The New York Times, 10. Februar 2022, von Natasha Frost
Während des Kalten Krieges überlebte Finnland als unabhängige und unbesetzte Demokratie, indem es dem Kreml einen übergroßen Einfluss verlieh und sich auf eine empfindliche Neutralität berief - ein Modell, das in diplomatischen Kreisen als Finnlandisierung bekannt ist. Dasselbe Modell wird jetzt als Lösung für die Pattsituation um die Ukraine herangezogen. Es würde die Souveränität des Landes effektiv neutralisieren.
Zitat: Emmanuel Macron, der französische Präsident, wurde diese Woche gefragt, ob die Finnlandisierung eine Möglichkeit für die Ukraine sei. Er antwortete: "Ja, es ist eine der Optionen auf dem Tisch." Obwohl er später versuchte, von der Bemerkung Abstand zu nehmen, wurde der Samen der Finnlandisierung in die Vorstellungen einiger Ukraine-Beobachter gepflanzt, auch wenn die Finnen selbst zauderten.
Für Finnen, geschweige denn Ukrainer, ist es keine Idee, leichtfertig auf den Verhandlungstisch geworfen zu werden. Obwohl die Politik Finnland half, das Schicksal der mittel- und osteuropäischen Länder im Süden zu vermeiden, die als Teil des Sowjetblocks besetzt waren, ging seine Unabhängigkeit während des Kalten Krieges auf Kosten der Selbstzensur und des ausländischen Einflusses.
Analyse: Wladimir Putin, der russische Präsident, steht vor einer harten Wahl. Russland kann die Kontrolle über die Ukraine übernehmen oder starke wirtschaftliche Beziehungen zu Europa aufrechterhalten. Es wird schwer sein, beides zu tun, schreibt Steven Erlanger, unser diplomatischer Chefkorrespondent in Europa.
USA-Experte Josef Braml„Olaf Scholz hat das souverän gemacht“
tagesspiegel.de, 09.02.2022, 06:40 Uhr, Ein Interview. HANS MONATH
Wie weit trägt der Ansatz des Westens im Konflikt mit Russland. Und ziehen die USA und Deutschland wirklich an einem Strang?
Zitat:Josef Braml ist USA-Experte. Der promovierte Politikwissenschaftler war lange bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und ist nun Generalsekretär der Deutschen Gruppe der Trilateralen Kommission, einer Plattform für den Dialog politischer und wirtschaftlicher Entscheider Amerikas, Europas und Asiens zur kooperativen Lösung geopolitischer, wirtschaftlicher und sozialer Probleme. Aktuelle Analysen veröffentlicht er auch über seinen Blog „usaexperte.com“.
Herr Braml, von einem schwierigen, belasteten Antrittsbesuch von Olaf Scholz in Washington war vor seiner Ankunft die Rede – wie hat der Kanzler ihn absolviert? Olaf Scholz hat das souverän gemacht. Mein Eindruck ist: Er managed auch die komplizierte Lage, die er als neuer Kanzler vorfand, insgesamt souverän.
Die deutsche Botschafterin in Washington, Emily Haber, hatte in einem Brandbrief an das Auswärtige Amt von erodierendem Vertrauen in der US-Hauptstadt in die Verlässlichkeit Deutschlands im Konflikt mit Russland berichtet – „in bed with Putin“ lautete eines ihrer Zitate. Sind diese Zweifel in Washington nach der Demonstration Einigkeit durch den Präsidenten und den Kanzler nun ausgeräumt? Ich frage mich, ob der Hund mit dem Schwanz oder der Schwanz mit dem Hund wedelt. Was ich meine, ist: Deutschland und Europa müssen sich umgekehrt fragen, ob sie sich noch auf die USA verlassen können. Und diese Frage müsste sich auch die Ukraine stellen. Mein Eindruck ist: Wir können uns nicht mehr auf den Schutz der USA verlassen und sollten sehr viel mehr tun, uns im Verbund mit Frankreich eigene militärische Fähigkeiten zuzulegen.
Warum können wir das nicht mehr? Biden ist unter Druck geraten, er ist innenpolitisch führungsschwach, hat außenpolitisch etwa beim überstürzten Abzug aus Afghanistan Fehler gemacht. Ob Deutschland an die Ukraine Waffen liefert oder nicht, ist nicht entscheidend. Es kommt darauf an, wie die USA reagieren auf eine mögliche Aggression Russlands gegen die Ukraine. Das wissen die Russen, und deshalb reden sie direkt mit den Amerikanern.
Das heißt, Sie glauben den Bekenntnissen zur Einigkeit und Partnerschaft von Biden und Scholz nicht? Natürlich werden auf einer solchen Pressekonferenz solche Slogans ausgegeben. Wir wissen aber genau: Wenn es hart auf hart kommt, setzen die Amerikaner knallhart ihre eigenen Interessen durch. Sie haben ihre Verbündeten beim Abzug aus Afghanistan blank stehen lassen, das ist nun unser Problem. Abschreckung bleibt wichtig, aber ich traue Präsident Biden zu, dass er bald die nukleare Abschreckung aufweichen wird. Wir sollten deshalb mit Frankreich darüber reden, ob deren „Force de frappe“ nicht auch Europa schützen könnte. Es geht aber nicht nur um Abschreckung, sondern auch um Diplomatie. Die dürfen wir nicht den Amerikanern überlassen, die andere Interessen haben als wir. Deshalb war es ein kluger Schachzug von Olaf Scholz, gemeinsam mit Emmanuel Macron das Normandieformat wieder zu beleben.
Warum weicht Biden die nukleare Abschreckung auf? Als Vizepräsident von Obama und im Wahlkampf hat er die Idee vorangetrieben, dass die US-Atomwaffen nur russische Atomwaffen-Angriffe abschrecken sollen – Stichwort „sole purpose“. Wer die bisherige Ambiguität aufgibt, schadet der bereichsübergreifenden Abschreckung auch im konventionellen Bereich. Dann stehen wir nackt da. Und das werden wir, weil Biden außenpolitische Fehler von historischen Dimensionen macht – Afghanistan hatte ich genannt.
Präsident Joe Biden machte deutlich, dass die Gaspipeline Nord Stream 2 im Fall einer russischen Aggression gegen die Ukraine gestoppt wird – ein vor allem deutsches Projekt. Tat er das nach ihrem Eindruck mit Billigung des Kanzlers? Der Kanzler hat sich nicht festgelegt. Er spricht ja von der Notwendigkeit der Ambiguität, wonach der Gegner eben nicht genau wissen soll, was ihm im Ernstfall droht. Wenn die Russen die Ukraine angreifen, wird Nord Stream 2 nicht zu halten sein.
Wladimir Putin hat sich kürzlich demonstrativ mit Xi Jinping getroffen und von ihm Unterstützung für seine Forderung zur Eindämmung der Nato erhalten. Welche Rolle spielt China im aktuellen Konflikt? Durch das, was wir jetzt machen, treiben wir die Russen in die Arme der Chinesen. Wir sollten auf die Ukraine einwirken, dass sie das Ziel des Nato-Beitritts aufgibt und sich um einen neutralen Status wie Finnland bemüht. Aus guten Gründen hat sich die Bundesregierung 2008 gegen den amerikanischen Vorschlag gestellt, Georgien und die Ukraine in die Nato aufzunehmen.
Putin wird es nicht hinnehmen, dass die Nato sich bis an seine Grenze ausdehnt. Erinnern wir uns, dass er im vergangenen Jahr in diesem Zusammenhang mit einem „nuklearen Tsunami“ drohte. Es geht um Einflussbereiche. Wer nun von Werten redet und nur auf das Selbstbestimmungsrecht pocht, sollte sich darin erinnern, wie viel Selbstbestimmungsrecht die USA Kuba zubilligten, als auf der Insel russische Raketen stationiert werden sollten: keines. Wir werden diesen Konflikt nicht lösen, wenn wir nicht die Sprache der Weltmächte verstehen.
Es geht doch nicht nur um Werte, sondern um internationale Abmachungen, die Russland unterschrieben hat und die Stabilität in Europa garantierten. Wenn wir diese selbst aufgeben, stellen wir selbst die internationale Ordnung infrage, die wir erhalten wollen. Die internationale Ordnung ist ohnehin infrage gestellt. Wir haben noch nicht gemerkt, dass nicht mehr das Recht der Gänse, sondern wilderer Tiere gilt. Wir sind nicht mehr in einer regelbasierten Welt, weil weder die USA noch Russland oder China sich mehr an sie halten. Wir müssen uns der Realität stellen. Was hat die Ukraine davon, wenn wir ihr Waffen liefern? Das ist doch ein zynisches Spiel, damit der Preis für die Russen und die Ukrainer noch höher wird.
Sollten wir diese Entscheidung nicht den Ukrainern überlassen? Einverstanden. Deshalb habe ich vorhin dafür plädiert, den Ukrainern klar zu machen, dass sie sich auf die Amerikaner nicht mehr verlassen können. Wenn sie das verstehen, werden sie auch andere Schlüsse für ihre Zukunft ziehen. Es wird kein Amerikaner für die Ukraine sterben, die USA haben nur ein peripheres Interesse an dieser Region, die eigentliche Auseinandersetzung findet für sie im Indopazifik gegen China statt. Russland aber hat ein vitales Interesse daran, die Nato nicht noch näher an seine Grenze rücken zu lassen.
de.rt.com, 9. Februar 2022, 20:42 Uhr,von Karin Leukefeld
Die deutsche Außenministerin Baerbock ist am Mittwoch zu ihrer ersten Reise in den Nahen Osten aufgebrochen. In Fortsetzung der bisherigen deutschen Außenpolitik wird auch bei der ersten Nahost-Reise von Annalena Baerbock der Schwerpunkt deutlich auf Israel liegen. Bis heute werden die Rüstungslieferungen an Israel teilweise oder sogar ganz von der Bundesregierung mit Steuergeldern finanziert, als sei das eine Art "Wiedergutmachung".
Info: Die deutsche Außenministerin Baerbock ist am Mittwoch zu ihrer ersten Reise in den Nahen Osten aufgebrochen. In knapp vier Tagen wird sie Israel, Ramallah, Jordanien und Ägypten besuchen. Ob sie auch in die israelisch besetzten palästinensischen Gebiete reisen wird, ist noch unklar. Am Samstag wird Baerbock nach Berlin zurückkehren.
Der Sprecher des Auswärtigen Amtes Christopher Burger erläuterte vor Journalisten in Berlin, die Bundesaußenministerin absolviere eine "Antrittsreise", um "den persönlichen Kontakt zu den Gesprächspartnern vor Ort aufzunehmen, sowohl in Israel als auch in Ramallah. Natürlich geht es auch um eine Bestandsaufnahme zur Frage, wo wir im Nahostfriedensprozess stehen und wo es möglicherweise Ansatzpunkte für internationale Unterstützung gibt, um wieder den Weg in Richtung auf eine verhandelte Zweistaatenlösung zu gehen".
Neben "anderen Themen", die nicht genauer benannt wurden, wolle Baerbock auch auf eine "verstärkte Zusammenarbeit im Bereich Klimaschutz" hinarbeiten. Zu den bisher bekannten Gesprächspartnern gehören in Israel der Außenminister Jair Lapid, Ministerpräsident Naftali Bennett und Staatspräsident Jitzchak Herzog. In Jordanien trifft Baerbock den Außenminister Ayman al-Ṣafadī und in Ägypten Außenminister Samih Schukri. In Ramallah sind Treffen mit dem noch amtierenden Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) Mahmud Abbas und dem PA-Außenminister Riyad al-Maliki geplant.
Kurz vor ihrem Abflug aus Berlin erklärte Baerbock, Deutschland stehe zum Ziel einer verhandelten Zweistaatenlösung mit einem "funktionsfähigen, demokratischen und souveränen palästinensischen Staat". In Ramallah werde sie Unterstützung für den Aufbau von staatlichen Institutionen anbieten, um im Bereich von Rechtsstaatlichkeit und Wahlen Fortschritte zu erzielen.
In Fortsetzung der bisherigen deutschen Außenpolitik wird auch bei der ersten Nahost-Reise von Annalena Baerbock der Schwerpunkt deutlich auf Israel liegen. Es grenze an ein Wunder, dass sich die Jugend Israels und Deutschlands so nahe seien, sagte die Ministerin laut dpa. Diesen "Schatz" wolle sie mit "einem verstärkten Jugendaustausch auch für zukünftige Generationen sichern". Als "festes Fundament" und "als Verpflichtung, nie unsere Verantwortung für die Schrecken des Holocaust in Vergessenheit geraten zu lassen".
Die deutsche Geschichte zum Maßstab bei der Lösung internationaler Konflikte zu machen, dürfte allerdings kaum den erhofften "Schwung in den Nahost-Friedensprozess" bringen. Grundlage dafür sind vielmehr die UNO- und UN-Sicherheitsrats-Resolutionen, die eingehalten und umgesetzt werden müssen. Israel missachtet diese Resolutionen und verletzt fortwährend die Rechte der Palästinenser, wie – nicht zum ersten Mal – auch der jüngste Bericht von Amnesty International ausführlich dargestellt hat. Das betrifft insbesondere die Lage in den israelisch besetzten palästinensischen Gebieten, wo sowohl ungebremst Siedlungen gebaut und palästinensische Agrargebiete militärisch gesperrt werden, als auch Häuser zerstört und Palästinensern in Israel die Grundrechte verwehrt werden. Ob all das oder die Belagerung des Gazastreifens durch Israel bei der Reise der deutschen Außenministerin Themen sein werden, vermochte Außenamtssprecher Christopher Burger vorab nicht zu sagen.
Libanon außen vor
Auffällig ist, dass der Libanon nicht auf der Reiseroute steht, obwohl Deutschland in dem Land mit einer der größten deutschen Botschaften weltweit und mit erheblichem humanitärem Engagement vertreten ist. Mit Millionenbeträgen unterstützt die Bundesregierung seit Beginn des Krieges in Syrien (2011) den Aufenthalt von bis zu einer Million syrischer Flüchtlinge im Libanon. Weitere Hilfsgelder gingen nach der Explosionskatastrophe im Hafen von Beirut (am 4. August 2020) an die Libanesische Rote-Kreuz-Organisation und andere deutsche und libanesische Nichtregierungsorganisationen, die die Zivilgesellschaft im Zedernstaat stärken sollen.
Deutschland bot dem Libanon um die Jahreswende 2019/20 eine Kooperation mit der Firma Siemens zur Restaurierung und dem Ausbau der Elektrizitätswerke an. In Konkurrenz zu zahlreichen anderen Bewerbern legte ein deutsches Firmenkonsortium um die Hamburg Port Consulting HPC – in Anwesenheit des deutschen Botschafters in Beirut – im Frühjahr 2021 ihr Konzept für den Wiederaufbau des Hafens von Beirut vor.
Zudem ist Deutschland im Libanon militärisch aktiv. Seit 2006 ist die Bundesmarine Teil der UN-Interim Forces im Libanon (UNIFIL) und stellt derzeit mit Flottillenadmiral Andreas Mügge den Kommandeur der maritimen UNIFIL-Mission. Hauptaufgabe des Mandats ist die Verhinderung von Waffenschmuggel in den Libanon und de facto die Sicherung der nördlichen Seegrenze Israels. Zwischen Libanon und Israel herrscht lediglich ein Waffenstillstand, der von der UNO-Mission zur See und zu Land überwacht wird.
Das Mandat verhindert allerdings nicht, dass Israel – völkerrechtswidrig und in Missachtung des Waffenstillstandsabkommens – immer wieder in den See- und Luftraum des Libanon eindringt. Regelmäßig wird der Libanon von israelischen Kampfjets überflogen – vor allem auch, um Ziele in Syrien anzugreifen.
Der Generalinspektor der Bundeswehr Eberhard Zorn forderte bei einem Truppenbesuch im Libanon im September 2021 mehr militärische Hilfe für die libanesischen Streitkräfte, die er als einen "Stabilitätsfaktor" bezeichnete. Die Lage sei ähnlich wie in Libyen, so Zorn: Flüchtlinge würden durch das Land und nach Zypern (in die EU) geschleust. Wichtig sei es, "die Stabilität im Dreieck Libanon-Israel-Jordanien (zu) bewahren", sagte Zorn. "Wir müssen in dieser Region aus strategischen Gründen präsent sein, am besten in See."
Deutsche Staatsräson
Für die Koalitionsregierung aus SPD, FDP und den Grünen gilt laut Koalitionsvertrag "Die Sicherheit Israels als Staatsräson". Das hatte bereits die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel 2015 bei einer Rede in der israelischen Knesset (Parlament) erklärt. Der damalige deutsche Botschafter in Israel Rudolf Dreßler prägte diesen Begriff 2005 mit einem Artikel zum Thema "Gesicherte Existenz Israels – Teil der deutschen Staatsräson".
Seit den 1950er Jahren besteht zwischen Deutschland und Israel eine umfangreiche Rüstungskooperation. Es begann mit der Lieferung von Patrouillenbooten im Jahr 1955, als die Bundeswehr gegen den massiven Widerstand aus der deutschen Bevölkerung gerade erst neu gegründet worden war. Selbst die Bundeszentrale für politische Bildung, ein staatlich finanziertes Institut als nachgeordnete Behörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern gesteht ein, dass die militärische Kooperation beider Staaten "in der Regel ... unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit und nur rudimentär formalisiert" stattfand.
Bis heute werden die Rüstungslieferungen an Israel teilweise oder sogar vollständig von der Bundesregierung mit deutschen Steuergeldern finanziert, als sei das eine Art "Wiedergutmachung". Auch die nukleare Aus- und Aufrüstung der israelischen Marine wird von Deutschland unterstützt. Hinzu kommt eine intensive militärische Zusammenarbeit bei bewaffneten Drohnensystemen sowie bei der Auf- und Ausrüstung mit digitalen Waffen- und Überwachungssystemen.
Anderer Blick auf Israel unerwünscht
Jenseits von umfassenden bilateralen Programmen in Politik, Rüstung, Kultur, Bildung und Forschung werden von und in Deutschland zunehmend auch Medien und die Zivilgesellschaft reglementiert, die mit Berichten und eigenem Engagement andere Realitäten der israelischen Politik und deren Folgen in der Region aufzeigen. Im Mai 2019 verurteilte der Bundestag das zivilgesellschaftliche Engagement für die Rechte der Palästinenser im Rahmen der BDS-Kampagne (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen) als angeblich "antisemitisch". Zahlreiche Unterstützer wurden in öffentlichen Kampagnen stigmatisiert und verloren ihre Anstellungen an Hochschulen und an Instituten. Öffentliche Räume für Veranstaltungen und Ausstellungen blieben für BDS-Gruppen geschlossen, private Veranstalter sagten Vorträge über die Rechte der Palästinenser aus Angst vor Schikane proisraelischer Pressure-Groups ab.
Der Begriff des "Antisemitismus" wird mittlerweile von proisraelischen, häufig auch im digitalen Raum auftretenden Akteuren – darunter zahlreiche Journalisten und Medien – benutzt, um öffentliche Debatten, Veranstaltungen, Kunst, Kultur, Bücher und Texte an den Pranger zu stellen. Häufiges Ziel sind auch unliebsame und unabhängige Journalisten, die des "Antisemitismus" bezichtigt werden. Jüngstes Beispiel ist das Vorgehen des von der Bundesregierung finanzierten Auslandssenders DeutscheWelle, der seine arabische Redaktion einer Untersuchung unterwarf, nachdem die Süddeutsche Zeitung (am 30.11.2021) und das (US-amerikanische) Online-Magazin VICE (am 3.12.2021) arabische DW-Mitarbeiter "antisemitischer" Äußerungen in "sozialen Medien" beschuldigt hatten. Die fünf arabischen Journalisten wurden für die Dauer der Untersuchung vom Dienst suspendiert. Der entsprechende Untersuchungsbericht wurde am 7. Februar 2022 veröffentlicht und sprach die Redaktion als solche von dem Vorwurf des "Antisemitismus" frei. Den fünf Journalisten allerdings – zwei von ihnen arbeiteten für die Deutsche Welle in Beirut – wurde dennoch gekündigt.
RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
Grünen-Politiker Dahmen: Sollte einrichtungsbezogene Impfpflicht scheitern, muss Bundeswehr helfen
de.rt.com, vom 5. Feb. 2022 15:12 Uhr
Bleibt es bei den angekündigten Massenkündigungen, könnte laut dem gesundheitspolitischen Sprecher der Grünen notfalls die Bundeswehr Engpässe in der Pflege abdecken. Die Entscheidung über mögliche Entlassungen sollen die Gesundheitsämter, nicht die Arbeitgeber treffen.
Zitat: Die verordnete "einrichtungsbezogene Impfpflicht" für Angestellte in Kranken- und Pflegeberufen, auch in den zuarbeitenden Bereichen, soll weiterhin, wie durch die Politik eingefordert, am 16. März bundesweit zum Einsatz kommen. Die Verwirrung unter den betroffenen Angestellten, wie auch den Arbeitgebern, ist weiterhin hoch, da die Kommunikation seitens der Politik eher für Unsicherheiten, denn einen klaren Blick auf die Gesamtsituation sorgt. Wie schauen die genauen Details und Definitionen des beschlossenen Gesetzes aus? Die verwirrende Sachlage stellt wegweisende Fragen: Darf eine Einrichtung überhaupt noch ungeimpfte Angestellte führen? Wer spricht gegebenenfalls notwendige Kündigungen aus, der Arbeitgeber oder die zuständigen Gesundheitsämter? Müssen ungeimpfte Angestellte überhaupt gekündigt werden? Muss der Arbeitgeber für ungeimpfte Angestellte haften?
Das ARD-Politmagazin Panorama hat für seine aktuelle Sendung deshalb beim Bundesgesundheitsministerium (BMG) angefragt und um eine klärende Stellungnahme des Bundesgesundheitsministers gebeten, um die aktuelle Sachlage den Zuschauern zu erläutern. Die Moderatorin informierte, dass laut Mitteilung des BMG Minister Lauterbach "nicht zur Verfügung stand".
Einem Interview stellte sich der Gesundheitspolitische Sprecher der Grünen Janosch Dahmen, der in den Medien auch als gemeinsamer "Architekt" des neuen Impfgesetzes mit Karl Lauterbach gilt. Auf die Frage, ob er davon ausgehe, dass ab dem 16. März 100 Prozent der betroffenen "Pflegekräfte und Mitarbeiter in den Pflegeheimen und Kliniken geimpft seien", antwortete Dahmen, dass dort, wo in entsprechenden Berufsbereichen Verantwortung getragen wird, "eine eindeutige Impfquote" benötigt werde: "Das Gesetz gilt, das ist eindeutig in der Aussage ...", so Dahmens Darlegung.
Patrick Larscheid, Vorstand vom Verband der Amtsärzte in Berlin-Brandenburg, kritisierte in der Sendung, dass die aktuellen Informationen und Formulierungen des Gesetzes zu viel Spielraum für individuelle Interpretationen geben würden, dies damit nur zu Unsicherheiten führt: "Eine absolut unerträgliche Situation", so Larscheids Aussage. Die Politik hätte wesentliche, wichtige Bereiche im Gesetz, nachdem diese "sehr schnell" beschlossen wurden, "nicht mehr angefasst". Demnach würde die Politik die Gesamtverantwortlichkeit über dementsprechende Formulierungen offensichtlich und vollkommen auslegbar den Gesundheitsämtern zuschieben. So heißt es in dem der Panorama-Redaktion zugesandten Gesetzestext des BMG schwammig:
"Der Arbeitgeber hat hier keine Verpflichtung zu einer etwaigen Freistellung der ungeimpften Mitarbeiter" (...) und weiter "... entscheidet das zuständige Gesundheitsamt nach pflichtgemäßen Ermessen im Einzelfall (...) und wird dabei auch die Personalsituation in der Einrichtung berücksichtigen."
Aufgrund dieser Vorformulierungen ergäbe sich nun die Situation von "reinen Ermessengrundlagen", woraus sich automatisch die Frage stelle, ob die nun zuständigen Gesundheitsämter dahingehend überhaupt in der Lage sind, die Vorgaben umzusetzen und auszuführen. Larscheid verneint dies, da die Ämter "überhaupt nicht einschätzen könnten", wie viele Angestellte eine Einrichtung benötige, um den laufenden Betrieb in Gang zu halten. Es würden eindeutig formulierte Kriterien fehlen, der Verband der Amtsärzte fühle sich stellvertretend mit dieser neuen Situation "inhaltlich komplett überfordert". Larscheid befürchtet:
"Da ist sicher sehr viel Willkür dabei und jetzt kann man da hingehen und sagen, lass uns nicht Willkür sagen, lass uns – pflichtgemäßes Ermessen – sagen (...) am Ende ist es Willkür."
Auf diese Sorgen und Befürchtungen angesprochen, reagierte der Gesundheitspolitische Sprecher der Grünen Dahmen mit der Feststellung:
" (...) müssen wir an das Gesetz nochmal ran und müssen so nachschärfen, dass hier eindeutig dafür gesorgt wird, dass der Patientenschutz an erster Stelle steht und eine Durchsetzung der einrichtungsbezogene Impfpflicht damit sichergestellt ist."
Dies bedeutet, solange das Gesetz so bestehen bleibt, die Gesundheitsämter zudem personell gar nicht in der Lage sind, dementsprechende eingeforderte Kontrollen der Mitarbeiter hinsichtlich des Impfstatus in den Einrichtungen durchzuführen, drohe erstmal niemandem die Gefahr, seinen Arbeitsplatz zu verlieren, außer der Arbeitgeber reagiert in Eigeninitiative. Dahmen bezeichnete es in dem Interview als "inakzeptabel", sollten Arbeitgeber aufgrund Personalmangels sich entscheiden, für ungeimpfte Arbeitnehmer Ausnahmen auszusprechen. Sollte die Politik bei dieser Strategie bleiben, sieht wiederum Patrick Larscheid die baldige Situation, dass die Gesundheitsämter hinsichtlich ihrer Verantwortung "kapitulieren".
Dahmen stellte nüchtern fest, dass Regionen und Länderbereiche ein zeitnaher akuter Pflegepersonalmangel drohe: "Falls dadurch Personal, das die notwendige Qualifikation, die notwendige Impfung hat, nicht zur Verfügung steht, dann werden wir an den Stellen Betten nicht betreiben können." Ein Leiter von mehreren Pflegeeinrichtungen mit insgesamt 1.000 Mitarbeitern kommentierte trocken: "Es scheint so zu sein, dass es ein Scheingesetz ist" im Rahmen einer "Scheindebatte", ausgehend der sich nun herauskristallisierenden Situation, dass ungeimpfte Angestellte theoretisch erstmal weiterarbeiten können.
Es gibt sehr wohl jedoch Einrichtungen in Deutschland, wie die Klinikgruppe Artemed mit 17 Standorten in der Region Freiburg, die eigenständig eine rigorose Durchsetzung der Impfpflicht schon seit Januar 2022 umsetzen. Dort sind mittlerweile von 7.500 Mitarbeitern bis auf 100 alle geimpft. Diese 100 sind wiederum freigestellt und erhalten aktuell keine Lohnfortzahlung, könnten aber nach nachweislicher Impfung wieder die Arbeit aufnehmen, so der Geschäftsführer der Artemed-Gruppe im Interview.
Business Insiderzitiert Janosch Dahmen aktuell mit den Worten, dass jedoch auch die Möglichkeit bestünde, das "Instrument der Amtshilfe" einzusetzen, so könne "beispielsweise der Bund über die Bundeswehr oder auch andere kommunale und Landesbehörden mit Personal unterstützen, wenn vorübergehend eine große Anzahl an Entscheidungen in diesem Bereich anstünden". Schon in den Jahren 2020 und 2021 hatte die Bundeswehr in Gesundheitsämtern sowie Senioren- und Pflegeheimen bei administrativen Aufgaben während der Pandemie ausgeholfen.
Janosch Dahmen geriet diese Woche auch durch die Teilnahme an der ARD-Talksendung Maischberger in den Fokus der Öffentlichkeit, wo er sich einer kontroversen Diskussion mit dem Präsidenten des Verbands Pneumologischer Kliniken, Dr. Thomas Voshaar, stellen musste:
Koloniale Reflexe (II) Die Entscheidung über ein mögliches Ende des Bundeswehreinsatzes in Mali steht bevor. Malis Ministerpräsident warnt, man könne das Land nicht mehr zum „Sklaven“ machen.
german-foreign-policy.com, 10. Februar 2022
BAMAKO/PARIS/BERLIN (Eigener Bericht) – Die Debatte um ein Ende des Einsatzes der Bundeswehr in Mali gewinnt an Fahrt. Frankreich will bis Mitte des Monats entscheiden, wie bzw. ob es seine Militärintervention in dem westafrikanischen Land fortsetzen will. Ursache ist, dass die Militärregierung in Bamako sich die Bevormundung und das eigenmächtige Vorgehen der ehemaligen Kolonialmacht und anderer Staaten Europas nicht mehr bieten lässt und offen dagegen opponiert. Zuletzt hat sie in Reaktion auf schwere Beschuldigungen des französischen Außenministers den französischen Botschafter aus dem Land geworfen und die Pariser Sahelpolitik heftig kritisiert; man könne Mali nicht „in einen Sklaven transformieren“, erklärte Ministerpräsident Choguel Maïga zu Wochenbeginn: „Das ist vorbei.“ Eine für diese Woche geplante Reise von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht nach Mali wurde kurzfristig abgesagt. In Berlin wird erwogen, den EU-Ausbildungseinsatz abzubrechen, aber sich weiter am UN-Einsatz MINUSMA zu beteiligen. Wie ein Korrespondent aus Bamako berichtet, sind „viele Menschen“ über die Aussicht, die EU-Truppen könnten abziehen, „hocherfreut“.
Zitat: Sanktionen – und für wen sie gelten
Die jüngste Eskalation des Konflikts zwischen Mali und Frankreich bzw. den Staaten der EU begann, als das westafrikanische Staatenbündnis ECOWAS (französisch: CEDEAO) am 9. Januar harte Sanktionen gegen Mali verhängte. Dies geschah vermutlich auf massiven Druck, zumindest aber mit offener Unterstützung aus Paris. Die Sanktionen schneiden Mali nicht nur vom Handel ab, sie sind sogar mit einer Schließung aller Grenzen zu Land und in der Luft verbunden. Die Regierung in Bamako protestierte energisch und schloss im Gegenzug auch ihrerseits die Grenzen. Zu einem ersten Eklat kam es, als am 12. Januar ein französisches Militärflugzeug aus Abidjan, der größten Stadt von Côte d’Ivoire, nach Gao in Nordmali flog, dies unter offensichtlichem Bruch der Grenzsperrung. Auf das eigenmächtige Vorgehen der ehemaligen Kolonialmacht, die sich auf angebliche Sonderrechte für militärische Operationen fremder Staaten berief, reagierte Bamako zunächst mit erneutem Protest und untersagte explizit alle Flüge fremder Streitkräfte. Auch ein Airbus A400M der Bundeswehr war davon betroffen (german-foreign-policy.com berichtete [1]). Es dauerte eine gute Woche, bis der Streit zumindest oberflächlich beigelegt werden konnte.
Die Task Force Takuba
Bereits am 24. Januar kam der nächste Streitpunkt hinzu, als dänische Soldaten in Mali eintrafen, um sich in die Task Force Takuba einzugliedern. Frankreich baut die Task Force seit März 2020 auf, um seine Sahel-Eingreiftruppe, die Opération Barkhane mit bisher 5.000 Soldaten, verkleinern zu können. Dänemark stellte für Takuba – wie auch Schweden, Estland und Tschechien – ein wichtiges Kontingent. Schweden hatte schon Mitte Januar angekündigt, sich aus der Task Force zurückzuziehen, und das damit begründet, dass Malis Regierung mit Moskau zu kooperieren begonnen hatte, unter anderem wohl auch mit privaten russischen Militärfirmen.[2] Bamako, verärgert über die Kritik an der Zusammenarbeit mit Russland, zu der Mali als souveränes Land jedes Recht hat, sah sich nun am 24. Januar zusätzlich dadurch provoziert, dass Paris die Ankunft der dänischen Takuba-Einheit nicht angemessen mit den zuständigen malischen Stellen kommuniziert hatte; es forderte die dänischen Militärs auf, das Land umgehend zu verlassen. Kopenhagen kündigte daraufhin an, seine Streitkräfte aus Takuba abzuziehen. Der Fortbestand der Task Force steht nun stark in Frage. Dies wiegt auch deshalb schwer, weil manche in der Einheit schon den Kern für eine EU-Eingreiftruppe gesehen hatten.[3]
„Das ist vorbei“
Inzwischen ist der Konflikt noch weiter eskaliert. Kurz nachdem Malis Militärregierung die dänische Takuba-Einheit zum Verlassen des Landes aufgefordert hatte, erklärte Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian den Schritt für „unverantwortlich“, erhob weitere schwere Anschuldigungen gegen die malische Regierung und kündigte „Konsequenzen“ an. Darauf antwortete Malis Außenminister Abdoulaye Diop mit dem Hinweis, „Probleme zwischen Staaten“ ließen sich nicht „mit Beleidigungen“ lösen; Frankreich solle Mali mit dem zwischen Staaten üblichen „Respekt“ begegnen.[4] Weil sich der Tonfall in Paris nicht änderte, wies Bamako am 31. Januar Frankreichs Botschafter aus – zum ersten Mal in der Geschichte der Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Für Paris war der gänzlich unerwartete Schritt ein schwerer Schlag. Die Auseinandersetzungen dauern an. Mittlerweile hat Malis Ministerpräsident Choguel Maïga nachgelegt. Am Montag warf er Frankreich vor, mit seiner Militärintervention eine „faktische Spaltung“ des Landes forciert zu haben.[5] „Man kann uns nicht zum Vasallen machen“, erklärte Maïga: „Man kann das Land nicht in einen Sklaven transformieren. Das ist vorbei.“
Nicht mehr willkommen
In Paris heißt es nun, man werde bis Mitte des Monats über die Zukunft des Einsatzes entscheiden. In Berlin sind ähnliche Töne zu hören. Einerseits hat sich die Lage im Land seit Beginn der europäischen Intervention im Jahr 2013 stetig verschlechtert; ein geplanter Abzug böte die Chance, eine überstürzte Evakuierung à la Afghanistan zu vermeiden. Andererseits ist unter den gegebenen Umständen klar, dass Russland stärker Einfluss im Sahel gewinnen wird, falls die europäischen Streitkräfte Mali verlassen. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht hatte ursprünglich geplant, in dieser Woche Bamako zu besuchen und dort, wie es in einem Bericht heißt, „Klartext [zu] reden“.[6] Ihre Reise wurde kurzfristig abgesagt – weil, so heißt es weiter, einer ihrer engsten Mitarbeiter, ein Offizier, auf den sie nicht verzichten könne, sich mit dem Covid-19-Virus infiziert habe. Schon am Sonntag hatte Lambrecht erklärt: „Ich bin momentan sehr skeptisch, ob es tatsächlich weiter sein kann, dass wir uns vor Ort engagieren. Ich habe nicht den Eindruck, dass wir länger willkommen sind“.[7] Dabei sind verschiedene Abzugsszenarien denkbar. So könnten, wie die Staatsministerin im Auswärtigen Amt Katja Keul am Dienstag nach einem Kurzaufenthalt in Mali andeutete, die EU ihren Ausbildungseinsatz beenden, Deutschland aber gleichzeitig die Einheiten, die im Rahmen der UN-Blauhelmtruppe MINUSMA in Nordmali operieren, dort stationiert lassen.[8]
Französische Flaggen verbrannt
Während in Europa die Debatte andauert, berichtet ein Korrespondent des Schweizer Senders SRF, in Mali zeigten sich „viele Menschen“ über die Aussicht eines Abzugs der europäischen Truppen „hocherfreut“: „So wurden an einer Demonstration in Bamako am letzten Freitag französische Flaggen verbrannt – und Holzfiguren, die Emmanuel Macron darstellten.“[9] Auf der Demonstration seien auch „russische Fahnen geschwenkt worden“, berichtet der Korrespondent mit Blick auf die neue russische Militärpräsenz: „Die Russen scheinen durchaus willkommen zu sein“. Ihnen würden inzwischen „mehr Erfolge zugetraut als den Europäern“; so höre man, wenngleich dies „schwer überprüfbar“ sei, „die Sicherheitslage“ habe sich, seit russische Militärs „Seite an Seite mit den malischen Soldaten gegen die Dschihadisten“ kämpften, „stärker verbessert als in den letzten acht Jahren mit den französischen Truppen“. Mit Blick auf die jüngsten Forderungen aus Berlin, Paris und Brüssel, die in Bamako regierenden Militärs müssten schnellstmöglich Wahlen abhalten, hält der SRF-Korrespondent fest: „Von der Bevölkerung erhält die Regierung grossen Support. Denn für die Menschen in Mali hat die möglichst rasche Abhalung von Wahlen derzeit keine Priorität.“
Der Bundeskanzler hat Nord Stream 2 nicht gleich abgesagt. Wer das kritisiert, hat Scholz und seinen Ansatz einfach nicht verstanden.
Zitat: Was ist eigentlich so falsch daran, wenn der Bundeskanzler in den USA bei seiner Linie bleibt? Will sagen, bei seiner Linie im Ukraine-Konflikt. Das wünscht man sich doch eigentlich: einen Politiker, der nicht situativ oder intuitiv handelt, sondern in einer der größten Sicherheitskrisen auf dem europäischen Kontinent nach dem Zweiten Weltkrieg konsekutiv.
Das ist ja schon fast militärisch: Lage beurteilen, Optionen wägen, dann erst vorgehen. So gesehen ist Olaf Scholz auch in Washington, bei seinem neuen Freund Joe Biden, ziemlich cool geblieben.
Und was ist, um den Gedanken weiterzuspinnen, eigentlich falsch daran, nicht alle Karten in diesem Konflikt sofort auf den Tisch zu legen? Will sagen: Russlands Präsidenten Wladimir Putin nicht schon vorher genau zu erklären, was geschehen wird, wenn seine Truppen die Grenze zur Ukraine überschreiten. Umgekehrt ist es doch viel besser.
Das Gegenüber bleibt im Unklaren über die verschiedenen Maßnahmen, die dann ergriffen werden. Auf dass in diesem Fall Putin sich nicht jetzt schon quasi in aller Ruhe ausrechnen kann, ob er (und sein Land) diese Sanktionen zu tragen bereit oder in der Lage sind. Ihm diese Möglichkeit zu verschaffen, wäre eher unklug.
Strategische Ambiguität
Ein bisschen „strategische Ambiguität“, wie Scholz das auf seine Art, auf Scholzisch, nannte, ist also schon ganz gut. Und wer jetzt noch kritisiert, dass der deutsche Kanzler Nord Stream 2 nicht gleich abgesagt hat, der hat ihn und seinen Ansatz einfach nicht verstanden. Zumal Scholz es doch gar nicht sagen musste, weil das der amerikanische Präsident gesagt hat, unwidersprochen: Aus für Nord Stream 2 bei Einmarsch. Und der Kanzler fügte hinzu, dass ganz bestimmt einig gehandelt werde.
Dass das Wort Nord Stream 2 von seiner Seite so explizit ungesagt bleibt, auch dafür kann diplomatisch gedacht durchaus einiges sprechen. Was das sein könnte? Also, dafür sollte man Putins Rationalität vielleicht nicht überschätzen. Das ist das gängige Bild von ihm: immer kühl, immer rational.
Aber so apodiktisch stimmt das womöglich gar nicht, es kann gut auch Emotionalität im Spiel sein. Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler, der sich mit dem Entstehen von Kriegen auskennt, meint ja, das Problem bei Putin sei, dass der sich in einer Situation befinde, in der er relativ leicht sein Gesicht verlieren könne.
Da könnte doch etwas dran sein, oder? Putin hat sich so weit vorgewagt, dass es schwierig ist, verbal wie militärisch abzurüsten. Die Gefahr, das Gesicht zu verlieren, wächst dann logischerweise, wenn niemand den Versuch unternimmt, seine Situation zu verstehen. Verstehen heißt nun nicht, Putins Vorstellung von einer Lösung zu übernehmen. Vielmehr gehört es zum Wägen der eigenen Optionen.
Vorhut in Moskau
Insofern wirkt es geradezu wie kluge, abgestimmte Politik, dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sich quasi als Vorhut in Moskau angehört hat, was Putin antreibt. Nicht dass der Präsident meint, er müsse mehr gewaltsam tun, als er ursprünglich vorhatte, um nach außen wie – Obacht – nach innen Stärke zu zeigen.
Also: Ein Ziel gemeinschaftlicher und verteilter Aktionen kann sein, dass Putin bei alledem sein Gesicht nicht verliert. Was von ferne an eine Strategie erinnert, die schon Willy Brandt verfolgt hat, der Meister der Entspannungspolitik. In diesem Fall wäre das, auf der Basis eindeutig (vor-)abgesprochener Sanktionen zugleich den Gesprächsfaden mit Russland nicht abreißen zu lassen.
Denn, noch einmal, zu Putins Emotionalität: Möglicherweise fühlt er sich tatsächlich eingekreist. Vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer. Was, wenn er sich gegen diese, nach Münkler, „Einkreisungsobsessionen“ am Ende unvernünftig wehrt? Darum gilt es, auf diese Frage des Kriegsexperten schnell eine Antwort zu suchen: ob das russische Handeln gar nicht vom Wunsch nach Stärke, sondern von Angst und Sorge getrieben ist.
Gute Arbeitsteilung
Die Arbeitsteilung des Westens läuft hier doch anscheinend ziemlich gut. Die einen können ja Waffen an die Ukraine liefern, die anderen aber müssen versuchen, die Russen zu verstehen. Und verstehen zu wollen, ist eine notwendige Voraussetzung für jede Strategie, zumal zur Deeskalation. Die Deutschen, Scholz, auch Annalena Baerbock, schaffen ihren Anteil daran nicht mit weiterer Konfrontation, sprich Waffenlieferungen.
Es ist dazu schon auch so: Jahrzehntelang sollten die Deutschen raus aus den Knobelbechern. Nun sind sie es – und es ist auch nicht recht? Die Zurückhaltung lässt sich nicht wegkommandieren, sagte Volker Rühe als Verteidigungsminister. Immer noch nicht. Gut so!
Krieg ist nicht einfach die Fortsetzung von Diplomatie mit anderen Mitteln; Krieg folgt, wenn Diplomatie versagt hat. Womöglich war es in der Rückschau ganz gut von Scholz als Kanzler, geradezu stoisch cool zu bleiben.
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert wirft Gerhard Schröder schädigende Profitinteressen vor und spricht ihm Einfluss auf die Willensbildung der SPD ab
Zitat: Die SPD geht wegen seiner Russland-Geschäfte zunehmend auf Distanz zu Altkanzler Gerhard Schröder. „Er verwischt dabei die Grenze zwischen seiner Geschäftstätigkeit und dem Gehör, das er als erfahrener Ex-Regierungschef findet. Das ist nicht nur nicht in Ordnung, das ist sogar traurig“, sagte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert dem „Tagesspiegel“ zur Absicht Schröders, in den Aufsichtsrat des russischen Konzerns Gazprom einzurücken.
Schröder hatte zudem trotz des russischen Truppenaufmarsches an der Grenzen der Ukraine Kiew Säbelrasseln vorgeworfen. Dies sei „eine abseitige Position“ und nicht die der SPD, sagte Kühnert. „Der Vorwurf des Säbelrasselns an die Ukraine ist eine offenkundige Verdrehung der Tatsachen und, mit Verlaub, einfach Mumpitz.“
Der frühere Juso-Chef meinte mit Blick auf Schröders Lobbyismus für die Gasgeschäfte des russischen Präsidenten Wladimir Putin: „Mich beschäftigt das als Sozialdemokrat und Generalsekretär meiner Partei sehr.“
Die Sozialdemokratie habe nach 1949 jenseits von Olaf Scholz „drei Kanzler gestellt, die alle Verdienste um dieses Land haben und die alle Voraussetzungen mitbrachten, nach dem Ende ihrer Amtszeit ihre politische Erfahrung für das Gemeinwohl einzusetzen“, so Kühnert.
Der erste, Willy Brandt, habe das beispielsweise in der Sozialistischen Internationale getan und sich aufopferungsvoll um den Ausgleich zwischen globalem Norden und Süden bemüht. Der zweite, Helmut Schmidt, sei „zum nimmermüden Reisenden und Weltenerklärer für eine ganze Nation“ geworden.
„Der dritte, Gerhard Schröder, stellt heute geschäftliche Interessen in den Vordergrund seines Handelns“, erklärte Kühnert.
Gefragt nach den Folgen von Schröders Verhalten, sagte der Generalsekretär: „Es folgt vor allem daraus, dass Gerhard Schröder seinem Ansehen in der Öffentlichkeit enorm schadet. Ich sehe nicht, dass er seiner Partei, der SPD damit ernsthaft schaden könnte. Sein Vorgehen findet in unseren Reihen auch keinerlei Widerhall.“
Er sei überzeugt, dass frühere Inhaber höchster Staatsämter in der Diplomatie eine wichtige Rolle spielen können, meinte er weiter. Auch Gerhard Schröder habe das vielfach getan. „Aber jetzt findet eine Grenzüberschreitung zwischen der Sphäre des Geschäftlichen und der der internationalen Politik statt“, warnte der Berliner Politiker.
Es dürfe einem erfahrenen Politiker nicht passieren, „dass auch nur der Eindruck entsteht, hier gebe es eine Verquickung“. Deshalb seien die Aktivitäten von Gerhard Schröder „eben nicht in die Reihe von diplomatischen Bemühungen eines Elder Statesman einzureihen, sondern sie müssen als von privaten Interessen geleitet betrachtet werden“.
unser Kommentar: Übt sich früh so, wer vielleicht selber einElder Statesman werden will?
Weiteres:
"Wovon
reden Sie?": Jetzt teilt Ex-US-Präsident Trump gegen Scholz aus
In
den USA nimmt die Kritik an Nord Stream 2 zu. Der ehemalige
US-Präsident Donald Trump bezeichnet Deutschland mit Blick auf die
Pipeline als "Geisel Russlands". Mit scharfen Worten äußert
er sich zum Besuch von Kanzler Olaf Scholz.
Info:
09.02.2022
Nein zur COVID19-Impfpflicht – für freie Impfentscheidung!
dkphannover.wordpress.com, 7. Februar 2022
Erklärung des Kreisvorstands der DKP Hannover 6. Februar 2022
Nach Monaten repressiver und schikanöser Maßnahmen einer indirekten Impfpflicht (2G/3G etc.), die sich am stärksten gegen die arbeitende und lernende Bevölkerung richten, beabsichtigen die herrschenden Kräfte fast aller Parteien im Bundestag die Einführung einer COVID19-Impfpflicht. Diese Impfpflicht soll mit hohen Bußgeldern und Strafen durchgesetzt werden. Dieses Vorhaben ist geprägt von einem Irrationalismus, der die deutsche Coronapolitik von Beginn an kennzeichnet: Die Autoren erster fraktionsübergreifender Anträge im Bundestag können nicht einmal genau benennen, gegen welche Virusvariante geschweige denn mit welchem Impfstoff zwangsweise geimpft werden soll. Entsprechend der bisherigen Impfkampagne liegt eine de facto Pfizer-/BioNtech-Impfpflicht nahe. Der Kreisvorstand der DKP Hannover sagt ohne Wenn und Aber NEIN zur COVID19-Impfpflicht unter den ökonomischen und politischen Verhältnissen, wie sie hier und heute sind. Die Impfung gegen COVID19, gleich in welcher Variante und mit welchem Impfstoff, muss eine persönliche Entscheidung sein. Die bisherigen Maßnahmen der indirekten Impfpflicht und die drohende direkte Impfpflicht haben zu großen Widerständen und Protesten geführt. Wir meinen, zu Recht. Denn:
Die Impfstoffe haben höchstens einen Nutzen als Selbstschutz. Die wiederholte Behauptung, die Impfung schütze Geimpfte und ihr Umfeld vor Ansteckung, ist unwahr. Folglich kann die Impfung nur eine individuelle Entscheidung unter Abwägung zwischen persönlichem Nutzen und Risiko sein. Die bisherige Impfkampagne ist unter hohem Druck einer Phalanx bestehend aus Pharmakonzernen und Politikern, die einen Kurs des permanenten Ausnahmezustands betreiben, durchgesetzt worden. Das sind vor allem die von Lobbyisten durchsetzten EU-Zulassungsbehörden, deutsche Bundesbehörden und deren willige Helfer in den Regierungen und Parlamenten. Die Notfall-Zulassung der Impfstoffe westlicher Pharmakonzerne erfolgte im Eiltempo, während alle anderen bis heute nicht zugelassen sind. Dies zeigt eine unverhüllt interessensgesteuerte Zulassungspolitik, die nicht vorrangig die Gesundheit der Bevölkerung zum Ziel hat. Weiterhin weckte das offenkundig politisch beeinflusste Agieren von „Ethik“- und Impfkommissionen, regierungsabhängigen und -hörigen Virologen und Instituten des Wissenschaftsapparates bei großen Teilen der Bevölkerung erhebliche Zweifel daran, dass, wie behauptet, der Gesundheitsschutz der Bevölkerung bei Forschung und Zulassung der neuartigen Impfstoffe an erster Stelle gestanden hat.
Mit dem religiös anmutenden Schlachtruf „Folge der Wissenschaft!“ werden Kritiker der Pfizer-Kampagne diskriminiert und per „Schwurbler“- und „Irrationalismus“-Vorwurf von Staat, Medien und deren bestellten „Faktencheckern“ zum Schweigen gebracht. Durch diese besondere Instrumentalisierung des Wissenschaftsapparats für die Politik des Coronaausnahmezustands fällt seriöse wissenschaftliche Information als Orientierungshilfe für die Bevölkerung weitgehend weg. Die individuelle Impfentscheidung jedes Bürgers als letzte Kontrollmöglichkeit gegenüber den Herrschenden muss erhalten bleiben.
Die schlechte Situation in der Gesundheitsversorgung hat ihre Ursache nicht in mangelnder Impfbereitschaft, sondern im Abbau der Intensivpflegekapazitäten (vor allem beim Personal) sowie in der massenhaften Schließung von Krankenhäusern. Die Kapazitätsengpässe in Krankenhäusern werden bewusst verschärft, die Verursachung wird der angeblich niedrigen Impfquote oder sogar den Patienten selbst zugeschoben. Der neoliberale Umbau des Gesundheitswesens für den Profit, wie er von den fanatischsten Befürwortern der Impflicht, wie etwa Minister Lauterbach, vorangetrieben wird ist die Ursache der Krise im Gesundheitswesen.
Bereits die sog. „berufsbezogene Impfpflicht“ führt zu Berufsverboten und gefährdet kurzfristig die Qualität der Pflege massiv. Kolleginnen und Kollegen sind in ihrer Existenz bedroht und nehmen nun den Kampf auf. Wir erklären uns solidarisch mit ihnen! Wir erinnern an die Forderung von ver.di vom Januar 2021: „Die Entscheidung, sich impfen zu lassen, ist freiwillig und muss es bleiben. Es darf keine Diskriminierung aufgrund des Impfstatus geben – weder gesellschaftlich noch im Arbeitsverhältnis. Bei Einstellungen und anderen Fragen darf es keine Benachteiligung geben.“
In den vergangenen Wochen ist bundesweit massiver Protest und Widerstand gegen die drohende Impfpflicht und die seit zwei Jahren andauernde Schikanierung, die bis in die Privatsphäre reicht, aufgeflammt. Massive, dauerhafte Einschränkung demokratischer Rechte, ultra-autoritäre Gesetze wie die mehrfachen Reformen des Infektionsschutzgesetzes und nicht zuletzt der offene staatliche Lohnraub (wie etwa während der Quarantäne) markieren große Schritte zur Aushöhlung der bürgerlichen Demokratie. Der Protest speist sich aus breiten Kreisen der Bevölkerung, Hunderttausende beteiligten sich an den Spaziergängen. Mit einer infamen Hetzkampagne antworten die herrschenden politischen Kräfte, angeführt vom rot-rot-grünen Lager: Die Proteste seien „rechts“, „rechts unterwandert“, „rechts dominiert“. Das geht bis zur offenen Hetze, wenn etwa die Spaziergänger pauschal als geistige Nachfolger von Hitlers NSDAP verunglimpft werden. Mit solcher Diffamierung, Einsatz von Agent Provocateurs und politischem Rufmord wird versucht, die Proteste einzudämmen und konsequente linke Kräfte von ihnen fernzuhalten. Dabei kommen Kräfte wie die AfD gerade recht, geben sie rot-rot-grün doch die erwünschten und herbeigeredeten Pappkameraden ab, die zur Not, auch als V-Leute eingeschleust werden. Diese bekannte Taktik der Herrschenden, eine angebliche Querfront herbeizuhalluzinieren um damit Widerstandskräfte zu lähmen, wird gerade vom sogenannten „links-progressiven“ Lager aktiv unterstützt. Jene „Linken“ haben dabei offenbar kein Problem damit, eine Querfront mit Kriegstreibern und fanatischen Maßnahmenbefürwortern,wie etwa den Grünen, einzugehen. Wir sagen: Die derzeitige Bundesregierung ist das Ausführungsorgan der reaktionärsten politischen Kräfte in Deutschland. Es sind die Vertreter der Ampel-Koalition und ihre Unterstützer in der Opposition, die für einen Krieg gegen Russland und China trommeln. Es sind jene, die die Coronamaßnahmen, die mit Gesundheitsschutz kaum etwas zu tun haben, mit allen Mitteln durchsetzen wollen. Es sind die, die per Bereitschaftspolizei Coronaspaziergänger zusammenprügeln, demokratische Rechte wie das Versammlungsrecht bis zur Unkenntlichkeit verstümmeln und dies auch noch als antifaschistische Tat verkaufen.
Wir sagen: Protest und Widerstand gegen die direkte-, sowie gegen die immer absurderen Maßnahmen der indirekten Impfpflicht, wie aktuell die „Status-Entwertung“ bereits Geimpfter oder Genesener, ist gerechtfertigt und notwendig!
Für Pflegekräfte ist die Impfpflicht beschlossen. In Tübingen wagen 300 Klinikbeschäftigte den Aufstand, in Berlin gehen sie auf die Straße. Der Druck wächst.
Zitat: Berlin - Kommt die Impfpflicht oder kommt sie nicht? Während Bundeskanzler Olaf Scholz attestiert wird, bei dem Thema unterzutauchen, Gesundheitsminister Lauterbach zwar ständig dafür wirbt, aber dennoch keine Beschlussvorlage eingebracht hat und die Parteien von FDP bis SPD sich mit Befremden und Befürwortung abwechseln, ist eine Impfpflicht doch längst beschlossen: die einrichtungsbezogene. Ab 15. März sollen deutschlandweit keine ungeimpften Pflegekräfte mehr am Krankenbett stehen – und darüber hinaus auch keine Köche, Putzhilfen, Altenpfleger, Verwaltungskräfte oder Labormediziner mehr im Gesundheits- und Pflegebereich arbeiten, wenn ungeimpft.
Zwar hat Ministerpräsident Markus Söder für Bayern in dieser Woche der einrichtungsbezogenen Impfpflicht bereits eine Absage erteilt, auch in Brandenburg sehen sich Gesundheitsämter und Behörden mit der Einführung überfordert, am Montagabend forderte CDU-Chef Friedrich Merz gar die bundesweite Aussetzung der Pflicht. Doch die Ampel scheint weiter an ihr festhalten zu wollen, wie auch Karl Lauterbach und Lothar Wieler auf einer gemeinsamen Pressekonferenz am Dienstag noch einmal bekräftigten.
Für Franz P. ist das ein Desaster. Der Intensivpfleger aus Tübingen, der namentlich nicht genannt werden will, ist einer von 300 Kolleginnen und Kollegen, die allesamt an Tübingens Uniklinik arbeiten und sich gegen diese Impfpflicht positionieren. Zur Hälfte aus dem medizinischen Bereich, zur Hälfte aus Verwaltung und weiteren Arbeitsbereichen auch ohne Patientenkontakt. Nicht alle sind ungeimpft, manche sind grundimmunisiert oder gar geboostert, aber sie alle wollen nicht von der Politik dazu gezwungen werden, sich (weiter) impfen zu lassen. Viele haben Angst, ab 15. März ihren Job zu verlieren, einige davon so sehr, dass sie krankgeschrieben sind.
Sie haben ihrem Arbeitgeber bereits im Januar einen Brief geschrieben, um ihren Unmut und ihre Sorgen zu äußern, daraufhin gab es ein Treffen mit der Klinikleitung, das für die Aufständler aber unzufriedenstellend verlaufen sei, berichtet Franz P. Es sei für seine Begriffe eher eine Werbeveranstaltung fürs Impfen gewesen, die beschriebene Spaltung in der Klinik sei abgetan worden, die Klinik würde ihren Mitarbeitern keine Angebote machen, sondern sich „hinter dem Gesetz verstecken“. Deshalb sei es nun an der Zeit für die Pflegekräfte, sich an die Öffentlichkeit und die Politik zu wenden. Schließlich würde Kollegen der Tod an den Hals oder ein schwerer Verlauf gewünscht, nur weil sie sich nicht mehrfach impfen ließen.
Der Intensivpfleger sagt ganz klar: „Ich bin nicht generell gegen die Impfung.“ Ohne diese, das sei allen im Hause deutlich genug, hätte die Pandemie kaum gehandelt werden können, ohne Impfung seien die Intensivstationen komplett überlastet worden. Die Impfung wirke. Und er ist sogar für eine Impfpflicht, aber nur für eine ganz bestimmte Personengruppe: Risikopatienten. Diabetes, koronare Herzerkrankung und Adipositas – diese drei Vorerkrankungen, hat der Intensivpfleger auf der Corona-Station in den vergangenen zwei Jahren beobachtet, würden am stärksten dazu beitragen, dass ungeimpfte Patienten schwer an Covid-19 erkranken oder gar versterben. „Es sind die ungeimpften Risikogruppen, die unsere Stationen verstopfen“, sagt Franz P.. Und dennoch kämpft er gegen die Impfpflicht für Pflegekräfte. Wie passt das zusammen?
Weil eine Impfung auf einer persönlichen Risikobewertung fußen müsse, sie müsse deshalb eine individuelle Entscheidung bleiben, findet er: „Ich möchte das mit meinem Hausarzt besprechen und mir nicht von einem Herrn Spahn oder jetzt von Herrn Lauterbach diktieren lassen, wann, wie oft und womit ich mich impfe.“ Auch Novavax sei keine echte Alternative und kein echter Totimpfstoff. Er selbst ist ungeimpft – aber genesen. Anderthalb Jahre nach der Infektion seien seine Antikörper in ausreichender Zahl vorhanden. „Ich möchte, dass mein Genesenenstatus anerkannt wird“, sagt der Intensivpfleger und fordert das nicht nur für sich, sondern für alle Genesenen. Seine eigene Ärztin habe ihm im Übrigen von der Impfung abgeraten, weil er nicht zur Risikogruppe gehöre und die Studienlage ihr zu einseitig erscheine.
Andere Kollegen hätten Probleme etwa nach der Impfung bekommen, vor allem nach dem Boostern würden reihenweise Mitarbeiter ausfallen, für teils zwei Wochen. Von schweren Impfschäden oder ganz besonders starken Impfnebenwirkungen weiß er nicht zu berichten, auf seiner Station werden vor allem Patienten mit schweren Covid-19-Verläufen behandelt, unter anderen an der Ecmo-Maschine, welche die Arbeit der erkrankten Lunge zeitweise übernimmt. Und er will und darf auch über seine Patienten nicht sprechen. Doch er bekommt von anderen Stationen im Haus mit, wenn junge Patienten mit Myokarditis eingeliefert werden; eine Kollegin habe nach der Impfung mit Astrazeneca eine Sinusthrombose im Hirn erlitten. Überhaupt sei das mit Impfschäden oder ungewöhnlichen Impfnebenwirkungen so eine Sache: Der Nachweis eines Zusammenhanges sei schwierig bis teils unmöglich. Angst vor der Impfung sei aber nur ein kleiner Teil der Motivation des Widerstands im Kollegium, berichtet der Pfleger.
Das größte Problem sei der Umgang mit dem Personal in der Pandemie – und zwar nicht nur innerhalb des Hauses, wobei er die Spaltung zwischen Geimpften und Ungeimpften deutlich anprangert. Sondern vor allem durch Politik und Gesellschaft, wie er sagt.
„Wir hatten richtig Angst am Anfang, zum Teil sind damals schon Pflegekräfte krank geworden wegen Stress“, erinnert er sich an den Beginn von Corona 2020. „Wir sahen die Bilder aus Italien und waren schon lange vorbereitet darauf, dass mal eine Pandemie kommen wird. Wir hatten deshalb schnell ausreichend Schutzmaterial da, das war unser großes Glück, das uns viel Sicherheit gegeben hat inmitten unserer eigenen Ängste.“ Nach einem Jahr vollem Einsatz hätten sie am Uniklinikum in Tübingen dann gemerkt, dass sich kein einziger Mitarbeiter bei einem Patienten infiziert habe – „und das ohne Impfung!“, betont Franz P. Das sei bis heute so geblieben. Auch andersherum habe sich kein Patient bei einem Mitarbeiter angesteckt.
Das Uniklinikum ist groß, insgesamt etwa 11.000 Mitarbeiter arbeiten dort, es ist ein Haus der Maximalversorgung. Aus diesem Eindruck heraus verstärkt sich nun der Glaube vieler, eine Impfpflicht sei nicht nötig. Nicht mehr vor allem, da bereits 90 Prozent geimpft seien. Außerdem, betont Franz P., sei es den Unwilligen und auch allen anderen nicht zuzumuten, sich derart gängeln zu lassen. Nicht nach allem, was sie in der Pandemie schon geleistet haben – ohne jemals wirkliche Unterstützung von außen zu erfahren außer dem kurzzeitigen allbekannten Klatschen. Stattdessen werden bundesweit weiter Betten abgebaut und Kliniken geschlossen, wegen Personalknappheit und aus wirtschaftlichen Gründen. Der Druck auf die Verbliebenen steigt stetig.
Deshalb wollen die Mitarbeiter in Tübingen nun für ihre Freiheit kämpfen – und für ihre Würde: „Wir sind bereit, eine dreimonatige ALG-Sperre in Kauf zu nehmen. Dieses Druckmittel seitens der Arbeitgeber und der Arbeitslosenversicherung verpufft nach allem, was wir in den letzten Jahren kompensieren und erdulden mussten. Es ist nun an der Politik, zu entscheiden und zu zeigen, wie sie mit systemrelevanten Berufsgruppen umgehen, die einen differenzierteren Einblick in die Pandemie haben als Zahlentheoretiker“, sagt der Klinikmitarbeiter. „Weiterer Druck auf das betroffene Personal würde einen weiteren Pflexit auslösen“, prophezeit er. „Man muss bedenken, dass der Druck, den das Personal aushalten muss, auch von den Patienten zu spüren ist. Das erleben leider gerade ungeimpfte Patienten durch einige geimpfte Versorger“, gibt er zu bedenken.
Hinter der Gruppe um Franz P. stecken nicht nur Pflegekräfte und Verwaltungsmitarbeiter, sondern nach seinen Angaben auch rund 20 Tübinger Ärzte – aus allen möglichen Fachgebieten, von der Neurochirurgie bis zur Geburtshilfe. Diese seien nach seiner Beobachtung noch schlechter dran als die Pflegekräfte. Junge Ärzte würden kaum mehr Geld verdienen als erfahrene Pfleger, hätten aber ungleich mehr Verantwortung zu tragen und seien stets dem jeweiligen Chefarzt unterstellt. Eine eigene Meinung könnten sie sich kaum leisten. Deshalb müssten die Pflegekräfte für die Ärzte mit auf die Straße gehen, denn viele hätten Angst, nicht nur ihren Job, sondern gar ihre Approbation zu verlieren, sobald sie sich kritisch über die Impfung oder die Impfpflicht äußerten. Diese Erfahrung hat Franz P. allerdings nicht inner-, sondern außerhalb des Uniklinikums gemacht.
Keine Angst vor Repressalien hat hingegen Mandy Puppe, die am Montagabend in Berlin mitmarschiert, auf der Demo gegen die Impfpflicht, organisiert von der Gruppe „Aufbruch 21“. Ein „friedlicher Lampion- und Lichterumzug vom Brandenburger Tor zum Berliner Dom für eine freie Impfentscheidung“ ist angekündigt, und so wird es auch: Etwa 200 Menschen mit bunten Lichtern spazieren zu Musik von Bob Marley bei Eiseskälte Unter den Linden. Unter ihnen die 22-jährige Krankenschwester, die seit vier Jahren in der Pflege arbeitet und seit Beginn der Pandemie in Ausbildung ist. „Ich habe sehr lange Zeit auf Covid-Stationen gearbeitet, Nachtwachen gehalten bei demenzerkrankten Covid-19-Patienten, und habe mich nie angesteckt“, erzählt sie. Da ist es wieder, das Argument der nicht erlebten Ansteckung binnen zwei Jahren. Auch Mandy Puppe ist ungeimpft und will es bleiben – aus Unsicherheit über Langzeitwirkungen. Für den Fall, dass ihr Arbeitgeber sie zwingen will, macht sie sich keine Sorgen: Es gebe genügend ungeimpftes Personal in Berlin, nie und nimmer könne in der Pflege auf diese Kräfte verzichtet werden. Notfalls will sie mit ihren Kolleginnen und Kollegen rechtliche Hilfe in Anspruch nehmen, um in ihrem Job bleiben zu können. Denn sie sagt: „Ich liebe meinen Beruf! Ich könnte mir nichts anderes vorstellen.“
Dass Karl Lauterbach zuletzt verkündete, ungeimpfte Pflegekräfte hätten in Kliniken nichts zu suchen, das würden ihm nicht nur Ungeimpfte übel nehmen, erzählt Franz P. „Ich selbst hätte nichts dagegen, Deutschland den Rücken zu kehren und mich in der Schweiz zu bewerben, die mich mit offenen Armen empfangen würde. Aber was wird dann aus unserer deutschen Gesellschaft und der Pflege in Deutschland?“, fragt der Intensivpfleger, der gerne auch seine Eltern und Großeltern in guten Händen wüsste – die sich übrigens auf seinen Ratschlag hin haben impfen lassen. Das fatale Signal von Lauterbachs Aussage sei gewesen, dass nur eine solche Pflegekraft eine gute Pflegekraft sei, die im Zweifel ohne eigenen Willen umsetze, was der Staat befehle. Dagegen müsse man sich wehren.
Chip-Unabhängigkeit für künftige Konflikte EU stellt 43 Milliarden Euro für die Halbleiterproduktion in Aussicht, will mit den USA und China rivalisieren und bei einer Konflikteskalation in Ostasien unabhängig von dortigen Zulieferern sein.
german-foreign-policy.com, 9. Februar 2022
BRÜSSEL (Eigener Bericht) – Mit Investitionen in Höhe von 43 Milliarden Euro will die EU-Kommission die Halbleiterherstellung in Europa massiv ausbauen und für den Fall einer globalen Konflikteskalation größere Unabhängigkeit erreichen. Der European Chips Act, den die Kommission am gestrigen Dienstag vorgestellt hat, soll den Anteil der EU an der weltweiten Chipproduktion von heute zehn auf 20 Prozent verdoppeln. Ziel ist es, von Produzenten vor allem aus Ostasien unabhängiger zu werden; sonst könne die Industrie der EU herbe Schäden nehmen, falls es etwa bei einer Zuspitzung des Konflikts zwischen China und Taiwan zu Lieferausfällen in großem Umfang komme, erläutert EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton. Brüssel hofft auf eine baldige Ankündigung des US-Konzerns Intel, eine bedeutende Chipfabrik in der EU zu errichten. Mit ihrer Initiative konkurriert die EU mit den USA und China, die jeweils eigene Fördermittel in zwei- bis dreistelliger Milliardenhöhe bereitstellen. Experten geben sich bezüglich der Erfolgsaussichten skeptisch – ähnlich wie bei anderen Versuchen der EU, bei bedeutenden Zukunftstechnologien eine globale Spitzenstellung zu erlangen.
Der European Chips ActDer European Chips Act, den die EU-Kommission am gestrigen Dienstag vorgestellt hat, zielt darauf ab, die Halbleiterherstellung wieder stärker in Europa zu verankern. Wurden in den 1990er Jahren noch rund 40 Prozent aller Chips in Europa hergestellt, so ist der Anteil inzwischen auf rund zehn Prozent gesunken. Mehr als zwei Drittel aller Chips werden aktuell in Ostasien produziert – in Japan, in Südkorea, in China und auf Taiwan. Das gilt aufgrund der schon heute immensen und in Zukunft noch deutlich steigenden Bedeutung der Halbleiterherstellung als ernster Nachteil für die deutsche bzw. europäische Industrie. Brüssel zielt nun darauf ab, nicht nur große Chipfabriken wieder in der EU anzusiedeln, sondern das gesamte industriell-technologische Umfeld spürbar zu stärken – von der Forschung über die Entwicklung bis hin zu allen Stufen der Produktion. Dazu sollen, wie EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton gestern bekanntgab, bis 2030 insgesamt 43 Milliarden Euro mobilisiert werden – elf Milliarden im Rahmen des European Chips Act von der EU und den Mitgliedstaaten, zwei Milliarden durch einen neuen EU Chips Fund sowie 30 Milliarden mit Hilfe schon bestehender Programme, die nun der neuen EU-Initative zugeordnet werden.[1]
Zitat: Ehrgeizige Pläne
Ziel der Kommission ist es, den Anteil der EU an der globalen Halbleiterproduktion bis 2030 auf rund 20 Prozent zu verdoppeln. Das Vorhaben gilt als äußerst ehrgeizig. Sowohl die USA als auch die Staaten Ostasiens sind bemüht, ihre jeweilige Chipindustrie in hohem Tempo voranzubringen. Die Vereinigten Staaten etwa planen ein ähnliches Halbleiter-Förderprogramm wie die EU mit einem Volumen von 52 Milliarden US-Dollar. China wiederum, dessen vergleichsweise schwache Halbleiterbranche als Achillesferse der chinesischen Industrie gilt, bemüht sich mit aller Kraft, den Sektor weiterzuentwickeln und auszubauen – nicht zuletzt, um harten US-Sanktionen die Wirkung zu nehmen. Die Fördermittel der Volksrepublik für die Chipherstellung werden auf gut 150 Milliarden US-Dollar beziffert. Experten gehen davon aus, dass die globale Halbleiterproduktion sich bis 2030 verdoppeln wird; soll die EU ihren Anteil daran ebenfalls verdoppeln, ist eine Steigerung des europäischen Ausstoßes auf das Vierfache des heutigen Volumens notwendig. Dass das gelingt, wird von Ökonomen bezweifelt. Bislang hätten „Einzelstaaten wie China, Südkorea, Taiwan oder die USA ... schneller und entschlossener“ gehandelt als die EU, urteilt etwa das unternehmernahe Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) aus Köln.[2]
Milliardensubventionen
Im Rahmen ihrer Bemühungen setzt die EU unter anderem auf Großinvestitionen auswärtiger Konzerne, darunter insbesondere der US-Konzern Intel. Intel-Chef Pat Gelsinger hat laut Berichten den Aufbau zweier großer Chipfabriken („Fabs“) und mehrerer weiterer Werke in Europa im Blick. Die Standorte sollen wohl über mehrere europäische Staaten verteilt werden; gute Chancen werden vor allem Deutschland eingeräumt.[3] Allerdings fordert Gelsinger für jede Chipfabrik, die rund zehn Milliarden Euro kostet, staatliche Subventionen in Höhe von etwa vier Milliarden Euro. Experten äußern sich skeptisch. So erklärt etwa Niclas Poitiers, ein Spezialist des Brüsseler Think-Tanks Bruegel, Intel gebe zwar an, in seinen künftigen europäischen Werken modernste Halbleiter mit einer Größe von zwei Nanometern oder weniger produzieren zu wollen. Allerdings sei der Konzern dazu noch nicht in der Lage, denn er habe den Sprung „auf die neueste Generation von Halbleitern verpasst“.[4] Womöglich sei Intels Ankündigung, Zwei-Nanometer-Chips herstellen zu wollen, nur ein „Köder“ für staatliche Beihilfen, urteilt Poitiers. Außer mit Intel verhandelt die EU-Kommission auch mit Taiwan Semiconductor Manufacturing Co (TSMC) über den Aufbau einer Halbleiterfabrik in Europa.[5] TSMC ist einer der bedeutendsten Chiphersteller der Welt.
Vom US-Defense Production Act inspiriert
Wie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen äußert, geht es der Kommission zwar zunächst darum, dem europäischen Staatenkartell eine industrielle Führungsrolle zu sichern. „Europa ist der Kontinent, auf dem alle industriellen Revolutionen begonnen haben, und Europa kann auch die Heimat der nächsten industriellen Revolution sein“, erklärte von der Leyen am gestrigen Dienstag.[6] Doch hat Brüssel – auch von den Erfahrungen des aktuellen Chipmangels ausgehend – deutlich weiterreichende Ziele im Blick. So hat Binnenmarktkommissar Breton erst kürzlich darauf hingewiesen, die EU sei nicht auf kriegsbedingte Ausfälle bei ihren heutigen Chiplieferanten, so etwa TSMC aus Taiwan, vorbereitet. Sollte etwa der Konflikt zwischen China und Taiwan militärisch eskalieren, stünden „die europäischen Fabriken innerhalb von nur drei bis vier Wochen ohne Chips da“, warnt Breton.[7] Um im Konfliktfall handlungsfähig zu sein, ist laut Berichten die Vergabe von EU-Fördermitteln zur Halbleiterproduktion an Auflagen geknüpft, die die „Versorgungssicherheit in Krisensituationen“ garantieren sollen. Dazu gehören Exportverbote, wie sie zeitweise für Covid-19-Impfstoffe verhängt wurden. Die Kommission hat sich Insidern zufolge bei ihrer Arbeit am European Chips Act vom US-amerikanischen Defense Production Act „inspirieren“ lassen, der 1950 mit Blick auf den Koreakrieg verabschiedet wurde und der US-Regierung weitreichende Eingriffsrechte in Unternehmensentscheidungen gibt.[8]
„An den Rand gedrängt“
Der Versuch, die Halbleiterindustrie wieder stärker in der EU zu verankern, ist nur eine von mehreren Initiativen Berlins und Brüssels, die deutsche bzw. europäische Wirtschaft für die sich rasant verschärfende globale Konkurrenz fit zu machen und bei zentralen Zukunftstechnologien eine globale Führungsposition zu erreichen. Die Initiativen zielen etwa auf den Aufbau einer europäischen Batteriezellproduktion [9], auf die Schaffung einer „europäischen Cloud“ [10], auf eine Führungsrolle Deutschlands und der EU in puncto Technologien für die Energiewende [11] oder auf eine zentrale internationale Stellung in der entstehenden weltweiten Wasserstoffbranche [12]. Der Erfolg ist bislang allerdings allenfalls gemischt. So kommt etwa „Gaia-X“, die „europäische Cloud“, nicht wie gewünscht voran. Ende vergangenen Jahres teilte eines ihrer Gründungsunternehmen, die französische Tech-Firma Scaleway, anlässlich ihrer Trennung von Gaia-X mit, das Projekt sei mehr oder weniger von US-Tech-Riesen gekapert und in ihrem Sinne „an den Rand gedrängt“ worden.[13] Gaia-X gilt als zentrales Projekt zum Erreichen oder – im Falle eines Scheiterns – Nichterreichen sogenannter Datensouveränität durch die EU.
[1] European Chips Act – Questions and Answers. ec.europa.eu 08.02.2022.
[2] Klaus-Heiner Röhl, Christian Rusche: Der EU-Chips-Act – Eine Chance für Halbleiter aus Europa? IW-Kurzbericht 7/2021. Köln, 08.02.2022.
[3] Joachim Hofer: Intel-Chef: Entscheidung über Milliarden-Investitionen steht kurz bevor – Deutschland hat gute Chancen. handelsblatt.com 04.02.2022.
[4] Oliver Noyan: Intel plant Milliardeninvestitionen in Mikrochips der nächsten Generation in EU. euractiv.de 26.01.2022.
[5] Finbarr Bermingham: EU rolls out a red carpet for TSMC and other semiconductor giants. scmp.com 09.02.2022.
[6] Brüssel will Chip-Lieferengpässe beenden. Frankfurter Allgemeine Zeitung 09.02.2022.
[7], [8] Joachim Hofer, Moritz Koch: Milliarden für Chips: Wie die EU moderne Halbleiter-Fabriken nach Europa holen will. handelsblatt.com 28.01.2022.
aus e-mail von Dori Pumhrey, 8. Februaer 2022, 14:19 Uhr
*/Siehe dazu auch:
/**Baerbocks „Erfolg“ in Kiew: Das Minsker Abkommen ist tot
*Die deutsche Außenministerin Baerbock hat ihren ukrainischen Amtskollegen Kuleba besucht und dabei ganz nebenbei das Minsker Abkommen begraben. In den deutschen Medien wird das nicht erwähnt.
*Die Kälte der Frau Hoffmann: Wie sich die Bundesregierung vom Frieden in der Ukraine abwendet
*/von Dagmar Henn/
Mit dem Satz "Der Donbass gehört zur Ukraine" hat die Sprecherin der Bundesregierung Christiane Hoffmann signalisiert, dass diese keine Einwände hätte, wenn Kiewer Truppen den Donbass überfielen. Damit wandte sich die Regierung vom Minsker Abkommen ab. Und vom Frieden.
Es gibt Augenblicke, die einen frösteln machen, weil man ahnt, dass Schlimmes folgen wird. Das Schweigen der westlichen Medien nach dem Massaker von Odessa beispielsweise. Es hatte deutlich gemacht, dass die Kiewer Truppen im Donbass völlig freie Hand haben würden, ihnen jedes
Verbrechen erlaubt wäre. Und so war es auch gekommen: Krankenhäuser und Schulen wurden bombardiert, Wasser- und Stromversorgungen zerstört, ganze Autokolonnen mit Menschen, die zur russischen Grenze flüchteten, mit Raketen beschossen; unzählige Kriegsverbrechen, die im Westen nie auch nur wahrgenommen worden waren. So wie Odessa.
Heute hatte ich dieses Gefühl wieder. Und Auslöser war das Betrachten der Bundespressekonferenz. Genau gesagt, die Antworten von Regierungssprecherin Christiane Hoffmann. Sie wurde von unserem Kollegen Florian Warweg gefragt, <https://de.rt.com/inland/131155-aggressor-ist-immer-russe-bundesregierung-ukraine-bpk/> was denn die Haltung der Bundesregierung wäre, sollten die ukrainischen Truppen die Donbassrepubliken angreifen. Und sie sagte da nichts von
Minsk II und dass das damit gebrochen würde; sie sagte auch nichts in der Richtung, man wünsche sich, dass es dazu nicht komme, oder man müsse einen Ausweg finden, mit dem sich beide Seiten sicher fühlen könnten.
Nein, sie sagte: "Der Donbass gehört zur Ukraine. Das ist meine Antwort auf Ihre Frage."
Die Absurdität, im Abstand weniger Minuten zum einen von russischer Aggression zu reden, weil russische Truppen auf russischem Gebiet stehen, ohne irgendjemanden zu beschießen, und auf der anderen Seite selbst für den Fall eines ukrainischen Angriffs lapidar zu erklären, das sei ukrainisches Territorium, schien ihr keine Probleme zu bereiten. Das ist man von Regierungssprechern so gewöhnt. Das Tonband mit der "russischen Aggression" läuft schon seit 2014 in Endlosschleife, man hat sich daran gewöhnt wie an Straßengeräusche. Aber dieses beiläufige
Wegwischen der Menschen im Donbass, die es 2014/15 tatsächlich mit einer Wiederauflage des Vernichtungskriegs zu tun hatten, weil Kiew nur am Gebiet interessiert ist, nicht an den Bewohnern, und denen dasselbe abermals drohen würde, diese lapidare Verleugnung, dass dort Menschen leben, die atmen, leben, bluten und leiden wie wir – das hat mich frieren lassen.
Ich gebe zu, es waren noch zwei weitere Informationen, die dazu beitrugen, weil sie in die gleiche Richtung weisen. Die erste war die Behauptung, die vom US State Department aufgestellt worden war, Russland plane eine False-Flag-Aktion mit einem fingierten Massaker. Für sich genommen, fand ich das erst einmal nur unsinnig. Schließlich sind es die USA, nicht Russland, die eine lange Geschichte fingierter Angriffe aufzuweisen haben (und, ja, wir Deutsche auch). Und es machte Spaß, Matt Lee dabei zuzusehen, wie er diese Behauptung auseinandernahm. Dann kam
allerdings die zweite Information: Auf YouTube wurde eine ganze Reihe Videokanäle der Donbassrepubliken gesperrt. Und da fiel die erste Information an ihren Platz, wie ein Puzzlestück.
Was, wenn diese US-amerikanische Aussage gar nicht dazu dient, den Russen die Produktion falscher Videos zu unterstellen, sondern gewissermaßen präventiv die Authentizität ganz realer Aufnahmen realer Ereignisse eines ukrainischen Angriffs in Zweifel zu ziehen? In diesem Zusammenhang macht die Schließung von YouTube-Kanälen Sinn. Nicht, weil es keine anderen Verbreitungswege für Videos gäbe. Aber Videos sind das eine, Livestreams das andere. Der Luftangriff auf Lugansk am 2. Juni 2014 beispielsweise war im Livestream zu sehen gewesen. Und während es kein Problem mehr ist, Videos zu fälschen, ist das mit Livestreams schwieriger. Was, wenn die Sperrung der Videokanäle dem Zweck dient, genau diese nach wie vor unbestreitbaren Belege unmöglich zu machen? Und die US-Behauptung eine vorweggenommene Verteidigung der Kiewer Truppen gegen Vorwürfe wegen erst beabsichtigter Massaker ist?
Nun, eine solche Kollision von unterschiedlichen Informationen, die zusammen auf einmal einen anderen Sinn ergeben, nimmt man zur Kenntnis und verbucht sie erst einmal unter "Hypothese". Eine mögliche, aber noch keine zwingende Lesart. Und dann kam Frau Hoffmann.
Dabei ist das Szenario, das sich gerade entwickelt, schlimm genug. Minsk II ist eindeutig dabei zu verschwinden. Die /dpa/ schrieb heute: "Ein Friedensplan, der 2015 mit Beteiligung Deutschlands und Frankreichs in der belarussischen Hauptstadt Minsk vereinbart wurde, liegt auf Eis."
Gerade, dass man sich noch daran erinnert, dass da etwas war. Auch Annalena Baerbocks Äußerungen in Kiew, in denen sie auf das Normandie-Format verwies, geben keinen Anlass zur Hoffnung. Schließlich sagte ihr ukrainischer Kollege unwidersprochen, als zweite von ihm so betitelte "rote Linie" Kiews: "Kein direkter Dialog, das ist durch die Minsker Vereinbarungen nicht vorgesehen." Doch, ist er wohl, was sowohl Baerbock als auch ihr ukrainisches Gegenstück wissen müssen, sofern sie lesefähig sind. Aber an diesem Punkt lügt die Ukraine und auch die Bundesregierung schon seit Jahren.
Dass Baerbock in Kiew bezogen auf neue Sanktionen gegen Russland geradezu stolz verkündet: "Ja, wir sind auch bereit, dafür einen hohen wirtschaftlichen Preis zu bezahlen, denn es geht um die Sicherheit der Ukraine" und erklärte, "wir" würden "unsere Unterstützung noch einmal weiter erhöhen" – klar, man distanziert sich innerlich, im Sinne eines "Frieren für Bandera? Ohne mich!", und verdrängt den Auftritt so schnell wie möglich.
Dass der Umgang mit Minsk II, den die Bundesregierung da an den Tag legt, dafür sorgen wird, dass dieses Land als Verhandlungspartner nicht mehr ernst genommen werden kann, weil es Verträge, die es selbst mit aushandelte, missachtet? Wie man sich bettet, so liegt man; bei einem
normalen Verlauf der Dinge würde der Preis dafür schon noch sichtbar.
Wenn da nicht Frau Hoffmann wäre. Nicht, dass ich mir große Sorgen um den Donbass mache. Da vertraue ich auf die russische Zusicherung, eine Auslöschung der Donbassrepubliken würde nicht zugelassen. Es wird zu den Massakern, die das State Department vorsorglich schon einmal in Abrede stellte, nicht kommen. Und die seltsamen Seitwärtsmanöver, die in Kiew in den letzten Wochen zu beobachten waren, deuten an, dass auch diese Herrschaften wissen, wie ein solches Abenteuer ausginge, und dass es der ukrainischen Bevölkerung doch irgendwann reichen könnte, in fremdem geopolitischem Interesse als Kanonenfutter zu dienen.
Es ist die von jedem Zweifel unberührte Kälte, mit der Frau Hoffmann einen ukrainischen Bruch der Minsker Abkommen schon fast als vollendete Tatsache behandelte, völlig ohne jedes Gespür für das tausendfache Elend, das keinem anderen Zweck dienen soll, als Russland endlich zum
Handeln zu zwingen, die so erschreckend ist. Die Gleichgültigkeit selbst dem diplomatischen Ansehen dieses Landes gegenüber. Aus dem Mund der Sprecherin einer deutschen Regierung, die zumindest ansatzweise um die Geschichte der Region wissen sollte. Das wirkte, als sei die Entscheidung gefallen, als wolle man Krieg um jeden Preis.
Manchmal täuschen diese Gefühle, und in diesem Fall hoffe ich darauf, dass dem so ist. Aber alle Ereignisse der letzten Wochen zusammengenommen, ökonomische wie politische, einschließlich des Angriffs auf den Fernsehsender /RT DE/, deuten darauf hin, dass der Westen, die Bundesregierung eingeschlossen, lieber alles auf eine Karte setzt, als seinen Abstieg hinzunehmen. Und das kann einen wirklich frieren machen.
08.02.2022
Der Preis des Machtkampfs Berlin zur Zahlung eines „hohen Preises“ bei Sanktionen gegen Russland bereit. Experten urteilen, Kiew entwickle sich unter Präsident Selenskyj zu einem „autoritären Regime“.
german-foreign-policy.com, 8. Februar 2022
BERLIN/PARIS/KIEW (Eigener Bericht) – Deutschland ist bereit, bei einer Verhängung neuer westlicher Sanktionen gegen Russland „einen hohen wirtschaftlichen Preis zu zahlen“. Das bestätigte Außenministerin Annalena Baerbock am gestrigen Montag bei einem Besuch in Kiew. Baerbock wies zudem darauf hin, dass Deutschland der Ukraine zwar weiterhin keine Waffen liefern will, das Land aber auf andere Weise kriegsfähig macht, etwa mit der Lieferung eines Feldlazaretts und mit der Behandlung ukrainischer Militärs in deutschen Krankenhäusern. Der Kiew-Besuch der Außenministerin ist Teil hektischer diplomatischer Bemühungen der deutschen und der französischen Regierung, wieder zu mehr Einfluss auf den Ukraine-Konflikt zu gelangen, nachdem Washington die Verhandlungen mit Moskau alleine an sich gezogen hatte. Unterdessen warnen Berliner Regierungsberater, die innere Entwicklung der Ukraine sei geeignet, den Westen in ernste Argumentationsnöte zu stürzen: Der „Regierungsstil“ von Präsident Wolodymyr Selenskyj, der immer mehr Macht in der Präsidialverwaltung konzentriere und Parlament und Justiz zunehmend ignoriere, stütze den Vorwurf, der Westen fördere in Kiew ein „autoritäre[s] Regime“.
Zitat: Kampf um das Normandie-Format
Mit hektischen diplomatischen Aktivitäten setzen Deutschland und Frankreich ihre Bemühungen fort, ihren herben Einflussverlust im Ukraine-Konflikt wettzumachen und auf Augenhöhe mit den Vereinigten Staaten und Russland zu gelangen. Seitdem Washington und Moskau im Dezember bilaterale Verhandlungen aufgenommen haben, um ein etwaiges neues Rüstungskontrollregime für Europa und – dies fordert die russische Seite – verbindliche Sicherheitsgarantien zu debattieren, sind Berlin und Paris am bedeutendsten Gesprächsformat nicht beteiligt; sie werden von der Biden-Administration lediglich indirekt über die NATO oder über Zusammenkünfte wie das gestrige Treffen von Bundeskanzler Olaf Scholz und US-Präsident Joe Biden integriert.[1] Zuletzt war es Deutschland und Frankreich immerhin gelungen, das Normandie-Format auf Beraterebene wiederzubeleben, in dem sie gemeinsam mit Russland und der Ukraine über Schritte zur Beilegung des Bürgerkriegs in der Ostukraine verhandeln. Das erwünschte Treffen im Normandie-Format auf Ministerebene, das aus Sicht der westeuropäischen Mächte wichtig wäre, um die Gespräche aufzuwerten und ihre Rolle wieder zu stärken, lässt allerdings nach wie vor auf sich warten.
Kampf um „europäische Souveränität“
Dabei legen die aktuellen Aktivitäten neben dem Streben, Deutschland und Frankreich einen größeren Einfluss zu verschaffen, auch die Differenzen zwischen den beiden Ländern offen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron traf gestern in Moskau zum Gespräch über den Ukraine-Konflikt mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin zusammen. Er wolle, wird berichtet, erreichen, dass die europäischen Mächte in die von Russland und den USA ins Auge gefassten Rüstungskontrollverhandlungen eingebunden werden.[2] Ursprünglich habe er gemeinsam mit Kanzler Scholz in Moskau verhandeln wollen, um dem Anspruch auf „europäische Souveränität“ Nachdruck zu verleihen.[3] Scholz habe dies aber abgelehnt, weil Deutschland in Rüstungskontrollfragen nicht mit der Atommacht Frankreich mithalten, also in Verhandlungen auch nicht die Führung übernehmen könne. Der Kanzler reiste gestern stattdessen nach Washington, wo er mit Präsident Biden zusammentraf. Weitere Gespräche in Berlin sind für den heutigen Dienstag angekündigt, wo Scholz Macron und den polnischen Präsidenten Andrzej Duda treffen wird. Polen ist einer derjenigen EU-Staaten, die gegenüber Russland besonders scharf auftreten und dabei besonders eng mit den USA kooperieren.
Zum Zahlen bereit
Während Macron in Moskau und Scholz in Washington Verhandlungen führten, hielt sich Außenministerin Annalena Baerbock gestern zu Gesprächen in Kiew auf. Der ursprünglich geplante Doppelbesuch gemeinsam mit ihrem französischen Amtskollegen Jean-Yves Le Drian war daran gescheitert, dass Le Drian Macron in die russische Hauptstadt begleiten musste. Baerbock bekräftigte die Weigerung Berlins, der Ukraine Waffen zu liefern, wies allerdings darauf hin, dass die Bundesrepublik sich sehr wohl an den Bemühungen beteiligt, das Land kriegsfähig zu machen – etwa mit der Bereitstellung eines Feldlazaretts im Wert von rund fünf Millionen Euro und der Behandlung von inzwischen fast 150 ukrainischen Soldaten in deutschen Krankenhäusern.[4] Baerbock äußerte sich darüber hinaus zu möglichen Sanktionen, die die westlichen Mächte gegen Russland verhängen wollen, sollte es die Ukraine überfallen; Moskau streitet dies freilich seit je ab. Weil Deutschland, wie Baerbock erwähnte, das westliche Land mit den umfassendsten Wirtschaftsbeziehungen zu Russland ist, wäre es von solchen Sanktionen am härtesten betroffen. „Wir sind auch selbst bereit, einen hohen wirtschaftlichen Preis zu zahlen“, erklärte die Außenministerin.[5]
Oligarchische Netzwerke
Berliner Regierungsberater warnen unterdessen, die innere Entwicklung der Ukraine sei geeignet, Deutschland und die anderen westlichen Staaten in ernste Argumentationsnöte zu stürzen. Eine aktuelle Analyse der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) räumt ein, in dem Land gebe es auch noch nach dem gewaltsamen prowestlichen Umsturz von Anfang 2014, der als angeblicher Durchbruch für die Demokratie gepriesen wurde, „neben den verfassungsmäßigen Institutionen“ zahlreiche „mächtige Akteure, die keiner demokratischen Verantwortlichkeit unterworfen sind, aber Verfügungsgewalt über Politikbereiche haben“.[6] Dazu zählten „nicht nur Oligarchen“, sondern auch nicht näher definierte „politisch-ökonomische Netzwerke“, die „oft unabhängig vom Zentralstaat agieren“, sowie informelle, aber dennoch einflussreiche „Personenkreise innerhalb der Justiz“. Der frühere Präsident Petro Poroschenko (2014 bis 2019) habe mit ihnen einen modus vivendi gefunden, den man als „semi-managed democracy“ bezeichnen könne. Unter dem gegenwärtigen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, einstmals ein Hoffnungsträger, dessen Aufstieg sich geradezu „kometenhaft“ vollzogen habe, nähmen die Missstände nun deutlich zu.
Ein autoritäres Regime
So sei, heißt es bei der SWP, die Kiewer Präsidialadministration – eine nicht demokratisch gewählte Institution – „zum faktischen Zentrum von Politikgestaltung und Entscheidung“ geworden, was „zu Lasten des Ministerkabinetts und des Parlaments“ gehe; von diesen fordere der Präsident schlicht „Gefolgschaft“.[7] „Eine Sonderrolle“ spiele außerdem der „nicht gewählte und dem Präsidenten untergeordnete“ Sicherheitsrat, der „in der Regel ohne weitere Diskussion“ absegne, „was vorher in der Präsidialadministration entschieden wurde“. „Vor allem ab Februar 2021“ habe Selenskyj Beobachter „irritiert“, indem er „andere Verfassungsorgane“ und besonders „den Vorrang des Rechts bei wichtigen Entscheidungen ignoriert“ habe. Das sei etwa „bei der Sanktionierung des prorussischen Oligarchen Wiktor Medwetschuk“ der Fall gewesen, bei der Selenskyj an der Justiz vorbei operiert habe, sowie beim Vorgehen gegen seinen Amtsvorgänger Poroschenko, dem ein Hochverratsprozess drohe. „Selenskyjs Regierungsstil“ sei „eine ideale Steilvorlage“, um der Ukraine und ihren westlichen Unterstützern „eine Art Doppelmoral vorzuwerfen“, urteilt die SWP: Während das Land „als demokratisch-liberaler Gegenentwurf zu Russland“ angepriesen werde, stütze der Westen faktisch ein „autoritäre[s] Regime“.
[3] Michaela Wiegel: Der große Vermittler. Frankfurter Allgemeine Zeitung 07.02.2022.
[4] Johannes Leithäuser: Alles nur Gesten? Frankfurter Allgemeine Zeitung 08.02.2022.
[5] Baerbock in Ukraine-Krise zur Zahlung von hohem Preis bereit. zeit.de 07.02.2022.
[6], [7] André Härtel: Die Ukraine unter Präsident Selenskyj. Entwicklung hin zum „populistischen Autoritarismus“? SWP-Aktuell A 09. Berlin, 04.02.2022.
„Wir sind bereit, für die Sicherheit der Ukraine einen hohen wirtschaftlichen Preis zu zahlen“
welt.de, vom 07.02.2022
Annalena Baerbock hat der Ukraine in Kiew Deutschlands Solidarität zugesichert. Die diplomatischen Kanäle nach Russland seien offen. Bei einer weiteren russischen Aggression werde man aber mit „Konsequenz und Härte“ reagieren – auch wenn dies für Deutschlands Wirtschaft Folgen hätte.
Zitat: Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat bei einem Besuch in Kiew betont, dass die Ukraine auf die Unterstützung Deutschlands zählen könne. „In dieser brandgefährlichen Situation ist unsere größere Stärke unsere Einigkeit“, sagte sie am Montagnachmittag auf einer Pressekonferenz mit ihrem Amtskollegen Dmytro Kuleba. „Wir stehen ohne Wenn und Aber zu territorialen Integrität der Ukraine.“
Es sei an Moskau, diese Situation zu entschärfen, so Baerbock weiter. Diplomatische Kanäle und Gesprächsbereitschaft zu Russland seien immer offen – doch falls es zu einer weiteren Aggression gegen die Ukraine käme, kündigte sie „Konsequenz und Härte“ an. Es seien eine Reihe von Sanktionen vorbereitet und mit allen Nato-Partnern abgestimmt worden. Und sie ergänzte in Bezug auf Deutschland: „Wir sind auch bereit, für die Sicherheit der Ukraine einen hohen wirtschaftlichen Preis zu zahlen.“
Unter Eindruck ihres Besuches der Holodomor-Gedenkstätte in Kiew sagte sie zu ihrem Amtskollegen: „Unsere Großmütter haben Schlimmstes erlebt“. Das dürfe sich nicht wiederholen. Der Holodomor war eine vom sowjetischen Diktator Josef Stalin verantwortete Hungersnot in der Ukraine in den 30er-Jahren.
Ukraines Außenminister Kuleba gab sich in seinem Statement kämpferisch: „Russland braucht uns nicht mit Krieg einschüchtern - wir führen seit 2014 Krieg! Wir sind zu allem bereit.“ Es werde keinem gelingen, einen Keil zwischen Deutschland und die Ukraine zu schlagen.
An der Souveränität und territorialen Integrität seines Landes gebe es nichts zu rütteln. Zudem werde es keinen direkten Dialog seiner Regierung mit den prorussischen Rebellen im Osten der Ukraine geben. Das vorangegangene Gespräch mit Baerbock nannte er gelungen und vertrauensvoll, ihr Erscheinen in der Ukraine ein „Zeichen der politischen Solidarität“.
Auf Nachfrage konnte er sich zudem einen Seitenhieb in Richtung des Altkanzlers nicht verkneifen: „Gerhard Schröder arbeitet de facto für die russische Regierung.“ Seine Äußerungen zu kommentieren sei wie ein Kommentar zu Putins Regierungssprecher.
„Kinderspielzeug liegt noch am Wegesrand“ – Baerbock mit Schutzweste an der Frontlinie im Donbass
welt.de, 8. Februar 2022, Stand12:29 Uhr
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock hat sich direkt im Konfliktgebiet Donbass ein Bild der Lage gemacht. In Schutzmontur ließ sie sich von einem Kommandeur der ukrainischen Regierungstruppen die militärische Situation erklären. Sie habe „sehr bedrückende Bilder“ gesehen.
undesaußenministerin Annalena Baerbock hat sich tief erschüttert von der Lage im Krisengebiet in der Ostukraine gezeigt. Baerbock sprach nach einem Besuch an der sogenannten Kontaktlinie in der Nähe von Mariupol am Dienstag von „sehr bedrückenden Bildern“ und „sehr bedrückenden Gefühlen“. „Man spürt, was vor Jahren passiert ist, dass Menschen von einem Tag auf den anderen alles verloren haben, was sie hatten“, sagte Baerbock. „Kinderspielzeug liegt noch am Wegesrand.“ Der Ort sei „ein Zeugnis dessen, dass wir mitten in Europa Krieg haben.“
Der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland könne nur diplomatisch gelöst werden, betonte die Ministerin. Sie sei hier, „um ein Zeichen zu setzen“. Wichtig sei, dass die Beobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) vor Ort ihre Arbeit machen könne. Zugleich müssten vor allem im Normandie-Format, in dem Deutschland und Frankreich zwischen Russland und der Ukraine vermitteln, Fortschritte erzielt werden.
Geschützt mit Helm und schusssicherer Weste ließ Baerbock sich am Dienstag von einem Kommandeur der ukrainischen Regierungstruppen die aktuelle militärische Lage erklären. Ein im belarussischen Minsk vereinbarter Friedensplan liegt auf Eis. Die Ukraine und Russland werfen sich gegenseitig vor, gegen das Abkommen zu verstoßen. Seit 2014 sind im Donbass nach UN-Schätzungen mehr als 14.000 Menschen bei Kämpfen getötet worden.
Baerbock: „Ich will dabei ein klares Signal senden“
Baerbock hatte am Montag bei ihrem Auftritt mit dem ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba über ihre Reise an die Frontlinie gesagt: „Ich will dabei ein klares Signal senden: Wir, gemeinsam als Europäerinnen und Europäer, schauen nicht weg. Wir vergessen nicht die Menschen, um deren Schicksal es in diesem Konflikt geht. Und wir stehen an der Seite der Ukraine.“
Im Anschluss war ein Treffen Baerbocks mit Vertretern der Sonderbeobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in der Ukraine geplant. Es ist die mit etwa 1300 Mitarbeitern größte OSZE-Mission, an der Beobachter aus 44 Teilnehmerstaaten teilnehmen, darunter mehr als 40 Deutsche.
In einem Vorort der Hafenstadt Mariupol Wynohradne wollte Baerbock mit Vertreterinnen der Nichtregierungsorganisation „Berehynja“ (Hüterin) sprechen. Die Organisation leistet seit 2015 juristische und psychologische Hilfe für Hunderte geflüchtete Frauen und Frauen, die nahe der Kontaktlinie leben. Zum Abschluss stand die Besichtigung einer mit deutscher Hilfe modernisierten Wasserpumpstation in Mariupol auf dem Programm. dpa/tba/säd
de.rt.com, 5. Februar, 20:40 Uhr,Eine Analyse von Bernd Müller
Deutschland ist auch in den nächsten Jahren auf russisches Gas angewiesen. Nicht nur, weil es keinen ernsthaften Ersatz gibt, sondern auch, weil an preiswertem Erdgas die Energiewende in der Bundesrepublik hängt.
Zitat: Die deutsche Bundesregierung steht vor einem Dilemma: Auf der einen Seite strebt sie danach, die Importe von Erdgas aus Russland zu verringern – auf der anderen Seite ist sie auf günstiges Erdgas angewiesen, um den Kohleausstieg realisieren zu können. In den letzten Monaten zeigte sich, dass hohe Gaspreise den Kohleausstieg – nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten Europäischen Union – bremsten. Doch die Pläne, in Zukunft verstärkt auf verflüssigtes Erdgas (LNG) zu setzen, dürften die Gaspreise dauerhaft auf einem hohen Niveau halten – und es unmöglich machen, die selbst gesteckten Klimaziele zu erreichen.
Der britische Thinktank Ember hatte Anfang Februar eine Analyse der europäischen Strommarktdaten vorgelegt. Das Ergebnis: Bei hohen Gaspreisen drängt der Ausbau der erneuerbaren Energien vor allem Gas- statt Kohlekraftwerke aus dem Markt.
Im vergangenen Jahr seien die Gaspreise um 585 Prozent gestiegen, heißt es bei Ember, und das habe "zu einem der größten Energiepreisschocks seit dem OPEC-Ölembargo von 1973" geführt. Das ließ die Kosten für Strom aus fossilen Gaskraftwerken förmlich explodieren; sie stiegen um das Siebenfache. "Ab Juli war die Stromerzeugung aus fossilem Gas teurer als Kohle". Trotz ebenfalls steigender Preise für das Ausstoßen von Kohlenstoffdioxid wurde die Kohleverstromung im Laufe des Jahres immer günstiger im Vergleich zu Strom aus Gaskraftwerken.
Doch ohne Gaskraftwerke lässt sich die Energieversorgung in Zukunft kaum sicherstellen. Einmal müssen die Kapazitäten der stillgelegten Atommeiler kompensiert werden, dann müssten bis 2030 auch die Kapazitäten der Stein- und Braunkohlekraftwerke ersetzt werden – und das bei steigendem Strombedarf. Für den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ist die Sache deshalb klar: Der Energieträger Gas muss künftig stärker zum Einsatz kommen. BDI-Präsident Siegfried Russwurm betonte kürzlich gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe:
"Den steigenden Strombedarf müssen wir decken, auch wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht."
Russwurm argumentierte: "Nur wenn wir bis dahin eine andere verlässliche belastbare Versorgung haben, kommen wir bis 2030 aus der Kohle raus." Und die Weichen müssten bald gestellt werden, denn der "Bau eines neuen Gaskraftwerks dauere fünf Jahre", und da sei der Genehmigungsprozess noch gar nicht eingerechnet.
Angesichts des sich zuspitzenden Konflikts mit Russland drängen unter anderem die USA die Bundesregierung dazu, die Energiebeziehungen zu Russland zu kappen und sich nach anderen Lieferanten umzuschauen. Das ist allerdings kaum möglich, denn die am Markt verfügbaren Mengen reichen bei Weitem nicht aus, um den europäischen Bedarf zu decken.
Eine große Hoffnung in dem Spiel ist Katar. Das Land ist der weltgrößte LNG-Produzent. Doch dem Energieminister des Landes Saad Sherida al-Kaabi ist bewusst, dass sein Land die Importe aus Russland nicht wird ersetzen können. Laut dem Handelsblatt räumte er ein, dass "die von der EU benötigte Gasmenge von niemandem einseitig ersetzt werden kann, ohne dass die Versorgung anderer Regionen in der Welt beeinträchtigt wird".
Die Mengen, die Katar nach Europa liefern könnte, sind überschaubar. Laut dem Branchendienst S&P Platts beläuft sich die frei verfügbare Menge auf rund 60.000 Kubikmeter täglich. Im Gegensatz zum tatsächlichen Bedarf ist diese Menge vernachlässigbar. Denn allein Deutschland importierte im Jahr 2020 knapp 102 Milliarden Kubikmeter Erdgas.
Bis 2027 soll die LNG-Produktion zwar um 64 Prozent gesteigert werden, aber auch das dürfte für Europa keinen ernsthaften Vorteil mit sich bringen. Denn bis 2030 wird der weltweite Energieverbrauch voraussichtlich um 60 Prozent ansteigen, und die Konkurrenz um das verflüssigte Erdgas wird zwischen den einzelnen Weltregionen weiter zunehmen. Dies prognostizierte das Energiewirtschaftliche Institut an der Universität zu Köln im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums.
Ein anderer Gasexporteur, der sich als Lieferant für die EU ins Spiel bringt, sind die USA. Momentan tragen sie rund 3,9 Prozent zum gesamten Gasimport der EU bei. Dabei ist hinlänglich bekannt, dass dieses Gas wesentlich umweltschädlicher ist als das russische. Denn in den USA wird das Erdgas häufig mit der emissionsintensiven Fracking-Methode gewonnen. Kühlung und Schiffstransport des Flüssiggases benötigen noch einmal viel Energie. In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) warnte deshalb ein Vertreter des Umweltbundesamtes: Wenn man auch die Emissionen von Förderung und Transport berücksichtige, dann sei das Flüssiggas "fast so klimaschädlich wie Steinkohle".
In der Bundesrepublik fehlt es momentan auch noch an der notwendigen Infrastruktur. Um das gelieferte LNG wieder gasförmig zu machen, braucht es entsprechende Terminals. In Stade und Brunsbüttel sind Terminals geplant, nahe Rostock scheiterte ein Projekt. Gut eine halbe Milliarde Euro soll das Terminal in Brunsbüttel kosten; aber so richtig rund läuft auch dieses Projekt nicht. Wie die FAS berichtete, war kürzlich einer von drei Investoren kürzlich abgesprungen.
Nicht zu vergessen ist auch das Bestreben, die Industrie zu dekarbonisieren. Dazu werden große Mengen an Wasserstoff gebraucht – und eine entsprechende Infrastruktur. Hier soll ebenfalls Erdgas als Brückentechnologie genutzt werden, da der Aufbau einer reinen Wasserstoff-Infrastruktur zurzeit nicht wirtschaftlich ist. Erdgas soll entweder vorerst direkt in den industriellen Prozessen genutzt werden, um Kohle zu ersetzen; bis ausreichende Mengen an sogenanntem grünem Wasserstoff verfügbar sind. Es wird aber auch darüber diskutiert, Wasserstoff aus Erdgas zu gewinnen.
Wie auch immer: Der Bedarf an Erdgas wird in den nächsten Jahren eher steigen als sinken. Und eine realistische Alternative zu den preiswerten Lieferungen aus Russland gibt es nicht.
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UKRAINE-KRISE USA wollen Nord Stream 2 im Kriegsfall stoppen – ob Berlin will oder nicht
handelsblatt.com, 06.02.2022 Update: 07.02.2022 - 10:31 Uhr, Martin Greive, Moritz Koch
Pünktlich zum Washington-Besuch von Kanzler Scholz stellt die US-Regierung klar: Wenn Russland die Ukraine angreift, wird Washington die Ostseepipeline mit Sanktionen verhindern.
Zitat: Berlin, Brüssel Er wolle den deutschen Kanzler für sich selbst sprechen lassen, schiebt Jake Sullivan höflicherweise noch voran. Dann aber wird der Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden unmissverständlich: „Wenn Russland in der Ukraine einmarschiert, wird Nord Stream 2 gestoppt, so oder so.“
Mit diesem Interview, wenige Stunden vor der Ankunft von Olaf Scholz in Washington ausgestrahlt, hat die US-Regierung eines klar gestellt: Sie hat in der schier endlosen Debatte um die Ostseepipeline Nord Stream 2 die Geduld mit den Deutschen verloren. Kommt es zu einem russischen Überfall auf die Ukraine, werden die Amerikaner alles daran setzen, die Inbetriebnahme der Gasleitung zwischen Russland und Deutschland mit Sanktionen zu verhindern - ob es Bundesregierung will oder nicht.
Das macht deutlich: Die erste persönliche Begegnung zwischen Scholz und Biden ist mehr als ein klassischer Antrittsbesuch. Es ist ein besonderes Treffen in Krisenzeiten, in denen insbesondere der neue Kanzler in die Kritik geraten ist. Scholz wird in der Ukrainekrise vorgeworfen, zu zurückhaltend zu agieren, manchen im US-Kongress gilt der deutsche Kanzler schon als „unzuverlässig“ - vor allem wegen Nord Stream 2.
Als Biden Trump im Weißen Haus ablöste, hätten sich die USA um die Reparatur des transatlantischen Verhältnisses bemühen müssen, sagt Rachel Rizzo, Europaexpertin vom Atlantic Council. „Jetzt scheint es genau andersherum zu sein: Es sind die Deutschen, die sich um Reparaturarbeiten kümmern müssen.“ Damit ist Scholz’ Mission in Washington ziemlich klar umrissen.
Für Scholz geht es in Washington deshalb um viel: Der Westen muss ein Signal der Einigkeit Richtung Moskau senden. Und wie Merkel muss Scholz das Vertrauen des US-Präsidenten gewinnen, um selbst stärker Initiative in der Russlandpolitik ergreifen zu können.
Diskussion um Nord Stream 2 wird zentrale Rolle spielen
Dass es die USA mit ihren Sanktionsandrohungen gegenüber Russland ernst meinen, ist allgemein bekannt, auch in Moskau. Weniger klar ist, wie ernst es einige EU-Staaten meinen. Das liegt zum einen an Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron, dem insbesondere in Osteuropa unterstellt wird, eine Parallel-Diplomatie mit Russland zu betreiben, womöglich sogar einen eigenen Sicherheitsdeal mit Putin anzustreben.
Es liegt aber auch an Scholz, der sich schwertat, Nord Stream 2 als Sanktionsmittel zu definieren, und der bis heute nur verdeckt zu erkennen gibt, dass die umstrittene Gaspipeline nicht in Betrieb geht, sollte die Ukrainekrise eskalieren. Die Diskussion um die Ostseepipeline Nord Stream 2 wird daher eine zentrale Rolle auf der Scholz-Reise spielen.
Der Kanzler hat sich die Misere selbst eingehandelt. Wiederholt sprach er davon, die Pipeline sei als „privatwirtschaftliches“ Vorhaben zu behandeln, eine Formulierung, die in Washington erhebliche Irritationen auslöste.
Im vergangenen Sommer hatten sich Deutschland und die USA auf eine mühsam ausgehandelte Erklärung zu Nord Stream 2 verständigt, in der sich Deutschland verpflichtete, „dass Russland keine Pipeline, einschließlich Nord Stream 2, zur Erreichung aggressiver politischer Ziele einsetzt“.
Auch wenn der Text in Teilen vage bleib, interpretieren die Amerikaner die Übereinkunft als implizite Zusage, dass die inzwischen fertig gebaute Erdgasleitung im Falle einer russischen Aggression gegen die Ukraine nicht in Betrieb geht.
Fortsetzung der Politik der Merkel-Ära
Diese Deutung soll auch die Bundesregierung akzeptiert haben: In Koalitionskreisen ist zu hören, es habe eine informelle Zusage gegeben, die die Erklärung ergänzt. Demnach habe Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel US-Präsident Biden zugesichert, dass Nord Stream 2 nicht ans Netz gehen werde, wenn Russland in der Ukraine einfällt. Merkel habe das, so heißt es weiter, auch im Namen von Scholz getan.
Als Scholz kaum im Amt die Pipeline zur unpolitischen Angelegenheit erklärte, fürchteten die Amerikaner, der neue Kanzler wolle den mühsam ausgehandelten Nord-Stream-2-Kompromiss infrage stellen. Die Verärgerung darüber erklärt, warum die Kritik an der deutschen Außenpolitik in den vergangenen Wochen so heftig ausfiel.
Das gilt auch für den Streit um Militärhilfen für Kiew. Die Weigerung Berlins, Waffen an die ukrainische Armee zu liefern, wird in den USA fast ebenso kritisch gesehen wie Nord Stream 2. Dabei ist diese Zurückhaltung kein Kurswechsel, sondern die Fortsetzung der Politik der Merkel-Ära, sie war den Amerikanern lange bekannt. Hätte Scholz nicht vorher mit seinen Einlassungen zu Nord Stream 2 Zweifel an seiner Verlässlichkeit geweckt, hätte es wohl kaum eine so hitzige Debatte darum gegeben.
Scholz, der für sich in Anspruch nimmt, eine klare Sprache zu sprechen, bringt sich bis heute nicht dazu, die Wörter Nord Stream 2 und Sanktionen in einem Satz zu verbinden. Wenn er nach der Pipeline gefragt wird, antwortet er inzwischen zwar, dass „alles zu diskutieren ist, wenn es zu einer militärischen Intervention gegen die Ukraine kommt“. Die Beschreibung des Projekts als „rein privatwirtschaftlich“ wiederholt er nicht mehr. Doch eine Festlegung auf Sanktionen ist auch die neue Sprachregelung nicht, diskutierten kann man vieles.
Reise wird Scholz’ Haltung nicht verändern
Warum Scholz im Ungefähren bleibt, ist schwer zu erklären. Politisch ergibt es wenig Sinn. Die Amerikaner haben sich längst festlegt: Marschiert die russische Armee in der Ukraine ein, ist eine Inbetriebnahme von Nord Stream 2 undenkbar. Jeder, der an dem Projekt weiter mitwirkt, muss mit Sanktionen der USA rechnen. Sollte es in Berlin noch einen Funken Zweifel an der Entschlossenheit der USA gegeben haben, hat sie Bidens Sicherheitsberater Sullivan nun mit seinem Interview weggewischt.
Scholz, so wird aus Regierungskreisen gestreut, wird seine Haltung auf seiner USA-Reise nicht ändern, auch keine Akzentverschiebung vornehmen – etwa mit einer klareren Absage an Nord Stream 2 im Falle einer russischen Invasion. Auch erwartet die deutsche Seite nicht, dass US-Präsident Biden bei dem Treffen Druck auf Scholz in diese Richtung ausüben wird.
Das Interview von Sullivan spricht eine andere Sprache. Scholz läuft Gefahr, den Eindruck zu erwecken, als verkämpfe er sich für eine verlorene Sache. Die Vorstellung, als bestünde für Deutschland politisch die Option, Nord Stream 2 gegen den erklärten Willen seiner engsten Partner einweihen, während die Ukraine von russischen Panzern überrollt wird, ist geradezu absurd. Zumal auch Scholz’ Koalitionspartner, die Grünen und die FDP, die die Pipeline schon lange kritisch sehen, eine solche Politik niemals mittragen würden.
UKRAINE-KONFLIKT Faktencheck: Deutschland liefert doch Waffen in Krisengebiete
dw.com, 7. Februar 2022
Die Bundesregierung lehnt Forderungen der Ukraine nach Waffenlieferungen ab. Begründung: Deutschland schicke aus Prinzip keine Kriegswaffen in Krisengebiete. Unser Faktencheck: Dieses Prinzip wurde mehrfach ignoriert.
Zitat: Rund 100.000 Soldaten hat Russland an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen, berichten westliche Geheimdienste. Aus Sicht der Ukraine und des Westens also eine konkrete militärische Bedrohung, deretwegen bereits zahlreiche Staaten das Land mit Waffen und Ausrüstung unterstützen. Deutschland lieferte bislang 5000 Helme.
Der ukrainischen Regierung reicht das nicht, sie bat die Bundesregierung am Freitag offiziell um Waffen. Die jedoch lehnt die Forderung nach Defensivwaffen bisher konsequent ab. Sowohl Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) als auch Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) verweisen dabei auf den politischen Grundsatz der Bundesregierung, keine Waffen in Krisengebiete zu exportieren. Der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP hält fest: "Nur im begründeten Einzelfall, der öffentlich nachvollziehbar dokumentiert werden muss, kann es Ausnahmen geben."
Ein "klarer Kurs" bei deutschen Waffenlieferungen?
Solche Ausnahmen gäbe es durchaus, widersprechen erboste User in den sozialen Netzwerken. "Fragt die Deutschen nach den Waffenlieferungen für Saudi-Arabien, Ägypten, Türkei, UAE", so ein DW-Nutzer aus der Ukraine auf Facebook. Ein weiterer Kommentar dazu: "Deutsche Waffen werden in Kriegen und bewaffneten Auseinandersetzungen auf der ganzen Welt eingesetzt - übrigens auch vom IS..." Stimmt das?
Behauptung: "Die Bundesregierung hat seit vielen Jahren einen klaren Kurs, dass wir nicht in Krisengebiete liefern und dass wir auch keine letalen Waffen in die Ukraine liefern", unterstrich Bundeskanzler Olaf Scholz am Sonntag in der ARD erneut die deutsche Position in der Frage, ob man die Ukraine mit Waffen unterstützen wird. Er bekräftigte damit frühere Aussagen.
DW-Faktencheck: Falsch.
"Wir haben in der Vergangenheit sehr wohl geliefert, aber immer situationsbezogen", erklärt Christian Mölling, Verteidigungs- und Sicherheitsexperte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, im DW-Gespräch. "Das heißt, es gibt in Deutschland das Prinzip der Einzelfallprüfung. Wir gucken uns jeden einzelnen Fall an."
Auch Pieter Wezeman vom Stockholmer Institut für Friedensforschung (SIPRI) bestätigt der DW, dass Deutschland in jüngerer Vergangenheit Waffen in Krisengebiete geschickt hat. "Ganz offensichtlich ist es nicht wahr, dass Deutschland keine Waffen an Länder oder Akteure im Konfliktzustand liefert. Es gibt jede Menge Beispiele, bei denen deutsche Waffen mit Einverständnis der deutschen Regierung, mit ihrer besonderen Unterstützung oder sogar von der Regierung selbst exportiert wurden."
Deutsche Waffen im Jemen-Krieg
Ein Beispiel ist Ägypten, das laut SIPRIs Exportkennzahl Trend Indicator Value (TIV) der fünftgrößte Abnehmer deutscher Waffenexporte seit 2010 ist. Allein im Zeitraum vom 1. Januar 2021 bis zum 14. Dezember 2021 wurden für Ägypten Ausfuhrgenehmigungen im Wert von rund 4,34 Milliarden Euro erteilt, so die Angaben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz. Den Großteil davon genehmigte die vorherige Bundesregierung noch in den letzten Tagen der Amtszeit von Bundeskanzlerin Angela Merkel - obgleich Ägypten militärisch an den Konflikten im Jemen und in Libyen beteiligt ist und wegen massiver Menschenrechtsverletzungen in der Kritik steht.
Trotz Ägyptens Beteiligung am Jemen-Krieg liefert Deutschland dem Land Kriegsschiffe wie dieses
Bedeutet das, dass Ägypten deutsche Waffen in den Kriegen im Jemen und in Libyen einsetzt? Pieter Wezeman schließt das nicht aus: "Die Lieferungen von Deutschland nach Ägypten kann man in zwei Gruppen aufteilen. Zu der ersten zählen die Luftabwehrsysteme. Diese haben kaum etwas mit dem Jemen-Krieg zu tun, soweit ich erkennen kann." Problematisch hingegen könnte die andere Gütergruppe sein: Kriegsschiffe. "Die Fregatten könnten sicher eine Rolle bei der Auseinandersetzung im Jemen spielen, wo ein wichtiger Teil die Seeblockade war", befürchtet der SIPRI-Experte. Außerdem, so Wezeman, trügen solch umfangreiche Waffenlieferungen zur Legitimierung und Stärkung der Militärregierung in Ägypten bei.
Eine Reihe weiterer Länder, die seit 2015 militärisch in den Jemen-Krieg eingreifen, hat ebenfalls Waffenlieferungen aus Deutschland bekommen. Darunter Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Kuwait und Katar. Laut Rüstungsexportbericht 2020 der Bundesregierung wurden für Katar sowohl Munition für Kanonen, Gewehre, Flinten als auch Teile für Haubitzenmunition genehmigt, die auf der Kriegswaffenliste stehen, einer Anlage des Kriegswaffenkontrollgesetzes. Außerdem erteilte die Bundesregierung Ende 2020 die Genehmigung zur Lieferung von 15 Flugabwehrpanzern des Typs Gepard an Katar.
Dass deutsche Waffen im Jemen-Krieg eine große Rolle spielen, belegten 2019 die Recherchen des investigativen Projekts #GermanArms. Die Bundesregierung musste quasi eingestehen, dass die Genehmigungen für einige Waffenlieferungen ein Fehler waren, sagt Pieter Wezeman. "Oder zumindest wurde zunehmend klar, dass die damit verbundenen Risiken zu hoch werden könnten, so dass diese Lieferungen gestoppt wurden.
Sturmgewehre vom Typ G36 hat Deutschland etwa an kurdische Peschmerga im Nordirak geliefert
Das war zum Beispiel der Fall bei Saudi-Arabien, mit dem es einen großen Deal für die Lieferung von Patrouillenbooten gab." Nach dem Mord an dem regierungskritischen Journalisten Jamal Khashoggi im saudischen Generalkonsulat in Istanbul wurden alle bereits erteilten Genehmigungen für Rüstungsexporte nach Riad auf Eis gelegt und später widerrufen. Seitdem gilt in Deutschland ein Waffenexportstopp für Saudi-Arabien, der bereits mehrfach verlängert wurde.
Schwierige Partnerschaft mit der Türkei
Ein weiterer höchst umstrittener Abnehmer deutscher Waffen ist der NATO-Partner Türkei. Das Land habe sich in den vergangenen Jahrzehnten "erheblich verändert", sagt Verteidigungsexperte Christian Mölling. "Man kann im Nachhinein feststellen, dass Waffenlieferungen falsch gewesen sind. Es ist das gute Recht einer Regierung, sich in Abschätzungen zu täuschen, eben weil sie eine Abschätzung bleiben."
Jahrelang lieferte Deutschland Kriegswaffen im Wert von Hunderten Millionen Euro an die Türkei - obgleich die Türkei wegen ihrer Menschenrechtsverletzungen kritisiert und von den Vereinten Nationen zu den Ländern gezählt wird, die mit Waffenlieferungen in den Libyen-Krieg eingreifen. Außerdem geht die türkische Regierung seit Jahrzehnten militärisch gegen die kurdische PKK vor, im Inland wie in Nachbarstaaten.
Besonders brisant wurde die Situation nach der Militäroffensive der Türkei gegen die kurdische YPG-Miliz in Nordsyrien 2018. "Treffen deutsche Panzerabwehrraketen nun auf deutsche Panzer?", fragten damals einige Medien. Hintergrund war die deutsche Unterstützung für den Kampf kurdischer Peschmerga gegen IS-Milizen im Nordirak seit Sommer 2014. Geliefert wurden nicht nur Ausrüstung wie Helme, Schutzwesten und Funkgeräte, sondern auch ein umfangreiches Waffenpaket inklusive Sturm- und Maschinengewehren, Pistolen, Panzerfäusten, Panzerabwehrwaffen und Handgranaten - nach Angaben der Bundesregierung im Wert von über 90 Millionen Euro.
Seit 2015 unterstützen Soldaten der Bundeswehr die Ausbildung der Sicherheitskräfte im Raum Erbil im Nordirak
Zwar verpflichtete sich damals die kurdische Regionalregierung, die Waffen ausschließlich gegen den sogenannten "Islamischen Staat" einzusetzen, aber kontrolliert wurde das nicht. Dass Waffen aus Deutschland auf dem Schwarzmarkt landeten, etwa im Nordirak, konnte die Bundesregierung in einer Antwort auf die Anfrage der Abgeordneten Agnieszka Brugger 2016 nicht ausschließen. Und selbst die sogenannten Post-Shipment-Kontrollen, also die Überwachung des Verbleibs der gelieferten Waffen, werden nicht jedes Risiko ausschließen, dass diese Waffen in Konflikten eingesetzt werden, so die von der DW befragten Experten.
Die Krisengebiete von morgen erkennen?
Sowohl Mölling als auch Wezeman kritisieren, dass die Bundesregierung einerseits eine restriktive Waffenexportpolitik verfolgt, andererseits aber keinen klaren sicherheitspolitischen Kompass für Liefergenehmigungen hat. "Man braucht eine systematische, ständig aktualisierte Analyse, wie sich die sicherheitspolitische Lage verändert. Welches sind die Staaten, in die ich liefern kann? Und wie sicher sind die? Und welches sind die Staaten, in die ich nicht liefern kann?", erklärt Christian Mölling.
Uneinigkeit herrscht oft bereits darüber, ob ein Land als Krisengebiet definiert wird. Beispiel Südkorea: Der Staat ist laut SIPRIs Trend-Indicator Value mit Abstand der größte Abnehmer deutscher Waffen. Aber, so Pieter Wezeman, Südkorea sei formal "im Kriegszustand mit Nordkorea". Und natürlich exportiere Deutschland dorthin "mit dem Gedanken, dass es Südkorea hilft, sich gegen eine mögliche Aggression aus Nordkorea zu schützen". Aber warum, fragt der Experte, liefere die Bundesregierung dann keine Waffen an die Ukraine?
Dass es bisher keinen gesetzlichen Rahmen für Rüstungsexporte gibt, will die neue Bundesregierung ändern. Jürgen Trittin, außenpolitischer Sprecher für Bündnis90/Die Grünen im Bundestag, sagte in der ARD, das von seiner Partei geführte Bundeswirtschaftsministerium habe einen entsprechenden Gesetzentwurf in die erste Anhörung gegeben. Damit sollen "die unverbindlichen Grundsätze zu Rüstungsexporten verbindlich gemacht werden", sagte Trittin.
Fazit: Den Grundsatz, keine Waffen in Krisengebiete zu liefern, hat Deutschland nicht durchgehend eingehalten. Die Bundesregierung hat mehrfach Waffenlieferungen in Länder genehmigt, die Konfliktparteien oder selbst Krisengebiete sind.
Ukraine-Krise: Wer liefert Kiew konkrete militärische Hilfe?
it.euronews.com, letzte Aktualisierung: 07/02/2022 - 16:10 Uhr, Von Alberto De Filippis •
(elektr. übersetzt, unkorrigiert)
Zitat: Die Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine bleibt umstritten. Deutschland war einer der lautstärksten Gegner dieser Hypothese, gefolgt von vielen anderen Mitgliedstaaten. Auch der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn stellte sich auf die Seite dieser gegenteiligen Ansicht: "Ich denke, es ist wirklich falsch, den Menschen zu sagen, dass die russische militärische Überlegenheit über die Ukraine durch den Einsatz von Waffen ausgeglichen werden kann."
Der Bürgermeister der Hauptstadt Kiew, Vitaly Klitschko, äußerte sich enttäuscht über das Festhalten Deutschlands am Waffenlieferverbot: "Das ist keine Hilfe. Es ist der Verrat von Freunden in einer dramatischen Situation. Unser Land wird an seinen Grenzen von russischen Truppen bedroht", schrieb Klitschko in einem Kommentar der Bild-Zeitung.
Aber es gibt auch eine Gruppe von Ländern, vor allem das Baltikum, die Tschechische Republik und Polen, die bereit sind, Waffen nach Kiew zu schicken.
Polen
Am 1. Februar bot der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki offiziell Zehntausende von Artilleriegranaten und Munition, MANPADs, leichten Mörsern, Aufklärungs-UAVs und anderen Arten von Verteidigungswaffen an, obwohl er keine Details über die Bedingungen preisgab.
Wir haben Yago Rodriguez, einen der führenden politischen Analysten Europas und Direktor des politischen Raums, gebeten, uns zu sagen, wie Warschau bereit ist, der Ukraine zu helfen:
"Es wird angenommen, dass Warschau bereits Kamikaze-Drohnen geschickt hat. Dies ist ein Waffensystem, bei dem die Munition selbst die Drohne ist, die über ein Gebiet fliegt, auf das Ziel wartet und erst dann angreift, wenn es gefunden wurde. Die Überflugphase ermöglicht die Auswahl der zu treffenden Ziele. Es wird auch angenommen, dass Warschau tragbare GROM-Flugabwehrraketen geschickt hat. Dabei handelt es sich um wärmegeführte Waffensysteme, mit denen Sie ein bis zu drei Kilometer entferntes Flugzeug treffen können. Diese Waffen werden hauptsächlich gegen Panzer eingesetzt, um einen möglichen Bodenangriff zu verlangsamen. Raketen hingegen würden eingesetzt, um Russlands strategische Luftüberlegenheit zu begrenzen.
Selbstmorddrohnen könnten auch russische Artilleriestellungen treffen.
Tschechische Republik
Am 26. Januar genehmigte die tschechische Regierung die Entscheidung, die Ukraine mit Dutzenden von Artilleriegranaten zu versorgen. Der Transfer von 4.006 gelagerten 152-Millimeter-Projektilen im Wert von insgesamt 1,7 Millionen US-Dollar ohne Kosten nach Kiew wurde auf Antrag des tschechischen Verteidigungsministeriums genehmigt.
Baltische Staaten
Lettland und Litauen sind bereit, Stinger-Flugabwehrraketen und zugehörige Ausrüstung zu liefern. Während Estland eine unbestimmte Menge an Javelin-Panzerabwehrraketen spenden möchte.
Die Bundesregierung erwägt eine von Estland beantragte Genehmigung zur Lieferung dieser Waffen in die Ukraine. Aber warum mischt sich Berlin in die Angelegenheiten anderer Länder ein?
Denn die Haubitzen der Deutschen Demokratischen Republik wurden zunächst zu Sonderkonditionen nach Finnland verkauft und dann von Oslo aus an Estland abgegeben. Eine dieser Bedingungen war, dass Berlin ein Veto gegen das endgültige Ziel dieser Waffen einlegen konnte.
Deutschland
Berlin hat kürzlich 5000 Helme in die Ukraine geschickt. Die Bedeutung des Sendens dieses "nicht-tödlichen" Materials wird vom Analysten Yago Rodriguez erklärt: "Nicht-tödliche Hilfe zu senden: Es ist ein politischer Akt. Die Wirtschaftshilfe deutschlands und der Europäischen Union war beträchtlich, das ist nicht zu leugnen. All dies zeigt jedoch eine politische Entscheidung. Keine Waffen schicken zu wollen, bedeutet nicht, sich für den Frieden zu entscheiden. Es bedeutet, nicht bereit zu sein, die Ukraine um jeden Preis zu unterstützen. Bundeskanzler Olaf Scholz hingegen erinnerte daran, dass Berlin Kiew in nur wenigen Jahren über zwei Milliarden Euro wirtschaftshilfe angeboten habe.
Spanien, Niederlande, Dänemark
Spanien hat ein paar Fregatten und einige Kämpfer mobilisiert, die ins Schwarze Meer geschickt wurden. Die Niederlande und Dänemark haben einige Truppenkontingente verlegt, aber sie haben dies in andere NATO-Länder getan, nicht auf ukrainisches Territorium oder zu seiner Verteidigung. Die Absicht ist, Russland von möglichen Angriffen abzubringen.
Laut Yago Rodriguez "ist es auch undenkbar, dass die EU der Ukraine militärisch helfen könnte, ihre Grenze zu verteidigen. In den EU-Verträgen kann der Block nur eingreifen, um einen anderen Mitgliedstaat zu verteidigen."
Diese Lesart wird durch die Analyse eines anderen von Euronews befragten Experten bestätigt. Oleksandr Sushko, Geschäftsführer der International Renaissance Foundation in Kiew, sagte zu Stefan Grobe: "Ich glaube nicht an eine totale Besetzung der Ukraine. Die Bevölkerung ist dagegen, und Moskau hat nicht genügend Ressourcen. Was Moskau stattdessen versuchen könnte, ist, ein bosnisches System, einen dysfunktionalen Staat und eine ineffiziente geteilte Verwaltung zu schaffen, wobei einige Teile von Russland kontrolliert werden. Ein nicht-funktionaler Zustand."
Ukraine, ehemaliges "Waffenparadies"
Aber braucht die Ukraine wirklich Waffen, um sich zu verteidigen? Das Land war bis vor wenigen Jahren einer der größten Waffenexporteure der Welt. Als sie Teil der UdSSR war, produzierte die Ukraine 30% der sowjetischen Bewaffnung. Zahlenmäßig hat es eine Million Arbeiter in über 750 Fabriken des Landes beschäftigt. Als die Sowjetunion zusammenbrach, verschwanden diese Waffen auf dem Schwarzmarkt und wurden in afrikanischen Ländern weiterverkauft. Ein Film mit Nicolas Cage, "The Warlord", erklärte genau, wie und wohin diese Waffen gingen.
Im Jahr 2012 war Kiew der 4. größte Waffenexporteur der Welt. Ihre besten Kunden? Pakistan, China und Russland, weshalb in jenen Jahren die Mehrheit der Ukrainer "Nein" zur NATO-Mitgliedschaft sagte.
Eines der Probleme war die Tatsache, dass Kiew Ersatzteile für Waffensysteme produzierte, aber keine Industrie hatte, die in der Lage war, eine vollständige Waffe herzustellen. Das andere große Problem? Korruption. Im Jahr 2010 fusionierten alle ukrainischen Unternehmen zu einem einzigen Konglomerat namens Ukroboronprom, das in nur zehn Jahren die inländische Produktion aufgrund von Korruption zerstörte. Im Jahr 2014 hatte die Ukraine offiziell etwa 168.000 Militärangehörige, von denen nur 6.000 eine militärische Ausbildung hatten. Der Rest war Teil einer gigantischen und nutzlosen Verwaltung.
Wie der Journalist Carlos Gonzalez in seinem Dokumentarfilm "Die Ukraine, der vergessene Krieg" erzählt, bildeten sich bei der Teilung der östlichen Gebiete des Landes Gruppen ukrainischer Freiwilliger. Einige von ihnen waren nach rechtsextrem ausgerichtet. Andere nicht. Es gab auch paramilitärische Gruppen, die von ukrainischen Muslimen gebildet wurden. Und wie wurde dieser Krieg finanziert? Mit Crowdfunding. Organisationen wie "Come back alive" wurden geboren, die es schafften, das Geld zu finden, um Waffen für Freiwillige zu kaufen, auch dank der wirtschaftlichen Hilfe der ukrainischen Diaspora in der Welt.
Wie und unter welchen Bedingungen haben die Vereinigten Staaten der Ukraine geholfen?
Eine der Bedingungen, die Washington für die Lieferung von Waffen in die Ukraine stellte, war, dass alle Freiwilligen Teil der regulären Armee sein sollten. Paramilitärische Gruppen wurden dann in die regulären Truppen eingegliedert. Die ukrainische Armee ist daher nach Berechnungen des ukrainischen Innenministeriums auf 250.000 Mann aufgestockt.
Die Vereinigten Staaten haben der Ukraine seit 2014 Militärhilfe in Höhe von 2,5 Milliarden US-Dollar zur Verfügung gestellt, und die Hilfe umfasst Fahrzeuge und Antiartillerieradare. Die NATO hat auch militärische Ausbilder entsandt, um ukrainische Truppen auszubilden. All dies geschieht jedoch mit einem abschreckenden Charakter. Die Ukraine zum Beispiel erhielt Javelin-Panzerabwehrraketen aus den Vereinigten Staaten. Es ist ein tragbares Raketenwerfersystem. Eine Waffe, die im Kampf sehr nützlich wäre. Der Liefervertrag verbietet jedoch den Einsatz dieser Raketenwerfer... im Kampf.
Das Angebot ist ein weiteres Beispiel für einen Abschreckungsversuch. Der Westen will keinen Krieg. Europa, das bei den Gaslieferungen auf Russland angewiesen ist, will keinen Krieg. Moskau will die Ukraine nicht in der NATO oder als Teil der Europäischen Union. Niemand scheint einen Konflikt zu wollen, doch noch nie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs schien der europäische Kontinent so nahe daran zu sein, zu Waffen zu greifen.
Christoph Heusgen fordert im Interview die Regierung dazu auf, international Verantwortung zu übernehmen. Wie aber muss man mit China und Russland umgehen?
Christoph Heusgen (66) war von 2005 bis 2017 außenpolitischer Berater der Bundeskanzlerin Angela Merkel und danach deutscher Botschafter bei den UN. Nun wird er Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz.
Seine wichtigsten Aussagen:
Heusgenfordert deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine: "Es ist zu einfach, sich hinter Prinzipien zu verstecken."
Er kritisiert die Abgabe deutscher Gasspeicher an russische Konzerne: "Es gibt Manager, die ihre Augen vor der nationalistischen Politik Putins verschließen."
Sein Rat, wie Deutschland und Europa sich gegen China besser durchsetzen: "Es gibt nur eine Methode: Absprache mit den Partnern. Als einzelner Staat ist man China immer unterlegen."
Was ist los mit der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik? Verbündete kritisieren die Bundesregierung wegen ihres Umgangs mit Russland, der Ukraine und China. Fehlt den Deutschen ein klarer Kompass in einer veränderten Weltlage?
Deutschland sitzt nicht zwischen den Stühlen. Wir müssen uns aber stärker bewusst machen, dass die Welt sich grundlegend verändert. Wir haben noch nicht konsequent genug die Lehren daraus gezogen.
Deutschland hat in den vergangenen Jahren unter Bundeskanzlerin Angela Merkel eine verantwortungsbewusste Außenpolitik geführt, auch für die Ukraine. Sie hat das Normandie-Format für Verhandlungen ins Leben gerufen und Europa in Sanktionsfragen zusammengehalten. Deutschland führt die Nato-Schutztruppe in Litauen und beteiligt sich an der Luftüberwachung.
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Was hat sich in der Welt verändert?
Die USA sind stärker mit ihrer Innenpolitik beschäftigt und weniger mit der Sicherheit ihrer Verbündeten. China tritt selbstbewusster auf, Präsident Xi verfolgt eine nationalistische Politik, agiert aggressiver im Südchinesischen Meer, drangsaliert die Demokratiebewegung in Hongkong und Minderheiten bis hin zum Vorwurf eines kulturellen Genozids. In Russland ordnet Wladimir Putin alles dem Machterhalt unter. Oppositionspolitiker lässt er umbringen oder vergiften. Auf alle diese Veränderungen müssen wir reagieren.
Ein neuer Regierungschef kann nicht nahtlos in die Rolle seiner Vorgängerin schlüpfen. Angela Merkel hat sich den weltweiten Respekt erst über die Jahre hinweg hart erarbeitet. Die neue Bundesregierung wird hineinwachsen in die internationale Verantwortung, die von der viertstärksten Wirtschaftsmacht der Erde erwartet wird.
Die Probleme mit China und Russland sind nicht neu. Verdrängen wir Deutschen die neuen Bedrohungen? Stimmt die Sicherheitsarchitektur? Brauchen wir einen nationalen Sicherheitsrat, der solche Risiken vorausschauend abwägt?
Wir haben uns sehr bequem eingerichtet, wollen uns zurückhalten und nicht mit klaren Kanten auffallen. 30 Jahre nach der Wiedervereinigung kann eine Macht wie Deutschland sich nicht mehr verstecken und die Geschichte als Ausrede benutzen. Es muss internationale Verantwortung übernehmen. Das ist noch nicht bei allen angekommen.
Wolfgang Ischinger und ich fordern als bisheriger und künftiger Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz einen Nationalen Sicherheitsrat. Wir sind auch dafür, das Auswärtige Amt und das Entwicklungshilfeministerium zusammenzulegen, wie andere das tun, um die Schlagkraft unserer Außenpolitik zu erhöhen.
Der australische Botschafter in Berlin sagte mir kürzlich: Wir Australier konnten uns diese Trennung der Ministerien angesichts der Herausforderungen in unserer Nachbarschaft nicht mehr leisten.
Wo hat die deutsche Außenpolitik dazu gelernt? Ist sie besser vorbereitet als 2014, falls Russland die Ukraine erneut angreift? Besser als 2016, falls die USA wieder einen Präsidenten wie Trump wählen? Und besser, falls China Taiwan gewaltsam eingliedern möchte?
Wir haben in allen Bereichen etwas getan, aber nicht genug. Wir haben die Verteidigungsausgaben erhöht, geben den UN-Organisationen mehr Geld, übernehmen mehr Verantwortung auf dem Balkan und in Afrika. Aber die Dimension der internationalen Veränderungen haben wir unterschätzt, von den USA über Russland bis China. Wir unterschätzen die Auswirkungen bis heute. Da müssen wir noch eine Schippe drauf legen.
Was muss Europa tun, um selbst für seine Sicherheit zu sorgen?
Wir müssen den Worten dringend Taten folgen lassen und eine europäische militärische Eingreiftruppe auf die Beine stellen, die binnen kürzester Zeit einsatzfähig ist. Die, zum Beispiel, beim Afghanistan-Abzug den Flughafen von Kabul sichern kann, um eigene Bürger und Ortskräfte herauszuholen. Deutschland muss sich politisch mehr einmischen. Länder auf allen Kontinenten erwarten ein stärkeres deutsches Auftreten, das habe ich als Botschafter bei der Uno immer wieder erlebt.
Wo ist Deutschlands Platz in Asien im Machtkampf zwischen China und den USA: fest an der Seite der Demokratien? Oder in Äquidistanz zu ihnen?
Äquidistanz kann es nicht geben. Deutschland muss in Asien und generell auf der Seite der Staaten stehen, die das internationale Recht durchsetzen. Wir haben letztes Jahr die Fregatte "Bayern" durch das Südchinesische Meer geschickt, um zu zeigen, dass uns die Freiheit der Seewege wichtig ist. Als UN-Botschafter habe ich mit dem vietnamesischen Kollegen eine Freundesgruppe des internationalen Seerechts gegründet.
Unsere Partner in Asien erwarten Solidarität. China müssen wir klar sagen: Wenn internationales Recht gebrochen wird, stehen wir auf der Seite derer, die es verteidigen.
Deutschland ist die viertgrößte Wirtschaftsmacht der Erde, die EU ist ökonomisch ähnlich stark wie die USA oder China. Europa ist aber nicht in der Lage, seine Interessen ebenso erfolgreich zu vertreten. Was muss sich ändern?
Unseren Wohlstand verdanken wir dem Zusammenschluss in der EU, dem Binnenmarkt, dem Euro, der Freizügigkeit. In der globalen Handelspolitik sind wir ein Machtfaktor, in der Sicherheitspolitik nicht, denn die liegt in der Macht der souveränen EU-Staaten. Der amerikanische Schutzschirm, der uns erlaubt, unsere nationalen Eigenheiten auszuleben, hält noch, ist aber nicht mehr wetterfest.
Wie verdienen sich Deutschland und Europa den Respekt Chinas?
Es gibt nur eine Methode: Absprache mit den Partnern. Als einzelner Staat ist man China immer unterlegen, weil Peking sofort mit Sanktionen zurückschlägt. Wenn wir zusammenstehen, beeindruckt das China. Dann haben wir eine Chance, unsere Werte und das Recht durchzusetzen.
Die Bundesregierung wird kritisiert wegen ihrer Weigerung, der Ukraine Waffen zu geben. Sie beruft sich auf die deutsche Geschichte. Sie raten zur Lieferung von Defensivwaffen. Warum?
Deutschland liefert zwar grundsätzlich nicht in Konfliktregionen. Es ist aber zu einfach, sich hinter Prinzipien zu verstecken. Man muss die Einzelfälle sehen. In der Ukraine sind im Zweiten Weltkrieg so viele Menschen durch deutsche Schuld ums Leben gekommen, dass sich daraus die Pflicht zur Hilfe durch die Lieferung von Defensivwaffen ableiten lässt.
Deutschland liefert längst Waffen in Konfliktgebiete: im Syrienkrieg an kurdische Milizen, um einen Völkermord an den Jesiden verhindern. Kann man der Ukraine Verteidigungswaffen verwehren?
Die Entscheidung, der Ukraine keine Waffen zu liefern, wurde nach dem Minsker Abkommen getroffen, um den Konflikt zu beruhigen. Vorübergehend ist das gelungen. Jetzt nicht mehr. Russland hat den Weg der Verhandlungen verlassen und sich für Aggression und Drohungen entschieden. Deutschland muss überlegen, wie es die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine stärkt.
Andere Staaten haben sich schneller auf die neue Lage eingestellt. Ist deutsche Politik langsam im Umdenken?
Ja. Es ist gut, wenn die Bundesregierung nicht zu Schnellschüssen neigt. Aber sie darf sich nicht darauf berufen: Das haben wir immer so gemacht.
Ein Grund für Vorsicht ist die hohe Abhängigkeit von russischem Gas. Stößt der Wunsch nach einer wertegeleiteten Außenpolitik hier an praktische Grenzen?
In der Vergangenheit hat der Wirtschaftsaustausch zur Entspannung beigetragen. Als das Projekt Nord Stream begann, waren die Beziehungen zwischen Russland und Europa besser. Heute ist das anders. Russland setzt Energie als Hebel ein. Deshalb müssen wir Alternativen finden, damit wir nicht einseitig abhängig werden.
Deutschland braucht Gas für die Energiewende. Trägt die Fixierung darauf zu falschen Prioritäten bei? Krieg oder Frieden ist doch moralisch wichtiger als die Frage, ob Deutschland etwas früher oder später aus Atom und Kohle aussteigt.
Moralisch ist beides wichtig, auch dass wir aus den fossilen Brennstoffen aussteigen. Ich glaube nicht, dass eine neue Debatte über den Atomausstieg zu anderen Ergebnissen führt. Wir müssen vielmehr alternative Quellen für Gas nutzen. Die Terminals für Flüssiggas müssen fertiggestellt und unsere Gasspeicher gefüllt sein, zu bezahlbaren Preisen.Wir dürfen nicht zulassen, dass Putin uns mit der Gasversorgung erpresst.
Erst vor kurzem haben deutsche Firmen die Kontrolle wichtiger Gasspeicher an Russland abgegeben. Halten Sie es für Zufall, dass die nicht so gut gefüllt sind?
Es gibt Manager, die ihre Augen vor der nationalistischen Politik Putins verschließen.
welt.de, 7. Februar 2022, 22:01 Uhr, Stand 00:05 Uhr, MEINUNG, Daniel Friedrich Sturm -
Olaf Scholz besucht US-Präsident Biden in einer angespannten Lage. In Washington muss er sich endlich auf die Position festlegen: Marschiert Russland in die Ukraine ein, dann ist die Gaspipeline Nord Stream 2 tot. Wenn Scholz das nicht zusagt, kann er gleich zu Hause bleiben.
Zitat: Wenn Joe Biden an diesem Montag Olaf Scholz empfängt, ist das mehr als ein Routine-Antrittsbesuch des neuen Kanzlers. Biden und Scholz treffen sich in einer extrem angespannten Lage: Russland marschiert an den Grenzen zur Ukraine auf und der Westen reagiert uneins. Wladimir Putin gefällt das. Xi Jinping gefällt das.
Deutschland kämpft seit Wochen um olympisches Gold in den Disziplinen Verschweigen, Vernebeln und Verhindern. Der Kanzler, seit jeher ein Meister in schmallippiger Unverbindlichkeit, ist auf diesen Feldern besonders leistungsstark. Er nimmt Rücksicht auf die „Ohne mich“-Folklore der Deutschen und seine Partei, die die sozial-liberale Entspannungspolitik nicht versteht.
Biden aber erwartet von Scholz Klartext, nicht rhetorische Kunstpausen. Die Amerikaner wollen wissen: Beharrt Berlin auf seiner sturen Haltung, allenfalls 5000 Helme und warme Worte in die Ukraine zu senden? Redet sich die größte Nation Europas weiter aus der Verantwortung? Und das ausgerechnet mit dem verlogenen Argument des deutschen Angriffes auf die Sowjetunion?
Noch im Dezember 2021 bezeichnete Scholz die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 als „privatwirtschaftliches Vorhaben“. Davon ist nun keine Rede mehr. Doch Berlin und sein Kanzler winden sich weiter. Bloß nicht festlegen – das mag sein Erfolgsrezept im Wahlkampf gewesen sein. Im Amt ist es wenig souverän. Regierungskunst sieht anders aus. In Washington muss Scholz endlich die – eigentlich banale – politische Erkenntnis aussprechen: Marschiert Russland in die Ukraine ein, dann ist Nord Stream 2 tot.
Wenn Scholz diesen Satz in den USA mit Rücksicht auf die Putin-Freunde daheim nicht über die Lippen bringt, kann er eigentlich gleich zu Hause bleiben. Abgesehen davon, dass die USA und fast ganz Europa die Pipeline ablehnen: Wie will Scholz die Woche diverser Gipfel zur Ukraine-Krise bestehen, wenn er diese Konsequenz nicht klipp und klar ausspricht? Auch die europäischen Partner haben bei Scholz Führung bestellt.
Klartext erwarten die USA von Deutschland übrigens auch zu China. Großspurig begann die neue Bundesregierung mit dem Versprechen einer neuen China-Politik. Die Verrenkungen (von Scholz) zur diplomatischen Präsenz bei den Olympischen Spielen zeigen: Da ist noch Luft nach oben.
Schon nach einem Jahr im Amt ist Joe Biden innenpolitisch extrem angeschlagen. Deutschland sollte die Geduld Washingtons nicht strapazieren. Die gegenwärtige US-Regierung könnte für eine sehr, sehr lange Zeit die letzte sein, die Deutschland wohlgesonnen und mit offenen Armen gegenübertritt.
The New York Times, 7. Februar 2022, Natasha Frost Die Pattsituation mit Russland über die Ukraine befindet sich an einem kritischen Punkt. Die USA haben die Aufmerksamkeit der NATO auf sich gezogen und die Streitkräfte nach Osten verlegt, während Moskau noch mehr Soldaten an der ukrainischen Grenze vorbereitet hat. Aber unter diesen Spannungen werden diplomatische Wege fieberhaft ausgelotet, und die Umrisse möglicher Lösungen, die immer noch amorph sind, könnten Form annehmen.
Zitat: Emmanuel Macron, der Präsident von Frankreich, trifft sich heute in Moskau mit Wladimir Putin, seinem russischen Amtskollegen. Gleichzeitig wird Präsident Biden in Washington mit dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz zusammentreffen. Macron hat sich im Zentrum der Diplomatie in Europa positioniert und ihm die Möglichkeit gegeben, in eine größere Führungsrolle zu treten.
Für Macron sind die Risiken so groß wie die potenzielle Auszahlung. Lösungen für die Krise scheinen vorerst teuflisch schwer fassbar, auch wenn Putin in der vergangenen Woche weniger direkt bedrohlich gegenüber der Ukraine erschien. Mit seiner enormen Truppenkonzentration an der ukrainischen Grenze droht Russland immer noch mit einem Krieg, und seine Beschwerden gegen die NATO schwelen weiter.
In der Ukraine: Moskau ist noch nicht bereit, die Ukraine zu durchbrechen, aber Teile der russischen Armee scheinen sich in der Endphase der Vorbereitung auf eine Militäraktion zu befinden, so eine ukrainische militärische Einschätzung. US-Beamte sagten, dass eine groß angelegte russische Invasion bis zu 50.000 Zivilisten töten und eine Flüchtlingskrise in ganz Europa auslösen könnte.
unser Kommetar:Von zahlreichen Waffenlieferungen und Aufrüstungsbemühungen von USA und Natostaaten in die Ukraine kein Wort.
Weiteres:
Kiew zu "russischer Invasion"/ Artikel 5 der NATO und Ukraine
aus e-mail von Doris Pumphtrey, 7. Februar 2022, 8:25 Uhr
(…) Mit Blick auf die "Prognosen" einiger westlicher Geheimdienste zu einem wahrscheinlichen Invasionstermin betonte der Minister: "Erst war von Januar die Rede, jetzt von Februar. Und schon spricht jemand vom Frühling". (…)
*Ukrainischer Verteidigungsminister: Keine unmittelbare Bedrohung durch Russland
*Seit einigen Tagen kommen auch aus Kiew Signale der Deeskalation. Der ukrainischer Verteidigungsminister Resnikow betonte nun zum wiederholten Mal, dass Kiew keine unmittelbare militärische Bedrohung aus Russland sieht. Auch die Ukraine bereite keinen Angriff auf den Donbass vor.
Der ukrainische Verteidigungsminister Alexei Resnikow hat in einem am Sonntag veröffentlichten Interview mit der italienischen Zeitung /La Repubblica/ erklärt, er sehe keine unmittelbare militärische Bedrohung durch Russland. Dies meldete <https://tass.ru/mezhdunarodnaya-panorama/13630589> nach übereinstimmenden Berichten die russische Nachrichtenagentur /TASS/.
Der ukrainische Verteidigungsminister wird folgendermaßen zitiert: /"Früher oder später könnte diese [angebliche Invasion] stattfinden, aber es besteht kein unmittelbares Risiko."/
Mit Blick auf die "Prognosen" einiger westlicher Geheimdienste zu einem wahrscheinlichen Invasionstermin betonte der Minister: "Erst war von Januar die Rede, jetzt von Februar. Und schon spricht jemand vom Frühling". Und er fügte hinzu: /"Wir werden nicht kämpfen. Aber wenn wir
angegriffen werden, werden wir das erwartet und uns vorbereitet haben."/
Resnikow versicherte auch, dass Kiew keinen Angriff auf die Krim, Lugansk und Donezk vorbereite. Er erklärte: /"Wir werden nicht angreifen: Auf der Krim, in Lugansk und Donezk leben Ukrainer, die in Gefahr wären."/
*Treffen der Präsidenten?*
Auf die Frage nach einem möglichen Treffen zwischen dem russischen und dem ukrainischen Präsidenten, Wladimir Putin und Wladimir Selenskij, bejahte der Minister diese Frage: /"Ich denke, ja [das Treffen ist möglich]. Aber wir brauchen eine Vermittlung. Vor allem jedoch Garantien
für die Einhaltung der Vereinbarungen."/
Resnikow ist der Meinung, das Normandie-Format sei eine gute Plattform, die allerdings modifiziert werden müsse. Er glaubt auch, dass Genf, Berlin oder Warschau der Austragungsort dafür sein könnten. Istanbul könne aber ebenso als Plattform dienen, erklärte der Minister mit Blick
auf das Angebot des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, ein Treffen zwischen Putin und Selenskij zu vermitteln.
Sowohl seitens der westlichen Länder als auch von Kiew waren in letzter Zeit vielfach Behauptungen über einen möglichen russischen Einmarsch in ukrainisches Gebiet zu hören. Der Pressesprecher des russischen Präsidenten, Dmitri Peskow, bezeichnete diese Informationen als eine
leere und unbegründete Eskalation der Spannungen. Peskow betonte, dass Russland keine Bedrohung für irgendjemanden darstelle. Gleichzeitig schloss er die Möglichkeit von Provokationen zur Rechtfertigung solcher Erklärungen nicht aus. Er warnte, dass Versuche, die Krise im Südosten der Ukraine mit Gewalt zu lösen, schwerste Folgen haben würden.
Bereits am 3. Februar hatte Resnikow in Kiew bei einem Briefing eine ganz ähnliche Erklärung abgegeben <https://ria.ru/20220203/kiev-1770823611.html>, wie die russische Agentur /RIA N vosti/ meldete: /"Die Ukraine plant weder im Donbass noch auf der Krim eine Offensive. Wir sprechen nur über eine politische und diplomatische Plattform zur Lösung dieses bewaffneten internationalen Konflikts mit Russland. Ich möchte auch alle in Moskau beruhigen: Niemand hat vor, heute irgendjemanden zu erobern, denn es geht um Menschenleben, vor allem um das Leben der Ukrainer."/
*Beschwichtigende Töne auch aus dem Kiewer Präsidialamt*
ukrainischen Grenze". Aber die Situation sei "unter Kontrolle".
Darüber hinaus sollte unter anderem ein "ausgewogener Ton in den Medien" beachtet werden, meinte der Berater. Sanktionen und der diplomatische Druck auf Moskau müssten indes fortgesetzt werden. /"Neue Berichte in einer Reihe von Medien, wonach sich mindestens 100.000 russische Soldaten in der Nähe der ukrainischen Grenzen befinden und der Truppenaufmarsch weitergeht, beweisen, dass frühere alarmistische Berichte über eine neue Eskalation gegen die Ukraine Ende Dezember oder in der ersten Januarhälfte nicht zutrafen. Dies beweist, dass unsere Forderungen nach Ausgewogenheit und Vermeidung eines alarmistischen Tons in den Medien richtig sind."/ Ebendiese Situation bestehe "bereits seit mehreren Jahren" und gebe "keine sicheren Hinweise" darauf, ob Russland "entscheidende Schritte für eine umfassende Invasion" unternehme.
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*In der Ukraine-Krise ist der "heilige" Artikel 5 der NATO ein Pakt zum Selbstmord
*/Eine Analyse von Scott Ritter/
In einer kürzlich abgehaltenen Pressekonferenz anlässlich des Besuchs des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán in Moskau sprach der russische Präsident Wladimir Putin über die NATO-Osterweiterung und die möglichen Folgen eines Beitritts der Ukraine zum transatlantischen Bündnis.
In Anwesenheit des Ministerpräsidenten von Ungarn – einem Mitglied der NATO – äußerte sich der russische Präsident Wladimir Putin während einer Pressekonferenz zu den Folgen einer möglichen Aufnahme der Ukraine in die NATO.
"Das Hauptziel der NATO ist es, die Entwicklung Russlands einzudämmen", sagte Putin. "Die Ukraine ist einfach ein weiteres Werkzeug, um dieses Ziel zu erreichen. Man könnte uns in eine Art bewaffneten Konflikt hineinziehen und die NATO-Verbündeten in Europa zwingen, sehr harte
Sanktionen gegen Russland zu verhängen – Sanktionen, über die bereits heute in den Vereinigten Staaten gesprochen wird", bemerkte er. "Oder man könnte die Ukraine in die NATO einbeziehen, dort dann Angriffswaffensysteme aufbauen und einige Protagonisten dazu ermutigen,
die Frage des Donbass oder der Krim mit Gewalt zu lösen und uns damit in einen bewaffneten Konflikt hineinziehen."
Putin fuhr fort: "Stellen wir uns vor, die Ukraine wäre ein NATO-Mitglied und vollgestopft mit Waffen und hochmodernen Raketensystemen, genau wie sie bereits in Polen und Rumänien stehen. Wer wird sie davon abhalten, Operationen gegen die Krim zu entfesseln, ganz zu schweigen vom Donbass? Stellen wir uns weiter vor, die Ukraine wäre NATO-Mitglied und würde einen solchen Kampfeinsatz wagen. Müssen wir dann gegen das gesamte NATO-Bündnis kämpfen? Hat das jemand in die Überlegungen mit einbezogen? Offensichtlich nicht." /Hier weiterlesen:/https://de.rt.com/international/131103-in-ukraine-krise-ist-heilige-artikel-5-der-nato-selbstmord/
07.02.2022
Im Kontext der gegenwärtigen Spannungen hier zur Erinnerung:
Brief von Willy Wimmer, dem damaligen Vizepräsidenten der Parlamentarischen Versammlung der OSZE an Bundeskanzler Gerhard Schröder vom 2. Mai 2000
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler
am vergangenen Wochenende hatte ich in der slowakischen Hauptstadt Bratislava Gelegenheit, an einer gemeinsam vom US-Außenministerium und American Enterprise Institut (außenpolitisches Institut der republikanischen Partei) veranstalteten Konferenz mit den Schwerpunktthemen Balkan und NATO- Erweiterung teilzunehmen.
Die Veranstaltung war sehr hochrangig besetzt, was sich schon aus der Anwesenheit zahlreicher Ministerpräsidenten sowie Außen- und Verteidigungsminister aus der Region ergab. Von den zahlreichen wichtigen Punkten, die im Rahmen der vorgenannten Themenstellung behandelt werden konnten, verdienen es einige, besonders wiedergegeben zu werden:
Von Seiten der Veranstalter wurde verlangt, im Kreise der Alliierten eine möglichst baldige völkerrechtliche Anerkennung eines unabhängigen Staates Kosovo vorzunehmen.
Vom Veranstalter wurde erklärt, daß die Bundesrepublik Jugoslawien außerhalb jeder Rechtsordnung, vor allem der Schlußakte von Helsinki, stehe.
Die europäische Rechtsordnung sei für die Umsetzung von NATO-Überlegungen hinderlich. Dafür sei die amerikanische Rechtsordnung auch bei der Anwendung in Europa geeigneter.
Der Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien sei geführt worden, um eine Fehlentscheidung von General Eisenhower aus dem 2. Weltkrieg zu revidieren. Eine Stationierung von US Soldaten habe aus strategischen Gründen dort nachgeholt werden müssen.
Die europäischen Verbündeten hätten beim Krieg gegen Jugoslawien deshalb mitgemacht, um de facto das Dilemma überwinden zu können, das sich aus dem im April 1999 verabschiedeten "Neuen Strategischen Konzept" der Allianz und der Neigung der Europäer zu einem vorherigen Mandat der UN oder OSZE ergeben habe.
Unbeschadet der anschließenden legalistischen Interpretation der Europäer, nach der es sich bei dem erweiterten Aufgabenfeld der NATO über das Vertragsgebiet hinaus bei dem Krieg gegen Jugoslawien um einen Ausnahmefall gehandelt habe, sei es selbstverständlich ein Präzedenzfall, auf den sich jeder jederzeit berufen könne und auch werde.
Es gelte, bei der jetzt anstehenden NATO-Erweiterung die räumliche Situation zwischen der Ostsee und Anatolien so wiederherzustellen, wie es in der Hochzeit der römischen Ausdehnung gewesen sei.
Dazu müsse Polen nach Norden und Süden mit demokratischen Staaten als Nachbarn umgeben werden, Rumänien und Bulgarien die Landesverbindung zur Türkei sicherstellen, Serbien (wohl zwecks Sicherstellung einer US-Militärpräsenz) auf Dauer aus der europäischen Entwicklung ausgeklammert werden.
Nördlich von Polen gelte es, die vollständige Kontrolle über den Zugang aus St. Petersburg zur Ostsee zu erhalten.
In jedem Prozeß sei dem Selbstbestimmungsrecht der Vorrang vor allen anderen Bestimmungen oder Regeln des Völkerrechts zu geben.
Die Feststellung stieß nicht auf Widerspruch, nach der die NATO bei dem Angriff gegen die Bundesrepublik Jugoslawien gegen jede internationale Regel und vor allem einschlägige Bestimmungen des Völkerrechts verstoßen habe.
Nach dieser sehr freimütig verlaufenen Veranstaltung kommt man in Anbetracht der Teilnehmer und der Veranstalter nicht umhin, eine Bewertung der Aussagen auf dieser Konferenz vorzunehmen.
Die amerikanische Seite scheint im globalen Kontext und zur Durchsetzung ihrer Ziele bewußt und gewollt die als Ergebnis von 2 Kriegen im letzten Jahrhundert entwickelte internationale Rechtsordnung aushebeln zu wollen. Macht soll Recht vorgehen. Wo internationales Recht im Wege steht, wird es beseitigt.
Als eine ähnliche Entwicklung den Völkerbund traf, war der zweite Weltkrieg nicht mehr fern.
Ein Denken, das die eigenen Interessen so absolut sieht, kann nur totalitär genannt werden.
Mit freundlichen Grüßen
Willy Wimmer
Mitglied des Bundestages
Vorsitzender des CDU-Bezirksverbandes
Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE
Info: aus mail von Doris Pumhrey, 7. Februar 2022, 08:25 Uhr
07.02.2022
Die Greater Eurasian Partnership Russland und China verbünden sich noch enger als bisher gegen westliche Aggression. Medien warnen vor einem „Megaostblock“, der „auf den Westen herabblicken“ könne.
german-foreign-policy.com, 7. Februar 2022
BERLIN/MOSKAU/BEIJING (Eigener Bericht) – Mit Spaltungsplänen und einer harten Medienkampagne reagieren Deutschland und weitere westliche Mächte auf den Ausbau der Zusammenarbeit zwischen Russland und China. In einer gemeinsamen Erklärung hatten Moskau und Beijing am vergangenen Freitag bekanntgegeben, künftig noch deutlich enger als bisher zu kooperieren; von neuen „Beziehungen“ ist die Rede, die „den politischen und militärischen Bündnissen aus der Ära des Kalten Kriegs überlegen“ seien. Die russisch-chinesische Kooperation zielt unter anderem darauf ab, westliche Aggression abzuwehren; insbesondere kündigen beide Seiten Widerstand gegen jegliche NATO-Erweiterung sowie gegen die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen unweit Chinas an. Darüber hinaus wollen sie ihre ökonomische Zusammenarbeit intensivieren und etwa die chinesische Neue Seidenstraße mit der russisch geführten Eurasischen Wirtschaftsunion koordinieren. In deutschen Medienkommentaren ist von einem „neuen Megaostblock“ die Rede, der künftig „auf den Westen herabblicken“ könne. Zugleich schwillt die Medienkampagne gegen die olympischen Winterspiele in Beijing an.
Zitat: Kerninteressen verteidigen
Russland und China bekräftigen in ihrer gemeinsamen Erklärung, die sie am vergangenen Freitag publiziert haben, eine „starke gegenseitige Unterstützung bei der Verteidigung ihrer Kerninteressen, ihrer staatlichen Souveränität und ihrer territorialen Integrität“.[1] Dabei geht es konkret um die Abwehr von Bestrebungen „gewisser Staaten, militärischer und politischer Bündnisse und Koalitionen“, sich auf Kosten anderer „einseitige militärische Vorteile“ zu verschaffen und damit „die internationale Sicherheitsordnung und die globale strategische Stabilität zu untergraben“. So erklären beide Seiten, sie widersetzten sich jeder neuen NATO-Erweiterung; damit bezieht Beijing im aktuellen Konflikt um die Ukraine offen auf russischer Seite Position. Darüber hinaus heißt es, man wende sich gegen die „Bildung geschlossener Blockstrukturen ... in der Asien-Pazifik-Region“; als Beispiel genannt wird der AUKUS-Pakt (Australia, United Kingdom, United States) [2] von September 2021, über den man „ernsthaft besorgt“ sei. Die chinesische Seite erklärt zudem, die russischen Vorschläge zur Schaffung „langfristiger bindender Sicherheitsgarantien in Europa“ zu unterstützen; Moskau wiederum sagt zu, es stehe zum „Ein-China-Prinzip“ und lehne jegliche Form einer Unabhängigkeit Taiwans ab.
Die Rolle des Völkerrechts
Moskau und Beijing stützen ihre Position dabei explizit auf „das internationale System mit einer zentralen koordinierenden Rolle der Vereinten Nationen in der internationalen Politik“; sie verteidigen, heißt es in der Erklärung, „die Weltordnung, die auf dem internationalen Recht gründet, einschließlich der Ziele und Prinzipien der Charta der Vereinten Nationen“. Dies unterscheidet sich insofern von der Politik der Mächte Westeuropas und Nordamerikas, als diese in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder das Völkerrecht gebrochen haben – so in den Kriegen gegen Jugoslawien (1999), den Irak (2003), Libyen (2011) – und sich regelmäßig nicht mehr auf das Völkerrecht, sondern auf eine politisch von ihm abweichende „regelbasierte internationale Ordnung“ berufen (german-foreign-policy.com berichtet in Kürze). Russland und China sprechen sich in diesem Zusammenhang gegen alle Versuche aus, die „Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs“ zu revidieren sowie die Verantwortung für die Gräueltaten der NS-Okkupanten oder „militaristischer Invasoren“ zu leugnen. Dies bezieht sich auf die Hauptaggressoren des Zweiten Weltkriegs, Deutschland und Japan, wie auch auf deren Kollaborateure, so etwa im Baltikum und in der Ukraine (german-foreign-policy.com berichtete [3]).
Ungeteilte Sicherheit
Aufbauend auf dem System der Vereinten Nationen weisen Russland und China nicht nur alle Bestrebungen zurück, sich „unter irgendeinem Vorwand in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten einzumischen“ und „Farbrevolutionen“ – prowestliche Umstürze – zu forcieren; sie sprechen sich zudem für die Anerkennung des Grundsatzes aus, kein Staat solle „seine eigene Sicherheit getrennt von der Sicherheit des Rests der Welt und auf Kosten der Sicherheit anderer Staaten“ zu gewährleisten suchen. Dies knüpft an entsprechende Formeln der Europäischen Sicherheitscharta von 1999 an [4] und sucht sie auf die globale Ebene zu übertragen. Konkret sprechen sich Moskau und Beijing gegen Pläne der Vereinigten Staaten aus, Mittelstreckenraketen in Ost- und Südostasien gegen China und womöglich weitere in Europa gegen Russland zu stationieren.[5]
Seidenstraße plus Wirtschaftsunion
Ehrgeizige Ziele verfolgen beide Seiten darüber hinaus auf ökonomischer Ebene. So heißt es in der Erklärung, man habe vor, die chinesische Neue Seidenstraße (Belt and Road Initiative, BRI) mit der russisch geführten Eurasischen Wirtschaftsunion zu verbinden; in diesem Kontext ist von einer „Greater Eurasian Partnership“ die Rede. Um die Kooperation auf ganz praktischer Ebene zu forcieren, wurden gleichfalls am Freitag eine Reihe Vereinbarungen geschlossen, die nicht bloß eine allgemeine Ausweitung der Wirtschaftskooperation, sondern insbesondere eine Ausweitung der russischen Öl- und Gaslieferungen nach China vorsehen. Von langfristigen Geschäften im Wert von gut 100 Milliarden Euro war die Rede. Zudem ist geplant, die Zusammenarbeit vor allem im Erdgasbereich erheblich zu intensivieren.[6]
„Ein neuer Megaostblock“
Der zunehmende Ausbau der russisch-chinesischen Kooperation betrifft Deutschland und den Westen in mehrfacher Weise. Zum einen erleichtert er es Russland und China, die westliche Aggression – von Wirtschaftssanktionen bis hin zu militärischem Druck – abzuwehren. Das gilt etwa für die Drohung, Moskau vom globalen Finanzsystem abzuschneiden.[7] Die Aufstockung der russischen Erdgaslieferungen nach China wiederum trägt dazu bei, Russland eine Alternative zur Belieferung Deutschlands und der EU zu eröffnen; damit verlieren Berlin und Brüssel ihren bislang fast exklusiven Zugriff auf russisches Gas.[8] Vor allem aber sind die westlichen Mächte nun mit zwei Rivalen konfrontiert, die ihr Machtpotenzial immer umfassender verbinden. So heißt es etwa in einem Kommentar, „ein neuer Megaostblock“ sei im Entstehen begriffen, der „die Macht“ habe, „auf dem ganzen Globus die Gewichte zu verschieben“.[9] Perspektivisch könne er womöglich sogar „auf den Westen herabblicken“: „militärisch, ökonomisch und nicht zuletzt wegen seiner geografischen Ausdehnung und seiner Bevölkerungszahl“.[10]
„Keine natürlichen Partner“
Die Reaktionen darauf fallen unterschiedlich aus. Einige Kommentatoren weisen darauf hin, dass Russland und China vor allem durch die westliche Aggression zusammengeführt werden und teils sehr unterschiedliche Interessen verfolgen: Sie seien, heißt es zum Beispiel, „keine natürlichen Partner“ und „für die globalen Machtkämpfe der multipolaren Welt ... sehr unterschiedlich gerüstet“.[11] Bereits kürzlich hatte Harald Kujat, ein Ex-Generalinspekteur der Bundeswehr, geurteilt, die USA strebten im Hintergrund des aktuellen Ukraine-Konflikts in ihren Verhandlungen mit Moskau „ein stabiles Verhältnis mit Russland an“, da China für sie der größere, der gefährlichere Gegner“ sei; Ziel ist es demnach, einen Keil zwischen Moskau und Beijing zu treiben.[12] Gleichzeitig steigt die Aggressivität gegenüber Russland und China in neue Höhen. Aktuell findet sie Ausdruck in einer Propagandakampagne gegen die olympischen Winterspiele in Beijing, die etwa mit den olympischen Spielen 1936 in der NS-Hauptstadt Berlin parallelisiert werden.[13] Am Wochenende titelte die Tageszeitung taz, ein Foto mit IOC-Präsident Thomas Bach, dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping und anderen Funktionären bei der Eröffnung der Winterspiele kommentierend: „Die Welt zu Gast bei Verbrechern“.[14]
[1] Zitate hier und im Folgenden: Joint Statement of the Russian Federation and the People’s Republic of China on the International Relations Entering a New Era and the Global Sustainable Development. February 4, 2022.