump kündigte gegenüber NBC News an, er werde am Montag ein
»bedeutendes Statement« zu Russland abgeben, ohne genauer auszuführen,
worum es geht. Jüngst hatte Trump seine Frustration mit dem russischen
Präsidenten Wladimir Putin ausgedrückt.
Trump stellte kürzlich offen infrage, wie ernst es dem russischen
Präsidenten mit einem Friedensabkommen ist. Er warf Putin vor,
»Bullshit« zu reden.
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2. BR: Patriot-Kauf für die Ukraine: "Alle müssen Portemonnaies öffnen"
15.07.2025, 13:38 Uhr
Patriot-Kauf für die Ukraine: "Alle müssen Portemonnaies öffnen"
Die USA bieten den Verkauf von Patriot-Systemen für die Ukraine an.
Deutschland finanziert nun zwei solcher Flugabwehr-Systeme.
Verteidigungsminister Pistorius fordert aber auch die Beteiligung der
anderen Nato-Länder.
Über dieses Thema berichtet:
BR24 Infoblock am 15.07.2025 um 08:45 Uhr.
Die europäischen Nato-Staaten planen massive Militärhilfen für die
Ukraine und wollen dafür entsprechendes Rüstungsmaterial von den USA
kaufen. Eine führende Rolle soll dabei Deutschland einnehmen.
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) kündigte an, dass
Deutschland zwei Patriot-Systeme für rund zwei Milliarden Euro von den
USA abkaufen werden.
Pistorius appelliert an europäische Nato-Verbündete Deutschland werde
seinen Teil leisten, sagte Pistorius nach dem Treffen mit
US-Verteidigungsminister Pete Hegseth in Washington den
ARD-"Tagesthemen". Pistorius appellierte gleichzeitig an die
europäischen Nato-Verbündeten, sich am Kauf von US-Waffen für die
Ukraine zu beteiligen.
"Klar ist, und das ist ein Appell an alle anderen europäischen
Mitgliedstaaten der Nato: Hier müssen alle gewissermaßen ihre
Portemonnaies öffnen." Es gehe darum, schnell die Summen
zusammenzukriegen, die zunächst vor allem für die Stärkung der
Luftverteidigung nötig seien. Hier stehe die Ukraine gewaltig unter
Druck. "Also sind jetzt alle gefordert, hier Farbe zu bekennen."
Das Patriot-Luftverteidigungssystem kann Raketen im Flug abschießen,
es ist aber sehr teuer. Außerdem ist mit einer Lieferung erst in
mehreren Monaten zu rechnen. Daher wird erwogen, zunächst zwei
Patriot-Systeme aus dem Bundeswehrbestand an die Ukraine
weiterzugeben, um sie später durch die US-Produkte zu ersetzen.
Selenskyj dankt Trump für mehr Waffen und Druck auf Moskau Die Ukraine
reagierte verhalten auf die Ankündigungen von US-Präsident Donald
Trump, Waffen zum Kauf anzubieten.
"Vielen Dank für die Bereitschaft, die Ukraine zu unterstützen und
weiterhin zusammenzuarbeiten, um das Morden zu beenden und einen
dauerhaften und gerechten Frieden zu schaffen", schrieb der
ukrainische Präsident Selenskyj nach einem Telefonat mit Trump auf der
Plattform X. Es sei Russland, das zu Friedensgesprächen gezwungen
werden müsse. "Und genau das geschieht gerade."
Russland sieht in Waffenlieferung Fortsetzung des Krieges Russland
dagegen sieht den geplanten Ankauf von amerikanischen Waffen durch
Nato-Staaten für die Ukraine nicht als Signal für Friedensbemühungen.
Solche Entscheidungen nehme die ukrainische Seite als Zeichen für eine
Fortsetzung des Krieges wahr, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der
russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge. Russland werde sich
auch noch Zeit nehmen, die Erklärungen Trumps zu analysieren.
Vizeaußenminister Alexander Gruschko sagte, die Waffenlieferungen der
Nato-Staaten an die Ukraine zeugten davon, dass die Allianz an einer
Fortsetzung der Kampfhandlungen interessiert sei. Moskau hatte immer
wieder ein Ende der Waffenlieferungen als Voraussetzung für eine
Waffenruhe genannt.
Kiews Bürgermeister kritisiert Trumps 50-Tages-Ultimatum Außer dem
Großangebot an Waffen hatte Trump Zölle von 100 Prozent für die
Unterstützer Moskaus angekündigt, falls es bei den Bemühungen um ein
Ende des russischen Angriffskrieges nicht innerhalb von 50 Tagen eine
Übereinkunft gibt.
Der Bürgermeister der ukrainischen Hauptstadt Kiew, Vitali Klitschko,
kritisierte diese 50-Tages-Frist. Einerseits freue er sich über die
Welle der Unterstützung aus den USA, andererseits aber verstehe er
nicht den Grund, Putin 50 Tage Zeit zu geben, sagte Klitschko in der
ARD-Talkshow "Maischberger“.
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3. Der Standard: Ultraorthodoxe Partei verlässt Koalition von Ministerpräsident Netanjahu
Nahost
Ultraorthodoxe Partei verlässt Koalition von Ministerpräsident Netanjahu
Der Grund für den Austritt der Partei Vereinigtes Tora-Judentum (UTJ)
ist ein Streit über die Wehrpflicht von ultraorthodoxen Juden. Damit
hat Netanjahu nur mehr eine hauchdünne Mehrheit
15. Juli 2025, 06:08
Jerusalem – In Israel hat die ultraorthodoxe Partei Vereinigtes
Tora-Judentum (UTJ) am frühen Dienstagmorgen ihren Austritt aus der
Regierungskoalition von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erklärt.
Grund für den Austritt sei, dass ein Gesetzentwurf zur Befreiung von
Tora-Studenten vom Militärdienst nicht angenommen wurde. Am späten
Montagabend hatte eine Fraktion der UTJ, Degel HaTorah, bereits den
Austritt ihrer Abgeordneten verkündet. (…)
Wenn die UTJ wegbricht, hat Netanjahu nur noch eine hauchdünne
Mehrheit von 61 Sitzen in der 120 Sitze zählenden Knesset, dem
Parlament. Es war zunächst nicht klar, ob Shas, eine weitere
ultraorthodoxe Partei, dem Beispiel der UTJ folgen wird.
Sowohl Netanjahu als auch Finanzminister Bezalel Smotrich hatten bei
der letzten Regierungsbildung ein neues Wehrpflichtgesetz zunächst
ausgeschlossen, denn sie waren auf die Unterstützung der
ultraorthodoxen UTJ und ihrer Schwesterpartei Shas angewiesen, die
zusammen 18 Sitze in der 120 Sitze umfassenden Knesset haben. (…)
Einberufung Ultraorthodoxer angekündigt
Angesichts des Kriegs im Gazastreifen und weiterer Einsätze hatte das
israelische Militär Anfang Juli dieses Jahres die politisch
umstrittene Einberufung von 54.000 ultraorthodoxen jüdischen
Seminarstudenten angekündigt. Es sollten zwar wegen religiöser Belange
besondere Vorkehrungen getroffen werden, aber die Einberufung sollte
laut Militär noch im Juli beginnen.
Der Militärdienst ist in Israel mit 18 Jahren für Männer und Frauen
obligatorisch. Ultraorthodoxe Männer, die Vollzeit in Seminaren
studieren, waren seit der Gründung des Staates im Jahr 1948 von der
Wehrpflicht ausgenommen. Zahlreiche Versuche, sie einzuziehen, sind
stets gescheitert. Allerdings lebten damals noch sehr wenige
Ultraorthodoxe in Israel. Mittlerweile ist deren Bevölkerungsanteil
auf 13 Prozent gestiegen. (APA, 15.7.2025)
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4. Der Freitag: Politik: Alle Palästinenser in ein Lager sperren, wie nennt ihr das?
Politik: Alle Palästinenser in ein Lager sperren, wie nennt ihr das?
Israels Verteidigungsminister Israel Katz hat Pläne für die
Internierung aller Palästinenser Gazas in ein Lager bei Rafah
vorgestellt. Noch wäre Zeit, dieses Verbrechen zu verhindern. Doch
dazu müssten sich deutsche Medien bewegen
Von Elsa Koester
08.07.2025
Es ist der Dienstagmorgen des 8. Juli 2025, Israel hat gerade
angekündigt, ein Lager in Rafah zu errichten, in das es sämtliche
Bewohner des Gazastreifens „aufnehmen“ will – um sie dann nicht mehr
herauszulassen. Zuerst 600.000, dann alle Palästinenser. Das
berichtete die israelische Zeitung Haaretz am Montagabend. Und was
titeln die Leitmedien in Deutschland am Dienstag?
„Wo in Deutschland die Wege am Kürzesten sind“, titelt die Zeit: In
deutschen Städten und Dörfern soll alles ohne Auto erreichbar werden.
Mit Karte. Tagesschau.de macht ein FAQ zu Jens Spahns Maskenskandal,
die Frankfurter Allgemeine Zeitung porträtiert die Kandidatin Frauke
Brosius-Gersdorf für das Amt der Verfassungsrichterin (…).
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5. DLF: Kommentar zu „humanitärer Stadt“ in Gaza: Vertreibung anders etikettiert
Kommentar zu „humanitärer Stadt“ in Gaza: Vertreibung anders etikettiert
Resch, Hanna | 12. Juli 2025, 13:20 Uhr
(…)
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6. Tagesschau: U-Boot-Geschäft Netanjahu wollte, dass Merkel-Berater entlassen wird
https://www.tagesschau.de/investigativ/panorama/u-boote-netanjahu-merkel-heusgen-100.html
U-Boot-Geschäft Netanjahu wollte, dass Merkel-Berater entlassen wird
Stand: 10.07.2025 15:23 Uhr
Ein U-Boot-Deal zwischen Deutschland und Israel aus der Merkel-Zeit
sorgte wiederholt für Aufregung. Panorama-Recherchen zeigen nun, dass
Premier Netanjahu im Zuge der Verhandlungen die Entlassung von
Merkel-Berater Heusgen forderte.
Von Stefan Buchen, NDR
Das sechste U-Boot für Israel liegt fast fertig in der Werft von Thyssenkrupp in Kiel.
Der Vertrag dafür wurde vor 13 Jahren zwischen der Bundesregierung und Israel,
damals bereits regiert von Premierminister Benjamin Netanjahu, unterschrieben.
Dass es im Zusammenhang mit dem U-Boot Korruptionsvorwürfe gibt, ist bekannt.
Es ist Gegenstand einer Anklage wegen Bestechung vor einem Gericht in
Tel Aviv. Angeklagt sind, neben dem ehemaligen Verkaufsagenten von
Thyssenkrupp in Israel, mehrere ehemalige Mitarbeiter aus dem Amt des
Premierministers. Ihnen wird Annahme von Bestechungsgeldern vorgeworfen.
Netanjahu selbst, der in der Sache nicht angeklagt ist, muss vor einer
richterlichen Untersuchungskommission Rechenschaft ablegen. Diese zog
im Juni 2024 ein für ihn verheerendes Zwischenfazit: Mit seinem
Beschaffungsgebaren in Deutschland habe der Premierminister die
Sicherheit des Staates Israel, seine auswärtigen Belange und seine
wirtschaftlichen Interessen "gefährdet".
Heusgen-Position sorgte für Verärgerung Jetzt wurde ein brisantes
Detail aus den Verhandlungen rund um das sechste U-Boot bekannt. Wie
das ARD-Magazin Panorama erfuhr, versuchte Netanjahu im Zuge der
Verhandlungen über die U-Boot-Lieferung, die Entlassung von Merkels
Berater Christoph Heusgen herbeizuführen. Netanjahu störte sich an
Heusgens Forderungen nach politischen Gegenleistungen zugunsten der
Palästinenser. Heusgen bestätigte den Affront gegen ihn im Gespräch
mit "Panorama".
Die Bundesregierung wollte - in Anlehnung an Heusgens Forderungen -
die U-Boot-Lieferung an die Bedingung knüpfen, dass Netanjahu den
Siedlungsbau im besetzten Westjordanland stoppt und die Errichtung
eines palästinensischen Staates an der Seite Israels zulässt.
Über diese Verknüpfung der beiden Themen habe es in Netanjahus Umfeld
"keinen Jubel“ gegeben, wie sich Heusgen erinnert. Heusgens Position
schlug sich auch in den Akten der israelischen Untersuchungskommission
zur U-Boot-Affäre nieder.
Entlassung Heusgens beim Botschafter gefordert Mehrere Zeugen gaben zu
Protokoll, dass Heusgen von der Netanjahu-Regierung Schritte zugunsten
der Palästinenser als Gegenleistung für Marineexporte verlangte, etwa
der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland, Jakov Hadas, und
der ehemalige Planungschef im Verteidigungsministerium, Amos Gilad.
In der zweiten Jahreshälfte 2010 oder in der ersten Jahreshälfte 2011
wandte sich der Netanjahu-Vertraute Ron Dermer an Harald Kindermann,
den deutschen Botschafter in Tel Aviv, wie Panorama aus israelischen
Quellen erfuhr. Dermer habe gesagt, dass er nicht eigenmächtig handle,
sondern einen Auftrag ausführe. Er verlange die Entlassung von Heusgen.
Auf Anfrage bestätigt Merkels ehemaliger Topberater den Vorgang. Im
Interview mit Panorama bekräftigt Heusgen, von israelischer Seite sei
der Versuch unternommen worden, ihn von seinem Posten abzulösen.
„Der Berater von Netanjahu, Ron Dermer, ist seinerzeit zum Deutschen
Botschafter, zu Herrn Kindermann, gegangen und hat gesagt: 'Ich komme
hier nicht als Privatmann, sondern in offiziellem Auftrag, und ich verlange d
ie Ablösung von Heusgen'".
"Ungewöhnlicher" Vorgang Der frühere israelische Botschafter in
Deutschland, Yoram Ben Zeev, kann sich ebenfalls genau an das Ereignis
erinnern. Panorama liegt eine schriftliche Schilderung Ben Zeevs vor.
Im Rückblick charakterisiert Heusgen den Schritt von Netanjahu und
Dermer als "ungewöhnlich". Wenn man aber sehe, wie Netanjahu heute
agiere und welche Entscheidungen er treffe, überrasche es ihn nicht
mehr, so Merkels Ex-Berater.
Ron Dermer, heute Minister für Strategische Angelegenheiten, war
damals Mitarbeiter im Premierministeramt. Im Laufe des Jahres 2011
bekam er dort nach Panorama-Informationen unter anderem die
Zuständigkeit für den Kontakt zum deutschen Springer-Konzern. Am
3.Dezember 2012 erschien in der Bild-Zeitung ein bemerkenswerter
Artikel, in dem Heusgen in ein schlechtes Licht gerückt werden sollte.
Der damalige Bild-Autor Julian Reichelt schrieb dort: "Auf
israelischer Regierungsseite heißt es, Merkel würde das Thema Israel
zu sehr ihrem Berater überlassen, anstatt eigene Positionen deutlich
zu machen. Heusgen habe zu viel Einfluss und wolle 'immer nur über
Siedlungspolitik reden', sagte ein israelischer Regierungsbeamter zu
BILD." Es ist unklar, ob es sich bei dem von Bild zitierten
Regierungsbeamten um Ron Dermer handelte. Dieser ließ eine Anfrage von
Panorama ebenso unbeantwortet wie das Premierministeramt von Benjamin
Netanjahu.
Netanjahus Forderung, Heusgen zu feuern, wurde bekanntlich von
Kanzlerin Merkel nicht erhört. Heusgen blieb bis 2017 ihr
außenpolitischer Berater und wurde dann UN-Botschafter Deutschlands.
Keine verbindlichen Bedingungen Der israelische Druck scheint jedoch
nicht folgenlos geblieben zu sein. Die Bundesregierung stellte
letztlich keine verbindlichen Bedingungen hinsichtlich der
Palästinenserfrage im Gegenzug zur Lieferung des sechsten U-Bootes.
Auch für die vier Korvetten von Thyssenkrupp, die Deutschland bereits
geliefert hat und die im Gazakrieg zum Einsatz kamen, gab es keine
politische Konditionierung.
Netanjahu habe sich durchgesetzt, "insofern wir geliefert haben",
meint Heusgen. "Das wurde politisch entschieden", ergänzt er
diplomatisch. Das soll wohl bedeuten, dass Merkel letztlich beschloss,
die Bedingungen fallen zu lassen und die Marineschiffe auch ohne
Fortschritte in Richtung einer Friedenslösung in Nahost zu liefern.
Der Bundessicherheitsrat genehmigte im Dezember 2023 "abschließend"
den Export des sechsten U-Boots nach Israel, wie aus einer Mitteilung
an den Haushaltsausschuss des Bundestages hervorgeht. Wann das noch
nicht fertige Kriegsgerät dem Empfänger übergeben wird, ist unklar.
Das Bundeskanzleramt teilte mit, dass der Bundessicherheitsrat über
Rüstungsexporte in jedem Einzelfall nach außen- und
sicherheitspolitischen Erwägungen entscheide.
Bundeskanzlerin a.D. Angela Merkel gab auf Anfrage keine Auskunft zu
dem Vorstoß Netanjahus, ihren Berater Heusgen seines Amtes zu entheben.
——
7. NewYorkTimes: Omer Bartov: Ich bin Genozid-Forscher. Ich erkenne es, wenn ich es sehe.
(in deutscher Übersetzung aus der New York Times)
Meinung
Gast-Essay
15.7.2025
Ich bin Genozid-Forscher. Ich erkenne es, wenn ich es sehe.
Von Omer Bartov
Dr. Bartov ist Professor für Holocaust- und Genozidstudien an der Brown University.
Manche mögen diese Kampagne als ethnische Säuberung und nicht als
Völkermord bezeichnen. Aber es gibt eine Verbindung zwischen diesen
Verbrechen. Wenn eine ethnische Gruppe nirgendwo hingehen kann und
ständig von einer sogenannten Sicherheitszone in die nächste
vertrieben, unerbittlich bombardiert und ausgehungert wird, kann
ethnische Säuberung zu Völkermord werden.
Dies war der Fall bei mehreren bekannten Völkermorden des 20.
Jahrhunderts, wie dem der Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika,
dem heutigen Namibia, der 1904 begann, dem Völkermord an den Armeniern
im Ersten Weltkrieg und sogar dem Holocaust, der mit dem Versuch der
Deutschen begann, die Juden zu vertreiben, und mit ihrer Ermordung endete.
Bis heute haben nur wenige Holocaust-Forscher und keine einzige
Institution, die sich der Erforschung und Erinnerung des Holocaust
widmet, davor gewarnt, dass Israel wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen
gegen die Menschlichkeit, ethnischer Säuberung oder Völkermord
angeklagt werden könnte. Dieses Schweigen hat den Slogan „Nie wieder“
ad absurdum geführt und seine Bedeutung von einer Bekräftigung des
Widerstands gegen Unmenschlichkeit, wo immer sie begangen wird, in
eine Entschuldigung, ja sogar in eine Carte blanche für die
Vernichtung anderer verwandelt, indem man sich auf die eigene
Vergangenheit als Opfer beruft.
Dies ist ein weiterer der vielen unkalkulierbaren Kosten der aktuellen
Katastrophe. Während Israel buchstäblich versucht, die Existenz der
Palästinenser in Gaza auszulöschen und zunehmend Gewalt gegen
Palästinenser im Westjordanland ausübt, schwindet das moralische und
historische Kapital, auf das sich der jüdische Staat bisher stützen konnte.
Israel, das nach dem Holocaust als Antwort auf den Völkermord der
Nazis an den Juden gegründet wurde, hat immer darauf bestanden, dass
jede Bedrohung seiner Sicherheit als potenziell zu einem neuen
Auschwitz führend angesehen werden muss. Dies gibt Israel die
Erlaubnis, diejenigen, die es als seine Feinde betrachtet, als Nazis
darzustellen – ein Begriff, der von israelischen Medienvertretern
wiederholt verwendet wird, um die Hamas und damit alle Bewohner des
Gazastreifens zu beschreiben, basierend auf der weit verbreiteten
Behauptung, dass keiner von ihnen „unbeteiligt“ sei, nicht einmal die
Säuglinge, die später einmal zu Militanten heranwachsen würden.
Dies ist kein neues Phänomen. Bereits bei der israelischen Invasion im
Libanon 1982 verglich Premierminister Menachem Begin den damals in
Beirut verschanzten Yassir Arafat mit Adolf Hitler in seinem Berliner
Bunker. Diesmal wird die Analogie im Zusammenhang mit einer Politik
verwendet, die darauf abzielt, die gesamte Bevölkerung des
Gazastreifens zu entwurzeln und zu vertreiben.
Die täglichen Schreckensszenen in Gaza, vor denen die israelische
Öffentlichkeit durch die Selbstzensur ihrer eigenen Medien abgeschirmt
wird, entlarven die Lügen der israelischen Propaganda, dass es sich um
einen Verteidigungskrieg gegen einen naziähnlichen Feind handelt. Man
schaudert, wenn israelische Sprecher schamlos den hohlen Slogan von
der IDF als „moralischsten Armee der Welt“ wiederholen.
Einige europäische Nationen, darunter Frankreich, Großbritannien und
Deutschland sowie Kanada, haben zwar schwach gegen das Vorgehen
Israels protestiert, insbesondere seit der Verletzung des
Waffenstillstands im März. Aber sie haben weder Waffenlieferungen
ausgesetzt noch konkrete und bedeutende wirtschaftliche oder
politische Schritte unternommen, die die Regierung Netanjahu
abschrecken könnten.
Eine Zeit lang schien die US-Regierung das Interesse an Gaza verloren
zu haben. Präsident Trump hatte im Februar zunächst angekündigt, dass
die Vereinigten Staaten Gaza übernehmen und es zur „Riviera des Nahen
Ostens“ machen würden, dann aber Israel mit der Zerstörung des
Gazastreifens weitermachen ließ und seine Aufmerksamkeit auf den Iran
richtete. Derzeit kann man nur hoffen, dass Trump den widerstrebenden
Netanjahu erneut unter Druck setzt, zumindest einen neuen
Waffenstillstand zu erreichen und das unerbittliche Töten zu beenden.
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Wie wird sich die unvermeidliche Zerstörung der unbestreitbaren Moral
Israels, die sich aus seiner Entstehung aus der Asche des Holocausts
ableitet, auf die Zukunft des Landes auswirken?
Die politische Führung Israels und seine Bevölkerung werden darüber
entscheiden müssen. Es scheint wenig innerer Druck für den dringend
notwendigen Paradigmenwechsel zu geben: die Erkenntnis, dass es keine
andere Lösung für diesen Konflikt gibt als eine Vereinbarung zwischen
Israelis und Palästinensern über die Aufteilung des Landes nach den
von beiden Seiten vereinbarten Parametern, sei es zwei Staaten, ein
Staat oder eine Konföderation.
Auch starker Druck von außen durch die Verbündeten des Landes scheint
unwahrscheinlich. Ich bin zutiefst besorgt, dass Israel seinen
katastrophalen Kurs fortsetzen und sich vielleicht irreversibel zu
einem vollwertigen autoritären Apartheidstaat wandeln wird. Solche
Staaten, das lehrt uns die Geschichte, sind nicht von Dauer.
Eine weitere Frage stellt sich: Welche Folgen wird Israels moralischer
Umschwung für die Kultur des Holocaust-Gedenkens und die Politik der
Erinnerung, Bildung und Wissenschaft haben, wenn so viele seiner
intellektuellen und administrativen Führer sich bisher geweigert
haben, ihrer Verantwortung gerecht zu werden, Unmenschlichkeit und
Völkermord anzuprangern, wo immer sie auftreten?
Diejenigen, die sich weltweit für die Kultur des Gedenkens und der
Erinnerung an den Holocaust engagieren, werden sich einer moralischen
Abrechnung stellen müssen. Die breitere Gemeinschaft der
Völkermordforscher – diejenigen, die sich mit vergleichenden Studien
zum Völkermord oder zu einem der vielen anderen Völkermorde befassen,
die die Menschheitsgeschichte geprägt haben – nähert sich nun immer
mehr einem Konsens darüber, die Ereignisse in Gaza als Völkermord zu
bezeichnen.
Im November, etwas mehr als ein Jahr nach Kriegsbeginn, schloss sich
der israelische Völkermordforscher Shmuel Lederman der wachsenden
Meinung an, dass Israel Völkermord begehe. Der kanadische
Völkerrechtler William Schabas kam im vergangenen Jahr zu dem gleichen
Schluss und bezeichnete Israels Militäraktion in Gaza kürzlich als
„absoluten“ Völkermord.
Andere Völkermord-Experten, wie Melanie O'Brien, Präsidentin der
International Association of Genocide Scholars, und der britische
Spezialist Martin Shaw (der ebenfalls gesagt hat, dass der Angriff der
Hamas völkermörderisch war), sind zu dem gleichen Schluss gekommen,
während der australische Wissenschaftler A. Dirk Moses von der City
University of New York diese Ereignisse in der niederländischen
Publikation NRC als „Mischung aus völkermörderischer und militärischer
Logik” beschrieb. Im selben Artikel sagte Uğur Ümit Üngör, Professor
am NIOD-Institut für Kriegs-, Holocaust- und Völkermordstudien in
Amsterdam, dass es wahrscheinlich Wissenschaftler gibt, die dies immer
noch nicht für Völkermord halten, aber „ich kenne sie nicht“.
Die meisten Holocaust-Wissenschaftler, die ich kenne, vertreten diese
Ansicht nicht oder äußern sie zumindest nicht öffentlich. Mit wenigen
bemerkenswerten Ausnahmen, wie dem Israeli Raz Segal, Programmdirektor
für Holocaust- und Völkermordstudien an der Stockton University in New
Jersey, und den Historikern Amos Goldberg und Daniel Blatman von der
Hebräischen Universität Jerusalem, hat sich die Mehrheit der
Wissenschaftler, die sich mit der Geschichte des Völkermords der Nazis
an den Juden befassen, bemerkenswert still verhalten, während einige
die Verbrechen Israels in Gaza offen leugnen oder ihre kritischeren
Kollegen der Hetze, wilden Übertreibungen, Verleumdung und
Antisemitismus beschuldigt.
Im Dezember äußerte der Holocaust-Forscher Norman J.W. Goda die
Meinung, dass „Völkermordvorwürfe wie diese seit langem als
Feigenblatt für umfassendere Angriffe auf die Legitimität Israels
dienen“, und äußerte seine Sorge, dass „sie die Schwere des Wortes
Völkermord selbst entwertet haben“. Diese „Völkermord-Verleumdung“,
wie Dr. Goda sie in einem Essay bezeichnet, „bedient sich einer Reihe
antisemitischer Tropen“, darunter „die Verknüpfung des Vorwurfs des
Völkermords mit der vorsätzlichen Tötung von Kindern, deren Bilder in
NGOs, sozialen Medien und anderen Plattformen, die Israel des
Völkermords bezichtigen, allgegenwärtig sind“.
Mit anderen Worten: Das Zeigen von Bildern palästinensischer Kinder,
die von israelischen Piloten abgefeuerten US-Bomben zerfetzt wurden,
ist aus dieser Sicht ein antisemitischer Akt.
Kürzlich schrieben Dr. Goda und der angesehene Europäischer Historiker
Jeffrey Herf in der Washington Post, dass „die gegen Israel erhobene
Völkermordanklage aus tiefen Quellen der Angst und des Hasses
schöpft“, die in „radikalen Interpretationen sowohl des Christentums
als auch des Islam“ zu finden sind. Sie „hat die Verachtung von den
Juden als religiöse/ethnische Gruppe auf den Staat Israel verlagert,
den sie als von Natur aus böse darstellt“.
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Was sind die Folgen dieser Kluft zwischen Völkermordforschern und
Holocaust-Historikern? Dies ist nicht nur ein Streit innerhalb der
akademischen Welt. Die in den letzten Jahrzehnten entstandene
Erinnerungskultur rund um den Holocaust umfasst weit mehr als den
Völkermord an den Juden. Sie spielt mittlerweile eine entscheidende
Rolle in Politik, Bildung und Identität.
Museen, die dem Holocaust gewidmet sind, dienen als Vorbilder für die
Darstellung anderer Völkermorde auf der ganzen Welt. Die Forderung,
dass die Lehren aus dem Holocaust die Förderung von Toleranz,
Vielfalt, Antirassismus und die Unterstützung von Migranten und
Flüchtlingen erfordern, ganz zu schweigen von den Menschenrechten und
dem humanitären Völkerrecht, wurzelt in dem Verständnis der
universellen Bedeutung dieses Verbrechens im Herzen der westlichen
Zivilisation auf dem Höhepunkt der Moderne.
Die Diskreditierung von Völkermordforschern, die Israels Völkermord in
Gaza als antisemitisch bezeichnen, droht die Grundlage der
Völkermordforschung zu untergraben: die fortwährende Notwendigkeit,
Völkermord zu definieren, zu verhindern, zu bestrafen und seine
Geschichte aufzuarbeiten. Die Behauptung, dass dieses Bestreben
stattdessen von böswilligen Interessen und Gefühlen motiviert sei –
dass es von genau dem Hass und den Vorurteilen getrieben sei, die dem
Holocaust zugrunde lagen –, ist nicht nur moralisch skandalös, sondern
öffnet auch einer Politik der Leugnung und Straflosigkeit Tür und Tor.
Umgekehrt gefährden diejenigen, die sich in ihrer beruflichen Laufbahn
der Lehre und Erinnerung an den Holocaust verschrieben haben und
Israels Völkermord in Gaza ignorieren oder leugnen, alles, wofür die
Holocaust-Forschung und -Erinnerung in den letzten Jahrzehnten
gestanden haben. Das heißt, die Würde jedes Menschen, die Achtung der
Rechtsstaatlichkeit und die dringende Notwendigkeit, niemals
zuzulassen, dass Unmenschlichkeit die Herzen der Menschen erobert und
die Handlungen von Nationen im Namen der Sicherheit, der nationalen
Interessen und der blanken Rache lenkt.
Ich befürchte, dass es nach dem Völkermord in Gaza nicht mehr möglich
sein wird, den Holocaust auf die gleiche Weise wie bisher zu lehren
und zu erforschen. Da der Holocaust vom Staat Israel und seinen
Verteidigern so unerbittlich als Deckmantel für die Verbrechen der
israelischen Streitkräfte herangezogen wurde, könnten das Studium und
die Erinnerung an den Holocaust ihren Anspruch auf universelle
Gerechtigkeit verlieren und sich in dasselbe ethnische Ghetto
zurückziehen, in dem sie am Ende des Zweiten Weltkriegs entstanden
sind – als marginalisiertes Anliegen der Überreste eines
marginalisierten Volkes, als ethnisch spezifisches Ereignis, bevor sie
Jahrzehnte später ihren rechtmäßigen Platz als Lehre und Warnung für
die gesamte Menschheit fanden.
Ebenso beunruhigend ist die Aussicht, dass die Erforschung des
Völkermords insgesamt die Vorwürfe des Antisemitismus nicht überleben
wird und uns damit die entscheidende Gemeinschaft von Wissenschaftlern
und internationalen Juristen verloren geht, die sich in einer Zeit, in
der der Aufstieg von Intoleranz, Rassenhass, Populismus und
Autoritarismus die Werte bedroht, die im Zentrum dieser
wissenschaftlichen, kulturellen und politischen Bestrebungen des 20.
Jahrhunderts standen, in die Bresche springen könnte.
Der einzige Lichtblick am Ende dieses sehr dunklen Tunnels ist
vielleicht die Möglichkeit, dass eine neue Generation von Israelis
ihrer Zukunft begegnen wird, ohne sich in den Schatten des Holocaust
zu flüchten, auch wenn sie die Schande des Völkermords in Gaza tragen
müssen, der in ihrem Namen begangen wurde. Israel wird lernen müssen,
ohne den Holocaust als Rechtfertigung für Unmenschlichkeit zu leben.
Das ist trotz all des schrecklichen Leids, das wir derzeit erleben,
etwas Wertvolles und könnte Israel langfristig helfen, seiner Zukunft
gesünder, rationaler und weniger ängstlich und gewalttätig
entgegenzusehen.
Das wird nichts an dem unermesslichen Leid und Tod der Palästinenser
ändern. Aber ein Israel, das von der erdrückenden Last des Holocaust
befreit ist, könnte endlich akzeptieren, dass seine sieben Millionen
jüdischen Bürger das Land mit den sieben Millionen Palästinensern, die
in Israel, Gaza und dem Westjordanland leben, in Frieden, Gleichheit
und Würde teilen müssen. Das wäre die einzig gerechte Lösung.
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Der moralische Abstieg der deutschen Elite ist unvorstellbar. Wir zeigen anhand von Aussage führender deutscher Politker, wo wir angekommen sind.