„Keine Rettung durch Krieg“ Bundestag fordert weitere Aufrüstung der Ukraine zwecks Fortsetzung des Krieges. In der Ukraine selbst nehmen Desertionen und Angriffe auf Rekrutierungszentren zu. Ex-Selenskyj-Sprecherin fordert baldigen Waffenstillstand.
german-foreign-policy.com, 5. Februar 2025
KIEW/WASHINGTON/BERLIN (Eigener Bericht) – Trotz der militärisch deaströsen Lage der Ukraine stellt die Bundesrepublik eine weitere Aufrüstung der ukrainischen Streitkräfte in Aussicht – zwecks Fortsetzung des Krieges. Nach einem Beschluss des Bundestags soll die Bundesregierung bis zu drei Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung stellen, um damit Waffen für Kiew zu beschaffen. Die anhaltende Aufrüstung der Ukraine wird von einer klaren Mehrheit der deutschen Bevölkerung befürwortet. In der ukrainischen Bevölkerung spricht sich inzwischen eine Mehrheit für rasche Verhandlungen über einen Waffenstillstand aus. Wie eine ehemalige Sprecherin von Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärt, müsse man mit Blick auf die Zerstörungen im Land und die Massenflucht ins Ausland die Behauptung „in Frage stellen, dass nur eine Fortsetzung des Krieges die Ukraine retten“ könne. Im Land selbst steigt die Zahl der Angriffe auf Rekrutierungszentren ebenso wie die Zahl der Desertionen. Kürzlich ist eine zweite frisch aufgestellte Brigade mit mehreren Tausend Soldaten bereits bei ihrem ersten Fronteinsatz komplett zerfallen: Viele junge Rekruten sind nicht bereit, sich in einem verlorenen Krieg verfeuern zu lassen.
Zitat: Zerfallende Brigaden
In der Ukraine rücken die russischen Streitkräfte immer weiter auf die strategisch wichtige Stadt Pokrowsk vor und suchen sie aktuell offenbar in einer Zangenbewegung einzukesseln. Berichten zufolge sind die ukrainischen Truppen, die die Stadt zu verteidigen versuchen, zu schwach, um noch lange durchzuhalten. Nachschub ist kaum noch möglich, da die russischen Streitkräfte mittlerweile dazu in der Lage sind, die Nachschubrouten unmittelbar anzugreifen, nicht zuletzt mit Drohnen.[1] Die Schwäche der ukrainischen Truppen ist unter anderem dadurch verursacht, dass neu nachrückende Brigaden offenbar gänzlich aus frisch rekrutierten Soldaten zusammengesetzt sind, die zum Teil nicht einmal hinlänglich ausgebildet wurden und entweder schnell hohe Verluste erleiden oder sogar noch vor ihrem ersten Feindkontakt desertieren. Bereits im Dezember 2024 war dies von der 155. Mechanisierten Brigade gemeldet worden, die unter anderem mit deutschen Kampfpanzern des Modells Leopard 2A4 und mit französischen Caesar-Haubitzen ausgerüstet war.[2] Im Januar zerfiel auch die 157. Mechanisierte Brigade, da eine offenbar erhebliche Zahl an Soldaten desertierte und viele unerfahrene Militärs bei den ersten Kämpfen ums Leben kamen.[3]
Widerstand gegen Zwangsrekrutierung
Während frisch ausgebildete, unerfahrene Rekruten an der Front faktisch verfeuert werden, wenn sie nicht rechtzeitig desertieren, bereitet Kiew die Einberufung von 18- bis 25-Jährigen vor. Dies hatte die Biden-Administration gefordert. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hingegen hatte sich dem zunächst verweigert: Die ohnehin recht zahlenschwache Generation gilt als unverzichtbar für den Wiederaufbau der Ukraine nach dem Krieg; wird sie durch Kriegsverluste weiter ausgedünnt, drohen laut Einschätzung von Fachleuten irreparable demographische Schäden.[4] Nun strebt Kiew eine Art Kompromisslösung an, die auf die Anwerbung 18- bis 25-jähriger Freiwilliger zielt; ihnen sollen finanzielle Anreize und klare Garantien für eine umfassende militärische Ausbildung vor ihrem ersten Fronteinsatz geboten werden.[5] Dies geschieht in einer Zeit, in der die Bemühungen, sich einer Rekrutierung zu entziehen, immer drastischere Formen annehmen. So erschoss am Samstag ein Mann in Poltawa einen Rekrutierungsoffizier, um einen Freund zu befreien, der gerade gemeinsam mit einer Gruppe weiterer Männer zum Kriegsdienst eingezogen wurde.[6] Zudem häufen sich die Proteste gegen Zwangsrekrutierung sowie die Angriffe auf Rekrutierungszentren der Streitkräfte.
„Die Ukraine verdient eine Zukunft“
Mit Blick auf die desaströse militärische Lage und die desolate Stimmung in der ukrainischen Bevölkerung nehmen die Appelle zu, endlich einen Waffenstillstand zu schließen. Bereits im Herbst hatte eine Umfrage ergeben, dass nur noch 38 Prozent der ukrainischen Bevölkerung sich dafür aussprachen, den Krieg bis zu einem Sieg über Russland fortzusetzen. 52 Prozent plädierten hingegen für Verhandlungen – mit dem Ziel, möglichst bald einen Waffenstillstand zu erreichen.[7] In der vergangenen Woche berichtete eine einstige Sprecherin von Präsident Selenskyj, Iuliia Mendel, im US-Magazin Time, die Zahl der Menschen, die aus der Ukraine flöhen, steige wieder; im vergangenen Jahr habe sie bei mehr als 440.000 gelegen, etwa 3,3 mal so viel wie 2023. Insgesamt hätten inzwischen rund 7,5 Millionen Ukrainer ihr Land verlassen. Die Ukraine blute personell aus; zudem verarme sie immer mehr, und nicht zuletzt leide die Demokratie unter den Kriegsbedingungen.[8] In der Tat äußern nur noch 52 Prozent der Bevölkerung, sie hätten „Vertrauen“ in Präsident Selenskyj.[9] Sie wolle die Ansicht „in Frage stellen, dass nur eine Fortsetzung des Krieges die Ukraine retten“ könne, sagte Mendel mit Blick auf die Lage: „Die Ukraine verdient eine Zukunft jenseits endlosen Krieges.“
Zwei Drittel für Waffenlieferungen
Deutschland hingegen setzt auch weiterhin auf die Aufrüstung der Ukraine, um Kiew die Fortsetzung des Krieges zu ermöglichen. Erst am Freitag verabschiedete der Bundestag einen Antrag, dem zufolge die Bundesregierung dem Haushaltsausschuss „umgehend“ eine Vorlage für eine überplanmäßige Ausgabe in Höhe von bis zu drei Milliarden Euro präsentieren soll. Das Geld soll als „Militärhilfe“ für die weitere Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte genutzt werden.[10] Der Beschluss ist nicht bindend. Dennoch sagte der haushaltspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Otto Fricke, Bundeskanzler Olaf Scholz müsse ihn verwirklichen und dazu „über seinen Schatten springen“ – „im Interesse der Menschen in der Ukraine“.[11] Welchen Teil der ukrainischen Bevölkerung er damit meinte, erklärte Fricke nicht. Allerdings entspricht die Forderung, die Ukraine weiterhin für den Krieg hochzurüsten, aktuell offenbar dem Wunsch der Mehrheit der deutschen Bevölkerung. Laut einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen sprechen sich 40 Prozent dafür aus, die Ukraine weiter zu unterstützen wie bisher; 27 Prozent fordern gar noch stärkere militärische Unterstützung.[12] Lediglich 27 Prozent sprechen sich demnach für eine Reduzierung der Waffenlieferungen aus.
Rohstoffpartnerschaften
Für Unmut sorgt in Berlin und der EU lediglich, dass US-Präsident Donald Trump unmittelbaren Zugriff auf die ukrainischen Rohstoffvorräte verlangt. Die Ukraine verfügt über umfangreiche Vorkommen unter anderem an Kohle, Eisenerz, Erdgas, Lithium, Mangan, Titan und Graphit; ihre Lithiumlagerstätten können zwar nicht annähernd mit denjenigen im sogenannten Lithiumdreieck (Argentinien, Bolivien, Chile) mithalten, zählen aber – nach denjenigen in Serbien – zu den größten in Europa. Ihr Rohstoffreichtum ist der Grund, der die EU 2021 dazu motivierte, eine „strategische Rohstoffpartnerschaft“ mit ihr einzugehen.[13] Präsident Selenskyj hat in seinem „Siegesplan“, den er im Herbst in Washington vorlegte, eine „gemeinsame Nutzung“ der Ressourcen in Aussicht gestellt. Trump äußert nun, er mache künftige „Militärhilfe“ für die Ukraine davon abhängig, dass Kiew den USA im Gegenzug Rohstoffe zukommen lasse. Die Vereinigten Staaten hätten dreistellige Milliardensummen für die Aufrüstung der Ukraine zur Verfügung gestellt, erklärte der US-Präsident am Montag: Dafür wolle er „Sicherheit haben“ – in Form der ukranischen Bodenschätze.[14]
[1] Samya Kullab, Vasilisa Stepanenko, Evgeniy Maloletka: Ukrainian troops losing ground to Russia as Trump talks of ending war. apnews.com 03.02.2025.
[2] S. dazu Auf Europas Schultern.
[3] David Axe: Another Ukrainian Brigade Is Disintegrating As It Deploys To Pokrovsk. forbes.com 27.01.2025.
[4] S. dazu „Ein irreversibler demographischer Schock“ und „Europa ist im Krieg“.
[5] Hanna Arhirova: Ukraine is reforming its recruitment efforts to attract younger soldiers and boost forces. apnews.com 24.01.2025.
[6] Stefan Locke: Wenn Ukrainer ukrainische Soldaten töten. Frankfurter Allgemeine Zeitung 04.02.2025.
[7] Benedict Vigers: Half of Ukrainians Want Quick, Negotiated End to War. news.gallup.com 19.11.2024. S. auch Bis zum allerletzten Ukrainer.
[8] Iuliia Mendel: Zelensky’s Former Spokesperson: Ukraine Needs a Cease-Fire Now. time.com 29.01.2025.
[9] Andrew E. Kramer, Kenneth P. Vogel: With Support Dwindling and Trump in Power, Zelensky Could Face Tough Re-election. nytimes.com 23.01.2025.
[10], [11] Bundestag nimmt Antrag zu Ukraine-Hilfen an. Frankfurter Allgemeine Zeitung 01.02.2025.
[12] Umfrage für ZDF-“frontal”: Mehrheit für Waffenlieferungen an die Ukraine. presseportal.zdf.de 04.02.2025.
[13] Stefan Locke: Militärhilfe gegen Rohstoffe. Frankfurter Allgemeine Zeitung 05.02.2025.
[14] Zeke Miller: Trump says he wants Ukraine’s rare earth elements as a condition of further support. apnews.com 03.02.2025.
Info: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9853
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
unser weiterer Kommentar: Beispiel für eine öffentliche Infokampagne:
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz informiert:
Elektromobilität durch Krieg für Lithium" heißt Menschenleben für unsere Energiewende!