aus e-mail, von Doris Pumphrey, 12. September 2025, 16:27 Uhr
Berliner Zeitung 12.9.2025
<https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/geopolitik/arabischer-gipfel-in-katar-golfstaaten-ruecken-nach-israels-angriff-zusammen-li.2356454>
*Nach Angriff auf Katar:
Golfstaaten formieren Allianz gegen Israel
*Der Militärschlag gegen Hamas-Unterhändler in Katar gilt als Tabubruch
und könnte die Machtbalance im Nahen Osten verschieben. Die Golfstaaten
formieren sich.
Raphael Schmeller
Der israelische Luftangriff am Dienstag auf Hamas-Unterhändler in Doha
erschüttert die geopolitischen Verhältnisse im Nahen Osten. Noch nie
zuvor hatten die israelischen Streitkräfte einen solchen Militärschlag
gegen einen arabischen Golfstaat unternommen.
Die arabischen Staaten haben jetzt deshalb für Sonntag ein Gipfeltreffen
in Doha einberufen. Dort soll über die Konsequenzen des Angriffs beraten
werden, der die Golfmonarchien in Aufruhr versetzt und ihre bisherige
sicherheitspolitische Gewissheit infrage stellt.
*Angriff auf Katar: „Eine Zäsur“
*Als Katars Emir Mohammed bin Abdulrahman al-Thani am Dienstagabend vor
die Presse trat, sprach er von einer „Zäsur“. Er warf Israels
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu „politische Zügellosigkeit“ vor und
nannte ihn einen „Schurken“, der die Region auf ein Niveau bringe, das
„nicht mehr reparabel“ sei. Netanjahu habe einst erklärt, den Nahen
Osten neu gestalten zu wollen, sagte al-Thani – und fragte empört: „Wird
er auch den Golf neu gestalten?“
Der Präsident der Vereinigten Arabischen Emirate, Scheich Mohammed bin
Zayed al-Nahyan, reiste prompt nach Doha, um seine Solidarität zu
zeigen. Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman ging noch weiter
und verkündete eine „grenzenlose Solidarität mit Katar“. Das
Außenministerium in Riad sprach von einer „verbrecherischen Aktion“ Israels.
Seit der islamischen Revolution im Iran 1979 galten die ölreichen
Monarchien als engste Partner der USA in der Region – und fühlten sich
entsprechend sicher. Auch Israel teilte mit ihnen ein zentrales
Interesse: die Eindämmung eines potenziell atomar bewaffneten Iran.
Doch die Veränderungen seit dem 7. Oktober 2023 haben alte Gewissheiten
erschüttert. Noch vor wenigen Jahren hatten Saudi-Arabien und die
Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) eine Blockade gegen Katar verhängt
– offiziell wegen Dohas Unterstützung islamistischer Bewegungen. Nun
aber deutet vieles auf eine neue arabische Geschlossenheit hin. „Wir
stehen mit ganzem Herzen hinter dem Bruderstaat Katar“, erklärte Anwar
Gargash, wichtigster außenpolitischer Berater der VAE-Regierung, auf der
Plattform X. „Die Sicherheit der arabischen Golfstaaten ist unteilbar.“
*Nach israelischen Angriffen: Amerika unter Druck
*„Galt lange der Iran in arabischen Hauptstädten als unberechenbarer
Rogue State, nimmt zunehmend Tel Aviv diese Rolle ein“, schreibt Marcus
Schneider, Leiter des Regionalprojekts Frieden und Sicherheit der
SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung im Nahen Osten, in einem aktuellen
Beitrag in der Zeitschrift Journal für Internationale Politik und
Gesellschaft (IPG). Eine Normalisierung der Beziehungen Israels mit
Saudi-Arabien rücke „in immer weitere Ferne“.
Bemerkenswert an dem israelischen Luftangriff von Dienstag sei, dass mit
Katar erstmals ein enger, von Washington als „Major non-Nato ally“
eingestufter Partner getroffen werde. Doha beherbergt die größte
US-Basis der Region mit über 10.000 Soldaten. „Damit ist Katar ein
ungewöhnlicher Neuzugang auf der inoffiziellen Liste
‚bombardierungsfähiger‘ Staaten“, so Schneider. Die Botschaft Israels an
Riad, Ankara und Kairo sei eindeutig: Auch sie seien im Zweifel nicht
unantastbar.
Anders als die Propaganda der israelischen Regierung suggeriere, sei
Katar keineswegs ein Verbündeter der Hamas, schreibt Schneider. Vielmehr
beherberge Doha deren Exilführung auf ausdrücklichen Wunsch der USA –
gerade um Gesprächskanäle offenzuhalten, „die nun im Raketenhagel
zertrümmert werden“.
Damit stellt sich die Frage nach dem eigentlichen Ziel Israels im
Gaza-Krieg. „Wozu noch verhandeln, wenn es längst darum geht, jede
Nachkriegsordnung zu verhindern?“, fragt Schneider. Militärisch ergebe
die erneute Ausweitung der Kämpfe kaum Sinn: Die Hamas existiere nicht
mehr als kohärente Streitmacht, sie agiere in der „postapokalyptischen
Trümmerlandschaft von Gaza“ nur noch als zersplitterte Guerilla. Dass
die israelische Regierung den Krieg nicht politisch beenden wolle, liege
daran, dass ihre Ziele weit über die Zerschlagung der Hamas
hinausgingen. „In Gaza soll es keinen Day After geben.“
Das Weiße Haus erklärte zu dem israelischen Luftangriff auf Doha, man
sei erst informiert worden, als die Bomber schon in der Luft gewesen
seien. Doch am Golf glaubt kaum jemand an diese Version. „Der Angriff
bedeutet für Amerika einen massiven Vertrauensverlust“, urteilt
Schneider. Schon 2019 habe Washington die saudischen Öl-Anlagen vor
iranischen Attacken nicht schützen können – nun zeige sich erneut die
Ohnmacht, diesmal jedoch gegenüber dem eigenen Partner Israel.
Tatsächlich geraten auch in den USA alte Gewissheiten ins Wanken. Steve
Bannon, einst Chefstratege Donald Trumps, attackiert Netanjahu offen und
wirft ihm vor, Israel in ein „jüdisches Pakistan“ zu verwandeln. Der
parteiübergreifende Konsens für bedingungslose Israel-Unterstützung
beginnt zu bröckeln.
*Netanjahu: „Es wird keinen palästinensischen Staat geben“
*Derweil gießt Benjamin Netanjahu weiter Öl ins Feuer. Am Freitag
unterzeichnete er eine Vereinbarung zur Umsetzung völkerrechtswidriger
Baupläne für Siedlungen im Westjordanland. Es geht um rund 3.400
Wohneinheiten im sogenannten E1-Gebiet zwischen Ost-Jerusalem und der
Siedlung Maale Adumim. Wegen seiner geografischen Lage spielt das Gebiet
eine Schlüsselrolle: Eine Bebauung würde die territoriale Kontinuität
eines künftigen Palästinenserstaats faktisch zerstören.
„Es wird keinen palästinensischen Staat geben. Dieser Ort gehört uns“,
erklärte Netanjahu bei der Zeremonie in Maale Adumim. „Wir werden unser
Erbe, unser Land und unsere Sicherheit schützen. Wir werden die
Einwohnerzahl der Stadt verdoppeln.“
Für Schneider ist das ein Signal der Eskalation: „Statt Frieden setzt
Tel Aviv auf totale Vorherrschaft und militärische Handlungsfreiheit
zwischen Mittelmeer und Persischem Golf.“ Die arabischen Herrscher, die
lange zu bloßen Statisten degradiert waren, stünden nun selbst im
Fadenkreuz. „Wollen sie Frieden und eine selbst gestaltete
Regionalordnung, müssen sie mehr tun, als bloße Empörungsdepeschen zu
verschicken. Die nahe Zukunft wird zeigen, ob sie aktiv werden – oder in
anhaltender Demütigung verharren.“
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.