Panzerverkäufe und Bedrohungsanalysen Berlin treibt die Anbindung der slowenischen Streitkräfte voran und will gemeinsam mit Ljubljana den "Strategischen Kompass" der EU für mehr Militäreinsätze fertigstellen.
german-foreign-policy.com, 30. Juni 2021
BERLIN/LJUBLJANA(Eigener Bericht) - Die Bundeswehr wird ihre Zusammenarbeit mit den Streitkräften Sloweniens intensivieren und damit die Anbindung ost- und südosteuropäischer Truppenverbände stärken. Dies ist ein Ergebnis des Besuchs von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer am Montag in Ljubljana. Bislang operieren Einheiten beider Länder vor allem in Einsatzgebieten wie Mali oder Irak Seite an Seite. Darüber hinaus weitet Slowenien seine Einkäufe bei deutschen Waffenschmieden aus und wird für einen dreistelligen Millionenbetrag Radpanzer vom Typ Boxer erwerben. Diese werden von Rheinmetall und Krauss-Maffei Wegmann produziert und sind bisher unter anderem in beträchtlicher Stückzahl an Litauen verkauft worden, mit deren Streitkräften die Bundeswehr an ihrem litauischen Einsatzort Rukla kooperiert. Kramp-Karrenbauer und ihr slowenischer Amtskollege Matej Tonin besprachen zudem den von Berlin initiierten "Strategischen Kompass" der EU, für den die slowenische EU-Ratspräsidentschaft einen fertigen Entwurf vorlegen soll. Er soll mehr EU-Militäreinsätze ermöglichen; dabei basiert er auf einem geheimdienstlich erstellten, unter Verschluss gehaltenen Kern.
Zitat: Der "Strategische Kompass" der EU
Gegenstand der Gespräche, die Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer am Montag mit ihrem slowenischen Amtskollegen Matej Tonin führte, war zunächst der "Strategische Kompass" der EU. Dabei handelt es sich um ein Vorhaben, das von Berlin während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 angestoßen wurde. Ziel ist es, die erheblich divergierenden außen- und militärpolitischen Interessen der EU-Mitgliedstaaten, die bislang einer Ausweitung gemeinsamer Militäreinsätze im Wege standen, auf einen einheitlichen Nenner zu bringen; das soll die Schwelle zu EU-Interventionen in aller Welt senken. Zuletzt berieten die EU-Außen- und Verteidigungsminister am 6. Mai dieses Jahres über das Projekt. Geplant ist, bis Ende 2021 einen fertigen Entwurf für den Strategischen Kompass vorzulegen. Zuständig ist die EU-Ratspräsidentschaft, die im zweiten Halbjahr 2021 bei Slowenien liegt. Weil Slowenien und Portugal, das die Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2021 innehatte, sich mit Deutschland zu einer sogenannten Triopräsidentschaft zusammengetan haben, sprachen und sprechen sich beide intensiv mit Berlin ab. Aufgrund der Kräfteverhältnisse verlängert dies faktisch die deutsche Ratspräsidentschaft auf eineinhalb Jahre.
Geheimdienste als Stichwortgeber
Der Strategische Kompass basiert dabei auf einem Kern, der jeglicher parlamentarischen Kontrolle entzogen ist: auf einer gemeinsamen "Bedrohungsanalyse", die am 9. November 2020 präsentiert wurde und die als Grundlage für jegliche weitere Diskussion dient. Die Bedrohungsanalyse ist von den geheimdienstlichen Lagezentren INTCEN und EUMS INT erstellt worden, die Teil der Krisenmanagementstrukturen des Europäischen Auswärtigen Diensts und in der Single Intelligence Analysis Capacity (SIAC) verbunden sind. Das INTCEN versammelt neben einem eigenen Stab Vertreter der nichtmilitärischen Geheimdienste der Mitgliedstaaten; für die Bundesrepublik sind Bundesnachrichtendienst (BND) und Verfassungsschutz (VS) beteiligt. Das EUMS INT wiederum bündelt Vertreter der militärischen Nachrichtendienste. War schon die geheimdienstliche Erstellung der Bedrohungsanalyse parlamentarischer Mitwirkung entzogen, so wird auch das fertige Papier keiner parlamentarischen Kontrolle ausgesetzt: Es ist offiziell als "geheim" eingestuft und damit jeglicher Einsichtnahme von Abgeordneten sowohl aus dem Europaparlament als auch aus nationalen Parlamenten entzogen.[1] Damit entwickelt die EU ihre Strategie für ihre Militärinterventionen auf Grundlage eines reinen Geheimdientspapiers.[2]
Künftige Kooperationen
Jenseits ihrer Absprachen über den Strategischen Kompass der EU befassten sich Kramp-Karrenbauer und Tonin am Montag mit dem Ausbau der Kooperation zwischen den Streitkräften beider Länder. Wie das deutsche Verteidigungsministerium mitteilt, wird jetzt "ein gemeinsames Expertenteam etabliert", das "analysieren" soll, "wo Möglichkeiten für künftige Kooperationen bestehen und welche man weiter vertiefen kann".[3] Bereits 2017 hat die Bundeswehr begonnen, große Einheiten des tschechischen sowie des rumänischen Heeres in ihre Landstreitkräfte zu integrieren; damit werden Truppen der östlichen und der südöstlichen Nachbarstaaten für Berlins militärische Aktivitäten verfügbar gemacht.[4] Ähnliches wäre mit Einheiten der slowenischen Streitkräfte denkbar; diese umfassen zur Zeit rund 6.400 Soldaten, sollen aber auf gut 10.000 aufgestockt werden, wozu eine deutliche Erhöhung des slowenischen Militärhaushalts eingeplant wird. Schon heute operieren slowenische Soldaten an mehreren Einsatzorten an der Seite der Bundeswehr: nach Angaben aus Berlin im Irak, im Kosovo und in Mali. Insgesamt befinden sich gegenwärtig rund 300 slowenische Militärs im Auslandseinsatz - unter der Flagge der NATO (Kosovo, Irak) wie auch der EU (Mali).
Deutsche Radpanzer für die Welt
Der zunehmende Anschluss fremder Truppen an die deutschen Streitkräfte geht immer wieder mit dem Kauf deutscher Waffensysteme einher - auch im Fall Sloweniens. Wie Verteidigungsminister Tonin am Montag ankündigte, werden die slowenischen Streitkräfte im Zuge ihrer Modernisierung 45 Radpanzer vom Typ Boxer erhalten.[5] Produziert werden die Panzer von den deutschen Rüstungskonzernen Rheinmetall und Krauss-Maffei Wegmann. Der genaue Preis steht noch nicht fest; Tonin bezifferte ihn allerdings auf eine dreistellige Millionensumme.[6] Slowenien strebt eine Teilproduktion durch slowenische Waffenschmieden an. Kramp-Karrenbauer stellte am Montag eine "Vertiefung der deutsch-slowenischen Rüstungskooperation" in Aussicht; dabei ist allerdings noch unklar, inwieweit die - zu Lasten deutscher Profite gehende - Einbindung slowenischer Rüstungsfirmen gehen soll. Der Radpanzer Boxer wird bislang neben der Bundeswehr von den Streitkräften der Niederlande, Großbritanniens, Australiens und Litauens genutzt. Der Preis für die 88 Boxer, die Litauen bestellt und zum Teil bereits erhalten hat, wird mit 385,6 Millionen Euro angegeben.[7] Die litauischen Streitkräfte haben zudem zum Beispiel 168 Gefechtsstandfahrzeuge M577 (Rheinmetall) sowie 340 Militärunimogs (Daimler) bestellt.
Top-Rüstungskunden
Mit Waffenkäufen wie dem Erwerb der Radpanzer Boxer, den Slowenien jetzt plant, sind in den vergangenen Jahren mehrere vergleichsweise finanzschwache Länder Ost- und Südosteuropas auf Spitzenplätze der deutschen Rüstungsexportlisten gerückt. Als hilfreich für die deutschen Waffenschmieden hat sich dabei die NATO-Forderung erwiesen, die nationalen Rüstungsetats auf mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts anzuheben und mit den dadurch zusätzlich verfügbaren Mitteln die jeweiligen Waffenbestände zu modernisieren. Zählen zu den Top Ten-Kunden deutscher Rüstungsunternehmen gewöhnlich reiche NATO-Staaten (USA), wohlhabende Verbündete (Südkorea, Australien) oder Erdölstaaten wie Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, so schaffte es Litauen im Jahr 2017 (damaliges Bruttoinlandsprodukt: 42,1 Milliarden Euro) mit der Bestellung der Radpanzer und anderen Kriegsgeräts im Gesamtwert von fast einer halben Milliarde Euro auf Platz 3. Im Jahr 2019 stand Ungarn (Wirtschaftsleistung damals: 124 Milliarden Euro) mit Rüstungskäufen im Wert von fast 1,8 Milliarden Euro sogar auf Platz 1. Die jüngste "Boxer"-Bestellung könnte in Kürze Slowenien (Bruttoinlandsprodukt 2020: 46,3 Milliarden Euro) zu einem der Top-Kunden deutscher Waffenschmieden werden lassen.
[1] Matthias Monroy: Geheimdienste dürfen militärischen Kurs der EU mitbestimmen. netzpolitik.org 06.05.2021.
[2] S. auch Der strategische Kompass der EU (II).
[3] Kramp-Karrenbauer: Expertenteam soll Zusammenarbeit mit Slowenien vertiefen. bmvg.de 29.06.2021.
[4] S. dazu Unter deutschem Kommando.
[5] Gerhard Heiming: 45 Boxer für die slowenischen Streitkräfte? soldat-und-technik.de 29.06.2021.
[6] Kramp-Karrenbauer: Expertenteam soll Zusammenarbeit mit Slowenien vertiefen. bmvg.de 29.06.2021.
[7] S. dazu Jubiläum mit Truppenbesuch.