Auf dem Weg zur Eigenständigkeit (II) Der Einsatz der Bundeswehr in Mali ist zu Ende. Den europäischen Truppen ist es nicht gelungen, die Jihadisten im Sahel zu besiegen. Mali, Burkina Faso und Niger versuchen dies nun mit Unterstützung Russlands.
german-foreign-policy.com, 13. Dezember 2023
BAMAKO/BERLIN (Eigener Bericht) – Der Einsatz der Bundeswehr in Mali ist zu Ende. Am gestrigen Dienstag zogen die letzten 142 deutschen Soldaten aus ihrem nun ehemaligen Stützpunkt im nordmalischen Gao ab und machten sich auf den Rückweg nach Deutschland, wo sie am Freitag erwartet werden. Die Bundeswehr war zehn Jahre lang in dem Land stationiert, die meiste Zeit an der Seite französischer Kampftruppen sowie im Rahmen eines EU- (EUTM Mali) und eines UN-Einsatzes (MINUSMA). Sollten damit jihadistische Milizen im Sahel besiegt werden, so konnten diese letztlich ihr Operationsgebiet ausweiten und nach Nordmali auch das Zentrum des Landes zum Bürgerkriegsschauplatz machen. Während in der Bevölkerung Proteste gegen die europäischen Truppen erstarkten, wandten sich ab 2020 auch Malis Putschregierungen gegen deren Präsenz, darunter die Bundeswehr, und zwangen sie schließlich zum Abzug. Seitdem setzt Mali seinen Kampf um Eigenständigkeit und um eine Neuorganisation des Landes jenseits des Einflusses der früheren Kolonialmächte, darunter Deutschland, fort und arbeitet dabei in wachsendem Umfang mit seinen Nachbarstaaten Burkina Faso und Niger zusammen, zusätzlich gestützt auf Russland.
Zitat: Das Einsatzdispositiv
Der UN-Blauhelmeinsatz MINUSMA (Mission Multidimensionelle Intégrée des Nations Unies pour la Stabilisation au Mali), in dessen Rahmen die deutschen Truppen in Gao stationiert waren, war bereits am Montag mit einer Abschlusszeremonie in Malis Hauptstadt Bamako offiziell zu Ende gegangen. Initiiert worden war er am 25. April 2013 als Teil eines größeren Einsatzdispositivs, das auch die von französischen Truppen durchgeführten Operationen Serval (11. Januar 2013 bis 1. August 2014) und Barkhane (1. August 2014 bis 9. November 2022) sowie den am 17. Januar 2013 beschlossenen EU-Ausbildungseinsatz EUTM Mali umfasste. Führten Serval bzw. Barkhane Kampfhandlungen gegen jihadistische Milizen durch, während EUTM Mali malische Soldaten trainierte, so hatte MINUSMA vorwiegend Stabilisierungsfunktionen im Norden des Landes inne. Hinzu kam der Versuch, die nationalen Streitkräfte der gesamten Sahelregion in den Krieg gegen die Jihadisten zu integrieren; dazu wurde am 16. Februar 2014 das unter massivem Einfluss der europäischen Staaten stehende Bündnis G5 Sahel gegründet, dem neben Mali Mauretanien, Burkina Faso, Niger und Tschad angehörten. Zwei weitere EU-Einsätze zur Stärkung der Polizei und der Gendarmerie in Mali und in Niger (EUCAP Sahel Mali, EUCAP Sahel Niger) kamen hinzu.
Eigenmächtigkeiten
Die Einsätze riefen spätestens seit 2016 in wachsendem Ausmaß Protest in der malischen Bevölkerung hervor. Die Hauptursache war, dass die auswärtigen Truppen nicht nur unfähig waren, die Jihadisten zu besiegen; deren Aufstände gewannen sogar an Fahrt und blieben schon bald nicht mehr auf Malis Norden beschränkt, sondern erfassten auch das Zentrum des Landes und griffen dann sogar auch noch auf die Nachbarstaaten Burkina Faso und Niger über. Schon nach wenigen Jahren europäischer Militärintervention hatten die Aufstände fast den gesamten zentralen Sahel erfasst.[1] Hinzu kam, dass die europäischen Streitkräfte in vielen Fällen vollkommen eigenmächtig operierten. „Frankreich führte seinen eigenen Krieg parallel zu dem was die malischen Streitkräfte taten“, urteilte im Rückblick der frühere CIA-Mitarbeiter Michael Shurkin.[2] Ein eigenmächtiges Vorgehen warfen malische Stellen auch anderen Streitkräften vor, darunter der Bundeswehr (german-foreign-policy.com berichtete [3]). Tolerierte der eng mit dem Westen kooperierende Präsident Ibrahim Boubacar Keïta die Eigenmächtigkeiten umstandslos, so nahmen die Putschisten, die 2020 bzw. 2021 an die Macht kamen, sie nicht mehr hin und gingen schließlich systematisch gegen sie vor (german-foreign-policy.com berichtete [4]).
Europas Abzug
Die Bevölkerung begleitete dies mit zunehmendem Protest vor allem gegen die ehemalige Kolonialmacht Frankreich. Hatten im Februar 2013 einer Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung zufolge noch 97 Prozent aller Malier die französische Militärintervention gelobt, so waren es 2014 nur noch 56 Prozent; Ende 2019 äußerten rund 80 Prozent, sie hätten „kein Vertrauen“ in die Operationen der französischen Streitkräfte.[5] Bamako verstärkte den Druck auf Paris, bis Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am 10. Juni 2021 ankündigte, die Opération Barkhane komplett aus Mali abzuziehen.[6] Ende 2021 begann Bamako, als alternative Kooperationspartner für den Krieg gegen die Jihadisten Militärausbilder und Söldner aus Russland ins Land zu holen. Eine erneut von der Friedrich-Ebert-Stiftung durchgeführte Umfrage ergab im Mai 2023, dass 22 Prozent der Malier „Vertrauen“ in die russischen Militärs hatten, 69 weitere Prozent „großes Vertrauen“.[7] Am 15. Mai 2022 gab die malische Übergangsregierung bekannt, sie steige nun aus den G5 Sahel aus.[8] Ein Jahr später setzte sie den Abzug der MINUSMA durch.[9] Damit erzwang Bamako nicht zuletzt den Abzug der deutschen Truppen. Insgesamt waren im Verlauf des mehr als zehn Jahre währenden Einsatzes 27.500 deutsche Militärs in Mali im Einsatz gewesen.[10]
Strategischer Erfolg
Mali setzt den Kampf um seine Eigenständigkeit und um eine Neuorganisation des Landes fort. Im Kampf gegen die Jihadisten stützt es sich neben den russischen Militärausbildern und Söldnern auf Waffen aus Russland, China und der Türkei; Letztere liefert insbesondere die heute weit verbreiteten Bayraktar TB2-Drohnen. Im Sommer 2023 wurde eine neue Verfassung erst per Referendum angenommen, sodann per Beschluss des Verfassungsgerichts bestätigt. Sie stuft die französische Sprache von der offiziellen Landes- zur Arbeitssprache herab und sieht für Mali ein Präsidialsystem vor. Von Übergangspräsident Assimi Goïta sagen laut der erwähnten Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung 14 Prozent der Bevölkerung, sie seien mit ihm „zufrieden“; weitere 84 Prozent teilen mit, sie seien sogar „sehr zufrieden“.[11] Während der Krieg gegen die Jihadisten weiterhin tobt und allein vom 1. Januar bis zum 21. September dieses Jahres laut Schätzungen mehr als 6.000 Todesopfer forderte [12], ist es Goïta andererseits Mitte November gelungen, mit der Rückeroberung der Stadt Kidal weit im Norden des Landes einen strategisch wichtigen Erfolg zu erzielen. Kidal war seit 2012 von Touareg-Milizen kontrolliert worden – dies mit Billigung der europäischen Staaten.[13]
Ein Dreierbündnis
Jenseits seiner Grenzen arbeitet Mali, seit der Abzug der europäischen Staaten eingeleitet wurde, immer enger mit seinen Nachbarstaaten Burkina Faso und Niger zusammen. Letztere haben den Abzug der französischen Streitkräfte genauso durchgesetzt wie Mali; Niger ist dabei, auch den Abzug anderer europäischer Truppen zu erzwingen. Alle drei leiden unverändert unter den brutalen Angriffen jihadistischer Milizen, die sich ausbreiten konnten, während europäische Truppen im Sahel operierten. Beim Versuch, sich jetzt eigenständig gegen die Jihadisten zur Wehr zu setzen, stützen sie sich, statt auf die einstigen europäischen Kolonialmächte – darunter auch Deutschland –, in gewissem Maße auf Russland, und sie streben darüber hinaus besonders eine regionale Kooperation an. german-foreign-policy.com berichtet in Kürze.
[1] S. dazu Wie in Afghanistan (II).
[2] Le Niger, „laboratoire“ de la France pour sa nouvelle approche militaire en Afrique. lemonde.fr 23.05.2023.
[3] S. dazu Kampf um Mali (I).
[4] S. dazu Kampf um Mali (II).
[5] Mali: Poll highlights confidence in Assimi Goïta and Russia. theafricareport.com 08.05.2023.
[6] Emmanuel Macron annonce la fin de l’opération Barkhane au Sahel. france24.com 10.06.2021.
[7] Mali-Mètre. Enquête d’opinion: “Que pensent les Malien(ne)s?” Bamako, Mai 2023.
[8] Le Mali annonce son retrait de l‘organisation régionale G5 Sahel. lemonde.fr 16.05.2022.
[9] S. dazu Auf dem Weg zur Eigenständigkeit.
[10] Timo Kather: Bundeswehr übergibt Feldlager Camp Castor. bundeswehr.de 12.12.2023.
[11] Mali-Mètre. Enquête d’opinion: “Que pensent les Malien(ne)s?” Bamako, Mai 2023.
[12] Fact Sheet: Attacks on Civilians Spike in Mali as Security Deteriorates Across the Sahel. acleddata.com 21.09.2023.
[13] Manon Laplace: Assimi Goïta, l’homme qui a reconquis Kidal. jeuneafrique.com 21.11.2023.
Info: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9435
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.