Der Kanzler mit dem kurzen Gedächtnis: Olaf Scholz in Vietnam
In der Bundesregierung muss es einen internen Wettbewerb geben, wer peinlichere Auftritte hinlegen kann als Außenministerin Annalena Baerbock. Bundeskanzler Olaf Scholz jedenfalls hat in China schon Anlauf genommen, bei seinem Besuch in Vietnam aber noch weiter Punkte gesammelt.
Zitat: Olaf Scholz hätte es besser wissen müssen. Aber vermutlich hatte er gehofft, wenn ihn die Chinesen schon nicht lieben, dann wenigstens die Vietnamesen, schon allein, weil deren Verhältnis untereinander nicht ganz frei von Komplikationen ist.
Jedenfalls hat er, Pressemeldungen zufolge, in Vietnam erklärt, er wünsche sich eine "klare Positionierung" Vietnams gegen Russland. "Es handelt sich bei dem russischen Angriffskrieg um einen Bruch des Völkerrechts mit gefährlicher Präzedenzwirkung. Kleine Länder können nicht mehr sicher sein vor dem Verhalten ihrer größeren, mächtigeren Nachbarn."
Er hätte es besser wissen können, weil er alt genug ist, sich daran zu erinnern, dass es einen Krieg der Vereinigten Staaten gegen Vietnam gab. Vielleicht erinnert er sich sogar noch daran, dass die Vereinigten Staaten dieses Land mit einem Gift besprühten, durch das noch heute unzählige missgebildete Kinder geboren werden, Agent Orange; ein Gift übrigens, an dessen Herstellung auch der deutsche Chemiekonzern Bayer in Zusammenarbeit mit Monsanto beteiligt war. Scholz hätte auch wissen können, dass es nie irgendwelche Entschädigungen der Vereinigten Staaten an Vietnam gab, und dass Vietnam ebenfalls ein "kleineres Land" war, und der vermeintliche Überfall auf ein US-amerikanisches Patrouillenboot, der sogenannte "Golf von Tonkin"-Zwischenfall, eine absolute Vortäuschung.
Er hätte auch wissen können, dass das Deutschland, dem bis heute viele Vietnamesen wohlgesinnt sind, das andere war, das auf der Landkarte nicht mehr zu finden ist. Es war die DDR, die beispielsweise half, in Vietnam den Anbau von Kaffee zu entwickeln, der heute eines der wichtigsten Exportprodukte ist; ein Projekt zum beiderseitigen Vorteil, dessen Früchte aber für die DDR zu spät kamen. Die Bundesrepublik hingegen war das Land, aus dem sich die meisten US-Soldaten auf den Weg nach Vietnam machten.
Aber vermutlich hat Scholz sein Gedächtnis irgendwo auf dem Weg vom Juso zum Bundeskanzler komplett gelöscht. Dass er keinen Blick für die globale Entwicklung hat, zeigte sich auch bei seinem Besuch in China, bei dem er tatsächlich versuchte, die Chinesen zu belehren.
Dabei ergeht es schon US-Präsident Joe Biden zurzeit nicht allzu gut bei seinen Besuchen. Selbst in Saudi-Arabien zeigte man ihm die kalte Schulter. Im Internet kursieren Bilder, die Biden und den russischen Außenminister Sergei Lawrow bei der Ankunft in Kambodscha zeigen sollen; die Gangway für Lawrow mit einem roten Teppich belegt, die für Biden nicht. Selbst wenn diese Bilder nicht stimmen sollten – sie symbolisieren recht deutlich, wie sich die Verhältnisse auf der Welt augenblicklich verschieben.
Das Handelsblattergänzt seine Meldung zu den Äußerungen von Scholz mit der Aussage, Russland sei der wichtigste Waffenlieferant Vietnams und sei zudem an der Erschließung vietnamesischer Öl- und Gasfelder beteiligt. Mal abgesehen davon, dass kein EU-Staat, Deutschland eingeschlossen, noch an einer solchen Erschließung beteiligt sein dürfte, weil das dem Klimaglauben widerspricht und daher verboten ist – auch das ist nur die halbe Wahrheit.
In Wirklichkeit dürfte Scholz es nur der asiatischen Höflichkeit zu verdanken haben, dass sein vietnamesisches Gegenüber nicht an Ort und Stelle in lautes, hemmungsloses Lachen ausgebrochen ist. Er wird sich daran gewöhnen müssen, dass es ihm in vielen weiteren Ländern ebenso ergehen wird. Und es ist nicht das Wissen darum, dass die wirtschaftliche Stärke Deutschlands mit einem Zeitzünder versehen wurde, das dieses Lachen auslöst und sein oberlehrerhaftes Auftreten zur Farce macht. Es ist Nord Stream.
Vietnam hat einen langen, blutigen Krieg hinter sich, in dem es seine Souveränität errungen hat. Er liegt zwar bereits bald fünfzig Jahre zurück, aber seine Spuren zeichnen das Land bis heute. Es ist eine Sache, irgendwie mit den USA zu kooperieren; das tut Vietnam seit einiger Zeit, allerdings eher, um ein wenig Distanz zu China zu halten, als um sich tatsächlich mit dem ehemaligen Feind zu verbünden. Es ist etwas völlig Anderes, sich vom Vertreter eines Landes Vorhaltungen machen zu lassen, das auf einen Angriff auf seine Souveränität mit – nichts – reagiert hat.
Seit der Sprengung von Nord Stream könnte man eigentlich die gesamten Ausgaben für das Auswärtige Amt einsparen. Welches Land auf diesem Planeten soll ein Gegenüber ernst nehmen, das sich von einem vermeintlichen Verbündeten seine Energieversorgung zerschießen lässt und keinen Mucks dazu sagt, und das freiwillig seine Lebensgrundlage preisgibt? Es ist egal, ob Scholz oder Baerbock oder Habeck oder Lindner irgendwo auftauchen, und es ist egal, wohin sie gehen – ein Land, das seine Souveränität derart preisgegeben hat, hat keine Außenpolitik mehr.
Und jeder auf diesem Globus, der zwei und zwei zusammenzählen kann, weiß, dass Deutschland auch nichts mehr zu bieten hat. Nicht nur die industrielle Stärke, auch der Wohlstand beruhten auf der sicheren Energieversorgung, und selbst wenn es möglich wäre, das gekappte russische Gas durch US-LNG zu ersetzen – warum sollte man dann mit einem deutschen Gegenüber sprechen, wenn die USA doch in der Hand haben, diese Versorgung jederzeit zu kappen? Als in der BRD der Bau von Atomkraftwerken begann, als die ersten Pipelines nach Russland gelegt wurden, ging es nur an der Oberfläche darum, nicht mehr von der OPEC erpressbar zu sein. In Wirklichkeit ging es darum, sich nicht den Vereinigten Staaten auszuliefern. Vergangene deutsche Regierungen wussten, dass das Freunde sind, die man sich am besten auf Armeslänge vom Leib hält, gleich, was offiziell erklärt wurde. Und sei es, weil es industriell immer wieder zu Konkurrenz kam; berühmtes Beispiel ist der brasilianische Atommeiler Angra II.
Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen, und wenn Scholz es nun für nötig hält, weiter so zu tun, als wäre nichts, wird er das internationale Ansehen des Landes mindestens ebenso beschädigen, wie es Bundesaußenministerin Annalena Baerbock tut (bei der schon aus Kompetenzgründen niemand erwarten würde, dass sie Feinheiten wie Souveränität versteht).
Es mag ja sein, dass sich große Teile der deutschen Öffentlichkeit an der Nase herumführen lassen, was den Anschlag auf Nord Stream betrifft. Aber der Rest der Welt hat eigene Zeitungen, weiß genau, was da passiert ist, und wird daraus die Konsequenz ziehen, dass man bedeutend Zeit und Energie sparen kann, wenn man gleich mit den USA verhandelt.
Andererseits – eine längere Reihe demütigender Erfahrungen ist Scholz für sein Schweigen durchaus zu gönnen. Vietnam ist da fast noch viel zu groß, um die richtige Wirkung zu erzielen. Ein kleinerer lateinamerikanischer Staat wäre nicht schlecht, oder ein Inselstaat, Aruba oder Kiribati. Oder Bhutan. Nichts jedenfalls, das die Größe der Hansestadt Hamburg übersteigt, damit das auch in jenem Teil von Olaf Scholz ankommt, der sich allein deshalb schon groß und stark fühlt, weil Deutschland größer ist als der Stadtstaat, aus dem er kommt.
Wie gesagt, er ist alt genug, um sich daran zu erinnern, wieviel Vietnam seine Souveränität wert war. Wenn er es schon in seiner politischen Karriere nicht gelernt hat, wann er die Klappe aufreißen müsste (in jenem Moment, da Biden erklärte, man werde dafür sorgen, dass Nord Stream 2 nicht in Betrieb ginge), lernt er jetzt vielleicht wenigstens, wann er sie halten sollte.
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13.11.2022
Was Algeriens Mitgliedschaft für BRICS bedeutet
meinungsfreiheit.rtde.life, 13 Nov. 2022 08:51 Uhr, Von Alexander Männer
Nach Argentinien und dem Iran hat nun auch Algerien die Mitgliedschaft im BRICS, dem wirtschaftsstärksten Verbund der Schwellenländer, förmlich beantragt. Was bedeutet dies für die BRICS, was für Algerien und was für den "Rest" der Welt?
Zitat: Die Vereinigung BRICS, bestehend aus Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, gehört aktuell zu den perspektivreichen Kooperationsformen der Welt und strebt unlängst ihre Erweiterung an. Diese Staatengruppe steht für Multilateralismus und eine gerechtere Wirtschaftsordnung – ein neuer Weg und eine Alternative zur globalen US-Hegemonie, der sich zahlreiche Länder anschließen wollen.
Nachdem bereits Argentinien und der Iran Ende Juni ihre Aufnahmeanträge eingereicht hatten, brachten sich auch Ägypten, Saudi-Arabien und die Türkei als mögliche Beitrittskandidaten ins Gespräch. Jedoch passierte in dieser Frage bislang wenig.
Dafür bemüht sich nun ein anderes Land offiziell um eine Aufnahme in der Vereinigung: Wie Medien am Montag berichteten, soll Algerien einen Antrag auf Beitritt zu BRICS gestellt haben. Laut einer Mitteilung des algerischen Außenministeriums hat das Land alle notwendigen Maßnahmen für die Mitgliedschaft in der Gemeinschaft getroffen.
Dass die Demokratische Volksrepublik Algerien durchaus ernsthafte Ambitionen auf einen Beitritt hegte, wurde unter anderem bei dem diesjährigen BRICS-Gipfel im Juni deutlich, an dem das nordafrikanische Land als Beobachter teilnahm. Der algerische Präsident Abdelmadjid Tebboune hatte damals deutlich gemacht, dass Algerien als "Pionier des Blockfreiheitsprinzips" an einem Beitritt zu BRICS interessiert sei und sich schon bald für die Mitgliedschaft qualifizieren werde. Tebboune sagte bei der Konferenz:
"Unsere Erfahrungen aus der Vergangenheit haben uns gezeigt, dass das Ungleichgewicht auf der internationalen Bühne und die Marginalisierung der Schwellenländer in den internationalen Gremien Quellen der Instabilität, des Mangels an Gleichheit und der fehlenden Entwicklung sind."
Algeriens Beitrag zu BRICS
Da die algerische Führung die Idee von einer neuen und gerechteren Weltordnung offensichtlich teilt, ist der Beitritt zu BRICS inmitten der globalen Unsicherheiten aus ihrer Sicht absolut pragmatisch und folgerichtig. Aber was würde Algeriens Mitgliedschaft für die Staatengruppe selbst bedeuten?
Grundsätzlich ist anzumerken, dass Algerien über viel politisches und wirtschaftliches Potenzial verfügt. Mit zirka 43 Millionen Einwohnern ist es flächenmäßig der größte Staat Afrikas und der zehntgrößte Staat der Welt. Mit einem Bruttoinlandsprodukt von 170 Milliarden US-Dollar und einem Pro-Kopf-Einkommen von knapp 4.000 Dollar gehört Algerien eher zu den reicheren Ländern des afrikanischen Kontinents. Im globalen Index für Wettbewerbsfähigkeit von 2019 belegte es allerdings nur den 89. Platz unter 140 Ländern.
Nicht zu vergessen ist, dass Algerien zu den einflussreichsten der insgesamt 22 arabischen Staaten zählt, deren Stimme auf der internationalen Bühne immer mehr Gewicht bekommt. Auf dem kürzlichen Gipfeltreffen der Arabischen Liga in der Hauptstadt Algier konnte Algerien seinen Einfluss in der arabischen Welt offenbar vergrößern und macht inzwischen Saudi-Arabien den Führungsanspruch in der Vereinigung streitig. Die Aufnahme Algeriens in die BRICS-Gruppe würde in diesem Zusammenhang zweifellos sowohl die Position des nordafrikanischen Landes selbst als auch die der BRICS-Staaten verbessern.
Darüber hinaus ist Algerien sehr reich an Ressourcen und gilt in der Mittelmeerregion als einer der wichtigsten Exporteure für Erdöl und Erdgas. Das Land liefert über eine Pipeline nach Spanien allein etwa 12 Prozent des gesamteuropäischen Gasbedarfs und ist für die EU angesichts der Energiekrise auch als Öllieferant wieder gefragt. Im August berichtete das Handelsblatt über einen Algerien-Besuch des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der offenkundig neue Energiequellen für Europa erschließen will und Algerien daher als wichtigen künftigen Energielieferanten ansieht. Für Algier würde das nicht nur zusätzliche Einnahmen bedeuten, sondern auch mehr Einfluss im Mittelmeerraum. Daher sind gute Beziehungen zu einem Gasförderland heutzutage generell für jeden Akteur ratsam.
Enge Beziehungen zu Russland und China
Für BRICS ist Algerien aber auch deshalb interessant, weil es mit Russland bereits sehr eng im Rahmen der OPEC+ zusammenarbeitet und sein Vorgehen in diesem Bereich koordiniert. Diesbezüglich ist zu betonen, dass Algerien und Russland langjährige Handels- und Wirtschaftspartner sind, die ihren Handelsumsatz sogar trotz der seit 2014 bestehenden Sanktionen in dieser Zeit um mehr als das Dreifache steigern konnten. Auf dem 25. russisch-algerischen Wirtschaftsforum, das im April dieses Jahres in St. Petersburg stattfand, bekräftigten beide Länder die Bedeutung ihrer bilateralen Kooperation, die eine strategische Zusammenarbeit im Energiesektor, bei der Landwirtschaft und im Sicherheitsbereich umfasst. So ist Algerien nach Indien und China inzwischen der drittgrößte Importeur russischer Waffen, die etwa 80 Prozent des algerischen Kriegsgerätes ausmachen.
Aufgrund ihrer Russland-Politik hat die Führung in Algier bereits massive Kritik aus den Vereinigten Staaten auf sich gezogen. Laut Angaben von The North Africa Post haben 27 Mitglieder des US-Kongresses im September im Zusammenhang mit Algeriens Waffengeschäften mit Russland Sanktionen gegen Algier gefordert.
Abgesehen von Russland unterhält Algerien ebenfalls sehr enge Beziehungen zu China, das für Washington die größte zukünftige Herausforderung darstellt. Diese Beziehungen bekamen spätestens in der aktuellen Phase eine strategische Dimension, nachdem beide Seiten der Agentur Anadoluzufolge am 1. November einen fünfjährigen strategischen Kooperationspakt unterzeichnet haben. Zwischen ihnen bestand davor bereits eine umfangreiche wirtschaftliche Partnerschaft: Algerien beteiligt sich seit 2018 an Chinas "Belt and Road Initiative" und kooperiert mit Peking auch im Energiebereich. Politisch bekräftigen beide Seiten, unter anderem die Ziele und Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen zu schützen und das Prinzip der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten zu befolgen.
Ein BRICS-Beitritt Algeriens ist insofern zu begrüßen, da es im Kontext des Multilateralismus die westliche Hegemonie ablehnt und die Staatengruppe als eine "Alternative für mehr Ausgewogenheit in der Weltpolitik" betrachtet. Eine Aufnahme würde zusätzliche Herausforderungen für die Sanktionspolitik und die Versuche des Westens bedeuten, Russland oder China wirtschaftlich zu isolieren und die Weltwirtschaft weiter einseitig zu bestimmen.
RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.
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13.11.2022
Ugandas Präsident zu Europas Klimapolitik
aus e-mail von Doris Pumphrey, 13. November 2022, 14:31 Uhr
Meinungsbeitrag des Präsidenten von Uganda, Yoweri Museveni, erschienen
den heutigen Newsletter möchte ich mit einem über 50 Jahre alten Traum einer Welt ohne Gewalt beginnen, von dem John Lennon mit dem Song "Imagine" geträumt hat.
Stell dir vor, es gibt keinen Himmel.
Das ist ganz einfach, wenn du 's mal probierst.
Unter uns gibt’s keine Hölle
und über uns sind nur die Wolken.
Stell dir vor, es gibt keine Länder,
auch das ist nicht schwer.
Es gibt nichts, wofür man tötet oder stirbt,
auch keine Religion.
Stell dir vor, alle Menschen leben in Frieden.
Du sagst vielleicht, ich sei ein Träumer,
aber ich bin nicht der einzige!
Und ich hoffe, eines Tages bist du einer von uns
und die Welt gehört zusammen.
Stell dir vor, es gibt keinen Besitz!
Ich bin gespannt, ob dir das gelingt.
Es gibt keinen Grund mehr für Habgier oder Hunger,
und alle Menschen verbrüdern sich.
Stell dir vor, alle Völker teilen sich die Welt.
Du sagst vielleicht, ich sei ein Träumer,
aber ich bin nicht der einzige!
Ich hoffe, eines Tages wirst auch du einer von uns,
PS: Die Texte und Informationen in unserem Newsletter und auf unseren Websites dienen der Information und sollen zum Nachdenken und zur Diskussion anregen. Sie entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors und geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
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Artikel
** Drewermann: Die Bergpredigt - ein Leitfaden für den Frieden
Videoaufzeichnung des Vortrags von Dr. Eugen Drewermann in der Dreifaltigkeitskirche Konstanz, veranstaltet von der Akademie der Älteren Generation, Bildungseinrichtung des katholischen Dekanats und des Bildungszentrums Konstanz, Bildungswerk der Erzdiözese Freiburg. Thema: Die Bergpredigt - ein Leitfaden für den Frieden, Dreifaltigkeitskirche, 27.9.2022. >> https://lebenshaus-alb.us2.list-manage.com/track/click?u=38051d55d1f126d064e4cd1f4&id=77ac70244a&e=51d2a34ef5
** Studie: Ukrainischer gewaltfreier ziviler Widerstand im Angesicht des Krieges
Eine aktuelle Studie von Professor Felip Daza untersucht den gewaltfreien zivilen Widerstand in der Ukraine gegen die russische Invasion vom 24. Februar bis 30. Juni 2022 mit dem Ziel, seine organisatorische Dynamik, seine Auswirkungen im Kontext des Krieges und die Möglichkeiten der Unterstützung zur Stärkung der beteiligten gesellschaftlichen Akteure. Daher richtet sich diese Studie nicht nur an Akteure, welche die Konflikttransformation in der Ukraine und der Region unterstützen wollen, sondern an alle Organisationen und Einzelpersonen, die an gewaltfreier Aktion und Konflikttransformation beteiligt oder interessiert sind. Die ukrainische Erfahrung ist sicherlich einzigartig, und wir können von ihr neue Wege der zivilen Intervention in globalen Krisen ohne den| Einsatz von Waffen lernen. >> https://lebenshaus-alb.us2.list-manage.com/track/click?u=38051d55d1f126d064e4cd1f4&id=9811e61979&e=51d2a34ef5
Die Kampagne "Soziale Verteidigung voranbringen" ist ein offenes, parteipolitisch, weltanschaulich und konfessionell unabhängiges Netzwerk von Einzelpersonen und Organisationen in Deutschland, die das Handlungskonzept Soziale Verteidigung als Anwendungsfall der Gewaltfreien Aktion bzw. des Zivilen Widerstands in besonderen Bedrohungslagen verstehen. Soziale Verteidigung arbeitet mit der Kraft der aktiven Gewaltfreiheit und gehört zum breiten Repertoire der Zivilen Konflikttransformation mit dem großen Ziel, Gewalt durch friedenslogisches Vorgehen zu überwinden. >> https://lebenshaus-alb.us2.list-manage.com/track/click?u=38051d55d1f126d064e4cd1f4&id=c007390bc0&e=51d2a34ef5
** Der sanfte Weg in den Abgrund – oder: Wir Schlafwandler
Nie wieder. Mit niemandem. Menschenrechte sind universell. Nie wieder, mit niemandem. Ganz gleich, welcher Ethnie, Hautfarbe, Religion. Ganz gleich welcher Überzeugung und Meinung. Mein Großvater Julius wurde ein Jahr nach der sogenannten "Reichskristallnacht" verhaftet und kurz darauf ermordet. Sein Andenken zu ehren bedeutet, auf ein universalistisches NIE WIEDER! zu bestehen. NIE WIEDER. MIT NIEMANDEM. Wehret den Anfängen! Von Nirit Sommerfeld. >> https://lebenshaus-alb.us2.list-manage.com/track/click?u=38051d55d1f126d064e4cd1f4&id=1dee0e4928&e=51d2a34ef5
** Die israelischen Knesset-Wahlen 2022 und der Rechtsruck der gesamten israelischen Gesellschaft
Der Wahlausgang hat viele in Israel "überrascht" und "betroffen" gemacht. Warum denn eigentlich? Wovon waren die Israelis, die sich über den Wahlausgang am Mittwochmorgen entsetzt gaben, so überrascht? Gab es irgendetwas an den Resultaten, das nicht schon seit Wochen und Monaten auf der Wand geschrieben stand? Konnte man wirklich überrascht sein, wenn man die politischen Geschehnisse der letzten Monate in Israel verfolgt hatte? Von Moshe Zuckermann. >> https://lebenshaus-alb.us2.list-manage.com/track/click?u=38051d55d1f126d064e4cd1f4&id=cbb81d38c8&e=51d2a34ef5
Du bist schockiert über den Ausgang der Wahlen in Israel? Ich nicht. Was mich schockiert - nein: entsetzt ist, dass es hier bei uns immer noch kein böses Erwachen gibt angesichts einer Wahl, die unzweifelhaft Rassisten und Faschisten an die Macht in Israel bringen wird. Leute, die keinen Hehl daraus machen, was ihre politischen Ziele sind: Auf jeden Fall mal kein palästinensischer Staat. Diese Leute schämen sich nicht, in aller Öffentlichkeit "Tod den Terroristen" zu schreien und damit alle Palästinenser zu meinen, die sie grundsätzlich für Terroristen halten. Es ist ihnen übrigens prima gelungen, dieses Bild auch in deutschen Köpfen zu etablieren. Von Nirit Sommerfeld. >> https://lebenshaus-alb.us2.list-manage.com/track/click?u=38051d55d1f126d064e4cd1f4&id=941868525a&e=51d2a34ef5
** COP27, Demokratie, Menschenrechte und der weiße Westen
Es ist faszinierend, dass das diesjährige Klima-Aktionstreffen der Vereinten Nationen (COP27) zur gleichen Zeit stattfindet wie die Zwischenwahlen in den Vereinigten Staaten. Progressive Organisationen haben die Menschenrechtslage in Ägypten, dem diesjährigen Gastgeber der COP27, angeprangert und gleichzeitig alle ermutigt und daran erinnert, bei dieser "entscheidenden" Wahl zur Urne zu gehen. Ja, du wirst ermutigt, für diese "formale" Demokratie zu stimmen, die die Klimakatastrophe überhaupt erst verursacht hat. Von David Andersson. >> https://lebenshaus-alb.us2.list-manage.com/track/click?u=38051d55d1f126d064e4cd1f4&id=7d56fb3c44&e=51d2a34ef5
Während nicht einmal die vereinbarten 100 Milliarden Dollar zusammenkommen, um benachteiligte Länder beim Klimawandel zu unterstützen, investieren die Regierungen der Welt jährlich offiziell mehr als 2.100 Milliarden Dollar in den Militärsektor. Ein durchgängiges Anzeichen für die Scheinheiligkeit der Ökologiepolitik der Staaten der Welt, allen voran der USA, wird darin sichtbar, dass die USA bei den Kyoto-Verhandlungen eine Nicht-Berücksichtigung der vom Militär verursachten Klimaschädigungen in den Klimabilanzen durchgesetzt haben. Laut Experten kann nur nur eine Senkung der Militärausgaben zu den notwendigen Reduzierungen dieser Form der Umweltschädigung führen. Ohne den Einbezug des Militärs ist keine Ökologiepolitik nachhaltig. Von Bernhard Trautvetter. >> https://lebenshaus-alb.us2.list-manage.com/track/click?u=38051d55d1f126d064e4cd1f4&id=1f9edbdcfa&e=51d2a34ef5
Zur heutigen Bundestags-Entscheidung über die Verlängerung der AKW-Laufzeiten bis April erklärt Armin Simon von der bundesweiten Anti-Atom-Organisation .ausgestrahlt: "Die Zustimmung der Regierungskoalition zu längeren AKW-Laufzeiten ist ein schwerer Fehler. Die Laufzeitverlängerung weicht etablierte Sicherheitsstandards auf und ignoriert akute Sicherheitsmängel der Reaktoren. SPD und Grüne lassen sich vor den Atom-Karren von FDP, CDU, CSU und AFD spannen. Dabei ist klar, dass diese den Streckbetrieb der Meiler bis April zum Türöffner einer weiteren Laufzeitverlängerung machen wollen. Der Atomausstieg ist in ernster Gefahr." >> https://lebenshaus-alb.us2.list-manage.com/track/click?u=38051d55d1f126d064e4cd1f4&id=b032f6f9b8&e=51d2a34ef5
** Aufruf zur solidarischen Weitergabe der Energiepreispauschale, z.B. an Geflüchtete im Beqaa-Tal, Libanon
Haddak (zu deutsch: "Ich bin an Deiner Seite") organisiert direkte solidarische Unterstützung von Mensch zu Mensch. Libanon hat gemessen an der Einwohnerzahl weltweit am meisten flüchtende Menschen aufgenommen. Das kleine Land am Mittelmeer beherbergt u.a. neben palästinensischen Geflüchteten, teils in zweiter und dritter Generation, mindestens eine Million syrische Geflüchtete. Der Winter im libanesischen Bergland ist hart, mit Temperaturen unter dem Gefrierpunkt. Oftmals schneit es. Der nahende Winter ist, angesichts der Wirtschafts- und Energiekrise, für die Bewohner*innen des Beqaa-Tals, ein Alptraum. Kürzlich sprach ich mit zwei der drei Initiator*innen von Haddak, einer direkten Solidaritäts-Initiative einer Libanesin und eines palästinensischen Libanesen, die im Beqaa-Tal leben, und einer Deutschen. Hier ein Interview von Julia Kramer. >> https://lebenshaus-alb.us2.list-manage.com/track/click?u=38051d55d1f126d064e4cd1f4&id=8aec3cebdb&e=51d2a34ef5
** EKD-Friedensbeauftragter: "Frieden ist eine zentrale Botschaft christlicher Verkündigung"
Die Ökumenische FriedensDekade sei eine gute Gelegenheit, um gemeinsam nachzudenken, wie dem Frieden gedient würden kann. Dies betonte der Friedensbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Friedrich Kramer. "Seit vielen Monaten stehen uns die Bilder des schrecklichen Kriegs in der Ukraine vor Augen. Dieser Krieg macht haltlos, er zerstört nicht nur unzählige Menschenleben, er erschüttert auch unser Land und sorgt für Ohnmacht und Angst", so Friedrich Kramer. "Gerade in einer solchen Zeit verstärkt dafür beten, dass die Waffen schweigen und unsere Füße auf dem Weg des Friedens finden und der Gewaltlosigkeit Jesu folgen, das bietet sich in den Tagen der FriedensDekade an", ist der EKD-Friedensbeauftragte überzeugt und er betont: "Das Friedensgebet und die Sorge um den Frieden ist eine zentrale Botschaft christlicher Verkündigung und kirchlicher Arbeit." >> https://lebenshaus-alb.us2.list-manage.com/track/click?u=38051d55d1f126d064e4cd1f4&id=cf4e7ca0a8&e=51d2a34ef5
* Geben Sie Deserteuren und Verweigerern aus Belarus und der Russischen Föderation Schutz und Asyl!
* Fordern Sie die ukrainische Regierung auf, die Verfolgung von Kriegsdienstverweigerern einzustellen und ihnen ein umfassendes Recht auf Kriegsdienstverweigerung zu garantieren!
* Öffnen Sie die Grenzen für diejenigen, die sich unter hohem persönlichen Risiko in ihrem Land gegen den Krieg stellen!
Die Petition wurde initiiert von: Connection e.V., Internationaler Versöhnungsbund, War Resisters‘ International und dem Europäischen Büro für Kriegsdienstverweigerung.
Die Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Königs Wusterhausen haben mit Beschluss vom 20.10.2022 die Bürgermeisterin beauftragt, einen offenen Brief an die Bundesregierung zu versenden. In dem Brief wird die Bundesregierung mit Blick auf die umfassenden globalen Auswirkungen aufgefordert, alles zu unterlassen, was den Krieg in der Ukraine verlängert und die Eskalationsspirale zu durchbrechen. Der Offene Brief kann hier heruntergeladen werden. >> https://lebenshaus-alb.us2.list-manage.com/track/click?u=38051d55d1f126d064e4cd1f4&id=81d29836bf&e=51d2a34ef5
Termine
** :: 27.10.2022ff. - im Großraum Stuttgart und darüber hinaus: 30 Tage im November - Vom Wert der MenschenRechte
Der Blick zurück in die deutsche Geschichte zeigt, wohin, Intoleranz, Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit führen können. In einer von Kriegen, sozialen Verwerfungen und der Klimakrise geprägten Gegenwart gilt es mehr denn je, Wissen und Werte zu vermitteln, die uns befähigen, Frieden, Demokratie und Freiheit immer wieder neu zu fordern, zu bewahren und die Allgemeinen Menschenrechte zu verteidigen! Deshalb haben sich bisher über 250 zivilgesellschaftliche Organisationen zusammengeschlossen und laden zwischen dem 27. Oktober und dem 4. Dezember 2022 zu einer Vielzahl von Veranstaltungen ein. Die AnStifter freuen sich, dass sie mit der Initiative "30 Tage im November" folgende Veranstaltungen präsentieren können >> https://lebenshaus-alb.us2.list-manage.com/track/click?u=38051d55d1f126d064e4cd1f4&id=d7b491bd75&e=51d2a34ef5
** :: 13.11.2022ff. - bundesweit Rundreise 2022 Andreas Zumach: "Trotz Ukrainekrieg: Für eine ökologische, militärarme(freie), sozial und global gerechte Zeitenwende"
Momentan reist Andreas Zumach durch Deutschland, um Vorträge über verschiedene Aspekte des Ukrainekriegs (Ursachen, Hintergründe, Perspektiven, Konsequenzen, Handlungsoptionen) zu sprechen. Er lebt in Berlin, ist Freischaffender Journalist und Buchautor, war von 1988-2020 Korrespondent am UNO-Sitz in Genf für die Berliner "tageszeitung" (taz) und weitere Zeitungen, Rundfunk-und Fernsehanstalten und ist Experte für Themen der Sicherheitspolitik, Rüstungskontrolle, Völkerrecht und Menschenrechte. Zur Terminübersicht >> https://lebenshaus-alb.us2.list-manage.com/track/click?u=38051d55d1f126d064e4cd1f4&id=01fbd619e9&e=51d2a34ef5
** :: 15.11.2022 - 19:30 Uhr im evang. Gemeindehaus Gammertingen: "Trotz Ukraine-Krieg: Für eine ökologische, militärarme(freie), sozial und global gerechte Zeitenwende"
Vortrag und Diskussion mit Andreas Zumach (Journalist und Autor). Kostspielige Hochrüstung, eine auf lange Dauer angelegte Konfrontation mit Russland sowie die Vernachlässigung von Klimawandel, Hunger und anderen globalen Herausforderungen - diese "Zeitenwende" bieten Politik und Medien fast unisono an als angeblich alternativlose Antwort auf Putin-Russlands völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Ukraine. Was wären die Chancen und notwendigen Schritte für eine militärfreie, ökologische sowie sozial und global gerechte Zeitenwende und für eine europäische Friedensordnung, die es nur mit Russland geben kann? Andreas Zumach wird in dieser Vortrags- und Diskussionsveranstaltung zu diesen und weiteren Fragen Stellung nehmen. VA: Lebenshaus Schwäbische Alb; Evang. Verbundkirchengemeinde Gammertingen-Trochtelfingen; Weltladen Gammertingen. >> https://lebenshaus-alb.us2.list-manage.com/track/click?u=38051d55d1f126d064e4cd1f4&id=82359c5266&e=51d2a34ef5
** :: 16.11.2022 - 20:00 Uhr, Kaplaneinhaus in Riedlingen : "Trotz Ukraine-Krieg: Für eine ökologische, militärarme(freie), sozial und global gerechte Zeitenwende"
Vertreter:innen bedeutender US-Friedensorganisationen gaben bekannt, dass mehr als 1.000 Amerikaner:innen, die gegen die US-Kriege in Vietnam, Afghanistan und Irak sind, eine Erklärung unterzeichnet haben, in der sie ihre Solidarität und Unterstützung für die russischen Kriegsgegner:innen innerhalb Russlands und die aus Russland geflohenen Kriegsgegner:innen in der Ukraine bekunden.
Die Erklärung wird von russischen und ukrainischen Partner:innen verbreitet, welche sie auch übersetzt haben.
Terry Provance von der Vereinigten Kirche Christi, sprach für die Organisator:innen der Kampagne:
„Der Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar und der im September verkündete Einberufungserlass haben eine massive Antikriegsbewegung im Lande ausgelöst, die zu regelmäßigen Protestdemonstrationen und zur Ausreise von über 500.000 Wehrdienstverweigerer:innen geführt hat. Diese heldenhaften Taten haben zu brutaler Repression, Inhaftierung, Verletzungen und Todesfällen sowie zu einer ungewissen Zukunft für diejenigen geführt, die das Land verlassen haben, um der Teilnahme an Russlands unmoralischem, unmenschlichem und illegalem Krieg gegen die Ukraine zu entgehen.“
Joseph Gerson von der Campaign for Peace, Disarmament and Common Security fügte hinzu:
„Menschen auf der ganzen Welt haben mit Ehrfurcht und Bewunderung das Engagement und die Risiken beobachtet, die das russische Volk derzeit eingeht. Deshalb haben sich diejenigen von uns in den Vereinigten Staaten, die sich den US-Kriegen in Vietnam, Irak und Afghanistan widersetzt und dagegen protestiert haben, zusammengetan, um unsere Unterstützung und Solidarität mit den Friedensaktivist:innen in ganz Russland und den Widerständler:innen, die aufgrund ihrer Kriegsverweigerung aus Gewissensgründen geflohen sind, zu bekunden.“
Wir bekräftigen unsere Unterstützung und Solidarität mit den Russ:innen, die sich trotz des Risikos harter Konsequenzen friedlich der Wehrpflicht und dem illegalen, unmenschlichen Angriffskrieg ihrer Regierung in der Ukraine widersetzen und Widerstand leisten.
Wir drängen auf ein Ende des Krieges und auf Verhandlungen, die zu einem gerechten Frieden führen, der die Souveränität der Ukraine als neutraler Staat respektiert.
Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Anita Köblervom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!
Grafische Übersicht und Zusammenfassung der Bewertung des rot-grünen Koalitionsvertrags für Niedersachsen 2022-2027.
Ungewöhnlich schnell und von wenig öffentlichen kritischen Störgeräuschen aus der Zivilgesellschaft begleitet hat sich am vergangenen Dienstag nur 30 Tage nach der Wahl der neue niedersächsische Landtag gebildet, ihren neuen alten Ministerpräsidenten gewählt und der rot-grüne Koalition die Regierungs- und damit Gestaltungsmacht verliehen.
Offenbar waren viele potentielle Zwistigkeiten zwischen den beiden Parteien bereits im Vorfeld und vor öffentlichem Beginn der Koalitionsverhandlungen im stillen Kämmerlein ausgeräumt worden.
Gut und vorbildlich – so bewerten die einen den Vorgang. Wenn aber die kritische Öffentlichkeit anteils- und beteiligungsfrei bleibt, dann ist das ganze nicht unbedingt wünschenswert.
Innenpolitische Themen haben es in der aktuellen Welt- und Politiklage schwerer als sonst, Aufmerksamkeit zu erhalten. Am Beispiel der Ausverhandlungen zwischen SPD und Grünen in Niedersachsen wurde das noch ein mal besonders deutlich: Viele andere Themen standen und stehen im Vordergrund – Bildung, Klima, Landwirtschaft, Geld- und Energiesorgen der Menschen. Sowohl in der allgemeinen Berichterstattung und auch im Koalitionsvertrag erhalten Fragen zum Beispiel zu Ausrichtung und Bewertung der Exekutive (i.e. Polizei und Geheimdienste) da keinen oder nur sehr wenig Raum. Wer angesichts dessen darauf hofft, dass die einstige Bürgerrechtspartei der Grünen genügend Rückgrat und Haltung beweist, auch ohne öffentlichen Druck sich ernsthaft und effektiv für Bürger- und Menschenrechte einzusetzen, die/der sah sich enttäuscht.
Wir haben einige Tage vor Beginn der (offiziellen) Koalitionsverhandlungen einen 15-Punkte-Forderungskatalog an die beiden neuen Regierungsparteien übermittelt. Das war am 21.10.2022. Eine öffentliche Reaktion oder Stellungnahme seitens der Parteien gab es – wie zu befürchten und erwarten war – nicht. Beide Parteien haben dann am 1.11.2022 ihren Koalitionsvertrag veröffentlicht – wie üblich in nicht wirklich barrierefreien pdf-Format, das zudem zunächst, obwohl es über den Webserver niedersächsischen Grünen verteilt wurde (der SPD-Niedersachsen Server war am 1.11. nicht erreichbar), den merkwürdigen Dokumententitel „Zukunftsprogramm der SPD“ trug. Nomen est omen?
einen korrigierten Titel erhielt („Koalitionsvertrag“ statt „Zukunftsprogramm der SPD“) und
deren Text nicht mehr durchsuchbar oder markierbar war.
Da solche PDFs für die politische, journalistische und zivilgesellschaftliche Arbeit quasi unbrauchbar sind, haben wir eine Kopie der alten (inhaltlich textidentischen) Version bereitgestellt:
Anhand dessen haben wir nun eine folgende vorläufige Beurteilung der anstehenden, vermutlich fünf Jahre währenden rot-grünen Regierungsarbeit erstellt. Dazu dessen Zusammenfassung übersichtlich in einer Grafik. Es macht keine bis nur wenig Hoffnung auf einen Umschwung der Landespolitik, die sich auf die Wichtigkeit von Persönlichkeits-, Bürger- und Menschenrechten rückbesinnt.
Doch im Einzelnen:
1.) Vorratsdatenspeicherung Keine Aussage/Stellungnahme im Koalitionsvertrag hierzu. Bewertung: negativ (rot)
2.) Videoüberwachung (u.a. von Polizei und im ÖPNV) Einführung eines „öffentlichen Videokatasters“ für VÜ im öffentlichen Raum. Was das bedeuten soll, bleibt unklar. Es gibt keine Aussagen zur Haltung zur/Abschaffung der flächendeckenden VÜ im ÖPNV. (Sowohl SPD als auch Grüne hatten im Vorfeld der Wahl eigentlich klar bekundet, dass flächendeckende Videoüberwachung im ÖPNV untragbar wären …) Dagegen wird das Pilotprojekt „KI-unterstützter VÜ“ in Gefängnissen beworben und soll engagiert fortgeführt werden. Gegen dieses unnötige Menschenexperiment hatten die Grünen vor der Wahl mit teils deutlichen Worten und aus unserer Sicht zurecht, opponiert. Von dieser kritischen Haltung auch in Bezug auf die anlasslose Massenüberwachung des ÖPNV ist nichts mehr zu sehen. Die CDU will diese Technik übrigens schon seit jeher auch auf den öffentlichen Raum ausdehnen … Bewertung: negativ (rot)
3.) Kfz-Kennzeichen-Scanning und Section Control Keine Aussage/Stellungnahme im Koalitionsvertrag hierzu. Bewertung: negativ (rot)
4.) Abrüstung der Polizei, Wandel der Polizeikultur Der Koalitionsvertrag atmet – im Gesamten betrachtet – eher das genaue Gegenteil davon. Kein wesentlicher Wandel in der kritikarmen Sichtweise auf die Polizeipraxis. Einführung pseudonymisierter Kennzeichnung von Polizeibeamten/-beamtinnen (nur) für geschlossene Einsätze und mit Evaluierungs-Klausel. Einrichtung einer Anlaufstelle für Beschwerden über Verwaltungshandeln (darunter fällt auch Polizeihandeln) angelehnt an Rheinland-Pfalz. Die Orientierung an diesem zahmen und zahnlosen Rheinland-Pfalz-Modell verstärkt den Eindruck, dass gegenüber der Polizei sämtliche ernsthafte zivilgesellschaftliche Kontrolle auch von dieser Landesregierung vehement abgelehnt werden wird. Nebenbei: Den Nutzen polizeilicher Überwachungstechnik (speziell Videoüberwachung, aber auch Staatstrojaner etc.) hält selbst das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Bundestag in seiner jüngsten wissenschaftlichen Studie für fragwürdig. Bewertung: negativ (rot)
5.) Reform des Nds. Polizeigesetzes NPOG Änderungen lediglich zu Details des Unterbindungsgewahrsams und kleine, nicht grundsätzliche Beschränkungen zum Einsatz von Staatstrojanern. Tatsächlich ist der präventive Unterbindungsgewahrsam in Niedersachsen inzwischen schlimmer, als die Regelung im bayerischen sog. Polizeiaufgabengesetz. Einsatz von Taser-Elektroschockern weiter wie gehabt. Es ist kein wirklicher Trost, dass nach mehreren Todesfällen in Niedersachsen im Zusammenhang mit dem Einsatz von Tasern keine Ausweitung des Einsatzes stattfinden soll. Nur kleine Änderungen zur Bodycam-Praxis. Keine grundsätzliche Kehrtwende/Reform zum NPOG erkennbar. Doch selbst die hier beschriebenen Änderungen unterstehen lediglich einer „Prüfungs“-Klausel. Heißt im Klartext: Selbst für deren tatsächliche Umsetzung will die Koalition nicht wirklich geradestehen bzw. will diese nicht garantieren … Bewertung: negativ (rot)
6.) Versammlungsrecht und -praxis Vermummung im Zuge von Demonstrationen soll wieder von Straftat zur Ordnungswidrigkeit runtergestuft werden. Neu: Zweifelhafte Einschränkungen des Versammlungsrechts bei Demos „vor Wohnhäusern“ durch die Erweiterung der Definition „besonderer Orte“ nach §8 (4) NVersG. (Zur Fragwürdigkeit bzw. potentiellen Rechtswidrigkeit solcher Verbote siehe hier.) Keine Erleicherungen bei Anmeldepraxis oder für Kleinstversammlungen. „Überarbeitung“ der Regeln für Kooperationsgespräche – eine äußerst schwammige Ansage, die wenig Hoffnung auf Besserung der Praxis macht. Bewertung: negativ bis neutral (rot/blau)
7.) Vereinfachung von Widersprüchen gegen staatlichen Verwaltungshandeln Keine Aussage/Stellungnahme im Koalitionsvertrag hierzu. Menschen in Niedersachsen sind damit auf lange Sicht und in den allermeisten Fällen gezwungen zu klagen, wenn sie Verwaltungsentscheidungen überprüfen lassen möchten. Bewertung: negativ (rot)
8.) Polizei und (a)soziale Medien Keine Aussage/Stellungnahme im Koalitionsvertrag hierzu., auch nicht zum umstrittenen Polizeimessenger NIMes. Bewertung: negativ (rot)
9.) Transparenzgesetz Ein „Transparenzgesetz“ soll kommen. „Modern und umfassend“ soll es sein. Das sind zunächst nur schöngeistige und vor allem gehaltsfreie Schönwetterankündigungen. „Alle relevanten“ Informationen sollen in ein Transparenzregister. Die Erfahrungen mit dem (dann nicht umgesetzten) ehemaligen rot-grünen Entwurf für ein Nds. Informationsfreiheitsgesetz lassen nicht viel Gutes erahnen. Allerdings enthielt der von den Grünen dann in der Opposition eingebrachte Entwurf einige deutliche Verbesserungen, etwa bei der Deckelung von Kosten oder der Verpflichtung von Behörden zur aktiven Veröffentlichung von Informationen. Es wird zu prüfen bleiben, ob ein neuer rot-grüner Entwurf diese Fortschritte bewahren oder sogar ausbauen wird oder ob er wieder auf den Stand des letzten rot-grünen Entwurfs zurückfallen wird. Bewertung: neutral (blau)
10.) Polizeiliches heimliches Eindringen in private Computersysteme, Staatstrojaner Alles bleibt im wesentlichen wie es ist (s.o.). Nur etwas Kosmetik an den Regelungen zum großen Staatstrojaner. Aber auch das nur unter dem schwammigen „Prüfungs“vorbehalt. Bewertung: negativ (rot)
11.) EU-Chatkontrolle Keine Aussage/Stellungnahme im Koalitionsvertrag hierzu. Bewertung: negativ (rot)
12.) Entspannteres Verwaltungshandeln im Zuge von Zensus und Mikrozensus Keine Aussage/Stellungnahme im Koalitionsvertrag hierzu. Bewertung: negativ (rot)
13.) Gefordertes Moratorium zum Zwangseinbau potentieller Überwachungsinfrastruktur in Wohnungen Keine Aussage/Stellungnahme im Koalitionsvertrag hierzu. Bewertung: negativ (rot)
14.) Bargeld-Garantie Keine Aussage/Stellungnahme im Koalitionsvertrag hierzu. Bewertung: negativ (rot)
15.) Werbefreiheit im öffentlichen Raum Keine Aussage/Stellungnahme im Koalitionsvertrag hierzu. Bewertung: negativ (rot)
Fazit:
Es ist angesichts dieses Abgleichs nicht viel zu erwarten. Der seitens der Grünen versprochene Aufbruch ist es jedenfalls nicht. Für die SPD mag es ein Zukunftsprogramm sein. Für die Grünen kann es diesen Anspruch nicht erfüllen.
Netanjahus Verbündete, die Orthodoxen und Nationalreligiösen, verstärken die zionistische Sackgasse
Benjamin Netanjahu hat seine “natürlichen politischen Verbündeten”. So nennt er sie. Als Vorsitzender und langjähriger Führer der Likud-Partei sollte man annehmen, dass diese Verbündeten unter den zionistisch gefestigten, militärisch-sicherheitsmäßig versierten und ökonomisch kapitalistisch ausgerichteten Elementen in der israelischen Parteienlandschaft zu suchen seien. Dem ist aber nicht so. Seine “natürlichen Verbündeten”, die ihm beim gerade abgelaufenen Wahlgang wieder an die Macht verholfen haben, sind die Schas-Partei, Hazionut Hadatit und Yahadut Hatora.
Schas ist die Partei der orthodoxen Juden orientalischer Provenienz. Yahadut Hatora ist die Parteienvereinigung der orthodoxen aschkenasischen Juden. Hazionut Hadatit ist das Parteienkonglomerat der nationalreligiösen Juden. Zwei dieser Parteien (Schas und Yahadut Hatora) sind ihrem Bekenntnis nach nicht- bzw. antizionistisch (über den Zionismus der nationalreligiösen Partei soll weiter unten gesondert geredet werden). Schas und Yahadut Hatora verweigern den Militärdienst (man hat für sie gesonderte Lösungen gefunden, die aber nichts an ihrem Grundpostulat ändern). Es sind auch Parteien, deren Klientel weitgehend von den Subventionen des Staates lebt, das mit dem kapitalistischen Arbeitsmarkt also herzlich wenig zu schaffen hat.
Verhältnis von Staat und Religion im Zionismus Wie erklärt sich das? Und was besagt das über die israelische Gesellschaft, dass dem so ist? Um dies zu beantworten, sei hier ein historischer Blick auf das Verhältnis von Staat und Religion im Zionismus bemüht. Der Zionismus ist bekanntlich ursprünglich ein Erzeugnis der Geschichte Europas im 19. Jahrhundert, genauer: der westlichen Nationalstaatsbildungen. Der größte und erbittertste Gegner des Zionismus war das orthodoxe Judentum. Der Grund war theologisch: Da nach orthodoxem Glauben ein Staat (bzw. Königreich) Israel erst bei der Ankunft des Messias errichtet werden darf (bevor er ankommt, haben die Juden im Diaporischen zu verharren und die Ankunft zu ersehnen), ist die eigenmächtige Initiative des politischen Zionismus, einen Staat gründen zu wollen, ein Frevel gegen Gottes Willen. Entsprechend bestand zwischen dem aktiv die Gründung eines jüdischen Staates fördernden Zionismus und dem Messianismus, dem dieser “verfrühte” Aktionismus als unverzeihliche Sünde gilt, ein von Feindseligkeit und Ressentiment durchwirkter Gegensatz.
Eine versöhnende Synthese zwischen Zionismus und Messianismus bot die Lehre von Rabbi Avraham Isaac HaKohen Kook. Kurz gefasst besagte sie, dass zwar der messianische Gedanke unbedingt erhalten werden müsse, dass er sich aber offenbar bereits zu verwirklichen beginne, und zwar mit der historischen Heraufkunft des Zionismus. Was also dem Messianismus als die größte zu bekämpfende Drohung gegolten hatte, wurde nunmehr zum Kriterium seiner geschichtlichen Wahrhaftigkeit erhoben. Eine regelrechte Quadratur des Kreises. Das war die Geburtsstunde der nationalreligiösen Bewegung im Zionismus, die als Partei nach der Staatsgründung einen getreuen Verbündeten der viele Jahre regierenden Arbeiterpartei stellte.
Dass die Religion überhaupt einen Eingang in den sich säkular-sozialistisch dünkenden Zionismus in seinen Anfangsstadien gefunden hat, war strategischen Überlegungen der zionistischen Führer, allen voran David Ben-Gurion, zu verdanken. Denn was konnte den positiven gemeinsamen Nenner der in aller Herren Länder verstreuten jüdischen Gemeinden abgeben, wenn nicht die Religion?
Man muss sich das vor Augen halten: Lebensweltlich, ethnisch und kulturell hatten diese Gemeinden so gut wie nichts miteinander gemeinsam. Das galt nicht nur für aschkenasische und orientalische (bzw. sephardische) Juden, sondern auch für deutsche Juden und polnische “Ostjuden” in der “aschkenasischen” Sphäre. Man denke nur an das “herzliche Willkommen”, das die den Pogromen entkommenen Juden aus Osteuropa bei ihrer Ankunft in Berlin seitens des deutsch-jüdischen Bürgertums erfuhren. Nicht von ungefähr erkor der Zionismus Palästina als das biblische Eretz Israel zu seinem nationalen Territorium und Hebräisch als Sprache der Heiligen Schrift zu seiner Nationalsprache. Die von der zionistischen Ideologie eigentlich ausgesparte Religion (es war ja das halachische Judentum, das man mit dem Postulat der Diaspora-Negation meinte) wurde wieder durch die Hintertür in den Zionismus eingelassen.
Die antizionistischen orthodoxen Juden lebten in Israel seit der Staatsgründung in einer Art selbstgewählten Ghetto, in welchem sie sich religiös, kulturell und lebensweltlich nach altem diasporischen Brauch erhalten durften. Dies ermöglichte sich zum großen Teil durch eine massive Staatsfinanzierung, welche Vertreter der Orthodoxen in der Knesset erwirkten. Die in den 1980er Jahren gegründete Schas-Partei war eine Bildung der aschkenasischen Orthodoxen, die die orientalischen Orthodoxen in die Knesset schickten, um sich politisch zu betätigen. Die Karriere dieser Partei ist in der Tat bemerkenswert. Seit ihrer Gründung hat sie sich mehr oder minder konstant erhalten, ist bei den letzten Wahlen gar erstarkt.
Die Nationalreligiösen und die unmittelbar bevorstehende Ankunft des Messias
Die Nationalreligiösen durchliefen eine eigene (im Hinblick auf die israelische Politik höchst gravierende) Metamorphose. Die Mafdal, wie sie ursprünglich hieß, war zunächst eine moderate Partei, die sich an Kooks Lehre orientierte, ohne aber aktionistisch zu werden. Das änderte sich schlagartig nach dem 1967er Krieg und der Eroberung des Westjordanlandes. Denn nun vermeinte man, die unmittelbar bevorstehende Ankunft des Messias gewahren zu dürfen – hatte man doch mit der Westbank das “Land der Urväter” in Besitz genommen. Das galt den Nationalreligiösen von nun an als das zu besiedelnde “gottverheißene Land”; die Besiedlung war ihrem Glauben nach kein Nice-to-have, sondern ein strenges göttliches Gebot. Entsprechend waren ihnen die besetzten Gebiete fortan kein Mittel bei künftigen politischen Verhandlungen zur Lösung des Konflikts mit den Palästinensern, sondern ein unverhandelbarer heiliger Besitz – die Rückgabe der besetzten Gebiete ein Sakrileg.
Aber auch unter den Orthodoxen bewegte sich einiges in den letzten zwei, drei Jahrzehnten. Eine bestimmte Strömung in ihnen “nationalisierte” sich in ihnen gleichsam, nahm also auch eine gewisse zionistische Couleur an. Die sogenannten “nationalorthodoxen Juden” bildeten, wenn man will, eine Art Ableger jener oben beschriebenen Quadratur des Kreises. Sie gehören heute zu den gewalttätigsten unter den Siedlern, fühlen sich mithin durch den Kahanismus befeuert.
Die nunmehr 50jährige Siedlungsemphase hatte also ihren Hauptanker in den aktivistischen Nationalreligiösen (und Nationalorthodoxen), die sich aber auch der (säkularen) Großisrael-Ideologie der Likud-Partei verschwistert wussten. So kamen zwei zentrale Mächte der israelischen Politik zusammen bei der Genese der zionistischen Sackgasse (Israel will keine Gebiete für den Frieden zurückgeben, bildet sich aber zugleich zum Apartheidstaat, indem er den von ihm besetzten Palästinensern keine Rechte zugestehen möchte): Die den Siedlerkolonialismus vorantreibenden Nationalreligiösen, die – intensiver als jede andere Partei – den religiösen Faktor in die politische Kultur Israels eingebracht und verfestigt haben; und die seit 1977 fast durchgehend regierende Likudpartei, die die Faschisierung der israelischen Gesellschaft bis zum heutigen Tag fördert und praktiziert.
Man vergesse aber nicht: Es gab seit 1967 keine einzige israelische Regierung, die sich der Ausbreitung der Siedlungspraxis in den besetzten Gebieten enthalten hätte. Gesiegt hat allerdings neben der ideologischen Ausrichtung vor allem die Demographie. Der Anteil der Religiösen in der israelischen Gesellschaft hat sich drastisch vergrößert. Nicht von ungefähr sieht der berechnende Netanjahu in ihnen seine “natürlichen Verbündeten”. Was sie gemeinsam in der “einzigen Demokratie im Nahen Osten” anrichten werden, wird man sehr bald schon beobachten können.
„…Sie gehören heute zu den gewalttätigsten unter den Siedlern …“
Das ist es, was mich immer wieder verwundert, ja entsetzt. Ein Land, das sich christlich nennt, darf andere Menschen nicht verfolgen, verachten, unterdrücken usw. Wenn es das tut, ist das Christentum weit, weit abwesend! Die, die es trotzdem tun, sind schlimmste Heuchler und sollten jederzeit als solche gebrandmarkt werden. Im Judentum, im Islam etc, sollte es nicht anders sein. Ich habe zwar keine großen Kenntnisse des Judentums (an dieser Stelle ein großes Lob für den Autor für seine Ausführungen!), glaube aber nicht, dass das Judentum in seiner ursprünglichen Form menschenverachtend ist. Deswegen überzeugen mich die die gewalttätigen Strömungen im Judentum ebensowenig wie die im Islam, im Christentum oder sonstwo. Es sind schlimme Fanatiker&Sektierer, die sich da zu Wort melden und ihre Religion missbrauchen. Ich behaupte, dass deren religiöse, moralische oder philosophische Bedeutung gegen Null geht. Dass sie eine reaktionäre Politik mitverfolgen, ist unverzeihlich.
An dieser Stelle muss auch den Feinden aller Religionen widersprochen werden, die immer wieder ihr Gelaber loslassen. Sie verwechseln – wahrscheinlich bewusst- die Lehre und das, was Menschen daraus machen. Aber, oberflächlich und möglichst ignorant betrachtend, lässt es sich eben leicht überheben und urteilen.
Was gehört zur Definition „moderne Demokratie“? Neben Gewaltenteilung sowie freien, allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlen
– Trennung von Staat und Kirche – ziviles Ehe- und Familienrecht
Trendsetter in diese Richtung waren in Europa ausgerechnet zwei Persönlichkeiten mit einem ausgesprochen autokratischen Regierungsverständnis: Napoleon Bonaparte und Fürst Otto von Bismarck. Die Verquickung von Staat und Religion haben sie allerdings nicht vollends aufheben wollen/können. Preussen war ein stockprotestantischer Staat und Napoleon mochte nicht auf päpstliche Legitimation verzichten.
Israels Gründungsväter blieben beim Staatsgründungsprojekt dem Religionsbezug als einziger kultureller Klammer der verschiedenen Strömungen im Diaspora-Judentum verhaftet. Vielleicht hatten sie keine andere Wahl. Oder sie blieben in europäischen Denkmustern befangen. Die Folgen dessen zeigen sich neben der Innen- und Außenpolitik heute im Rechtsalltag der Bürger, egal wie gläubig oder säkular sie eingestellt sein mögen:
„Im Gesetz über die Jurisdiktion rabbinischer Gerichte von 1953 heißt es hierzu: „1. Heirat und Scheidung zwischen jüdischen Bürgern oder Einwohnern von Israel sind unter alleiniger Jurisdiktion der rabbinischen Gerichte. 2. Heirat und Scheidung von Juden in Israel müssen nach jüdischem Religionsgesetz stattfinden.“ [https://de.wikipedia.org/wiki/Religionen_in_Israel#Eheschlie%C3%9Fung_und_Scheidung]
In der Praxis heißt das für scheidungswillige jüdische Frauen, dass sie vom guten Willen des Ehemannes abhängen, ob sie den Scheidungsbrief erhalten. Weigert sich dieser, können die Rabinatsgerichte mit Befugnissen gegen den Unwilligen einschreiten, die in der EU staatlichen Gerichten und Behörden vorbehalten sind. [https://www.welt.de/politik/ausland/article154204735/Warum-im-modernen-Israel-Frauen-angekettet-werden.html]
Der politische Einfluss der verschiedenen orthodoxen Strömungen in Israel wächst. Sind die säkularen Kräfte im Begriff, vollends unter die Räder zu kommen? Wandelt sich Israel in den kommenden Jahrzehnten zu einer Religionsdiktatur, im schlimmsten Fall zu einer Theokratie?
unser Kommentar: Zitat: “..einzige Demokratie im Nahen Osten..” (Zitatende), wer ist das? Israel das Besatzungsrecht gegen Teile der eigenen Bevölkerung ausübt, kann damit nicht gemeint sein.
13.11.2022
„Wer hätte das denn ahnen können…?“ – Aufarbeitung der Corona-Skandale ist ein „Nachtreten“
nachdenkseiten.de, 11. November 2022 um 12:16
Ein Kommentar von: Tobias Riegel
Zitat: Der Umgang mit Kindern und Jugendlichen war einer der schlimmsten Aspekte der Corona-Politik. Die Folgen für diese Gruppen und die Gesellschaft sind fatal. Nun wird so getan, als habe man den Charakter dieser Politik „im Eifer des Gefechts“ nicht einschätzen können. Wenn jetzt Verantwortliche für die schweren begangenen Fehler benannt würden, sei das ein „Nachtreten“, so aktuelle Medienkommentare.* So soll eine echte Aufarbeitung der im Namen von Corona verfolgten Irrwege weiter verzögert werden. Dadurch wird aber einer möglichen Wiederholung des Desasters der Weg bereitet.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Zur Einstimmung einige mindestens indirekte Folgen der Corona-Politik (nicht des Virus) für Kinder und Jugendliche, die so gravierend sind, dass sie sogar von Mainstreammedien aufgegriffen wurden. Diese Liste ist sehr unvollständig: Die Zahl der Kinder mit Sprachstörungen hat sich erhöht. Junge Mädchen erhalten deutlich mehr Antidepressiva. Mehr Kinder und Jugendliche leiden an Fettleibigkeit, an Ess- und Angststörungen. Viele Kinder können mutmaßlich auch wegen der Masken „einfachste Gesichtsregungen des Gegenüber“ nicht deuten. Die Corona-Politik hat allgemein die Bildungsprobleme verschärft und allgemein die psychische Verfassung der Gesellschaft beschädigt, was wiederum auf Kinder und Jugendliche zurückfällt. Die Zahl der Suizidversuche von Kindern hat sich drastisch erhöht.
„Besserwisserei und Nachtreten“
Nun wird von vielen Akteuren in Politik und Medien, die mitverantwortlich für Corona-Maßnahmen gegen Kinder und Jugendlichen waren, so getan, als sei man völlig überrascht, dass die oben aufgezählten Symptome jetzt auftreten – als seien diese also nicht absolut voraussehbare Folge von Schul- und Kita-Schließungen, von Bewegungs- und Kontaktverbot, von Maskierung und Panikmache. Aus dieser „Überraschung“ soll wohl teilweise eine Unschuld für die Akteure der Corona-Kampagnen indirekt abgeleitet werden. Beispielhaft seien hier zwei Kommentare aus FAZ und „Süddeutscher Zeitung“ (SZ) erwähnt, zu „neuen Erkenntnissen“ bezüglich der Kita-Schließungen. In der SZ ist zu lesen:
„Es ist natürlich leicht, jetzt, im Nachhinein die Nase zu rümpfen und zu schimpfen. Doch vernebeln Vorwürfe den Blick auf das, was eigentlich in solchen Studien zu lesen ist; und, fast noch schlimmer, welche sinnvollen Schlüsse man daraus für die Zukunft ziehen könnte. (…) Und damit wird deutlich, dass es besser wäre, Wissenschaft nicht für Besserwisserei und Nachtreten zu missbrauchen, sondern als Chance für die Zukunft zu begreifen.“
„Hinterher ist man immer klüger. So zeigte die Corona-Kita-Studie in der vergangenen Woche, dass Kleinkinder keine Treiber der Pandemie waren. Die Kita-Schließungen waren somit ein Fehler, nicht im Sinne des Kindeswohls – und das steht, so hat es der Expertenrat bereits im vergangenen Februar konstatiert, bei Maßnahmen, die Kinder betreffen, an erster Stelle. (…) Daraus aber, wie es in „Querdenker“-Kreisen passiert, gleich wieder ein Versagen der Corona-Politik abzuleiten ist zu simpel. Eine Pandemie trifft die gesamte Gesellschaft, egal ob Kita-Kind, Büroangestellte oder Pflegeheimbewohnerin. Wer noch immer einzelne Bereiche isoliert betrachtet, hat in der Pandemie nichts gelernt. Hinterher ist man immer klüger – aber nur, wenn man sich auch die Mühe macht, etwas zu lernen.“
Wer hätte das denn auch ahnen können…???
„Hinterher ist man immer klüger”: Wer hätte denn auch ahnen können, dass es Kindern nicht gut tut, wenn man sie einsperrt, maskiert und ihnen Angst und Schuldgefühle einjagt? Ein Politikversagen einzugestehen, ist darum nicht nötig, trotz der unfassbaren Folgen dieser Politik: Die Formel von den hektisch veranlassten Maßnahmen gegen die Kinder, die durch die Hektik des Augenblicks diktiert worden seien, soll die Mitarbeit an einer monatelangen Panikkampagne indirekt rechtfertigen. Wer dagegen argumentiert, tritt besserwisserisch und hämisch nach.
Die These mit dem Nachtreten hat einen vorläufigen Tiefpunkt bereits vor einiger Zeit in einem Beitrag beim Bayerischen Rundfunk Kultur zu der Aktion „Ich habe mitgemacht“ erreicht: In dem nun nicht mehr auffindbaren Artikel wurde etwa gefragt, „warum Corona-Leugner immer noch Hass säen“ würden. Unter dem Hashtag #IchHabeMitgemacht „tobt der Twitter-Mob und fordert einen Pranger für alle, die er für die Corona-Politik verantwortlich macht“. Nun kämen „die Trolle noch mal aus ihren Twitter-Löchern heraus“. Die „Corona-Leugner und Impfgegner“ hätten erkennen müssen, sie seien „Eckensteher und Mauerblümchen“, die nicht gemocht würden.
#IchHabeMitgemacht sei ein Nachtreten, die Macher würden „lieber pöbeln als nachdenken, lieber an den Pranger stellen“ als „Trauern um die Toten“.
Dass die nun vielzitierte „Unwissenheit“ zu den Wirkungen der Corona-Maßnahmen durch Unterlassung von wichtigen Datenerhebungen mutmaßlich vorsätzlich verlängert wurde, haben die NachDenkSeiten etwa hier oder hier beschrieben. Diese mutmaßlich hergestellte „Unwissenheit“ dient nun auch als eines der Argumente der Entlastung für die Akteure der Corona-Kampagnen: „Wer hätte das denn auch ahnen können…??“
Das ist ein zusätzlicher und sehr unsympathischer Aspekt der Corona-Episode: Dass sich nun viele der Akteure wegducken, die bei den Panikkampagnen mitgemacht haben – und das, obwohl sie für sich aus diesem Mitmachen die (vorübergehend) populäre Pose des für „die Wissenschaft“ und „die Solidarität“ streitenden Virusbekämpfers abgeleitet hatten. Dass diese auf vielen Feldern zerstörerische Politik auch noch teilweise als „links“ verteidigt wurde, ein Protest dagegen also „rechts“ sei, ist zusätzlich grotesk.
Strenger Kurs gegen die Kinder
Dass Schul- und Kita-Schließungen nicht die einzigen Vergehen waren, die im Rahmen der unangemessenen Corona-Politik an den Kindern und Jugendlichen verübt wurden, hat etwa die Webseite „Coronadok“ in diesem Artikel beschrieben (ebenfalls noch unvollständig), weitere Artikel zum Thema finden sich unter diesem Text. Dass der kinderfeindliche Kurs, den die Gesellschaft auf Drängen der Akteure der Corona-Kampagnen eingeschlagen hat, teilweise bis heute fortbesteht, hat die „Welt“ kürzlich in diesem Artikel beschrieben.
Fatal ist auch, dass die Kinder und Jugendlichen mit den Lehrerverbänden nicht etwa eine Lobby haben, sondern ihre Bedürfnisse von diesen besonders missachtet werden: Noch Ende September forderten diese Verbände eine Maskenpflicht für Grundschüler.
Wiederholung verhindern!
Ein ähnliches Versagen vieler gesellschaftlicher Gruppen wie während der Corona-Politik müsste für die Zukunft unbedingt verhindert werden: Das Desaster des verbreiteten Opportunismus darf sich nicht wiederholen! Darum, und für eine gesellschaftliche Versöhnung, wäre eine strenge Aufarbeitung von politischen und medialen Skandalen aus dieser Zeit wichtig – aber die wird wahrscheinlich verhindert werden, weil viele Instanzen mit wirksamer Reichweite bei den Kampagnen mitgemacht haben und sich mit einer Aufarbeitung selber belasten würden.
* Aktualisierung, 11.11.2022: An dieser Stelle war ursprünglich der zu starke Ausdruck „Zivilisationsbrüche“ verwendet worden.
Die selbsternannten "Querdenker" werden mit vielen Begriffen belegt: Schwurbler, Rechte, Covidioten. Ein genauerer Blick zeigt: Diese Gruppe ist divers, vereint durch einen gemeinsamen Feind: den Staat.
Dass Homöopathen, Anthroposophen und Esoteriker neben Rechten marschierten, hat manche überrascht. Beobachter der rechten Szene jedoch nicht. Macht eine alternative Lebenseinstellung anfällig für rechtes Gedankengut?
Oder ist das doch eine Erfindung der "Mainstream-Medien"? Und wie geht das alternative Milieu mit dem Vorwurf um, am rechten Rand zu stehen?
Da zündet einer die Häuser seiner Nachbarn an. Aber man wirft ihm nicht Brandstiftung vor, sondern dass er Frauen und Homosexuelle diskriminiere. Genau so präsentiert sich der Fall Katar.
Zitat: Im September und Oktober 2017 sagte Hamad bin Jassim Al Thani, der ehemalige Premier und Aussenminister von Katar, im staatlichen Fernsehen des Emirats (nicht auf dem Sender Al Jazeera), Katar und Saudiarabien hätten zusammen mit den USA den Regimewechsel in Syrien betrieben:
«Alles lief über die Türkei, in Koordination mit den USA, den Türken und unseren saudischen Brüdern, alle waren über ihr Militär daran beteiligt.»
Al Thani nahm kein Blatt vor den Mund. Er selbst sei im Frühling 2011 nach Damaskus gereist und habe Assad 15 Milliarden Dollar angeboten, wenn er sich vom Iran distanziere. Da Assad ablehnte, habe man zusammen mit den Saudis die geplante Intervention in Syrien eingeleitet (vgl. z.B. Michel Raimbaud: Les guerres de Syrie, S. 158 ff.).
«Katar und Saudi-Arabien waren verantwortlich für die Finanzierung und Bewaffnung», erklärte Al Thani. Die Arabische Liga habe sich mit Propaganda begnügt. Den syrischen Medien wurde z.B. der Zugang zu Arabsat und anderen Satelliten gesperrt. Allein die katarische Herrscherfamilie Al Thani habe mehrere Milliarden Dollar ausgegeben, um den Aufstand zu finanzieren, sagte der Scheich. Deserteure der syrischen Armee seien mit hohen Summen belohnt worden. In einem Interview mit der BBC beschreibt Al Thani in Details, wie die militärischen Operationen, der Nachschub und die gesamte Logistik in Jordanien und auf dem türkischen NATO-Stützpunkt Incirlik koordiniert wurden. Die Geheimdienste der USA, Frankreichs, Grossbritanniens, der Türkei und Jordaniens arbeiteten zusammen, um die syrische Regierung zu stürzen.
Was man dem weltweit zweitgrössten Gaslieferanten Katar also tatsächlich hätte vorwerfen können, ist ein Völkerrechtsverbrechen: nämlich Unterstützung und Finanzierung eines Angriffskrieges. Dass dieser vom Westen geplant war, wurde zwar schon öfter bestätigt, aber selten so lapidar eingestanden.
Hat man von all dem in den letzten Monaten etwas im Blätterwald vernehmen können? Kein Wort. Stattdessen arbeitet sich eine emsige Journaille ohne Unterlass daran ab, zu beweisen, dass in Katar Frauenrechte und Rechte von LGBTQ-Minderheiten verletzt werden. Der Befund steht seit zehn Jahren fest und wird seitdem ständig wiederholt: Einem politisch dermassen unkorrekten Land wie Katar darf das weltweit grösste Sportereignis nicht anvertraut werden. ZEIT-online schreibt: «Katar gilt als eines der umstrittensten Gastgeber-Länder in der WM-Geschichte. Dem Emirat werden Verstösse gegen Menschenrechte, schlechter Umgang mit ausländischen Arbeitern und mangelnde Frauenrechte vorgeworfen.»
Und der Versuch, mit Milliarden Dollar einen Regime Change in einem Nachbarland herbeizuführen? Daran hatten und haben unsere grossen westlichen Medien nichts auszusetzen. Imperiale Strategien der USA und ihrer Verbündeten sind politisches Routinegeschäft. Man will nur das sehen, was man sehen darf, ohne Probleme zu bekommen und sich in Widersprüchen zu verstricken. Wegen einer WM in Katar wird man sich nicht mit Washington anlegen.
Denn Uncle Sam war zwar wütend, dass die Weltmeisterschaft nicht an die USA vergeben wurde und Staatsanwältin Loretta Lynch liess nichts unversucht, um der FIFA an den Karren zu fahren. Der FIFA wohlgemerkt, nicht aber Katar. Denn Al-Udeid bei Doha ist der wichtigste Luftwaffenstützpunkt der Amerikaner und Briten im Mittleren Osten, und was von dort aus so alles seit dem Afghanistan-Krieg betrieben wurde, das will man nicht an die grosse Glocke hängen.
Nicht jetzt, nicht im Ukraine-Krieg, und nicht in den Midterms in USA. Der Meutenjournalismus hält es mit den drei Affen: nichts hören, nichts sehen und nichts sagen. Hingegen wird mit grossem Marktgeschrei verbreitet, was politisch korrekt daherkommt und Applaus garantiert. Mit Unfallstatistiken auf der WM-Baustelle hat man die Parteien und die Gewerkschaften auf seiner Seite, und mit Genderthemen und Frauenrechten ist ebenfalls leicht öffentliche Erregung zu machen. So das Kalkül.
Zumindest beim Baustellen-Hype ging der Schuss nach hinten los. Unsere Zeitungen fütterten grosse Schlagzeilen mit mutmasslichen Tausenden von Unfalltoten unter den Arbeitsmigranten auf WM-Baustellen, wobei kein Mittel der Manipulation zu fragwürdig erschien. Findige Investigative hatten die Zahlen der aus Katar ausgeführten Särge und andere Statistiken über Todesfälle interpoliert, um auf horrende Zahlen zu kommen. Die Schweizer Gewerkschaft Unia, die dem Thema in Katar nachging und die WM-Baustellen besuchte, fand heraus, dass es weitgehend substanzlose Behauptungen waren. Ihre Vertreterin sprach kürzlich in der SF-Tagesschau von «drei Toten» beim Stadionbau, also weniger als der vergleichbare Durchschnitt in der Schweiz.
Was den Krieg in Jemen angeht, so ergibt sich das gleiche Bild: Katar gehörte zu der Militärallianz, die unter Führung von Saudiarabien 2015 begann, den Jemen zu bombardieren. Für unsere Journalisten kein Grund, Katar als unseriöses Gastgeberland einzustufen. Die USA und ihre NATO-Verbündeten unterstützten diesen Angriffskrieg, um letztlich den Iran einzudämmen und den Öltransport durch die Meerenge von Bab-al-Mandab zu sichern.
Wenn Katars WM-Botschafter Anfang November in einem ZDF-Interview Homosexualität als «damage in the mind» bezeichnet, sehen Westeuropas Medien Feuer im Dach. Die 370’000 Toten in Jemen und die weltweit schlimmste humanitäre Krise scheinen dagegen, wo es um Katar und die Weltmeisterschaft geht, kein Argument von Interesse.
Die Gründe für das grosse Schweigen über die Aussenpolitik von Katar liegen auf der Hand. Sassen sie doch alle im selben Boot, als der Syrienkrieg begann: die USA, ihre NATO-Alliierten, die Golfemirate, der Westen mit seinen Medien, seinen Think Tanks und prominenten Hilfswerken und Menschenrechts-Organisationen.
Ein grosses Wehklagen über Verletzung der Menschenrechte stieg zum Himmel. Da war – wie in Afghanistan, im Irak, in Libyen – erneut die Weltgemeinschaft gefordert, um Syrien auf den Weg der Demokratie zu führen. Und diese International Community hatte auch einen Namen: Sie hiess Hillary Clinton, Barak Obama, David Cameron, François Hollande und ihre «Freunde des syrischen Volkes».
Diese Freundesgruppe wollte unter dem Kommando der Neokons in Washington in Syrien Regime Change machen, um einen Korridor frei zu haben für den Aufmarsch gegen den Iran.
Assad schiesst auf sein eigenes Volk, so hiess der Textbaustein, auf den kein News-Moderator verzichten wollte. Die Frage, auf wen eigentlich die Dschihadisten aus weit mehr als 50 Nationen schossen, die in Syrien christliche Madonnenbilder zerfetzten, wurde in unseren Zeitungen kaum gestellt. Die Kopfabschneider, die in westlichen Medien als «Rebellen» gefeiert worden waren, kassierten Petrodollar aus Saudiarabien und Katar.
Der in der arabischen Welt wegen seiner Unerschrockenheit geschätzte katarische Sender Al Jazeera wurde mit Beginn des Syrienkrieges zum Lautsprecher der «Rebellen» umfunktioniert. Integre Journalisten, wie der Berliner Korrespondent Aktham Suliman, warfen das Handtuch und verliessen den Sender (Aktham Suliman: Krieg und Chaos in Nahost. Eine arabische Sicht. Frankfurt 2017)
Fakten Verschweigen wird immer öfter zur Methode der Meinungsmanipulation
Der ganze Katar-Menschenrechtshype ist in zweierlei Hinsicht Heuchelei. Wenn tatsächlich Menschenrechte und Völkerrecht die Kriterien wären, nach denen Sportanlässe an ein Gastland vergeben werden, dann hätten wir ein Problem. Denn von den 193 Regierungen dieser Welt ist wohl die Mehrheit der Meinung, dass weder die USA noch ihre Nato-Freunde eine saubere Weste haben. Die von den Nato-Staaten geführten oder unterstützten Angriffskriege in Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien oder Jemen mit ihren Millionen von Toten und Flüchtlingen sind in den Augen der meisten Menschen in Afrika, Asien und Lateinamerika schlimmere Vergehen als die Diskriminierung von Frauen und Homosexuellen in einem Land wie Katar.
Katar hat aber teilgenommen an diesen Kriegen, meist sogar als militärische und logistische Drehscheibe der USA. Die zweite Heuchelei besteht darin, dass unsere Medien dies verschweigen, und heute so tun, als sei ein LGBTQ-Problem das Handicap, das Katar zu einem «zweifelhaften Gastgeber» eines internationalen Sportereignisses machten.
Ex FIFA-Präsident Sepp Blatter sagte diese Woche im «Tagesanzeiger» sowie in einem Dokumentarfilm des Schweizer Fernsehens, Ex-UEFA-Präsident Michel Platini habe ihn 2010 angerufen mit der Information, er sei bei einem Essen im Elysee von Staatspräsident Sarkozy gebeten worden, zu schauen, was er bei der WM-Vergabe «für Katar tun könne.»
Die FIFA-Ethikkommission kam später zu dem Ergebnis, dass bei der Abstimmung FIFA-Funktionäre bestochen wurden. Einige Wochen nach der Vergabe der WM 2022 an Katar wurde Platinis Sohn Laurent Europa-Chef der «Qatar Sports Investments», und sechs Monate später kaufte Katar französische Kampfflugzeuge für 14.6 Milliarden Dollar. Platini sagte im Westschweizer Fernsehen in schöner Offenheit (vgl. SRF1 Dok-Film 10. Nov 2022), an besagtem Essen habe der Kronprinz von Katar teilgenommen, aber er, Platini, sei nicht direkt gebeten worden, sich für Katar einzusetzen:
«Ich kenne die Kataris seit dreissig Jahren. Mir muss kein Staatspräsident sagen, ich sollte etwas für Katar tun.»
Das Emirat Katar teilt sich mit dem Nachbarn Iran das South-Pars-Gasfeld unter dem Wasser des Persischen Golfs. Das Vorkommen hat mehr gewinnbare Gas-Reserven als alle anderen Felder der Welt zusammen. Mit den Erlösen aus dem Gasexport kauft sich die Qatar Investment Authority in westlichen Firmen ein. In der Autoindustrie, in Banken, in der Telekommunikation, im Transportwesen, in Seehäfen und nicht zuletzt im Fussballclub Paris Saint Germain.
Wenn Katar den Zuschlag für die WM bekommen hat, dann geschah dies nach dem Gesetz, das den Fussball regiert: Big Money. Eine Sportart, in der die Spieler seit langem gehandelt werden wie Aktien, wird sich kaum des hohen Ethos der olympischen Idee erfreuen.
Die Al Udei Air Base in Katar, die vor allem von der US Air Force, der British Air Force und der Australian Air Force frequentiert wird . Es ist die gösste US Air Base im Nahen Osten. (Photo Public Domain)
Meinungen in Beiträgen auf Globalbridge.ch entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Siehe auch: «So leiden in Syrien die Menschen unter den westlichen Sanktionen» von Karin Leukefeld auf Globalbridge.ch
Der Streit, der mit einem Vortrag von Gabriele Krone-Schmalz in Köln in Fahrt kam, geht in die nächste Runde. Die Autorin hat Anwälte eingeschaltet.
Darf man über die umstrittene Autorin Gabriele Krone-Schmalz sagen, dass sie fernab der Wissenschaft als Verteidigerin Putins auftritt? Das klären jetzt die Juristen. Die ehemalige ARD-Journalistin hat ihre Anwälte gegen die Osteuropa-Historikerin Franziska Davies eingeschaltet.
Davies hatte Krone-Schmalz vor einem Vortrag in Köln für ihre Positionen zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine unter anderem bei Twitter und in einem t-online-Artikel kritisiert: Krone-Schmalz sei "eine langjährige und vehemente Verteidigerin des verbrecherischen Putin-Regimes".
"Ich soll meine Kritik nicht mehr öffentlich äußern"
Die Anwaltskanzlei Höcker aus Köln vertritt Krone-Schmalz und hat Davies, die in München zu osteuropäischer Geschichte forscht, eine strafbewehrte Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung geschickt. Im Klartext: "Ich soll meine Kritik nicht mehr öffentlich äußern – und außerdem knapp 2.500 Euro für ihre Anwälte zahlen", sagt Davies.
Bis zum 19. Oktober hätte Davies auf die Forderungen eingehen sollen. In dieser Zeit haben Davies' Anwälte ein Schreiben an die Kanzlei Höcker geschickt, das t-online exklusiv vorliegt. "Mein Anwalt hat mir auf den ersten Blick gesagt, dass meine Aussagen von der Meinungsfreiheit gedeckt sind."
Krone-Schmalz habe sich "für die Beachtung der Meinungsfreiheit stark gemacht"
In der Erwiderung bezeichnen Davies' Anwälte Lucas Brost und Yannick Hoppe die beanstandeten Wortmeldungen als "zulässige Meinungsäußerung". "Dies sollte eigentlich auch ihre Mandantin erkennen, die sich in den vergangenen Jahren für die Beachtung der Meinungsfreiheit starkgemacht hat."
Dass Krone-Schmalz in ihren Büchern "sämtliche Experten ignoriert" habe, "die journalistisch und wissenschaftlich zu Russland gearbeitet haben", sei Davies' Meinung, schreiben die Anwälte. Krone-Schmalz habe "genügend Anlass dazu gegeben, zu eben dieser Bewertung zu kommen".
"Dafür habe ich Zeugen"
"Die Verwendung des Wortes 'sämtliche' mag eine Zuspitzung seitens unserer Mandantin darstellen, die aber im wissenschaftlichen und politischen Diskurs ausdrücklich erlaubt ist." Auch zu Davies' Aussage, Krone-Schmalz sei "bestens mit dem verbrecherischen Regime Putins vernetzt", gebe es ausreichend Anlass.
In einem Tweet vom 17. September hatte Franziska Davies darüber hinaus geschrieben, Krone-Schmalz hätte bei einem Vortrag in München aus dem Jahr 2018 "nachweislich gelogen". Unter anderem soll Krone-Schmalz behauptet haben, auf der Krim sei es 2014 nicht zu Menschenrechtsverletzungen gekommen.
Auch das werde sie nicht zurücknehmen, so Davies, denn: "Dafür habe ich Zeugen." Die, so schreiben es Brost und Hoppe, seien bereit, dies auch eidesstattlich zu bekunden. "Wir können unserer Mandantin daher nicht empfehlen, die von Ihnen geforderte Unterlassungserklärung abzugeben."
Anwälte sprechen von "schlichten Lügen"
Und nun? "Die Mandantin hat gehofft, Frau Davies könnte die Abmahnung zum Anlass nehmen, ihre Cancel-Bemühungen kritisch zu überdenken", schreibt Krone-Schmalz' Anwalt René Rosenau auf Anfrage von t-online. Zur Erklärung: Der Begriff "canceln" stammt aus dem Englischen und beschreibt den Versuch, einer Person die öffentliche Plattform zu nehmen.
"Da sie jedoch in gleicher Weise durch Einsichtslosigkeit wie durch zutiefst meinungsfeindlichen Fanatismus geprägt zu sein scheint, sieht sich die Mandantin gezwungen, gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen."
Darauf hat inzwischen auch Davies' Anwalt Lucas Brost reagiert. "Frau Dr. Davies hat die pro-russische Position von Frau Prof. Krone-Schmalz in zulässiger Form kritisiert", schreibt Brost in einer Mail, die t-online in Auszügen vorliegt. "Dies werden wir vor Gericht nun feststellen lassen."
Doch Davies Aussagen seien von der Meinungsfreiheit nicht gedeckt, argumentiert Krone-Schmalz' Anwalt René Rosenau. "Frau Davies behauptet wahrheitswidrig, die Mandantin habe seit Jahrzehnten nicht journalistisch oder wissenschaftlich zu Russland gearbeitet und sei deshalb keine Russland-Expertin. Frau Davies möchte nicht diskutieren, sondern 'canceln'. Sie fordert von Veranstaltern, die Mandantin auszuladen und begründet das mit schlichten Lügen über Frau Krone-Schmalz."
Krone-Schmalz lehnt ein Interview ab
"Was Gabriele Krone-Schmalz hier tut, wirkt wie der Versuch, eine Kritikerin anwaltlich zu schikanieren", sagt Davies. Aufhören will sie mit ihrer Kritik dagegen nicht – im Gegenteil: Demnächst will sie einen längeren Text über Krone-Schmalz veröffentlichen. "Mir wird immer wieder vorgeworfen, dass ich meine Kritik nicht belegen kann. Das stimmt allerdings nicht. Deshalb will ich sie gerne ausführlich argumentieren – erneut."
Krone-Schmalz habe kein Interesse an einer inhaltlichen Debatte – "sonst könnte sie ja auf die Kritik aus der Wissenschaft antworten". Indem sie ihre Anwälte losschicke, versuche Krone-Schmalz, diese Debatte juristisch abzuwürgen, sagt Davies. "Das ist ein schiefes Verständnis von Meinungsfreiheit. Da scheint es ihr eher um Widerspruchsfreiheit für ihre eigenen Positionen zu gehen."
In einem Interview mit t-online hatte auch der Osteuropa-Experte Klaus Gestwa Gabriele Krone-Schmalz heftig kritisiert. Anlass war ein hunderttausendfach geklicktes Video, das einen Vortrag von Krone-Schmalz an der VHS Reutlingen zeigt. Von rechtlichen Schritten gegen Gestwa ist bisher nichts bekannt.
Allerdings liegen t-online auch in diesem Fall E-Mails vor, die die Androhung juristischer Schritte belegen. Verfasst wurden diese jedoch nicht von Gabriele Krone-Schmalz oder ihren Anwälten, sondern vom Geschäftsführer der VHS Reutlingen, Ulrich Bausch.
unser Kommentar: Wie lange noch sind hier noch Verlogenheit und Doppelmoral, zu Lasten der Referentin weiter steigerbar, "ohne" Widerspruch und Empörung aus der Öffentlichkeit und von Journalistenkolleg*innen auszulösen.
Lukrativer Airbus-Deal über 17 Milliarden US-Dollar während Scholz-Reise nach Beijing. Stillschweigen dazu in deutschen Medien und Bundesregierung
China hat während des Besuchs von Bundeskanzler Olaf Scholz in Beijing offiziell einen Großauftrag im Wert von 17 Milliarden US-Dollar (etwa 16,5 Milliarden Euro) an Airbus vergeben und damit dessen US-Konkurrenten Boeing einen schweren Schlag verpasst. Während Berlin versucht, den Mantel des Schweigens über den Deal zu legen, sorgt sich Boeing, der Konfrontationskurs der Biden-Regierung gegenüber China könne den Konzern dauerhaft vom weltgrößten Importmarkt für Flugzeuge abschneiden.
Das Geschäft, das ein Schlaglicht auf die Hintergründe der Kanzlerreise wirft, geht auf eine Vereinbarung vom Sommer zurück, die Airbus mit Chinas drei großen staatlichen Airlines – Air China, China Eastern, China Southern – getroffen hat. Diese bestellten 292 Flugzeuge der Airbus-A-320-Familie zu einem Gesamtpreis von stolzen 37 Milliarden US-Dollar. Der Deal musste in der Volksrepublik allerdings noch behördlich genehmigt werden. Dies ist jetzt offenkundig geschehen. Jedenfalls unterzeichnete die China Aviation Supplies Holding Company (CASC) während des Aufenthalts von Scholz in Beijing den Kaufvertrag für einen Teil der Jets – insgesamt 140 – im Wert von gut 17 Milliarden US-Dollar.
Die öffentlichkeitswirksame Unterzeichnung milliardenschwerer Verträge während hochrangiger Besuche ist üblich. So hatte Beijing etwa im November 2017 während des Besuchs von US-Präsident Donald Trump einen Kaufvertrag für 300 Boeing-Jets unterschrieben. Anders als Trump hat Scholz es bei seinem Besuch am Freitag vor einer Woche allerdings vermieden, den lukrativen Vertrag auch nur zu erwähnen. Offiziell hieß es in Berlin sogar, während des Besuchs finde keinerlei Vertragsabschluss statt. Bislang findet sich zudem kein Bericht über den Airbus-Deal in deutschen Medien, lediglich die chinesische Global Times und Reuters (Sitz in London) informierten darüber. Zugeknöpft gibt sich das Bundeswirtschaftsministerium. Auf Anfrage von junge Welt mit Bezug auf Reuters hieß es am Freitag lapidar aus Robert Habecks Behörde: »Presseberichte können wir nicht kommentieren.« Airbus reagierte nicht auf die Bitte von jW nach einer Stellungnahme.
Der chinesische Großauftrag brüskiert einmal mehr den Airbus-Hauptkonkurrenten Boeing. China Southern, jetzt einer der drei Airbus-Käufer, war einst Boeings größter Kunde. Auch Xiamen Airlines, eine weitere Fluggesellschaft, die als treuer Boeing-Käufer galt, hat kürzlich 40 neue Maschinen bei Airbus bestellt. Die Volksrepublik sperrt sich zudem – anders als die meisten anderen Staaten – weiterhin, dem Absturzflieger Boeing 737 Max uneingeschränkt grünes Licht zu geben; China Southern hat erst kürzlich 100 Exemplare des 737 Max in aller Form abbestellt. Boeing bringt die Aussichten, in China womöglich nicht mehr zum Zuge zu kommen und damit dramatisch hinter Airbus zurückzufallen, wohl zutreffend mit der Konfrontationspolitik Washingtons in Verbindung.
Airbus hingegen verankert sich in China weiter und hat am Mittwoch bekanntgegeben, sein Werk in Tianjin künftig auch zu nutzen, um dort Flugzeuge der A-320-Familie zu montieren. Laut Konzernangaben gibt es weltweit lediglich vier Fabriken, die dazu in der Lage sind – neben den beiden Hauptwerken in Toulouse und Hamburg eines in Mobile (USA) und eben jenes in Tianjin.
Unterdessen steht der neue chinesische Passagierjet Comac C 919 kurz davor, den regulären Flugbetrieb aufzunehmen. Das Flugzeug, das als Gegenstück zu den Airbus- und Boeing-Modellen konzipiert ist, gilt als Einstiegsmodell in den Aufbau einer breit angelegten chinesischen Passagierflugzeugproduktion. Es wurde in dieser Woche auf der Zhuhai Airshow öffentlichkeitswirksam vorgeführt.
Der Unternehmerkreis "Zukunft in Not", ein Zusammenschluss von 680 Unternehmen im Wirtschaftsraum Augsburg, hat einen Brandbrief an die Bundesregierung geschrieben. Die Unternehmer sehen die Wirtschaft vor dem Zusammenbruch - aufgrund der Sanktionen.
Zusammengeschlossen haben sich die inzwischen rund 680 Unternehmen während der Anfangsphase der Pandemie Ende 2020: Unter dem Namen "Zukunft in Not" prangerten sie die schädlichen Auswirkungen der Corona-Maßnahmen der Landes- und Bundespolitik auf die heimische Wirtschaft an. Nun sieht die Unternehmervereinigung die Wirtschaft erneut bedroht: durch die Sanktionspolitik der Bundesregierung.
"Sanktionen schaden Deutschland"
Deshalb schreibt der Unternehmerkreis "Zukunft in Not" einen Brandbrief an die Bundesregierung, die Bundestagsabgeordneten und den Bundesrat. Darin fordern die Unternehmer, sämtliche Sanktionen sofort einzustellen, "die Deutschland schaden". Des Weiteren verlangen sie, die Ostsee-Gaspipeline Nordstream 2 sofort wieder zu öffnen bzw. zu reparieren sowie alle Embargos zu stoppen.
Wirtschaft steht vor dem Zusammenbruch
In ihrem offenen Brief weist der Unternehmerkreis darauf hin, dass es gravierende Folgen haben werde, sollten die genannten Forderungen nicht erfüllt werden: Viele Unternehmen müssten ihren Betrieb einstellen, unzählige würden "innerhalb kürzester Zeit dauerhaft ruiniert" werden.
Die Unternehmer skizzieren weiterhin, dass ohne russisches Gas und die Rücknahme der Sanktionen gegen Russland die gesamte Wirtschaft zusammenbrechen werde. Arbeitnehmer aller Branchen würden ihren Job verlieren, es werde unter anderem zu massiven Einbrüchen beim Steueraufkommen kommen.
Erinnerung an den Amtseid
Abschließend verweist der Unternehmerkreis darauf, dass alle Entscheidungsträger in ihrem Amtseid geschworen haben, das Wohl des deutschen Volkes zu mehren und Schaden von ihm abzuwenden. Das Schreiben erging laut den Verfassern unter anderem auch an die Staatsregierung, alle Bürgermeister und Landräte in Schwaben und an die Industrie- und Handelskammer Schwaben.
Der Unternehmerkreis "Zukunft in Not" beschäftigt laut eigenen Angaben gut 5.000 Mitarbeiter und generiert einen Umsatz von mehr als einer Milliarde Euro im Jahr.
Wirtschaft in Augsburg und der Region Unternehmertum gehört zur Herzkammer der wissensbasierten Augsburger- und Schwäbischen Wirtschaft. Unsere Stadt und unser Umland leben davon, für die Region immer wieder bessere Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln. Worin sind Augsburger Unternehmen besonders gut? Welche Art von Produkten und Dienstleistungen werden hier produziert? Welche wurden hier entwickelt? Im Ergebnis gibt es keinen Teil der Stadtgesellschaft, der mehr für diesen Wirtschaftsstandort Augsburg tut als die vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen unserer Wirtschaftsregion.
Weltweit an der Spitze: Produkte und Dienstleistungen „Made in Augsburg“ Der Standort zeichnet sich vor allem durch seine jahrelang gewachsene Expertise aus. Wesentliche Qualitätsmerkmale sind die gut ausgebildeten Fachkräfte, die exzellente technische Ausstattung, die gute Verkehrsanbindung und die Nähe zu Menschen und Märkten in Augsburg und der Region.
Die Unternehmen in Augsburg – Alte Stärken, neue Chancen In Pandemie-Zeiten geht es nicht nur darum, die Menschen vor den tödlichen Folgen einer Infektion zu schützen, sondern auch um den Erhalt der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit für die Zukunft. Augsburger Unternehmen spielen am Standort dafür eine wichtige Rolle.
Jetzt auf Zukunft setzen In Zeiten der Pandemie gilt für Augsburg und Schwaben, die Gesundheit der Menschen sowie die Wirtschaftskraft für unser aller Zukunft zu erhalten. Unseren Unternehmen kommt dabei eine zentrale Rolle zu.
Warum das Gerede von der Globalisierung ungesund ist Statt angstgetrieben zu erörtern, wie man die Globalisierung zurückdreht, brauchen wir eine Debatte wie wir den Standort lokal weiterentwickeln.
Agenda mit Nebenwirkungen Ursprünglich war sie ein Beitrag, um im Augsburger Wirtschaftsraum nachhaltig zu werden. Heute stellen viele ihren Sinn infrage: Die lokale Nachhaltigkeit wollen wir weiterentwickeln.
Der Unternehmerkreis besteht aktuell aus über 680 Unternehmen. Diese Mitgliedsunternehmen machen gemeinsam knapp 1 Milliarde Euro Umsatz jährlich und beschäftigen gut 5.000 Mitarbeiter.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
11.11.2022
"Warum stoppt niemand RT DE?" – Mainstream bläst zur nächsten Runde im Propagandakampf
meinungsfreiheit.rtde.life, 11 Nov. 2022 20:14 Uhr, von Gert Ewen UngarDer Mainstream startet seine nächste Kampagne gegen Meinungsvielfalt und Pluralismus. Im Zentrum stehen wieder RT und "Putins Einflussagenten" in Deutschland. Die Kampagne zeigt die umfangreiche Gleichschaltung deutscher Medien.
Mit dem der als Dokumentation getarnten Propagandasendung "Russlands deutsche Propagandakrieger" läutet das ZDF die nächste Runde im Kampf gegen russische Medien, vor allem aber gegen eine ausgewogene Berichterstattung und Diskussion zum Themenkomplex Ukraine-Konflikt ein. Es ist ein weiterer Schritt in Richtung einer bereitwilligen Preisgabe grundlegender journalistischer Standards durch den Journalismus selbst. Die Kampagne ist selbstverständlich konzertiert.
Bereits im September veröffentlichte die Frankfurter Allgemeine Zeitung einen Beitrag mit dem wenig dezenten Titel "Warum stoppt niemand RT DE?", der mit einem manipulativen Vokabular operiert, das die großen deutschen Medien inzwischen gut eingeübt haben. RT betreibe Propaganda, glaubt man nicht nur bei der FAZ zu wissen.
Propaganda ist der Terminus, der die Berichterstattung über russische Medien durchzieht. Russische Medien machen Propaganda, deutsche Medien betreiben dagegen Journalismus, ist die zentrale These, die allerdings nicht bewiesen, sondern bloß behauptet wird. Wer den Unterschied zwischen Propaganda und Journalismus, wie ihn der deutsche Mainstream aktuell gebraucht, verstehen möchte, muss sich mit den Beiträgen auseinandersetzen, denn eine konkrete Definition des Begriffes Propaganda liefert das Qualitäts-Geschwurbel natürlich nicht.
Wer sich durch all die bis ins Detail recht ähnlich lesenden Artikel von der FAZ, über den Tagesspiegel bis hin zum Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) und den Beiträgen von Deutschlands oberstem FaktencheckerCorrectiv quält, findet genau den Propaganda-Begriff, den auch das ZDF in seiner Dokumentation benutzt. Propaganda, leitet sich aus all den Beiträgen her, ist das, was die Behauptungen der Bundesregierung, der NATO und der Ukraine infrage stellt. So einfach ist das. Das ist in dieser Schlichtheit von extremer Bitterkeit, denn der deutsche Journalismus streckt gegenüber Regierungshandeln jedes kritische Segel und dümpelt im seichten Wasser der Konformität vor sich hin.
Die jeden journalistischen Gedanken preisgebende inhärente These und Leitline der großen deutschen Medienhäuser lautet: Westliche Regierungen und Organisationen lügen nicht. Die russische und auch die chinesische tut das dagegen unentwegt. Der deutsche Journalismus ist damit in einer geistigen Schlichtheit und Primitivität angekommen, die erschreckt. Holzschnittartige Verkürzungen werden den Deutschen als Erklärungsmodelle für hochdynamische geopolitische Prozesse verkauft. Jeder, der es merkt und die deutsche Berichterstattung dafür kritisiert, ist wahlweise ein Agent des Kreml oder ein leichtgläubiges Opfer russischer Propaganda. Auf jeden Fall aber liegt er falsch und muss öffentlich gemaßregelt werden.
Damit leisten die großen deutschen Medien einen wesentlich größeren Beitrag zum Zerfall und zur Spaltung der deutschen Gesellschaft, als es russische Medien je tun könnten. Mit der Verweigerung, Komplexität abzubilden, ein pluralistisches Meinungsspektrum zuzulassen und wiederzugeben, grenzt der deutsche Journalismus einen immer größeren Teil der deutschen Gesellschaft aus und verweigert sowohl die mediale Repärsentation als auch die Teilhabe am Diskurs. Wer aber seine Meinung nicht wiedergegeben sieht und für sie sogar diskriminiert wird, wird sie deshalb noch lange nicht ändern. Zumal in deutschen Medien eben kein stichhaltiges Argument zu finden ist, warum eine russische Sichtweise oder ein aus dem Kreml stammendes Argument automatisch falsch sein sollte. Außer eben derjenigen Erklärung, dass es russisch ist. Die deutsche Argumentation gibt sich ganz offen dem kulturellen Chauvinismus hin.
Es ist schon ziemlich peinlich, wie leichtfertig die deutschen Medien ihren journalistischen Auftrag in die Tonne hauen. Geschichtsvergessen dreist ist es angesichts dieser Tatsache allerdings, dass sie all jene öffentlich an den Pranger stellen, die in die Lücke einspringen, die die journalistische Arbeitsverweigerung der kritischen Befragung von Regierungshandeln hinterlässt. Jeder, der die offizielle Erzählung infrage stellt, steht unmittelbar am medialen Pranger. Je nach persönlicher Reichweite entweder als Einzelperson oder kollektiv als zu beschimpfende Masse. Selbst ehemalige Lieblinge der Medien wie Ulrike Guérot kann es treffen: Sie hat es gewagt, im Rahmen des Ukraine-Konflikts die Verhandlungsoption zu erwähnen.
Eine inhaltliche Auseinandersetzung findet seitens der großen deutschen Medien nicht mehr statt. Das ist fatal. Es ist einzig das inhaltliche Argument, das letztlich zählt. Alles andere ist Geschwurbel. Die großen deutschen Medienhäuser haben sich im kollektiven Schwurbeln eingerichtet.
Die benutzten Begriffe unterscheiden sich in den unterschiedlichen Medien nicht. Die Argumentationslinie ebenfalls nicht. Jede inhaltliche Auseinandersetzung mit den von vermeintlichen Kreml-Argumenten wird übergangen. Wenn Alina Lipp vom Beschuss von Donezk durch die Ukraine mit westlichen Waffen erzählt, dann betreibt sie nach Auffassung von ZDF und Co. russische Propaganda. Dabei ist das, was Lipp erzählt eine auch in Deutschland recherchierbare Tatsache. Es ist die Verweigerung gegenüber tatsächlichen Ereignissen, ihre Leugnung durch die großen deutschen Medien, die erschrecken muss. Dass man zu einer unterschiedlichen Einordnung von Ereignissen kommt, mag ja angehen, der Streit über unterschiedliche Einordnung von Ereignissen gehört im Gegenteil zu einer gesunden Debattenkultur. Dass man in Deutschland das Zeigen des Buchstabens Z für nicht angemessen hält, ist noch im Rahmen. Dass in Deutschland an jeder Ecke eine Ukraine-Flagge hängt, finden die Russen, die darum wissen, auch ziemlich gaga. Auf die Idee, das Zeigen der ukrainischen Flagge zu verbieten, ist man in Russland aber noch nicht gekommen. In Deutschland, was den Buchstaben Z angeht, dagegen schon. Das man Ereignisse schlicht leugnet verweist zudem darauf, dass es diese geseunde Debattenkultur, die eine Demokratie dringen braucht, schlicht nicht mehr gibt.
Die Sanktionen schaden der deutschen Wirtschaft massiv. Die Inflation steigt, die Energiepreise sowieso. All das wurde nicht durch "Putins brutalen Angriffskrieg" ausgelöst, wie die deutsche Politik nicht müde wird, wahrheitswidrig zu behaupten, sondern ist Folge des Sanktionsregime des Westens. Die großen deutschen Medien übernehmen kritiklos die äußerst dürftige und fragwürdige Argumentation der Bundesregierung, die zudem im Ausland auf heftigen Widerspruch stößt. Die westlichen Regierungen werden für ihr Sanktionsregime auf dem anstehenden G20-Gipfel viel Kritik ernten, weil sich die Mehrheit der Weltgemeinschaft aus guten Gründen der Sicht nicht anschließt, die weltweite Energie- und Wirtschaftskrise sei durch Wladimir Putin ausgelöst. Sie sehen die Schuld beim kollektiven Westen. Diese Sicht wird in Deutschland nicht nur weitgehend verschwiegen, sondern sogar geleugnet.
All dies deutet auf eine umfassende Gleichschaltung der deutschen Redaktionen hin. Diese wurde bisher immer nur gemutmaßt, ist inzwischen aber nachgewiesen und wurde bestätigt. Alarmierend dabei ist das Ausmaß der Gleichschaltung, die sich unter anderem daran ablesen lässt, dass über die brisante Information, die Bundesregierung würde eine Narrativ-Gleichschaltung der Medien und der sozialen Netzwerke anstreben, kein großes Medium der Republik berichtet hat. Die Nachricht fand trotz der Relevanz keinerlei Niederschlag in den deutschen Nachrichten. Das heißt, ein pluraler Journalismus als das Immunsystem der Demokratie funktioniert in Deutschland längst nicht mehr.
Das ist auch daran zu erkennen, dass genau der Journalismus, der sich für Pressefreiheit und mediale Vielfalt einsetzen sollte, Strafen für Desinformation fordert. Der Begriff der Desinformation folgt dabei dem der Propaganda. Desinformation ist jede Information, die aus Russland kommt oder die die Erzählung des kollektiven Westens über sich selbst infrage stellt. Wer diese Information teilt und verbreitet soll dafür zur Rechenschaft gezogen und bestraft werden, ist die unverholene Forderung deutscher Journalisten. Kritik wird verunmöglicht. Das verdeckt gleichzeitig, wie sehr die großen deutschen Medien selbst zu einer Quelle umfangreicher Desinformation geworden sind.
Die ARD unterhält in Moskau ein eigenes Studio. Die Korrespondenten sind hier vor Ort. Sie sehen jeden Tag wie ich auch, dass die Sanktionen keinen umfassenden Mangel ausgelöst haben. Von Diskussionen über Gasmangellage, unbezahlbare Strom- und Heizkosten ist Russland weit entfernt. Es gibt hier daher auch keine Proteste im Gegensatz zu den Ländern der EU. Das, was die Sanktionen in Russland auslösen sollten, passiert aktuell in Deutschland, Frankreich und anderen Ländern der EU. Die ARD-Korrespondenten hier vor Ort lassen das unerwähnt, verlieren sich eher in umfassenden Verschwörungstheorien. Man muss es deutlich hervorheben: Trotz all des finanziellen Aufwandes, den die ARD mit ihrem Studio in Moskau betreibt, ist es den Journalisten vor Ort nicht gelungen, tatsächliche Verbindungen zur russischen Politik aufzubauen.
Stattdessen kommen in den Beiträgen von Ina Ruck und Kollegen Deutungen auf dem Niveau von Hausfrauenpsychologie zum Zuge und angebliche Kreml-Experten dürfen im Kaffeesatz lesen. Mit Journalismus, der sich um Fakten und Einsichten bemüht, hat all das nichts zu tun. Im Gegenteil wird mit der Präsenz der ARD in Russland dem deutschen Medienkonsumenten ein Zugang zu Russland und zur Politik in Russland vorgetäuscht, der weder existiert noch gewünscht ist. Schon die bloße Wiedergabe der russischen Position fällt unter den Begriff der Desinformation und wird daher für den Zuschauer entsprechend eingeordnet.
Für den deutschen Medienkonsumenten ist wichtig zu verstehen, dass die großen deutschen Medien inklusive der Öffentlich-Rechtlichen vollumfänglich dysfunktional sind. Sie schützen aktuell weder die Demokratie, noch informieren sie in einer Weise, dass durch die Breite der Information Risse in der Gesellschaft geschlossen werden können. Die deutschen Medien setzen auf Spaltung und Ausgrenzung nicht auf die Vermittlung von Verstehen und Bemühen um Verständnis. Stattdessen verkündet der Mainstream aktuell "Wahrheiten", die in der behaupteten Absolutheit natürlich nicht existieren. Er trägt damit zum Zerfall und der Spaltung der deutschen Gesellschaft, zur Demontage der Demokratie weit mehr bei, als es RT je könnte – wenn es denn in überhaupt im RT-Auftrag läge.
Für Deutschland ist zu wünschen, dass der Einfluss des Journalismus der großen Häuser eher früher als später gebrochen wird. Der deutsche Journalismus ist zum Feind des Zusammenhalts der deutschen Gesellschaft geworden und unterminiert grundlegende demokratische Werte. Das ist inzwischen für viele fühlbar geworden.
RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
11.11.2022
Neuverdrahtung Eurasiens: Mr. Patrushev geht nach Teheran
seniora.org, 11. November 2022, Von Pepe Escobar 10.11.2022 übernommen von TheCradle.Co
Das Treffen zwischen zwei eurasischen Sicherheitschefs in dieser Woche ist ein weiterer Schritt, um den übergroßen asiatischen Fußabdruck des Westens zu entstauben
Zitat: Das strategische Treffen zwischen Patrushev und Shamkhani wird die westliche Hysterie auf ein nie gesehenes Niveau treiben – da es die Iranophobie und Russophobie auf einen Schlag vollständig zerschmettert. Der Iran als enger Verbündeter ist ein beispielloser strategischer Vorteil für Russland auf dem Weg zur Multipolarität.
Bildnachweis: Die Wiege
Zwei Typen hängen in einem gemütlichen Zimmer in Teheran mit einer verlockenden neuen Weltkarte im Hintergrund ab.
Es gibt hier nichts zu sehen? Andererseits. Diese beiden eurasischen Sicherheitsgiganten sind keine Geringeren als der – ungewöhnlich entspannte – russische Sicherheitsratssekretär Nikolai Patrushev und Ali Shamkhani, der Sekretär des Obersten Nationalen Sicherheitsrates des Iran.
Und warum sind sie so entspannt? Denn die Zukunftsperspektiven rund um das Hauptthema ihres Gesprächs – die strategische Partnerschaft Russland-Iran – könnten spannender nicht sein.
Dies war eine sehr ernste geschäftliche Angelegenheit: ein offizieller Besuch auf Einladung von Shamkhani.
Patrushev war genau am selben Tag in Teheran, als der russische Verteidigungsminister Sergey Shoigu – auf Empfehlung von General Sergey Surovikin, dem Oberbefehlshaber der Special Military Operation – einen russischen Rückzug aus Cherson anordnete.
Patruschew wusste es seit Tagen – er hatte also kein Problem damit, in ein Flugzeug zu steigen, um Geschäfte in Teheran zu erledigen. Schließlich ist das Cherson-Drama Teil der seit Wochen andauernden Patruschew-Verhandlungen mit dem US-Sicherheitsberater Jake Sullivan über die Ukraine mit Saudi-Arabien als eventuellem Vermittler.
Neben der Ukraine diskutierten die beiden laut einem Bericht der russischen Nachrichtenagentur TASS über „Informationssicherheit sowie Maßnahmen zur Bekämpfung der Einmischung westlicher Geheimdienste in die inneren Angelegenheiten beider Länder“.
Beide Länder sind, wie wir wissen, besondere Ziele westlicher Informationskriegsführung und Sabotage, wobei der Iran derzeit im Mittelpunkt einer dieser kompromisslosen, vom Ausland unterstützten Destabilisierungskampagnen steht.
Patrushev wurde offiziell vom iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi empfangen, der direkt zur Sache kam:
„Die Zusammenarbeit unabhängiger Staaten ist die stärkste Antwort auf die Sanktions- und Destabilisierungspolitik der USA und ihrer Verbündeten.“
Patruschew seinerseits versicherte Raisi, dass strategische Beziehungen zum Iran für die russische nationale Sicherheit für die Russische Föderation von wesentlicher Bedeutung seien.
Das geht also weit über Geranium-2-Kamikaze-Drohnen – die russischen Cousins der Shahed-136 – hinaus, die auf dem ukrainischen Schlachtfeld Chaos anrichten. Was übrigens später von Shamkhani direkt erwähnt wurde:
„Der Iran begrüßt eine friedliche Lösung in der Ukraine und befürwortet einen Frieden auf der Grundlage eines Dialogs zwischen Moskau und Kiew.“
Patrushev und Shamkhani diskutierten natürlich Sicherheitsfragen und die sprichwörtliche „Kooperation auf internationaler Ebene“. Bedeutsamer ist jedoch, dass der russischen Delegation Beamte mehrerer wichtiger Wirtschaftsbehörden angehörten.
Es gab keine Lecks – aber das deutet darauf hin, dass eine ernsthafte wirtschaftliche Konnektivität weiterhin im Mittelpunkt der strategischen Partnerschaft zwischen den beiden am stärksten sanktionierten Nationen in Eurasien steht.
Ausschlaggebend für die Diskussionen war der iranische Fokus auf eine schnelle Ausweitung des bilateralen Handels in nationalen Währungen – Rubel und Rial. Dies steht im Mittelpunkt der Bestrebungen sowohl der Shanghai Cooperation Organization (SCO) als auch der BRICS in Richtung Multipolarität. Der Iran ist jetzt Vollmitglied der SCO – die einzige westasiatische Nation, die Teil des asiatischen strategischen Giganten ist – und wird sich bewerben, um Teil von BRICS+ zu werden.
Habe getauscht, werde reisen
Das Treffen zwischen Patrushev und Shamkhani fand vor der Unterzeichnung eines satten 40-Milliarden-Dollar-Energieabkommens mit Gazprom im nächsten Monat statt, wie der stellvertretende iranische Außenminister Mahdi Safari zuvor angekündigt hatte.
Die National Iranian Oil Company (NIOC) hat bereits einen ersten 6,5-Milliarden-Dollar-Deal abgeschlossen. All das dreht sich um die Erschließung von zwei Gasvorkommen und sechs Ölfeldern; Swaps auf Erdgas und Ölprodukte; LNG-Projekte; und den Bau weiterer Gaspipelines.
Im vergangenen Monat kündigte der stellvertretende russische Ministerpräsident Aleksandr Novak einen Austausch von 5 Millionen Tonnen Öl und 10 Milliarden Kubikmeter Gas an, der bis Ende 2022 abgeschlossen sein soll Zunahme."
Barter ist natürlich ideal für Moskau und Teheran, um gemeinsam endlos problematische Sanktionen und Fragen der Zahlungsabwicklung zu umgehen – verbunden mit dem westlichen Finanzsystem. Darüber hinaus können Russland und der Iran in direkte Handelsverbindungen über das Kaspische Meer investieren.
Auf dem jüngsten Gipfeltreffen der Conference on Interaction and Confidence Building Measures in Asia (CICA) in Astana, Kasachstan, schlug Raisi nachdrücklich vor, dass ein erfolgreiches „neues Asien“ unbedingt ein endogenes Modell für unabhängige Staaten entwickeln müsse.
Als SCO-Mitglied, das neben Russland und Indien eine sehr wichtige Rolle im Internationalen Nord-Süd-Transportkorridor (INSTC) spielt, positioniert Raisi den Iran in einem Schlüsselvektor des Multilateralismus.
Seit Teheran der SCO beigetreten ist, läuft die Zusammenarbeit sowohl mit Russland als auch mit China erwartungsgemäß auf Hochtouren. Patrushevs Besuch ist Teil dieses Prozesses. Teheran lässt Jahrzehnte der Iranophobie und jede mögliche Deklination des amerikanischen „Maximaldrucks“ – von Sanktionen bis zu Versuchen einer Farbrevolution – hinter sich, um sich dynamisch in ganz Eurasien zu verbinden.
BRI, SCO, INSTC
Der Iran ist ein wichtiger Partner der Belt and Road Initiative (BRI) für Chinas großes Infrastrukturprojekt zur Verbindung Eurasiens über Straße, See und Zug. Parallel dazu ist das multimodale, von Russland geführte INSTC unerlässlich, um den Handel zwischen dem indischen Subkontinent und Zentralasien zu fördern – und gleichzeitig die Präsenz Russlands im Südkaukasus und in der Region des Kaspischen Meeres zu festigen.
Der Iran und Indien haben sich verpflichtet, zentralasiatischen Nationen einen Teil des Hafens von Chabahar im Iran anzubieten, komplett mit Zugang zu exklusiven Wirtschaftszonen.
Auf dem jüngsten SCO-Gipfel in Samarkand haben sowohl Russland als auch China – insbesondere für den kollektiven Westen – deutlich gemacht, dass der Iran nicht länger als Paria-Staat behandelt werden wird.
Kein Wunder also, dass der Iran mit allen Mitgliedern der SCO in eine neue Geschäftsära eintritt, im Zeichen einer entstehenden Finanzordnung, die hauptsächlich von Russland, China und Indien gestaltet wird. Was strategische Partnerschaften betrifft, so sind die Beziehungen zwischen Russland und Indien (Präsident Narendra Modi nannte es eine unzerbrechliche Freundschaft) so stark wie die zwischen Russland und China. Und wenn es um Russland geht, ist es das, was der Iran anstrebt.
Das strategische Treffen zwischen Patrushev und Shamkhani wird die westliche Hysterie auf ein nie gesehenes Niveau treiben – da es die Iranophobie und Russophobie auf einen Schlag vollständig zerschmettert. Der Iran als enger Verbündeter ist ein beispielloser strategischer Vorteil für Russland auf dem Weg zur Multipolarität.
Der Iran und die Eurasische Wirtschaftsunion (EAEU) verhandeln bereits parallel zu den Swaps mit russischem Öl über ein Freihandelsabkommen (FTA). Das Vertrauen des Westens in das SWIFT-Banknachrichtensystem macht für Russland und den Iran kaum einen Unterschied. Der globale Süden beobachtet dies genau, insbesondere in der Nachbarschaft des Iran, wo Öl üblicherweise in US-Dollar gehandelt wird.
Jedem im Westen mit einem IQ über Raumtemperatur wird langsam klar, dass der Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA oder Nuklearabkommen mit dem Iran) am Ende keine Rolle mehr spielt. Die Zukunft des Iran ist direkt mit dem Erfolg von drei BRICS-Staaten verbunden: Russland, China und Indien. Der Iran selbst könnte bald BRICS+-Mitglied werden.
Es gibt noch mehr: Der Iran entwickelt sich sogar zu einem Vorbild für den Persischen Golf: Sehen Sie sich die lange Schlange von Regionalstaaten an, die eine SCO-Mitgliedschaft anstreben. Die Trumpschen „Abraham-Abkommen“? Was ist das? BRICS/SCO/BRI ist heute der einzige Weg in Westasien.
Pepe Escobar is a columnist at The Cradle, editor-at-large at Asia Times and an independent geopolitical analyst focused on Eurasia. Since the mid-1980s he has lived and worked as a foreign correspondent in London, Paris, Milan, Los Angeles, Singapore and Bangkok. He is the author of countless books; his latest one is Raging Twenties.
Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten spiegeln nicht unbedingt die von The Cradle wider.
Das westliche Verständnis von Gerechtigkeit ist dem Rest der Welt nicht vermittelbar
meinungsfreiheit.rtde.life, 11 Nov. 2022 18:27 Uhr, Von Fjodor Lukjanow
Russland stellt fest, dass seine Abkehr vom Westen Zustimmung findet. Dennoch fragen sich nicht wenige innerhalb der globalen Gemeinschaft, weshalb es so lange gedauert hat. Die Abkehr vom Westen ist für Russland die einzige Möglichkeit zu überleben.
Militärische und politische Spannungen in Europa waren seit jeher ein Katalysator für tiefgreifende Veränderungen in der Struktur der Weltpolitik und der Weltwirtschaft. Und natürlich haben diese Veränderungen auch Russlands Platz in dieser Welt oft neu definiert.
Während die Anzeichen für Spannungen in Europa seit mindestens einigen Jahren offensichtlich geworden sind, ist die Neudefinition Russlands jetzt deutlich sichtbar. Das Jahrestreffen des Waldai International Discussion Clubs im Oktober 2022 in Moskau hat diesen Trend deutlich gemacht und wichtige Fragen aufgeworfen.
Viele in Russland sprechen seit langem von der Notwendigkeit, sich von dem westlich zentrierten Weltbild zu lösen, das unserem politischen Bewusstsein seit Jahrhunderten innewohnt. Es geht dabei nicht um Sympathien oder Antipathien, sondern um das Verstehen von Veränderungen in der Weltordnung: Man kann nicht einen großen Teil der Welt völlig außer Acht lassen, in dem die globale Mehrheit der Weltbevölkerung lebt und wo die intensivsten wirtschaftlichen Entwicklungen stattfinden. Aber es ist schwierig, die tief verwurzelte Gewohnheit zu überwinden, das eigene Handeln durch das Prisma der Beziehungen zum Westen zu bewerten. Die Ereignisse des Jahres 2022 erzwangen diese Überwindung schließlich im Schnelldurchlauf – und der Westen selbst ergriff dabei die Initiative.
Die Veranstaltung des Waldai-Clubs war in dieser Hinsicht aufschlussreich, da es bei der Teilnehmerschaft selbst eine Erneuerung gab. Die üblichen Gäste aus Westeuropa und den USA erschienen mehrheitlich nicht – einige aus prinzipiellen Gründen, andere, weil sie von ihren Arbeitgebern daran gehindert wurden. Somit bot das anwesende Publikum die Möglichkeit, einen repräsentativen Querschnitt der globalen Mehrheit und deren Haltungen und Forderungen zu beurteilen.
Um mit dem Offensichtlichen zu beginnen: Man kann sagen, dass die nicht-westliche Welt dem Bestreben Russlands, das System der westlichen Vorherrschaft auf der internationalen Bühne zu brechen, mit Sympathie begegnet. Die Haltung zur Militäroperation in der Ukraine reicht von Verständnis für die Gründe bis hin zum Bedauern über die humanitären Folgen. Aber es gab praktisch keine Verurteilung – geschweige denn Forderungen nach Bestrafung dafür, dass Russland den Westen herausgefordert hat. Und das liegt nicht an der Billigung des Vorgehens in der Ukraine, sondern gerade daran, dass die Bewohner der ehemaligen Dritten Welt es für richtig und historisch gerecht halten, sich gegen ehemalige Kolonialherren zu stellen. Mit anderen Worten: Die aufgestaute Irritation gegenüber dem Westen manifestiert sich in diesem Fall in einer entschiedenen Weigerung, die westlichen Haltungen einzunehmen.
Und daraus folgt, dass sich ein unerforschter Pfad aufgetan hat. Russland spricht jetzt von der Notwendigkeit einer Weltordnung, in der alle Staaten ihre kulturellen und nationalen Besonderheiten frei entfalten können, ohne von außen auferlegte Werte.
Diese Idee findet begeisterte Zustimmung. In Asien, Afrika und Lateinamerika formt ein feiner Sinn für die Ungerechtigkeit, die das gesamte westlich geführte Wertesystem durchdringt, seit jeher die Ansichten der Menschen auf diesen Kontinenten. Dass auch Russland auf diese Denkweise umgeschwenkt ist, wird begrüßt. Das Land wird aber nicht als Initiator dieses Trends wahrgenommen, sondern eher als Neuankömmling in der Bewegung, der nach langer Irrfahrt hinzugestoßen ist. Natürlich hilft hier die sowjetische Vergangenheit. Die Welt erinnert sich an die Rolle, welche die UdSSR bei der Entkolonialisierung weiter Teile des Planeten gespielt hat. Aber es gibt auch ein Verständnis dafür, dass das moderne Russland nicht die Sowjetunion ist, sondern ein Land mit einer vielfältigeren Identität.
Zudem ist Gerechtigkeit kein universelles Konzept. Die Interpretation von Gerechtigkeit ist ein Produkt der individuellen Kultur einer Gemeinschaft – vor allem im internationalen Bereich, wo das Verständnis für das, was richtig ist, untrennbar mit der Verwirklichung nationaler Interessen verbunden ist. So ist "Gerechtigkeit" als Schlagwort zwar gut und als Handlungsleitfaden richtig, aber in der Praxis kaum anwendbar. Genauer gesagt muss Gerechtigkeit von sehr konkreten Taten begleitet sein, die ein Partner als nützlich empfindet und die neue Möglichkeiten eröffnen.
Die nicht-westliche Welt, wie auch immer die einzelnen Länder zur NATO stehen, hat kein Interesse an unnötigen Konflikten und Komplikationen. Zumindest vorerst nicht, während die Umstrukturierung der globalen Ordnung erst noch an Fahrt gewinnen muss. Der Vorteil, den der Westen gegenüber dem Nicht-Westen hat, ist immens, aber er schrumpft. Und ebenso das Ausmaß des westlichen Einflusses auf die globalen Prozesse.
Bei der Verwirklichung von Ideen der Gerechtigkeit ist folglich in erster Linie die Schaffung von Alternativen zu dem bisherigen internationalen Monopol erforderlich. Und es ist ebenso notwendig, den Aufbau von wirksamen Formen der Interaktion und Entwicklung zu ermöglichen – nicht gegen den Westen, sondern an ihm vorbei und ohne dessen Beteiligung. Jeder hat ein Interesse daran und die Ereignisse des Jahres 2022 haben gezeigt, dass eine solche Möglichkeit besteht. Umso mehr, als der Westen selbst bei der Sanktionierung Russlands gezeigt hat, wie weit er bereit ist zu gehen, um die eigenen Vorteile auszunutzen. Und um noch weiter über das Thema Gerechtigkeit zu spekulieren: Die Aufregung um das ukrainische "Getreideabkommen" hat gezeigt, dass das Gerede von der "Fürsorge für die Schwachen und die Armen" leicht für spezifische politische, wirtschaftliche und sogar militärische Zwecke ausgenutzt werden kann.
Russland steht vor einer Herausforderung von wahrhaft historischer Komplexität. Erstens muss das Land die nicht-westliche Welt nicht etwa für eine ideologische Agenda begeistern, sondern für die absolut praktischen Vorteile einer Interaktion. Zweitens muss Russland parallele Kanäle für derlei Interaktionen öffnen, die vor einem strafenden Einfluss unfreundlicher Länder geschützt sind. Dies erfordert maximale Kreativität, da fast alles von Grund auf neu aufgebaut werden muss.
Um die Probleme im neuen Kontext allgemein anzugehen, ist eine Voraussetzung erforderlich: Man muss verstehen, dass dies keinen Angriff auf den Westen darstellt. Vielmehr ist es die einzige Möglichkeit für Russland, sich an die veränderten Umstände anzupassen und zu überleben.
Die Umstände, an die sich Russland in der Vergangenheit gewöhnt hat, gelten nicht mehr.
ist Chefredakteur von "Russia in Global Affairs", Vorsitzender des Präsidiums des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik, und Forschungsdirektor des Valdai International Discussion Clubs.
RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
11.11.2022
"Straflos agierendes Imperium mit ungebremster Kriegsmaschinerie" – US-Ökonom erklärt Weltkrise
Jeffrey D. Sachs ist weltbekannter Wirtschaftsprofessor, leitender UN-Berater, Bestsellerautor und Kolumnist. Er hat als Experte in den letzten 30 Jahren dutzende Staats- und Regierungschefs in Fragen der Wirtschaftsstrategie in Amerika, Europa, Asien, Afrika und dem Nahost beraten und war in über 125 Ländern tätig, um wirtschaftliche Entwicklung und Armutsbekämpfung voranzubringen.
Im Interview mit Russel Brand erklärt Jeffrey Sachs, was uns in die heutige Weltschieflage geführt hat, welche Gefahr vom US-Imperium ausgeht und wie die Welt aus dieser Misere herauskommen könnte.
Der Ökonom berichtet aus seiner eigenen Erfahrung – schließlich war er daran beteiligt, die sowjetische Planwirtschaft für westliches Kapital zu öffnen (was zu den nicht nur in Russland verheerenden 1990er Jahren führte). Sachs erscheint dabei nicht mehr als der knallharte Wirtschaftsliberale, sondern geht selbstkritisch mit der US- und NATO-Politik gegenüber Moskau um.
"Was ich gesehen habe – denn ich habe es wirklich erlebt, und ich war 40 Jahre lang mit Dutzenden von Regierungen in der ganzen Welt in Kontakt – nun, im Grunde haben die Neocons vor 30 Jahren die Außenpolitik der USA übernommen."
Es spielte keine Rolle mehr, ob gerade Demokraten oder Republikaner am Ruder waren. Das Versprechen, die NATO keinen Zentimeter nach Osten auszudehnen, wenn die beiden deutschen Staaten vereinigt und der Warschauer Pakt aufgelöst sein würde, dieses Versprechen wurde gebrochen: "Dies erwies sich als eine enorme Lüge." Die NATO-Osterweiterung wurde damals von vielen klugen Leuten, darunter George F. Kennan, als Fehler und Beginn eines neuen Kalten Krieges bezeichnet. Doch alle Warnungen wurden in den Wind geschlagen.
"Putin kam übrigens als Pro-Europäer an die Macht, der unbedingt normale Beziehungen wollte."
Unter George W. Bush wurde die NATO um sieben Länder erweitert. Die ganze Zeit habe Putin darum gebeten, die russischen Sicherheitsbedenken zu berücksichtigen – und die NATO nicht auszudehnen. Bei dem NATO-Gipfel von Bukarest 2008 habe George Bush privat mit Sachs über die NATO-Erweiterung gesprochen, und ebenso die europäischen Regierungschefs:
"Aber sie schweigen sich öffentlich aus. So funktioniert Europa. Die USA sagen, was sie tun werden, und die europäischen Staats- und Regierungschefs mögen sich zwar beschweren, sie mögen sich winden, aber sie erklären ihrer eigenen Bevölkerung nicht, was auf dem Spiel steht."
Jeffrey Sachs gibt weitere Einblicke, wie die imperialistische US-Politik funktioniert, wie die passende Propaganda ("Narrative") zur jeweiligen Agenda entwickelt wird. Im Laufe des Interviews streift Sachs auch die Themen Nord Stream und China. Er geißelt dabei die US-Außenpolitik und die Kriege des US-Imperiums als maßlos und arrogant. Die politische Elite agiere im Glauben völliger Straflosigkeit – auch gegenüber einer atomaren Supermacht wie Russland. Nur wenige US-Präsidenten hätten es bisher geschafft, die US-Kriegsmaschine zu bremsen – Kennedy habe womöglich dafür mit seinem Leben bezahlt.
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In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.
Das Ende des Weltwirtschaftssystems – wie wir es kennen
Wie geht es weiter mit den Strukturen der Weltwirtschaft? Hat die Globalisierung eine Zukunft oder nicht? Wenn ja, in welcher Form? Um sich diesen für uns alle entscheidenden Fragen zu nähern, beginnt Noah Smith zunächst mit einer empirisch fundierten Analyse der Globalisierungsgeschichte seit 2000, um dann mögliche Szenarien für die Zukunft zu diskutieren.
Nach dem Ende des Kalten Krieges schmiedeten die Vereinigten Staaten eine neue Welt. Die treibende, animierende Idee hinter dieser neuen Welt war der Glaube, dass die Integration des globalen Handels internationale Konflikte einschränken würde. Zunächst beruhte dies auf einer Fukuyama-ähnlichen Theorie vom „Ende der Geschichte“, nach der die politische und wirtschaftliche Liberalisierung der Globalisierung folgen würde. Aber als klar wurde, dass verschiedene bürokratische Einparteien-Oligarchien und Ölstaaten (vor allem China und Russland) gegen das Ende der Geschichte resistent waren, wurden die Hoffnungen auf Handel bescheidener.
Man hoffte nun, dass wirtschaftlich verbundene und dadurch voneinander wechselseitig abhängige Staaten wenigstens nicht in einen aktiven (militärischen) Konflikt einsteigen würden. Die westlichen Demokratien zahlten dafür allerdings auch einen Preis.
China (und auch Russland) wurden in die Welthandelsorganisation aufgenommen. Der Westen schaute dann bei verschiedenen Regelverletzungen bewusst weg. Z.B. bei Währungsmanipulationen, verschiedene merkantilistische Politiken, schlechten Arbeitsbedingungen und niedrigen Umweltstandards. Oder auch bei der Verletzung von Menschenrechten. Um den Handel, vor allem mit China, nicht zu beschädigen, verzichtete man im Grunde genommen auf die Reziprozität in der Bewertung von Verhalten. Womit sich der Prozess der Globalisierung stark beschleunigte und sich die Rollen und die Schwerpunkte der großen Akteure dramatisch verschoben. Mit einer eindrucksvollen Grafik zeigt der Artikel, wie sich dabei China seit 2001 ins Zentrum der Wertschöpfungsketten und damit in eine dominante Schlüsselposition geschoben hat.
Während die globalen Fertigungs-, Handelsnetzwerke und Lieferketten einst von den USA, Japan und Deutschland dominiert worden waren, belegte China jetzt den zentralen Platz in all diesen Bereichen:
Es gab natürlich immer Kritik an diesem Prozess. Aber es gab eben auch sehr viele Gewinner. Produzenten im Westen steigerten mit der Auslagerung der Produktion ihre Gewinne und auf dem Papier auch ihre Produktivität. Der Einzelhandel und die Verbraucher profitierten von den billigen chinesischen Produkten. Westliche Unternehmen investierten in wachsende chinesische Märkte usw.. Allerdings:
Die Produktionsarbeiter in reichen Ländern haben viel verloren, aber das war ein Preis, den unser Land zu zahlen bereit war. Amerika und unsere Verbündeten der reichen Welt wurden von der Werkstatt der Welt zum Forschungspark der Welt, und die Menschen, die unsere Fabrikarbeiter waren, wurden zu Hausmeistern und Köchen und Wachleuten dieses Forschungsparks.
Auch auf der Seite Chinas gab es Licht und Schatten durch diese Art der Globalisierung. Für die Kommunistische Partei gefährdeten die ausländischen Einflüsse und Investitionen die Kontrolle über das Land.
Und die Konzentration auf das mittlere Segment der globalen Lieferkette – der Montage, Verarbeitung und Verpackung, die eine enorme Mobilisierung von Ressourcen erfordert, aber nur bescheidene Gewinnmargen barg die Gefahr für China in sich, im gefürchteten „Middle Income Trap“ (Einkommensfalle)“ zu landen.
Also im globalen ökonomischen Wettbewerb zwischen den armen Tieflohnländern und den reichen Hochtechnologieländern in der Mitte stecken zu bleiben. Und so begann Mitte der 2010er Jahre die Kompromissbereitschaft auf beiden Seiten zu wackeln. Die USA verstärken Investitions- sowie Import-/ Exportkontrollen, China setzte stärker auf den Binnenmarkt und auf eigene High-Tech-Entwicklungen. Um das Jahr 2020 kam – so Noah Smith – etwas hinzu, das noch mächtiger war als die reinen Wirtschaftsinteressen: Großmachtkonflikte.
In den Jahren 2020 und 2021 überzeugten eine Reihe von Ereignissen die chinesische Führung (und viele Beobachter …. auf der ganzen Welt) davon, dass Chinas System die USA in Bezug auf wirtschaftliche Vitalität, politische Stabilität und umfassende nationale Macht überholt hatte. Die meisten dieser Ereignisse standen im Zusammenhang mit der Covid-Pandemie. Chinas Fähigkeit, einfache Waren wie Masken und Covid-Tests herzustellen, gepaart mit den Schwierigkeiten der USA bei der Herstellung dieser Dinge schien Chinas Positionierung in der globalen Lieferkette zu bestätigen. Chinas Fähigkeit, das Virus mit nicht-pharmazeutischen Interventionen zu unterdrücken, schien seine höhere staatliche Kapazität zu demonstrieren. Und die Unruhen in den USA in den Jahren 2020 und Anfang 2021 schienen auf eine Gesellschaft hinzudeuten, die intern zu gespalten war, um weiterhin eine zentrale Rolle auf der Weltbühne zu spielen.
Xi Jinping fasste wohl den Entschluß, seinen großen Plan – d.h. die Absetzung der USA als globalen Hegemon – nun zu starten. Die chinesischen Reformer wurden endgültig kaltgestellt, die wirtschaftliche Öffnung Chinas gestoppt, die Außenpolitik wird noch selbstbewusster und konfrontativer (siehe u.a. Taiwan und die Unterstützung Putins). Auch wenn das auf Kosten des ökonomischen Wachsums gehen wird – wofür Smith einige Hinweise gibt.
Ganz klar ist auch, die USA waren zwar bereit, die Schwächung von Teilen ihrer Produktionsbasis zu tolerieren, aber sicher nicht ihren realen Abstieg zu einer Macht zweiter Klasse.
Mit anderen Worten, während beide Länder während der Chimerica-Ära den gegenseitigen wirtschaftlichen Nutzen priorisierten, den sie aus einer symbiotischen Beziehung ziehen konnten, priorisieren sie jetzt den militärischen und geopolitischen Wettbewerb als ein Null-Summen-Spiel, für das die eigene Wirtschaft ein wesentlicher Pfeiler ist.
Die Märkte ihrerseits scheinen zu erkennen, dass es dieses Mal anders ist. Chinas Aktien stürzten nach dem Parteitag so sehr ab, dass sie jetzt unter dem Wert ihrer Vermögenswerte auf dem Papier gehandelt werden.
Wie könnte also ein vermutliches sich nun entwickelndes Weltwirtschaftssystem der Zukunft aussehen? Eine vernünftige Annahme – so Smith – die Ära der globalen Wertschöpfungsketten wird nicht vollständig zu Ende gehen. Man kann nicht wirklich in vollständig geschlossene nationale Wertschöpfungsnetze zurückkehren. Es werden sich Blöcke bilden. Ein Block wird offensichtlich China sein:
Xi und seine Anhänger wollen, dass China alles Wertvolle im eigenen Haus herstellt und besitzt und sich nur bei Rohstoffe und andere minderwertigen Waren auf andere Länder verlässt.
Ohne eine funktionierende liberale Weltordnung zur Durchsetzung des Freihandels erfordert die Sicherung dieser Ressourcen wahrscheinlich geopolitische und sogar militärische Maßnahmen.
Es wird Kämpfe um die Ressourcen einiger neutraler Länder geben, einschließlich armer Länder, und dies könnte sich in einigen hässlichen Stellvertreterkämpfen im Stil des Kalten Krieges äußern.
Wesentlich unklarer ist die Entwicklung des zweiten oder weiterer Blocks.
Es könnte etwa sein, dass die Biden-Administration und/oder ihre Nachfolger der Fata Morgana einer autarken USA und einer „Buy American“-Politik folgen. Was natürlich den Verbündeten und verbleibenden Handelspartnern schadet und so die Bildung eines gemeinsamen mehr oder weniger demokratischen Blocks verlangsamt. Ein solcher großer Block könnte und sollte nicht nur
Amerikas formelle Verbündete oder die entwickelten Demokratien beinhalten; stattdessen würde er viele Entwicklungsländer umfassen, die sich gegen die chinesische Macht absichern und den Zugang zu den Märkten der reichen Welt sichern möchten. Zwei Paradebeispiele sind Indien und Vietnam. Ich habe kürzlich einen Artikel in The Economist darüber bemerkt, wie Apple – das Aushängeschild für amerikanische Investitionen in China – beginnt, die Produktion in diese Länder zu verlagern.
Vorausgesetzt es gibt keinen neuen Weltkrieg, könnte sich also ein weitgehend, aber nicht vollständig vernetztes globales Produktions- und Handelssystem mit zwei technologisch fortgeschrittenen Hochleistungsblöcken herausbilden, die hoffentlich politisch weitgehend friedlich im wirtschaftlich und sozialen Wettbewerb gegeneinander antreten. Und die dabei um den Einfluss im Rest der Welt kämpfen.
Mit der Zauberformel „Wasserstoff“ bekommt man im Moment viele Projekte finanziert und genehmigt. Als große Hoffnung auf dem Weg in eine klimaneutrale Wirtschaft gilt Wasserstoff, weil er im Gegensatz zu fossilen Energieträgern keine schädlichen Emissionen verursacht. „H2-ready“ sollen deswegen nun laut Bundesregierung die LNG-Terminals sein, die im Rekordtempo aus dem Boden gestampft werden. Über sie soll Flüssigerdgas nach Deutschland importiert werden – als Ersatz für russisches Pipeline-Gas. H2-ready bedeutet: Zu einem späteren Zeitpunkt sollen sie auch Wasserstoff ins Land transportieren können.
Doch ob diese Infrastruktur auf klimaneutral erzeugte Energieträger umgerüstet werden kann, ist „mit großen Unsicherheiten“ behaftet, heißt es nun in einer Studie des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung.
„Derzeit ist unklar, ob die Terminals mit ihren hohen Investitionskosten in Zukunft weiter nutzbar sind“, sagt hingegen Fraunhofer-Forscherin Matia Riemer. Mit ihrem Kollegen Florian Schreiner hat sie die LNG-Pläne im Auftrag der Europäischen Klimastiftung (ECF) unter die Lupe genommen. Die Ergebnisse bestätigen, was man in der Gaswirtschaft schon länger munkelt: So ist zum einen unklar, ob die Nachfrage nach klimaneutral erzeugtem Wasserstoff und Ammoniak in Zukunft so groß wird wie bei den Terminalplänen angenommen.
Zum anderen ist der zum Transport üblicherweise verflüssigte Wasserstoff mit minus 252,9 Grad Celsius etwa 90 Grad kälter als LNG, Ammoniak hingegen deutlich korrosiver. Beides bringt laut Studie hohe Anforderungen an die Materialien von Tanks, Leitungen und anderen Komponenten mit sich – wobei es derzeit zum Teil schlichtweg am Know-how zum Umgang damit mangele.
Den nun kurzfristig angeschafften schwimmenden Terminals bescheinigt die Studie, kaum umgerüstet werden zu können. Aber auch die derzeit geplanten drei fest installierten Terminals, die ab 2026 in Betrieb gehen sollen, könnten demnach in einer klimaneutralen Zukunft zu Stranded Assets werden.
Die Deutschen Umwelthilfe (DUH) spricht angesichts der großen Zweifel, ob die Terminals klimafreundlich weitergenutzt werden können, von Irreführung der Öffentlichkeit.
Das Amtsgericht Flensburg hat einen Klimaaktivisten freigesprochen, obwohl sie anerkannte, dass er als Baumbesetzer Hausfriedensbruch begangen hatte: weil Klimaschutz das Eigentumsrecht des Waldbesitzers trumpft.
Es waren unruhige Wochen Anfang 2021, als mehrfach Lieferwagen der Hotelinvestoren brannten, Demonstranten Bauzäune niederrissen und sich die Baumbesetzer ein Katz- und Maus-Spiel mit der Polizei lieferten. Vier Tage lang hatten Hundertschaften der Polizei das Gehölz umstellt, auf dem zwei Flensburger Unternehmer ein Intercity-Hotel bauen wollen, während einige Meter über dem Grund Demonstranten über Traversen balancierten. Einer der letzten, die dort ausharrten, war der 42-jährige Angeklagte. Von Oktober bis Februar hatte er die meiste Zeit in den selbst gezimmerten Baumhäusern verbracht. Deshalb musste er sich nun verantworten.
Der Vorwurf: Hausfriedensbruch. Einer der Hotelinvestoren hatte Strafbefehl beantragt. Die Richterin sah zwar den Tatbestand des Hausfriedensbruchs als erfüllt an. Aber sie wertete Klimaschutz als höheres Rechtsgut.
Der Sprecher des Amtsgerichts Stefan Wolf erklärte dazu: „Die Richterin hat den Klimaschutz hier als Rechtsgut von Verfassungsrang mit dem Eigentumsschutz der Waldeigentümer abgewogen und dann entschieden, dass der Klimaschutz hier als Rechtsgut wesentlich überwogen hat und diese Tat des Hausfriedensbruchs in diesem konkreten Fall gerechtfertigt hat.“ In der Begründung verwies die Richterin auch auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 2021, das die Gesetzgebung zum Klimaschutz als unzureichend bewertet hatte. Zwar sind als Ausgleich Aufforstungen an anderer Stelle geplant. Der Baumbesetzer hatte aber auch angeführt, das zentrale Waldstück habe eine gute Wirkung auf das Stadtklima. Zudem sei das Biotop nicht einfach ersetzbar.
Einige Klimaaktivist*innen schielen schon länger auf den „rechtfertigenden Notstand“ nach §35 StGB – sie argumentieren, die Klimakrise sei eine derartige Gefahr für Leib, Leben und Freiheit, dass das mitunter auch radikale Aktionen rechtfertige. […] Diesmal scheint es geklappt zu haben, auch unter Verweis auf das Bundesverfassungsgericht. Ist jetzt nur ein Amtsgericht, aber erfahrungsgemäß schauen Gerichte ja aufeinander.
„Wie sind Sie bankrott gegangen?“, fragte man einst Ernest Hemingway. Er antwortete: „Auf zwei Arten. Erst allmählich, dann plötzlich.“
Diese lakonische Art begegnet einem derzeit in verschiedenen Krisenszenarien:
Die Klimakrise wurde lange verleugnet – jetzt resignieren viele, weil man jetzt eh nichts mehr machen könne.
Dasselbe beim demografischen Wandel: Lange absehbar, dass die Boomer-Generation eines Tages in den Ruhestand wandert und Lücken am Arbeitsmarkt reißt. Nun ist genau dieser Prozess im Gang – und die Angst groß, wie man diesem Wandel konstruktiv begegnen könnte.
Der hier empfohlene Artikel (inkl. Video) mit vielen Fakten und Statistiken, vor allem runter gebrochen auf Brandenburg und Berlin, zeigt die vielfältigen Problematiken am Arbeitsmarkt auf. Nicht nur brechen diese erfahrenen Arbeitskräfte in vielen Branchen weg. Auch der Nachwuchs will sich kaum für diese Art von Arbeit gewinnen lassen. Der berühmte Fachkräftemangel schlägt deutlicher zu als befürchtet – und die Lösungen liegen eben nicht mehr auf der Hand.
So doktert man an vielerlei Stellen herum:
400.000 arbeitswillige Einwander*innen bräuchte es – pro Jahr!
Mehr Arbeitsstunden pro teilzeitarbeitenden Menschen aka Frauen (wenn jede Teilzeitangestellte in Deutschland lediglich 1 Stunde mehr arbeiten würde pro Woche entspräche dies 60.000 weiteren Vollzeit-Erwerbstätigen)
Bessere Weiterbildung bei Arbeitslosigkeit (Reform Bürgergeld)
Mehr Menschen eine Berufsausbildung ermöglichen
Diskussion der Rente mit 70
Schließlich die heilige Kuh angehen: Eine einfachere Anerkennung von ausländischen Abschlüssen und Berufserfahrung ermöglichen.
„Die Regierung plant, den Arbeitsmarkt auch für Fachkräfte zu öffnen, die einen Arbeitsvertrag, aber noch keinen hierzulande anerkannten Abschluss haben. Diesen könnten sie dann mit Hilfe des deutschen Arbeitgebers nachholen.“
Anders als bisher sollen für die Einreise der Nachweis eines Abschlusses und Berufserfahrung ausreichen. Das Anerkennungsverfahren könne dann nach der Einreise und parallel zur Arbeit betrieben werden. (Klar, ohne Abschluss geht in Deutschland weiterhin nichts …)
Schließlich wird noch auf den Arbeitsplatzabbau aufgrund von Automatisierung und Digitalisierung verwiesen, aber das Defizit an geeigneten Arbeitnehmer*innen sei dennoch viermal höher als der Wegfall von Arbeitsplätzen, so die IHK.
Das liegt natürlich auch an der langsamen Digitalisierung und fehlenden Smartness des hiesigen Systems. Während andernorts bald die autonomen LKW und PKW starten, denken wir weiterhin darüber nach, wie man der LKW- und Personenbeförderung neue Arbeitskräfte zuführen könnte. Oder Verwaltungsdienstleistungen auch zukünftig manuell bewerkstelligen kann – mit mehr Personal.
Was es aber eigentlich bräuchte, wäre eine Kraftanstrengung, wie wir alle gemeinsam unsere wenigen Kräfte bündeln und neue, transformative Lösungen suchen könnten, um die Herausforderungen unserer Zeit intelligent und zeitgemäß zu lösen. Hier müssten sich alle bewegen. Nicht nur die Erwerbstätigen, sondern auch die Betriebe und Organisationen, die Kammern, das Bildungssystem und zuallererst der politische Betrieb. Aber vielleicht ist der Leidensdruck immer noch nicht hoch genug und wir befinden uns weiterhin beim: „Erst allmählich.“
Eine aktuelle Veröffentlichung aus der Management School des MIT beschäftigt sich auf Grundlage empirischer Analysen mit dem neuen, sich anbahnenden Verhältnis von menschlicher Arbeitskraft und künstlicher Intelligenz (KI): Es zeigt sich dabei immer mehr, dass KI Menschen nicht ersetzen wird, sondern deren Fähigkeiten ausweiten wird.
Für die Untersuchung wurden 29 teils auch bekanntere KI- bzw. Robotik-Anwendungen (Flippy-Burger) unter die Lupe genommen, die in den letzten Jahren dafür eingesetzt wurden, menschliche Arbeitskraft teils zu ersetzen. Es hat sich danach gezeigt, dass KI (und Robotik) nicht dort eingesetzt werden sollte, wo sie menschliche Arbeitskraft ersetzt, sondern vielmehr dort, wo sie menschliche Arbeitskraft erweitert: Bei der Recherchearbeit, der sensorbasierten Überwachung, der Analyse von Risiken, der Bewertung von Standardprozessen. In der Folge kann die Produktivität des Menschen erhöht und die Kosten reduziert werden.
Als besonders wertvoll hat sich der Einsatz von KI in vier Anwendungsbereichen erwiesen:
Bei der Produktentwicklung in der Pharmaindustrie kann KI die Schaffung neuer Medikamente extrem beschleunigen.
In Unternehmen kann KI helfen, knappe menschliche Ressourcen dadurch besser für Grundsatzarbeit einzusetzen, dass sich KI um die Routinetätigkeiten „kümmert“.
Wenn in Risikobereichen schnelle Entscheidungen auf Basis der Auswertung umfangreicher Datenmengen getroffen werden müssen, kann kein Mensch KI an Schnelligkeit übertreffen.
Im medizinischen Bereich kann KI auf Basis einer sehr viel breiteren Datenmenge, als es ein menschlicher Arzt je könnte, medizinische Empfehlungen formulieren.
Kulturpessimisten können also aufatmen; Kreativität, Weisheit und Kontext bleiben vorerst eine menschliche Domäne.
Eine Videopräsentation dieser Ergebnisse kann man sich auch hier anschauen.
Diese Empfehlung unter der Rubrik „Volk und Wirtschaft“ zu finden, mag im ersten Moment etwas irritieren. Beim Reinhören in die Sendung von Deutschlandfunk Kultur wird aber schnell klar, dass die Zuordnung kein Fehler ist. Denn das Arbeitsverständnis in unserer Gesellschaft ist auch durch christliche bzw. genauer durch katholische und protestantische Einflüsse geprägt – bis hin zum Konzept der sozialen Marktwirtschaft. Das gilt im Übrigen auch für andere große Religionen, die das Verständnis von Arbeit und Wirtschaft in ihren Kontexten ebenfalls mitgeprägt haben.
Gleichzeitig haben die beiden großen Kirchen in Deutschland sich im Zuge der Industrialisierung auf die veränderten Lebens- und Arbeitsbedingungen einlassen müssen. Dazu haben sie spezialisierte Arbeitsbereiche (Betriebsseelsorge bzw. Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt) entwickelt, die sich auch in Arbeitskonflikte und in die Auseinandersetzungen um Betriebsschließungen eingebracht haben. Ein schon fast historisches Beispiel ist die Auseinandersetzung um die Schließung des Stahlwerkes in Rheinhausen in den 1980er Jahren. Aber auch die Skandalisierung menschenunwürdiger Arbeitsbedingungen in Großschlachtereien oder die Arbeitsbedingungen von Lkw-Fahrern gehören heute zu den Themenbereichen dieser kirchlichen Arbeitsbereiche.
Michael Hollenbach verschafft mit seiner gut 50-minütigen Sendung einen lebendigen und eindrucksvollen Einblick in dieses kaum bekannte kirchliche Arbeitsfeld. Auch dass die Kirchen selbst – vor allem ihre Wohlfahrtsverbände, die insgesamt rund 1,5 Millionen Menschen beschäftigen – große Arbeitgeber sind, die aufgrund des kirchlichen Sonderarbeitsrechts, das seine Wurzeln im Übrigen im nationalsozialistischen Arbeitsrecht hat und offiziell noch immer den Arbeitnehmerinnen das Streikrecht vorenthält, immer stärker in der Kritik stehen, thematisiert der Beitrag.
Abgerundet wird die Sendung durch einen Blick auf die christlichen Einflüsse auf das in der deutschen Gesellschaft vorherrschende Arbeitsverständnis.
Zum Schluss noch ein Tranzparenzhinweis: Da ich selbst viele Jahre im Ruhrgebiet im Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt gearbeitet habe, hat Michael Hollenbach mich im Rahmen seiner Recherchen zu dieser Sendung interviewt und ich komme – unter vielen anderen Stimmen – auch mit ein paar kurzen Anmerkungen in der Sendung zu Wort.
Knallige Überschrift für diesen piq, oder? Ich habe sie direkt aus dem Text übernommen, den ich euch heute ans Herz lege. Es ist ein langer, ausgeruhter Text für all diejenigen, die nach einem Crash-Kurs zu Blockchains und Kryptowährungen suchen.
Schon alleine das Aufmacherbild ist einen Klick wert. Und was dann folgt, ist, von einem der besten Finanzjournalisten der USA geschrieben, so locker formuliert, so umfangreich und dabei trotzdem so verständlich, dass ich mir sicher bin, dass dieser Text so eine Art Standardwerk zu diesem Thema wird.
Ein Haus zu bauen, ist schon teuer genug, doch dann kommt oft auch noch ein extrem hoher Grundstückspreis dazu. Man mag das für unabänderlich halten oder für die Schuld des Kapitalismus. Das Beispiel der Stadt Ulm zeigt jedoch, dass beides falsch ist und eine Stadt es durchaus in der Hand hat, für faire Grundstückspreise zu sorgen.
Das Ulmer Prinzip ist einfach: Die Stadt erwirbt gezielt Grund und verkauft ihn anschließend zu fairen Preisen und Regeln weiter. Maren Haring hat das für Deutschlandfunk Kultur schön und ausführlich beschrieben.
Übrigens: Eine neue Idee ist das nicht. Die Ulmer Erfolgsstrategie ist schon 130 Jahre alt. Höchste Zeit, dass sie bekannter wird.
„Öffentlichkeit in die Irre geführt“: Studie weckt Zweifel an neuen LNG-Terminals
Sie sind die Hoffnungsträger, seit Gas aus Russland ausbleibt: LNG-Terminals können zunächst die Gaslücke füllen und später klimaneutralen Wasserstoff und Ammoniak anlanden. Diese Pläne der Bundesregierung sehen Fachleute des Fraunhofer-Instituts nun skeptisch – und Klimaschützer wähnen sich in die Irre geführt.
Verflüssigtes Erdgas soll helfen, kurzfristig ohne russische Lieferungen Wärme und Strom zu erzeugen. Die Bundesregierung setzt massiv auf den Bau von LNG-Terminals. Ob diese Infrastruktur auf klimaneutral erzeugte Energieträger umgerüstet werden kann, ist aber „mit großen Unsicherheiten“ behaftet, heißt es nun in einer Studie des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung.
Geht es um LNG, klingen viele Bundes- und Landespolitikerinnen und ‑politiker seit Monaten anders: Man plane „von Anfang an, diese Infrastruktur in Zukunft auch für Wasserstoff nutzen zu können“, heißt es bei der Bundesregierung. „Die Terminals, die Leitungen, die Verdichterstationen – alles wird auch auf Wasserstoff ausgelegt“, gelobte Wirtschaftsminister Robert Habeck noch Ende September im Bundestag.
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Speicher, Pipelines, Preise: täglich aktualisierte Daten zur Energieversorgung
„Derzeit ist unklar, ob die Terminals mit ihren hohen Investitionskosten in Zukunft weiter nutzbar sind“, sagt hingegen Fraunhofer-Forscherin Matia Riemer. Mit ihrem Kollegen Florian Schreiner hat sie die LNG-Pläne im Auftrag der Europäischen Klimastiftung (ECF) unter die Lupe genommen. Die Ergebnisse bestätigen, was man in der Gaswirtschaft schon länger munkelt: So ist zum einen unklar, ob die Nachfrage nach klimaneutral erzeugtem Wasserstoff und Ammoniak in Zukunft so groß wird wie bei den Terminalplänen angenommen.
Zum anderen ist der zum Transport üblicherweise verflüssigte Wasserstoff mit minus 252,9 Grad Celsius etwa 90 Grad kälter als LNG, Ammoniak hingegen deutlich korrosiver. Beides bringt laut Studie hohe Anforderungen an die Materialien von Tanks, Leitungen und anderen Komponenten mit sich – wobei es derzeit zum Teil schlichtweg am Know-how zum Umgang damit mangele.
Bestenfalls entstehen hohe Mehrkosten
Selbst wenn das berücksichtigt wird, veranschlagen Riemer und Schreiner für die Umrüstung auf Ammoniak etwa 30 Prozent der ursprünglichen Investitionskosten. Bei Wasserstoff seien es gar 50 Prozent, dort berge das Fehlen praktischer großindustrieller Anwendungen weitere Unwägbarkeiten. Für „nicht möglich“ halten Riemer und Schreiner außerdem, ein Terminal gleichzeitig für verschiedene Energieträger zu nutzen oder flexibel vom einen zum anderen zu wechseln.
Bei der Deutschen Umwelthilfe (DUH) forderte Geschäftsführer Sascha Müller-Kraenner hingegen, von vornherein ausschließlich auf wasserstoff- und ammoniaktaugliche Terminals zu setzen. „Die Vorhabenträger behaupten in Dauerschleife, ihre Terminals würden später ganz einfach für die Energiewende nutzbar sein, und führen damit die Öffentlichkeit in die Irre“, kritisierte außerdem DUH-Klimaexperte Constantin Zerger.
Die vom Wirtschaftsministerium geplante Verordnung für LNG-Anlagen sieht diese als kurzfristige Lösung für Gasimporte. „Gleichzeitig ist geplant, dass die LNG-Infrastruktur in Zukunft auch für Wasserstoff genutzt werden kann“, heißt es im aktuellen Referentenentwurf zu Nutzungsszenarien ab spätestens 2044. Wie das angesichts der Fraunhofer-Erkenntnisse gelingen soll, beantwortete das Wirtschaftsministerium am Freitag nicht.
Netzagenturchef rechnet mit bis zu drei LNG-Terminals schon in diesem Winter
rnd.de, 06.09.2022, 14:26 Uhr
LNG-Gas ist eine der wichtigsten Säulen für Deutschland im Kampf gegen eine Gasmangellage. Und Bundesnetzagenturchef Klaus Müller hat gute Nachrichten: Bis zu drei LNG-Terminals sollen in diesem Winter in Betrieb gehen. Dennoch müsse weiter Gas eingespart werden, appelliert Müller.
Neben zwei staatlichen LNG-Terminals, bei deren Vorbereitungen es derzeit keine Verzögerungen gebe, sei auch die Inbetriebnahme eines privat betriebenen Terminals in Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern in Aussicht gestellt, sagte Müller am Dienstag nach Gesprächen mit der Thüringer Landesregierung. Bei einer Klausur auf Schloss Ettersburg bei Weimar ging es um die Versorgungssicherheit im Winter.
Gazprom nimmt Gas-Lieferung über Nord Stream 1 nicht wieder aufEigentlich sollte der Betrieb am Samstag wieder aufgenommen werden. Doch nun kommt alles anders.
Drei LNG-Terminals an Nord- und Ostsee in diesem Winter – möglicherweise bereits zum Jahreswechsel zu 2023 – sowie insgesamt sechs bis sieben Terminals im kommenden Jahr würden Deutschland signifikante Importmöglichkeiten ermöglichen, sagte Müller. Die Terminals für verflüssigtes Gas seien wichtig bei der Vermeidung einer Gasmangellage. „Aber LNG-Gas ist teuer“, fügte er hinzu.
Thüringens Energieministerin erwartet Winter der Solidarität
Der Agenturchef und Thüringens Energieministerin Anja Siegesmund (Grüne) appellierten an die Bürger, Energie zu sparen. Im Vergleich zu den Vorjahren sollten 20 Prozent des Verbrauchs auch im privaten Bereich eingespart werden. „Das ist eine Herkulesaufgabe“, so Müller. Es helfe aber, eine Gasmangellage in Industrie und Gewerbe zu verhindern. Siegesmund sprach von einem Winter der Solidarität.
Müller bekräftigte, dass die Einspeicherung von Gas in Deutschland ungeachtet des Gas-Lieferstopps durch die Pipeline Nord Stream 1 weitergehe. Inzwischen liege der Füllstand der Speicher bei 86 Prozent. Das sei möglich, weil Deutschland beim Einkauf hohe Preise zahle und es Einsparungen in der Wirtschaft, aber auch in anderen Bereichen gebe. Ziel sei, den Speicherfüllstand auf 95 Prozent zu bringen. RND/dpa
Die Gasspeicher sind nach wie vor erstaunlich voll: Weil es so schön warm war im Oktober. Der Klimawandel ist unser Freund. Das Wetter mag die westlichen Werte. Was für eine moderne Wirtschaftspolitik das doch ist, die sich wieder vom Wetter abhängig macht!
Letzte Woche wurde Robert Habeck – speziell von seinen Parteigenossen – belobigt: Er könne es halt. Das belegen die annähernd vollen Gasspeicher eindrucksvoll. Und das Ende Oktober. Klar, es liege halt auch am Wetter. Erstaunlich warm sei es gewesen, Gärten blühten noch und wer beim Bäcker stand, beobachtete weiterhin Bienen und Wespen, die sich emsig über das Süßzeug hermachten. Habeck wurde offenbar für seine meteoreologische Weitsichtigkeit gedankt. Der Schönwetterminister musste vermutlich laut durchatmen, denn es hätte ja auch ganz anders kommen können.
Was, wenn es im Oktober kalt gewesen wäre? So wie es im Oktober zuweilen ist? Die Speicher wären jetzt nicht annähernd voll. Habeck wäre dann womöglich – außer von seinen Parteigenossen – stark getadelt worden. Kurz und gut: Die vermeintlich gute Versorgungslage basiert auf einem wetterwendischem Zufall. Dass Wirtschaftspolitik aus dem Jahr 2022 so rückschrittlich sein kann, das hätten wir uns vor einiger Zeit nicht ausmalen können.
Grüner Wetterschamane
Jahrtausende führten die Menschen einen Kampf gegen die Natur. Und ganz besonders gegen das Wetter. Die Witterung entschied zuweilen über Leben und Tod. Entweder verhagelte es die Ernte oder aber sie verbrannte auf den Feldern. Selbst wenn die Ernte eingefahren werden konnte, waren die Erträge zuweilen schmal. Die Menschheitsgeschichte ist eine Geschichte einer Spezies im Kampf gegen die Zwänge der Natur – und die Naturgewalten. Erst in jüngerer Geschichte konnte sich der Mensch etwas davon unabhängig machen. Durch Forschung, durch Handel und Innovation. Auch durch eine Verwaltung, die die Versorgungslage der Bevölkerung ins Auge fasste.
Natürlich wurde das Klima in den letzten Jahren wieder stärker zu einem maßgeblichen Faktor. Aber in einer Art und Weise, wie man jetzt mit dem Wetter spekuliert, erlebte man das zuletzt nie. Denn was die Gasspeicher betrifft, hat man sich einfach mal Spekulationen hingegeben: Es wird schon nicht so kalt werden, nicht so viel geheizt werden müssen. Et hätt ja noch immer jot jejange. Warum nicht auch diesmal?
Es ist, als ob die Entscheider da stille Anbetungen vollzogen haben, so wie manches Urvolk, das seine Götter anflehte, sie mögen gnädig mit ihm verfahren und Sonnenschein schicken. Oder Regen – je nachdem, was gerade geboten war. Wir können ja froh sein, dass in uns keine Maya-Kultur lauert. Die Maya haben Angehörige anderer Stämme rituell ausgeweidet, um die Götter zu besänftigen. Es gab aber allerlei Wetterbeschwörungen in unserer Historie. Charmant womöglich der Regentanz indianischer Völker. Es wurden außerdem Wettermessen gelesen, es gab Wetterschießen und Wetterhornblasen, im Mittelalter beschwor man Wolkenformationen mit Kreuzzeichen. Und wir heute, unter den grünen Medizinmännern, hoffen einfach still vor uns hin: Gratulieren aber dem Wirtschaftsschamanen herzlichst, wenn das Wetter hielt – als sei es seine persönliche Leistung gewesen.
Wetterabhängigkeit ist totaler Kontrollverlust
Die Medien stimmten eintönig mit in den Chor der Erleichterten, als neulich der neueste Gasspeichermeldestand durchgegeben wurde. Alles laufe gut, schrieben sie. Das Wetter habe mitgespielt. Ein lapidarer Satz, der alles erklären soll, aber eigentlich nur eines erklärt: Die aktuelle Politik hat sich dazu entschlossen, sich wieder vom Wetter abhängig zu machen. Wie unsere Ahnen. Uns bleibt nichts mehr übrig außer zu hoffen, dass es nicht zu kalt wird. Der Winter mild wird. Mehr kann man in einer modernen Ökonomie scheinbar nicht mehr tun. Hoffen und beten: Als Eckpfeiler des Handels, als Stütze der Versorgungssicherung. Petrus als Wirtschaftsminister – und Robert als sein Statthalter auf Erden.
In den letzten Tagen wurde es merklich kälter. Ist uns der westliche Wettergott nicht mehr gewogen? Hat er sich abgewandt? Bedeutet das, dass er unseren Kampf nicht mehr unterstützt? Ob wohl ein Sonnentänzchen vor dem Bundestag hilft? Oder vor dem Wirtschaftsministerium? Sollten nicht vielleicht alle Bürgerinnen und Bürger dazu verpflichtet werden, täglich für Sonnenschein zu tanzen? Und die Alten zu beten? Ob die Sonne wohl wirklich Opfergaben in Form menschlichen Fleisches benötigt? Vielleicht wussten die Maya ja mehr als wir. Und was, wenn da was dran ist an dieser alten Weisheit indianischer Völker? Wer hat dann die Ehre, sich für gutes Wetter und volle Gasspeicher aushöhlen zu lassen? Freiwillige vor! Längst haben wir die Pfade der Seriosität verlassen. Die Berliner Republik ist zu einem Schönwetterstaat verkommen, der nur dann zu funktionieren scheint, wenn es keine Krise gibt. Aber nur ein kleines Krisenanzeichen und er wird zum ideologischen Durchhaltestaat, in dem es keine Restvernunft, keinen Restverstand mehr gibt. Dann wird gehofft und nicht gemacht, gebetet und nicht verhandelt. Denn die Gerechtigkeit ist bekanntlich mit uns. Man kann das sogar am Wetter ablesen. Was für eine Meteorologie des Wahnsinns und der Fahrlässigkeit: Wer sich 2022 ohne Not vom Wetter abhängig macht, muss die Kontrolle vollkommen verloren haben.
Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.
Soziologin: Unaufgearbeitete Corona-Politik ist „eiternde Wunde“ – „Wir müssen analysieren, was schief gelaufen ist“
Unter dem Titel „Pandemiepolitik. Freiheit unterm Rad?“ erschien vor kurzem eine interdisziplinäre Essaysammlung zur Corona-Krise. Es geht um die Folgen eines Worst-Case-Denkens, gebrochene Lebenswege und die notwendige Aufarbeitung. Ein Interview mit der Soziologin und Mitherausgeberin Sandra Kostner.
Multipolar: Frau Kostner, wie ist es zu Ihrem aktuellen Buchprojekt gekommen?
Kostner: Ende letzten Jahres hat sich eine Gruppe namens „7 Argumente“(gegen eine Impfpflicht, Anmerkung J.K.) gebildet. Sie entstand aus einem Kreis von Wissenschaftlern, der sehr interdisziplinär zusammengesetzt ist. Die freie Journalistin Tanya Lieske trat an die Gruppe mit der Idee heran, eine Publikation zu erstellen. Es sollte darum gehen, die Maßnahmen, die im Rahmen der Pandemiepolitik getroffen wurden, sowie die dadurch bedingten Veränderungen in der Gesellschaft zu dokumentieren, um sie für die Nachwelt festzuhalten. Wichtig war Tanya Lieske, dass keine Streitschrift entsteht. Es sollte zwar aufgezeigt werden, was schief gelaufen ist, doch das Ganze sollte im Duktus der Versöhnung gehalten sein. Es kam dann zu einem Aufruf an die zum damaligen Zeitpunkt rund 80 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Gruppe. Ich selbst habe mich bereiterklärt, das Buch mit Tanya Lieske herauszugeben.
Multipolar: Im Augenblick verschieben sich thematisch die Gewichte. Der Ukraine-Konflikt dominiert. Hüten sollte man sich aber sicherlich davor, nun die Aufarbeitung der Corona-Krise zu vernachlässigen. Ich denke, Ihr Buchprojekt ist nach wie vor aktuell.
Kostner: Ja, das sehe ich auch so. Die Texte sind im Januar und Februar 2022 entstanden. Die meisten Autorinnen und Autoren haben sie dann noch mal aktualisiert, dennoch handelt es sich natürlich um Analysen aus der Zeit von Anfang dieses Jahres. Manches hat sich inzwischen geändert, das ist klar. Doch für uns ist es sehr wichtig, dass das, was gewesen ist, nicht untergeht angesichts neuer Mega-Themen wie der Krieg in der Ukraine und die durch die westliche Sanktionspolitik hervorgerufene Energiekrise. Sicher kommt es manchem Politiker entgegen, dass wir uns jetzt in einem neuen Krisenmodus befinden. Jedenfalls könnte ich mir vorstellen, dass der eine oder andere Politiker hofft, sich dadurch dem, was in der Rückschau zu hinterfragen ist, nicht stellen zu müssen. Doch durch die zweieinhalbjährige Maßnahmenpolitik kam es zu schweren gesellschaftlichen Verwerfungen. Es kam zu gebrochenen Lebenswegen und drastischen ökonomischen Konsequenzen. Vieles verlief unterm Radar. Das ist wie eine eiternde Wunde und wird früher oder später hochkommen. Wir müssen analysieren, was schief gelaufen ist, sonst besteht die Gefahr, dass man diese Fehler, sollte noch einmal eine Pandemie ausgerufen werden, wiederholt. In unserem Band tun dies unter anderem Rechtwissenschaftler, Sozialwissenschaftler, Historiker und Theologen.
Multipolar: Sie selbst verfassten für den Band einen Beitrag zum „Gesellschaftlichen Long-Covid“. Was meinen Sie damit genau?
Kostner: Mir geht es in meinem Beitrag um die dauerhaften Folgen der Corona-Politik zumindest für einen Teil der Gesellschaft – etwa in Bezug auf soziale Beziehungen. Teilweise zerbrachen jahrzehntelange Freundschaften, familiäre Bande sind brüchig geworden. All das lässt sich nicht so leicht kitten. Und man darf dies alles nicht ignorieren, indem man sagt, das sei ja nun vergangen. Oder, das sei alles so gekommen, weil man geglaubt habe, was Politik und Medien sagten. Also zum Beispiel, dass die Impfung absolut wirksam sei und Infektionen verhindern könne, weshalb man geglaubt habe, dass Ungeimpfte eine Gefahr darstellen. Jetzt wisse man mehr. Schwamm drüber.
Aber für diejenigen, die ausgegrenzt wurden, die also, weil man sie als „virale Gefährder“ ansah, zum Beispiel nicht an familiären Weihnachtsfeiern teilnehmen durften, ist das alles nicht vorbei. Für manche vielleicht schon, denn das ist ja auch eine Frage der Persönlichkeit. Aber viele empfinden eine schwere soziale Verwundung. Wird darüber nicht gesprochen, werden die sozialen Beziehungen dauerhaft belastet sein. „Gesellschaftliches Long-Covid“ betrifft aber auch die Vertrauensbeziehung, die Menschen in Politik, Medien und Institutionen haben. Diejenigen, die der Maßnahmenpolitik ganz oder teilweise kritisch gegenüberstanden, erlebten, dass sie in sehr vielem Recht hatten. Anders als Anfangs behauptet, gibt es zum Beispiel Impfschäden. Die Lockdowns hatten negative Folgen. Und die Modellrechnungen dramatisierten die tatsächliche Lage. Gleichzeitig sehen sie, dass Politik, Medien und Institutionen keinen Anlass sehen, dies zu thematisieren. Man hört so gut wie nirgends, dass bestimmte Fehler erkannt wurden, und dass man diese Fehler nicht mehr machen möchte. Ich sehe einen Vertrauensverlust, der nach und nach immer größere Teile der Gesellschaft umfasst.
Denn auch diejenigen, die lange auf das, was von Politik, Medien, Institutionen und „der“ Wissenschaft kam, vertraut haben, beginnen, ihr Vertrauen zu verlieren. Sie sehen jetzt, dass das, wovon sie glaubten, es sei korrekt, faktisch nicht korrekt ist. In erster Linie betrifft dies natürlich die Impfungen und deren Wirksamkeit. Eigentlich kann sich eine Demokratie einen solchen Vertrauensverlust nicht leisten, aber im Moment leistet sie ihn sich. Hinzu kommt etwas Drittes, das wir allerdings schon länger beobachten, nämlich, dass individuelle Freiheiten an Boden verlieren. Immer mehr Freiheitsrechte werden unter einem politischen oder auch ideologischen Vorbehalt gestellt. Gerade während der Corona-Krise wurden Freiheitsrechte außerdem moralisch aufgeladen. Es gab einen „guten“ und einen „schlechten“ Freiheitsgebrauch. Der „gute Freiheitsgebrauch“ folgte der Maßnahmenpolitik. Der „schlechte Freiheitsgebrauch“ stand dazu im Gegensatz. Das ist natürlich eine Abkehr von dem, was individuelle Freiheit ausmacht. Freiheit wurde nicht aufgegeben, weil klar ist, dass es sich um einen grundlegenden Wert der Gesellschaft handelt, aber der Begriff wurde entkernt und neu aufgeladen. Freiheit wurde kollektiviert und seine Bedeutung damit pervertiert. Hier sehe ich eine große Gefahr eines „Gesellschaftlichen Long-Covids“.
Multipolar: Die Kollateralschäden durch die Maßnahmenpolitik sind ja eigentlich sehr bald sichtbar geworden. Es gab zum Beispiel Pflegekräfte, die mit Suizidversuchen von demenziell veränderten, isolierten Senioren im Seniorenheim konfrontiert waren. Hospizbegleiter sahen, wie brutal sich die Maßnahmen auf einsam sterbende Menschen auswirkten. Dennoch regten sich kaum Zweifel und Protest. Wie ist das zu erklären?
Kostner: Ich hab mir noch mal die Medienberichterstattung seit Beginn der Corona-Krise angeschaut. Interessant finde ich, dass es in den ersten Monaten viel mehr kritische Berichterstattung gab als danach. Zwischen Mai und Juni 2020 wurden die Kollateralschäden relativ intensiv behandelt. Es wurde zum Beispiel gefragt, was die Maßnahmen für Kinder und für schwerkranke Menschen im Krankenhaus und was sie für die Wirtschaft bedeuten. Auch kam die Frage auf, wie viel Schutz denn gerechtfertigt ist angesichts von großem emotionalem Leid, das im Falle von sterbenden Menschen nie wieder gutzumachen ist. Diese Fragen spielten ab Herbst 2020 eine immer geringere Rolle. Plötzlich dominierte die Haltung: Augen zu und durch! Der Bekämpfung des Virus wurde alles andere untergeordnet. Meine Interpretation ist, dass die Politik gleich am Anfang einen großen Fehler gemacht hat, indem sie der Bevölkerung signalisierte, ein respiratorisches Virus könne durch politische Mittel aus der Welt geschafft werden. Das war zum Scheitern verurteilt. Je größer dann die Schäden wurden, umso schwerer wurde die Kehrtwende. Ich selbst glaube, je länger man in einer solchen Politik drinsteckt, umso größer wird die Gefahr, dass man in Grausamkeit abrutscht. Eben das konnte man ja dann im Diskurs über die Ungeimpften sehen.
„Es fehlte die Empathie“
Multipolar: Ich gehe noch mal kurz zurück auf den Anfang der Corona-Krise. Damals hat man ja oft gehört, als wie entlastend der erste Lockdown empfunden wurde. Endlich kann man mal wieder dazu, seine Wohnung aufzuräumen oder Bücher zu lesen. Das Bewusstsein, dass hier Freiheitsrechte massiv eingeschränkt werden, war kaum vorhanden. Das ist eigentlich erstaunlich.
Kostner: Ich selbst kann mich auch noch daran erinnern, dass es Menschen gab, die froh waren, dass sie im ersten Lockdown mal zu Dingen gekommen sind, die länger liegen geblieben waren. Die Folgen wurden ausgeblendet. Etwa, was es für Kinder bedeutet, wenn sie längere Zeit in ihrem Bildungserwerb behindert werden. Ich habe beobachtet, dass es gerade unter Akademikern am Anfang so war, dass man sich freute, endlich mal etwas mehr Zeit zu haben. Aber genau zu dem Zeitpunkt ging die Entwicklung ja schon auseinander. Während sich der Akademiker über mehr Freizeit gefreut hat, litt der Gastronom. Doch es fehlte die Empathie, sich in die Menschen, die unter den Maßnahmen gelitten haben, hineinzuversetzen.
Multipolar: Es ist schon verblüffend, wie wenig Bewusstsein es von Anfang an gegeben hat, was denn da eigentlich passiert. Auch die Ministerpräsidentenrunde wurde weithin fraglos akzeptiert. Das wirft die Frage auf, inwieweit die politische Bildung versagt hat.
Kostner: Ich selbst finde besonders frappierend, dass diejenigen, die von den Maßnahmen zunächst überhaupt nicht negativ betroffen waren, die sie vielmehr als Freiraum erlebt haben, gleichzeitig am häufigsten das Wort „Solidarität“ in den Mund genommen haben. Sie haben sich auf der “Seite der Guten“ gefühlt und betont, wie solidarisch sie sich verhalten. Kleiner Exkurs: Ich flog im Februar 2020 nach Sidney und machte mir vorab eine Liste von Themen, über die ich nach meiner Rückkehr schreiben wollte. Auf dieser Liste stand unter anderem “Missbrauch des Solidaritätsbegriffs“. Wie gesagt, das war im Februar 2020. Seitdem ist dieser Begriff noch sehr viel mehr missbraucht worden. Aber zurück zur Frage nach der politischen Bildung. Wenn man sich die politischen Bildungsprogramme der letzten Jahrzehnte anschaut, sieht man eine starke Fokussierung auf das Thema „Demokratie“. Die Grundrechte und damit die individuellen Freiheitsrechte hingegen waren kaum im Blick. In jüngster Zeit bedeutet Politische Bildung vielerorts, Bildung zu „Toleranz“ und „Weltoffenheit“. Es ist eine starke Vereinseitigung festzustellen. Das Wissen fehlt, was Grundrechte sind, und warum wir sie eigentlich haben.
Der Mensch als Gefährder – „ein totalitäres Konzept“
Multipolar: Ich denke auch, dass noch nie so deutlich wurde, wie wenig Grundrechtsbildung es hierzulande gibt. So scheint kaum Wissen darüber zu existieren, dass es sich bei den Grundrechten um Abwehrrechte gegen den Staat handelt.
Kostner: Ja, das stimmt. Vor allem wird nicht wahrgenommen, welche Verschiebungen stattgefunden hat. Diese Verschiebungen kommen aber natürlich auch auf leisen Sohlen daher. Schwierig wird das Ganze dadurch, dass ein und derselbe Begriff etwas völlig Unterschiedliches bedeuten kann. Wie gesagt, ging es auch bei den Corona-Maßnahmen um „Freiheit“. Geäußert wurde, dass die individuelle Freiheit dort endet, wo man einen anderen Menschen gefährdet. Nun wurde aber dieses „Gefährden“ ausgedehnt auf den ganzen Menschen in seiner Existenz. Jeder Mensch atmet ein und atmet aus und hat somit die Fähigkeit, Viren aufzunehmen und Viren abzugeben. Wenn der Mensch aufgrund dieser Fähigkeit als „Gefährder“ angesehen und kontrolliert wird, dann handelt es sich um ein totalitäres Konzept. Denn es hat nichts mehr mit Freiheit zu tun. Wir haben das nicht gemerkt. Ich selbst habe in vielen Gesprächen gehört: Es ist doch richtig, dass man niemand anderen gefährden darf! Nicht reflektiert wurde, was es denn bedeutet, wenn der Mensch qua Menschsein als „Gefährder“ begriffen wird. Hier befinden wir uns auf einer abschüssigen Bahn hin zu einer autoritären Gesellschaft.
Multipolar: Vor allem muss man sich ja vor Augen halten, dass das Virus niemals so gefährlich war, wie sehr lange Zeit behauptet wurde. Interessant ist die Frage, inwieweit dieser Umstand in politischen Kreisen bekannt war.
Kostner: Das ist ein wichtiger Punkt. Man sieht ja, dass es nach wie vor Menschen gibt, die in Angst erstarrt sind. Bei denen scheint sich am Wissensstand in zweieinhalb Jahren nichts verändert zu haben. Sie denken offenbar immer noch, dass es sich um ein super gefährliches Virus handelt. Dabei könnte man schon ziemlich lange wissen, dass das Corona-Virus für den allergrößten Teil der Bevölkerung nie außerordentlich gefährlich war. Daten weltweit zeigen, dass es sogar weniger gefährlich als ein schweres Grippevirus ist. Es gab schon immer Menschen, die an Grippe gestorben sind, und dennoch ist die Gesellschaft damit vergleichsweise entspannt umgegangen. Wobei es inzwischen ja auch Menschen gibt, die sagen, dass die Grippe genauso bekämpft werden muss wie das Corona-Virus. Letztlich ist festzustellen, dass sich der gesellschaftliche Umgang mit Sterben und Tod verändert hat. Wir wissen ja, dass die so genannten Corona-Toten sehr häufig ein Alter jenseits der durchschnittlichen Lebenserwartung erreicht haben. Mit oder an Corona sind also in allererster Linie Menschen am Ende ihres Lebens gestorben. In der Corona-Krise wollte man plötzlich wirklich jeden Tod verhindern.
Multipolar: Warum war die Bereitschaft, all die Maßnahmen mitzumachen, im Osten viel weniger stark ausgeprägt als im Westen? Hat das mit der jüngsten Geschichte zu tun?
Kostner: Ich denke, ja. Im Westen muss man relativ alt sein, um sich an einen sich autoritär gebärdenden Staat erinnern zu können. Im Westen fehlen anscheinend die Sensoren, die erkennen, wenn autoritäre Tendenzen aufkommen. In Ostdeutschland haben viele Menschen noch direkt einen autoritären Staat erlebt, deshalb war man wohl deutlich wachsamer und hat früh erkannt, auf welch abschüssige Bahn uns die Pandemiepolitik führt. Ich glaube, dass man im Osten tendenziell auch mutiger ist, eine abweichende Meinung zu äußern. Vielleicht, weil man mehr Menschen um sich herum hat, die das ebenfalls tun. Dadurch kommt es im unmittelbaren Umfeld nicht zu einer derart massiven Stigmatisierung wie im Westen. Das Schwierigste ist immer, eine abweichende Meinung ganz alleine zu äußern.
Multipolar: Lassen Sie uns kurz noch mal zur Wissenschaft kommen. Man hat ja den Eindruck gewinnen können, dass es eine weitestgehend geschlossene wissenschaftliche Phalanx gibt, die die Politik unterstützt. Nun ist aber Wissenschaft nie geschlossen. Wie konnte es dennoch zu diesem Eindruck kommen?
Kostner: Dieser Eindruck trat in der Tat auf bei jenen Wissenschaftlern, die sich in den Mainstream-Medien äußern konnten. Das lag sicher daran, dass der Preis einer abweichenden Äußerung zum Teil sehr hoch war. Wer sich konform geäußert hatte, konnte zum Beispiel mit Forschungsgeldern rechnen. Oder man wurde in ein Expertengremium berufen. Wissenschaftler, die die Maßnahmen kritisiert haben, mussten hingegen, selbst wenn sie sehr gute Fakten hatten, mit einem Reputationsverlust rechnen. Von daher hat man sich natürlich sehr genau überlegt, was man öffentlich äußert. Diejenigen, die abweichende Äußerungen getroffen haben, waren ganz überwiegend bereits emeritiert. Sie mussten weder für sich noch für ihre Mitarbeiter Folgen befürchten. Nicht emeritierte Professoren wären ja von negativen Folgen aufgrund einer öffentlichen Äußerung nicht alleine betroffen gewesen. Wer keine Forschungsgelder mehr bekommt, kann zum Beispiel seine Mitarbeiter nicht weiter beschäftigen. Ein junger Wissenschaftler, der bei jemanden promoviert hat, der sich durch eine abweichende Äußerung hervortat, könnte fortan als „kontaminiert“ gelten. Solche Überlegungen waren sicherlich im Spiel bei jenen Wissenschaftlern, die die Maßnahmen der Politik kritisch gesehen haben, sich dazu aber nicht öffentlich äußerten.
„Wissenschaft lebt vom Zweifeln“
Multipolar: Vor diesem Hintergrund war es leicht, immer wieder von „der“ Wissenschaft zu sprechen.
Kostner: Ja das stimmt. Dabei sollten sofort die Alarmglocken zu schrillen beginnen, wenn von „der“ Wissenschaft die Rede ist. Bei Wissenschaft handelt es sich grundsätzlich um ein lernendes System. Wissenschaft lebt vom Zweifeln. Der aktuelle Wissensstand ist stets nur so lange gültig, solange er nicht widerlegt ist. Kern der Wissenschaft ist schließlich die Diskussion. So kann man bei ein und derselben Studie zu ganz unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen. Wenn von „der“ Wissenschaft die Rede ist, hat man es in der Regel mit einer politisierten Wissenschaft zu tun. Sei es, dass sie sich selbst politisiert hat, oder dass sie sich von der Politik instrumentalisieren ließ, weil man sich Reputationsgewinne oder Ressourcen zum Beispiel in Form von Forschungsgeldern erhoffte. Ganz schwierig ist es im Übrigen, wenn man als Wissenschaftler, der eine abweichende Ansicht vertritt, quasi als Feigenblatt in eine Podiumsrunde eingeladen wird, in der man die einzige Person mit dieser Ansicht ist. Viele überlegen sich gut, ob sie sich das antun sollen. Ich bewundere Leute wie Sahra Wagenknecht und Ulrike Guérot, die das eisern tun.
Multipolar: Auch dies ist ja im Grunde kein neues Phänomen. Ich selbst erinnere mich, dass vor über zehn Jahren die ersten Hörsäle nach den jeweiligen Firmen, von denen sie gesponsert wurden, benannt worden sind. Inwieweit sehen Sie denn Forschungsgelder und Drittmittel als Gefahr für die Wissenschaftsfreiheit an?
Kostner: Ich selbst bin als Geistes- und Sozialwissenschaftlerin hiervon kaum betroffen, weiß aber natürlich, wie problematisch es ist, zum Beispiel gute medizinische Forschung zu machen, denn die ist extrem teuer. Gerade medizinische Forschung ist schon ziemlich lange zu einem größeren Teil auf Drittmittel angewiesen, und diese Drittmittel kommen nicht selten von der Pharmaindustrie. Durch die liberalen Reformen ist in den vergangenen 15 Jahren ist ein weiteres Problem hinzugekommen. Man wollte Wettbewerbselemente in die Hochschulen hineinbringen. In mancher Hinsicht war das schon auch gerechtfertigt, aber das Ganze hatte nicht beabsichtigte Konsequenzen. So wurde die Grundfinanzierung zurückgefahren. Seitdem ist der eigene Status an einer Universität umso höher, umso mehr Drittmittel man einwirbt. Die Drittmittelgeber aus der Pharmaindustrie wurden durch diese Entwicklung für die medizinische Forschung natürlich noch bedeutsamer. Das hat Folgen für die Frage, wozu geforscht wird, und welche Ergebnisse die Forschung hervorbringen soll.
Natürlich betrifft das nicht jeden einzelnen Wissenschaftler. Das hängt vom jeweiligen Charakter ab. Manche spielen mehr mit. Manche weniger. Aber natürlich ist es einfach problematisch, wenn das System insgesamt so funktioniert. Wer nicht mitspielt, kann Forschung womöglich nur noch in einem kleinen Rahmen machen. Ansonsten muss man sich, um überhaupt forschen zu können, auf Financiers einlassen, die selbstverständlich Eigeninteressen haben. Eigentlich wäre Corona eine gute Steilvorlage dafür gewesen, einmal zu diskutieren, inwiefern die Verflechtung von Wirtschaft, Politik und Wissenschaft womöglich zur Korrumpierung der Wissenschaft führt. Wissenschaft funktioniert dann am besten, wenn das Erkenntnisinteresse im Mittelpunkt steht. Je stärker die Faktoren Geld und Macht ins Spiel kommen, umso weniger ist das System Wissenschaft in der Lage, seine Funktion zu erfüllen. Das wiederum führt zum Vertrauensverlust. Es gab zum Beispiel aus der Wissenschaft so viele unrichtige Aussagen zu dem, was als „Impfung“ deklariert wurde. Also etwa, dass die Impfung sicher und wirksam sei. Die dadurch hervorgerufenen Vertrauensverluste der Bevölkerung in die Wissenschaft und das medizinische System werden ebenfalls nicht thematisiert. Da sind wir dann wieder bei unserem Buch. Es muss unbedingt diskutiert und analysiert werden, was schief gelaufen ist.
Multipolar: Nachdem Sie an dieser Stelle noch einmal auf Ihr Buch zu sprechen kamen, würde ich gerne noch eine Bemerkung zum Titel machen. Warum verwenden Sie den Begriff „Pandemie“? Allein dieser Begriff polarisiert ja. War es jemals wirklich eine „Pandemie“?
Kostner: Wir legen bewusst den Fokus auf die „Pandemiepolitik“. Uns geht es darum, was von verschiedenen gesellschaftlichen Teilsystemen als „Pandemie“ gesehen wurde. Das Buch gibt keine Antwort auf die Frage, ob es nun wirklich eine Pandemie war oder nicht. Große Teile von Politik, Gesellschaft und Medien gingen nun mal davon aus, dass es sich um eine Pandemie gehandelt hat.
Verengter Debattenraum
Multipolar: Lange durfte ja allein die Frage, ob es sich um eine Pandemie handelt oder nicht, öffentlich kaum diskutiert werden. Am Begriff „Pandemie“ ist, wie ich denke, sehr gut abzulesen, in welchem Maße sich der Debattenraum verengt hat.
Kostner: Die Politik hat in der Tat irgendwann die Entscheidung getroffen, in dem, was da geschieht, eine Pandemie zu sehen, und dieser Pandemie mit nicht-pharmazeutischen Maßnahmen zu begegnen. Etwa mit Lockdowns. Nun gab es allerdings sehr früh schon, zum Beispiel aufgrund von Daten von John Ioannidis, Zweifel daran, ob es sich wirklich um ein sehr gefährliches Virus und damit um eine Pandemie handelt. Eigentlich hätte die Politik dann sagen müssen, dass es sich auf Basis vorliegender Daten wohl eher nicht um eine pandemische Bedrohung handelt. Weshalb man die verfügten Maßnahmen nicht weiterführen müsse.
Doch wir haben nun zweieinhalb Jahren intensive Maßnahmenpolitik hinter uns. Wobei ja im medizinischen Bereich bis auf das Puschen der Impfung fast nichts passiert ist. Das ist doch höchst erstaunlich, sollte man doch davon ausgehen, dass man in einer Pandemie das Gesundheitssystem so gut wie nur irgend möglich aufstellt. Man führte hingegen eine Freihaltepauschale für Betten ein, die zum Missbrauch einlud, was dann ja auch der Bundesrechnungshof gerügt hat. Allerdings hat man nichts dafür getan, dass jene Menschen, die wirklich schwer erkrankt sind, und die gab es natürlich, medizinisch bestmöglich versorgt werden konnten.
In anderen Ländern wurden Ivermectin und Hydroxychloroquin eingesetzt. Und zwar mit guten Erfahrungen. Hier hieß es, dass man diese Therapeutika nicht im Off-Label-Use einsetzen dürfe. Das war äußerst fragwürdig, nachdem es ja Ärzte gab, die diese Medikamente etlichen Patienten mit gutem Erfolg verabreicht hatten. Menschen, die nah am Patienten waren und die fachlich verstanden haben, was sie machen, sagten, dass es etwas gibt, was wirkt. Die Frage, warum man es Ärzten dann nicht ermöglicht hat, diese Medikamente zu nutzen, halte ich ebenfalls für ein wichtiges Thema der Aufarbeitung. Wer ist verantwortlich dafür, dass die Politik so gehandelt hat? Das zu wissen, wäre doch sehr wichtig vor allem mit Blick darauf, dass einmal eine Pandemie kommen könnte, die diesen Namen auch verdient. Solche Fehler dürfen nicht noch einmal gemacht werden.
Missbrauch des Begriffs „Solidarität“
Multipolar: Lassen Sie mich zum Schluss noch kurz darauf zu sprechen kommen, dass Sie bereits an einem neuen Buchprojekt arbeiten. Dabei soll es um den Ukraine-Krieg gehen. Dieses Buch soll im Winter erscheinen?
Kostner: Das war ursprünglich so geplant gewesen, aber nun wird es doch Frühjahr 2023 werden. Ich mache das zusammen mit einem befreundeten Politikwissenschaftler, Stefan Luft. Wir haben sehr bald nach Beginn des Krieges begonnen, über die Hintergründe, die Vorgeschichte, die Ziele Russlands und den geopolitischen Kontext zu sprechen. Uns ist beiden schnell aufgefallen, dass die Presse wiederum von Anfang an sehr einseitig berichtet hat. Auch der Umgang mit Andersdenkenden war wieder genauso, wie während der Corona-Krise. Abweichende Argumente und andere Perspektiven werden wieder sofort diskreditiert. Der Debattenraum wurde also abermals geschlossen, was ein Zeichen dafür ist, dass es wieder um starke politische Interessen geht. Das führt neuerlich weg von den Grundlagen der liberalen Verfasstheit unseres Gemeinwesens.
An dieser Stelle heißt es dann immer, dass doch in Deutschland jeder sagen kann, was er möchte. Natürlich wird man für eine abweichende Meinung hierzulande nicht verhaftet. Doch wer bestimmte Argumente einbringt, kann in ein äußerst diskreditierendes Licht gerückt werden, und zahlt damit für seine Äußerung einen sehr hohen sozialen Preis. In der Corona-Krise war man ein Covidiot, nun ist man ein Putintroll. Vielen ist dieser Preis zu hoch, weshalb sie sich aus der Debatte zurückziehen. Darum laufen schon wieder die öffentliche und die veröffentlichte Meinung immer weiter auseinander. Vor diesem Hintergrund haben wir uns entschieden, möglichst zeitnah eine wissenschaftliche Analyse vorzulegen, was angesichts der dynamischen Prozesse zugegeben schwierig ist. Dennoch wollen wir die Herausforderung annehmen, zeitnah möglichst gute Analysen zu den Hintergründen und zur Vorgeschichte des Krieges sowie zu möglichen Folgen vorzulegen. Übrigens wird es auch in diesem Buch um den Missbrauch des Begriffs „Solidarität“ gehen. Wie man während der Corona-Krise gegenüber den vulnerablen Gruppen solidarisch zu sein hatte, soll man nun gegenüber den Ukrainerinnen und Ukrainern solidarisch sein.
Multipolar: Interessant ist, dass man im Vergleich der Corona-Krise mit der Ukraine-Krise auf ähnliche Muster stößt.
Kostner: Ja, und zwar bis hin zu der Tatsache an, dass wieder einmal maximale Ziele verfolgt werden. Bei Corona wollte man das Virus komplett besiegen, was von Anfang an ein völlig irreales Ziel war. Im Fall der Ukraine geht es nun darum, die territoriale Integrität wiederherzustellen, logischerweise verbunden mit der absoluten Niederlage Russlands. Schon bei der Corona-Krise wurden ja die Folgen dieser Politik der maximalen Ziele von Anfang an nicht in den Blick genommen. Nun habe ich den Eindruck, dass man die Möglichkeit einer nuklearen Eskalation ausblendet, weil man hofft, es wird schon alles gut gehen. Initiativen, die auf einen Verhandlungsfrieden abzielen, sind nicht zu sehen. Es heißt an dieser Stelle meist, Putin wolle nicht verhandeln. Doch ich denke angesichts der Verwüstungen und all der Toten, die die Politik der maximalen Ziele zur Folge haben wird, dass man mit aller Kraft versuchen sollte, Verhandlungen zu führen. Auch wenn man erst mal nicht weiß, ob das erfolgreich sein wird. Für mich war es im Übrigen erschreckend, dass Leute wie Alice Schwarzer, die sich für eine Verhandlungslösung stark gemacht haben, quasi als verwerfliche Menschen diskreditiert wurden.
Über die Interviewpartnerin: Dr. Sandra Kostner ist Historikerin und Soziologin. Seit 2010 ist sie als Migrationsforscherin und Geschäftsführerin des Masterstudiengangs Interkulturalität und Integration an der PH Schwäbisch Gmünd tätig.
Über die Interviewerin: Jana Kerac ist ein Pseudonym. Die Autorin ist seit 30 Jahren publizistisch tätig. Sie lebt und arbeitet zum Teil in Deutschland und zum Teil in Finnland.
Das Danebenliegen-mit-destruktiver-Auswirkung ist so enorm umfassend, da wird von im Wortsinn „Wiedergutmachen“ kaum die Rede sein können, da der Effekt dieser beispiellosen Panikmache tatsächlich praktisch jeden Mund- und Nasebesitzer in seine Auswirkungen einbezogen hat. Dessen negative Elemente sind selbstverständlich gründlich zu analysieren und „zu bewahren, um wirklich schützen zu können“; allerdings ist das ein langfristiges Geschehen, welches in seiner Ausprägung und Entwicklung und nicht zuletzt breiter Akzeptanz kaum abzuschätzen ist: Schmach, Entmenschlichung und Grenzübertretungen waren deutlich zu viel des Erträglichen.
Ferner eine vollständige und offene Aufklärung zu fordern, ist nur gerecht. Doch persönlich würde ich nicht davon auszugehen, dass das im großen Stil stattfindet und konstruktiv läuft, bzw. denke ich nicht, dass da eine Hoffnung auf Ansätze befriedet werden wird. Wenn man strategisch wählen könnte: Wo und von wem sollte denn der Anfang erfolgen? Würden diese Menschen das tun, jetzt? Sofern nicht jm. von sich aus unternimmt, getroffene Entscheidungen zu entschulden und dies öffentlich zu tun und Vergebung finden kann, kann man den „Tätern“ nicht viel beibringen, wenn sie aus verdammt guten Gründen hierfür eben nicht aufnahmefähig sind und ansonsten die überaus zeitgenössischen gesellschaftlichen Normen zur Rechenschaft, na ja, eher dahinsiechen - einfach abzulesen, weil sich hier der aktuelle Stellenwert der „Unantastbarkeit der Würde des Menschen“ in einer Gesellschaft widerspiegelt.
Damit ist das nach wie vor potentiell immer wieder möglich, sogar dramatischer, fürchte ich, da offenbar nicht alle dazulernen möchten, oder schlimmer noch, gefallen gefunden haben könnten.
Wo kann man noch ansetzen und dabei das vorleben/vorgeben, was man vermisst oder verloren hat, also dem friedlich-freiheitlich-demokratischen Geist des Grundgesetzes entsprechen?
Es darf gefordert werden, dass stets klar ausformuliert werden soll, wie und warum man vorhat, andere Menschen warum womit zu behandeln. Doch nicht einmal die Verabreichung von Wasser soll je verpflichtend Geltung erlangen. Das respektiert, sofern es tatsächlich dringend und krass bedroht, die Würde und je persönliche Freiheit. Man kann meinetwegen rechtlich die Rahmenbedingungen schaffen, die es jedem freistellen und ermöglichen, sich in Isolation oder in Experimente zu begeben, sobald die Lage da draußen zu infizieren droht. Doch über den Körpergesundheitszustand eines Menschen und dessen nichtmedizinischer Beeinflussung hat gegen den ausdrücklichen Willen des Betroffenen nie jemand die Hoheit zu erlangen, ganz einfach!
Ich denke nicht, dass ein Staat bzw. seine durch Kreuzabgabe berufenen befristeten Repräsentanten die restlichen Repräsentanten und Träger des Staates, die Bürger, in eine Situation bringen sollten, die diese mehrheitlich klar ablehnen. Mehrheitsmeinungen sind politisch wirkungslos, wo dem Volkswillen erfolgreich von einer Minderheit beigeholfen; was ja auch kein Kriterium einer gut-und-gerne-Demokratie ist.
Dem Aufbau neuen, belastbaren Vertrauens wird ein gewaltiger Akt an spahnscher Verzeihung und echter Vergebung vorangehen /müssen/, damit dem Prozess auch der (Schutz-)Raum dargebracht werden kann, der definitiv erforderlich ist. Dem Dilemma zurück in eine heile Welt wie zuvor zu entkommen und es am Ende aufzulösen mag zwar nur im Märchen klappen, wie etwa in „Das Kalte Herz“ (1), doch vermag uns diese pro-russische Produktion in der Szene, in welcher der gefühlserkaltete Peter schließlich sogar seine Frau in Anwesenheit des eben von ihr versorgten „Gesinde“ erschlägt, dennoch zu ermahnen. Denn ihre letzten blutbegleiteten Worte sind recht umsichtig und sehr Weise in ihrer Form der Lehre, sterbend sagt sie nämlich: „Ich verzeihe dir, Geliebter!“ Damit, und wahrscheinlich nur damit, ermöglichte sie ihm bestmöglich real seinen Frieden trotzdem finden zu können, weil es vorwegnimmt, was die unausweichliche Alternative sein würde: dass er sich selber nie verzeihen werden wird können.
Die Last des Faktischen aber, mit dieser Situation sein Leben fortsetzen zu müssen, blieb jedoch bei ihm und derer sich zu entledigen, obliegt ebenso allein ihm.