Greenwashing von umweltschädlichen Energiequellen
dnr.de, 13.01.2022, EU-News
Ein neuer delegierter Rechtsakt der EU-Kommission sieht die Aufnahme von Atomkraft und fossilem Gas in die EU-Taxonomie vor. Umweltverbände wenden sich in offenem Brief an die Bundesregierung. Auch einzelne EU-Staaten kritisieren das Vorhaben der Kommission. Österreich hat angekündigt zu klagen.
Zitat: Kurz vor Neujahr hat die EU-Kommission ihren delegierten Rechtsakt zur Taxonomie an die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten verschickt. Dieser sieht vor, fossiles Gas und Atomenergie als nachhaltige Brückentechnologie zu klassifizieren. Danach sollen Atomkraft und fossiles Gas befristet als umweltfreundlich eingestuft werden. Ein Entsorgungskonzept für Atommüll müsse außerdem erst ab 2050 vorliegen, berichtet die Zeit. Mit der Taxonomie will die EU Maßstäbe definieren, welche für Investitionen für eine nachhaltige Transformation künftig gebraucht werden. Die Klassifizierung zielt darauf ab, Finanzströme für Industrie, Stromnetze oder Gebäude in Richtung Nachhaltigkeit zu leiten. Sie soll Investor:innen dazu bringen, in umweltfreundliche Energiequellen zu investieren.
Einige EU-Mitgliedstaaten und auch zivilgesellschaftliche Organisationen kritisieren die geplante Aufnahme von Gas- und Atomenergie in die Taxonomie. Nach Einschätzung von Greenpeace gefährden die Pläne der EU-Kommission die Einhaltung des europäischen Green Deals. Atom und Gas seien keinesfalls CO2-neutral. Darüber hinaus sei Atomenergie unsicher. Umweltverbände befürchten, dass die Einstufung von Investitionen in Atomkraft als nachhaltig zum Bau neuer AKWs führen könne. In einem offenen Brief fordern Umweltverbände, unter Beteiligung des DNR, den Bundeskanzler Olaf Scholz auf, die Aufnahme von Atomenergie und Erdgas in die EU-Taxonomie zu stoppen. Zu diesem Zweck ruft auch Campact die Zivilgesellschaft auf, ein Appell an die Ampel- Regierung zu unterschreiben.
Die Deutsche Umwelthilfe belegt mit Rechtsgutachten, dass die Aufnahme von Atom und fossilem Gas in die EU-Taxonomie rechtswidrig wäre. Das Grundgesetz und das Bundesverfassungsgericht würden der Bundesregierung einen umfassenden Handlungsrahmen vorgeben, der auch für die Mitgestaltung von Unionsrecht gelte und Ablehnung der beabsichtigten Regelungen gebiete.
Zum delegierten Rechtsakt vom 31. Dezember 2021 müssen die Mitgliedstaaten bis zum 18. Januar 2022 Stellung nehmen. Rechtsgrundlage ist die Taxonomie-Verordnung aus dem Jahr 2018. Bereits im Juni 2021 hatte die EU-Kommission in einer ersten delegierten Verordnung Kriterien festgelegt. Bei einem delegierten Rechtsakt wird die EU-Kommission mit Festlegung von Kriterien beauftragt, sofern sie unstrittig sind. Deswegen ist fraglich, ob sie überhaupt einen Vorschlag hätte vorlegen dürfen. Sofern der vorgelegte delegierte Rechtsakt bis zum 18. Januar 2022 nicht mit einer qualifizierten Mehrheit abgelehnt wird, gilt er als angekommen.
Bei einigen Mitgliedstaaten stößt das Vorhaben auf Widerstand. Österreich hat bereits angekündigt, gegen die Pläne der EU-Kommission zu klagen. Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Bündnis 90/Die Grünen) teilt in einem Interview in der ARD mit, dass auch die Bundesregierung die Aufnahme von Atomkraft in die Taxonomie ablehnt.
Während Deutschland planmäßig in diesem Jahr aus der Atomenergie aussteigen will, scheint die Abkehr von Atomenergie auf der EU-Ebene jedoch eher unwahrscheinlich. [lw]
Info: https://www.dnr.de/aktuelles-termine/aktuelles/greenwashing-von-umweltschaedlichen-energiequellen
Weiteres:
dnr.de, 11.01.2022, Offener Brief, Klima und Energie
Offener Brief an die Bundesregierung: Bitte stoppen Sie die Aufnahme von Atom und Erdgas in die EU-Taxonomie!Zitat: Berlin - Anlässlich des von der EU-Kommission am 31.12.2021 vorgelegten zweiten Delegierten Rechtsakts zur EU-Taxonomie haben die Umwelt- und Klimaorganisationen Deutscher Naturschutzring, Bellona Deutschland, Bioland, BUND, Campact, Deutsche Umwelthilfe, E3G, Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft, Germanwatch, Klima-Allianz Deutschland, Naturschutzbund Deutschland, Umweltinstitut München und WWF Deutschland heute einen offenen Brief an die Bundesregierung versendet.
Darin fordern die 13 Organisationen die Bundesregierung auf, im Rat der Europäischen Union gegen den Delegierten Rechtsakt zu stimmen, sich der von Österreich und Luxemburg geplanten Klage gegen den Delegierten Rechtsakt vor dem Europäischen Gerichtshof anzuschließen und stringente Kriterien für den im Koalitionsvertrag angekündigten Zubau von Erdgas-Kraftwerken auf nationaler Ebene auszuarbeiten.
Download DNR_Brief EU-Taxonomie_BK Scholz.pdf (279 KB) https://backend.dnr.de/sites/default/files/2022-01/DNR_Brief%20EU-Taxonomie_BK%20Scholz.pdf
Herrn
Olaf Scholz
Bundeskanzler der
Bundesrepublik Deutschland
11012 Berlin
Berlin, den 11. Januar 2022
Offener Brief
Der Delegierte Rechtsakt zur Aufnahme von Atomenergie und Erdgas in die EU-Taxonomie muss
gestoppt werden
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,
am 31.12.2021 hat die EU-Kommission den zweiten Delegierten Rechtsakt zur EU-Taxonomie
vorgelegt. Dass darin nun sowohl Atom als auch Erdgas als nachhaltige Energieträger eingestuft
werden, konterkariert die Intention und den jahrelangen Abstimmungsprozess der Taxonomie
massiv. Statt einen klaren finanzpolitischen Weg zur Umsetzung des European Green Deal und des „Fit for 55“-Pakets aufzuzeigen, führt die EU-Kommission die Taxonomie als Label für nachhaltige Zukunftsinvestitionen ad absurdum und sendet ein fatales internationales Signal an andere Regierungen, die an ähnlichen Taxonomien arbeiten.
Die klare Ablehnung der Aufnahme von Atomenergie in die Taxonomie durch die Bundesregierung begrüßen wir ausdrücklich und sehen dies als deutliches Bekenntnis zur Vollendung des Atomausstiegs in Deutschland. Damit Deutschland und Europa ihre Klimaziele erreichen können, muss die Nutzung fossiler Energieträger schnellstmöglich beendet statt ausgebaut werden. Deshalb braucht es eine ebenso konsequente Ablehnung von Erdgas in der Taxonomie. Auch wenn für einen begrenzten Übergangszeitraum Erdgas Teil des Energiemixes sein wird, ist eine Einstufung des Energieträgers als nachhaltig klimawissenschaftlich nicht haltbar. Fossiles Gas ist keinesfalls ein nachhaltiger Energieträger, denn entlang seiner Förder-, Transport- und Nutzungskette werden große Mengen an klimaschädlichen Treibhausgasen ausgestoßen.
Im weiteren Prozess zur Finalisierung der Taxonomie muss die Bundesregierung deshalb klar und öffentlich vernehmbar Stellung beziehen, damit das Ziel der „Kennzeichnung nachhaltiger
Wirtschaftsaktivitäten“ doch noch erreicht werden kann. Es geht um nichts geringeres als die
Legitimität und Wirksamkeit dieses grundlegenden Instruments und die Frage, wie glaubwürdig und relevant es im finanzwirtschaftlichen Kontext überhaupt werden kann. Ein europäischer Standard, der noch vor seiner Inkraftsetzung hinter etlichen anderen bereits etablierten Standards zurückbleibt, ist ein Rückschritt und nicht der Fortschritt, mit dem Ihre Koalition angetreten ist.
Wir bitten Sie deshalb:
- Stimmen Sie bei der Abstimmung im Rat der Europäischen Union gegen den Delegierten
Rechtsakt, und gewinnen Sie andere Mitgliedstaaten dafür, dasselbe zu tun.
Rechtsakt vor dem Europäischen Gerichtshof an. Setzen Sie sich für eine Erweiterung der
Klage auch gegen die Aufnahme von Erdgas ein.
von Erdgas-Kraftwerken auf nationaler Ebene. Diese Kriterien müssen weitaus strenger
ausfallen als die Vorschläge der EU-Kommission und verbindlich regeln, dass neue
Gasturbinen und gasbetriebene Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen ausschließlich in zeitlich eng
begrenztem Umfang und zur Absicherung von Engpässen bis zur raschen Vollversorgung mit
erneuerbaren Energien genehmigungsfähig sind.
Unterzeichnende
Prof. Dr. Kai Niebert, Präsident, DNR
Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer, DUH
Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer, Germanwatch
Eberhard Brandes, Geschäftsführender Vorstand, WWF Deutschland
Jörg-Andreas Krüger, Präsident, NABU
Brick Medak, Leiter Berliner Büro, E3G
Dr. Erika Bellmann, Geschäftsführerin ,Bellona Deutschland
Jan Plagge ,Präsident, Bioland
Christoph Bautz, Geschäftsführender Vorstand, Campact
Carolin Schenuit, Geschäftsführende Vorständin, FÖS
Dr. Christiane Averbeck, Vorständin, Klima-Allianz Deutschland
Fabian Holzheid, Politische Geschäftsführung, Umweltinstitut München
Olaf Bandt, Vorsitzender, BUND
Dieser Brief geht auch an den Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz und Stellvertreter des Bundeskanzlers, den Bundesminister der Finanzen, die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, den Bundesminister der Justiz sowie die Bundesministerin des Auswärtigen.
unser Kommentar: Wenn das Einspruchsfenster lt. anderer Quellen nur bis zum 12. Januar 2022 gegolten hat, ist der Offene Brief, der auf den 11. Januar 2022 datiert ist, zeitlich sehr knapp ausgelegt!
Zur Erinnerung: Zitat: Doch im Fall Frankreich geht es nicht nur um einen reinen Kostenvergleich der beiden Systeme. Dort – und genauso in Großbritannien oder den USA – spielt auch die Verknüpfung des zivilen mit dem militärischen Nuklearsektor eine Rolle. Die Kernkraft-Nutzung ist nötig, um die Atomwaffen-Programme durchführen zu können.
Frankreich und die USA erklärten das sogar öffentlich, sagt der britische Professor für Wirtschafts- und Wissenschaftspolitik Andrew Stirling. Er zitiert Berichte aus den USA. Sie zeigen laut Stirling, der an der Universität Sussex forscht: "Selbst wenn die Kernenergie doppelt so teuer wäre, wäre es für sie dennoch sinnvoll, Reaktoren zu bauen. Denn die helfen, das militärische Engagement aufrechtzuerhalten."
Aber auch Macron selbst machte vor einem Jahr beim Besuch des Rüstungs- und Atomindustriestandorts Le Creusot unumwunden klar: "Ohne zivile Kernkraft keine militärische Kernkraft und ohne militärische Kernkraft keine zivile Kernkraft." Das gelte sowohl für die Forschung als auch für die Produktion.
Die vor allem von Frankreich forcierte Debatte innerhalb der EU darüber, ob die Atomkraft im Rahmen der sogenannten Taxonomie als nachhaltig einzustufen ist oder nicht, erscheint damit in einem anderen Licht. Zitatende
Info: https://www.klimareporter.de/europaische-union/im-kern-gespalten
Weitere:
EU-Taxonomie: Über 220.000 Unterschriften gegen grünes Atom- und Gas-Label
pressenza.com, 12.01.22 - Pressenza Berlin
Bündnis bringt seinen erfolgreichen Appell gegen die Taxonomie-Pläne der EU-Kommission zum BundeskanzleramtÜber 220.000 Bürgerinnen und Bürger hatten innerhalb von nur vier Tagen den Eil-Appell “Nein zu Atom und Gas” unterschrieben.
Zitat: Sie sprechen sich damit gegen die Pläne der EU-Kommission aus, Atomenergie und Erdgas in die Liste der nachhaltigen Wirtschaftsaktivitäten aufzunehmen.
Am Dienstagmorgen verwiesen die Bündnispartner BUND, Campact, Deutsche Umwelthilfe, Bürgerbewegung Finanzwende, Greenpeace, IPPNW, NABU, Umweltinstitut München und Uranium Network mit einer Aktion vor dem Bundeskanzleramt auf das eindrucksvolle Votum. Sie dringen darauf, dass die Ampel-Regierung nicht nur im Ministerrat die EU-Pläne ablehnt, sondern auch notfalls gegen sie vor den Europäischen Gerichtshof zieht.
Um die fatalen Folgen einer Aufnahme von Atomkraft und Gas in die EU-Taxonomie zu verdeutlichen, ließen die Organisationen vor dem Bundeskanzleramt ein großes AKW aus Pappe von Olaf Scholz (dargestellt von einem Aktiven mit Großmaske) mit dem Label “nachhaltig” kennzeichnen.
Nach Einschätzung des Bündnisses hebeln die Pläne der EU-Kommission den Grundgedanken der Taxonomie als eine Art Nachhaltigkeitslabel aus: „Wenn auch klimaschädliche und hochriskante Energieträger als nachhaltig gelten, wird das ganze Label entwertet – das hätte eine fatale internationale Signalwirkung”, befürchtet das Bündnis.
unser Kommentar: Die hier immer aneinander kritisch gekoppelte Einschätzung sowohl von Erdgas wie von Atomreaktoren ist unerträglich, denn es hält die Atomwirtschaft weiterhin in der Disskussion, völlig unberechtigt.