Niger: Frankreich scheitert, EUropa verliert
lostineu.eu, 2. August 2023
Mit dem Staatstreich im Niger verliert Frankreich einen weiteren strategisch wichtigen Partner in Afrika. Doch auch Deutschland und die EU tragen großen Schaden davon.
Die Bilder erinnern an die Flucht aus Afghanistan und Sudan: Nach dem Staatsstreich im Niger hat Frankreich drei Flugzeuge nach Niamey geschickt, um Franzosen, Deutsche und andere EU-Bürger auszufliegen.
Schon wieder müssen die EUropäer in aller Eile aus einem Land abziehen, das sie stolz als „Partner“ bezeichnet hatten. Schon wieder wird Brüssel von den Ereignissen kalt erwischt und überrollt.
Die „geopolitische“ EU-Kommission ist in Urlaub, ihre Chefin von der Leyen weilt auf den Philippinen. EU-Chefdiplomat Borrell droht mit Sanktionen – und klammert sich an die westafrikanische Staatengemeinschaft ECOWAS.
Die wiederum hat nichts Besseres zu tun, als den neuen Machthabern im Niger mit einer Militärintervention zu drohen – was Burkina Faso und Mali als „Kriegserklärung“ auffassen. Auch Algerien wies die Drohung empört zurück.
Droht ein Flächenbrand in Nordafrika? Könnte von dieser Krise ausgerechnet Russland profitieren, das schon in Mali zu Hilfe gerufen wurde? Bisher ist das alles Spekulation, die Lage ist sehr unübersichtlich.
Klar scheint nur, dass sich der Putsch gegen Frankreich richtet – und dass auch Deutschland und die EU viel zu verlieren haben. Es geht um geopolitische, militärische und wirtschaftliche Interessen:
- Frankreich verliert weiter an Boden in Afrika. Deutschland muß um seinen Stützpunkt in Niamey bangen, von dem auch die mittlerweile nutzlosen Soldaten aus Mali evakuiert werden.
- Die EU verliert mit Niger einen „strategischen Partner“ im Kampf gegen irreguläre Migration aus Afrika. Einige Experten warnen bereits vor neuen Flüchtlingswellen aus dem Süden.
- Auch die europäische Wirtschaft bangt. Laut Euratom deckt die gesamte EU knapp ein Viertel ihres Uranbedarfs mit Importen aus dem Niger. Auch andere Bodenschätze kommen dorther.
Zudem drohen die EUropäer nun aus der gesamten Sahel-Zone vertrieben zu werden, die strategisch wichtig ist. Neben Niger sind auch Mali und Tschad zunehmend feindlich eingestellt.
Gleichzeitig wenden sich diese Länder immer offener Russland zu. Dabei hatte man in Brüssel noch vor kurzem Witze über den „gescheiterten“ Russland-Afrika-Gipfel gerissen…
‹ Aufgelesen: Europäische Biometriedaten für die USA
8 Comments
Helmut Höft
2. August 2023 @ 12:06Na gut: Alles Elend dieser Welt hat Russland (Putin) zu veantworten, selbst der Hunger hat nix mit Kapitalismus, IWF, Weltbank & Co. (aka Wertewesten®) zu tun! Und was kann der Richard dafür, dass Dmitri Walerjewitsch Utkin seine Musik liebt und deshalb seine Mördertruppe Gruppe Wagner getauft hat? Wir haben dafür unsere PMSC https://en.wikipedia.org/wiki/Private_military_company, die weltgrößte sogar G4S ist britisch („Mitarbeiter“ 800.000 – natürlich nicht alle Typen à la Wagner-Söldner). Der Typ hier https://de.wikipedia.org/wiki/Erik_Prince kann es aber bestimmt mit dem Wagner-Gründer aufnehmen oder?
Unn nu? Ein Stück von Wagner: https://www.youtube.com/watch?v=VE03Lqm3nbI
KK
2. August 2023 @ 11:46
So ist das, wenn man Kinder (aka Ex-Kolonien), die längst die Volljährigkeit (aka Unabhängigkeit) erreicht haben, noch lange in Unmündigkeit hält: Es kommt der Zeitpunkt, wo sie sich gegen ihren selbsternannten Vormund auflehnen… und die Gelegenheit ist ja jetzt für viele dieser „Kinder“ sehr günstig.
Allerdings ist auch zu befürchten, dass, wie in nahezu jedem schmutzigen Spiel, auch hier die USA wieder ihre Drecksfinger mit im Spiel haben.
Es würde höchste Zeit für EUropa, sich endlich von den US-Fesseln zu lösen!
Katla
2. August 2023 @ 09:29
Wer hat Interesse daran, dass die Niger-Benin-Pipeline nicht fertiggestellt wird? Wer hat Interesse daran, dass die irreguläre Migration mit all ihren destabilisierenden Auswirkungen in Europa wächst?
In erster Linie sähe ich da Russland, aber was den Energiemarkt betrifft, wären Indien, Saudi-Arabien und vor allem die USA auch nicht unerhebliche Nutznießer. Kirby hat gerade Russland geradezu in Schutz genommen und die Anschuldigungen der Ukraine (Podoljak), Russland stünde hinter dem Putsch, explizit zurückgewiesen.
bruno neurat-wilson
2. August 2023 @ 08:42
Deutschland muß um seinen Stützpunkt in Niamey bangen …
Davon höre ich zum ersten Mal. Was war das für ein Stützpunkt – welche Aufgaben hatte er – war er militärisch ausgestattet???
Vieen Dank!!
ebo
2. August 2023 @ 09:58Der Lufttransportstützpunkt Niamey gehört zur MINUSMAMultidimensionnelle Intégrée des Nations Unies pour la Stabilisation au Mali-Mission der Vereinten Nationen und stellt einen Großteil der logistischen Versorgung für die deutschen Kräfte in Mali und im Niger sicher. Egal ob Großgerätaustausch oder Versorgungsgüter, hier kann fast alles bewältigt werden. Die Bundeswehr betreibt einen eigenen Flugbetriebsbereich, die Mike-Ramp. Der Cross-Service weist dem gelandeten A400M seine Stellfläche zu. Auf der Mike-Ramp befindet sich der Bereich des Luftumschlagzuges, der Flugzeuge be- und entladen kann.
Quelle: Die Bundeswehrebo
2. August 2023 @ 09:59Interessant ist auch die die Niger Air Base 201.Das ist ein Drohnenbasisstützpunkt der Vereinigten Staaten in der Nähe von Agadez, im Zentrum von Niger. Die Anlage ist seit November 2019 in Betrieb – und könnte nun ausfallen…
european
2. August 2023 @ 07:38
Ben Norton hat auf seinem YT Kanal heute dazu eine sehr gute Recherche eingestellt und beleuchtet die Hintergründe sehr genau. Man darf raten, wer auch hier wieder seine Finger im Spiel hat, warum Blinken im März in Niger war, was das alles mit der Drohnenbase in Niger zu tun hat und warum der reichste Kontinent der Welt, Afrika, die ärmste Bevölkerung hat.
Nicht zu vergessen: Wir sind die Guten, die mit den Werten und der regelbasierten Weltordnung. ????
Thomas Damrau
2. August 2023 @ 07:32
Faszinierend ist vor allem die grobe Fehleinschätzung der aktuellen Lage in Westafrika. Es wird geputscht und die EU ist sowohl in Mali als auch in Niger überrascht: „Wir sind doch so gute Freunde des Volkes von XY, wir arbeiten mit dem lokalen Militär zusammen …. jetzt putschen die und das Volk geht nicht mal dagegen auf die Straße.“
Ich vermute, dass die EU sich auch bezüglich der Lage in vielen anderen Ländern täuscht.
Info: https://lostineu.eu/putsch-im-niger-europa-verliert-in-afrika
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
Weiteres:
lostin.eu, vom 1. August 2023
In Brüssel hat die Urlaubszeit begonnen. Wir nutzen das „Sommerloch“, um lesenswerte Beiträge anderer Blogs und Medien zu präsentieren. Heute ein Beitrag zur US-gesteuerten biometrischen Überwachung.
US-Behörden wollen Fingerabdrücke und Gesichtsbilder in insgesamt 40 Staaten abfragen, die meisten davon in Europa. Mit einem Kniff setze sich die EU-Kommission an die Spitze der Gespräche über das Vorhaben, schreibt Matthias Monroy.
Insgesamt 40 Länder nehmen derzeit am „Visa Waiver Program“ (VWP) der US-Regierung teil. Washington garantiert damit, dass die Bürger:innen der betreffenden Staaten zu geschäftlichen oder touristischen Zwecken für maximal drei Monate ohne Visum einreisen dürfen. Die Regelung gilt gegenseitig, auch US-Staatsangehörige können die 40 Länder visafrei besuchen. Unter den Teilnehmenden des VWP befinden sich fast alle Schengen-Staaten.
Nun verlangt die US-Regierung, dass die am VWP teilnehmenden Staaten im Rahmen einer „Enhanced Border Security Partnership“ (EBSP) Zugang zu ihren polizeilichen Biometrie-Datenbanken gewähren. US-Grenz- und Polizeibehörden sollen dafür Fingerabdrücke und Gesichtsbilder in Informationssystemen in den Schengen-Staaten abfragen dürfen. Ein solcher Direktzugriff aus dem Ausland ist selbst unter befreundeten Geheimdiensten unüblich.
Es ist nicht die erste derartige Forderung an die VWP-Staaten. Im Jahr 2006 hat die US-Regierung bereits vorgeschrieben, dass nur Länder, die biometrische Reisepässe ausgeben, an dem Programm teilnehmen dürfen. 2008 führten US-Behörden das verpflichtende ESTA-System zur Voranmeldung des Grenzübertrittes ein. Ein Jahrzehnt später mussten alle VWP-Staaten „Preventing and Combating Serious Crime“ (PCSC) für ihre Kriminalpolizeien unterschreiben.
In der EU sorgt die geforderte „Partnerschaft“ für die Herausgabe von Biometriedaten seit über einem Jahr für Kontroversen. Im Februar 2022 hat die US-Regierung einige VWP-Staaten erstmals über die Pläne informiert, darunter auch Deutschland. Demnach soll es sich um bilaterale Abkommen mit den einzelnen Regierungen handeln. Weigern sich diese, ihre Datenbanken zu öffnen, droht ihnen ab 2027 der Rauswurf aus dem US-Programm für visafreies Reisen.
Die EU-Visapolitik gehört seit dem 1997 geschlossenen Vertrag von Amsterdam zum sogenannten Schengen-Besitzstand. Entsprechende Abkommen mit anderen Regierungen müssen deshalb für alle Schengen-Staaten gleichermaßen gelten. Über die Umsetzung und Befolgung der Visafreiheit wacht die EU-Kommission, die deshalb auch Vertragsverletzungsverfahren einleiten kann. Eigentlich müsste Brüssel gegen die US-Regierung vorgehen: Denn Bürger:innen aus Bulgarien, Rumänien und Zypern wird die Teilnahme am visafreien Reisen in die USA weiterhin verwehrt, die drei Staaten werden also benachteiligt.
Anstatt die US-Regierung deshalb zu maßregeln und das daran gekoppelte EBSP auf Eis zu legen, treibt die Kommission dieses noch voran. Brüssel verfolge dazu einen „pragmatischen Ansatz“, indem die geforderte „Grenzpartnerschaft“ als „von Fragen im Zusammenhang mit der Visapolitik getrennt“ behandelt wird. Dies geht aus einem Dokument hervor, das die britische Bürgerrechtsorganisation Statewatch veröffentlicht hat.
Weiterlesen auf „netzpolitik“
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5 Comments
KK
2. August 2023 @ 11:37@ Kleopatra:
„Denn anders als die EU-Mitgliedstaaten sind die EU keine Vertragspartei der EU-Verträge…“
Das müssen Sie mir erklären!
Kleopatra
2. August 2023 @ 05:14
Wenn die USA nicht alle EU-Mitgliedstaaten am visafreien Reisen teilnehmen lassen, kann die Kommission deshalb trotzdem nicht – wie hier vorgeschlagen – gegen die USA vorgehen. Denn anders als die EU-Mitgliedstaaten sind die EU keine Vertragspartei der EU-Verträge und daher nicht an diese gebunden, dürfen also Angehörige verschiedener EU-Mitgliedstaaten auf der Grundlage ihrer Staatsangehörigkeit unterschiedlich behandeln, ohne dass sie dadurch gegen Verträge verstoßen würden.
Wenn ein Vertragsverstoß vorliegt, dann auf Seiten der EU-Mitgliedstaaten, die am Visa-Waiver-Programm teilnehmen, obwohl es nicht allen EU-Mitgliedstaaten angeboten wird. Die Kommission müsste also Deutschland etc. auffordern, den USA zu erklären, dass wir für Deutsche die Wiedereinführung der Visumspflicht fordern, solange diese für Bulgaren etc. besteht. Man kann sich leicht vorstellen, wie beliebt sich die EU damit in Deutschland machen würde.
KK
1. August 2023 @ 18:51
@ Katla:
„Die doppelte Staatsbürgerschaft ist insbes. für die zahlenmässig starken ungarischen Minderheiten in Rumänien und in der Ukraine(!!) besonders wichtig und Ungarn weigert sich, ihre Daten rauszugeben mit dem Argument, der Schutz der Sicherheit dieser Menschen habe absolute Priorität.“
Vor dem Hintergrund der Existenz öffentlicher „Todeslisten“ der ukrainischen Regierung (auf denen u.a. auch der SPD-Fraktionschef Mützenich und einige andere deutsche Prominente, die sich für Frieden und Verständigung einsetzen, stehen) durchaus verständlich.
Katla
1. August 2023 @ 18:18
Passend zu diesem Thema: ungarische Medien berichten, dass die USA mit Wirkung von heute Einschränkungen der Visumsfreiheit für alle ungarischen Staatsbürger eingeführt hat. Laut ungarischem Innenministerium reagieren die USA mit dieser Maßnahme auf die Tatsache, dass die ungarische Regierung sich weigert, alle Daten von doppelten Staatsbürgerschaften den USA zur Verfügung zu stellen. Die doppelte Staatsbürgerschaft ist insbes. für die zahlenmässig starken ungarischen Minderheiten in Rumänien und in der Ukraine(!!) besonders wichtig und Ungarn weigert sich, ihre Daten rauszugeben mit dem Argument, der Schutz der Sicherheit dieser Menschen habe absolute Priorität.
An dieser Stelle könnte man die Überlegung anstellen, ob die massenhafte Herausgabe von sensibelsten und persönlichsten Daten an fremde Länder wirklich vorbildlich rechtstaatliches Verhalten darstellt. Oder ob hier die sog. „Autokratie“ und „Diktatur“ Ungarn in Sachen souveränem und wehrhaftigem Umgang mit illegitimen Forderungen von Drittstaten nicht ein besseres Bild abgibt, als die EU.
KK
1. August 2023 @ 13:31
Die Biometriedaten liegen doch auf EUropäischen Rechnern vor – die alle eine Backdoor für US-Geheimdienste haben.
Ich wette, unsere Daten sind den US-Behörden längst bekannt.
Ausspionieren unter Freunden geht nämlich eben doch!
Info:https://lostineu.eu/aufgelesen-europaeische-biometriedaten-fuer-die-u
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.