RND-Interview mit der BSW-Chefin Wagenknecht: „Wir werden unsere Wähler nicht betrügen“
aus e-mail von Doris Pumphrey, 27. September 2024, 17:28 Uhr
RND-Interview mit der BSW-Chefin
27.9.2024
*Wagenknecht: „Wir werden unsere Wähler nicht betrügen“
*Jan Sternberg
Das gab es noch nie: Eine Partei, die erst seit wenigen Monaten
existiert, verhandelt in drei Bundesländern zugleich über
Regierungsbeteiligungen. Dass beim Bündnis Sahra Wagenknecht alle Fäden
bei einer Person zusammenlaufen, macht die Parteichefin im Interview
klar. Und sie zählt auf, was in den Ländern unbedingt durchgesetzt
werden müsse.
*Frau Wagenknecht, nach Sachsen und Thüringen wird das BSW auch in
Brandenburg über eine Koalition verhandeln. Sie haben persönliche
Treffen mit den möglichen Regierungschefs zur Vorbedingung gemacht. Hat
sich Dietmar Woidke schon bei Ihnen gemeldet?*
Wir sind im Gespräch, und wir werden uns auch bald treffen.
*Warum legen Sie so viel Wert auf dieses Gespräch? Sie haben sich ja mit
Michael Kretschmer und Mario Voigt auch bereits getroffen. Geht es nur
ums Kennenlernen – oder schlagen Sie schon ein paar Pflöcke ein, was das
BSW auf jeden Fall haben möchte?*
Erst einmal sind es natürlich Kennenlerngespräche. Ich möchte ein Gefühl
dafür bekommen, ob hier eine vertrauensvolle Zusammenarbeit möglich ist.
Aber natürlich vermittle ich auch, was für uns essenziell ist. Wir sind
eine junge Partei. Wir sind angetreten, die Politik zu verändern. Wir
sind nicht angetreten, ein „Weiter so“ zu unterstützen. Und deswegen
versuche ich, Verständnis dafür zu wecken, dass es eine Reihe von
Forderungen gibt, die für uns nicht verhandelbar sind. Also die
wesentlichen Inhalte, für die wir stehen, für die wir gewählt wurden.
Das betrifft die Frage von Krieg und Frieden, das betrifft die
Corona-Aufarbeitung. Das betrifft auch viele landespolitische Themen.
Wir dürfen unsere Wählerinnen und Wähler nicht enttäuschen. Wir haben
teilweise Wähler, die nach mehreren Wahlperioden unseretwegen zum ersten
Mal wieder an die Wahlurne gegangen sind. Viele Menschen setzen große
Hoffnungen in uns. Es wäre nicht nur politischer Selbstmord, sondern
auch eine Sünde an der Demokratie, diese Menschen schon wieder zu
enttäuschen.
*Glauben Sie denn, dass die Gespräche mit der SPD allein in Brandenburg
einfacher werden als mit CDU und SPD in den anderen beiden Ländern?*
In Brandenburg haben wir bisher noch kein Gespräch geführt, deshalb weiß
ich das nicht. In Sachsen und Thüringen kann man aber jetzt schon sagen,
dass es mit der SPD vielfach nerviger ist als mit der CDU.
*Welches sind Ihre roten Linien, und wie müssen sie umgesetzt werden?
Muss es eine Bundesratsinitiative gegen US-Mittelstreckenraketen und für
den Stopp von Waffenlieferungen an die Ukraine sein, oder ist das Thema,
das ja eigentlich nichts mit Landespolitik zu tun hat, auch anders
umzusetzen?*
Es geht darum, dass die Landesregierungen das vertreten, was die große
Mehrheit der Menschen im Osten möchte. Und das heißt, die
Bundesregierung aufzufordern, endlich mehr auf Diplomatie statt immer
nur auf Waffen zu setzen. Die Strategie, den Krieg durch
Waffenlieferungen zu beenden oder durch immer mehr Waffen zu
entscheiden, ist gescheitert. Und die Landesregierungen müssen auch eine
klare Position zur Aufstellung von US-Mittelstreckenraketen beziehen,
die zwei Drittel der Menschen im Osten ablehnen. Das sollte in die
Präambel des Koalitionsvertrags. Daraus kann dann auch eine
Bundesratsinitiative erwachsen, vor allem aber sollte die
Landesregierung öffentlich diese Position vertreten. Wir wollen, dass es
eine breite Debatte in Deutschland zu diesem Thema gibt. Das ist eine
existenzielle Frage, denn die Raketen erhöhen das nukleare Risiko für
Deutschland massiv, wie unter anderem Oberst Wolfgang Richter in einer
sehr lesenswerten Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung dargelegt hat.
*Bestehen Sie darauf, dass es einen Corona-Untersuchungsausschuss auf
Landesebene gibt?*
Ja, auf jeden Fall, ich halte das für sehr wichtig. Noch besser wäre ein
Bundestags-Untersuchungsaussch
Bundesebene gefallen sind. Den versuchen wir jetzt zu erreichen. Wir
haben an alle Fraktionen unseren Antrag geschickt.
*Nur die AfD hat Zustimmung signalisiert. Sie brauchen aber ein Viertel
der Abgeordneten. Sie wussten vorher, dass das nichts wird.*
Auch in der FDP und in der CDU gab es Stimmen, die sich für eine
Aufarbeitung eingesetzt haben. Sie sollten jetzt Farbe bekennen. Das
Quorum ist natürlich relativ hoch. Es kann sein, dass wir den
Untersuchungsausschuss erst in der nächsten Wahlperiode durchsetzen
können. Auf Landesebene sieht das anders aus, dort sollten unbedingt
Untersuchungsausschüsse eingerichtet werden. Da kann es zwar nur um die
landespolitischen Entscheidungen gehen, aber das ist auch einiges. 2G
und anderes ist ja auch auf Landesebene entschieden worden, die
Lockdown-Maßnahmen, die Schulschließungen, da gab es immer auch
Spielraum der Länder. Und diese gravierenden Fehlentscheidungen müssen
endlich aufgearbeitet werden.
*Die AfD hat in Brandenburg bereits einen Untersuchungsausschuss
durchgesetzt. Die Ergebnisse waren überschaubar. Braucht es noch einen?
*Die Sachlage hat sich verändert durch die RKI-Protokolle, die jetzt
ungeschwärzt zur Verfügung stehen und die Anhaltspunkte liefern, sich
bestimmte Dinge genauer anzuschauen. Was wir in allen Ländern fordern,
ist ein Corona-Amnestie-Gesetz. Es gibt ja immer noch laufende
Verfahren. Dass man die sofort einstellt, wäre der erste Schritt. Den
will ja jetzt offenbar sogar Bayern gehen. Aber diejenigen, die
verurteilt wurden und Strafen wegen Verstößen gegen zweifelhafte Regeln
gezahlt haben, darf man auch nicht im Regen stehen lassen. Sie müssen
entschädigt und die Urteile aufgehoben werden. Slowenien hat das schon
2023 gemacht.
*Was wären Ministerien, was wären Politikbereiche, in denen das BSW
zeigen möchte, was es kann und was es will?*
Da gibt es zwar Vorstellungen, aber das ist der letzte Punkt, über den
wir verhandeln. Wir müssen uns ja erst mal inhaltlich einigen, etwa in
der Bildungspolitik. Wir wollen, dass Smartphones und Tablets aus der
Grundschule verbannt werden. Dass wieder viel mehr Wert gelegt wird auf
Kenntnisse statt auf wolkige Kompetenzen, darauf, dass jedes Kind erst
mal ordentlich lesen, schreiben und rechnen lernt. Der Lehrermangel muss
vor allem in den Kernfächern überwunden werden, also in Mathematik,
Naturwissenschaften und Deutsch.
*Wie ist Ihre Rolle, wenn in drei Landeshauptstädten gleichzeitig von
unterschiedlichen Teams verhandelt wird? Wird alles, was in den Ländern
verhandelt wird, dem Parteivorstand in Berlin noch einmal vorgelegt,
wenn man einen Schritt weitergekommen ist?*
Selbstverständlich schauen wir, dass wir in allen Ländern im Großen und
Ganzen mit ähnlichen Forderungen in die Gespräche gehen. Wir stimmen uns
ab: Was ist verhandelbar? Was ist unverhandelbar? Das ist ja eine
Selbstverständlichkeit, das tun die anderen Parteien auch. Wenn wir
darauf verzichten würden, dann würden wir zerrieben.
*Es gab Gerüchte, dass Ihr Mann Oskar Lafontaine im Hintergrund
mitwirken soll als erfahrener Verhandler. Stimmt das?*
Unsinn.
*Sie haben vier Wahlkämpfe geführt, jetzt kommen drei
Koalitionsverhandlungen – aber bis zur Bundestagswahl in einem Jahr
haben Sie dann etwas Zeit zum Durchatmen und zum Parteiaufbau?*
Wir haben noch nicht endgültig entschieden, ob wir an der
Bürgerschaftswahl in Hamburg im nächsten März teilnehmen. Wir hätten
gute Chancen, in die Bürgerschaft einzuziehen. Aber entscheidend ist, ob
wir eine solide und qualifizierte Liste aufstellen können. Daran
arbeiten wir. Was das Luftholen angeht: Das könnte relativ kurz
ausfallen. Ich halte es für eine offene Frage, ob die Ampel wirklich bis
zum September nächsten Jahres durchhält.
*Werden Sie zur Bundestagswahl auch Direktkandidaten aufstellen – und
werden Sie selbst auch versuchen, einen Wahlkreis direkt zu gewinnen?*
In einer Reihe von Wahlkreisen werden wir direkt kandidieren. Bei mir
selbst ist es noch offen. Der Vorteil wäre sicherlich, dass ich einen
Wahlkreis auch gewinnen könnte. Was dagegen spricht, ist, dass ich im
Bundestagswahlkampf bundesweit auf den Straßen und Plätzen präsent sein
muss.
*Würden Sie im früheren Wahlkreis von Gesine Lötzsch in
Berlin-Lichtenberg antreten, den die Linkspartei bisher direkt gewinnen
konnte?*
Wie gesagt, weder das Ob noch das Wo ist bisher entschieden.
*Werden Sie als Kanzlerkandidatin antreten?*
Dieser Titel hat sich inzwischen ziemlich abgenutzt. Die Grünen sind in
einigen Umfragen mittlerweile einstellig. Wenn sie trotzdem einen
Kanzlerkandidaten aufstellen, ist ja irgendwann jede Partei gefordert,
das Gleiche zu tun. Eigentlich sollte eine Partei, die einen
Kanzlerkandidaten kürt, mindestens solide im zweistelligen Bereich sein.
Das sind wir noch nicht. Wir haben erste Umfragen, wo wir bei 10 Prozent
stehen, aber das wechselt. Das ist nicht die Position, aus der heraus
man realistisch einen Kanzler stellen kann. Aber in Deutschland ist
vieles in Bewegung. Und natürlich hoffen wir, dass wir unseren Rückhalt
weiter ausbauen können.
*Noch einmal konkret zu Ihrer Rolle in den Verhandlungen in Dresden,
Erfurt und Potsdam: Sabine Zimmermann, Katja Wolf und Robert Crumbach
sprechen dort mit den jeweiligen anderen Parteien, und am Ende sagen
Sie: „Sabine, Katja, Robert, in den und den Punkten habt ihr euch über
den Tisch ziehen lassen. Da müssen wir noch mal rangehen.“ Oder wie muss
man sich das vorstellen?*
Ich hoffe mal nicht, dass wir uns über den Tisch ziehen lassen. Aber wir
werden sehr eng koordinieren, was wir in den einzelnen Ländern
verhandeln, weil das alle anderen Parteien auch tun. Wenn wir eine
wichtige Forderung in einem Land aufgeben, werden wir sie dann auch in
den anderen Ländern nur noch schwer durchsetzen können. Um eine starke
Verhandlungsposition zu haben, müssen wir abgestimmt handeln. Und wir
werden am Ende natürlich auch abgestimmt entscheiden: Reicht es oder
reicht es nicht? Das ist ja eine für die Gesamtpartei zentrale Frage.
*Inwiefern?*
Wenn wir unsere Wählerinnen und Wähler enttäuschen würden, würde das
bundesweit wahrgenommen. Ich kann mich noch gut erinnern, was passierte,
als die damalige PDS in Berlin 2001 gemeinsam mit der SPD eine richtig
schlechte Regierung gebildet, Hunderttausende Wohnungen privatisiert und
harte soziale Einschnitte durchgesetzt hat. Ein Jahr nach der Bildung
dieser Regierung ist die PDS aus dem Bundestag geflogen. Im Gegensatz
zur damaligen PDS sind wir eine sehr junge Partei. Wenn wir in eine
Regierung gehen, wo die Leute nach einem halben Jahr sagen: „Jetzt haben
wir euch mit großer Hoffnung gewählt, und es hat sich wieder nichts
verändert“, dann würden wir das politisch nicht überleben. Wenn die
anderen sich nicht wirklich bewegen wollen, dann ist unser Wählerauftrag
die Opposition. Denn wir wurden für Veränderung gewählt, und wir werden
unsere Wähler nicht betrügen.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.