einem Grundstoff, der für die Reinigung der Motoren von Diesel-LKWs von
entscheidender Bedeutung ist, und zeigt, wie sich solche Maßnahmen auf
die Lieferketten auswirken. Stefan Kooths vom Kieler Institut für
Weltwirtschaft warnt davor, dass "eine wirtschaftliche Lawine auf
Deutschland zurollt".
13.09.2022
Exklusiv: Endverbleibsvereinbarung für deutsche Waffen in der Ukraine ermöglicht Einsatz gegen Ziele in Russland
nachdenkseiten.de, 13. September 2022 um 9:00
Ein Artikel von: Florian Warweg
Ein den NachDenkSeiten exklusiv vorliegendes Schreiben des Bundesministeriums der Verteidigung, welches als „VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH“ eingestuft war, birgt enormes Eskalationspotenzial. Denn aus der Antwort auf eine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko wird deutlich, dass die mit der Ukraine geschlossene Endverbleibsvereinbarung, im Gegensatz zu den USA, keinen Passus enthält, der den Einsatz z.B. deutscher Panzerhaubitzen gegen Ziele innerhalb der völkerrechtlichen Grenzen der Russischen Föderation untersagt. Ebenso wenig wird die Weitergabe deutscher Waffensysteme an rechtsextreme Kampfverbände wie das Asow-Regiment verboten.
Bereits im Juni hatte Andrej Hunko, Mitglied des Bundestages und europapolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE, die Bundesregierung nach vertraglichen Zusicherungen über die Verwendung und den Verbleib der an die Ukraine gelieferten Waffen gefragt:
„Hat sich die Bundesregierung von der Ukraine vertragliche Zusicherungen über die Verwendung und den Verbleib der an die Ukraine gelieferten Waffen geben lassen, die den Ausschluss der Weitergabe an rechtsextreme Kampfverbände wie das Asov-Bataillon beinhalten, und falls ja, beinhalten die Absprachen mit der ukrainischen Regierung Aussagen zu möglichen Angriffen mit deutschen Waffen auf Ziele auf dem Territorium der Russischen Föderation, wie zum Beispiel den von Wiktor Andrusiw, Berater des ukrainischen Innenministers, ins Spiel gebrachte Vorschlag, die russische Stadt Belgorod unter Beschuss zu nehmen?“
Verzögerungstaktik des Verteidigungsministeriums
Das Bundesverteidigungsministerium bat jedoch ganze drei Mal, so schildert es Andrej Hunko gegenüber den NachDenkSeiten, „mit teilweise abenteuerlichen Begründungen wie Krankheit der Ministerin“ um eine Fristverlängerung und lieferte die Antwort selbst danach erst auf vielfache Nachfrage und mit großer Verzögerung. Diese erneute Verzögerung wurde mit einem angeblichen „technischen Fehler bei der Versendung der Antwort“ begründet.
Als die Antwort dann nach mehreren Wochen endlich vorlag, beinhaltete sie zwar sehr aufschlussreiche Zitate aus der mit der Ukraine abgeschlossenen Endverbleibsvereinbarung in Bezug auf Waffenlieferungen durch die Bundeswehr, allerdings versehen mit dem Vermerk: VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH. Diese Einstufung verhindert eine Weitergabe der Information an die Öffentlichkeit. Begründung? Dies sei „im vorliegenden Fall im Hinblick auf das Staatswohl erforderlich“, denn „eine zur Veröffentlichung bestimmte Antwort der Bundesregierung auf diese Frage würde Rückschlüsse auf das militärische Informationsbild zulassen“.
Der Bundestagsabgeordnete Hunko legte daraufhin beim Bundesverteidigungsministerium Beschwerde gegen die Einstufung „VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH“ ein und bekam nach anderthalb Monaten Wartezeit tatsächlich eine Antwort. Die Einstufung wurde aufgehoben. Es gilt in parlamentarischen Kreisen als äußerst selten, dass die Bundesregierung grundsätzlich irgendwelche Inhalte aus Endverbleibsvereinbarungen teilt, geschweige denn daraus so umfassend zitiert wie im vorliegenden Fall.
Deutsche Waffenlieferungen: Weder Weitergabe an rechtsradikale Kampfverbände noch Angriffe auf Russland untersagt
Der Inhalt der Antwort des Verteidigungsministeriums hat es in sich: Denn die den NachDenkSeiten nun exklusiv vorliegende Endverbleibserklärung erweist sich als extrem unpräzise. Nach Bewertung von durch die NachDenkSeiten konsultierten Experten werden darin „Angriffe auf militärische Ziele auf der Krim oder gar auf Waffen-Nachschub-Konvois auf russischem und belarussischem Gebiet nicht ausgeschlossen, denn diese wären mit den dort erwähnten Punkten Landesverteidigung und geltendes Völkerrecht durchaus in Einklang zu bringen.“
Ähnlich fällt auch die Einschätzung vom Fragesteller Andrej Hunko aus. Gegenüber den NachDenkSeiten erklärt der europapolitische Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Bundestag:
„Die vage Endverbleiberklärung hat enormes Eskalationspotential für diesen Krieg. Selbstverständlich hat die Ukraine als angegriffener Staat jedes Recht sich zu verteidigen. Der Vorgang zeigt jedoch, wie heikel die Waffenhilfe des Westens ist. Anstatt alle Kraft auf diplomatische Initiativen für eine Verhandlungslösung und eine Beendigung des Krieges zu konzentrieren, will die Bundesregierung einen militärischen Sieg gegen Russland herbeiführen. Dabei nimmt sie sogar in Kauf, dass mit deutschen Waffen russisches Territorium angegriffen wird. Dieses Eingreifen kann jederzeit eskalieren und den Krieg ausweiten. Eine direkte militärische Konfrontation zwischen NATO-Staaten und Russland könnte der Beginn eines neuen Weltkrieges sein. Statt derart mit dem Feuer zu spielen, wäre es Verpflichtung der Bundesregierung dieses Szenario abzuwenden.“
Ein weiterer von den NachDenkSeiten konsultierter Militärexperte, der durch zahlreiche Tätigkeiten für die OSZE auch mit den entsprechenden völkerrechtlichen Aspekten vertraut ist, erklärte diesbezüglich mit der Bitte, anonym zu bleiben:
„Nach meinem Verständnis, kann sich die Ukraine auf Artikel 51 der UN-Charta berufen und damit grundsätzlich alles machen, was sie als Selbstverteidigung ansieht, also auch Operationen mit von Deutschland gelieferten Waffen gegen militärische Einrichtungen auf dem Territorium Russlands, wenn die mit der Bundesrepublik geschlossene Endverbleibsvereinbarung diesbezüglich keine Einschränkungen vornimmt.“
Ähnlich argumentiert auch der von den NachDenkSeiten hierzu angefragte Völkerrechtsexperte Prof. Dr. Norman Paech:
„Da die Krim völkerrechtlich immer noch zur Ukraine gehört, ist der Einsatz des Vereinbarungsgegenstandes auf der Krim durchaus möglich. Zum Einsatz gegen Waffentransporte aus der Russischen Föderation und Belarus wäre auch das begründbar als so genannte präventive Selbstverteidigung nach Art. 51 UNO Charta. Um beides zu unterbinden, müsste die Bundesregierung die Vereinbarung nachbessern.“
Damit die NachDenkSeiten-Leser sich selbst ein Bild machen könnten, dokumentieren wir die mit der Ukraine geschlossene Endverbleibsvereinbarung im Wortlaut:
„Der Vereinbarungsgegenstand darf von der ukrainischen Seite ausschließlich für Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit, des Krisenmanagements, der Landesverteidigung, für die Teilnahme an regionalen oder kollektiven Vereinbarungen und für Aktivitäten, die mit der Charta der Vereinten Nationen in Einklang stehen, genutzt werden. Er darf nur gemäß der einschlägigen Normen des geltenden Völkerrechts, insbesondere des humanitären Völkerrechts, der Menschenrechtsnormen und des Flüchtlingsrechts verwendet werden.
Ohne vorherige schriftliche Einwilligung der deutschen Seite ist die ukrainische Seite nicht zu einer Änderung der Nutzung des Vereinbarungsgegenstands berechtigt. Die Ukraine ist verpflichtet, diesen Vereinbarungsgegenstand weder zeitweise noch dauerhaft, in Teilen oder im Ganzen oder im eingebauten Zustand wieder auszuführen oder Drittstaaten oder Dritten im Land des endgültigen Bestimmungsorts zu überlassen oder anderweitig zu übereignen. Der Vereinbarungsgegenstand kann jedoch zu Ausbildungszwecken, Reparaturzwecken, für Instandhaltungsarbeiten und/oder Upgrades zeitweise an Vertragspartner weitergegeben werden.
Im Hinblick auf die Endnutzung der im Rahmen dieser Vereinbarungen bereitgestellten Gegenstände hat die Bundesrepublik Deutschland das Recht, auf Antrag, jederzeit Inspektionen vor Ort durchzuführen.“
Fazit
Eine wie dargelegt so unpräzise Endverbleibsvereinbarung birgt enormes Eskalationspotenzial in einer bereits hochangespannten Beziehung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Russischen Föderation. Die Bundesregierung liefert nicht nur schwere Offensivwaffen wie die Panzerhaubitze 2000, ohne deren Nutzung explizit auf den Einsatz innerhalb der Ukraine zu beschränken, sie macht auch keinerlei Einschränkungen, was die Weitergabe deutscher Waffen an rechtsradikale Kampfverbände wie Asow angeht. Erschwerend kommt hinzu, dass sie auf deutschem Boden auch ukrainische Soldaten ausbilden lässt.
Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages kommt in einer völkerrechtlichen Einschätzung unter dem Titel „Rechtsfragen der militärischen Unterstützung der Ukraine durch NATO-Staaten zwischen Neutralität und Konfliktteilnahme“ zu dem Schluss, dass man durch die reine Lieferung von Waffen im Rahmen der Unterstützung einer Kriegspartei nicht zur Kriegspartei wird, dies sich aber ändere, sobald ein Land beginnt, auf seinem eigenen Territorium Soldaten einer der Kriegsparteien an den Waffen auszubilden, die man zur Unterstützung in das Land der betreffenden Kriegspartei liefert:
„Bei Unterstützungsleistungen auf der Grundlage von non-belligerency bleibt der Umfang von Waffenlieferungen, aber auch die Frage, ob es sich dabei um „offensive“ oder „defensive“ Waffen handelt, rechtlich unerheblich. Erst wenn neben der Belieferung mit Waffen auch die Einweisung der Konfliktpartei bzw. Ausbildung an solchen Waffen in Rede stünde, würde man den gesicherten Bereich der Nichtkriegsführung verlassen.“
Die Bundesregierung spielt hier ohne Not mit der Gefahr einer weiteren militärischen und auch „diplomatischen“ Eskalation mit der Russischen Föderation. Was hat die Bundesregierung daran gehindert, ähnlich wie im Falle der USA kolportiert, zumindest den Einsatz der gelieferten schweren deutschen Waffensysteme wie Panzerhaubitze 2000 auf Ziele in Russland explizit zu untersagen?
„Wir sind Führungsmacht“ Verteidigungsministerin Lambrecht erklärt Deutschland zur „militärischen Führungsmacht“. Nationale Sicherheitsstrategie soll Schlagkraft sichern. Lambrecht plant jährlichen „Tag der nationalen Sicherheit“.
german-foreign-policy.com, 13. September 2022
BERLIN (Eigener Bericht) – „Deutschlands Größe, seine geografische Lage, seine Wirtschaftskraft, kurz: sein Gewicht, machen uns zu einer Führungsmacht“: Das erklärt Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht. Wie Lambrecht gestern in einer Rede vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) bekräftigte, sei die Bundesrepublik „Führungsmacht ... auch im Militärischen“; die Bundeswehr werde künftig „eine wichtigere Rolle in unserem politischen Denken und Handeln spielen“ müssen. Gegenstand von Lambrechts Rede war die neue Nationale Sicherheitsstrategie, die noch im laufenden Jahr von der Regierung verabschiedet werden soll. Die Strategie, die unter Federführung des Auswärtigen Amts verfasst wird, entspricht auf nationaler Ebene dem „Strategischen Kompass“ – einer Art Militärdoktrin – der EU und dem neuen Strategischen Konzept der NATO. Weil die Realisierung der Strategie mit erheblichen Kosten verbunden ist, soll ihr breite Akzeptanz in der Bevölkerung verschafft werden – etwa durch die Einführung eines „Tages der nationalen Sicherheit“. Die ehrgeizigen Pläne kontrastieren auffällig mit dem Scheitern der deutschen Militäreinsätze in den vergangenen Jahren.
Zitat: „Sicherheitspolitisches Dachdokument“Die Verabschiedung der Nationalen Sicherheitsstrategie, die in Berlin – neben Maßnahmen wie der Schaffung eines Nationalen Sicherheitsrats [1] – bereits seit Jahren beharrlich gefordert wird, ist im Koalitionsvertrag der rot-grün-gelben Bundesregierung ausdrücklich vorgesehen. Die Strategie wird, heißt es im Bundesverteidigungsministerium, „das oberste sicherheitspolitische Dachdokument der Bundesregierung“ sein.[2] Sie ist umfassend, „ressortübergreifend“, angelegt; deswegen wurden „von Beginn an die verschiedenen Ressorts eng in den Erstellungsprozess eingebunden“. Die Federführung liegt beim Auswärtigen Amt. Außenministerin Annalena Baerbock hat die Arbeit an der Strategie auf einer Auftaktveranstaltung am 18. März dieses Jahres offiziell gestartet. Zuletzt war die Nationale Sicherheitsstrategie Gegenstand von Debatten auf der Klausurtagung der Bundesregierung Ende August in Meseberg. Die Strategie hat zwei äußere Bezugspunkte – den Strategischen Kompass der EU, den die Union im März verabschiedet hat [3], und das Ende Juni auf dem NATO-Gipfel in Madrid beschlossene neue Strategische Konzept der NATO [4]. Der Strategische Kompass der EU, der auch als EU-„Militärdoktrin“ eingestuft wird, ist auf deutsche Initiative entwickelt worden. Berlin hat starken Einfluss auf die Entstehung des Dokuments ausgeübt.
„Deutschlands Gewicht“
Zentrales Anliegen Berlins bei der Arbeit an der Nationalen Sicherheitsstrategie ist es, der Bundesrepublik eine führende Position in der Weltpolitik zu sichern. „Deutschlands Größe, seine geografische Lage, seine Wirtschaftskraft, kurz: sein Gewicht, machen uns zu einer Führungsmacht, ob wir es wollen oder nicht“, behauptete Verteidigungsministerin Christine Lambrecht gestern vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).[5] Außenministerin Baerbock hatte bereits im März bei der Auftaktveranstaltung zur Arbeit an der Nationalen Sicherheitsstrategie erklärt, die verbündeten Staaten verlangten von der Bundesrepublik „als größter europäischer Volkswirtschaft Führung“.[6] Lambrecht weitete die Forderung nach deutscher Führung ausdrücklich auf die Streitkräfte aus und äußerte, Deutschland sei „Führungsmacht ... auch im Militärischen“; die Bundeswehr werde künftig „eine wichtigere Rolle in unserem politischen Denken und Handeln spielen“ müssen. Das habe auch finanziell Folgen: Die Bundeswehr müsse auf Dauer einen Haushalt in Höhe von mindestens zwei Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung erhalten. „Deutschland kann das“, bekräftigte Lambrecht gestern in ihrer auch international mit Aufmerksamkeit registrierten Rede vor der DGAP.
Ein „weltpolitikfähiges, geopolitisches Europa“
Mit Blick auf die möglichen Einsatzszenarien der Bundeswehr erklärte Lambrecht gestern, „Landes- und Bündnisverteidigung“ müssten „künftig an erster Stelle unserer Prioritätenliste“ stehen; die Truppe sei dabei die „zentrale Instanz für unsere Daseinsvorsorge“.[7] Das liege auch daran, dass die Vereinigten Staaten ihr „Hauptaugenmerk ... notwendigerweise auf die Sicherheit im pazifischen Raum gelenkt“ hätten. Für Washington steht spätestens seit dem „pivot to Asia“ („Schwenk nach Asien“), den US-Präsident Barack Obama im November 2011 verkündete, der Machtkampf gegen das unaufhörlich aufsteigende China im Zentrum seiner weltpolitischen Ambitionen.[8] Die Forderung, die Mächte der EU und vor allem die Bundesrepublik müssten im Rahmen transatlantischer Arbeitsteilung eine militärische Führungsrolle in Europa und seinen unmittelbaren Nachbarstaaten übernehmen, wird seit rund zehn Jahren völlig offen kommuniziert.[9] Lambrecht bekräftigte nun, Deutschland sei „bereit, Amerika in Europa zu entlasten“; dazu müsse freilich auch die Europäische Union „stärker“ werden. Bereits kürzlich hatte Kanzler Olaf Scholz in einer Rede an der Karls-Universität in Prag der Forderung nach „einem weltpolitikfähigen, geopolitischen Europa“ Ausdruck verliehen.[10]
„Tag der nationalen Sicherheit“
Mit Blick auf die aufwendige Hochrüstung Deutschlands und der EU äußerte kürzlich eine Expertin vom Warschauer Ośrodek Studiów Wschodnich (OSW, Zentrum für Oststudien) in einem Debattenbeitrag zu der in Arbeit befindlichen Strategie: „Diese Maßnahmen werden uns in Europa viel kosten und insgesamt viel abverlangen. Ein Anspruch der Nationalen Sicherheitsstrategie Deutschlands sollte deshalb auch sein, die deutsche Gesellschaft auf diese Kosten einzustimmen.“[11] Diese Auffassung wird weithin geteilt. So äußert Philipp Lange, Oberstleutnant i.G., in einer knappen Darstellung der Ziele der Strategie: „Uns ist wichtig, dass die Menschen in unserem Land insgesamt die Grundorientierung der künftigen Strategie mittragen. Daher sucht die Bundesregierung gezielt den Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern“.[12] Ähnlich hat jetzt auch Lambrecht gestern vor der DGAP Position bezogen. Der notwendige „Kulturwechsel“ müsse sich zunächst „in Berlin in unserem Politikbetrieb niederschlagen“, verlangte die Verteidigungsministerin. Das genüge allerdings nicht: Es gelte auch die Bevölkerung im Sinne der Nationalen Sicherheitsstrategie auszurichten. Dazu will die Ministerin in der Bundesrepublik alljährlich einen „Tag der nationalen Sicherheit“ abhalten.[13]
Ambition und Wirklichkeit
Die Forderungen nach massiver Hochrüstung, nach einer deutschen Führungsrolle in der Weltpolitik und nach der Einbindung der Bevölkerung in die Machtambitionen der Berliner Eliten kontrastieren bemerkenswert mit den Ergebnissen der deutsch-europäischen Militäreinsätze im vergangenen Jahrzehnt. Diese hat kürzlich eine Expertin des European Council on Foreign Relations (ECFR) skizziert, die derzeit dem Beirat der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) angehört. „Der Afghanistan-Einsatz ist gescheitert, und der chaotische Abzug hat den Europäern ihre militärische Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten schonungslos vor Augen geführt“, schreibt die Expertin. Auch „die europäischen Bemühungen um Stabilität in Mali und in der weiteren Sahelzone haben nicht den erhofften Erfolg gebracht.“[14] Zudem gingen die Kriege in Syrien und in Libyen „in ihr zweites Jahrzehnt“; doch „die Europäer“ hätten in den „Bemühungen um ihre Beilegung kaum eine Rolle gespielt“: „Die Kluft zwischen den Ambitionen der Europäer ... und ihrem tatsächlichen weltweiten Einfluss“ sei im Laufe der Jahre „immer größer geworden“.
[5] „Deutschlands Gewicht macht uns zur Führungsmacht“. tagesschau.de 12.09.2022.
[6] Außenministerin Annalena Baerbock bei der Auftaktveranstaltung zur Entwicklung einer Nationalen Sicherheitsstrategie. auswaertiges-amt.de 18.03.2022.
[7] „Deutschlands Gewicht macht uns zur Führungsmacht“. tagesschau.de 12.09.2022.
[11] Justyna Gotkowska: Wanted: Klare Leitlinien für die zukünftige Sicherheitsordnung in Europa. fourninesecurity.de.
[12] Nationale Sicherheitsstrategie: Die wichtigsten Fragen und Antworten vorab. bmvg.de 07.09.2022.
[13] „Deutschlands Gewicht macht uns zur Führungsmacht“. tagesschau.de 12.09.2022.
[14] Jana Puglierin: Der Strategische Kompass: Ein Fahrplan für die Europäische Union als sicherheitspolitische Akteurin. Bundesakademie für Sicherheitspolitik: Arbeitspapier 7/22.
Überraschend besuchte Außenminister Blinken in der vergangenen Woche Kiew und versprach 2,2 Milliarden USD, ausdrücklich zur langfristigen militärischen Stärkung der Ukraine, wie die Berliner Zeitung vom 09.09.2022 berichtet.
Zitat: Das Versprechen von Blinken passt sich in die bereits zugesagten 15 Milliarden USD ein, die sein Kollege aus dem militärischen Bereich der US-Regierung, Lloyd Austin, bei einem kürzlichen NATO-Treffen der Ukraine-Kontrollgruppe im rheinland-westfälischen Ramstein zugesagt hatte. Der Verteidigungsminister Austin veranlasste seine anderen Kollegen aus weiteren NATO-Staaten einen Beitrag zur Waffenlieferung beizusteuern. NATO-Generalsekretär Stoltenberg und die deutsche Verteidigungsministerin Lambrecht (SPD) assistierten die finanziellen Zusagen.
Kreditgelder werden in der westlichen Welt überwiegend mit Zinseszins belastet. Alle Rechnungen der Rüstungsindustrie und übriger Lieferanten laufen den üblichen Weg im Rahmen der Kredite.
Mit der Lieferung der Waffen kommen den betroffenen entsenden Staaten auch Vorteile zu. Die alten und nicht gebrauchten Waffen werden verwertet und die Lager können für andere Zwecke geräumt werden. Das eine oder andere Neue kann in der Praxis erprobt werden.
Die Gelder des Außenministers Blinken sind nicht für den zivilen Bereich der Ukraine, etwa zur Wiederherstellung von Schulen Krankenhäusern, Wohnungen, Brücken bestimmt. Für diesen Teil des Kreditbedarfs stellen Frau von Leyen und Präsident Biden weitere Gelder zur Verfügung. Beide Kreditarten gehen jedoch in die Staatsverschuldung ein. Die funktioniert seit Kolonialzeiten als bewährte Methode Abhängigkeiten herzustellen.
Die Summe der Auslandsschulden, zuzüglich der staatlichen Inlandsschulden bremsen den Fortschritt der geschundenen Ukraine. Es leiden die Förderung der Wirtschaft und der Ausbau des sozialen Netzes. Die wissenschaftlich – technische Forschung stagniert. Die Töpfe zur Entwicklung der Bildung und Kultur können nicht ausreichend gefüllt werden.
In den vergangenen 7 Monaten seit Kriegsbeginn, drängten die Kernländer der NATO auf schnelle Waffenlieferungen. Nach dem Besuch von Blinken scheint eine längere militärische Konfrontation ins Kalkül gezogen worden zu sein. Das kommt den Waffenproduzenten entgegen.
Die Kampftechnik der US-Armee steht ohnehin nach Ende der Afghanistan-Operation im Standby Modus und Bundeskanzler Scholz besuchte unlängst eine Waffenschmiede Deutschlands und begutachtete einen modernen Panzer. Ein Fahrzeug zum Töten und zur Abwehr.
Die Kämpfe in der Ukraine verursachen vor allem menschliche Tragödien, die nicht heilbar sind. Selbst nach den beiden Weltkriegen wurden die gewaltigen materiellen Schäden wieder ausgeglichen. Geblieben ist das Trauma der Angehörigen.
Eine Frage bleibt offen: In der kapitalistischen Welt gilt ein altes ehernes Gesetz: Kredite gibt es nur gegen Sicherheiten für die Rückzahlung, unbenommen in welcher geldwerten Form. Ein ausgefeiltes Ratingsystem wacht darüber und es bestimmt die Höhe der Zinsen. In Deutschland kümmert sich die Schufa über die Rückzahlungsfähigkeit bei der Beantragung privater Kredite. Der afghanischen Regierung wurden gleichfalls für Waffenlieferungen umfangreiche Kredite zugesagt. Das Land musste seinen staatlichen Goldschatz nach Fort Knox, der Schatzkammer USA, transferieren. Was hat Präsident Selenskyj als Sicherheit angeboten und was in seiner „Letter of intent“ geschrieben? Welche Rückzahlungsform verlangen die G7 Staaten für ihre Lieferungen auf Kredit?
Deutschland zahlte seine letzte Kreditrate aus dem 1. Weltkrieg im Juni 1990.
Die Kreditkonstruktion für die Ukraine, aber auch die Sanktionspolitik gegen Russland, bestätigen eine unheilvolle Gleichung: Weltgeschichte ist Geldgeschichte. Kreditgeschäfte der Banken zielen auf Gewinn.
Ein humaner Imperativ fordert: Waffen müssen in der Ukraine und anderswo bei bilateralen militärischen Kämpfen zum Schweigen gebracht und nicht noch geliefert werden. Kompromisse sind, wie Erfahrungen bezeugen, immer möglich. Sieger Mentalitäten enthalten dagegen überwiegend neue Probleme. Auslandskredite für zivile Zwecke sind eine andere Hausnummer. Auch das besagen lange Erfahrungen in der Welt.
Die ehemalige deutsche Bildung. – Als die Deutschen den anderen Völkern Europas anfingen interessant zu werden – es ist nicht zu lange her –, geschah es vermöge einer Bildung, die sie jetzt nicht mehr besitzen, ja die sie mit einem blinden Eifer abgeschüttelt haben, wie als ob sie eine Krankheit gewesen sei: Und doch wussten sie nichts Besseres dagegen einzutauschen als den politischen und nationalen Wahnsinn. Friedrich Nietzsche*
Liebe Leserinnen, liebe Leser!
Es war aus meiner Sicht DAS Highlight der Woche – Sahra Wagenknechts Abrechnung im Bundestag mit dem Politgebaren der Regierung und vor allem auch mit dem von Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck, in der sie sagte:
«Wir haben wirklich die dümmste Regierung in Europa ... Ja, natürlich ist der Krieg in der Ukraine ein Verbrechen. Aber die Vorstellung, dass wir Putin dadurch bestrafen, dass wir Millionen Familien in Deutschland in die Armut stürzen und dass wir unsere Industrie zerstören, während Gazprom Rekordgewinne macht – ja, wie bescheuert ist das denn?»
Quelle: Youtube-Kanal des WELT Nachrichtensenders
Dass Sahra Wagenknecht mit diesen Worten den Nagel auf den Kopf getroffen hat, das müssten selbst eingefleischte SPD- und Grünenwähler inzwischen erkannt haben. So kann das, was Wagenknecht hier zum Thema macht, nämlich dass sich das Auseinanderdriften von Arm und Reich in Deutschland – ein eklatantes Problem, das die Politik seit Jahrzehnten nicht in den Griff bekommt – durch die Sanktionspolitik der Regierung gegen Russland noch mal beschleunigt hat, niemandem mehr entgangen sein.
Und auch müsste jede/r wissen, dass die Politik natürlich in der Lage wäre, diesen dramatische Prozess, bei dem sich immer mehr Macht und Vermögen in immer weniger Händen ballt, während sich «die Masse» immer mehr abstrampeln muss und zunehmend von Existenzängsten geplagt wird, nicht nur aufhaltbar, sondern sehr wohl auch umkehrbar wäre.
Doch was macht so ein Medium wie die taz, einer Art Hort von Grünenwählern? Sie brachte gestern zur Rede von Wagenknecht einen Beitrag von Anna Lehmann, der Leiterin des Parlamentsbüros, mit der Headline «Nach verstörender Wagenknecht-Rede: ‹Wir sind es leid›». Darin wird die Forderung von Linke-Landespolitikerinnen, Wagenknecht aus der Bundestagsfraktion auszuschliessen, an die Leserschaft weitergereicht. Doch dieser Beitrag liest sich wie eine PR-Mitteilung dieser Politikerinnen.
Die angegriffene Wagenknecht kommt in dem taz-«Artikel» selbst nicht einmal zu Wort. Zugleich bleiben selbst abstruseste Äusserungen der Linke-Politikerinnen unwidersprochen. So werfen diese Wagenknecht allen Ernstes vor, sie hätte mit ihrer Bundestagsrede «Putin in die Hände gespielt und die Redezeit für rechtsoffene populistische Plattitüden verschwendet». Derlei angriffslustiges «Geschwurbel» kennt man ja als jemand, der oder die die Corona-Politik sachlich kritisiert, nur zu gut ...
Und damit nicht genug, zwei Tage zuvor hatte Stefan Reinecke, Korrespondent im Parlamentsbüro der taz, mit seinem Kommentar «Schlimmer geht immer» schon «vorgeheizt», indem er tönte, «Sahra Wagenknecht betreibt in ihrer Rede im Bundestag AfD-Rhetorik. Dass Teile der Linksfraktion applaudieren, zeigt deren Orientierungsverlust.»
Bei soviel, mit Verlaub, Dünnsinn mag man gar nicht mehr gegenanargumentieren, um aufzuzeigen, dass allein die taz hier unter Orientierungsverlust leidet, sondern als Ergänzung zum anfänglichen Nietzsche-Zitat nur noch mit Heinriche Heine schliessen. Schrieb der deutsche Dichter, Schrifsteller und Journalist ja 1844:
«Denk ich an Deutschland in der Nacht. dann bin ich um den Schlaf gebracht.»
"Feinde der Ukraine" – Wie eine Webseite ungehindert Todeslisten und Mordaufrufe veröffentlicht
Eine ukrainische Webseite droht Tausenden Menschen mit außergerichtlichen Tötungen. In den vergangenen acht Jahren haben die unbekannten Webseitenbebetreiber Hunderttausende Personen ohne Gerichtsverfahren kurzerhand zu Verbrechern erklärt.
Unter den auf der Webseite Mirotworez (Friedensstifter) aufgelisteten Personen finden sich nicht nur russische Staatsbürger, sondern auch ukrainische Oppositionelle und Blogger, europäische Politiker und US-Bürger. Die Aufnahme in diese Liste ist zumindest ein Stigma, mit dem das Leben in der Ukraine erschwert wird. Die kann aber auch als Rechtfertigung für eine Inhaftierung oder in manchen Fällen sogar für eine Tötung dienen. Genau das ist vor rund zwei Wochen Daria Dugina widerfahren, der Tochter des bekannten russischen Philosophen Alexander Dugin, dessen Name ebenfalls auf dieser Liste zu finden ist.
RT erklärt, was hinter Mirotworez steckt, deren Betreiber versuchen, mit Hilfe von außergerichtlichen Tötungen "Frieden" in ihr Land zu bringen und warum die ukrainischen Behörden trotz Verurteilung durch die internationale Gemeinschaft nichts dagegen unternommen haben.
Was ist Mirotworez?
Die Startseite der ukrainischen Webseite Mirotworez verkündet, dass die Plattform ein "Zentrum für die Erforschung von Verbrechen gegen die nationale Sicherheit der Ukraine, den Frieden, die Menschlichkeit und das Völkerrecht" sei. Es behauptet ferner, von einer Gruppe von Akademikern, Journalisten und anderen Spezialisten betrieben zu werden. Ihre Namen sind jedoch niemandem bekannt und die Plattform selbst wurde in der Ukraine noch nicht einmal offiziell registriert.
Dennoch ist dieses "Zentrum" seit August 2014 aktiv. Und obwohl man sich als "unabhängiges, nichtstaatliches Medium" positioniert, waren Regierungsbeamte an seiner Gründung beteiligt. Tatsächlich entstand die Webseite auf Initiative von Anton Geraschtschenko, einem ehemaligen Berater des ukrainischen Innenministers und heutiger Berater von Wladimir Selenskij.
Die Aktivitäten von Mirotworez laufen darauf hinaus, private Informationen über Personen zu veröffentlichen, die von den Administratoren der Webseite, auf die eine oder andere Weise als Bedrohung für die ukrainische Staatlichkeit betrachten. Die Betreiber der Webseite fordern zudem die Strafverfolgungsbehörden des Landes auf, die personenbezogenen Daten und Aktivitäten der aufgelisteten Personen zur Kenntnis zu nehmen. Allerdings nehmen auch Radikale manchmal die Listen von Mirotworez zur Kenntnis.
Jedes Mal, wenn jemand, der das Pech hatte, dass seine Privatadresse oder andere private Daten auf der Webseite publiziert wurden und anschließend tot aufgefunden wird, werden die Daten dieser Person aktualisiert: Der Name des Getöteten erscheint neu in hellen, flackernden Buchstaben, die an ein Casino in Las Vegas erinnern und das Foto der Person wird mit der Aufschrift "liquidiert" versehen.
So zeigt es sich beispielsweise auf der aktuellen Unterseite bei Mirotworez, auf der die Daten der russischen Journalistin Darja Dugina publiziert wurden, die vor rund zwei Wochen mit einer Autobombe in ihrem eigenen Wagen brutal ermordet wurde.
Trotz der Beschuldigung durch den russischen Inlandsgeheimdienst FSB bestreitet die Ukraine jegliche Beteiligung an diesem Mord. Auf Mirotworez wird der Duginas Ermordung jedoch mit einem kurzen, entmenschlichenden Kommentar beschrieben und mit einer Verschwörungstheorie ergänzt: "Liquidiert von den Sonderdiensten des faschistischen Russlands aufgrund von artenübergreifenden Meinungsverschiedenheiten."
Wer kommt auf die Liste von Mirotworez und wie?
Laut den Betreibern der Webseite "sind die vom Mirotworez-Zentrum verwendeten Informationsquellen öffentlich verfügbare Daten, die gedruckt und in sozialen Netzwerken, Webpublikationen, privaten Webseiten, Foren und Blogs sowie in Rundfunk- und Fernsehsendungen veröffentlicht wurden."
Allerdings, so simpel ist das nicht. Im Jahr 2017 führte die Webseite ihr System zur Gesichtserkennung namens IDentigraF, das laut der Betreiber des Zentrums von Spendern aus 40 Ländern finanziert wurde. Diese Datenbank enthält mehr als 2 Millionen Bilder von "Personen, die Verbrechen gegen die Ukraine und ihre Bürger begangen haben" sollen.
Darüber hinaus gehörten bis 2016 das ukrainische Innenministerium, der Sicherheitsdienst der Ukraine (SBU) und andere Strafverfolgungsbehörden des Landes zu den Partnern von Mirotworez.
Man kommt nicht umhin zu schlussfolgern, dass die personenbezogenen Daten jener Personen, die im "Fegefeuer" gelandet sind, nicht ausschließlich aus sozialen Netzwerken und Medien stammen. "Fegefeuer" ist ein so benannter Bereich der Webseite, in dem personenbezogene Daten einschließlich Adressen, Telefonnummern und privaten Dokumenten veröffentlicht werden.
Mit Stand von 2019, jenem Jahr, in dem der bisher letzte Mirotworez-Bericht veröffentlicht wurde, enthielt die Webseite Daten von "mehr als 30.000 russischen Kriegsverbrechern; von mehr als 70.000 Terroristen; Militanten; Söldnern; Mitgliedern illegal bewaffneter Formationen und Privatarmeen, die vom russischen Aggressor kontrolliert werden; etwa 40.000 flagranten Verletzern der ukrainischen Staatsgrenzen; mehr als 44.000 Verrätern des Vaterlandes; sowie mehr als 6.000 antiukrainische Propagandisten". Die Liste ist nicht abschließend.
Innerhalb von fünf Jahren wurden fast 200.000 Menschen zu "Kriminellen" erklärt.
Die oben genannten Zahlen sind jedoch bei weitem nicht vollständig, da die Webseite weiterhin täglich personenbezogene Daten sammelt. Erst kürzlich wurden Teilnehmer an Russlands militärischer Sonderoperation zur Entmilitarisierung der Ukraine sowie russische Politiker in die Liste aufgenommen. Wenn auch "in unzureichendem Maße", so die Macher der Webseite.
Schuldvermutung
Die Schöpfer von Mirotworez behaupten, dass das Zentrum "seine Aktivitäten in strikter Übereinstimmung mit der geltenden Gesetzgebung der Ukraine und den vom Staat ratifizierten internationalen Rechtsakten durchführt". Als Beispiel verweisen sie auf Artikel 17 der Verfassung der Ukraine, der die Bürger verpflichtet, die Souveränität und territoriale Integrität des Landes zu schützen.
Zur rechtlichen Begründung seiner Aktivitäten bezieht sich Mirotworez auf die Gesetze zu Information, Terrorismus und Privatsphäre sowie auf das 1981 verabschiedete "Übereinkommen zum Schutz des Einzelnen bei der automatisierten Verarbeitung personenbezogener Daten". Allerdings wurden die oben erwähnten Gesetzartikel und Gesetzestexte sehr selektiv ausgewählt, wobei der Schwerpunkt auf den "Schutz der Sicherheit des Staates" gelegt wurde.
Rechtlich gesehen ist das Vorgehen von Mirotworez sehr zweifelhaft. Zunächst einmal ist eines der Grundprinzipien der Justiz die Unschuldsvermutung, die sich insbesondere in der "Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten" des Europarates widerspiegelt.
Zu den Verbrechen, über die Mirotworez Daten sammelt, gehören "Angriff auf die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine; Varrat am Vaterland; Unterstützung von Militanten und Terroristen; Verbreitung von Kriegspropaganda; Aufstachelung zu ethnischem Hass; Faschismus; Antisemitismus". Zwar handelt es sich hierbei allesamt um Tatbestände, die im Strafgesetzbuch der Ukraine enthalten sind, allerdings darf nur ein Gericht eine Person solchen Taten für schuldig erklären, während Mirotworez keine solche Befugnis hat.
Nicht nur beschuldigt Mirotworez Personen "Verbrechen" begangen zu haben, sondern nimmt auch abstraktere "Straftaten" in seine Liste der "Verbrechen" auf, wie das Produzieren "anti-ukrainischer Propaganda" und die "Teilnahme an anti-ukrainischen Propagandaveranstaltungen". Diese Liste enthält sogar einen Abschnitt, der den "Einflussagenten der russisch-orthodoxen Kirche in der Ukraine" gewidmet ist. Solche Bereiche werden jedoch durch Artikel 9 bis 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention über die Meinungs-, Gewissens-, Religions-, Gedanken-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit geregelt. Die Betreiber des Mirotworez-Zentrums versuchen im Wesentlichen, Menschen, deren Meinungen und Überzeugungen ihnen nicht passen, ihres Rechts auf Meinungsäußerung zu berauben.
Darüber hinaus gibt es im Abschnitt "Über Interaktion und Zusammenarbeit mit dem Zentrum" auf der Webseite ein Formular für die Meldung privater Informationen über "Kriminelle" und ihre Angehörigen, das Eingabefelder für Adressen, Telefonnummern, Fotos und Links zu Profilen in sozialen Netzwerken enthält und eines für ihre "Verbrechen", das heißt, für ihre Einstufung als "militant" oder "terroristisch" – und das alles ohne polizeiliche Ermittlungen oder Gerichtsverfahren.
Die öffentlich zur Schau gestellten "Kriminellen" wissen in der Regel nicht, dass sie sich zusammen mit ihren Frauen, Kindern und Eltern im sogenannten "Fegefeuer" befinden, geschweige denn, dass ihnen die Möglichkeit gegeben wird, sich zu verteidigen oder ihre Ankläger zu konfrontieren.
Ein Skandal in der Adelsfamilie
Solange Mirotworez sich darauf beschränkte, Informationen über ehemalige ukrainische Bürger, die auf der Krim und im Donbass leben, über ukrainische Oppositionspolitiker und Journalisten sowie über russische Bürger und Offizielle zu veröffentlichen, blieb die abscheuliche Organisation in der vermeintlich zivilisierten Welt unbemerkt. Im Jahr 2016 kam es jedoch zu einem Skandal, als Mirotworez Daten über Angestellte einer Vielzahl westlicher Medien veröffentlichte, darunter Mitarbeiter von BBC, Reuters, Al Jazeera, AFP, Le Monde, The Guardian, Le Figaro, France 24, El Mundo, CBS News, CNN, Sky News, The Daily Telegraph, The Times, Cheska Televize, Radio France, Channel 9 Australia, Associated Press, Japan TV, Daily Mail, Die Welt, Washington Post und New York Times sowie von Vertretern von Human Rights Watch und weiteren Organisationen. Angeprangert wurden die Personen wegen "Kooperation mit einer terroristischen Organisation". Gemeint waren mit anderen Worten: Die Volksrepubliken Donezk und Lugansk.
Elizabeth Trudeau, die damalige Sprecherin des US-Außenministeriums, kommentierte, dass die USA über die Veröffentlichung persönlicher Daten über Journalisten, die sich im Krisengebiet aufhalten, sehr besorgt seien.
"Es ist einfach inakzeptabel, dass Journalisten für das, was sie sagen oder schreiben, bedroht werden. Regierungen sollten alles tun, um die Sicherheit von Journalisten zu gewährleisten. Zudem verschlimmerte eine Welle von Onlinebelästigungen die Situation dieser Journalisten zusätzlich", bemerkte Dunja Mijatović, Vertreterin der OSZE für Medienfreiheit.
Neben Journalisten und Menschenrechtsaktivisten haben es auch Politiker in die Datenbank von Mirotworez geschafft. Die Webseite veröffentlichte Informationen über Abgeordnete des Deutschen Bundestages, die auf die Krim gereist waren, darunter Eugen Schmidt, Rainer Balzer, Gunnar Lindeman, Harald Laatsch, Nic Vogel und Helmut Seifen.
Zehn US-Bürger sowie der französische Schauspieler Samy Naceri wurden wegen derselben "Vergehen" ins "Fegefeuer" verbannt. Zu den "Feinden der Ukraine" aus Griechenland gehören laut Mirotworez der frühere Energieminister Panagiotis Lafazanis, der Karikaturist Stathis Stavropoulos, der pensionierte Generalleutnant der griechischen Luftwaffe Pavlos Christou und der Redakteur des englischsprachigen Onlineportals Russian Athens Pavel Onoiko. Die Daten des ehemaligen griechischen Premierministers Alexis Tsipras, der die Krim ebenfalls besuchte hatte, wurden aus der Datenbank entfernt, nachdem er seine Unterstützung für Petro Poroschenko zum Ausdruck gebracht hatte.
Auch weitere Spitzenpolitiker sind in den Listen von Mirotworez vertreten. Der ehemalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder findet sich dort, während der kroatische Präsident Zoran Milanović, der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán sowie der respektierte und altgediente US-amerikanische Diplomat Henry Kissinger kürzlich ebenfalls hinzugekommen sind.
Eine Aufnahme in die Liste von Mirotworez diente als Rechtfertigung für Drohungen, die sich nicht nur gegen gewöhnliche Bürger und Journalisten, sondern auch gegen Politiker richteten. Wie der berüchtigte und kürzlich abberufene ukrainische Botschafter in Deutschland Andrei Melnyk schrieb: "Eine unverantwortliche Reise mehrerer Möchtegern-Abgeordneter kann sehr, sehr unglückliche rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Schade, dass unsere Warnungen immer noch nicht ernst genommen werden. Nun, wir werden sehen."
Benjamin Moreau, stellvertretender Leiter der UN-Überwachungsmission für Menschenrechte in der Ukraine, betonte, dass sich das Problem von einem rein rechtlichen zu einem praktischen verlagere: Einige Banken weigern sich zum Beispiel, Kredite an Personen zu vergeben, die in der Mirotworez-Datenbank aufgelistet sind.
Der Aufruhr um die Ermordung des Oppositionspolitikers Oleg Kalaschnikow und des Journalisten Oles Buzina, nachdem in der Datenbank von Mirotworez ihre Adressen veröffentlicht worden waren, ist weithin bekannt. Natürlich bedeutet das Wort "nachdem" nicht unbedingt "aufgrund" – aber die Macher hinter Mirotworez spielten mit. Als Kommentar zu diesen beiden Morden schrieben sie: "Agent 404 hat sich erneut ausgezeichnet. Für den erfolgreichen Abschluss des heutigen Kampfeinsatzes wurde ihm kurzfristig Urlaub gewährt."
Die nicht erfolgte Abschaltung von Mirotworez
Wiederholt wurde die Abschaltung der Webseite Mirotworez gefordert. Im Jahr 2018 schloss sich das offizielle Deutschland dem Chor von Journalisten und Menschenrechtsaktivisten an, die gegen die Aufnahme von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder in die Datenbank protestierten. Nach Angaben des Ministerkabinetts "verurteilt die Regierung der Bundesrepublik Deutschland Mirotworez auf das Schärfste und fordert die ukrainische Regierung und die Behörden auf, bei der Entfernung der Daten von Gerhard Schröder mitzuwirken".
Im Februar 2021 verabschiedete das Europäische Parlament einen Beschluss, in dem es heißt: "Das Europäische Parlament bedauert, dass sich das politische Klima in der Ukraine verschlechtert hat, dass Einschüchterung, Hassreden und politischer Druck in großem Umfang für politische Zwecke eingesetzt werden und fordert die ukrainischen Behörden nachdrücklich auf, die Aktivitäten extremistischer und hasserfüllter Gruppen und Webseiten wie Mirotworez, die Spannungen in der Gesellschaft schüren und personenbezogene Daten von Tausenden von Menschen, darunter Journalisten, Politiker und Angehörige von Minderheitengruppen, missbrauchen, scharf zu verurteilen und zu verbieten."
Aber bisher beschränkten sich die Forderungen nach der Abschaltung von Mirotworez auf einen Chor von Journalisten, Menschenrechtsverteidigern und Parlamentariern, denen es an der Macht fehlt, rechtsverbindliche Entscheidungen in Bezug auf die Ukraine zu treffen. Das Thema "Abschaltung von Mirotworez" steht nicht auf der Liste der Anforderungen des Europarates und der Europäischen Kommission, die Kiew erfüllen muss, um das EU-Assoziierungsabkommen umzusetzen. Die Erteilung europäischer und amerikanischer Finanzhilfen an die Ukraine zur Durchführung von Reformen wurde weder von einer Abschaltung Mirotworez' abhängig gemacht noch wurden Maßnahmen ergriffen, um Druck auf die Kiewer Behörden auszuüben, damit die Privatsphäre und die Unschuldsvermutung respektiert werden.
Während die Regierungsbehörden im Westen ein Auge zudrückten, konnte die ukrainische Regierung die Aktivitäten der skandalösen Webseite ignorieren und wies Forderungen von internationalen Menschenrechtsverteidigern stets mit verschiedenen Vorwänden zurück. Als Reaktion auf die Forderung der Vereinten Nationen nach Abschaltung von Mirotworez antwortete beispielsweise Dmitry Rasumkow, ehemaliger Sprecher des ukrainischen Parlaments, dass die Werchowna Rada nicht befugt sei, Medien abzuschalten.
Wenn die ukrainischen Behörden jedoch bestimmte Medien abschalten wollen, zögern sie nicht. Beispielsweise gewährte der Nationale Sicherheits- und Verteidigungsrat dem Präsidenten die Befugnis neben anderen Medien die oppositionellen Fernsehsender 112 Ukraine, NewsOne und ZIK und anschließend First Independent UKRLIVE sowie eine Online-Publikation namens Strana abzuschalten.
Die Webseite Mirotworez ist bis heute aktiv und wurde, während Sie dies hier gelesen haben, mit neuen Daten aktualisiert.
RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
12.09.2022
"Handelt unter Druck von außen": Ungarischer Politiker sieht EU als Verlierer im Ukraine-Konflikt
Die Europäische Union kann sich nach Ansicht des ungarischen Parlamentspräsidenten bereits jetzt als Verliererseite im Ukraine-Konflikt betrachten. Denn Brüssel handele "unter dem Druck von außen" gegen seine grundlegenden wirtschaftlichen Interessen, so László Kövér.
Die Europäische Union habe durch ihren Umgang mit der Situation in der Ukraine schweren politischen und wirtschaftlichen Schaden erlitten und könne bereits zum Verlierer des Konflikts erklärt werden, meint László Kövér, Präsident der ungarischen Nationalversammlung.
Kövér, der Mitglied der Fidesz-Partei von Ministerpräsident Viktor Orbán ist, warf zudem Brüssel vor, den Konflikt nicht mit politischen Mitteln verhindert zu haben, sodass es "nicht in der Lage ist, den Frieden auf diplomatischem Wege wiederherzustellen". Der ungarische Parlamentspräsident führte an:
"Unter dem Druck von außen handelt die EU gegen ihre grundlegenden wirtschaftlichen Interessen und sollte bereits als Verlierer betrachtet werden, unabhängig davon, welche der direkt an den Kämpfen beteiligten Parteien sich zum Sieger erklären wird."
Mächte außerhalb Europas versuchten, die Mitglieder der europäischen Staatengemeinschaft zu "militärischer Verwundbarkeit, politischer Unterwerfung, wirtschaftlicher und energetischer Handlungsunfähigkeit, finanzieller Verschuldung und sozialer Desintegration" zu drängen, so Kövér weiter. Und Brüssel helfe ihnen, dieses Ziel zu erreichen.
Die EU kämpft mit steigenden Erdgaspreisen, drohenden Energieengpässen im Winter und einer steigenden Inflation infolge der Sanktionen, die die Staatengemeinschaft gegen Russland wegen dessen Militäroperation in der Ukraine verhängt hatte.
Brüssel hatte sich damit weitgehend der Vorgehensweise der USA angeschlossen und versucht, Russland durch Sanktionen zu schwächen. Zugleich versorgt es Kiew mit Waffen und finanzieller Hilfe.
Ungarn selbst hat sich seit dem Ausbruch der Kämpfe Ende Februar relativ neutral verhalten. Es hat sich geweigert, Waffen an die Ukraine zu liefern, und kritisiert die EU-Sanktionen gegen Moskau. Budapest bezeichnet die Strafmaßnahmen als schlecht durchdacht und selbstzerstörerisch. Das EU-Mitglied, das in hohem Maße von russischer Energie abhängig ist, konnte für sich selbst eine Ausnahme von EU-weit geltendem Verbot für Importe von russischem Öl aushandeln.
Vergangene Woche hatte sich Budapest bei einem Krisentreffen der für Energie zuständigen EU-Minister auch gegen einen EU-weit gültigen Preisdeckel für Gas aus Russland ausgesprochen.
Tschechiens Europaminister Mikuláš Bek hatte vergangene Woche gewarnt, dass Ungarns Haltung gegenüber Russland theoretisch mit dem Austritt aus der Staatengemeinschaft enden könnte. Tschechien hat derzeit den Vorsitz im EU-Rat inne. Ungarn "hat einen langen Weg zurückgelegt und ist an den Rand eines Abgrunds gelangt, und nun muss es sich entscheiden, ob es von diesem Rand zurückgehen oder einen Sprung riskieren will", so Bek.
Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
12.09.2022
Russischer Botschafter in Berlin: Deutschland hat mit der Lieferung tödlicher Waffen an Kiew eine rote Linie überschritten. „Der Rubikon ist überschritten“
In einem Interview mit der russischen Zeitung Iswestija erklärte Sergej Netschajew, Botschafter der Russischen Föderation in Deutschland, dass Deutschland mit der Lieferung tödlicher Waffen an Kiew eine rote Linie überschritten hat.
Die Lieferung tödlicher Waffen an die Ukraine ist sei in mehrfacher Hinsicht problematisch.
Sergej Netschajew, Botschafter der Russischen Föderation in Deutschland:
„Die Tatsache, dass tödliche deutsche Waffen sich nicht nur gegen russische Soldaten, sondern auch gegen die Zivilbevölkerung des Donbass richten, ist eine rote Linie, welche Deutschland nicht hätte überschreiten sollen.“
Er verwies dabei auf die „moralische und historische Verantwortung Deutschlands für die Verbrechen des Nazismus im Zweiten Weltkrieg“.
Das Vollpumpen der Ukraine mit Waffen, wie es NATO-Verbündete von Deutschland forderten, sei ein Weg ins Nichts, der nur die Anzahl der Opfer erhöht.
Der Prozess der Aussöhung zwischen den Völkern der Russischen Föderation und Deutschlands sei einer „Erosion“ ausgesetzt. Russlands Botschafter sieht auch keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die aggressive Rhetorik der Politik Deutschlands gegenüber Russland in der nächsten Zukunft ändern werde.
Deutschland habe im Zuge der Ukraine-Krise die guten bilateralen Beziehungen zu Russland zerstört und höhle den Versöhnungsprozess zwischen den Völkern aus.
Laut Netschajew ist Deutschland eine der treibenden Kräfte der westlichen Sanktionspolitik gegen Russland. Deswegen sprach er Berlin eine Vermittlerrolle in dem Konflikt ab.
Betrügen und betrogen werden, nichts ist gewöhnlicher auf Erden. Johann Gottfried Seume
Liebe Leserinnen, liebe Leser
Was würden wir tun, wenn es keine Datenlecks oder Whistleblower gäbe? Auf diesem Weg sind schon einige «Pandemie»-Manipulationen ans Licht gekommen; auch sickert immer wieder mal durch, welche Hauptakteure Dreck am Stecken haben.
Da man bei der Aufdeckung dieser Skandale nicht mehr auf die Politik, die Justiz, die Staatssicherheitskräfte oder den Mainstream zählen kann, dauert es zwar etwas länger, bis sich die Wahrheit den Weg durch den abgrundtiefen Morast bahnt, aber dank aufmerksamer und hartnäckiger «Schwurbler» gelingt es dann doch.
Anfang September enthüllte der Unternehmer Steve Kirsch in seinem Newsletter einen solchen Fall. Mehr als acht Monate hatte ein Leser versucht, ihn auf ein Datenleck bei der EMA (Europäische Arzneimittelagentur) und ein Video aufmerksam zu machen, die klarmachen, warum es verboten ist, die «Impfstoffe» zu analysieren.
Auch die höchst fragwürdige Rolle, die Behörden wie die EMA oder die FDA (US Food and Drug Administration) bei der Zulassung der experimentellen Präparate übernehmen, werden detailliert unter die Lupe genommen.
Nachdem sich Kirsch das kurze und gut gemachte Video endlich angeschaut hatte, kam er zu einem Schluss: Die brisanten Ergebnisse stimmten mit all dem überein, was er und andere schon lange vermutet hatten: Der Inhalt der Fläschchen ist unterschiedlich und die mRNA ist nicht intakt.
«Es ist ein Glücksspiel, was man in seinem Fläschchen hat», urteilt Kirsch.
Sowohl die EMA als auch die FDA hätten das gewusst, diese Information aber der Öffentlichkeit vorenthalten. Denn wenn sie bekannt geworden wäre, hätte sich niemand die «Impfstoffe» verabreichen lassen, betont der Unternehmer. Genau das sei auch der Grund, warum die Behörden niemandem erlauben, den Inhalt der Ampullen zu analysieren.
Das Datenleck bei der EMA hat sich vor zwei Jahren ereignet. Im März 2021 widmete das Fachmagazin BMJ dem Thema einen Artikel. Dieser bestätigt, dass sowohl die EMA als auch die FDA Kenntnis von der stark beeinträchtigten mRNA-Integrität (zwischen 78% und 55%) hatten. Diese sollte 100% betragen, wenn man einen wirksamen und sicheren Impfstoff wolle, erläutert Kirsch.
BMJ fragte bei Pfizer, Moderna und CureVac sowie mehreren Regulierungsbehörden an, aber niemand machte konkrete Angaben. Es gebe kein Sicherheitsrisiko, wiegelten sie ab.
Doch wie das Video und der Artikel von Kirsch aufdecken, entspricht dies nicht der Wahrheit. Letztendlich bieten die «Impfstoffe» keinerlei Schutz, noch schlimmer: Sie können dem Immunsystem «erheblich schaden». Diese Fakten wurden von der EMA und der FDA konsequent vertuscht.
Die Impfstoffhersteller gingen ebenso unehtisch, wenn nicht sogar betrügerisch vor. So hat Pfizer nicht darüber aufgeklärt, dass die kommerziellen «Impfstoffe», die Menschen weltweit verabreicht werden, eine geringere mRNA-Integrität aufweisen als die in ihren Studien verwendeten. Zudem wurden Personen mit schwachem Immunsystem ausgeschlossen. Insgesamt seien die Studien stark manipuliert worden, so Kirsch.
Das erklärt auch, warum die Mitglieder des Europäischen Parlaments die Verträge mit den Impfstoffherstellern nicht lesen durften (nur stark redigierte Versionen). Ohne das Datenleck bei der EMA und engagierte «Schwurbler» hätten wir darüber nie etwas erfahren.
Übrigens variiert die mRNA-Integrität von Land zu Land, wie Kirsch verrät. Deshalb überrascht es nicht, dass sich der spanische Mainstream derzeit strikt weigert, angesichts der stark erhöhten Sterblichkeit im Land, die richtige Frage zu stellen. Diese lautet: Sind die «Impfungen» schuld am «unerwarteten» Tod tausender Menschen? Von Januar bis Ende August 2022 waren es über 30’000 (hier, hier, hier und hier).
Doch wer dem ahnungslosen Volk während der «Pandemie» skrupellos die heilbringende und lebensrettende «Immunisierung» versprochen hat, kann sich nicht erlauben, der Wahrheit auf den Grund zu gehen.
Mehr zur Gefährlichkeit der unterschiedlichen Chargen: Wolfgang Wodarg: «Das alles war nie erlaubt und stellt ein Verbrechen dar».
Herzlich
Wiltrud Schwetje
Neuste Artikel:
Laut Putin zerstören die Sanktionen auch den Westen In seiner Rede am Ostwirtschaftsforum in Wladiwostok erklärte der russische Präsident, dass die Sanktionen dazu dienen, den unvermeidlichen Niedergang der US-Hegemonie und das Entstehen einer multipolaren Weltordnung zu verzögern. → Weiterlesen
Achgut: Wenig Wind durch Windkraft heißt Dürre und Starkregen „Häufung der Dürresommer eine Folge der Klimakrise“ meldet der Bayerische Rundfunk unter der Rubrik „Wissen“. Der Südwestrundfunk präsentiert „Fakten“ zum Dürresommer 2022 mit der Überschrift „Klimawandel und die Folgen“. Die Öffentlich-Rechtlichen heben die These vom überragenden Einfluss eines menschengemachten Klimawandels auf die diesjährige Dürre in den Stand einer absoluten Wahrheit. → Weiterlesen
ntv: Kiew beklagt zögerlichen IWF Neben der massiven militärischen Hilfe braucht die Ukraine angesichts des Wirtschaftseinbruchs wegen des Krieges dringend Geld. Ministerpräsident Schmyhal zeigt sich dabei unzufrieden mit dem Einsatz des Internationalen Währungsfonds. → Weiterlesen
tkp: Studie: Auswirkungen von mRNA-Interventionen können sogar vererbt werden Es zeigt sich immer mehr, dass derzeit laufenden Impfkampagnen mit den mRNA-Präparaten Langzeitrisiken verursachen, die noch für nächste Generationen unabsehbare Folgen haben können. Behauptungen, dass die verimpften Spike-Proteine und die kationischen Lipid-Nanopartikel schon nach einigen Tagen verschwinden, sind falsch. → Weiterlesen
apolut: Gericht bestätigt außerordentliche Kündigung einer maßnahmenkritischen Wissenschaftlerin Diplom-Biomathematikerin Jeanette Bahr ist seit 2002 an der Universitätsmedizin Greifswald beschäftigt. Sie befasst sich in ihrer Arbeit mit der Auswertung klinischer Studien. Im Februar 2022 wurde sie aufgrund zweier Reden auf maßnahmenkritischen Demos von ihrem Arbeitgeber außerordentlich gekündigt. Nun bestätigt ein Arbeitsgericht die Kündigung und unterstellt Frau Bahr die Aufstellung falscher Tatsachen, darunter ihre Behauptung, die Covid-19 Impfungen seien “neuartig und nicht ausreichend getestet.” → Weiterlesen
Rubikon: Ideologie und Wirklichkeit Ob „Klimaschutz“, „Pandemiebekämpfung“ oder „Great Reset“ — immer wieder werden von verschiedenen Gremien, Regierungen oder internationalen Vereinigungen Ideologien ausgegeben und den Menschen im globalen Maßstab aufgezwungen. Dabei ist jedoch auffällig, dass diejenigen, die diese Ideologien verbreiten, sich selbst nicht an sie gebunden fühlen. → Weiterlesen
unser Kommentar: Das stigmatisierte Begriff ein "Schwurbler" sein, wer will das schon, wenn sich keiner mehr die Mühe macht auch auf den Inhalt des Gesagten zu blicken, sobald man abgestempelt ist. Die Abstraktion der Botschaft zu Gunsten wissenschaftlicher Präzision, unter Vermeidung von Fallbeispielen, wird dann zum letzten erlaubten Schritt vor dem Verbot.
11.09.2022
Energiemangel: Wut auf Deutschland wächst
"Es liegt in der Verantwortung aller Länder, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um die Verfügbarkeit der Energieerzeugung zu gewährleisten", sagte EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton am Donnerstag (8. September) nach einem Treffen mit der Bundesregierung in Berlin. [EPA-EFE/MARTIN DIVISEK]
Während Europa auf den Winter zusteuert, werden Forderungen laut, jedes verfügbare Watt Strom in das europäische Netz einzuspeisen. Deutschland hält derweil an der Abschaltung seiner letzten Atomreaktoren fest und sorgt damit für zunehmende Frustration bei seinen Nachbarn.
Zitat: Während Deutschland sich darauf vorbereitet, seine letzten verbliebenen Atomreaktoren abzuschalten, fordern EU-Beamte die EU-Führung auf, dafür zu sorgen, dass jedes einzelne Joule an Energie vor der drohenden Energiekrise im kommenden Winter mobilisiert wird.
Im Jahr 2011 verpflichtete sich Deutschland zu einem zweistufigen Ausstieg aus der Kernenergie, indem es drei Reaktoren im Jahr 2021 und drei weitere im Jahr 2022 abschaltete.
Die immer lauter werdenden Rufe, die Reaktoren angesichts der anhaltenden Energiekrise weiterlaufen zu lassen, wurden von Berlin weitgehend ignoriert, obwohl einige diese Politik als einen Solidaritätsbruch bezeichneten.
„Es liegt in der Verantwortung aller Länder, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um die Verfügbarkeit der Energieerzeugung zu gewährleisten“, sagte EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton am Donnerstag (8. September) in Berlin.
Bretons Erklärungen fielen in dieselbe Woche, in der Deutschland die endgültige Entscheidung traf, seine drei verbleibenden Atomreaktoren abzuschalten.
Breton lehnte es zwar ab, „den Energiemix einzelner Länder zu kommentieren“, lobte aber Belgien dafür, dass es seinen eigenen Atomausstieg verzögert hat.
„Ich möchte sicherstellen, dass wir alles bereitstellen können, um den Winter zu überstehen“, sagte er. „Ich halte es für wichtig, dass jedes Land, das dazu in der Lage ist, für diesen Zeitraum alles tut, was es kann. Und das ist auch eine Frage der Solidarität.“
Im Juli sagte Breton dem Handelsblatt, es sei „extrem wichtig, die drei deutschen Kernkraftwerke, die noch in Betrieb sind, länger laufen zu lassen.“
Eine Frage der Solidarität Am Montag beschloss Berlin, zwei seiner Atomreaktoren für vielleicht Monate einzumotten, obwohl zahlreiche Experten darauf bestanden, sie weiterlaufen zu lassen, während der dritte komplett abgeschaltet und durch schwimmende Ölkraftwerke ersetzt werden soll.
Für die Bundesregierung ist damit eine lang gehegte Ambition in Erfüllung gegangen. Für die Grünen war es ein Sieg, mit dem sie ihrer Parteibasis zeigen konnten, dass sie trotz der Reaktivierung von Kohlekraftwerken und des beschleunigten Ausbaus der Infrastruktur für die Einfuhr fossiler Brennstoffe für ihre Grundüberzeugungen einstehen.
Die Entscheidung war nicht überall beliebt. „Wenn Deutschland keine Verantwortung für seine Energiesicherheit übernimmt, werde ich unserer Regierung vorschlagen, das Ostseekabel zu kappen“, kommentierte Take Anstoot von den schwedischen Grünen.
„Solidarität funktioniert nur, solange niemand sich selbst Schaden zufügt“, fügte er hinzu.
Da die deutschen Atomreaktoren mitten im Winter vom Netz gehen, sind deutsche Politiker besorgt, dass das Ansehen ihres Landes Schaden nehmen könnte.
Eine von den Netzbetreibern durchgeführte Analyse ergab, dass die Auswirkungen des Weiterbetriebs der Reaktoren im Ausland größer wären als im Inland. Das Szenario sieht für Deutschland Gaseinsparungen im Wert von 0,9 Terawattstunden im Inland und 1,5 im Ausland vor.
„Die Verärgerung bei unseren europäischen Nachbarn ist seit Monaten groß“, erklärte der EU-Parlamentarier Peter Liese am Dienstag.
„Die deutsche Entscheidung, gerade jetzt die letzten Atomkraftwerke vom Netz zu nehmen, macht den Strom auch für unseren Nachbarn teurer“, fügte er hinzu.
Die EU-Energieminister werden sich am Freitag treffen, um über Maßnahmen gegen den „Wahnsinn“ auf dem Strommarkt zu beraten, wie es der österreichische Bundeskanzler Nehammer ausdrückte.
Österreich fordert Entkopplung von Gas- und Strompreisen Die österreichische Bundesregierung fordert die Entkopplung der Gas- von der Strompreisgestaltung. Grund dafür sei die Art und Weise, wie der EU-Strommarkt funktioniere, was dazu führe, dass die Preise aufgrund der rekordhohen Gaskosten weiter ansteigen würden.
Gasmangel Deutschland, die größte Volkswirtschaft der EU, ist auch am stärksten von russischem Gas abhängig, was es der EU erschwerte, auf Russlands Einmarsch in der Ukraine stärker zu reagieren.
Um den Einfluss des Kremls auf Berlin zu verringern, kaufte Deutschland jedes Gasmolekül auf, das es finden konnte, und subventionierte den Kauf von Flüssiggas in großem Umfang mit kostenlosen Krediten in Milliardenhöhe.
Heute sind die deutschen Gasspeicher zu rund 87 Prozent gefüllt. Aber auch dies hat sich nicht als die beliebteste Politik erwiesen.
„Der Gaspreis ist in die Höhe geschossen. Und warum? Weil Deutschland nach dem 23. Juli sehr viel Gas gekauft hat, als sie sagten, dies sei die zweite Phase des Alarms“, erklärte der liberale EU-Abgeordnete Nils Torvald aus Finnland bei einer EURACTIV-Veranstaltung am Dienstag.
„Das schadet vielen unserer Mitgliedsstaaten, und zwar sehr“, fügte der Finne hinzu.
Islamische Welt findet Ausweg zur Abkehr vom Westen: Stichwort Schanghai
pressefreiheit.rtde.tech,11 Sep. 2022 13:32 Uhr
Der für Mitte September im usbekischen Samarkand angesetzte Gipfel der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) dürfte, im Westen kaum beachtet, einen politischen Einschnitt darstellen. Denn das Staatenbündnis erweitert sich – und integriert erfolgreich islamische Länder.
Die COVID-19-Quarantäne ist kein Hindernis mehr, Summits – oder multilaterale Gipfeltreffen, sind wieder an der Tagesordnung der diplomatischen Praxis. Zuerst kehrte der Westen zu persönlichen Treffen zurück (EU- und NATO-Gipfel finden schon seit Langem statt), und nun ist der Osten an der Reihe.
Die asiatischen Staats- und Regierungschefs haben sich seit über drei Jahren nicht mehr getroffen, doch in einer Woche findet in Samarkand der Gipfel der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) statt, auf dem sich die Führungskräfte der Organisation zum ersten Mal treffen werden. Bis zum letzten Moment hatte es keine Klarheit darüber gegeben, ob der chinesische Präsident Xi Jinping kommen wird, denn einige Beobachter waren der Meinung, er werde Peking bis zur Tagung der Kommunistischen Partei Mitte Oktober nicht verlassen. Allerdings wurde gestern der Besuch des chinesischen Staatschefs in Kasachstan für die kommende Woche angekündigt, sodass seine Reise nach Usbekistan ebenfalls feststeht.
Das Treffen zwischen Xi und Putin findet zum zweiten Mal in diesem Jahr statt, jedoch zum ersten Mal seit dem Beginn unserer Spezialoperation in der Ukraine. Für den indischen Premierminister Narendra Modi und den pakistanischen Premierminister Shehbaz Sharif wird es in Samarkand das erste Treffen überhaupt sein – für die beiden Nachbarländer, deren Beziehungen mehr als angespannt sind, wird die SOZ zu einer wichtigen Bühne des Dialogs. Die SOZ selbst, zunächst ein russisch-chinesisches Sicherheitsbündnis in Zentralasien (unter Einbeziehung der zentralasiatischen Republiken), wächst schnell über ihr ursprüngliches Format hinaus. Die Organisation umfasst nun vier atomare Mächte, also fast alle nicht westlichen Staaten, die über Atomwaffen verfügen (außer Nordkorea).
In Usbekistan werden die acht Mitglieder der SOZ um eines erweitert – das Beitrittsverfahren Irans wird abgeschlossen sein. Allerdings wird die Organisation nicht lange bei dieser Konstellation verbleiben – die Absicht, Weißrussland von einem Beobachter zu einem vollwertigen SOZ-Mitglied zu machen, steht bereits fest. Und dabei wird es nicht bleiben – weitere Länder, darunter einige einflussreiche, wollen der SOZ beitreten.
In den vergangenen Jahren gab es in der Organisation vier Beobachter (vergleichbar mit Beitrittskandidaten), doch jetzt ist Iran praktisch Mitglied, Weißrussland beginnt mit dem Übergangsprozess, sodass Afghanistan und die Mongolei übrig bleiben. Die Präsenz der US-Truppen in Afghanistan war früher das Haupthindernis für die Aufnahme Afghanistans, doch dieses Problem besteht nun nicht mehr, sodass die Aufnahme Afghanistans in die SOZ zweifellos erfolgen wird, wenn auch nicht sofort und nicht jetzt, sondern nach der Stabilisierung der Lage und der Errichtung eines umfassenden Verwaltungssystems und des friedlichen Lebens (natürlich mithilfe der SOZ-Länder). Die Mongolei darf jederzeit ein gleichberechtigter Teilnehmer werden – keiner der Mitgliedstaaten hat irgendwelche Einwände, doch das Land zögerte bisher selbst und bevorzugte, ein Beobachter zu bleiben. Übrigens, die zunehmende globale Spannung wird sich auch auf Ulaanbaatars Position auswirken – ganz zu schweigen von der Tatsache, dass die Warteschlange der potenziellen SOZ-Mitglieder auch die mongolische Führung dazu veranlassen könnte, aktiv zu werden.
Interessenten an einem Beitritt zur SOZ hatte es schon früher gegeben, in diesem Jahr sind sie jedoch von Worten zu Taten übergegangen. Und die Rede ist nicht nur von den "Dialogpartnern" (ein weiteres Format Interaktion), deren es neun Länder sind: Armenien, Aserbaidschan, Kambodscha, Nepal, Sri Lanka, die Türkei, Katar, Ägypten und Saudi-Arabien. Dabei sind die drei letztgenannten Länder erst vor einem Jahr in den Genuss dieses Status gekommen, wollen ihn aber bereits aufwerten. Das heißt, sie wollen Beobachter werden, um der Organisation uneingeschränkt beitreten zu können. Auch Syrien und Myanmar zeigen Interesse an einem Beitritt, und die Vereinigten Arabischen Emirate fragten sogar nach einer direkten Aufnahme in die SOZ. Obwohl das nicht möglich ist, doch es zeigt das schnell wachsende Interesse an der Organisation. Also an der chinesisch-russischen Allianz, um die Dinge bei ihrem richtigen Namen zu nennen.
Die Ursachen dafür liegen auf der Hand: Zwar hat die Konsolidierung der nicht westlichen Welt im letzten Jahrzehnt stetig an Fahrt gewonnen, doch seit Anfang 2020 hat sich die Entwicklung beschleunigt. Zuerst war die COVID-19-Pandemie und die daraus resultierenden Lockdowns der Auslöser für eine Krise der Globalisierung gewesen, dann ließ unsere Spezialoperation in der Ukraine den Westen die Bedingung aufstellen: Wer nicht mit uns gemeinsam Russland blockiert, der ist für Putin. Und schließlich beeinträchtigte die Provokation in der Taiwan-Frage die Aussichten auf eine Normalisierung der Beziehungen zwischen dem Westen und China. Die ganze Welt wird zu einer Entscheidung gezwungen: Auf wessen Seite stehst du? Unter diesen Bedingungen besteht das optimale Modell für viele einflussreiche Länder der islamischen Welt darin, ihre Selbständigkeit zu demonstrieren, die als äquidistant zu den beiden Polen, Russland-China und USA-EU, dargestellt wird. Wie sollen denn solche Verbündeten der USA wie die Türkei und Saudi-Arabien ihre Selbständigkeit demonstrieren? Durch den Beitritt zur SOZ. Wahrhaftig, denn sie ist keine militärische Vereinigung, aber die Zugehörigkeit zu dieser Organisation zeigt eine deutliche Bereitschaft, sich den antirussischen und antichinesischen Kombinationen des Westens zu widersetzen.
Gerade deshalb wird Recep Tayyip Erdoğan nach Samarkand fliegen, und möglicherweise auch der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman. In einem solchen Fall wird der SOZ-"Neuner", wenn auch zunächst inoffiziell, zu einem "Elfer-Klub", d. h. zu einer Plattform des Dialogs zwischen Russland, China, Indien und den vier wichtigsten Länder der islamischen Welt (Saudi-Arabien – "das reichste und einflussreichste", Iran – "das älteste und leidenschaftlichste", die Türkei – "das am weitesten entwickelte und ehrgeizigste", Pakistan – "das einzige nukleare Land"). Zusätzlich gehören zu den Beobachtern der SOZ auch noch Ägypten, "das wichtigste Land der arabischen Welt", und Katar, "der Informations- und Propagandagigant".
Sicher, diese islamischen Länder haben keine leichten Beziehungen untereinander (insbesondere die saudisch-iranischen), aber in der Vergangenheit wurden solche Widersprüche vom Westen tatkräftig für sein globales Spiel genutzt. Dagegen sind Russland und China daran interessiert, nicht die Feindschaft der Muslime untereinander zu schüren, sondern sie in den Aufbau einer neuen, post-westlichen Weltordnung mit einzubeziehen. Sollte es den drei Großmächten – Russland, China und Indien – gelingen, strategische Beziehungen zur islamischen Welt aufzubauen, um auf eine neue Weltordnung hinzuarbeiten, dann wäre dies gleichbedeutend mit dem endgültigen Zunichtemachen des angelsächsischen Projekts der globalen Vorherrschaft.
Beim neuen Gebot der Atlantiker geht es nicht mehr um die Organisation eines Konfliktes zwischen Russland und China, sondern darum, Indien und China gegeneinander auszuspielen. Und sie sind sich nahezu sicher, dass es ihnen gelingen wird, die islamische Welt in ihrer Umlaufbahn zu behalten (und sie sogar in ihrem Spiel gegen Peking und Moskau einzusetzen). Daher wird die Beteiligung islamischer Länder in der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit die wichtigste Herausforderung für das angelsächsische Gegenprojekt sein – und ein Zeichen für dessen vollständigen Zusammenbruch.
RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
11.09.2022
The Telegraph: EU ändert ihre Meinung über Gaspreisobergrenze nach Putins Ultimatum
pressefreiheit.rtde.tech,10 Sep. 2022 14:03 Uhr
Die EU-Energieminister haben sich von Wladimir Putins Ultimatum beeinflussen lassen, meint die britische Tageszeituang "The Telegraph". Nach seiner Warnung hätten sie ihre Meinung über die Festsetzung einer Preisobergrenze für russisches Gas geändert.
"
ward Smith
Die EU-Minister haben eine Preisobergrenze für russisches Gas abgelehnt, nachdem Wladimir Putin gedroht hatte, als Vergeltungsmaßnahme für eine solche Obergrenze die Lieferungen zu unterbrechen", schreibt die britische Zeitung The Telegraph am 9. September.
Stattdessen wurde beschlossen, auf andere Mittel zu setzen – wie beispielsweise auf "Maßnahmen gegen Energieriesen und auf Hilfen für Energieunternehmen, die von den volatilen Märkten betroffen sind", so die Zeitung. Sie führt aus:
"Vorschläge zur Begrenzung des Preises für Energieimporte, mit denen die Kriegsmaschinerie des Kremls finanziert wird, wurden nach dem Widerstand einiger Mitgliedstaaten fallen gelassen.
Putin hatte gewarnt, dass er die Energielieferungen vollständig einstellen werde, wenn eine Obergrenze eingeführt würde. Mehrere Länder, die von einem plötzlichen Lieferstopp bedroht wären, darunter auch Ungarn, erklärten, dass sie den Plan der EU nicht unterstützen könnten. Der Vorschlag wurde schließlich bei den Dringlichkeitsgesprächen fallen gelassen."
Anstatt Maßnahmen gegen russisches Gas zu ergreifen, haben die EU-Mitgliedstaaten eine Preisobergrenze für das gesamte Gas vorgeschlagen, das in die Union fließt, berichtet The Telegraph. Die EU-Exekutive wurde daher "angewiesen, Vorschläge für eine umfassendere Preisobergrenze auszuarbeiten, die nicht nur auf Russland abzielt".
Die Europäische Kommission wurde auch aufgefordert, Pläne auszuarbeiten, "um die Auswirkungen auf die Haushalte abzufedern, indem sie die überschüssigen Gewinne der fossilen Brennstoffriesen und der Nicht-Gas-Stromerzeuger ins Visier nehmen, die von den steigenden Energiepreisen profitieren", so The Telegraph.
Die Minister in Brüssel "versuchen dringend, sich auf einen harten Winter vorzubereiten", stellt die Zeitung fest, "da Russland die Energielieferungen abwürgt und die Angst vor einer Rezession wächst".
Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
11.09.2022
Zankapfel statt Druschba – Brandenburg droht mit Ausstieg aus Arbeitsgruppe zu Schwedt
pressefreiheit.rtde.tech, vom 9 Sep. 2022 21:04 Uhr
Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Zukunft der Ölraffinerie in Schwedt ringt seit Monaten um Antworten, wie es nach dem auf EU-Ebene vereinbarten Embargo weitergehen soll. Dabei stehen Tausende Arbeitsplätze und die überregionale Treibstoffversorgung auf dem Spiel.
press.com
Sehr wenige Monate vor Beginn des Ölembargos gegen Russland mutet der Zukunftsplan für die PCK Raffinerie im brandenburgischen Schwedt vielen noch zu schwammig an. An der Frage, was nach dem Embargo gegen Russland ab dem 1. Januar 2023 aus der Raffinerie wird, hängen rund 1.200 Arbeitsplätze und die Versorgung ganzer Regionen mit Kraft- und Brennstoffen. Nun droht die brandenburgische Landesregierung mit einem Ausstieg aus der seit Ende Mai bestehenden Bund-Länder-Arbeitsgruppe:
"Ohne konkrete Zusagen in der Sache, einen verbindlichen Fahrplan und eine bessere Transparenz wird für uns eine weitere Mitwirkung in der Task Force Schwedt und in den Arbeitsgruppen nicht mehr zielführend sein", schrieben Wirtschaftsminister Jörg Steinbach und Finanzministerin Katrin Lange (beide SPD) an Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne).
Demnach fehlten bislang verlässliche und schriftlich fixierte Aussagen der Bundesregierung, wie der überregional bedeutsame Industriestandort Schwedt gesichert und die Folgen des Ölembargos abgefangen werden könnten.
Soeben erst hatte Brandenburgs Regierungschef Dietmar Woidke (ebenfalls SPD) vom Bund eine Arbeitsplatzgarantie für alle Beschäftigten bis mindestens Ende 2024 und den Ausschluss von Kurzarbeit verlangt. Dafür forderte er 1,5 Milliarden Euro vom Bund zwecks Neuausrichtung des Ölraffinerie-Standorts. Auch Steinbach, der nun den Brief an die Bundesregierung unterschrieb, hatte von den Milliardenhilfen gesprochen, die Brandenburg benötige, und zugleich landeseigene Mittel angekündigt. "Der Ministerpräsident hat in diesem Zusammenhang zugesagt, dass, wenn die Transformationshilfe sich in einer Höhe von 1,5 Milliarden Euro bewegt und die dann über 15 Jahre gestreckt wird, wir uns jedes Jahr mit zehn Millionen daran mitbeteiligen werden."
Derweil hat die Bundesregierung der PCK-Raffinerie jüngst erneut eine Bestandsgarantie zugesichert – auch nach Beginn des europäischen Ölembargos. "Es wird auch im nächsten Jahr hier Rohöl verarbeitet werden. Es wird kein russisches Rohöl sein, aber es wird Rohöl verarbeitet", verkündete der zuständige Parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium Michael Kellner (Bündnis 90/Die Grünen) im rbb-Bürgertalk Wir müssen reden.
Deutschland hat sich im Frühjahr vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise auf EU-Ebene verpflichtet, ab Anfang 2023 auf russisches Öl zu verzichten. Die großen Raffinerien in Leuna in Sachsen-Anhalt und Schwedt hängen an der russischen Pipeline Druschba (Freundschaft). Während sich Leuna umorientiert, geht für die bisher von Rosneft betriebene PCK-Raffinerie in Schwedt die Suche nach Alternativen wohl weiter.
Doch bleibt weiter unklar, wie genau eine Bestandsgarantie realisiert werden könnte, da über Rostock nur wenig mehr als 50 Prozent kommen können. Kellner, der Leiter der PCK-Arbeitsgruppe ist, hatte im Sommer erklärt, dass die Raffinerie innerhalb der nächsten zwei Jahre bis zu drei Viertel ihres Öls über den Rostocker Hafen erhalten soll. Dafür müsse die bestehende Pipeline zwischen Rostock und Schwedt noch verbessert werden, etwa durch den Anschluss zusätzlicher Pumpen. Entsprechende Planungsarbeiten liefen. Bis dato könne man nach Aussage von Gutachtern 50 bis 55 Prozent des Bedarfs über die Leitung liefern. Dank Mitteln zur Verbesserung des Ölflusses könne man zusätzlich sieben bis zehn Prozent herausholen. Das solle bis Ende des Jahres geschehen.
Doch Rosneft warnte jüngst, dass die Raffinerie Schwedt ab dem kommenden Jahr wegen des Importstopps für Öl nur noch zur Hälfte ausgelastet sein werde, was Einbußen von bis zu 300 Millionen Euro im Jahr mit entsprechenden Auswirkungen auf die Steuerzahlungen in die deutsche Staatskasse nach sich zieht. Zu erwarten seien auch steigende Benzin- und Treibstoffpreise in ganz Deutschland. Rosneft erprobe zwar alternative Lieferwege. Doch das per Tanker nach Rostock gebrachte Öl aus den USA sei um 30 Prozent teurer als das Pipeline-Öl.
Kellner äußerte sich zuversichtlich, dass Polen zusätzliches Rohöl liefern könne. Genaue Liefermengen nannte er jedoch nicht. Eigentlich sollte die Taskforce aus Vertretern von Bund, Land und Schwedt im August zu einer dritten Sitzung zusammenkommen. Laut einem Sprecher des Brandenburger Innenministeriums ist dies aber nicht passiert, wie der rbb berichtet.
"Wir sind mit den Ergebnissen sehr unzufrieden", klagte dazu der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Landtag, Daniel Keller, für die gesamte Regierungskoalition. Demnach sei so kurz vor knapp völlig unklar, wo das Öl herkommen soll, um nach dem Embargo-Start in Schwedt weiter produzieren zu können. Seine Partei wolle auch endlich verbindliche schriftliche Aussagen, so Keller, da Zusagen darüber, dass alle PCK-Beschäftigten auch im Januar weiterarbeiten können, bisher nur mündlich gegeben wurden. Diese Forderung adressiert der Brandenburger SPD-Fraktionschef ausdrücklich an Bundeswirtschaftsminister Habeck.
Allerdings war es Parteikollege Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der das Ölembargo in Brüssel vorangebracht hatte. Nichtsdestotrotz sehen auch Politiker der CDU die Verantwortlichkeit beim grünen Bundeswirtschaftsminister, appellierten doch die wirtschaftspolitischen Sprecher der ostdeutschen Landtagsfraktionen im Juli an Habeck, auch künftig russisches Öl für die Raffinerie im brandenburgischen Schwedt zu nutzen.
Ähnliche Forderungen, wenn auch weniger zielgerichtet adressiert, hatte zuvor bereits der Linken-Chef Martin Schirdewan geäußert. Die Bundesregierung habe sich zwar verpflichtet, das Embargo bis zum Jahresende umzusetzen, hatte Schirdewan im ZDF-Sommerinterview im Juli gesagt. "Aber gleichzeitig kann man doch darüber nachdenken, ob es nicht eine Ausnahmeregelung zumindest für die Betroffenen in der Region Schwedt gibt, um die Arbeitsplätze zu sichern." Für die Region sei ein Garantieplan notwendig, samt "Jobgarantien für die Leute, die unmittelbar davon betroffen sind".
Sebastian Walter von der Brandenburger Linken betont aber auch, dass das Land die Verantwortung nicht einfach auf den Bund abwälzen könne. Es gehe schließlich um Brandenburger, und da könne man nicht ein Schwarzer-Peter-Spiel mit dem Bund spielen, zitiert ihn der rbb. "Wenn diese Landesregierung zum Ölembargo steht, dann muss sie auch selber – wenn nötig – Lohn und Beschäftigungsgarantien geben." Doch in der Brandenburger CDU wie auch in der gesamten Opposition – von AfD über Linke bis BVB/Freie Wähler – gibt es kaum Zustimmung zu den Sanktionen, weil es ohne russisches Öl keine Zukunft der PCK gebe.
Regierungschef Woidke hatte neben der Forderung nach der Neuausrichtung des Ölraffinerie-Standorts Schwedt in Höhe von 1,5 Milliarden Euro vom Bund eine Beteiligung des Landes mit 150 Millionen Euro zugesagt. Bei einer Sondersitzung des Kabinetts am Dienstag soll die weitere Strategie des Landes zur Bewältigung der Energiekrise und die Positionen gegenüber dem Bund Verabredet werden. Zudem plant die Regierung ein Treffen mit Energieversorgern, Netzbetreibern, energieintensiven Unternehmen und Gewerkschaften. "Die Herausforderungen zur Versorgungssicherheit und die Preisentwicklungen haben das Potenzial, unser wirtschaftliches und soziales Gefüge in bisher unbekanntem Ausmaß in Frage zu stellen", zitieren Medien aus dem internen Papier. Unternehmen und private Verbraucher müssten sich auf weiter steigende Gas- und Mineralölpreise einstellen.
Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
11.09.2022
Wagenknecht hält wichtige Rede: „Sie haben nicht das Recht, Millionen Menschen ihren bescheidenen Wohlstand zu zerstören“
nachdenkseiten.de, 09. September 2022 um 11:30Ein Kommentar von Tobias Riegel
Sahra Wagenknecht hat sich am Donnerstag im Bundestag an die Regierung gewandt: „Das größte Problem ist Ihre grandiose Idee, einen beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten vom Zaun zu brechen.“ Die Reaktionen auf die wichtige Rede Wagenknechts von Teilen ihrer eigenen Partei und vonseiten der Regierungsparteien sind unterirdisch. Widersprechen muss man Wagenknecht in einem Punkt: Die Motivation der Regierung ist vermutlich nicht „Dummheit“, sondern deren Handeln erscheint zielgerichtet.
Zitat: Am Donnerstag hat die Bundestagsabgeordnete Sahra Wagenknecht im Bundestag für die Fraktion der Linkspartei im Rahmen der Haushaltsdebatte zum Thema Wirtschaft und Energie gesprochen, wie Medien berichten. Sie eröffnete mit der Feststellung, dass sich in Deutschland „eine soziale und wirtschaftliche Katastrophe“ anbahne. Millionen Menschen hätten Angst vor der Zukunft, vor explodierenden Lebenshaltungskosten, vor „Horrorabrechnungen“ und „immer mehr auch um ihren Arbeitsplatz“. Die hohen Energiepreise seien das „Ergebnis von Politik“. Wagenknecht kritisierte die „Rückgratlosigkeit“ von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) gegenüber den „Krisenprofiteuren“ und nannte die Bundesregierung „die dümmste Regierung in Europa“.
Das größte Problem sei die „grandiose Idee“, einen „beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten vom Zaun zu brechen“. Wenn die Bundesrepublik ein Industrieland bleiben wolle, brauche sie „leider auf absehbare Zeit auch noch russische Energie“. Wagenknecht forderte ein Ende der Sanktionen und Verhandlungen mit Russland über eine Wiederaufnahme der Gaslieferungen. Den Krieg Russlands in der Ukraine nannte Wagenknecht ausdrücklich „ein Verbrechen“. Ein Video des wichtigen Auftritts findet sich am Ende dieses Textes.
Deutschland im „Hungerstreik“
Wagenknecht hat in dieser Rede zentrale Punkte thematisiert. Widersprechen muss man ihr aber bei der Aussage von der „dümmsten Regierung“ – meiner Meinung nach erscheint das gegen die Bürger gerichtete Handeln der Regierung zielgerichtet und ist nicht mit „Fehlern“ oder eben „Dummheit“ zu erklären.
Wichtig ist, dass Wagenknecht nicht (wie Teile ihrer Partei) bei ungenügender Detailkritik an den „Entlastungspaketen“ stehenbleibt, sondern mit der Sanktionspolitik die Ursache einer Krise benennt, die zu weiten Teilen durch die Regierungspolitik selber hervorgerufen wurde. Es gibt keine „höhere Gewalt“, die ein Fortschreiben dieser falschen Politik rechtfertigen könnte: Die Gleichung „Gegen die Sanktionen = Gegen die Ukraine“, ist eine ideologische Phrase, die einer näheren Betrachtung nicht standhält. Die Sanktionen haben keinen direkten Einfluss auf den Kriegsverlauf. Sie lindern nicht das schlimme Leid der ukrainischen Zivilisten. Bisher konnten sie auch Russland nicht „ruinieren“ – langfristig ist das nicht auszuschließen, aber wäre es denn wünschenswert?
Dagegen treffen die realen Folgen der Sanktionen die Bürger in Deutschland hart – die antirussische Sanktionspolitik ist damit auch ein Angriff auf die deutschen Bürger. Ein Leser hat diese westliche „Taktik“ kürzlich mit einem Hungerstreik verglichen: Drohung mit der Selbstbeschädigung.
Wer solche „Parteifreunde“ hat, braucht keine Feinde mehr
Die wütenden Reaktionen von Teilen der Linkspartei auf die Rede ihrer bekanntesten Vertreterin waren zu erwarten, das macht sie aber nicht besser. So haben sich laut Medien mehrere Linken-Politiker von Wagenknecht distanziert: Der ehemalige Linken-Bundestagsabgeordnete Niema Movassat forderte den Ausschluss Wagenknechts aus der Fraktion. Wagenknecht „spricht nicht für die Linke”, schrieb der stellvertretende Parteivorsitzende Lorenz Gösta Beutin auf Twitter. Die Bundestagsabgeordnete Caren Lay twitterte, die Abschaffung sämtlicher Sanktionen zu fordern, sei nicht Position der Linken.
Kathrin Vogler twitterte: „Es gibt keinen ‚Wirtschaftskrieg gegen Russland‘, sondern einen realen Angriffskrieg gegen die Ukraine, in dem Energie zur Waffe geworden ist. Putin hat ein Gasembargo gegen Deutschland verhängt, nicht umgekehrt.“ Martina Renner twitterte ein Foto, auf dem eine mit der Aufschrift »Fuck Putin« besprühte Hauswand zu sehen ist, und schrieb dazu: „Weil einige offenbar vergessen, wer der Aggressor ist.“
Wer solche „Parteifreunde“ hat, braucht keine Feinde mehr.
Auch der frühere Parteichef Bernd Riexinger, der gemeinsam mit Katja Kipping die Partei an den Rand der politischen Bedeutungslosigkeit geführt hat, schrieb: „Es gibt keinen ‘Wirtschaftskrieg gegen Russland’. Russland führt Krieg gegen die Ukraine.” Als würden sich diese beiden Aussagen ausschließen: Die Frage ist doch, warum Deutschland plötzlich in radikaler Weise (und im Gegensatz zu früheren außenpolitischen Praktiken) mit einem selbstzerstörerischen Wirtschaftskrieg auf einen Krieg reagiert – und das, obwohl das Kriegsgeschehen davon nicht entscheidend beeinflusst wird. Riexinger könnte außerdem erklären, wie man eine aggressive westliche Sanktionspolitik denn anders als „Wirtschaftskrieg“ nennen soll, die unter Annalena Baerbocks Schlachtruf „Das wird Russland ruinieren“ die eigenen Bürger als Geiseln für ein moralisch-ideologisches Konstrukt nimmt.
Der SPD-Abgeordnete Frank Junge warf Wagenknecht vor, Argumente der AfD zu nutzen: „Das ist unisono genau das Gleiche, was die AfD hier auch verlauten lässt.“ Der Grünen-Abgeordnete Felix Banaszak nannte Wagenknecht „die oberste Kreml-Lobbyistin“. Und die „taz“ findet die Rede „verstörend“ und betont wie viele andere Kommentatoren, dass die AfD bei der Rede applaudierte, als würde dieser Beifall den Inhalt der Rede schwächen. Es gibt noch zahlreiche weitere Wortmeldungen in dieser Richtung aus dem regierungstreuen Lager.
Deutsche Wirtschaft: Bald nur noch eine Erinnerung an die guten, alten Zeiten?
Weiter sagte Wagenknecht laut Medien in der Rede: Wenn Deutschland ein Industrieland bleiben wolle, brauche es die russischen Rohstoffe und auf absehbare Zeit auch noch russische Energie. Darüber müsse man mit Russland verhandeln. Wenn man die Energiepreise nicht stoppe, werde „die deutsche Wirtschaft bald nur noch eine Erinnerung an die guten, alten Zeiten sein“, betonte sie. Und weiter:
„Die Vorstellung, dass wir Putin dadurch bestrafen, dass wir Millionen Familien in Deutschland in die Armut stürzen und dass wir unsere Industrie zerstören, während Gazprom Rekordgewinne macht – wie bescheuert ist das denn?“
Hier folgt das Video von Wagenknechts wichtiger Rede im Bundestag am Donnerstag:
Wolin prägte diesen Begriff 2003, um eine neue Regierungsform der Vereinigten Staaten von Amerika zu bezeichnen. Hintergrund des Politikverständnisses Wolins ist Tocquevilles Verständnis der Despotie als Verfallsform der Demokratie.[1]
Der Vergleichsmaßstab Wolins ist in erster Linie der Nationalsozialismus, daneben auch der italienische Faschismus und der Stalinismus. Der neuartige Totalitarismus ist nach Auffassung Wolins insofern „invertiert“ ("umgekehrt"), als die politische Dynamik und Willensbildung nicht wie im klassischen Demokratiemodell von der Masse und der Regierung ausgehe:
.... während das gegenwärtige System und seine Agenten mit dem Nazismus das Streben nach unbegrenzter Macht und aggressivem Expansionismus teilen, (scheinen) ihre Methoden und Handlungen auf den Kopf gestellt zu sein. Zum Beispiel wurden in Weimar Deutschland, bevor die Nazis die Macht übernahmen, die „Straßen“ von totalitär orientierten Banden von Schlägern dominiert, und was immer es an Demokratie gab, war auf die Regierung beschränkt. In den Vereinigten Staaten ist die Demokratie jedoch auf den Straßen am lebendigsten – während die eigentliche Gefahr in einer zunehmend ungezügelten Regierung liegt.
Die Regierung innerhalb eines invertiert totalitären Systems habe den Primat der Politik aufgegeben, um wirtschaftliche und politische Partikularinteressen einer privilegiertenElite gegen die Interessen die Massen, aber mit ihrer manipulierten Zustimmung oder Duldung, durchzusetzen. Was bisher also im politischen Kräftefeld eine abhängige Größe gewesen sei, etwa die wirtschaftlichen Interessenverbände, sei nun zur bestimmenden Größe geworden. Das Ergebnis sei aber dasselbe: Massenmanipulation innerhalb von scheindemokratischen Institutionen.[2] Das strukturelle Element trete nicht mehr als Massenphänomen in Erscheinung, sondern werde indirekt in der Schrankenlosigkeit des Regierungshandelns und dem Schweigen der Massen deutlich. Während außerdem die Nationalsozialisten wirtschaftliche Großunternehmen der staatlichen Autorität untergeordnet hätten, stünden diese heute über der Politik und amalgamierten mit dem Staat:
Der Staat wird als größte Korporation betrachtet und der Präident als ihr CEO. Das moderne Wirtschaftsunternehmen
wird zum Modell der öffentlichen Macht an sich, mit der Folge, dass die Bürger zu Verbrauchern reduziert werden, die von der Macht privater Medien- und Werbekonzerne manipuliert werden, die ihrerseits Megakonzernen dienen. (vgl. S. 59)[3]
Die Großunternehmen erzeugten dabei allerdings eine vergleichbare reale Dynamik wie das nationalsozialistische Lebensraumkonzept.
Unter der NS-Herrschaft gab es nie einen Zweifel daran, dass das „Big Business“ dem politischen Regime untergeordnet war. In den Vereinigten Staaten ist es jedoch seit Jahrzehnten offensichtlich, dass die Macht der Konzerne im politischen Establishment, insbesondere in der Republikanischen Partei, so vorherrschend geworden ist und einen so dominanten Einfluss auf die Politik hat, dass eine Rollenumkehrung nahegelegt wird.
Die Nationalsozialisten hätten die Massen in Bewegung gesetzt und ihnen ein Bewusstsein von Kraft und Freude vermitteln wollen; der invertierte Totalitarismus hingegen vermittele den Massen das Bewusstsein von Schwäche und Ersetzbarkeit und bringe damit eine „demobilisierte“ und atomisierte (disaggregated) Gesellschaft von politisch Desinteressierten hervor.[4] In diesem Punkt berührt sich Wolins Theorie mit der Theorie des Neo-Feudalismus, anderen Theorien der Postdemokratie und mit dem Konzept des Anarchokapitalismus, der diese Entwicklung positiv interpretiert.
Merkmale des invertiert totalitären Systems sind im Einzelnen:
eine schwache Legislative: Abgeordnete des Parlaments haben einen geringen Einfluss auf die Gesetzgebung. die Legislative dient der Akklamation der Regierungsentscheidungen
eine zugleich repressive und die Regierung unterstützende Judikative: Gerichte orientieren sich an den Wünschen der Regierung und unterdrücken Regierungskritik
eine von außerparlamentarischen Institutionen gesteuerte Exekutive: Die Regierung und ihre Ministerien folgen nicht eigenen Erkenntnissen und Interessen, sondern Lobbyisten und Beratern
die Aufhebung der Gewaltenkontrolle durch eine übergeordnete Integration der Gewalten mithilfe
eines uniformen Parteiensystems,
das die Reichen, die Großkonzerne und die Gutvernetzten begünstigt,
die Armen in Hilflosigkeit und Verzweiflung zurücklässt und
die Mittelklasse in der Balance zwischen Abstiegsangst und Aufstiegsversprechen hält.
der Integration von Medien, Universitäten und Großkonzernen durch personelle und institutionelle Vernetzung
speziell durch strukturelle Integration der Konzernmedien: Medien werden staatlich beaufsichtigt, benutzt und politisch besetzt
affirmative Integration der Universitäten in das staatliche Kontrollsystem: Universitäten unterstützen staatliche Maßnahmen, weil sie von staatlicher und privater Förderung abhänging sind
kooperative Integration der Großkonzerne in das staatlich Steuerungssystem: Unternehmen und Staat arbeiten zu gemeinsamen Zielen zusammen
Kooperation von Polizei (Exekutive) und Rechtsbehörden (Judikative) bei der Feststellung terroristischer Umtriebe, verdächtiger Ausländer und Dissidenten.[5]
Für Wolin hat der umgekehrte Totalitarismus im Gegensatz zum klassischen Totalitarismus die Einrichtungen von Wissenschaft, Forschung und Bildung nicht nachträglich in seinen Dienst gestellt (Gleichschaltung), sondern sich eine „eigene loyale Intelligenzja kultiviert“ und die gesellschaftlichen Kräfte zur Selbstangleichung geführt. Der klassische Totalitarismus hat unabhängige Kritiker zum Schweigen gebracht, ausgestoßen oder eliminiert und von den übrigen wurde Loyalität zu Partei und Regierung verlangt. Hingegen hat der umgekehrte Totalitarismus die Wissenschaftler und Forscher durch eine Kombination von staatlichen Aufträgen, Unternehmens- und Stiftungsgeldern, hohen Gehältern und Vergünstigungen nahtlos in das System integriert und greift nur gelegentlich ein, um Kritiker zu schikanieren und zu diskreditieren. Er konstatiert, dass zur Zeit des Vietnamkrieges die Universitäts- und College-Campusse noch derart notorische Zentren der Opposition waren, dass man ernsthaft von einer notwendigen "Befriedung der Campusse" gesprochen habe.[6] Das so entstehende neue System nennt er „invertierten“ Totalitarismus.[7]
Die aggressive Außenpolitik einer imperialen Orientierung an der Rolle einer Supermacht vergleicht Wolin mit dem Lebensraumkonzept des Nationalsozialismus:
Den Begriff "umgekehrter Totalitarismus" rechtfertigt, dass die amerikanische Politik seit den Anschlägen vom 11. September 2001 von der "Vorstellung eines eines globalen permanenten Krieges" geprägt ist (S. 15, 28). Bushs Nationale Sicherheitsstrategie und ihre Doktrin des Präventivkrieg erinnern an die nationalsozialistische Ideologie des Lebensraums, indem sie behaupten, die Welt müsse für Amerika sicher gemacht werden, so wie die Nazis argumentierten, dass sie ein Recht darauf hätten, Territorien zu sichern, um die Zukunft der arischen Rasse zu sichern (S. 48)[8]
Beispiel USA
In einem Artikel für The Nation[9] beschrieb Wolin 2003 die Entwicklung der USA als "regime change" hin zu einem undemokratischen "Empire" oder einer "Superpower". Kennzeichen dieser Entwicklung sei die "zunehmende Macht des Staates und die abnehmende Macht der Institutionen, die ihn kontrollieren sollen". Den Republikanern als "glühend doktrinärer Partei" würden die "zentristischen" Demokraten keine echte Opposition mehr entgegensetzen. Die repräsentative Institutionen seien durch ein institutionalisiertes Bestechungssystem "kurzgeschlossen und ständig korrumpiert" worden, anfällig für mächtige Interessengruppen, "deren Wähler die großen Unternehmen und die reichsten Amerikaner sind". Die Gerichte dienten der Unternehmensmacht oder respektierten die Ansprüche der nationalen Sicherheit.
Wahlen sind zu stark subventionierten Nicht-Ereignissen (non-events) geworden, die normalerweise bestenfalls knapp die Hälfte einer Wählerschaft anziehen, deren Informationen über Außen- und Innenpolitik durch von Unternehmen dominierte Medien gefiltert werden. Die Bürger werden durch die Medienberichte über wuchernde Kriminalität und terroristische Netzwerke, durch kaum verhüllte Drohungen des Generalstaatsanwalts und durch ihre eigene Angst vor Arbeitslosigkeit in einen nervösen Zustand manipuliert.
Vergleich mit anderen totalitären Systemen
Beide Herrschaftsformen nutzen die Angst als arcanum imperii, führeb Präventivkriege und stützen die Herrschaft einer Pseudoelite. Dennoch unterscheiden sich der umgekehrte und der klassische Totalitarismus in mehreren wichtigen Punkten:
Revolution – Während die klassischen totalitären Regime das etablierte System stürzten, nutzt der umgekehrte Totalitarismus stattdessen die rechtlichen und politischen Zwänge des etablierten demokratischen Systems aus und verwendet diese Zwänge, um den ursprünglichen Zweck der Demokratie zu vereiteln.
Regierung – Während die klassische totalitäre Regierung ein geordnetes, idealisiertes und koordiniertes Ganzes war, ist sie im umgekehrten Totalitarismus eine Verwaltu gsinstanz, die die grundlegenden demokratischen Institutionen managed.
Propaganda und Dissens – Obwohl Propaganda sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in Nazi-Deutschland eine wesentliche Rolle spielt, ist sie in den Vereinigten Staate "nur zum Teil ein staatszentriertes Phänomen". Das heißt: Während die Produktion von Propaganda in Nazi-Deutschland grob zentralisiert war, wird sie in den Vereinigten Staaten hochgradig konzentrierten Medienkonzernen überlassen, un so die Illusion einer "freien Presse" aufrechtzuerhalten. Nach diesem Modell ist Dissen prinzipiell erlaubt, aber die Konzernmedien dienen als Filter, so dass die meisten Menschen, die nur wenig Zeit haben, sich über aktuelle Ereignisse zu informieren, nur die Standpunkte hören, die die Konzernmedien als "seriös" einstufen.
Demokratie – Während die klassischen totalitären Regime schwache Demokratien/Regime stürzten, hat sich der umgekehrte Totalitarismus aus einer starken Demokratie entwickelt. Die Vereinigten Staaten behaupten sogar, ihre Demokratie sei das Modell für die ganze Welt. Es gehe die ganze Zeit um Politik, aber die Politik werde durch das fehlende politische Element weitgehend entschärft.
Parteistreitigkeiten werden gelegentlich öffentlich ausgetragen, und es gibt eine hektische und kontinuierliche Politik zwischen Fraktionen der Partei, Interessengruppen, konkurrierenden Unternehmen und rivalisierenden Medienkonzernen. Und natürlich gibt es den Höhepunkt der nationalen Wahlen, bei denen die Aufmerksamkeit der Nation eher auf die Wahl von Persönlichkeiten als auf eine Wahl zwischen Alternativen gerichtet ist. Was fehlt, ist das Politische, das Engagement für das Gemeinwohl inmitten des Wusts gut finanzierter, hoch organisierter, zielstrebiger Interessen, die wütend nach Regierungsgunst streben und die Praktiken der repräsentativen Regierung und der öffentlichen Verwaltung durch ein Meer von Geld überwältigen.
Ideologie – Der umgekehrte Totalitarismus weicht von der Ideologie des Nazi-Regimes ab, d. h. die Kategorie der Kosteneffizienz etwa steht anstelle der Kategorie Herrenrasse.
Wirtschaft – In Nazi-Deutschland dominierte der Staat die Wirtschaftsakteure, während im umgekehrten Totalitarismus Konzerne durch Lobbying, politische Spenden und Drehtüreffekte die Regierung der Vereinigten Staaten beherrschen, die als Diener der Großkonzerne agiert. Dies wird von der Öffentlichkeit jedoch als "normal" und nicht als korrupt angesehen.
Nationalismus – Während Nazi-Deutschland und das Faschistische Italien nationalistisch waren, ist der umgekehrte Totalitarismus eine globalistisch und unterstützt eine Supermacht, deren Macht auf dem globalen Austausch von Arbeitsplätzen, Kultur, Finanzptodukten, Währungen und Waren basiert.
Das Volk – Während die klassischen totalitären Regime auf eine ständige politische Mobilisierung der Bevölkerung abzielten, will der umgekehrte Totalitarismus die Masse der Bevölkerung in einem anhaltenden Zustand der politischen Apathie halten. Die einzige politische Aktivität, die von den Bürgern erwartet oder gewünscht wird, ist das Wählen. Eine niedrige Wahlbeteiligung wird gerne als Indiz dafür gewertet, dass der Großteil der Bevölkerung die Hoffnung aufgegeben hat, dass die Regierung ihnen jemals nennenswert helfen wird.
Bestrafung – Während die klassischen totalitären Regime hart bestraften (Inhaftierung oder Ermordung von politischen oder ideologischen Gegnern und Sündenböcken), bestraft der umgekehrte Totalitarismus vor allem durch eine Ökonomie der Angst. Ihre wichtigste Elemente sind die Minimierung der sozialen Sicherheit, die Zerschlagung der Gewerkschaften, die Überalterung von Fähigkeiten und die Auslagerung von Arbeitsplätzen.
Führer – Während die klassischen totalitären Regime charismatische Führer hatten, die die Architekten des Staates waren, ist der umgekehrte Totalitarismus nicht von einem bestimmten Führer abhängig, sondern produziert seine Führer selbst, die Geschäftsführern eher ähneln als politischen Mandatsträgern.
Sozialpolitik – Während der Nationalsozialismus das Leben der Reichen und Privilegierten unsicher machte und eine Sozialpolitik für die Arbeiterklasse betrieb, beutet der umgekehrte Totalitarismus die Armen aus, indem er Gesundheits- und Sozialprogramme kürzt und die Arbeitsbedingungen verschlechtert.
Zitat
Die Elemente sind also vorhanden: eine schwache Legislative, ein Rechtssystem, das sowohl willfährig als auch repressiv ist, ein Parteiensystem, in dem eine Partei, ob in der Opposition oder in der Mehrheit, bestrebt ist, das bestehende System neu zu konstituieren, um die herrschende Klasse der Reichen, der Gutvernetzten und der Unternehmer dauerhaft zu priviligieren, während sie die ärmeren Bürger mit einem Gefühl der Hilflosigkeit und politischen Verzweiflung zurücklässt und gleichzeitig die Mittelschicht zwischen Angst vor Arbeitslosigkeit und der Erwartung fantastischer Belohnungen schwanken lässt, sobald sich die New Economy erholt. Dieses Schema wird von kriecherischen und zunehmend konzentrierten Medien unterstützt; durch die Integration von Universitäten mit ihren korporativen Wohltätern; durch eine Propagandamaschinerie, die in gut finanzierten Denkfabriken und konservativen Stiftungen institutionalisiert ist.... Es geht also um nichts Geringeres als um den Versuch, eine halbwegs freie Gesellschaft in eine Variante der extremen Regime des vergangenen Jahrhunderts zu verwandeln.[10]
Literatur
Sheldon S. Wolin: Politics and Vision: Continuity and Innovation in Western Political Thought (erweiterte Ausgabe). Princeton: Princeton University Press, 2004. ISBN 0-691-12627-5.
Sheldon S. Wolin: Democracy Incorporated: Managed Democracy and the Specter of Inverted Totalitarianism. Princeton: Princeton University Press 2008. ISBN 0-691-13566-5.
Umgekehrter Totalitarismus: Faktische Machtverhältnisse und ihre zerstörerischen Auswirkungen auf unsere Demokratie, übersetzt von Julien Karim Akerma, mit einem Vorwort von Rainer Mausfeld, Westend-Verlag, Frankfurt am Main 2022, ISBN 978-3-86489-348-3.
Urbinati, N. (2010). [Review of Democracy Incorporated: Managed Democracy and the Specter of Inverted Totalitarianism, by S. S. Wolin]. Political Science Quarterly, 125(1), 171–174. http://www.jstor.org/stable/25698983
Claudia Ritzi: Die Postdemokratisierung politischer Öffentlichkeit: Kritik zeitgenössischer Demokratie – theoretische Grundlagen und analytische Perspektiven. Springer-Verlag, 2013, ISBN 978-3-658-01469-8, S. 61 ff. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
Benhabib, S. (2010). [Review of Democracy Incorporated: Managed Democracy and the Specter of Inverted Totalitarianism, by S. S. Wolin]. Perspectives on Politics, 8(1), 353–355. http://www.jstor.org/stable/25698573
Sheldon S. Wolin: Democracy Incorporated: Managed Democracy and the Specter of Inverted Totalitarianism - New Edition. Princeton University Press, 2017, ISBN 978-1-4008-8840-5 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche – Einführung der Ausgabe von 2017, Seite xxvii ff).
Elie Mystal: Democrats Cannot Cave to the Republican Death Cult on the Stimulus Bill. 21. Oktober 2020, ISSN0027-8378 (thenation.com [abgerufen am 24. Oktober 2020]).
Wolin: Umgekehrter Totalitarismus. Frankfurt am Main 2022, S. 147.
Sheldon Wolin: Inverted Totalitarianism. 1. Mai 2003, ISSN0027-8378 (thenation.com [abgerufen am 7. Mai 2022]).
Benhabib, S. (2010). [Review of Democracy Incorporated: Managed Democracy and the Specter of Inverted Totalitarianism, by S. S. Wolin]. Perspectives on Politics, 8(1), 353–355. http://www.jstor.org/stable/25698573
Sheldon Wolin: Inverted Totalitarianism. 1. Mai 2003, ISSN0027-8378 (thenation.com [abgerufen am 7. Mai 2022]).
Ein Streitgespräch zwischen dem glühenden Kapitalisten Rainer Zitelmann und dem linken Gesellschaftswissenschaftler Ingar Solty – Teil 1
Ist es heutzutage noch möglich, dass zwei Akteure, die eine vollständig unterschiedliche politische Auffassung vertreten, miteinander konstruktiv diskutieren? Ja, das ist es. Der Historiker und Autor Rainer Zitelmann, der vor allem als leidenschaftlicher Kapitalist bekannt geworden ist, diskutiert mit dem linken Gesellschaftswissenschaftler Ingar Solty über den Kapitalismus. Ein Streitgespräch in zwei Teilen, das per Email geführt wurde und einiges an Reibung verspricht.
Herr Zitelmann, Herr Solty, die Welt steht vor ziemlich großen Problem. Sie beiden könnten, was Ihre politische Grundeinstellung angeht, wohl kaum weiter voneinander entfernt sein. Auf der einen Seite ein glühender Kapitalist, auf der anderen Seite ein linker Gesellschaftswissenschaftler, der den Kapitalismus als Wirtschaftssystem überwinden und durch ein sozialistisches ersetzt sehen will. Was sind aktuell die großen Problem, Herr Zitelmann?
Rainer Zitelmann: Große Probleme gibt es jede Menge, und fast alle sind von der Politik verschuldet. In Deutschland etwa die Energieproblematik, verschuldet durch den Ausstieg aus der Kernenergie, die verfehlte Energiepolitik und eine Politik, die uns von Russland abhängig gemacht hat. Ein anderes Problem ist die Inflation, die mehrere Ursache hat – eine davon ist die verfehlte Politik der Zentralbanken mit Nullzinsen und Anleihekäufen. Ich sehe, anders als viele Linke, nicht überall Marktversagen, sondern Staats- und Politikversagen.
Aus meiner Sicht entwickeln sich Deutschland und Europa immer mehr in Richtung Planwirtschaft. Beispiel ist die Energiepolitik oder auch die Automobilindustrie: nicht mehr Unternehmen und Verbraucher bestimmen, welche Autos produziert werden, sondern Politiker und Beamte in Brüssel. China produziert und fördert sogar weiter moderne Verbrennermotoren, wir verbieten sie.
Und Sie, Herr Solty, teilen Sie die Sicht von Herrn Zitelmann? Wo sehen Sie die großen Problem derzeit?
Ingar Solty: Eine gewisse Tendenz zum Staatsinterventionismus ist aktuell nicht von der Hand zu weisen. Wenn man diese kritisiert (ich tue es auch, wenngleich aus anderen Gründen), muss man aber meines Erachtens auch die strukturellen Ursachen dafür benennen.
Die wären?
Ingar Solty: Der globale Kapitalismus befindet sich schon seit Längerem in einer tiefen Überakkumulationskrise. Weil Herr Zitelmann die Autoindustrie erwähnt: Allein hier haben wir es mit globalen Überkapazitäten von etwa 30 Prozent und entsprechend verringerter Kapazitätenauslastung zu tun. Es gibt ganz allgemein immer mehr angehäuftes Kapital, das keine profitablen Anlagemöglichkeiten mehr findet. Die Politik der letzten drei, vier Jahrzehnte hat versucht, diesen an sich unlösbaren Problemen auf verschiedenen Wegen Herr zu werden, nämlich in genau dem Geist, dem Herr Zitelmann hier das Wort redet, die nationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen und damit der Konkurrenz Marktanteile abzuluchsen. Und das kritisieren Sie, Herr Solty?
Ingar Solty: Ja, denn das Ergebnis war: Lohnzurückhaltung für die Beschäftigten, die die Werte unserer Welt schaffen, und Subventionen für die Kapitalunternehmen, damit sie die Produktion nicht verlagern. Damit erhöhten sich die Profitraten wieder, während gleichzeitig die Lohnquote sank und die Vermögensungleichheit weiter wuchs – bis auf die heutigen Rekordhöchststände seit der Weltwirtschaftskrise der 1930er.
Das Problem ist aber: Wenn alle Staaten der Erde genau eine solche „beggar-thy-neighbor“-Politik verfolgen und die Vermögensungleichheit überall wächst, dann reproduziert sich das Problem lediglich auf höherer Stufenleiter. Also mit noch mehr durch die globalen Kapitalbesitzer privat angeeigneten Profiten, die keine Anlagesphären finden. Folglich mussten sich die prokapitalistischen Politiker Neues einfallen lassen und haben angefangen, mit den Mitteln, über die sie verfügen, die überakkumulierende kapitalistische Wirtschaft am Laufen zu halten. Dazu gehörte – in der Tat, aber als eine Folge der Strukturprobleme des Kapitalismus! – die Politik der niedrigen Zinsen. Und dazu gehörte die Suche nach neuen Anlagesphären für das Entwertung fürchtende Kapital. Die neoliberale Politik fing nämlich jetzt an, Bereiche des gesellschaftlichen Lebens inwertzusetzen.
Wie meinen Sie das?
Ingar Solty: Bereiche der Daseinsvorsorge usw., die bisher öffentlich und nichtwarenförmig waren, wurden nun zunehmend im Namen der „Effizienz“ der Profitmaximierung und Logik des Marktes unterworfen: Gesundheit, Rente, Bildung, Mobilität, Telekommunikation usw. Auch in der Wohnungsbaupolitik zog sich der Staat zurück und hier hat sich in den letzten Jahren das überschüssige Kapital ja besonders spekulativ draufgestürzt.
Die uns in den 1990er Jahren und 2000er Jahren von den Marktgläubigen jedoch versprochenen Wohltaten haben sich nicht eingestellt. Gemäß der neoliberalen Orthodoxie – zu verstehen als ideologischer Ausdruck des Klasseninteresses der besitzenden Klassen – sollte diese Form der Durchsetzung von Marktprinzipien zu einem stabilen ökonomisch-gesellschaftlichen Gleichgewicht, Wohlstand und Demokratie führen.
Und was war tatsächlich der Fall?
Ingar Solty: Das Gegenteil von dem Versprochenen. Nicht nur hat diese Vermarktlichung und Finanzialisierung immer größere Wirtschafts- und Finanzkrisen mit verheerenden Folgen produziert, so wie die globale Finanz- und Eurokrise nach 2007, die bis heute fortschwelt. Die marktorientierte Politik hat auch die Gesellschaften innerlich zerrissen und polarisiert.
Und diese Polarisierung von wenigen Gewinnern und vielen Verlierern sieht man auch geografisch: Zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden, zwischen der Nord-Eurozone und der Süd-Eurozone, zwischen funktionierenden urbanen Wirtschaftsballungsräumen wie Rhein-Main, Stuttgart und München einerseits und verödenden Landstrichen zwischen Pirmasens und Pasewalk andererseits, und zwischen Innenstadtbereichen der Reichen mit bester Infrastruktur einerseits und andererseits Stadtrandbezirken, wo die Menschen leben, die diese Städte tagtäglich am Laufen halten: die U-Bahnen fahren, den Müll entsorgen, die Büros und Wohnungen putzen, in den Restaurants kochen und kellnern, die Post und Pakete ausliefern, die Haare frisieren usw.
Die globale und nationale Klassenapartheid ist also, wenn man so will, in der Tat eine Form von Politikversagen. Aber es war eine Politik des Marktes, die hier versagt hat.
Herr Zitelmann, was sagen Sie zu den Ausführungen von Herrn Solty?
Rainer Zitelmann: Ich möchte meine Antwort etwas kürzer halten und vor allem auf einen zentrale Behauptung von Herrn Solty eingehen: „Die uns in den 1990er Jahren und 2000er Jahren von den Marktgläubigen jedoch versprochenen Wohltaten haben sich nicht eingestellt.“ Das Gegenteil ist richtig!
Das ist ein fundamentaler Widerspruch von Ihnen. Bitte erklären Sie uns, wie Sie das meinen.
Rainer Zitelmann: Bevor der Kapitalismus entstand, lebten die meisten Menschen auf der Welt in extremer Armut – 1820 betrug die Quote noch 90 Prozent. Heute ist sie unter 10 Prozent gesunken. Das Bemerkenswerte: In den letzten Jahrzehnten, wo Sie die negative Entwicklung sehen, hat sich der Rückgang der Armut Dank der weltweiten Durchsetzung des Kapitalismus so stark beschleunigt wie in keiner Phase der Menschheitsgeschichte zuvor. 1981 lag die Quote noch bei 42,7 Prozent, im Jahr 2000 war sie bereits auf 27,8 Prozent gesunken und 2021 lag sie unter 10 Prozent.
Diese Haupttendenz, die über Jahrzehnte anhält, ist entscheidend. Zwar ist die Armut – entgegen den ursprünglichen Erwartungen der Weltbank, die diese Daten erhebt – zuletzt wieder gestiegen. Aber das hat vor allem mit der Covid-Pandemie und dem Ukraine-Krieg zu tun, die in Ländern mit ohnehin großer Armut zu einer erneuten Verschlechterung der Situation geführt hat. Hat man die längere Tendenz im Blick, dann sind auch andere Entwicklungen erfreulich. Die Kinderarbeit nahm in den letzten Jahrzehnten deutlich ab. Im Jahr 2000 arbeiteten weltweit 246 Millionen Kinder, 20 Jahre später, im Jahr 2020, waren es nur noch 160 Millionen. Und dies, obwohl die Weltbevölkerung im gleichen Zeitraum von 6,1 auf 7,8 Milliarden Menschen zunahm.
Dass diese Entwicklung dem Kapitalismus zu verdanken ist, sieht man am Beispiel Chinas: Noch 1981 betrug der Prozentsatz der Chinesen, die in extremer Armut lebten, 88 Prozent. Dann führte Deng Xiaoping das Privateigentum und viele Elemente der Marktwirtschaft ein. Das Ergebnis: Heute leben weniger als 1 Prozent der Chinesen in extremer Armut.
Also: die von den „Marktgläubigen“ versprochenen Wohltaten, d.h. ein weltweiter Rückgang von Hunger und Armut und Steigerung des Wohlstandes, sind, anders als Sie sagen, in einem Maße eingetreten, wie es kaum jemand für möglich gehalten hätte.
Was ist wichtiger: Die Beseitigung von Armut oder die Reduzierung von Ungleichheit?
Ingar Solty: Dass der Kapitalismus historisch die Produktivkräfte entfaltet hat, steht außer Frage. Davon ging schon Karl Marx aus.
Sie geben also Herrn Zitelmann recht?
Ingar Solty: Nein. entscheidend ist zum einen nicht die extreme Armut, sondern die Relation zum Gesamtwohlstand einer (Welt-)Gesellschaft und welche Teilhabe er ermöglicht oder für die ermöglichen müsste, die diesen Wohlstand als Lohnarbeiterinnen und Lohnarbeiter historisch geschaffen haben und tagtäglich für die Kapitalbesitzer schaffen.
Wie meinen Sie das?
Ingar Solty: Wir könnten zum Beispiel beim Stand der heutigen Produktivkräfte für diese globale Klasse alle nur erdenklichen sozialen Rechte verwirklichen: wie das Recht auf eine Arbeit, von der man leben kann, auf eine gerechte Verteilung von Arbeit und frei verfügbare Zeit, auf bezahlbaren Wohnraum, auf Gesundheit, auf gesellschaftliche Teilhabe usw.
Und stattdessen…
Ingar Solty: ….fliegen Milliardäre privat ins Weltall, gondeln in Yachten so groß wie zwei Fußballfelder um die Welt oder schaffen sich Infrastrukturen, um ihre Gehirne in die Cloud hochzuladen und sich so unsterblich zu machen, während Hunderte Millionen Menschen an heilbaren Krankheiten sterben oder unsere öffentliche Infrastruktur zerfällt.
Rainer Zitelmann: Die Vorstellung Menschen seien arm, weil andere reich sind, ist der grundlegende Irrtum aller Nullsummengläubigen. Die meisten Reichen sind als Unternehmer reich geworden, weil sie Produkte geschaffen haben, die von vielen Menschen geschätzt werden. Und das Geld, das Leute wie Jeff Bezos oder Elon Musk für privaten Luxus ausgeben, ist nur ein winziger Prozent- bzw. Promillesatz ihres Gesamtvermögens, das überwiegend in Aktien ihrer Unternehmen gebunden ist. Kein Mensch auf der Welt ist deshalb arm, weil manche Unternehmer durch Produkte wie Tesla, Amazon, Facebook oder Google superreich sind.
Ingar Solty: Hier besteht ein grundsätzlicher werttheoretischer Dissens zwischen Ihnen und mir. Jeff Bezos bspw. schafft keine Werte. Er hat im Zuge der Digitalisierung als Plattform und mit der körperlichen Lager- und Lieferarbeit von Millionen ausgebeuteter Arbeiterinnen und Arbeiter eine (quasi-)natürliche Monopolstellung erzielt, die für ihn dieses gigantische und obszöne Vermögen geschaffen haben. Auch Elon Musks Kapitalvermögen beruht auf der Auspressung von Mehrwert aus der „seine“ Autos produzierenden Arbeiter in Form von Profit. Man kann das Kapitalvermögen der Wenigen nicht ohne die Ausbeutung der Vielen denken.
Jedenfalls sah auch Karl Marx in der Entwicklung der Produktivkräfte die „historische Mission“ des Kapitalismus. Er verstellte sich aber darüber hinaus nicht den Blick für den Umschlag der Produktiv- in Destruktivkräfte: wie etwa den Blick für die stete Enteignung der Kleineigentümer. Die Freihandelspolitik allein hat seit 1980 Hunderte Millionen Klein- und Subsistenzbauern in Afrika, Asien und Lateinamerika proletarisiert. Die Zahl der global eigentumslosen Lohnarbeiter, die keinen Zugang mehr zu Produktionsmitteln besitzt und in der ständigen Unsicherheit eines marktabhängigen Lebens lebt, hat sich nach Angaben der UN-Behörde International Labour Organization fast verdoppelt.
Marx behielt ferner im Blick, dass der Kapitalismus als System auf ständiges Wachstum angewiesen ist. Er ist aus diesem Grund auch nicht ohne systematischen Raubbau an menschlicher Arbeit und Natur zu denken.Zudem ist der Kapitalismus, wie Thomas Piketty gezeigt hat, ein System, das naturwüchsig die Einkommen aus harter und gefährlicher Arbeit zugunsten von – ich sage das ganz bewusst – leistungslosen Einkommen aus in der Regel ererbtem Kapital umverteilt. Und schließlich ist der Kapitalismus ein System, das in seiner Geschichte immer tiefere Krisen produziert und zwar nicht trotz, sondern gerade wegen der von ihm entwickelten Produktivkräfte.
Allein in diesem letzten Sinne ist die laufende Klimakatastrophe ja nichts Anderes als das größte Marktversagen in der Geschichte der Menschheit: Zwei Millionen Jahre gibt es menschliches Leben auf dem Planeten Erde; der Kapitalismus brauchte nicht einmal 250 Jahre, um menschliches Lebens hier grundsätzlich in Frage zu stellen und uns schon kurzfristig mit der Barbarei der möglicherweise erzwungenen Umsiedlung von 2-3 Milliarden Menschen zu konfrontieren.
Zum einen, Herr Zitelmann, frage ich mich also, ob Sie diese Destruktivkräfte nicht sehen? Zum anderen wundere ich mich auch über Ihre eingangs formulierte Kritik am Staatsinterventionismus im Rahmen des Kapitalismus. Denn es ist ja eine historische Tatsache, dass die größten Wachstumsraten und die größte soziale Kohäsion der Gesellschaften im kapitalistischen Westen eben nicht in der neoliberalen Ära seit Ende der 1970er Jahre verzeichnet wurden, sondern im „Goldenen Zeitalter des Kapitalismus“ nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Dieses war aber ja extrem staatsinterventionistisch, insofern als im „Westen“ der US-amerikanische New Deal der 1930er Jahre internationalisiert wurde – mit extremer Abschöpfung der Kapitalvermögen durch den Staat (94% auf alle Einkommen über 200.000 Euro/Jahr in den USA), mit einer massiven wirtschaftlichen Staatstätigkeit und Staatseigentum von Post, Telekommunikation, Bahn, Luftfahrt, Gesundheit etc., mit dem Auf- und Ausbau eines generösen Sozialstaats, mit einer auf Vollbeschäftigung und entsprechende Gewerkschaftsmacht und damit auch relativen Vermögensangleichung ausgelegten Geldpolitik usw. usf.
Rainer Zitelmann: Sie sagen: „Entscheidend ist aber m.E. zum einen nicht die extreme Armut, sondern die Relation zum Gesamtwohlstand einer (Welt-)Gesellschaft und welche Teilhabe er ermöglicht.“ Das ist der Kern: Es geht um die Frage: Was ist wichtiger: Die Beseitigung von Armut oder die Reduzierung von Ungleichheit? Wenn Sie Letzteres nehmen, dann müssten sich jetzt über eine Milliarde Chinesen nach der Zeit Maos zurücksehnen, da waren sie nämlich gleicher. Der Gini-Index ist heute größer in China als zu Maos Zeiten. Und das ist das Absurde an der Argumentation der Kapitalismuskritiker: Sie interessieren sich nicht für die Beseitigung von Armut, sondern nur für das Thema der sogenannten „relativen Armut“.
Piketty beklagt, in den Jahren 1990 bis 2010 sei die Schere zwischen Arm und Reich mit Blick auf Einkommen und Vermögen auseinandergegangen. Tatsache ist jedoch, dass gerade in diesen Jahrzehnten Hunderte Millionen Menschen weltweit – dank der Ausbreitung des Kapitalismus – aus der bitteren Armut entronnen sind, besonders in China, aber auch in Indien, Vietnam, Polen und vielen anderen Ländern.
Ist es für diese Hunderten Millionen Menschen entscheidend, dass sie nicht mehr hungern und der Armut entronnen sind oder dass sich – möglicherweise – im gleichen Zeitraum das Vermögen von Multimillionären und Milliardären noch stärker vermehrt hat als ihr Lebensstandard? Dass in den vergangenen Jahrzehnten in China die Zahl der Millionäre und Milliardäre stark gestiegen ist (es gibt in Peking mehr Milliardäre als in New York) und sich für Hunderte Millionen der Lebensstandard so sehr verbessert hat, sind nur zwei Seiten einer Medaille und die Folgen des gleichen Prozesses, nämlich der Entwicklung vom Sozialismus zum Kapitalismus, von der Plan- zur Marktwirtschaft.
Wenn man argumentiert, die Zahl der Armen in den entwickelten westlichen Industrieländern sei gestiegen, dann liegt das oft einfach daran, dass Armut in den zugrunde liegenden Studien relativ gemessen wird. Arm ist beispielsweise im offiziellen Armuts- und Reichtumsbericht der deutschen Bundesregierung, wer weniger als 60 Prozent des sogenannten Medianeinkommens verdient. Wie fragwürdig diese Definition ist, lässt sich leicht an einem Gedankenexperiment veranschaulichen.
Nämlich?
Rainer Zitelmann: Angenommen, bei gleichem Geldwert stiegen alle Einkommen um das Zehnfache. Untere Einkommensbezieher, die beispielsweise bisher 1000 Euro im Monat hatten, bekämen nunmehr 10.000 Euro. Keiner müsste sich mehr sorgen. Das Leben wäre schön. Jedoch – nach der herrschenden Armutsdefinition gemäß der 60-Prozent-Formel hätte sich nichts geändert. Immer noch gäbe es genau so viele „Arme“ wie zuvor, obwohl deren Einkommen jetzt zehnmal höher ist als zuvor.
Stimmt die Trickle-down-These?
Herr Solty, was entgegen Sie?
Ingar Solty: Selbstverständlich muss sich Armut am Gesamtwohlstand einer Gesellschaft und dem gesellschaftlich geschaffenen Zivilisationsstand bemessen. Schließlich sind es die lohnabhängigen Klassen, die diesen Wohlstand schaffen und entsprechend daran teilhaben und auch mitbestimmen können sollten, wie dieser Wohlstand verwendet wird. Ich finde es zynisch, wenn Menschen mit mittleren und höheren Arbeitseinkommen, wie Sie und ich, sie genießen können, die Existenz von arbeitenden und erwerblosen Armen wegzureden versuchen, bloß weil Armut in den kapitalistischen Kernstaaten seit Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr bedeutet zu verhungern, sondern nur noch bedeutet, auf Frühstück und Abendessen zu verzichten, damit das Geld am Ende des Monats reicht. Um von Kino- und Restaurantbesuchen, Urlaubsreisen und dergleichen gar nicht zu sprechen. Es ist menschenunwürdig, wie auch die Twitter-Diskussion #Ichbinarmutsbetroffen gezeigt hat. Denn der Mensch lebt nicht vom Brot allein.
Aber vielleicht diskutieren wir theoretischer: Wenn Sie nun behaupten, dass Vermögensungleichheit nicht das Problem sei, sondern dass es um Wachstum geht und die Milliardäre die Armen quasi nachziehen, dann vertreten Sie, Herr Zitelmann, hier ja die „trickle-down“-Theorie der Reaganomics der 1980er Jahre.
Was ist darunter zu verstehen?
Ingar Solty: Diese Theorie behauptete, die Entfesselung der Marktkräfte – also die Liberalisierung des Handels, die Privatisierung von öffentlichem Eigentum, die Deregulierung von Arbeits-, Finanz- und anderen Märkten – würde den Wohlstand allgemein heben. Das heißt, am Ende des Tages also würde auch die Arbeiterklasse – durchaus kontraintuitiv – von Steuersenkungen für Superreiche und Konzerne sowie der systematischen Schwächung von Gewerkschaften profitieren.
Das hört sich doch gut an.
Ingar Solty: Das Ganze ist nun keine bloße Theorie, sondern wurde ab den späten 1970er Jahren von den USA und Großbritannien ausgehend in fast allen Ländern der Erde ausprobiert. Man kann also sich die empirischen Entwicklungen anschauen. Dann fällt einem auf, dass es in den 1960er Jahren in den USA und in Großbritannien möglich war, von einem einzigen (männlichen) Lohnarbeitseinkommen bei geringerer Produktivität als heute und mit geringerer Wochenstundenzahl als heute eine mehrköpfige Familie zu ernähren und arbeitsplatznahes Wohneigentum zu erwerben.
Und die Realität, heute?
Ingar Solty: Dieses Leben ist heute auch in Deutschland für die Mehrheit der jungen Lohnarbeiter, selbst für die hochgebildeten „professionals“, ohne Erbschaften undenkbar geworden. Vor dem Hintergrund der monetaristischen Wende in der Geldpolitik (Volcker-Schock 1979) und der systematischen Schwächung der Gewerkschaften wurden die Einkommen aus Kapital massiv zu Lasten der Einkommen aus Arbeit gesteigert und auf dem Wohnungsmarkt heute werden durch die Suche des Kapitals nach profitablen Anlagesphären auch systematisch tarifpolitisch errungene Arbeitseinkommen auf dem Wege des Mietenwahnsinns gleich wieder enteignet. Würden Sie also bestreiten, dass „Trickle-Down“-Economics widerlegt ist?
Rainer Zitelmann: Ich denke, dass der Liberalisierungsschub der 80er- und 90er-Jahre weltweit zu mehr Wohlstand und weniger Armut geführt hat. Das habe ich vorhin an einigen Zahlen ganz gut belegt. Für mich sind das nicht nur Zahlen, sondern ich reise ja sehr viel in die Länder, von denen ich spreche. Man muss nur einmal Vietnam heute vergleichen mit Vietnam vor Beginn der marktwirtschaftlichen Reformen in den 80er Jahren.
Aber ich will mich keineswegs davor drücken, auch über die Situation in Deutschland zu sprechen, sehr gerne auch Berlin, wo ich lebe. Sie sprechen vom Mietenwahnsinn und ich sehe den Wahnsinn auch in der Wohnungspolitik, aber in ganz anderer Weise. Denn die Situation auf dem Wohnungsmarkt ist dort besonders schlimm, wo Linke regieren.
In Berlin regiert die Linke, der Sie nahe stehen, zusammen mit SPD und Grünen und es ist fast unmöglich, eine Wohnung zu mieten zu einem vernünftigen Preis. Ich habe Bekannte, die verzweifelt eine Wohnung suchen und eine ist jetzt sogar nach München gezogen, weil sie dort eher eine Wohnung gefunden hat als in Berlin. Eigentlich kaum zu glauben, weil München stets für besonders hohe Mieten und Wohnungsknappheit bekannt war und ist. In Berlin hat man seit Jahren Investoren als Feinde bekämpft und mit allen möglichen Mitteln – Mietendeckel, Enteignungs-Drohung usw. – versucht, Investoren das Leben schwer zu machen. Das Ergebnis sieht man.
Noch größer war die Wohnungsnot nur, als die Linke noch SED hieß. Da gab es all das, was Sie sich wünschen, also Mietenstopp, Staatswohnungen usw. Und das Ergebnis? Nach der Wiedervereinigung Deutschlands waren die Wohnungen in Ostdeutschland und Berlin in einem katastrophalen Zustand. 1989, als die DDR am Ende war, wurden 65 Prozent aller Wohnungen – die 3,2 Millionen Nachkriegsbauten eingerechnet – noch mit Kohleöfen beheizt. 24 Prozent hatten keine eigene Toilette und 18 Prozent kein Bad. Die Ausstattung mit Fahrstühlen, Balkonen und modernen Küchen war noch geringer. 40 Prozent der Mehrfamilienhäuser galten als schwer geschädigt, 11 Prozent sogar als gänzlich unbewohnbar. Ja, die Mieten waren niedrig – aber zu welchem Preis für die Menschen, wenn Sie sich diese Zahlen vergegenwärtigen?!
Angesichts dieser katastrophalen Bilanz von linker Politik, egal ob heute in Berlin oder zur Zeit der DDR, ist es schwer zu verstehen, dass dem bösen Kapitalismus der „Mietenwahnsinn“ angehängt wird. Wahnsinn ist aus meiner Sicht die irrationale Staatsgläubigkeit von Linken, die glauben, auf allen Gebieten des menschlichen Lebens sei der Staat der Heilsbringer.
China, die Zahlen der Weltbank, Armutsüberwindung und Segnungen des Kapitalismus: Unter anderem darüber diskutieren im zweiten Teil des Overton-Interviews der Kapitalismuskritiker Ingar Solty und der glühende Kapitalist Rainer Zitelmann. Finden die beide noch einen Konsens?
Ingar Solty: Ich würde auch gerne noch einmal zur Chinafrage zurückkehren, weil sich daran vielleicht unsere grundsätzlichen Differenzen herausarbeiten lassen.
Bitte.
Ingar Solty: Mich wundert es, dass ausgerechnet Sie, Herr Zitelmann, den chinesischen Erfolg loben. Denn Sie haben ja Recht, dass der Rückgang der extremen Armut weltweit fast ganz allein auf das Konto Chinas zurückgeht, wo im Zuge der „Politik der Öffnung“ tatsächlich 770 Millionen Menschen aus der Armut geholt wurden. Dort lebt heute die größte Mittelklasse der Welt. Aber es ist ja eben auch eine Tatsache, dass Chinas „Sozialismus mit chinesischer Prägung“ die Märkte, die es unter Deng Xiaoping zugelassen hat, bis heute stark reguliert. Es ist Tatsache, dass China seinen Erfolg mit einer Hochpotenz des von Ihnen in Deutschland aber als „Planwirtschaft“ kritisierten Staatsinterventionismus geschafft hat.
Mit einer stark zentral gelenkten Wirtschaft, der fortbestehenden absoluten Dominanz von Konzernen in Staatseigentum, dem fortexistierenden kommunalen Gemeineigentum an Grund und Boden, stark regulierten, ja abgeschotteten Finanzmärkten usw. Schon die Asienkrise 1997ff. zeigte ja, dass es die stärker staatsinterventionistischen asiatischen „Tiger“ waren, die damals gut durch die Krise waren, und diejenigen Staaten waren, die sich am stärksten an die Politik des „Washington Consensus“ und der neoliberalen Trias – (Handels-)Liberalisierung, Deregulierung, Privatisierung – orientierten, am Schlimmsten betroffen waren. Ohne diese Formen der gelenkten Wirtschaft wäre China nicht zum Hochtechnologierivalen der USA ausgestiegen und sähe als Gesellschaft eher so aus, wie das von gleichen Bedingungen gestartete, viel stärker marktwirtschaftliche Indien.
Warum loben Sie also an China, was sie in Europa, so wie eingangs, schon in seinen minimalen Ansätzen verteufeln? Müssten sie sich, wenn Sie das kapitalistische Wachstum zur Messlatte des Erfolgs nehmen und der Staatsinterventionismus sowohl im „Westen“ als auch in China seine historische Bedingung war und ist, nicht gerade deswegen heute für die Wiederverstaatlichung wenigstens von privatisierten Infrastrukturunternehmen oder die Kampagne „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ aussprechen? Müssten sie dann nicht wenigstens die Wiedereinführung der Vermögensteuer und höhere Kapitalbesteuerung allgemein fordern, um die staatlichen Rahmenbedingungen von Wachstum und Wohlstand zu schaffen?
Rainer Zitelmann: Weiying Zhang, der Ökonom an der Peking University ist, wendet sich gegen die Vorstellung, dass Chinas außergewöhnlicher Erfolg ein Ergebnis der großen Rolle des Staates sei. „China ist nicht wegen, sondern trotz des starken Staates und des großen ineffizienten Staatssektors schnell gewachsen“, schreibt er in einem Aufsatz mit dem Titel “The China model view is factually false”. Tatsächlich seien Marktwirtschaft und Privatisierung die treibenden Kräfte für Chinas enormes Wirtschaftswachstum.
Zhang hat die Daten von unterschiedlichen Regionen in China analysiert und kam zu dem Resultat: „Je mehr marktorientierte Reformen eine Provinz durchgeführt hatte, desto höher war ihr Wirtschaftswachstum, und Nachzügler bei der Reform der Marktwirtschaft waren auch Nachzügler beim Wirtschaftswachstum.“ Die Gebiete, in denen die konsequentesten marktwirtschaftlichen Reformen durchgeführt wurden, also Guangdong, Zhejiang, Fujian und Jiangsu, waren zugleich die, die wirtschaftlich am stärksten gewachsen seien. Seine zentrale These, die er mit zahlreichen Untersuchungen belegte: Chinas Erfolg passierte nicht WEGEN, sondern TROTZ des Staates. Wenn China den Weg in Richtung Kapitalismus verlässt, und dafür gibt es leider manche Zeichen, dann wird die Erfolgsgeschichte bald zu Ende sein.
Dennoch: Wenn Sie meinen, ich müsste mit Blick auf China für die Vermögensteuer sein und für höhere Unternehmenssteuern, dann wundert mich das, denn in China gibt es keine Vermögensteuer und die Unternehmenssteuern sind niedriger als bei uns.
Zum Thema Klimawandel gäbe es viel zu sagen. Leider ist hier nicht der Platz. Meine These, dass auch für Umweltschutz und Klimawandel gilt, dass Kapitalismus nicht das Problem, sondern die Lösung ist, habe ich ausführlich im 3. Kapitel meines Buches „Die 10 Irrtümer der Antikapitalisten“ belegt. Wer nicht so viel lesen will – hier ein paar Daten: „Mehr Kapitalismus sorgt für besseres Klima“.
Ingar Solty: Ihr Argument für den Kapitalismus, Herr Zitelmann, beruht auf der Annahme, dass die Weltbank-Zahlen zur extremen Armut eine lineare Aufwärtsentwicklung in der Lebensqualität der Menschen hier wie im globalen Süden reflektieren. Diese Zahlen sind schon an sich problematisch, weil nur der Kapitalismus sich ja durch die Existenz einer Klasse der Eigentumslosen in abhängiger Lohnarbeit auszeichnet und bis in die 1980er Jahre hinein ein Großteil der Einkommen der unteren Klassen nicht in Bargeldlohnform existierte, sondern in Form von Naturalien aus Subsistenz- und kleinbäuerlicher (Tausch-)Wirtschaft usw.
„Der Widerstand gegen den Kapitalismus machte ihn historisch einigermaßen erträglich“Aus welchen Gründen sind die Zahlen der Weltbank für Sie noch problematisch?
Ingar Solty: Weil ich aufzeigen wollte, dass sich Kapitalismus und Sozialismus wenigstens in ihrer Wirkungsweise nicht so leicht unterscheiden lassen. Das etwa, was den Kapitalismus im Westen für einen nicht geringen Teil der Arbeiterklasse mit zeitgleich steigenden Profitraten und Reallöhnen erträglich gestaltet hat, war paradoxerweise das Ergebnis von Kämpfen der von Ihnen, Herr Zitelmann, gescholtenen Antikapitalisten gegen den Kapitalismus. Die Entfesselung des kapitalistischen Marktes hat, mit Karl Polanyi gesprochen, nämlich geschichtlich stets den Widerstand gegen seine Zerstörungskraft hervorgerufen, der die Marktkräfte dann, wie im New Deal geschehen, einhegte.
Der Wohlstand der Arbeiterklasse im Westen der 1960er und 1970er Jahre etwa beruhte entsprechend auf drei Säulen: (1.) der tarifpolitischen Stärke der Gewerkschaften im Innern, (2.) der Existenz eines aus der Oktoberrevolution von 1917 hervorgegangenen Lagers realsozialistischer Staaten inklusive der DDR, die als dritter Tarifverhandlungspartner immer mit am Tisch saß, und (3.) die Stärke der nationalen Befreiungsbewegungen in der „Dritten Welt“, die bis zur „Öl“- und -Schuldenkrise in den 1970er Jahren der Globalisierung des Kapitalismus Grenzen auferlegten, d.h. also auch der gegenüber Arbeiterklasse und Staat erpresserischen Androhung von Standortverlagerungen etc.
Die neoliberale Ideologie, der zufolge der Markt nicht das Problem, sondern vielmehr die Lösung sei, hält sich aber trotz der Offensichtlichkeit der kapitalistischen Destruktivkräfte der letzten 40 Jahre so gut am Leben, weil er zum einen den Interessen der wirtschaftlich Herrschenden am besten dient und viele Intellektuelle dadurch gut verdienen, dass sie sein Lied singen, zum anderen aber auch deshalb, weil die Neoliberalen trotz der Tatsache, dass ihr System jetzt 40 Jahre probiert wurde und die Empirie gegen ihre Theorie spricht, behaupten: Den „freien Markt“ gab es noch nie! Obwohl auch das nicht stimmt, denn diese Utopie war der Frühkapitalismus Mitte des 19. Jahrhunderts mit seinen endlos ausgedehnten Arbeitstagen, der Kinderarbeit im Bergbau und der totalen Naturzerstörung. Das Paradoxe ist jedenfalls: Der Widerstand gegen den Kapitalismus machte ihn historisch einigermaßen erträglich.
„Am Ende des Tages geht es aber um die Eigentumsordnung“ Ich würde mich aber, wenn Sie erlauben, gerne nochmal jenseits der enggeführten Frage der extremen Armut und ihrer Überwindung mit Ihnen über die grundsätzlicheren Widersprüche des Kapitalismus unterhalten. Sie haben in ihrer ersten Erwiderung mein „zum einen“ zitiert, aber mein „darüber hinaus“ unterschlagen und damit auch die zentrale Stoßrichtung der Kapitalismuskritik. Sie fokussiert auf die Destruktivkräfte des Kapitalismus, d.h., erstens die Anarchie des Marktes und seine Unfähigkeit, sinnvolle Produktion von unsinniger, schädlicher, aber dafür hochprofitabler Produktion zu unterscheiden, und seine Unfähigkeit, die gesellschaftlich-ökonomische Entwicklung voraussichtig und demokratisch zu planen. Es ist ja kein Zufall, dass die Theoretiker des „freien Marktes“ F.A. Hayek, Milton Friedman und James Buchanan die Demokratie auf Kaufentscheidungen am Markt reduzieren und ihnen eine marktwirtschaftliche Diktatur wie in Chile unter Pinochet lieber war als eine sozialstaatlich verfasste Demokratie.
Dann würde ich mit Ihnen gerne zweitens noch über den grundsätzlich diktatorischen Charakter des Kapitalismus reden, nämlich, dass selbst in liberal verfassten Kapitalismen die wesentlichen Entscheidungen, was, wann, wie und vom wem produziert wird, einer winzigen Eigentümerklasse überlassen bleiben und dem Prinzip der Profitmaximierung unterworfen werden.
Zur Kapitalismusdiskussion gehört dann m.E. drittens die Frage der periodischen Krisen des Kapitalismus, die ihn immer wieder in die Barbarei gestürzt haben, und die sich die neoklassische Wirtschaftslehre aber überhaupt nicht erklären kann und will, weil sie sonst ihre abstrakten Modelle mit ihren fragwürdigen Vorannahmen „homo oeconomicus“, Gleichgewichtstheorem usw. theoretisch nicht mehr aufrecht erhalten könnte.
Und viertens wäre m.E. der systemische Wachstumszwang des Kapitalismus auf einem endlichen Planeten kontrovers zu diskutieren. Sie argumentieren ja, der Kapitalismus hätte mit der Klimakatastrophe nichts zu tun und sei vielmehr die Lösung. Ich finde diese Behauptung angesichts der Tatsache, dass die Entstehung des Kapitalismus als auf fossiler Energie gegründetes System mit der menschengemachten Erderwärmung korreliert, etwas verwegen. Sie wollen wahrscheinlich nicht allein die Sowjetunion oder heute Kuba für den Klimawandel verantwortlich machen, oder?
In dem von Ihnen verlinkten Beitrag in der „Welt“ behaupten Sie nun, dass die reichen Länder im kapitalistischen Westen die besten Ergebnisse beim „Environmental Performance Index“ hätten und schlussfolgern die Gleichung, je wirtschaftsliberaler ein Land ist, umso umweltfreundlicher sei es. Zunächst einmal ist die Behauptung, Dänemark und die anderen skandinavischen Länder, also solche mit einer starken sozialdemokratisch-etatistischen Tradition, seien besonders wirtschaftsliberal fragwürdig. Aber auch die Methodik der Schlussfolgerung hinkt m.E., weil natürlich, wie Giovanni Arrighi oder auch Ulrich Brand und Markus Wissen analysiert haben, der Wohlstand im globalen Norden auf Wohlstandstranfers aus dem Süden beruht und zugleich die lokalen Umweltschäden im Zuge der Kapitalverlagerungen ausgelagert wurden.
Ich halte die Frage wirtschaftsliberal oder stärker staatsinterventionistisch dabei im Übrigen nicht für entscheidend. In „Der kommende Krieg“ (Berlin 2020) habe ich argumentiert, dass ein radikaler Staatsinterventionismus zwar die absolut notwendige, aber auch nicht hinreichende Bedingung für die winzige Chance wäre, die laufende Klimakatastrophe noch aufzuhalten. Am Ende des Tages geht es aber um die Eigentumsordnung. Der „grüne Kapitalismus“ ist ein Oxymoron. Der Wirtschaftsgeograf David Harvey hat diesbezüglich aufgezeigt, dass es grünes Wachstum nie gab und auch nicht geben kann, weil sich die Wachstumsmasse, d.h. die weltweit produzierten Güter, im Schnitt alle 25 Jahre verdoppelt. Das heißt, jede Emissionseinsparung ist in der Vergangenheit mehr als zunichte gemacht worden. Wollen Sie hierzu vielleicht noch etwas sagen, erwidern?
Rainer Zitelmann: Was mir bei Ihnen wie bei anderen modernen Linken auffällt: Sie sprechen, wenn Sie Ihr Klagelied über die Übel des Kapitalismus anstimmen, vor allem von den USA oder Ländern in Europa. Als ich früher links war, interessierten wir uns vor allem für die Länder, wo es wirklich Armut gibt, man nannte das Dritte Welt damals. Und dass der Kapitalismus dort viel Gutes bewirkt hat, kann man doch gar nicht bezweifeln. Bevor Korea 1948 in einen kapitalistischen Süden und einen kommunistischen Norden geteilt wurde, war es eines der ärmsten Länder der Welt, vergleichbar mit Afrika südlich der Sahara – und das blieb bis Anfang der 60er-Jahre so, auch im Süden. Heute ist Südkorea eine der führenden Exportnationen und den Menschen dort geht es viel besser.
„Quer durch alle Einkommensgruppen profitierten die Polen vom Kapitalismus“
Herr Zitelmann, Sie sprechen stets von Beispielen aus Asien. Aber wie ist es in Europa? Wie steht es hier mit den „Segnungen“ des Kapitalismus?
Rainer Zitelmann: Ok, nehmen wir ein anderes Beispiel dafür, was Kapitalismus Positives bewirkt, unser Nachbarland Polen. 1989 verdiente ein Pole mit 50 USD im Monat nur ein Zehntel eines durchschnittlichen Deutschen, und auch dann, wenn man die Kaufkraft bereinigt, war es weniger als ein Drittel. Polen waren damals ärmer als die Ukrainer und das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner war nur halb so hoch wie in der Tschechoslowakei. Die Inflation betrug in Polen im Jahre 1989 260 Prozent und 1990 400 Prozent. Polen war das einzige Land im sozialistischen Ostblock, das auch formell bankrott ging.
Noch im Jahr 1910 betrug das Einkommen eines Polen 56 Prozent eines Westeuropäers. Doch bis zum Ende der sozialistischen Ära, die von 1945 bis 1990 dauerte, reduzierte sich dieser Anteil dramatisch; 1990 verdiente ein Pole nur noch 31 Prozent von dem, was Menschen in Westeuropa verdienen.
Doch durch radikale kapitalistische Reformen von Leszek Balcerowicz, einem glühenden Anhänger übrigens von Hayek und Mises, die Ihrer Meinung nach, Herr Solty, widerlegt wurden, wurde der Lebensstandard in Polen erheblich gehoben und erreichte bereits im Jahr 2016 57 Prozent des Niveaus der Westeuropäer, deren Lebensstandard nach dem Krieg erheblich gestiegen war. Quer durch alle Einkommensgruppen profitierten die Polen vom Kapitalismus.
Marcin Piatkowkski konstatiert in seinem 2018 erschienenen Buch: „Europe’s Growth Champion“: „Doch 25 Jahre später ist Polen zum unangefochtenen Vorreiter der Transformation und zum Wachstums-Champion in Europa und in der Welt geworden. Seit dem Beginn des postkommunistischen Übergangs im Jahr 1989 ist Polens Wirtschaft stärker gewachsen als die jedes anderen Landes in Europa.“ So, und jetzt zeigen Sie mir ein einziges sozialistisches Land auf der Welt, wo sich der Lebensstandard nach der Abschaffung des Kapitalismus verbessert hat…
„Mehr wirtschaftliche Freiheit ist besser für die Umwelt“
Herr Zitelmann, selbst wenn das so wäre, aber was ist mit der Umweltzerstörung, auf die Sie Herr Solty, angeprochen hat?
Rainer Zitelmann: Bleiben wir doch auch hier gleich bei Polen. Nicht nur der Lebensstandard der Polen hat sich durch die kapitalistischen Reformen dramatisch verbessert, sondern auch die Umwelt. Entgegen Ihren Behauptungen, der Kapitalismus sei für Umweltzerstörung und Klimawandel verantwortlich, zeigt das Beispiel von Polen, dass das Gegenteil richtig ist. Die Energieintensität, also das Verhältnis vom Energieverbrauch zum Bruttoinlandsprodukt, halbierte sich bereits in den Jahren von 1990 bis 2011. Und der Anstieg der CO2-Emissionen hat sich in Polen inzwischen vom Anstieg des Bruttoinlandsproduktes entkoppelt.
Übrigens kann man, da Sie die Themen Umwelt und Klimawandel noch einmal angesprochen haben, ganz generell zeigen, dass mehr wirtschaftliche Freiheit besser für die Umwelt ist. Die Umweltverschmutzung und CO2-Emissionen waren in der DDR um ein vielfaches schlimmer als in Westdeutschland.
Da Sie den EPI und den Index der wirtschaftlichen Freiheit ansprechen, will ich auch darauf noch mal eingehen und es noch mal für die Leser erklären, die beide Indizes nicht kennen: Der „Index of Economic Freedom“, den die Heritage Foundation seit 1995 ermittelt, misst die wirtschaftliche Freiheit in allen Ländern der Welt, man nennt ihn auch die Kapitalismus-Skala. Alle Länder unterteilen sich in die 5 Kategorien „free“, „mostly free“, „moderatly free“, „mostly unfree“ and „repressed“. Die Experten der Heritage Foundation haben den Umwelt-Index EPI und den Index der wirtschaftlichen Freiheit für das Jahr 2020 verglichen. Das Ergebnis: Die wirtschaftlich freiesten Länder hatten die höchste Punktzahl im Umwelt-Index der Yale-Universität, nämlich durchschnittlich 76,1. Die Länder, die „mostly free“ sind, hatten durchschnittlich 70,2 Punkte. Und dann gibt es einen großen Sprung zu den Ländern, die nur „moderatly free“ sind und die für ihre Umwelt deutlich schlechter (59,6 Punkte) geratet wurden. Die Länder, die „mostly unfree“ bzw. „repressed“ waren, hatten die mit Abstand schlechteste Umwelt (46,7 bzw. 50,3 Punkte im EPI).
Wenn Sie sagen, dass mehr Staatsinterventionismus besser ist für die Umwelt und das Klima, dann halte ich dagegen: Die geschichtlichen Tatsachen und die empirischen Daten, von denen ich hier nur einige wenige angeführt habe, belegen, dass genau das Gegenteil richtig ist.
Noch eine Randbemerkung: Was Ihr Bild von Skandinavien anlangt, so ist es doch ziemlich veraltet. Zwar ist die Einkommensteuer dort vergleichsweise hoch, aber schon wenn man auf andere Steuerarten schaut, so gibt es z.B. in Schweden weder Erbschafts- noch Schenkungsteuer und auch keine Vermögensteuer. Sozialismus in Skandinavien gab es vielleicht mal in den 70er Jahren, aber das ist voll gegen die Wand gefahren und auch dort haben wirtschaftsliberale Reformen (z.B. des Arbeitsmarktes) zu mehr Wohlstand geführt. Sozialismus sieht vielleicht auf dem Papier gut aus, außer wenn das Papier in einem Geschichtsbuch ist. Man kann sich leicht irgendwelche perfekten Systeme im Kopf ausdenken und dann die unvollkommene Realität daran messen. Aber das ist so, wie wenn ich Ihre Ehe mit einem kitschigen Liebesroman vergleichen würde, in dem eine perfekte Beziehung dargestellt wird. Deshalb vergleiche ich lieber Dinge, die man vergleichen kann, also z.B. China zu Maos Zeiten und heute, Ost- und Westdeutschland oder Polen vor und nach den kapitalistischen Reformen der 90er Jahre.
Zum Abschluss des Gesprächs: Konnten Sie wenigstens etwas Verständnis für die Position Ihres Gegenübers entwickeln?
Rainer Zitelmann: Ich lese sehr viele Bücher von Kapitalismuskritikern und verstehe deren Argumente. Daher verstehe ich auch die Argumente von Ihnen, Herr Solty. In meiner Jugend war ich selbst Marxist und habe die drei Bände des „Kapital“ wirklich sehr gründlich studiert, Wort für Wort.
Ich denke, der erste Unterschied zwischen Ihnen, Herrn Solty und mir, ist, dass Sie gerne theoretisch an die Sachen herangehen, während ich mich für die historischen Entwicklungen und Tendenzen interessiere. Der zweite Unterschied ist, dass ich mich stärker als Sie für die Entwicklung in denjenigen Ländern interessiere, die noch vor 30 oder 40 Jahren sehr arm waren und wo es den Menschen heute besser geht. Sie sagen: Ja, stimmt, aber es könnte ihnen noch besser gehen. Aber in dem Gespräch haben Sie kein einziges Beispiel für ein Land angeführt, wo es den Menschen durch Einführung des Sozialismus besser ging als vorher, während ich viele Länder angeführt habe, wo sich durch Privateigentum und Marktwirtschaft das Leben der Menschen dramatisch verbessert hat.
„Der Kapitalismus hat uns in eine Zivilisationskrise gebracht“
Ingar Solty: Ich kenne und anerkenne Ihre Position, Herr Zitelmann. Als früherer Marxist wissen aber auch Sie sehr gut, dass es im Gegensatz zur neoklassischen Wirtschaftsdoktrin ein Wesenskern der marxistischen Theorie ist, dass sie sich an realer Geschichte orientiert, eben historisch-materialistisch ist.
Zu Ihrer Kritik möchte ich darum sagen: Das historische Problem des Sozialismus im 20. Jahrhundert war, dass er in unterentwickelten und nichtdemokratischen Staaten siegte und versuchte, den Kapitalismus zu überspringen. Politisch geschah dies in der Sowjetunion unter fürchterlichem Gewalteinsatz. Ökonomisch betrachtet aber gelang es selbst unter diesen denkbar schlechten Ausgangsbedingungen: Aus dem Entwicklungsland Russland unter zaristischer Herrschaft wurde eine technologische Supermacht; China hat, auch wenn das Ende heute noch nicht abzusehen ist, unter der Führung einer kommunistischen Partei und unter Beibehaltung wesentlicher Eigenschaften einer sozialistischen Gemeinwirtschaft und zugleich Nutzung von Marktmechanismen Ähnliches vollbracht. Ja, selbst in Kuba leben die Volksmassen trotz des Zusammenbruchs der wirtschaftsverbündeten Sowjetunion und trotz der massiven US-Embargopolitik heute grundsätzlich besser als unter der Batista-Diktatur vor der Revolution und auch gesünder, würdevoller und sozial und vor Kriminalität sicherer als in vergleichbaren, rohstoffarmen kapitalistischen Ländern in Mittelamerika.
Und dennoch ist klar: Der Sozialismustest in den hochentwickelten Ländern des Westens mit den besten Ausgangsbedingungen steht heute noch aus. Und klar ist m.E. auch: Der Kapitalismus hat uns heute in eine Zivilisationskrise gebracht und wenn Menschheit und Menschlichkeit überleben sollen, dann braucht es besser heute als morgen eine bessere Gesellschaft jenseits des Kapitalismus.
Schrottabsonderer Zitelmann sondert weiteren Schrott ab. Und als Beleg für die Faktualität seiner kecken Behauptungen führt er sich selbst an, in bester kapitalistischer Manier gleich noch Werbung machend für eine seiner Schrottsammlungen in Buchform.
Inhaltlich auf seine Aussagen einzugehen, insofern sie überhaupt einen repräsentieren, tue ich mir nicht an. Es gibt eben Menschen, die ihre Wahnwelt der Realität vorziehen. Und es sind die Versuche, derartige Wahnwelten zu realisieren, etwa ewiges Wachstum, die uns dahin gebracht haben, wo wir nun stehen – wenn wir überhaupt noch stehen, und nicht schon längst nur noch kriechen und vom aufrechten Gang nichts mehr wissen.
Festzuhalten ist auch, dass dieser Dialog unter ziemlich ungleichen Voraussetzungen geführt wurde: Zitelmann als ehemaliger Marxist mit entsprechenden Kenntnissen und jetziger Immobilienhai ist gewissermaßen „mit allen Wassern gewaschen“. Er ist also gar kein „originärer“ Kapitalist, eher ein „Konvertit“ um des eigenen materiellen Vorteils Willen. Das ist abstoßend. Um so größer der Verdienst Ingar Soltys, sein gewissenloses, verräterisches Gegenüber dennoch als den moralisch-ethisch jämmerlichen Lappen zu outen, der Zitelmann zweifellos ist – ohne dabei selbst aus der Rolle zu fallen. Ansonsten bleibt es um so deutlicher dabei: https://overton-magazin.de/krass-konkret/ist-kapitalismus-das-problem-oder-die-loesung/#comment-6975
Amschel Mayer Rothschild sagte es kurz und knapp, wo der Sand überall in der Welt am Strand liegt: „Gebt mir die Kontrolle über die Währung einer Nation, und es ist mir gleichgültig, wer die Gesetze macht!“ >Kapitalismus< ist nur ein anderes Wort für das System der Machtpyramide der vernetzten Clans auf dieser Welt. In den USA sind es 80 Familien die bestimmen, was angesagt ist – in Europa sind es 3 Königsfamilien, genau so viele wie in Arabien – in China sind es 20 Familien und in Russland sind es 40 Oligarchen und in Indien bestimmen 5 Kasten das Geschehen. Dann gibt es da noch die Sekte der Chassiden, die im Verborgenen sehr effizient weltweit ihren Einfluss ausüben.
Die Bundeswehr verteidigt im Indopazifik die „regelbasierte Ordnung“ mit ihren Wertepartner zusammen. Das bedeutet das es sich weder um Kapitalismus oder Sozial/Kommunismus handelt, sondern vielmehr um „Faschismus“. Die geführte Diskussion ist Nihilismus, hier muss mal der Zustand der Demokratie hinterfragt werden. Die in der Vergangenheit erfahrenen Krisen, sind letztendlich, meiner Meinung nach, geführte „Kriege“ um ihre Macht weiterhin aufrechtzuerhalten.
Alles was Zitelmann von sich gibt sind die bekannten Phrasen. Blah, blah, blah…. Der Kapitalismus löst keine Probleme. Er produziert Ungleichheit, Krieg, Zerstörung, Umweltzerstörung, Ausbeutung etc. Der Kommunismus wie er in China und Russland existiert verdient diesen Namen nicht. Das ist nämlich totaler Überwachungskapitalismus. Wir Menschen müssen sozialer und nachhaltiger werden. Alles andere führt in die totale Katastrophe. Wie man das nennt ist mir egal.
Grundsätzlich erklärt sich Herr Zitelmanns neoliberale. marktradikale und letztlich dogmatische Ideologie aus seiner schon als ehemliger Marxist verinnerlichten dogmatischen Denke. Diese enttäuschte Abkehr und der Wechsel von der einen Glaubenslehre in die genau Entgegengesetzte ist selbsterklärend und zeugt davon, dass er die marxsche Kritik der politischen Ökonomie bzw. den Kapitalismus in seinem Wesen nicht ansatzweise begriffen hat.
Als ich das hier von Herrn Zitelmann las: „Als ich früher links war, …“ wollte ich eigentlich nicht mehr weiterlesen. Ist wohl ein Kumpel von Herrn Fleischhauer, der Herr Zitelmann?
Herrn Solty zuliebe habe ich aber doch weitergelesen.
Zitelmanns Kniff ist, dass er die unterschiedlichen äußeren Bedingungen bei seinem Paradebeispiel Polen außer Acht lässt. Die tatsächlich vorhandenen Verbesserungen in den Lebens- und Wirtschaftsbedingungen der Polen nach dem Ende des „Ostblocks“ sind ja ohne die massive Unterstützung aus der EU nicht denkbar.
Als Gegenbeispiel hätte Solty gut die Entwicklung in der Russischen Föderation nach dem Ende der Sowjetunion gegenhalten können, die ja zweifellos wirklich verheerend war für die Menschen dort. Da wurde es erst besser, als mit der Putin-Regierung die schlimmsten Auswüchse des Wirtschaftsliberalismus eingedämmt wurden.
Ein anderes einleuchtendes Beispiel kann Chile abgeben, nach dem Pinochet-Putsch und dem Wüten der „Chicago-Boys“ dort.
Und so weiter, man könnte ja hier das Forum vollschreiben mit Anmerkungen, aber das ist wohl nicht notwendig.
Zitelmanns zweiter Kniff ist auch nicht schlecht, ich meine die Sache mit seinem „Index of Economic Freedom“ vs. Umwelt-Index der Yale-Universität. Hier unterschlägt er ganz elegant, dass seine „freiheitlichen“ Länder sich vor allem die Freiheit genommen haben, ihre umweltschädlichsten Produktionsverfahren in unterprivilegierte Länder auszulagern – wobei sie dann auch gleich noch essentielle Arbeits(schutz)standards loswurden. Da fällt es dann leicht, sich seiner Umwelt-Heldentaten zu rühmen und auf die besagten unterprivilegierten Länder mit dem Finger zu zeigen.
Nebenbei: Hierzulande wird gerade über den Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken und sogar über Fracking laut nachgedacht. Es sieht so aus, dass durch den Wegfall eines für Europa wichtigen ökonomisch unterprivilegierten Landes, nämlich der Russischen Föderation, als Billiglieferant das Auslagern der schlimmeren Schweinereien auch nicht mehr so reibungslos klappt.
Auch werden die sozialen Wohltaten in Westeuropa Stück für Stück eingesammelt. Geht halt nicht anders, ist kein Geld mehr da dafür. Das ist nicht auf die besondere Gehässigkeit unserer Machthaber zurückzuführen, sondern auf die dem Kapitalismus innewohnende Dynamik.
Zwei Sätze von Solty möchte ich noch zusammenbringen: „Das historische Problem des Sozialismus im 20. Jahrhundert war, dass er in unterentwickelten und nichtdemokratischen Staaten siegte und versuchte, den Kapitalismus zu überspringen. (…) Der Sozialismustest in den hochentwickelten Ländern des Westens mit den besten Ausgangsbedingungen steht heute noch aus.“
So ist es. Dass ein funktionierender Sozialismus aus dem scheiternden Kapitalismus heraus entstehen muss und nicht einfach herbeigewünscht werden kann, wusste auch Marx schon. Die Entwicklung dahin muss halt reifen.
Die hier geführte Debatte sieht ab von den Zwecken, an die die ein oder andere Entwicklung geknüpft ist. So abstrakt ist Entwicklung ein Fetisch. Es kommt aber doch wohl darauf an, WOFÜR etwas entwickelt wird! Die alten ML-Ideologen machten eben denselben Fehler. Sie huldigten der und propagierten ganz abstrakt die Produktivität und Effizienz. Verglichen so ihre sozialistischen Staaten mit dem Westen. Schließlich kamen sie auf diese Weise zu einem negativen Resultat und schmissen ihr System weg, wurden kapitalistisch. (Zitelmann gehörte wohl auch zu dieser dummen Sorte von „Marxisten“.)
Das Problem beider ist, dass sie, obwohl sie sich als gewesene oder aktuelle Marxisten bezeichnen, ebenso wie der Gesprächsführer, das Wichtigste, und allen anderen Aussagen von Marx vorauszusetzende, die Wertformanalyse, nicht erfasst haben. Damit ist ihr Marxismus sehr fragwürdig. Sie gondeln im alten Gewässer des M/L, der spätestens seit dem Zusammenbruch des „sozialistischen Lagers“ sich erledigt hat.. Da der M/L und die „Kapitalinterpreten“ (Dieter Wolf), aus welchen auch vielleicht historischen Gründen auch immer, bis heute die Befürchtung von Marx, dass es noch sehr lange dauern würde, bis seine Werttheorie begriffen werde, dominant am Leben halten, konnte nur eine Theorie und Praxis einer sozialistischen Marktwirtschaft aufkommen. Diese jedoch ist ein Widerspruch in sich. Der Unterschied zwischen Kapitalismus und Sozialismus kann nur in der Produktionsweise gesehen werden, die juristische Deklaration von Volkseigentum sind aber noch nicht die sozialistischen Produktionsverhältnisse, da das „Bewegungsgesetz des Kapitalismus“ der Wert weiterhin gilt und die Gesellschaft dominiert. Der Sozialismus in den „sozialistischen Ländern“ war vielleicht eine interessante Ausgangssituation für eine Produktionsweise, die auf den Bedürfnissen und nicht auf dem Wert gegründet wäre, aber selbst war er es noch nicht. Er war eher eine besondere Form des staatsmonopolistischen Kapitalismus. Die Begründung dafür kann im Vorwort der Herausgeber Rolf Hecker und Ingo Stützle der Neuausgabe „Das Kapital 1.1 – 1.5“, vor allem dem Teil „Das Kapital 1.5 Die Wertform“ nachgelesen werden. Die Ableitung von Marx entgegen den üblichen Interpretationen liefert Dieter Wolf (Kann bei Bedarf geliefert werden). Es wird langsam Zeit, dass die, die sich Marxisten nennen, sich dieser Herausforderung stellen und nicht auf den alten Gleisen des Vulgär-Marxismus weiter wursteln.
Ich meine, jeder hat seinen Standpunkt vertreten und gut. Weder der eine, noch der andere ist moralisch zu verteufeln. Na klar haben die chinesischen Kommunisten Fehler gemacht, das ist gerade in dem, was Kapitalismus genannt wird normal. Stellen „wir“ die Chinesen mal zurück und schauen uns die Welt an. Was ist alles benutzt, externalisiert wurden, wofür nicht gezahlt wurde, dass die Gesellschaft zu tragen hat? Wenn jetzt China eingeführt wird, dann ist zu sagen, dass die doch gar nicht ihre Wirtschaft entwickelt haben, sondern die berühmte Werkbank der Welt war. Sie haben das gemacht, was im Westen auch gemacht wurde, wenn es um die Verschmutzung geht. Als die Chinesen „reicher“ wurden, wurden die Investition in China von VW etc. erhöht, das auch von anderen. Was die Chinesen „gerettet“ hat ist das nicht mehr als 50 % ausländisches Kapital in eine Firma sein durfte. In zentralen Fragen waren die Chinesen gelehriger und haben gesehen, wie Kapitalismus funktioniert und einen Riegel vorgeschoben, bevor der Kapitalismus ihre Kehle erreicht hat. Das wurde ja auch lange bejammert, aber die Profite stiegen im Überfluss also nicht so laut. Jetzt zu den Chinesen, die großen Firmen im Staatsbetrieb waren unifiziert und da wurde Abhilfe geschaffen, da die Überschüsse immer höher wurden, haben die Chinesen auch ausländische Firmen gekauft und viel in die Ausbildung des Volkes investiert. Es gab auch viele Erfindungen, noch heute melden die Chinesen die meisten Patente an. Mit dem Umweltschutz machen die auch ernst. Lustig ist, dass die Chinesen wie die Deutschen bei einer Sache ähnlich blöde sind, es gibt Windräder, die vollständig fertig sind, aber es gibt keine Stromleitungen. Sie sind nicht angeschlossen. Aber das ist Schnee von gestern, worum geht es jetzt. Ich meine das die EU, USA und Kanada Konkurrenten sind und von daher lange brauche um Entscheidungen zu treffen. Alleine Deutschland mit den Bundesländern etc. schleppen sich von Entscheidung zu Entscheidung am Ende noch Bundesverfassungsgericht. Die Chinesen haben sechs Flughäfen gebaut, die größer waren als BER und waren pünktlich fertig. Das zählt für den Umweltschutz auch, wenn es langsamer geht, dann weil es 1,4 Milliarden Menschen sind. Nicht dass ich Europa verurteile, nur in der Konkurrenz ist das zu langsam. Dann meinen die noch, mit nicht durchdachten Sanktion die Chinesen zu behindern. Dann machen sie es eben selbst und sie können es nicht nur sie verbessern es. Alleine fortschrittliche G5 trotz besseres Wissen zu verbieten, wird sie zurückwerfen. Das hat alles nichts mit Kapitalismus zu tun, private Kapitalisten hätten mit dem solvente Russland Verträge gemacht und erfüllt. Nord Stream 2 war ein privates Unternehmen, der Staat hat es abgestellt. Somit auch Profite des Kapitalismus. Wann hat dem Kapitalismus je Moral im Wege gestanden? https://klartext-info.de/?p=729 Die brennende Frage ist, auf welche Seite wird China kippen, wird es „Voll“ Kapitalistisch und verkommt wie die anderen. Oder entwickelt sich eine soziale Gesellschaft, in der der Staat immer mehr abstirbt?
Polen und der Kapitalismus Ich war gerade im Urlaub in Südpolen (und in der Slowakei). Was mir in Polen aufgefallen ist: Die extreme Dichte an Überwachungskameras im öffentlichen Raum und vor Privathäusern, dort meist noch ergänzt um einen Hinweis „Dieses Objekt wird von der Firma XYZ bewacht“. Offensichtlich haben die Polen vor sich selbst Angst, dass ein Nachbar dem anderen den kapitalistischen Reichtum nicht gönnt.
Den Kapitalismus und den Kommunismus gibt es in Reinstform nicht! Ein Zittelmann rechtfertigt und rationalisiert nur sein eigenes Verhalten, weil er davon profitiert hat. Wie viele Politiker haben eine rote 68er Vergangenheit. Und sie leben gut von der Politik. Es waren immer die Sozialisten, die den Sozialstaat demontiert haben. R. Mausfeld. K. Marx hat vieles im wesentlichen richtig erkannt, herausgearbeitet und dargestellt. Wenn nur nicht die menschliche Unzulänglichkeit wäre. Das Phänomen der Sättigung bzw. den Grenznutzen von Märkten. Marx kannte bestimmt die Schriften von Adam Smith. Der Bäcker backt nicht aus Alutrismus und Philanthropie Brot, sondern weil er davon auch seiner Lebensunterhalt bestreitet. Das Eigentum an den Produktionsmitteln führt zur Kapitalakkumulation. Wie das ausgesehen hat kann man in England des 18. Jahrhunderts schön studieren. Ein Gesichtspunkt, der immer übersehen ist, dass alles zu Geld gemacht werden soll. Finanzialisation der letzten Gemeinschaftsgüter und des Lebens. Der Kapitalismus ist per se nicht böse, sondern deren Akteure. Systemimmanent. Besonders durch die Ideologie des Neoliberalismus wurde er entfesselt. Gewinne privatisieren ja aber Kosten und Schäden sozialisieren. Das ist ein zutiefst parasitäres Verhalten. Wir sehen das ganz konkret am Verhalten der Steuervermeidung (Verantwortungslos) der großen Techkonzerne, die sich Horden von Lobbyanwälten leisten und entsprechende Politiker kaufen. Private-Public-Partnerships sind nicht kontrollierbar. Jeder ist käuflich! Unter den Deckmantel des Neoliberalismus oder Raubtierkapitalismus (Bonizahlungen etc. )werden die letzten Ressourcen dieses Planeten ausgebeutet. Kapitalismus muss aber eingehegt werden. Geld sollte nur ein Tauschmittel sein und dienende Funktion haben. Fiatgeld wird inflationär und führt zu Blasenbildung. Und Zinseszins (widerspricht der Nachhaltigkeit) kommt nach 70 Jahren ans Ende. Schuldenerlass statt Schuldensklaverei. Hier hat Michael Hudson über Schuldenerlass einen Artikel geschrieben. Paul Craig Roberts erkannte es auch. Stattdessen wird dieses Geldsystem durch Spekulation in den Systemkollaps getrieben. Geld habe ich noch nie arbeiten sehen. Ein Diener der Realwirtschaft. Es ist die Gier dieser Akteure in deren Auftrag Black Rock und Vanguard u.v.a.m sogar Börsen manipulieren und Gesetze schreiben lassen. Gasumlage. Wie kann es denn sein, dass einigen wenigen so viel „gehört“ wie die Hälfte der Menschheit? Und dann machen sich Ideologien breit wie der „Klimawandel“ und Nachhaltigkeit. So wird die De-industrialisation in die Wege geleitet, weil es in anderen Ländern billiger ist zu produzieren und ergo die Gewinne größer sind. Dieser Planet hat nicht für alle Platz und je mehr Menschen leben, desto schneller werden die Ressourcen aufgebraucht. Die eigentliche Pandemie ist die Menschheit. Daher die Ideologie Agenda 2030 und Great Reset. Wenn schon, dann auch einen für Gates, Rockefeller und Co. CO² Emissionshandel und der große Aufkauf von Böden (Ukraine, Afrika, Südamerika) sind der letzte Strohhalm. Gates der größte Landbesitzer. Industrie 4.0 braucht weniger Arbeitskräfte. Wohin damit? Die Folgen sehen wir in Äquator-nähe, wo der Regenwald abgeholzt wird, weil Soja angebaut werden soll um als Futtermittel für Mast verwendet wird. Und da soll der Klimawandel herhalten? Sorry für solche Verarsche und Gehirnwäsche habe ich nichts übrig. Aus der Geschichte sehen wir, dass Kriege oftmals Wirtschaftskriege sind. Ausbeutung von Ressourcen (hier Russland) und vor allem für Absatzmärkte. Der Kapitalismus braucht den Krieg und die Zerstörung wie der Mensch die Luft zum Atmen. Britisches Empire (Kolonien, Made in Germany). Stichwort Geostrategie Mackinder, Spykman, Brzezinski und Friedman. Das Dollarimperium wird verteidigt. Der Supergau für die USA und die NATO. BRICS Staaten schaffen Alternativen zum Dollar. Und wir als Vasallenstaat der USA zahlen Tribut für diesen Stellvertreterkrieg durch Enteignung. Putin war für Russland die Rettung nach dem Säufer Jelzin. Je ungleicher eine Gesellschaft (Thatcher – war eine Neocon-Nutte – sagte eine Gesellschaft gäbe es nicht) wird, desto mehr braucht man Sicherheit zum Schutz des Vermögens. Am Egoistischen und damit am Unsolidarischten verhalten sich die Superreichen. Zitat von Kissinger über Globalisierung. Anm. USA sind eine Oligarchie der Plutokraten. D. Ganser Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier.“ – Mahatma Gandhi
„Das ganze Ziel der praktischen Politik besteht darin, die Bevölkerung durch eine endlose Reihe von Hobgoblins, von denen die meisten imaginär sind, in Alarmbereitschaft zu halten (und daher lautstark in Sicherheit zu bringen)“ – HL Mencken
***
Zuerst kam der 11. September, mit dem sich die Regierung in einen Polizeistaat verwandelte.
Dann schlug die COVID-19-Pandemie zu, dieder Polizeistaat nutzte, um seine Sperrbefugnisse zu testen.
Angesichts der Tendenz der Regierung, (legitime oder fabrizierte) Krisen auszunutzen und aus den gesteigerten Emotionen, der Verwirrung und der Angst der Nation Kapital zu schlagen, um die Reichweite des Polizeistaats auszudehnen, muss man sich fragen, welche sogenannte Krise sie als nächstes ausrufen wird .
Es ist eine ziemlich einfache Formel: Zuerst schaffst du Angst, dann kapitalisierst du sie, indem du die Macht ergreifst.
Ehrlich gesagt spielt es keine Rolle, welcher Art der nächste nationale Notstand sein könnte (Terrorismus, zivile Unruhen, wirtschaftlicher Zusammenbruch, ein Gesundheitsproblem oder die Umwelt), solange er es der Regierung ermöglicht, die Nation abzuriegeln und alle Arten und Weisen zu rechtfertigen der Tyrannei im sogenannten Namen der nationalen Sicherheit.
Wie David C. Unger für die New York Times schreibt :
„ Leben, Freiheit und das Streben nach Glück sind einem permanenten Krisenmanagement gewichen : der Überwachung des Planeten und dem Kampf gegen Präventivkriege zur ideologischen Eindämmung, normalerweise auf einem Terrain, das von unseren Feinden gewählt und für sie günstig ist. Begrenzte Regierungs- und verfassungsmäßige Rechenschaftspflicht wurden durch die Art von imperialer Präsidentschaft beiseite geschoben, die unser Verfassungssystem ausdrücklich verhindern sollte.“
Folgendes wissen wir: Angesichts der Geschwindigkeit, mit der die Regierung auf Kosten der Steuerzahler immer wieder neue Wege findet, um sich als „Lösung“ für all unsere weltlichen Probleme zu etablieren, führt jede nachfolgende Krise zu einer immer größeren Ausweitung der Regierungsmacht und weniger individueller Freiheit.
Dies ist der rutschige Abhang zur völligen Tyrannei
Sie sehen, sobald die Regierung autoritäre Befugnisse erlangt (und nutzt) – um ihre Bürger auszuspionieren, Überwachung durchzuführen, ihre Polizeikräfte in Verlängerungen des Militärs umzuwandeln, Steuergelder zu beschlagnahmen, endlose Kriege zu führen, zu zensieren und zu schweigen Dissidenten zu identifizieren, potenzielle Unruhestifter zu identifizieren, Bürger ohne ordentliches Verfahren festzuhalten – sie gibt sie nicht freiwillig frei.
Die Lektion für die Ewigkeit lautet: Sobald es einer Regierung erlaubt ist, ihre Befugnisse zu übertreiben und auszudehnen, ist es fast unmöglich, den Geist wieder in die Flasche zu stecken. Wie der Harvard-Professor für Verfassungsrecht Laurence Tribe anerkennt: „ Der Machthunger der Diktatur ist unersättlich. ”
Auf diese Weise wurde jede Krise seit den frühen Anfängen der Nation zu einer Chance für die Regierung, Arbeit zu leisten.
Jede Krise war auch ein Test, um zu sehen, inwieweit „wir, das Volk“, der Regierung erlauben würden, die Verfassung im sogenannten Namen der nationalen Sicherheit zu umgehen; ein Test, um zu sehen, wie gut wir die Lektionen der Regierung in Fügsamkeit, Angst und Polizeistaatstaktiken verarbeitet haben; ein Test, um zu sehen, wie schnell wir im Gleichschritt mit dem Diktat der Regierung marschieren werden, ohne dass Fragen gestellt werden; und ein Test, um zu sehen, wie wenig Widerstand wir gegen die Machtergreifung der Regierung leisten, wenn sie im Namen der nationalen Sicherheit erfolgt.
Am kritischsten ist, dass es ein Test war, um zu sehen, ob die Verfassung – und unser Bekenntnis zu den in der Bill of Rights verankerten Prinzipien – eine nationale Krise und einen echten Ausnahmezustand überstehen könnte.
Leider sind wir bei diesem speziellen Test schon seit langem durchgefallen .
In der Tat haben die Mächtigen seit dem Zweiten Weltkrieg unsere Knöpfe gedrückt und uns wie Vieh zusammengetrieben, zumindest angefangen mit den japanischen Angriffen auf Pearl Harbor, die die USA nicht nur in den Zweiten Weltkrieg trieben, sondern auch vereinte das amerikanische Volk in seiner Opposition gegen einen gemeinsamen Feind .
Diese Angst vor Angriffen durch ausländische Bedrohungen, die praktischerweise durch den wachsenden militärisch-industriellen Komplex verstärkt wurde, führte wiederum zur „Roten Angst“ der Ära des Kalten Krieges. Verbreitet durch Regierungspropaganda, Paranoia und Manipulation, kochten antikommunistische Gefühle in eine Massenhysterie über, die jeden und jeden als verdächtig betrachtete: Ihre Freunde, der Nachbar, sogar Ihre Familienmitglieder könnten ein kommunistischer Umstürzler sein.
Als der 11. September herumrollte, musste George W. Bush nur behaupten, dass das Land von Terroristen überfallen wurde, und die Regierung benutzte den USA Patriot Act, um größere Befugnisse zu beanspruchen , um amerikanische Bürger auszuspionieren, zu durchsuchen, festzunehmen und zuverhaften um Amerika sicher zu halten .
Trotz der Tatsache, dass die weitreichenden Befugnisse des Militärs zur Inhaftierung amerikanischer Bürger nicht nur gegen US-Recht und die Verfassung, sondern auch gegen internationales Recht verstoßen, hat sich die Regierung geweigert, ihre durch die NDAA ermöglichten Inhaftierungsbefugnisse aufzugeben.
Dann trat Donald Trump sein Amt an und behauptete, das Land werde von gefährlichen Einwanderern überfallen, und er bestand darauf, dass der einzige Weg, die Sicherheit Amerikas zu gewährleisten, darin bestehe, die Reichweite der Grenzpolizei zu erweitern, das Militär zu ermächtigen, bei der Grenzkontrolle zu „helfen“ und im Wesentlichen das Gegenteil zu bewirken Land in eine verfassungsfreie Zone.
Diese sogenannte Einwanderungskrise verwandelte sich dann in mehrere Krisen (inländischer Extremismus, die COVID-19-Pandemie, Rassenkriege, Bürgerunruhen usw.), die die Regierung unbedingt nutzen wollte, um ihre Befugnisse auszuweiten.
Joe Biden wiederum hat alle Anstrengungen unternommen, um die Reichweite des militarisierten Polizeistaats zu erweitern, und versprochen, 87.000 weitere IRS-Agenten und 100.000 Polizisten einzustellen. Lesen Sie zwischen den Zeilen und Sie werden feststellen, dass Biden dem amerikanischen Volk so gut wie den Krieg erklärt hat.
Was die nächste Krise sein wird, ist unklar, aber Sie können sicher sein, dass es eine nächste Krise geben wird.
Was können Sie also erwarten, wenn die Regierung beschließt, einen weiteren Notstand auszurufen und eine landesweite Sperrung einführt?
Sie sollten mehr vom Gleichen erwarten, nur schlechter.
Mehr Nachgiebigkeit, weniger Widerstand.
Mehr Panikmache, Mind-Control-Taktiken und weniger Toleranz gegenüber denen, die die propagandistischen Narrative der Regierung in Frage stellen.
Es gibt allen Grund, sich Sorgen darüber zu machen, was als nächstes kommt.
Sicherlich sind die bisherige Erfolgsbilanz der Regierung und ihre lang erwarteten Pläne zur Einführung des Kriegsrechts (Einsatz von Streitkräften zur Lösung innenpolitischer und sozialer Probleme) als Reaktion auf eine zukünftige Krise Grund genug, sich Sorgen über den Umgang der Regierung mit der nächsten „Krise“ zu machen. ”
Merken Sie sich meine Worte: ob und wann endlich eine weitere landesweite Sperrung eintritt – ob und wann wir gezwungen sind, an Ort und Stelle Schutz zu suchen – ob und wann militarisierte Polizei auf den Straßen patrouilliert – ob und wann Sicherheitskontrollpunkte eingerichtet wurden – ob und wann die Medien dazu in der Lage sind Die Verbreitung der Nachrichten wurde von der Zensur der Regierung eingeschränkt – falls und wenn öffentliche Kommunikationssysteme (Telefonleitungen, Internet, Textnachrichten usw.) Zentren für amerikanische Bürger – ob und wann militärische „Snatch and Grab“-Teams auf lokalen, staatlichen,und auf Bundesebene als Teil der aktivierten Continuity of Government-Pläne, um jeden zu isolieren, der verdächtigt wird, eine Bedrohung für die nationale Sicherheit zu sein – und wenn das Kriegsrecht ohne echten Aufschrei oder Widerstand der Öffentlichkeit erlassen wird – dann werden wir das Ausmaß wirklich verstehen die der Regierung voll und ganz gelungen ist, uns an einen Zustand zu gewöhnen, in dem die Regierung alle Macht hat und „wir, das Volk“, keine haben.
*
Hinweis für die Leser: Bitte klicken Sie oben oder unten auf die Teilen-Schaltflächen. Folgen Sie uns auf Instagram und Twitter und abonnieren Sie unseren Telegram Channel. Fühlen Sie sich frei, Artikel von Global Research zu reposten und zu teilen.
Über Energiekrise, Preiserhöhungen, wachsenden Unmut der Bevölkerung und Proteste von KP sowie Gewerkschaften. Ein Gespräch mit Katerina Konecna
Zitat: Katerina Konecna ist die Vorsitzende der Kommunistischen Partei Böhmens und Mährens (KSCM)
Sie waren bei den Protesten gegen die Regierung am Samstag in Prag. Mehr als 70.000 Menschen haben eine andere Energiepolitik und militärische Neutralität gefordert, trotz der heftigen EU- und NATO-Propaganda, der sie in den vergangenen Monaten ausgesetzt waren. Hat Sie das überrascht?
Die Massenkundgebung auf dem Wenzelsplatz war nur die Spitze des Eisbergs, was den sich vertiefenden Unmut der Tschechen über die Politik der Regierung und ihre berechtigten Sorgen um ihre Zukunft angeht. Die Tschechische Republik ist mit einer Welle von Preiserhöhungen für die grundlegenden Bedürfnisse konfrontiert, vor allem für Lebensmittel und Energie. Wir haben mit 17,5 Prozent die zweithöchste Inflationsrate in der EU. Die Verschuldungsrate ist die höchste unter den EU-Ländern. Die hohen Preise für Gas und elektrische Energie sind beispiellos, es sind die höchsten in der EU, obwohl das Land einer der größten Produzenten und Exporteure von elektrischer Energie in Europa ist.
Das alles ist auf die unfähige Politik der Regierung zurückzuführen. Auch die Menschen beginnen zu begreifen, dass diese Regierung, die sich völlig den Strukturen der EU und der NATO unterworfen hat, nicht ihre Interessen vertritt. Wir gehen davon aus, dass die Protestwelle weitergehen und, damit einhergehend, der Druck auf die Regierung, die nicht die nationalen Interessen der Tschechischen Republik und ihrer Bevölkerung vertritt, zunehmen wird, so dass sie am Ende zurücktritt. Die Bürger haben begonnen, die Lage zu begreifen und mobilisieren gegen die Fortsetzung dieser gegen die Menschen gerichteten Politik.
Hat die Regierung denn Pläne, wie die sozialen Auswirkungen des Wirtschaftskriegs gegen Russland abgefedert werden können?
Genau das ist der Punkt. Die tschechische Regierung hat keinen Plan. Die Ausreden, dass Putin und Russland für die aktuelle Krise verantwortlich sind, werden von der Bevölkerung nicht mehr akzeptiert. Wegen der enormen Preise für Energielieferungen ist die Wettbewerbsfähigkeit der tschechischen Industrie gefährdet, und der Bankrott der tschechischen Wirtschaft steht auf dem Spiel. Die Menschen haben erkannt, dass die Unabhängigkeit und Souveränität des Landes in Gefahr sind. Die derzeitige tschechische Regierung ist nur ein demütiger Diener des supranationalen, globalen Kapitals durch seine Institutionen wie EU und NATO usw. Auch den Tschechen wird bewusst, dass andere europäische Länder viel mehr für den Schutz der Interessen ihres Volkes tun.
Auf der Kundgebung waren auch Vertreter von »Freiheit und direkte Demokratie«, SPD, oder »Hnuti Trikolora«, die dem extrem rechten Spektrum zugeschrieben werden. Es wurde beispielsweise kritisiert, dass die Kommunistische Partei Böhmens und Mährens, die KSCM, als Steigbügelhalter für die Rechte dient. Wie gehen Sie damit um?
Zunächst einmal waren die Anwesenden auf der Kundgebung besorgte und unzufriedene Bürger, die sich um ihre Zukunft, um existentielle Probleme ihrer Familien, aber auch um die Zukunft und den Wohlstand der Tschechischen Republik, ihre Sicherheit und Souveränität sorgen. Es besteht die Gefahr, dass einige politische Kräfte versuchen werden, aus dem Unmut der Bürger politischen Profit zu schlagen. Die KSCM muss sich dem stellen und die Menschen davon überzeugen, dass das, was sie fordern, seit Jahren ein fester Bestandteil des Programms der Kommunistischen Partei ist. Deshalb haben wir an der Kundgebung teilgenommen, und ich kann Ihnen versichern, dass die KSCM eine souveräne politische Partei ist und niemandem als Steigbügelhalter dient. Vielleicht versuchen die Medien, diesen Eindruck zu wecken.
Die Proteste sollen fortgesetzt werden, bis die Regierung zurücktritt. Die Veranstalter haben angekündigt, mit den Gewerkschaften große Streiks vorbereiten zu wollen. Wie hoch sind dafür die Chancen?
Da es keine Aussicht gibt, dass die derzeitige Regierung ihre Politik ändert, wird es zu weiteren Protesten kommen. Die KSCM organisiert den Protest am 17. September auf dem Wenzelsplatz und die Gewerkschaften rufen für Oktober zu einer Protestkundgebung gegen die Regierung auf. Wir erwarten eine Ausweitung auch auf regionale Zentren, bis die derzeitige Regierung zum Rücktritt gezwungen und neue, vorgezogene Parlamentswahlen angesetzt werden.Interview: Matthias István Köhler
Stellvertreterkrieg gegen Russland Des großen Bruders Fittiche
jungewelt.de, 10.09.2022, Seite 3 / Schwerpunkt, Von Jörg Kronauer
Kriegsrat in Ramstein: Washington gibt militärische Strategie im Donbass vor und sichert Waffenindustrie langfristig Großaufträge
Hintergrund: Probleme mit dem Nachschub
Die NATO-Staaten müssten dringend ihre »verteidigungsindustrielle Basis« ausbauen, forderte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin beim Treffen der »Ukraine Defense Contact Group« in Ramstein. Er hatte dazu allen Grund. Die Ukraine wird zum guten Teil aus den Beständen der westlichen Streitkräfte beliefert, und dort beginnen so langsam die Lücken zu klaffen. Ein Beispiel: Munition des Kalibers 155 Millimeter, wie sie etwa die Haubitze M-777 benötigt, mit der die ukrainischen Streitkräfte aufgerüstet worden sind. 806.000 Schuss habe man Kiew inzwischen geliefert, heißt es in Washington. Wieviel man noch in den eigenen Lagern habe, verrät das Pentagon nicht. Ein US-Regierungsvertreter räumte Ende August im Gespräch mit dem Wall Street Journal aber ein, es sei jedenfalls nicht soviel, wie man eigentlich haben wolle, wenn man irgendwo in den Kampf ziehen müsse.
Weil es punktuell eng zu werden beginnt – besonders auch bei den Streitkräften der NATO-Staaten Europas –, macht die Biden-Regierung Druck. Zum einen sucht sie nach Wegen, die Herstellung nicht zuletzt von Munition für die eigenen Streitkräfte so rasch wie möglich auszuweiten. Zum anderen hat die stellvertretende Verteidigungsministerin Kathleen Hicks eine hochrangig geführte Arbeitsgruppe eingesetzt, die die Rüstungsexporte in verbündete Staaten beschleunigen soll – auch dies nicht zuletzt, um deren Bestände wieder zu füllen, soweit sie durch Lieferungen an die Ukraine geleert worden sind. Allerdings geht es zugleich um mehr. US-Rüstungskonzerne fürchten, in Zukunft Exportgeschäfte an China zu verlieren, da die US-Exportkontrollen allzu penibel sind. Präzedenzfälle dafür gab es zuletzt zum Beispiel auf der Arabischen Halbinsel. Aus US-Perspektive ist das nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch ein GAU. Die Beschleunigung der Exportprozesse nützt also nicht nur im Machtkampf gegen Russland, sondern auch gegen China. (jk)
Glaubt man Lloyd Austin, dann steht bei der Aufrüstung der Ukraine durch die NATO-Staaten der Übergang in eine neue Phase bevor. So stellte es der US-Verteidigungsminister jedenfalls beim jüngsten, fünften Treffen der »Ukraine Defense Contact Group« am Donnerstag auf der US-Luftwaffenbasis Ramstein dar. Die Kontaktgruppe, die sich bislang stets darum bemüht habe, den unmittelbaren Bedarf der ukrainischen Streitkräfte an Waffen zu decken – sozusagen den Bedarf für die nächste Schlacht –, müsse nun einen Schritt weiter gehen, forderte Austin: Sie müsse beginnen, die Ukraine rüstungstechnisch in langfristiger Perspektive zu unterstützen – nicht nur für den womöglich noch einige Jahre dauernden Krieg, sondern auch für die Zeit danach.
Blicke man zurück, erklärte Austin, dann sei ein erster wichtiger Schritt im April die Lieferung von Haubitzen M-777 durch die Vereinigten Staaten gewesen. Die Haubitzen, deren erste Exemplare bereits im April in die Ukraine gebracht worden seien, hätten geholfen, die russische Offensive im Donbass zu bremsen. Zugleich seien sie aber auch die ersten Artilleriewaffen in der Ukraine gewesen, die NATO-Standards entsprochen hätten – ein wichtiger Schritt. Mittlerweile sei die Zahl der M-777, die Washington Kiew zur Verfügung gestellt habe, auf 126 gestiegen – eine stattliche Größenordnung.
Der nächste wichtige Schritt war laut Austin, dass die Kontaktgruppe auf ihrem ersten Treffen in Ramstein Ende April die systematische Belieferung der Ukraine mit schweren Waffen anschob – und damit letzten Endes die aktuelle ukrainische Offensive im Süden des Landes möglich machte. Dort werden nicht zuletzt die Mehrfachraketenwerfer »Himars« bzw. »MARS« eingesetzt, die ab Juli aus US-amerikanischen bzw. deutschen Beständen geliefert wurden. Nebenbei: Ukrainische Militärs hatten die Offensive vorab mit US-Experten im Rahmen eines »War game« detailliert durchexerziert. Dabei habe man Fehler entdecken und beseitigen können, teilten Regierungsmitarbeiter kürzlich dem US-Sender CNN mit. Ein Beispiel: Die ukrainischen Generäle hätten die Offensive ursprünglich breiter anlegen wollen, berichtete CNN; sie hätten sich schließlich aber von den US-Militärs überzeugen lassen, sich auf Cherson zu konzentrieren.
Nun, da die Offensive läuft, haben sich US-Militärs darangemacht, die Planungen für die Ukraine weiter voranzutreiben, und zwar unter der Leitung des Vorsitzenden der Joint Chiefs of Staff, Mark Milley. Der Prozess befinde sich noch in einem frühen Stadium, so schilderten es mehrere Pentagonmitarbeiter CNN; man arbeite an der Analyse, die wohl in den kommenden ein, zwei Monaten Gestalt annehmen werde, gemeinsam mit der ukrainischen Seite. Es gehe dabei schon längst nicht mehr bloß um den Krieg gegen Russland, wenngleich man fest davon ausgehe, er werde noch eine ganze Weile dauern, womöglich einige Jahre. Man habe aber schon die ersten fünf Jahre nach dem Ende des Kriegs im Blick. Wie sehe die »Zukunft der ukrainischen Streitkräfte« aus? Welche Waffen seien sinnvoll für sie? Derlei Fragen seien wichtig, erläuterten die Pentagonexperten – denn schliaeßlich lege man mit den Waffen, die man jetzt liefere, den Grundstock für die künftigen ukrainischen Streitkräfte.
Klar ist: Die Ukraine wird anstelle der alten sowjetischen Waffen, die sie zu Kriegsbeginn besaß und mit denen sie auch noch später von diversen Staaten Ost- und Südosteuropas aufgerüstet wurde, in Zukunft Waffen nach NATO-Standards erhalten, vor allem solche aus den USA. Dies wird es westlichen, wohl insbesondere US-amerikanischen Rüstungskonzernen ermöglichen, die Produktion zu steigern: »Wir werden kooperieren, um unsere verteidigungsindustrielle Basis auszubauen und den ukrainischen Bedarf auf lange Sicht zu decken«, kündigte Austin in Ramstein an. Die Milliardensummen, die Washington für Waffenlieferungen an die Ukraine bereitstellt, dienen nicht nur dem Kampf gegen Russland, sondern auch dem Zukunftsgeschäft der US-Rüstungsindustrie. CNN fasste, was die Pentagonmitarbeiter dem Sender erläutert hatten, in der Feststellung zusammen, da könnten US-amerikanische Waffenschmieden und solche aus verbündeten Staaten womöglich noch vor der nächsten US-Präsidentenwahl »langfristige, sich über viele Jahre erstreckende Rüstungsverträge« mit Kiew schließen. Spätestens dann werde auch der ukrainische Bedarf an einer neuen Luftwaffe ein Thema sein.
Natürlich handle es sich bei den US-Plänen lediglich um »eine Einschätzung«, gab CNN die Aussagen der Pentagonexperten wieder; doch zeigten sie, wie die Ukraine nach Auffassung der USA künftig »ihr Militär entwickeln« solle. Dass Kiew sich Washington in solch weitreichenden Fragen widersetzen könnte, das ist nicht sonderlich wahrscheinlich. Zumal die Waffenlieferungen wohl mit langfristigen militärischen Trainingsprogrammen durch US-Militärs verbunden werden sollen. Dass der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell Ende August für einen EU-Ausbildungseinsatz für die ukrainischen Streitkräfte plädiert hat, darf man wohl auch als Hinweis verstehen, die Staaten der EU und ihre Rüstungsindustrie sollten Einfluss und Profit in der Nachkriegsukraine nicht alleine den USA überlassen.