»Herr Baab, Sie bekommen hier kein Bier!«

overton-magazin.de, 27. Juli 2023 Redaktion 23, Kommentare
Der Journalist Patrik Baab wurde von der Christian-Albrechts-Universität (CAU) in Kiel entlassen, weil er der Pressefreiheit nachging. Das Gerichtsverfahren gegen die Beendigung der Zusammenarbeit hat er gewonnen. Wie geht es jetzt weiter?
Roberto De Lapuente im Gespräch mit Patrik Baab.
De Lapuente: Herr Baab, die Uni Kiel hat das Urteil vom 25. April, das zu Ihren Gunsten ausging, nicht weiter beanstandet. Damit ist das Urteil rechtskräftig, Sie haben also recht bekommen. Man sieht Sie also demnächst wieder in Kiel?
Baab: Nun, das steht nicht in meiner Macht. Die CAU vergibt die Lehraufträge von Semester zu Semester. In meinem Fall handelte es sich um eine Fachergänzung zum Thema »Praktischer Journalismus«. Die Studenten haben Werkzeuge erlernt, Themen methodisch richtig zu recherchieren und fürs Fernsehen umzusetzen. In 20 Jahren gab es keine einzige Beschwerde. Wie meine Website zeigt, habe ich auf diesem Feld ein wenig Erfahrung. Nun muss man sehen, ob die CAU über ihren Schatten springt und mir erneut einen Lehrauftrag anbietet. Was mich betrifft, so stehe ich weiter gerne zur Verfügung. Denn es geht ja nicht um Eitelkeiten, sondern um Ausbildung. Gerade in Kriegszeiten, in denen die Wahrheit von allen Beteiligten vernebelt wird, sollten Methoden der Recherche und Ideologiekritik unterrichtet werden.
»Trauriger Zustand des deutschen Hochschulwesens«
De Lapuente: Mit dem Urteil wurde auch die Pressefreiheit gestärkt, könnte man sagen. Haben Sie persönlich den Eindruck, dass dem so ist? Oder werden von der Öffentlichkeit finanzierte Hochschulen auch weiterhin probieren was immer möglich ist, um lästige Zeitgenossen loszuwerden?
Baab: Tatsächlich hat das Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein in meinen Augen die Pressefreiheit gestärkt. Aber nicht nur das. In einem schwierigen Umfeld, in dem staatliche Propaganda-Narrative die gesamte Öffentlichkeit durchdringen und mit Ressentiments Politik gemacht wird, hat die Kammer unter Vorsitz von Dr. Malte Sievers gerichtliche Unabhängigkeit demonstriert. Das ist ein gutes Zeichen für die Gewaltenteilung in diesem Land. Dieses Signal ist besonders bedeutsam in einer Zeit, in der andere Gerichte teilweise den Eindruck erwecken, die Lügen der Kriegstreiber genössen juristischen Schutz. Die Kammer hat mit diesem Urteil auch die Freiheitlich-demokratische Grundordnung (FdGO) insgesamt gefestigt. Denn integraler Bestandteil der FdGO ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung auch die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Das heißt: Im Verwaltungshandeln sind rechtsstaatliche Verfahren einzuhalten, man kann nicht willkürlich, also ohne sachgemäße Prüfung, jemanden vor die Tür setzen. Insbesondere auch mit ihren Ausführungen zur Gesetzmäßigkeit der Verwaltung hat das Bundesverfassungsgericht in seinem KPD-Urteil von 1956 die FdGO abgegrenzt von jeder Form nationalsozialistischer oder stalinistischer Willkürherrschaft. Auch vor diesem Hintergrund hat das Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein mit seinem Urteil Rechtsgeschichte geschrieben.
De Lapuente: Und welche Auswirkungen hat das Ihrer Ansicht nach?
Baab: Andere Journalisten und Hochschullehrer, die nicht immer der herrschenden Meinung folgen wollen, können sich auf dieses Urteil berufen. Nach einer Studie der Professorinnen Dr. Heike Egner und Dr. Anke Uhlenwinkel sind an deutschen, österreichischen und Schweizer Universitäten von 2020 bis April 2023 allein 47 Ordinarien ohne straf- oder dienstrechtlich kodifizierte Begründungen entlassen worden, also unter Umgehung rechtsstaatlicher Verfahren. Prof. Dr. Ulrike Guérot wurde von der Uni Bonn nicht einmal abgemahnt. In keinem einzigen Fall wurde die Unschuldsvermutung zugrunde gelegt. Die Studie bezieht sich nur auf ordentliche Professoren, die Lehrbeauftragten und wissenschaftlichen Mitarbeiter wurden nicht gezählt. Wir können also von einer noch viel größeren Dunkelziffer ausgehen. Dies demonstriert den traurigen Zustand des deutschen Hochschulwesens. Nun hat das Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein deutlich gemacht: Hochschulen dürfen sich nicht als Wahrheitsverkünder oder Gesinnungs-TÜV aufspielen.
»Herr Baab, verlassen Sie sofort das Lokal!«
De Lapuente: Haben wir es hier mit einer Refeudalisierung des Hochschulwesens zu tun?
Baab: Die Universitäten sind wieder angekommen im Jahre 1837, in der Zeit der Göttinger Sieben. Damals sind an der Uni Göttingen sieben Professoren entlassen worden, weil sie gegen die Aufhebung der 1833 eingeführten liberalen Verfassung im Königreich Hannover demonstrierten. Die Universitäten sind heute teilweise wieder hinter das Bildungsideal der Aufklärung zurückgefallen. »Die critische Methode suspendirt das Urtheil in Hoffnung, dazu zu gelangen«, hat Immanuel Kant geschrieben. Heute sind die Universitäten wieder beim Urteil angekommen – bei der Affirmation bestehender Machtverhältnisse. Das ist ein beeindruckender Regress in die Geisteshaltung der Gegen-Aufklärung.
De Lapuente: In den Mainstreammedien hat man von Ihrer Reise in die Ostukraine gelesen. Dass Sie den Prozess gewonnen haben, dass er nun sogar rechtskräftig ist: Fehlanzeige. Was wird von der Person Patrik Baab in der Öffentlichkeit hängenbleiben?
Baab: Die deutsche Öffentlichkeit ist gespalten. Folgende Begebenheiten zeigen das: An Karfreitag 2023 wollte ich mit einem Freund und seiner Tochter die Gaststätte »Palenke« in Kiel besuchen. Ich wurde von einer Bedienung, ein junger Mann, der auch an der Uni Kiel studiert, hinauskomplimentiert mit den Worten: »Herr Baab, Sie sind ein Verschwörungstheoretiker. Sie bekommen hier kein Bier. Verlassen Sie sofort das Lokal!« Auf der Straße fiel uns dazu ein: So muss es auch 1933 gewesen sein. Dieser junge Mann ist auch beim Campus-Radio der CAU tätig und verbreitet dort identitäres Denken und Kontaktschuld-Vorstellungen. Damit trägt er bei zu einer neuen antidemokratischen Diktatur der »Wohlgesinnten«, wie sie Jonathan Littell in seinem gleichnamigen Roman charakterisiert hat. Dies ist tatsächlich der Zustand der bürgerlichen Öffentlichkeit heute: Sie ist nicht mehr demokratisch, nicht mehr inklusiv, sondern degeneriert zu einer Zensur- und Denunziations-Öffentlichkeit. Der größte Teil der Presse hat sich durch das Nachplappern staatlicher Kriegspropaganda nicht nur vollständig kompromittiert, sondern auch seine Halbbildung unter Beweis gestellt. Das wird diesen Organen noch auf die Füße fallen: Viele Nutzer wenden sich jetzt schon mit Grausen ab.
»Wer Geld braucht, spielt nicht den Helden«
De Lapuente: Vielleicht nur eine blöde Kneipenerfahrung?
Baab: Nein, der Vorfall demonstriert doch auch: Das antidemokratische Denken entsteht nicht in Kreisen geistig Minderbemittelter. Es wird kultiviert in akademischen Kreisen. So lief das auch schon in der Weimarer Republik. Antidemokratisches, autoritäres und rassistisches Denken wurde propagiert in den Kreisen um Carl Schmitt, Martin Heidegger, Oswald Spengler, Hans Zehrer, Gabriele D’Annunzio, Ernst Jünger, Arnold Bronnen und anderen. Das haben die Studien von Kurt Sontheimer und Karl Dietrich Bracher eindrucksvoll gezeigt. Im Journalismus wurden antidemokratische und rassistische Gedanken nicht nur vom Völkischen Beobachter oder vom Stürmer unters Volk gebracht, sondern auch von den Redakteuren der Hugenberg-Presse. Der Zerschlagung der Demokratie geht die Zerschlagung der demokratischen Öffentlichkeit voraus. Dabei sind die Intellektuellen – oder das, was davon übriggeblieben ist, die Akademiker – die treibenden Kräfte. Meist merken diese Leute selbst nicht, wie tief sie in das Propagandasystem verstrickt sind: »Es ist schwer, einen Menschen von etwas zu überzeugen, wenn sein Gehalt davon abhängt, dass er es nicht versteht«, hat Upton Sinclair 1934 geschrieben.
De Lapuente: Wie ist diese Entwicklung erklärbar zu machen, Herr Baab?
Baab: Durch die Liberalisierung der Universitäten, den Abbau des Mittelbaus, die befristeten Verträge, die Kürzung der Gelder und den Zwang, Drittmittel von staatlichen Stellen oder Firmen einzuwerben. Das alles sorgt mit der Monetarisierung der Wissenschaft zugleich für verdeckte Zensur: Wer Geld braucht, spielt nicht den Helden. Man beugt sich der Macht. Charakteristisch für diese Akademiker ist die blinde Unterwerfung unter staatliche Autoritäten, eine Selbstgleichschaltung, in der, so Karl Dietrich Bracher, Byzantinismus, Manipulation und Zwang untrennbar ineinandergreifen.
De Lapuente: Was bleibt nach dieser tristen Erfahrung mit Ihrer Hochschule sonst noch bei Ihnen hängen?
Baab: Auf der Haben-Seite verbuche ich: Meine Recherchen mir bei den Verteidigern der Republik viel Respekt eingebracht. Bei einer Protestveranstaltung in Kiel, organisiert vom Arbeitskreis Grundrechteschutz der CAU-Studenten, waren mehr als 100 Leute im Saal, es gab stehende Ovationen. In der gesamten englischsprachigen Welt, von Australien über Kanada bis zur Reporter-Legende John Pilger in den USA ist mein Name inzwischen bekannt. Meine Reportage über den Krieg und den Vor-Krieg in der Ukraine »Auf beiden Seiten der Front« erscheint im Frühherbst. Für die Monate September und Oktober ist der Terminkalender jetzt schon voll mit Lesungen und Diskussionsrunden. Ich habe Anfragen für Übersetzungen ins Englische und Schwedische. Das bedeutet: Gegen die Kriegstreiber und die Zerstörer der Vernunft formiert sich Gegenöffentlichkeit. Aus der Ukraine, aus Russland, aus den USA, aus Kanada und Australien, aus der Schweiz und Österreich melden sich kritische Geister, die nicht zuschauen wollen, wie eine unfähige und verlogene Politiker-Generation diese Welt ins Inferno führt. Sie stellen die Frage, die Gilles Deleuze und Félix Guattari im Anti-Ödipus gestellt haben: »Warum kämpfen die Menschen für ihre Knechtschaft, als ginge es um ihr Heil?«
»Medien beschreiben nicht die Wirklichkeit; sondern das Verhältnis der Journalisten zur Wirklichkeit«
De Lapuente: Das klingt hoffnungsvoll. Sie sprechen jetzt allerdings vom Journalisten Patrik Baab – aber was ist mit dem Menschen Patrik Baab?
Baab: Was von mir bleibt: ein Häuflein Staub. Viele alte Kollegen sagen: Der ist irgendwann falsch abgebogen. Sie merken nicht, dass der vorauseilende Gehorsam längst Teil ihrer Persönlichkeit geworden ist, wie ein Gehirn-Implantat. Dabei sind sie es, die längst im postfaktischen Zeitalter angekommen sind: Sie gaffen in den Computer und merken nicht: Medien sind ein Filter, der aussieht wie ein Fenster. Sie leben in der Scheinwelt der Propaganda. Medien beschreiben nicht die Wirklichkeit; sondern das Verhältnis der Journalisten zur Wirklichkeit. Das ist Kant: »Die Gegenstände müssen sich nach unserer Erkenntnis richten« – also nichts Neues. Dies bedeutet aber nicht, auf die Realitätsprobe vor Ort zu verzichten. Kant sagt auch: Die Wahrnehmung muss durch die Betrachtung der Welt „affiziert“ werden.
De Lapuente: Wie möchten Sie nach dieser Episode in Erinnerung bleiben?
Baab: Ich wünschte mir, man zählte mich posthum zu den Widerständigen, zu jenen, die vor den Machteliten Nein gesagt haben. Denn Angepasste gibt es genug. Aber wir können das nicht wissen. Jean-Paul Sartre hat einmal gesagt: Der Autor schreibt eine Partitur. Aber der Leser führt sie auf. Ich habe jedenfalls bei Recherchen in drei Kriegen mein Leben eingesetzt. Das unterscheidet mich von den Sitzredakteuren. Am Ende aber werde ich vergehen – wie ein Gesicht im Sand am Meeresstrand.
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Info: https://overton-magazin.de/dialog/herr-baab-sie-bekommen-hier-kein-bier