Wie sicher ist das KDV-Grundrecht? Zum neuen BGH-Urteil
aus e-mail von Rainer Möller, 20. Februar 2025, 1:34 Uhr
Ich hoffe mal, es hat jeder was von dem BGH-Urteil vom 16.1.25 gehört. Da ging es vordergründig um die Frage, ob ein Ukrainer in die Ukraine abgeschoben werden kann, obwohl seine Kriegsdienstverweigerung dort nicht anerkannt wird.
Der Link dazu ist:
(Ja, ich habe den Link wieder von Alexander Wallasch. Sollte ich hier eine der in den USA so beliebten Trigger-Warnungen anbringen - "if you are triggered by such content or if you don't have the legal age in your country, please stop reading"?)
Es gibt da eine Reihe von Überlegungen zum internationalen Recht, die ich hier weglasse. Unmittelbar für uns wichtig sind einige Passagen, die sich auf das dt. KDV-Grundrecht (Art.4,3 GG) beziehen. Ich zitiere:
"Abs. 38
Explizit offengelassen – und ohne dabei auch nur die Wesensgehalts-
garantie des Art. 19 Abs. 2 GG vorzubehalten – hat das Bundesverfassungsge-
richt zudem, ob selbst jemand, der an sich zur Kriegsdienstverweigerung berech-
tigt erscheint, durch überragende Treuepflichten in außerordentlicher Lage ge-
hindert sein kann, das Grundrecht geltend zu machen (vgl. BVerfG, Beschluss
vom 20. Dezember 1960 – 1 BvL 21/60, BVerfGE 12, 45 Rn. 37), und ob die für
das Anerkennungsverfahren im Frieden geltenden Maßstäbe im Kriegsfall im
Hinblick auf die dann bestehenden außergewöhnlichen Verhältnisse zu modifi-
zieren sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Mai 1970 – 1 BvR 83/69, BVerfGE
28, 243, 263, juris Rn. 62). Überdies entspricht es ständiger Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts, dass sowohl die Einrichtung und Funktionsfähigkeit
der Streitkräfte gegen das Interesse des Kriegsdienstverweigerers an der Freiheit
von jeglichem Zwang gegenüber seiner Gewissensentscheidung abzuwägen
sind (vgl. BVerfGE 28, 243, 261, juris Rn. 59) wie auch dass miteinander kollidie-
rende Grundrechtspositionen darüber hinaus in ihrer Wechselwirkung zu erfas-
sen und nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz so in Ausgleich zu
bringen sind, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden
(vgl. BVerfGE 7, 198, 204 ff.; 148, 267, 280 Rn. 32; 152, 152, 185 Rn. 76). An-
gesichts dessen erachtet es der Senat für – jedenfalls prinzipiell – nicht undenk-
bar, dass ungeachtet des besonders hohen Rangs der in Art. 4 GG verbürgten
Gewissensfreiheit auch die deutsche verfassungsrechtliche Ordnung es gestat-
ten oder sogar erfordern könnte, den Schutz des Kriegsdienstverweigerungs-
rechts in außerordentlicher Lage gegenüber anderen hochrangigen Verfassungs-
werten zurücktreten zu lassen.
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Abs. 50
Wie gesehen, sind Grundrechtsverkürzungen im Verteidigungsfall aber
auch der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung selbst – auch in Bezug auf
die Gewissensfreiheit – nicht fremd, sondern in ihr angelegt. Dabei erscheinen
sogar weitergehende verfassungsimmanente Einschränkungen des Kriegs-
dienstverweigerungsrechts bis hin zu dessen Aussetzung in existenziellen Krisen
des Staates prinzipiell nicht undenkbar.
Sind im Verteidigungsfall weitergehende Verkürzungen des Grund-
rechtsschutzes auch nach deutschem Verfassungsrecht prinzipiell nicht undenk-
bar, scheidet es nach den für den Auslieferungsverkehr geltenden Maßstäben
zudem aus, das Kriegsdienstverweigerungsrecht als einen unabdingbaren
Grundsatz der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung zu begreifen."
Die hervorgehobenen Stellen sind von mir hervorgehoben worden, aber wörtlich zitiert.
Gerade noch ein Wort zur o.g. "Wesensgehaltsgarantie". Die Grundidee ist, dass Grundrechte immer durch andere Grundrechte eingeschränkt werden, aber der Kern- oder "Wesensgehalt" des Grundrechts dabei nicht betroffen sein darf. Wenn der BGH jetzt darauf hinweist, dass das BVerfG in seiner bisherigen Rechtsprechung den Wesensgehalt von Art.4,3 GG nicht definiert hat, dann sollte das eigentlich nicht so interpretiert werden, als gäbe es keinen Wesensgehalt oder die unteren Gerichte brauchten sich darum nicht zu kümmern. (Das ist ja im Augenblick auch das Problem mit Art. 5 GG).
Juristisch läuft es darauf hinaus: Definiert eine Regierung die Situation als Verteidigungsfall oder existenziielle Krise, dann
kann sie die Freistellung vom Waffendienst (Anm. Autor "Das hat also keinen tieferen Grund als mangelnde Beherrschung der Technik.") durch eine Verfügung oder ein einfaches (nicht verfassungsänderndes) Gesetz abschaffen und die unteren Gerichte bis zum BGH werden das einfach abnicken, so dass der Fall notgedrungen bis vor das BVerfG gebracht werden muss.
Grüße nach allen Seiten, Rainer Möller
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.