22.06.2021

Französische Botschaft in Berlin

56 Jahre nach dem Elysée-Vertrag von 1963 unterzeichneten Staatspräsident Emmanuel Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel am 22. Januar 2019 den Aachener Vertrag. Lesen Sie hier den Vertragstext. Vertrag von Aachen 2019  (PDF - 328.9 kB) /  (https://de.ambafrance.org/IMG/pdf/2019-01-19-vertrag-von-aachen-data.pdf?24531/00390d5439ac1e125b4e6879b9c66f1a173bcf20


Verteidigung und Sicherheit


Höchste Terrorwarnstufe "URGENCE ATTENTAT"

In Frankreich gilt auf dem gesamten Territorium gemäß dem "Plan VIGIPIRATE" die höchste Terrorwarnstufe "URGENCE ATTENTAT".

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Rede des französischen Staatspräsidenten zur Verteidigungs- und Abschreckungsstrategie

Rede des französischen Staatspräsidenten zur Verteidigungs- und Abschreckungsstrategie vor den Offiziersanwärtern des 27. Jahrgangs der École de Guerre

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Einleitende Worte des französischen Staatspräsidenten auf der Pressekonferenz mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg

Einleitende Worte des französischen Staatspräsidenten auf der Pressekonferenz mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg

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Auszüge aus der Rede des französischen Staatspräsidenten vor den Streitkräften im Hôtel de Brienne

Am Vortag der traditionellen Militärparade anlässlich des Nationalfeiertags am 14. Juli auf den Champs-Elysées wendete sich Staatspräsident Macron in einer Rede an die französischen Streitkräfte.

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Cybersicherheit : Pariser Appell vom 12. November 2018 für Vertrauen und Sicherheit im Cyberspace

Am 12. November richtete Staatspräsident Macron anlässlich des Treffens des Internet Governance Forums (IGF) am Sitz der UNESCO den Pariser Appell für Vertrauen und Sicherheit im Cyberspace an die Öffentlichkeit. Diese hochrangige Erklärung zur Erarbeitung gemeinsamer Grundlagen für die Sicherheit im Internet wird bereits von zahlreichen Staaten, aber auch von Privatunternehmen und Organisationen der Zivilgesellschaft unterstützt.

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Militärplanung 2019-2025: Frankreich steigert operationelle Fähigkeiten und Verteidigungsausgaben

Das von Verteidigungsministerin Florence Parly am 8. Februar 2018 im Ministerrat auf Grundlage des Berichts zur Verteidigungsstrategie und der nationalen Sicherheit von Oktober 2017 eingebrachte Gesetz zur (...)

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Info:  https://de.ambafrance.org/Text-des-Vertrags-von-Aachen   

22.06.2021

Gedenkstele auf dem Seelhorster Friedhof

Redebeitrag zum Überfall auf die Sowjetunion heute vor 80 Jahren von Agnes Hasenjäger,  Friedensbüro am 22.6.2021 


Zitat: Während der Bundestag es ablehnte, in einer Gedenkveranstaltung den heutigen Jahrestag zu würdigen, kommt Bundespräsident Walter Steinmeier seinen Verpflichtungen nach. Er besucht Gedenkstätten für den Mord an sowjetischen Kriegsgefangenen wie Sandbostel, dort äußerte er: „Jeder Krieg bringt Verheerung, Tod und Leid. Doch dieser Krieg war anders. Er war eine deutsche Barbarei.“

Und er mahnte: „Machen wir uns an diesem Tag, an dem wir an Abermillionen Tote erinnern, auch gegenwärtig, wie kostbar die Versöhnung ist, die über den Gräbern gewachsen war. Aus dem Geschenk der Versöhnung erwacht für Deutschland große Verantwortung.“
(Ich hoffe, dass es kein Zitat war, sondern eine unbedachte Formulierung eines Berichterstatters, wenn es hieß: die Soldaten „ließen ihr Leben, sie starben“ - nein, sie ließen nicht ihr Leben, sondern sie wurden ermordet, es war Befehl, dass man sie nicht versorgte, wie es auch Befehl war, dass Leningrad nicht kapitulieren durfte, sondern ausgehungert werden sollte.)


Da hat er sicher recht.

Sein Parteigenosse Heiko Maas dagegen wünschte sich dieser Tage von EU und USA, sie mögen“ „vereint und schlagkräftig handeln.“

Die „Verteidigungsministerin“ Annegret Kramp-Karrenbauer führte in einer Grundsatzrede vor Bundeswehr-OffizierInnen des Generalstabs in Hamburg aus:
„Verteidigung, das heißt Abschrecken durch Androhung militärischer Gewalt, um so Raum für politische Lösungen zu schaffen. Aber notfalls heißt es auch Anwendung militärischer Gewalt – kämpfen!“


Solche Äußerungen entsprechen nicht der geforderten Verantwortung.

Doch leider entsprechen sie den Realitäten in diesem Jahr.


Im vorigen Monat spitzten sich die Konflikte zu, in den Medien war die Rede davon, dass Russland Riesenmanöver an seiner Westgrenze durchführte. Jedoch wurde in keiner der vielen Sendungen erwähnt, dass zur gleichen Zeit die NATO ihr Großmanöver Defender Europe 2021 durchzog – diesmal nicht, wie im vorigen Jahr, hauptsächlich im Nordosten, in den baltischen Staaten und Polen, sondern diesmal liefen NATO-Kriegsschiffe in das Schwarze Meer ein.
Will jemand sich wundern, dass Russland dies als Bedrohung empfand? Für Russland entsprach das doch der Lage während der Kubakrise, als die USA kein Militär des Warschauer Paktes vor seiner Küste dulden wollten.


Außer Manövern gibt es aber auch reale Taten: Die Bundesregierung legte dem Haushaltsaus-schuss einen Finanzantrag vor, nach dem noch morgen, am 23. 6 – dem letzten Sitzungstag vor der Wahl - über 4,5 Milliarden Euro locker gemacht werden sollen,. Damit sollen bis 2027 ein sog. NGF-Demonstrator und Drohnen beschafft werden – als Grundlage für ein neues Waffensystem, das aus einem neuen europäischen Kampfflugzeug und Schwärmen von Drohnen bestehen soll. Diese sind entweder bewaffnet oder sind selbst eine Waffe, indem sie sich kamikaze-artig auf das feindliche Objekt stürzen – also SPD, bitte aufpassen!


Diese Pläne sind zweifach gefährlich: einerseits erhöhen sie die Kriegsgefahr, andererseits nehmen sie uns heute Unsummen von Geldern weg, die wir dringend brauchen für unser Leben. Das gilt natürlich nicht nur für diese neuen Projekte, sondern für die gesamte angebliche Verpflichtung zum 2-%-Ziel, - was heißt, 16 % des Gesamthaushalts.


Alle diese Pläne werden flankiert von Hetze gegen Russland und China. Man muss die Bevölkerung erst überzeugen, dass diese Opfer nötig sind. Jede Sendung und jeder Artikel ist davon geprägt, die Bedrohung durch Russland zu betonen. Diese Mühe kann darauf hindeuten, dass das erst in den Gehirnen verankern muss – für Normalmenschen ist das wohl nicht selbstverständlich. Allerdings merkt man, dass man dabei auf alte Ressentiments zurückgreifen kann, die ich als antislawischen Rassismus bezeichnen möchte. Es ist gut, dass junge Leute sich heute mit Black Lives Matters gegen den Rassismus gegenüber Schwarzen wenden. Aber es gibt immer noch auch den Rassismus gegenüber slawischen Menschen, und deshalb sind uns der rumänische Spargelernter, die polnische Pflegekraft egal


Als Friedensbewegung haben wir also 3 Aufgaben:

  • der Hetze gegen Russland entgegentreten. Dazu gehört auch ein besseres gegenseitiges Kennenlernen.

  • sachliche Informationen über reale Machtverhältnisse sind dabei ein wichtiges Mittel. Es weiß eben nicht jeder, wie oft die Rüstungsausgaben der NATO das Mehrfache sind gegenüber Russland und China.

  • und schließlich müssen wir den Rüstungsanstrengungen dieser – und jeder zu erwartenden Bundesregierung - entgegentreten. Dabei haben wir ungezählte Verbündete, nämlich alle, die das viele Geld für unsere ureigendsten Interessen brauchen.


Als Friedensbüro können wir viele neue Interessenten und Aktive gebrauchen – unter www.frieden-hannover.de findet man viele Informationen und die Termine.

Agnes Hasenjäger

22.06.2021

Von Tätern, Opfern und Kollaborateuren (II)              Die Ukraine ehrt NS-Kollaborateure, die heute vor 80 Jahren am Überfall auf die Sowjetunion teilnahmen und Massaker an Jüdinnen und Juden verübten.

german-foreign-policy.com, 22. Juni 2021

BERLIN/KIEW(Eigener Bericht) - Während heute international des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion vor 80 Jahren gedacht wird, erfahren in der Ukraine Kollaborateure, die an der Seite der Deutschen den Vernichtungskrieg führten, staatliche Ehrungen. Bei ihnen handelt es sich vor allem um die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) sowie ihren Führer Stepan Bandera und um die aus ihrem Milieu entstandene Ukrainische Aufstandsarmee (UPA). OUN-Milizen stießen am 22. Juni 1941 gemeinsam mit der Wehrmacht und Truppen mehrerer kollaborierender Staaten auf sowjetisches Territorium vor und verübten dort neben deutschen Einheiten zahllose Massaker an der jüdischen Bevölkerung. Alleine in Lwiw (vormals Lemberg) wurden binnen kürzester Zeit 4.000 Jüdinnen und Juden ermordet. Das Parlament in Kiew hat die OUN zu "Kämpfern für die ukrainische Unabhängigkeit" erklärt. Ein Regierungserlass verlangt, in den Schulen der Ukraine ihren "Patriotismus" und ihre "hohe Moral" zu ehren. Der Gründungstag der UPA ist seit 2015 staatlicher Feiertag. Der OUN-Gruß schmückt die Trikots der ukrainischen Fußball-Nationalmannschaft.


Die faschistische Internationale

Den Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion hat das Deutsche Reich von Anfang an unter Hinzuziehung von Streitkräften kollaborierender Staaten und Bewegungen geführt. Schon am 22. Juni 1941 standen neben rund 150 Divisionen der Wehrmacht mit über drei Millionen Soldaten gut 600.000 Militärs vor allem aus Finnland sowie Rumänien bereit, um auf sowjetisches Territorium vorzustoßen. Während drei deutsche Heeresgruppen in Richtung auf Leningrad, Moskau und Kiew marschierten, operierten die Kollaborateurstruppen vorwiegend an den Flanken im Norden (Finnland) und im Süden (Rumänien). Innerhalb von nur wenigen Wochen kamen erste Einheiten von Berlins faschistischen Verbündeten Ungarn und Italien und aus den NS-Marionettenstaaten Slowakei und Kroatien hinzu. Später beteiligten sich Freiwilligenverbände aus fast allen Ländern Europas. Motive waren Antisemitismus, der Wunsch, sich am Kampf gegen den Kommunismus zu beteiligen, sowie die Absicht, auf die - prinzipiell begrüßte - faschistische Neuordnung Europas unter Führung des NS-Reichs Einfluss zu nehmen.[1]


Angebunden an Berlin

Auch ukrainische NS-Kollaborateure nahmen am Überfall auf die Sowjetunion teil. Rekrutiert wurden sie aus den Reihen der OUN (Organisation Ukrainischer Nationalisten), einer faschistisch orientierten Exilorganisation ukrainischer Nationalisten, die - nach einem Vorbereitungstreffen im Jahr 1927 in Berlin - 1929 offiziell gegründet wurde, zwar in Wien, um den deutschen Einfluss nicht allzu klar hervortreten zu lassen. Staatliche deutsche Stellen standen dennoch stets in engem Kontakt.[2] Die OUN bediente sich in den 1930er Jahren im Kampf um einen ukrainischen Staat, den sie aus dem Territorium Polens und der Sowjetunion herausbrechen wollte, terroristischer Mittel; OUN-Aktivisten ermordeten zum Beispiel am 15. Juni 1934 den polnischen Innenminister Bronisław Pieracki. Milizionäre aus ihren Reihen und aus ihrem Umfeld wurden gegen Ende der 1930er Jahre von der Reichswehr militärisch ausgebildet; zwei exilukrainische Bataillone nahmen am Überfall auf Polen am 1. September 1939 teil.[3] Eine größere Rolle blieb ihnen damals allerdings noch verwehrt; der Plan, sie im stark ukrainischsprachigen Ostgalizien einzusetzen, fiel dem deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrag ("Hitler-Stalin-Pakt") vom 23. August 1939 zum Opfer, der das Gebiet der Sowjetunion zuschlug.


Antisemitische Massaker

Größere Bedeutung erlangten OUN-Milizen beim Überfall auf die Sowjetunion, an dem sie erneut mit zwei Bataillonen teilnahmen. Eines ("Bataillon Roland") stieß gemeinsam mit der Wehrmacht von rumänischem Territorium aus in die Sowjetunion vor; das andere ("Bataillon Nachtigall") marschierte an der Seite der NS-Streitmacht in Richtung Lwiw (Lemberg). Örtliche OUN-Milizen lieferten sich bereits vor der Ankunft der Wehrmacht und des Bataillon Nachtigall erste Gefechte mit der Roten Armee.[4] Bataillonsmitglieder, örtliche OUN-Milizionäre und unorganisierte ukrainische Nationalisten vor Ort beteiligten sich maßgeblich an den mörderischen Pogromen, mit denen die Deutschen die jüdische Bevölkerung Ostgaliziens zu vernichten begannen. Allein dem Pogrom in Lwiw am 30. Juni 1941 fielen mutmaßlich etwa 4.000 Jüdinnen und Juden zum Opfer. Ein Bruch in der förmlichen Kollaboration ergab sich, als die OUN unter ihrem Führer Stepan Bandera am 30. Juni 1941 gegen den Willen der Deutschen einen eigenen Staat ausrief; dies führte unter anderem zur Internierung Banderas sowie diverser weiterer OUN-Funktionäre in deutscher "Ehrenhaft" und zur offiziellen Auflösung der beiden ukrainischen Kollaborateursbataillone.


Ethnische Säuberungen

Dennoch haben ukrainischen Milizionäre aus den Reihen der OUN weiterhin mit den Deutschen kollaboriert. Nicht wenige stützten das deutsche Besatzungsregime in den Reihen der ukrainischen Hilfspolizei; viele schlossen sich der am 14. Oktober 1942 formell gegründeten Ukrainischen Aufstandsarmee (UPA) an, die bei ihren "ethnischen Säuberungen" neben wohl mehr als 90.000 nichtjüdischen Polen auch zahlreiche Jüdinnen und Juden ermordete - und so, gleichsam informell, an der Shoah teilnahm.[5] Ab April 1943 entstand eine ukrainische Einheit der Waffen-SS, die 14. Waffen-Grenadier-Division der SS, die den Beinamen "Galizische Nr. 1" trug und Ende 1943 rund 15.300 Mann zählte; 1944 wuchs sie noch weiter auf. Eingesetzt wurde die Waffen-SS-Division Galizien zuerst zur Bekämpfung von Partisanen im okkupierten Jugoslawien, dann im Krieg gegen die Rote Armee. Noch am 17. März 1945 stellte sich in Weimar ein Ukrainisches Nationalkomitee der Öffentlichkeit vor; um das Ruder herumzureißen, war es freilich zu spät. "Insgesamt", schreibt der Militärhistoriker Rolf-Dieter Müller in einer umfangreichen Studie, "wird der bewaffnete Beitrag der Ukraine für die deutsche Kriegführung auf 250.000 Mann geschätzt."[6]


Staatliche Ehren

In der Ukraine werden die damaligen NS-Kollaborateure heute staatlich geehrt. OUN-Führer Bandera war bereits 2007 vom damaligen prowestlichen Präsidenten Wiktor Juschtschenko zum "Helden der Ukraine" erklärt worden. Ihm sind heute zahlreiche Denkmäler gewidmet, nach ihm sind Straßen und Plätze benannt. OUN und UPA sind vom ukrainischen Parlament im April 2015 offiziell als "Kämpfer für die ukrainische Unabhängigkeit" eingestuft worden; die "Legitimität" ihres "Kampfs für die Unabhängigkeit der Ukraine" darf dem Parlamentsbeschluss zufolge nicht mehr abgestritten werden. Ein Erlass des Kiewer Bildungsministeriums vom Juni 2015 sieh-t vor, "den Patriotismus und die hohe Moral der Aktivisten der Befreiungsbewegung" in ukrainischen Schulen zu betonen und OUN-Führer Bandera als "herausragenden Repräsentanten" des ukrainischen Volks zu ehren.[7] Der Gründungstag der UPA - der 14. Oktober - ist seit 2015 ein staatlicher Feiertag. Am 28. April 2021, dem 78. Jahrestag der Gründung der Waffen-SS-Division Galizien, marschierten Hunderte Ukrainer zum Gedenken an die Verbrecherorganisation in Kiew auf - unter dem Schutz der Polizei.[8] Anlässlich der aktuellen Fußball-EM hat das Trikot des ukrainischen Teams Proteste bewirkt: Auf ihm war die Parole "Ruhm der Ukraine! Den Helden Ruhm!" zu lesen. Dabei handelt es sich um den traditionellen Gruß der OUN; seine Konnotation ähnelt dem deutschen "Sieg Heil". Laut einem mit der UEFA erzielten Kompromiss muss nun der zweite Teil der Parole überklebt werden. "Ruhm der Ukraine! Den Helden Ruhm!" ist seit drei Jahren allerdings offizielle Grußformel der ukrainischen Streitkräfte und der Polizei.[9]

 

Mehr zum Thema: Von Tätern, Opfern und Kollaborateuren.

 

[1] Rolf-Dieter Müller: An der Seite der Wehrmacht. Hitlers ausländische Helfer beim "Kreuzzug gegen den Bolschewismus" 1941-1945. Frankfurt am Main 2010.

[2] S. dazu Zwischen Moskau und Berlin (IV).

[3] Frank Golczewski: Deutsche und Ukrainer 1914-1939. Paderborn 2010. S. auch unsere Rezension.

[4] Franziska Bruder: "Den ukrainischen Staat erkämpfen oder sterben!" Die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) 1929-1948. Berlin 2007.

[5] S. dazu "Ein Sammelpunkt der OUN".

[6] Rolf-Dieter Müller: An der Seite der Wehrmacht. Hitlers ausländische Helfer beim "Kreuzzug gegen den Bolschewismus" 1941-1945. Frankfurt am Main 2010.

[7] S. dazu Die Ära des Revisionismus (I).

[8] Bernhard Clasen: Mit SS-Symbolen und Hitlergruß. taz.de 29.04.2021.

[9] Ukraine und UEFA finden Kompromiss. tagesschau.de 11.06.2021.


Info: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8636     
21.06.2021

Von Tätern, Opfern und Kollaborateuren    80. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion: Bundesregierung und Bundestag gedenken nicht, Bundespräsident wird für Gedenkrede im Museum Karlshorst attackiert.

german-foreign-policy.com, 21. Juni 2021

BERLIN/MOSKAU(Eigener Bericht) - Ohne jede Beteiligung der Bundesregierung sowie des Bundestags wird am morgigen Dienstag international des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion vor 80 Jahren gedacht. Mit dem Überfall begann die zentrale Phase des deutschen Vernichtungskriegs, der mehr als 27 Millionen Bürger der Sowjetunion das Leben kostete, weite Teile des Landes verwüstete und die jüdische Bevölkerung den deutschen Vernichtungsverbrechen auslieferte. Der Bundestag solle dessen nicht eigens gedenken, sondern stattdessen lieber an der "ungeteilten Erinnerung an den gesamten Verlauf des Zweiten Weltkrieges" festhalten, erklärt Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble. Eine "Aussprache" über den Vernichtungskrieg nutzten mehrere Bundestagsabgeordnete, um zu fordern, "die deutschen Verbrechen" dürften nicht zu Hemmungen bei heutigen Aggressionen gegen Russland führen. Außenminister Heiko Maas lässt die sowjetischen Opfer des Vernichtungskriegs zwischen Opfern aus "Mittel- und Osteuropa" verschwinden - eine Wortwahl, die NS-Opfer und -Kollaborateure vermischt: Starke Kräfte aus "Mittel- und Osteuropa" beteiligten sich aktiv am deutschen Vernichtungskrieg.


Der deutsche Vernichtungskrieg

Mit dem Überfall auf die Sowjetunion begann am 22. Juni 1941 - nach dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 und dem Überfall auf Jugoslawien am 6. April 1941 - die zentrale Phase des deutschen Vernichtungskriegs in Ost- und Südosteuropa. Dieser ging - in der neueren Geschichte beispiellos - weit über rein militärische Operationen zur Okkupation fremden Territoriums hinaus; er zielte auf die Gewinnung von "Lebensraum" für das Deutsche Reich und umfasste Massaker an der Zivilbevölkerung, beispiellose materielle Zerstörungen und eine barbarische "Hungerpolitik", die - exemplarisch im Fall der Blockade Leningrads - die Entvölkerung ganzer Landstriche anstrebte.[1] Er lieferte zudem die jüdische Bevölkerung der Sowjetunion der Shoah aus. Fielen dem deutschen Vernichtungskrieg in Polen rund sechs Millionen, in Jugoslawien rund zwei Millionen Menschen zum Opfer, so waren es in der Sowjetunion mehr als 27 Millionen, darunter mindestens 14 Millionen Zivilisten. Mehr als drei Millionen sowjetische Soldaten kamen in deutscher Kriegsgefangenschaft zu Tode - durch Hunger, Erfrieren, Krankheiten, Erschießen. Zu den Opfern des deutschen Vernichtungskriegs in Ost- und Südosteuropa gehörten rund fünf Millionen Juden.[2]


Gedenken "nicht ins Auge fassen"

Weder die Bundesregierung noch der Bundestag halten es für notwendig, am 80. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion der Opfer der deutschen Massenverbrechen zu gedenken. So hat die Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag erklärt, sie führe dazu "keine Veranstaltungen" durch; auch eine Beteiligung deutscher Regierungsmitglieder an "internationalen Gedenkveranstaltungen" sei nicht geplant.[3] Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat bereits im April im Namen des Parlaments mitgeteilt, er wolle ein Gedenken zum 22. Juni "nicht ins Auge fassen": Der Bundestag solle vielmehr pauschal an der "ungeteilten Erinnerung an den gesamten Verlauf des Zweiten Weltkrieges und des von ihm ausgegangenen Leids" festhalten.[4] Thematisiert wurde der Start in die mörderischste Phase des deutschen Vernichtungskriegs im Osten lediglich bei einer "Aussprache" im Parlament am 9. Juni - zwischen der "Ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur ganztägigen Förderung von Kindern im Grundschulalter" und einer regulären "Befragung" von Außenminister Heiko Maas zur aktuellen Berliner Außenpolitik. Eine Gedenkveranstaltung führt nur die Linksfraktion am heutigen Montag in den Räumen des Bundestags durch.


"In Deutschland weitgehend vergessen"

Darüber hinaus nimmt nur Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an Gedenkveranstaltun-gen teil. Damit grenzt er sich von seinem Amtsvorgänger Joachim Gauck ab; dieser hatte den 75. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion in Südosteuropa verbracht und sich am Vorabend zu einem Besuch in Rumänien aufgehalten, das - wie der Historiker Götz Aly kürzlich konstatierte - am 22. Juni 1941 "mit zwölf Divisionen an der Seite Hitlerdeutschlands in die Sowjetunion eingefallen war".[5] Steinmeier hat am vergangenen Montag die Gedenkstätte im ehemaligen Kriegsgefangenenlager X B Sandbostel besucht; dort waren mindestens 300.000 Kriegsgefangene interniert, darunter wohl rund 70.000 aus der Sowjetunion - "eine Opfergruppe, die auch in der deutschen Erinnerung weitgehend vergessen worden ist", wie Steinmeier feststellte.[6] Am Freitag hielt der Bundespräsident seine zentrale Gedenkrede im Deutsch-Russischen Museum Karlshorst - mit dem Hinweis, "vom ersten Tage an" sei "der deutsche Feldzug getrieben" gewesen "von Antisemitismus und Antibolschewismus, von Rassenwahn gegen die slawischen und asiatischen Völker der Sowjetunion". Der Erinnerung daran habe man sich in der Bundesrepublik "zu lange" verweigert: "Es ist an der Zeit, das nachzuholen."[7]


"Frieden mit Russland keine moralische Pflicht"

Für seine Teilnahme an den Gedenkveranstaltungen wird Steinmeier zunehmend kritisiert. Ursache sind Bemühungen, im eskalierenden Machtkampf des Westens gegen Russland die verbliebenen Bindungen zwischen beiden Seiten möglichst umfassend zu zerstören - die Erinnerung an die deutschen Massenverbrechen in der okkupierten Sowjetunion inklusive. So hieß es kürzlich auf der Onlinepräsenz der Zeitung Die Zeit, man müsse sich "von der Vorstellung lösen", "der Frieden mit Russland um beinahe jeden Preis sei wegen des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion 1941 eine moralische Pflicht".[8] Der Botschafter der Ukraine, Andrij Melnyk, hat Steinmeiers Rede bei der Gedenkveranstaltung am Freitag unter offiziellem Protest boykottiert: Dass der Bundespräsident seine Rede im Deutsch-Russischen Museum Karlshorst halte, sei ein "Affront", äußerte Melnyk; zudem "übersteig[e]" es seine "Vorstellungskraft", dass er an der Veranstaltung neben einem russischen Diplomaten teilnehmen solle.[9] Kommentatoren führender Medien schließen sich den Angriffen auf den Bundespräsidenten mittlerweile an: Es sei ein "Fehler" gewesen, die Gedenkrede in einem Museum zu halten, "zu dessen Trägern" die "russische Regierung" gehöre, hieß es in der vergangenen Woche etwa in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.[10]


Opfer "in Mittel- und Osteuropa"

Die Bemühungen, Russland nun auch erinnerungspolitisch endgültig zu isolieren und damit letzte Hemmungen gegenüber den eskalierenden Aggressionen gegen Moskau [11] zu beseitigen, führen zunehmend zum Erfolg. So hieß es in der "Aussprache" des Bundestags am 9. Juni immer wieder, "die deutschen Verbrechen" dürften "nicht dazu führen", Sanktionen und sonstige Aggressionen gegen Russland abzulehnen.[12] Gleichzeitig ist die Bundesregierung bemüht, den Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion in allgemeinen Äußerungen über NS-Opfer "in Mittel- und Osteuropa" verschwinden zu lassen. So  Außenminister Maas einen kurzen Redebeitrag in der Aussage kulminieren, er "verneige" sich "vor den über 30 Millionen Menschen, die allein in Mittel- und Osteuropa zwischen 1939 und 1945 ihr Leben lassen mussten".[13] Dass 27 Millionen davon aus der Sowjetunion stammten, ließ Maas ebenso unerwähnt wie die Tatsache, dass einige Staaten "Mittel- und Osteuropas" sowie starke Kräfte aus anderen Ländern sich am deutschen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion beteiligten: Die Formulierung des Berliner Außenministers vermischt Opfer und NS-Kollaborateure.


Die Tradition der Kollaborateure

Dies ist auch deshalb von Bedeutung, weil das heutige deutsch dominierte Europa nicht zuletzt auf Kräften aufbaut, die in direkter Tradition zu NS-Kollaborateuren stehen und zu den tragenden Kräften der aktuellen Aggressionen gegen Russland gehören. german-foreign-policy.com berichtet in Kürze.

 

[1] S. dazu Rezension: Wigbert Benz: Der Hungerplan im "Unternehmen Barbarossa" 1941.

[2] Hannes Heer, Christian Streit: Vernichtungskrieg im Osten. Hamburg 2020.

[3] Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Sevim Dagdelen, Heike Hänsel, Simone Barrientos, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die Linke: Mögliches Gedenken der Bundesregierung an den 80. Jahrestag des Überfalls Nazideutschlands auf die Sowjetunion. Deutscher Bundestag, Drucksache 19/29115. Berlin, 29.04.2021.

[4] René Heilig: Gedenken an Überfall auf UdSSR abgelehnt. nd-aktuell.de 05.04.2021.

[5] Götz Aly: Krieg & Frieden. berliner-zeitung.de 11.05.2021.

[6] Vergessene Opfer. Frankfurter Allgemeine Zeitung 15.06.2021.

[7] 80 Jahre Überfall auf die Sowjetunion. bundespraesident.de 18.06.2021.

[8] Alan Posener: Deutschlands schallendes Schweigen. zeit.de 30.04.2021. S. dazu "Frieden mit Russland keine moralische Pflicht".

[9] Botschafter boykottiert Gedenkfeier. Frankfurter Allgemeine Zeitung 17.06.2021.

[10] Reinhard Veser: Steinmeiers Fehler. Frankfurter Allgemeine Zeitung 17.06.2021.

[11] S. dazu In der Eskalationsspirale (II) und In der Negativspirale.

[12] Fraktionen gedenken des Überfalls auf die Sowjetunion vor 80 Jahren. bundestag.de 09.06.2021.

[13] Rede von Außenminister Heiko Maas im Deutschen Bundestag zur Debatte "80. Jahrestag des Überfalls Deutschlands auf die Sowjetunion". auswaertiges-amt.de 09.06.2021.


Info: 
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8634      
20.06.2021

NGOs in der Kritik    Hilfe für Millionen oder Millionen für Hilfe?

deutschlandfunkkultur.deZEITFRAGEN | Beitrag vom 15.06.2021, Von Phillip Lemmerich


Weltweit wird mehr für humanitäre Hilfe ausgegeben als je zuvor. Gleichzeitig wird Kritik laut: an versickernden Geldern, überadministrierten Krisengebieten und Hilfsprojekten, die die Bevölkerung nicht erreichen. Was ist an den Vorwürfen dran?


Zitat: „Viele Länder in der Region verdienen mehr als unsere Dankbarkeit. Sie brauchen unsere volle Unterstützung. Natürlich ist dafür eine angemessene Finanzierung wesentlich“, sagt Außenminister Heiko Maas auf der Syrien-Geberkonferenz im März 2021. „Heute macht Deutschland seine größte Zusage in den letzten vier Jahren: 1,738 Milliarden Euro.“

„Die humanitäre Hilfe leistet heute auch mehr denn je und sie leistet Unfassbares. Allein in diesem Jahr sollen rund 160 Millionen Menschen weltweit Hilfe bekommen“, sagt Ralf Südhoff, Gründungsdirektor des Centre for Humanitarian Action, einem Thinktank in Berlin, der sich mit der Arbeit humanitärer Hilfsorganisationen beschäftigt. „Nehmen Sie die Pandemie, wo man vielfach Menschen gar nicht erreichen kann, ohne sich selbst zu gefährden. Nehmen Sie die Kriege und Konflikte. 80 Prozent der Hilfen müssen heute in Kriegen und Konflikten geleistet werden, unter größten Sicherheitsrisiken für alle Beteiligten. Und da leistet die Hilfe extrem viel.“

 „Die Leute denken, die NGOs seien hier, um den Geflüchteten zu helfen“, sagt dagegen Omid Alizada, Pharmazeut aus Afghanistan und seit eineinhalb Jahren in Flüchtlingscamps auf Lesbos. „Aber das stimmt nicht. In Wahrheit machen die Organisationen das alles nur aus Eigeninteresse: Gelder akquirieren, Spenden sammeln. Sie tun nur so, als würden sie den Menschen helfen. Sie kümmern sich nicht um die Bewohner im Camp. Sie fragen dauernd nach Freiwilligen, die unentgeltlich arbeiten sollen, und sie selbst sammeln Geld. Das bringt überhaupt nichts.“


Hilfsbereitschaft und Zahl der Hilfsbedürftigen wächst

Humanitäre Hilfe will Menschen in akuten Notlagen unterstützen, ihr Leid bei Krisen, Konflikten oder Naturkatastrophen lindern, ein Überleben in Würde und Sicherheit ermöglichen. Sie ist dabei so wichtig wie nie zuvor. Jemen, Syrien, die Sahelzone, Palästina – die Zahl der Konflikte, Krisenherde und Katastrophen ist groß. 215 Millionen Menschen weltweit hatten 2019 Bedarf an humanitärer Hilfe, wie der jährlich erscheinende „Global Humanitarian Assistance Report“ errechnet hat. Das ist dreimal die Bevölkerung Deutschlands.


Und auch die Hilfsbereitschaft wächst, zumindest finanziell gesehen. In den letzten drei Jahrzehnten hat sich das Budget von humanitärer Hilfe verzehnfacht, auf zuletzt knapp 30 Milliarden Euro weltweit. Deutschland ist nach den USA und noch vor der EU zweitgrößter Geldgeber.


Das Feld der Akteure, die humanitäre Hilfe leisten, ist groß: UN- wie UNICEF oder UNHCR vereinen zwei Drittel des Gesamtbudgets auf sich.
Die internationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung hat nach eigenen Angaben fast 100 Millionen Mitarbeiter und Ehrenamtliche weltweit. Dazu kommen unzählige Nichtregierungsorganisationen. Sie alle sind sehr unterschiedlich organisiert.

Und dennoch: Regelmäßig wird Kritik laut an der internationalen Hilfe. Sie sei ein Millionengeschäft, schaffe Abhängigkeiten, verschleiere die eigentliche politische Verantwortung – und komme bei den Bedürftigen gar nicht erst an. Was ist dran an der Kritik? Gibt es einen Ausweg? Ist internationale Solidarität überhaupt möglich?

Die Hilfsmaschinerie läuft an

Haiti 2010: Ein Erdbeben hinterlässt eine Spur der Verwüstung in dem Karibikstaat. „100.000 Gebäude fallen wie Kartenhäuschen in sich zusammen. Menschen werden von den Trümmern erschlagen, die Straßen sind nicht mehr passierbar und die Kommunikation ist zusammengebrochen“, heißt es im Magazin Brisant.

300.000 Tote, knapp zwei Millionen Obdachlose. Die Hauptstadt Port-au-Prince liegt in Schutt und Asche und damit auch die gesamte Infrastruktur des Landes. 13 von 15 Ministerien stürzen ein.

In den Tagen nach dem Beben läuft eine riesige Hilfsmaschinerie an. Auch in Deutschland werden mit Hochdruck Spenden gesammelt. „Es ist die vielleicht größte Katastrophe aller Zeiten. Das Erdbeben in Haiti. Aktion Deutschland hilft. Zehn Hilfsorganisationen bündeln ihre Kräfte und helfen. Wir benötigen dringend Ihre Spende, jetzt“, heißt es in einem Fernsehspot von „Deutschland hilft“.

Sarah Connor singt in der Charity-Gala „Ein Herz für Haiti“ Im ZDF zur besten Sendezeit „Halleluja“. Nach einem Beitrag über ein Waisenhaus auf Haiti, betreut von der Organisation „Unsere kleinen Brüder und Schwestern“, philosophiert Showmaster Thomas Gottschalk über Hilfe und internationale Solidarität. „Dieses Beispiel von diesem jungen Mann, dem man offensichtlich als Kind geholfen hat, und der nun auch hilft. Das heißt, dass Hilfe offensichtlich Hilfe erzeugt. Wir sagen: Mein Gott, lass uns überlegen, ob wir nicht ein Kind zu uns nehmen aus Haiti. Also eine sehr spontane Reaktion. Warum gibt man mir nicht so ein Kind? Es würde bei mir in jedem Fall sehr viel besser und sehr viel glücklicher aufwachsen als in seiner Heimat.“


Die Moderatoren Thomas Gottschalk (r) und Steffen Seibert während einer Spenden-Sendung für die Erdbebenopfer von Haiti.  (picture alliance / dpa / lbn / Soeren Stache)
















Die finanzielle Hilfsbereitschaft wächst: Die Moderatoren Thomas Gottschalk (r) u Steffen Seibert während einer Spenden-Sendung für die Erdbebenopfer von Haiti. (picture allia.nce / dpa / lbn / Soeren Stache)


Viele Menschen in Deutschland sind von der Katastrophe sehr berührt. 230 Millionen Euro an Spendengeldern kommen zusammen. Weltweit sind es Schätzungen zufolge zwischen zehn und 14 Milliarden Dollar, die für den Wiederaufbau Haitis bereitstehen. Neben großen Organisationen – Vereinte Nationen, Rotes Kreuz – sind auch Tausende internationale NGOs – Nichtregierungsorganisationen – präsent. Sie bauen Unterkünfte, Schulen, Latrinen, Straßen.

Wiederaufbau auf Haiti hat nie stattgefunden

Und heute? Der versprochene Wiederaufbau hat nie stattgefunden. Neu gebaute Siedlungen blieben leer, Schulen wurden nie genutzt, Geld versickerte in unklaren Kanälen. Selbst führende Politiker Haitis bezeichnen das Land als failed State.

Schätzungen der UN zufolge leben immer noch drei Viertel der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze, mehr als die Hälfte hat nicht einmal einen Dollar pro Tag zur Verfügung. Die wirtschaftlichen Ressourcen und die politische Macht konzentrieren sich in den Händen der Elite.

„Ich glaube, wenn man über Hilfe und Solidarität spricht, dann muss man sich unbedingt das haitianische Beispiel anschauen, weil es eine Zäsur darstellt im globalen Hilfesystem“, sagt Katja Maurer. Die Journalistin und Dolmetscherin, arbeitet seit über 20 Jahren bei der Hilfsorganisation medico international. „Ich denke, dass wir natürlich in der heutigen Welt, wo so viel Hilfe nötig ist, weil wir so viele verschiedene Katastrophen vorfinden, uns dieses Ereignis genau daraufhin ansehen müssen, warum es nicht geklappt hat, um daraus zu lernen.“

Keine Hilfe zur Selbsthilfe

Maurer hat sich viel mit Haiti beschäftigt, ein Buch geschrieben und versucht zu verstehen: Wie konnte es soweit kommen? Wie konnte das System Hilfe derart versagen? Geld war ja genug da. „Es waren 40.000 Hilfsorganisationen schätzungsweise in Haiti – und die haben alle ihre eigene Agenda gehabt. Alle Hilfe war eigentlich fremdbestimmt und knüpfte nicht an den Bedürfnissen vor Ort an und nicht an der Idee, dass natürlich Hilfe zur Selbsthilfe das Einzige ist, was den Haitianern geholfen hätte, und dass man dann die Haitianer hätte ermächtigen sollen und nicht behandeln sollen wie unfähige Idioten.“


Womöglich hat das Scheitern der Hilfe in Haiti mit den Helfern aus dem globalen Norden zu tun – und mit den Spendern. Mit einem Solidaritätsgefühl zu Hause auf der Wohnzimmercouch, das schnell in ein Überlegenheitsgefühl umschlägt. Mit dem Glauben, die haitianischen Kinder wären besser in Deutschland aufgehoben. Mit dem Gedanken: Wir können es besser, lasst uns mal machen, wir bauen euch eure Insel wieder auf. „Also wirklich ein Versuch, die ganzen Eingeweide dieser Gesellschaft umzukrempeln und alles, was an Autarkie, Autonomie vorhanden ist, was uns fremd sein mag, zu zerstören und an die Stelle etwas ganz anderes zu setzen.“

Zu wenig Einbindung lokaler Akteure

Das Scheitern in Haiti hat in und um die Hilfsorganisationen eine lange und kontroverse Diskussion ausgelöst. Es gab viele selbstkritische Stimmen, dazu unzählige Strategiepapiere und internationale Abkommen zwischen großen Organisationen.

2016 fand der erste humanitäre Weltgipfel statt: „The Grand Bargain“. Was wie ein großer Wurf klingen soll, ist auch durchaus ambitioniert: Internationale Geldgeber und Hilfsorganisationen einigten sich auf eine effektivere Koordination, mehr monetäre Leistungen für Hilfsempfänger und eine verstärkte Einbindung lokaler Akteure.


In manchen Bereichen gibt es tatsächlich Fortschritte. „Es gibt das sogenannte Cluster System, wo sich Hilfsorganisationen vor Ort zusammensetzen, ihre Hilfe koordinieren“, sagt Ralf Südhoff vom Center for Humanitarian Action. „Es gibt auch in Deutschland Bündnisse, um Spenden gemeinsam zu akquirieren und dann auch koordiniert diese einzusetzen.“

In anderen Bereichen lassen die Ergebnisse noch auf sich warten. Zum Beispiel bei dem Ziel, Hilfsprojekte stärker lokal anzubinden. Nur zwei Prozent des weltweiten Hilfsbudgets gehen direkt an einheimische Organisationen.

Dabei wäre das Geld gerade da besonders wichtig. Denn lokale Hilfe abseits der großen Organisationen leistet einer Untersuchung des britischen Overseas Development Institute zufolge über 90 Prozent dessen, was die Menschen eigentlich brauchen. Der Dachdecker, der seinem Nachbarn beim Aufbau des eingestürzten Hauses hilft. Die Familie, die Binnenflüchtlinge aufnimmt.


„Und das alles sehen wir nicht. Und das binden wir auch nicht ein in die Hilfe, über die wir eigentlich immer reden: über diese weißen Helfer, die in den Süden gehen und Gutes tun. Und deswegen ist diese Debatte über eine Lokalisierung der Hilfe, über eine viel bessere Einbindung und Partizipation, glaube ich, ganz, ganz entscheidend.“

Das Scheitern der Flüchtlingspolitik

Ein Blick in die jüngere Vergangenheit zeigt, was noch alles schieflaufen kann im System Hilfe: „Ein Großbrand hat das größte europäische Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos fast völlig zerstört. Verletzt wurde nach bisherigen Angaben niemand. Als Ursache wird Brandstiftung vermutet.“

Kein Flüchtlingslager steht so sehr für das Versagen europäischer Flüchtlingspolitik wie Moria auf Lesbos. Vor dem Brand im Herbst 2020 lebten hier über 12.000 Menschen, geplant war das Camp für maximal 2800. Verwaltet wurde es vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR und den griechischen Behörden.


Auch im neuen Lager Kara Tepe, in dem viele der Bewohner von Moria nach dem Brand untergebracht wurden, ist die Situation schlecht. „Es ist sicherer als Moria, aber sonst hat sich nichts geändert“, berichtet Omid Alizada, der seit eineinhalb Jahren auf Lesbos festsitzt. „Die sanitäre Versorgung fehlt. Das Essen ist schlecht. Es gibt nicht genug Wasser. Die Lebensbedingungen sind sehr, sehr schlecht. Die Menschen leben in Zelten, warten Stunden auf eine Mahlzeit, warten Stunden für einen Arztbesuch.“


Griechenland hat von der EU von 2015 bis heute 2,8 Milliarden Euro für die Versorgung von Flüchtlingen erhalten. Aber das Geld kommt nicht in den Lagern an.

Moria, Kara Tepe – der miserable Zustand der Lager soll andere Flüchtlinge von der Überfahrt über das Mittelmeer abschrecken, vermutet der Jurist und Politikwissenschaftler Maximilian Pichl in der Studie „Der Moria-Komplex“.

In einem Interview mit dem RBB findet er klare Worte: „Das ist keine humanitäre Katastrophe, die sich einfach nur mit Hilfsgeldern beheben lassen könnte, sondern das ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen Politik der Auslagerungen, wo zentraleuropäischen Staaten immer wieder die Verantwortung für den Flüchtlingsschutz von sich weisen wollten.“

Politische Instrumentalisierung von humanitärer Hilfe

Camps wie Moria sind gewollt. Schuld daran: die EU, ihre Mitgliedsstaaten und die griechische Regierung. Aber auch das Flüchtlingshilfswerk UNHCR und die vielen privaten NGOs, die auf Lesbos aktiv sind, trifft eine Teilschuld. Denn sie halten den Laden am Laufen und stützen damit das Lagersystem.

Ralf Südhoff vom Center for Humanitarian Action sieht die Helfer in einem Zwiespalt: „Die humanitäre Hilfe hat, wenn wir die humanitären Prinzipien und die humanitären Werte ernst nehmen, die Herausforderung, dass sie sich nicht die Frage stellen darf: Sollte ich diese Hilfe lieber nicht leisten, weil jemand anders könnte sie politisch instrumentalisieren. Sondern die Frage muss immer die erste sein: Sind hier Menschen in so massiver Not, dass ich ihnen helfen muss?“

Die Gefahr einer politischen Instrumentalisierung soll also kein Kriterium bei der Entscheidung über Hilfseinsätze sein. Das würde den Hilfsorganisationen allerdings nicht die Möglichkeit nehmen, sich eindeutig zu positionieren.

„Wir müssen diesen Menschen helfen. Das ist ein Gebot der Menschlichkeit. Aber wir unterstützen sie auch darin, für eine adäquate Hilfe sich rechtlich und politisch einzusetzen. Wir beraten Sie rechtlich, wo sie klagen können, weil gegen internationales Recht verstoßen wird – wie es tatsächlich der Fall ist, eindeutig in Moria. Wir beraten sie darin, wie sie Ihr Menschenrecht auf einen adäquaten Flüchtlingsschutz, auf eine adäquate humanitäre Hilfe durchsetzen können.“

NGOs können nach Belieben schalten und walten

Die Hilfsorganisationen müssten sich gegen die griechische Regierung, gegen die EU, gegen die Mitgliedsstaaten wenden, rechtlich gegen sie vorgehen. Die meisten NGOs tun das nicht. Das könnte auch daran liegen, dass sie in Lesbos nach Belieben schalten und walten können. Und dass sie, wenn sie gegen das EU-Migrationsregime vorgehen, ihre eigene Existenzgrundlage bekämpfen.

„Die NGOs, die hier arbeiten, begannen 2015 und 2016 aus dem Boden zu schießen“, erzählt Shirin Tinnesand. Sie kam vor einem Jahr nach Moria, um die Arbeit der nicht-staatlichen Hilfsorganisationen wissenschaftlich zu untersuchen. „Die meisten von ihnen haben keine längere Geschichte, auf die sie zurückblicken könnten. Sie waren vorher nirgendwo anders aktiv.“ Mittlerweile arbeitet Tinnesand für die griechische NGO „Stand by me Lesvos“. Im Gepäck hatte sie damals die Frage: Wie ist die Arbeit im Camp konkret organisiert? Heute weiß sie: So gut wie gar nicht.

„Die griechische Regierung war nicht in der Lage oder nicht willens, die Arbeit der NGOs zu dokumentieren im Sinne von: Was machen sie? Woher kommen sie? Woher kommt das Geld? Wie viele Empfänger erreichen sie? Und dasselbe gilt für die finanzielle Situation. Auch die wird nicht dokumentiert. Es ist wie eine kalifornische Goldmine.“

Eine Recherche der „taz“ aus dem Dezember 2020 scheint das zu bestätigen. Die Reporter fragten bei 18 auf Lesbos aktiven Hilfsorganisationen nach, wie viele Spenden sie nach dem Brand von Moria gesammelt hätten und wofür diese ausgegeben worden seien. Neun NGOs antworteten: Sie kamen auf 5,8 Millionen Euro – allein nach dem Brand. Vier Millionen davon sollten schon zum Zeitpunkt der Umfrage in Nothilfe und Notunterkünfte geflossen sein.

Es mangelt an Professionalität

Doch nach Ansicht vieler Campbewohner sind die Hilfen nicht sichtbar. Auch Omid Alizada hat von dem vielen Geld nichts bekommen. „Wir haben uns gefragt, was mit all dem Geld passiert, das gespendet wird. Das ist viel Geld, es sind Millionen. Wäre das Geld in den Händen der Geflüchteten, sie könnten ihr Leben viel besser machen.“

Ob Geld wirklich versickert oder nur an den falschen Stellen eingesetzt wird, kann niemand beantworten. Was Shirin Tinnesand aus ihrer Forschung aber bestätigen kann: Viele Organisationen kommen zwar mit den besten Absichten nach Lesbos, scheitern aber an sich selbst – oder an ihrem Personal. Es mangelt also nicht an Hilfe, sondern eher an Professionalität.

„Die Normalität ist doch, dass jemand in seinen 20ern, der sich selbst finden will oder warum auch immer hierher kommt, um Essen zu verteilen, mit den Kindern zu spielen und was nicht alles. Das steht schon fast auf der Wunschliste eines europäischen Mittelschichtskindes nach dem Ende des Studiums. Und das Absurde ist doch, dass gerade Asylbewerber die verletzlichsten Gruppen sind. Man schickt also Leute ohne jede Erfahrung, ohne irgendeine Kompetenz los und sagt: Hey, hilf mal bitte dieser sehr, sehr verletzlichen Person.“

Zugegeben: Haiti und Lesbos sind Extremfälle. Genauso gut ließe sich anhand von Einsätzen im Jemen oder in Syrien zeigen, wie wichtig humanitäre Hilfe sein kann. Überhaupt darf nicht vergessen werden, dass die meisten humanitären Hilfsorganisationen hehre Ziele haben: Leben retten, Leid lindern, menschliche Grundbedürfnisse befriedigen.

Pragmatismus und Projekte

Eine Frage aber, die sich allen diesen Organisationen an allen Orten stellt, ist die Frage nach dem Wie. Wie lassen sich große Worte – Humanität, Menschlichkeit, Leben retten – in das übersetzen, was die Helfer in Krisengebieten tagtäglich tun? Wie wird entschieden: HIV- oder Malariabekämpfung? Im Südsudan oder in der Zentralafrikanische Republik? Schulen bauen oder Krankenhäuser? Notunterkünfte oder Lehrer ausbilden?

Wie solche Überlegungen ablaufen, zeigt die Soziologin Monika Krause von der Universität Oxford in ihrer Untersuchung „Das gute Projekt“, in der sie die humanitäre Praxis genauer unter die Lupe nimmt.

Ein Beispiel: In einem Interview, das Krause in ihrem Buch zitiert, schildert der Ostafrika-Referent einer französischen Hilfsorganisation seine Überlegungen zu einem möglichen Hilfseinsatz in Kamerun.

„Die Menschen waren weit verstreut, an einer sehr großen Zahl von Orten mit sehr wenigen Personen an jedem Ort, vielleicht hundert hier, hundert da. Eine Mission in diesem Land zu beginnen, in einer so unterentwickelten Gegend mit keiner einzigen Straße, bedeutet, dass es sehr teuer ist. Und am Ende sind es vielleicht 500 Personen oder Kinder, die wir binnen zweier oder dreier Monate erreichen und versorgen können. Das würde in etwa eine Million Dollar kosten. Diese eine Million Dollar würde ich lieber in Darfur nutzen, in einem großen Lager, und dort könnten wir vielleicht 5000 Menschen in derselben Zeit mit demselben Geld erreichen.“

Kurzfristige Resultate werden belohnt

In humanitärer Praxis steckt also auch viel Pragmatismus. Um Äpfel und Birnen vergleichbar zu machen, wurde „das Projekt“ zur Standardgröße der Hilfsindustrie. Ein Projekt besteht immer aus denselben Elementen: ein gewünschtes Ergebnis, ein Anfang und ein Ende, eine Zielgruppe und ein festgelegtes Budget.

In diesem Sinne ist es das Ziel von NGOs, Projekte zu produzieren und sie an wichtige Geldgeber wie die UN oder – in Deutschland – das Auswärtige Amt zu verkaufen. Wie auf einem Projektmarkt. Belohnt wird, wer gute Ergebnisse liefert. Das bedeutet meistens: kurzfristige Resultate, möglichst viel Hilfe für möglichst viele Menschen in möglichst kurzer Zeit.

Wenn der Ausnahme- zum Dauerzustand wird

Aber was, wenn es den Menschen einen Ort weiter oder in der Nachbarregion immer noch am Überlebensnotwendigen fehlt? Wenn Zelte, Latrinen und Lebensmittellieferungen nicht die Komplexität einer Situation abbilden? Wenn Lösungen länger dauern? Oder es gar keine Lösungen gibt?

„In einigen Teilen des Landes, die stark von Konflikten betroffen sind, vor allem in den Regionen Diffa und Tillabéri, trägt die humanitäre Hilfe maßgeblich zum Überleben der Bevölkerung bei.“

Moussa Tchangari ist Generalsekretär der „Alternative Espaces Citoyens“, einer Menschenrechtsorganisation mit Sitz in Niamey, Niger. Im Süden des Landes kommt es immer wieder zu Vertreibungen durch Terrororganisationen wie Boko Haram. Dazu kommen Konflikte in Nachbarländern, allgemeine Armut und die Folgen des Klimawandels: „Die humanitären Organisationen liefern Nahrung, Unterkünfte et cetera. Aber die internationale Hilfe kann das Problem nicht lindern. Sie ist nichts, auf dem man ein Leben aufbauen könnte, und geht am echten Potenzial des Landes vorbei.“

Humanitäre Hilfe ist eigentlich als kurzfristiges Instrument gedacht. Sie soll akute Not lindern. Lösungen will sie nicht liefern. Das unterscheidet die Nothilfe von der Entwicklungshilfe.

Was aber, wenn der Ausnahmezustand zum Dauerzustand wird? Niger ist eines der ärmsten Länder der Welt. Im Human Development Index von 2020 landet es auf Rang 189 von 189. Mehr als 40 Prozent der Bevölkerung leben von weniger als 1,90 Dollar am Tag. Was kann humanitäre Hilfe in so einem Land bewirken?

„Die jungen Menschen wollen nicht von Wohltätigkeit leben. Sie wollen von ihrer Arbeit leben. Aber dabei werden sie nicht unterstützt und in ihren Bedürfnissen nicht ernst genommen.“

Nigers Polizei und Armee wird mit EU-Mitteln ausgebaut

„Ich möchte mich bedanken, weil Niger sehr erfolgreich beim Kampf gegen die illegale Migration mit uns zusammenarbeitet und hier herausragende Arbeit leistet“, sagte Angela Merkel bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem damaligen nigrischen Präsidenten Mahamadou Issoufou 2018 auf Schloss Meseberg. Seitdem die EU nach 2015 den Schutz ihrer Außengrenzen auch in die Sahelzone verlagert hat, tauchen Länder wie Niger plötzlich auf dem politischen Radar auf.

„Und deshalb muss es Hand in Hand gehen. Auf der einen Seite Kampf gegen illegale Migration und auf der anderen Seite Entwicklungschancen für die Menschen in den betroffenen Regionen“, sagt Merkel weiter. " Wir haben in Deutschland ein Sprichwort: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“

Eine Milliarde Euro hat Brüssel in den letzten drei Jahren als Staatshilfe an die nigrische Regierung überwiesen. Dass das Geld bei der Bevölkerung ankommt und damit Fluchtursachen bekämpft werden, ist unwahrscheinlich. Denn vorrangig sollen Polizei und Armee mit europäischen Mitteln ausgebildet und aufgerüstet werden. Migrationsrouten blockieren, Migranten abweisen, Schlepper bekämpfen – das sind die Ziele der EU-Politik im Sahel.


Moussa Tchangari aus Niger hat ganz andere Sorgen als die Sicherheit Europas. Er fragt sich, wie junge Menschen in seinem Land die Chance auf eine bessere Zukunft bekommen könnten. Auf die humanitäre Hilfe zählt er dabei eher nicht. „Das Geld, das zur Verwaltung der humanitären Krisen ausgegeben wird, übersteigt bei weitem das Budget, das in die Vorbeugung von solchen Krisen gesteckt wird“, sagt er. „Generell kann man sagen: Man lässt die Lage in unserem Land verkommen. Und dann kommt die humanitäre Hilfe als Feuerwehr und verteilt Geld nach dem Gießkannenprinzip.“

Hilfe verteidigen, kritisieren, überwinden

Projekte, die an den Bedürfnissen der Bevölkerung vorbeigehen. Regionen, die derart von Hilfe abhängig werden, dass eine nachhaltige Entwicklung unmöglich wird. Politische Vereinnahmung. Die Fallstricke für die internationale Hilfe sind enorm.

Ist internationale Solidarität trotzdem möglich? „Wir haben aus der Debatte der kritischen Sozialarbeit den Slogan übernommen: Hilfe verteidigen, kritisieren, überwinden. Das muss parallel sein“, sagt Katja Maurer von medico international. „Wir müssen das Recht auf Hilfe verteidigen. Es gibt immer Fälle, in denen Menschen in Not geraten, und dann haben sie ein Recht auf Hilfe. Wir müssen es kritisieren. Wir müssen also gucken: Welche Machtverhältnisse bilden sich in der Hilfe wieder ab. Das müssen wir verstehen und uns selbst darin immer kritisch selbst reflektieren. Und unsere Arbeit muss darauf zielen, dass wir wieder verschwinden. Und das heißt, es muss auf eine Selbstermächtigung der Leute hinauslaufen.“

Selbstermächtigung während der Coronakrise

Wie eine solche Selbstermächtigung im Kleinen aussehen kann, zeigt ein Beispiel aus dem Camp Moria in Lesbos. Als im März 2020 die Coronapandemie in Europa um sich griff, beendeten die meisten NGOs ihre Tätigkeit im Flüchtlingslager. Die Bewohner waren sich selbst überlassen – in unhaltbaren sanitären Zuständen. Und kaum jemand wusste über das Virus Bescheid.

„Die Idee war, mit den anderen Bewohnern zu sprechen in ihrer Muttersprache und Informationen zu verbreiten. Die meisten Menschen in Moria hatten ja keinen Zugang zum Internet oder zu Social Media. Sie waren abgeschnitten von der Welt und den Nachrichten. Andere aber waren mit der Außenwelt verbunden. Sie hatten Informationen. Die haben wir dann im Camp verbreitet und den Leuten klargemacht, wie das Virus uns bedroht.“

Omid Alizada kennt sich als Pharmazeut gut in medizinischen Fragen aus. Er trommelte ein paar Gleichgesinnte – allesamt Geflüchtete – zusammen und begann eine Kampagne im Camp. Das „Moria Corona Awareness Team“ war gegründet. Ein Budget hatte er nicht, aber es gab auch keine sprachlichen oder kulturellen Barrieren.

„Wir haben zum Beispiel Poster gemacht und Flyer verteilt mit den wichtigsten Informationen in verschiedenen Sprachen. Es war etwas, das wir machen mussten. Wir wurden hier ja einfach zurückgelassen, als wären wir vergessen worden.“

Auch im neuen Camp Kara Tepe macht das „Moria Corona Awareness Team“ weiter. Es verteilt Desinfektionsmittel, machte Werbung für die Impfung. Mittlerweile bekommt es Unterstützung von kleineren Organisationen. „Hilfe zur Selbsthilfe“ lautet das Schlagwort – eigentlich schon längst bekannt, aber in der Praxis immer noch viel zu selten umgesetzt.

Nicht helfen ist auch keine Lösung

Humanitäre Krisen gibt es überall auf der Welt. Ihnen mit Bedacht zu begegnen, müsste das Ziel einer immer größer werdenden Hilfsbranche sein. Einige der Schritte dahin haben die Organisationen bereits gemacht: Bevor Projekte beginnen, muss geklärt sein, welcher Bedarf genau besteht. Es braucht eine verbesserte Koordination zwischen den Akteuren und eine viel stärkere Einbindung der Betroffenen.

Mit einem wird sich die Branche sicherlich am schwersten tun: Hilfe so zu gestalten, dass sie überflüssig wird. Und trotzdem – bei aller Kritik an der internationalen Hilfe ist eines sicher: Nicht helfen wäre auch keine Lösung.

„Wir können uns nicht aus der Welt verabschieden“, sagt Katja Maurer von medico international. „Wir tragen eine große Verantwortung. Wir haben hier die finanziellen Mittel. Das heißt, wir brauchen eine globale Umverteilung, wie auch immer die aussehen kann.“

Sprecherin und Sprecher: Nina West und Viktor Neumann
Ton: Christoph Richter
Regie: Klaus Michael Klingsporn
Redaktion: Martin Hartwig

MEHR ZUM THEMAHaiti in der Dauerkrise – Korruption, Katastrophen und Kidnapping
(Deutschlandfunk Kultur, Weltzeit, 27.05.2021)

Nach dem Brand in Moria – Das Elend der Geflüchteten auf Lesbos
(Deutschlandfunk Kultur, Weltzeit, 18.01.2021)

50 Jahre nach Biafra – Humanitäre Hilfe auf dem Prüfstand
(Deutschlandfunk Kultur, Diskurs, 19.01.2020)


Info: https://www.deutschlandfunkkultur.de/ngos-in-der-kritik-hilfe-fuer-millionen-oder-millionen-fuer.976.de.html?dram:article_id=498813

20.06.2021

Wie man Demokratie verhindert: Ein paar Worte über NGOs

de.rt.com, 19. Juni 2021 17:02 Uhr, von Dagmar Henn

Nichtregierungsorganisationen oder NGOs wurden im politischen Leben auch bei uns in den letzten Jahrzehnten immer wichtiger. Aber ist das wirklich ein Gewinn an Demokratie, wie das vor allem behauptet wird, wenn es irgendwo Auseinandersetzungen um NGOs gibt, oder eher das Gegenteil?


Wie man Demokratie verhindert: Ein paar Worte über NGOs


Symbolbild. Indonesische Greenpeace-Aktivisten in Tiger-Kostümen kriechen während einer Demonstration, die den Schutz des Sumatra-Tigers fordert, vor dem Forstministerium in Jakarta, Indonesien, Mittwoch, 18. April 2012.



Zitat: Irgendwie gelten sie als die Guten: die NGOs, oder Nicht-Regierungsorganisationen, wie man auf Deutsch sagt. Darum lässt es sich auch leicht skandalisieren, wenn irgendwo ihre Tätigkeit eingeschränkt wird. Allerdings finden sich unter diesem Etikett völlig verschiedene Organisationen, und während bei klassischen Vereinen und Verbänden relativ klar ist, wer dahinter steht und wessen Interessen vertreten werden, ist das bei vielen NGOs nicht so leicht zu erkennen. Auffällig ist allerdings, dass im Verlauf der letzten Jahrzehnte Organisationen, die von Großspendern abhängig sind oder gleich direkt von ihnen betrieben werden, immer mehr Einfluss gewinnen.


Der Begriff besagt oft nicht einmal das, was er besagen soll. Die Auslandsstiftungen der deutschen Parteien gelten im Ausland auch als NGOs, obwohl ihre Mittel vollständig vom Auswärtigen Amt stammen. Auch wenn man die Strukturen betrachtet, die im Verlauf der letzten Jahre beispielsweise mit der Internetzensur beauftragt wurden, wie Correctiv, handelt es sich dabei um vorwiegend staatlich finanzierte Akteure; und in den Fällen, in denen staatliche Mittel keine Rolle spielen, treten an deren Stelle Großspenden. Für die Spender hat das einen doppelten Nutzen – zum einen können sie ihre Spenden steuermindernd geltend machen, zum anderen können sie die betreffenden Organisationen letztlich in ihrem eigenen Interesse einsetzen.


Als der Begriff NGO aufkam, ging es unter anderem um die Einbindung von realen Organisati-onen realer Menschen wie z. B. von Gewerkschaften, Berufs- oder Frauenverbänden in die Debatten innerhalb der Vereinten Nationen, die ja grundsätzlich aus Regierungen bestehen. Damals war das eine nötige und sinnvolle Erweiterung, die es ermöglichte, soziale und sozio-kulturelle Entwicklungen früher aufzugreifen. Schließlich umfasst die Menschenrechtscharta der UN nicht nur politische, sondern auch soziale Menschenrechte.


Innerhalb der BRD galt dieser Begriff bis in die 1980er Jahre schlicht für die vorhandenen Ver-eine und Verbände. Sie wurden üblicherweise von jenen finanziert, deren Interessen sie vertra-ten. Der Regelfall war tatsächlich eine demokratische Binnenstruktur, bei der sich eventuell vorhandene hauptamtliche Apparate den inhaltlichen Entscheidungen der ehrenamtlichen Führung unterzuordnen hatten, zumindest in der Theorie. Eine Vorgabe, die so auch für die Parteien gilt, die juristisch in Deutschland eine Sonderform des Vereins sind.


Der Wellenbrecher für die Etablierung des Mythos der NGO als einer neuen Form des Guten war Greenpeace. Die Aktionen, die die Organisation bekannt machten, waren spektakulär und erzielten ein – im Verhältnis zum Aufwand – ungeheures Medienecho. Jeder Verein, der sich jahrelang zu seinem Thema abmühte, wurde da blass vor Neid. Greenpeace schien gerade für die Jüngeren das Versprechen, Themen schneller auf die Tagesordnung setzen zu können, als das durch die bekannten demokratischen Strukturen der vorhandenen Verbände möglich war, die wesentlich langsamer auf Veränderungen reagierten.


Diese Langsamkeit war allerdings eine Folge der demokratischen Struktur, und die Schnelligkeit und Effizienz, die Greenpeace ausstrahlte, eine Folge dessen, dass diese Organisation nur sehr begrenzt als demokratisch betrachtet werden kann.


Demokratische Entscheidungen sind, das kann jeder bestätigen, der zumindest schon einmal in einem Verein aktiv war, naturgemäß langsam. Solange die Struktur tatsächlich demokratisches Leben aufweist, die Mitglieder also aktiv inhaltlich mitbestimmen wollen, muss überzeugt werden, bis eine Mehrheit eine Position unterstützt. Im Gegensatz dazu können zentral gelenkte Organisationen sehr schnell bestimmte Entscheidungen treffen und umsetzen. Allerdings funktioniert das für gesellschaftliche Prozesse nicht, in denen unterschiedliche Interessen aufeinanderstoßen, und in denen sich Einstellungen in der Breite verändern müssen, um bestimmte Veränderungen zu erreichen.


In der Praxis ist jede Organisation gezwungen, eine Balance zwischen Demokratie und Effizienz zu finden. Dass gerade in den 1980er Jahren der Glaube an die Effizienz ohne Demokratie in der BRD so um sich greifen konnte, hatte zwei Gründe. Der eine war die beginnende neoliberale Seelenmassage, die – klar im Interesse der großen Konzerne, die ja völlig demokratiefreie Zonen sind – die Vorstellung verbreitete, privat sei immer besser als öffentlich, wegen der höheren Effizienz. Der andere war die Erfahrung der Protagonisten der 68er Revolte, mit ihren Vorstellungen von Veränderung geradewegs gegen die Wand gelaufen zu sein.


Eine zentralistische Organisation, die keine demokratischen Prozesse beachten muss, lässt sich natürlich auch leichter an die Vorgaben einer Medienlandschaft anpassen, die von PR beherrscht wird. Was getan wird, und wie es getan wird, ist nicht mehr Ausdruck der Bedürfnisse der Beteiligten, sondern wird von der möglichst großen medialen Reichweite bestimmt. Die spektakulären Aktionen, die Greenpeace so viel Bewunderung eintrugen, waren eine Mischung aus Kommandoaktion und Werbekampagne, deren Ziel mindestens ebenso sehr in der Erzeugung von Spendenbereitschaft lag wie in der Vermittlung einer inhaltlichen Botschaft.


Die Spender sind bei Greenpeace und anderen Organisationen, die einem ähnlichen Muster folgen, völlig von den Entscheidungen abgekoppelt. Sie dürfen sich zwar so fühlen, als hätten sie etwas Gutes getan, aber die Definition, worin dieses Gute besteht, entzieht sich ihrem Einfluss. Letztlich wird damit die eigentlich auch mit der Spende angestrebte politische Handlung eingedampft auf eine Kaufentscheidung und an die Stelle der Teilnahme an politischen Prozessen tritt eine Wahl zwischen zu konsumierenden Produkten.


Traditionelle Organisationsformen wie etwa die Gewerkschaften gingen davon aus, dass die Mitglieder nicht nur Finanzquelle, sondern ebenso Handelnde und Entscheidende sind. So sieht es auch das deutsche Vereinsrecht vor; weshalb man bei den neuen Formen der NGOs oft zwei Vereine findet; einen kleinen mit handverlesener Mitgliedschaft, der in sich demokratisch ist und die Entscheidungen trifft, und einen großen, einen Förderverein, der die Gelder einsammelt und dessen Mitglieder keinerlei Mitbestimmungsrechte haben.


(Wer ein Beispiel für diese Organisationsform sehen will, kann das auf der Webseite von Campact tun. Der eigentliche Verein, der die politische Richtung bestimmt, hat ganze zwölf Mitglieder... das Fußvolk darf spenden und die Kampagnen ausführen.)


Die Erfolge, die das Modell Werbekampagne mit angeschlossener Spendenbüchse dabei erzielte, politische Themen zu setzen, führten dazu, dass sich auch in den Gewerkschaften und Parteien die Vorstellung der "Kampagnenfähigkeit" verbreitete; oft schlicht, weil es schwerer wurde, mit traditionell formulierten politischen Themen in der Öffentlichkeit durchzudringen. Der Preis dafür bestand in einem Verlust an innerer Demokratie und einer Verstärkung der Spaltung zwischen Berufspolitikern mit ihrem Apparat und Mitgliedern, die teils inzwischen bereits daran gewöhnt waren, Spenden und die Durchführung vorgegebener Werbemaßnahmen mit politischer Aktivität zu verwechseln.


Das waren jetzt nur die Folgen der Entstehung der ersten Generation von neuen NGOs. Inzwischen hat man es bereits mit einer zweiten Generation zu tun, die das undemokratische Modell fortführt, aber zusätzlich noch Großspender ins Spiel bringt (wie z. B. Human Rights Watch). In manchen Fällen (wie bei Amnesty International) ist eine solche NGO der ersten Generation mittlerweile zusätzlich noch in den Sog der Großspender geraten. Es ist auch wesentlich leichter, eine Organisation unter Kontrolle zu bringen oder zu korrumpieren, die nur eine Handvoll Mitglieder umfasst; bei Hunderttausenden wird das bedeutend schwerer.


Eine solche NGO der zweiten Generation legt nicht einmal mehr Wert auf einen Förderverein und dessen Mitglieder, da der Finanzbedarf für den hauptamtlichen Apparat bereits durch die Großspender gedeckt ist. Die Entscheidung, für welche Themen sie sich einsetzt, welche Aussagen sie macht, liegt logischerweise letztlich bei diesem (oder diesen) Großspendern. Vor der Erfindung der Kategorie NGO und ihrer Glorifizierung durch Greenpeace etc. wären solche Strukturen sogleich als Lobbyorganisationen für eben diese Großspender klassifiziert worden. Inzwischen werden sie aber behandelt, als hätten sie die gleiche politische Legitimität wie Gewerkschaften und ähnliche Mitgliedsorganisationen. Schlimmer noch – ihre Glaubwürdigkeit wird höher eingeschätzt als jene der Parteien, die zumindest ein Grundmaß an innerer Demokratie gehalten haben.


Wenn nun unterschiedliche NGOs, die alle am Tropf, sagen wir mal, einer Open Society Foundation des George Soros hängen, gemeinsam handeln, erweckt das den Anschein eines breiten gesellschaftlichen Bündnisses, ohne dass real mehr vorhanden ist als einige Hauptamtliche und ein paar volle Konten. Im Gegensatz zu wirklichen politischen Bündnissen, in denen die Verhandlungen über die Grundlagen, über Aufrufe und Aktionen immer kompliziert, mühsam und langwierig sind, können sich diese Apparate auf einen kleinen Hinweis der Spendengeber hin leicht verständigen. Die Simulation von Politik ist leichter zu haben als das wirkliche Ding.


Das, was in der "naturwüchsigen", tatsächlich demokratischen Variante der Erfahrung und Kooperation hunderter ehrenamtlich aktiver Personen bedarf, wie die Organisation einer bundesweiten Demonstration, kann von diesen mit viel Geld versehenen Hauptamtlichenapparaten im Dienste von Oligarchen geradezu aus dem Ärmel geschüttelt werden. Die Finanzierung großer Bühnen, von Sonderzügen und Bussen, die Produktion von Flugblättern, Webseiten und Transparenten, die erforderliche Pressearbeit, alles kein Problem. Nur wirkliche Bürger, also politisch engagierte ganz gewöhnliche Menschen, wird man in diesen Zusammenhängen nicht finden.


Im Angloamerikanischen gibt es dafür den schönen Begriff "Astroturfing". Astroturf ist die Markenbezeichnung des größten Kunstrasenherstellers. Der Kunstrasen wurde zum Bild für künstlich erzeugte Bewegungen, weil der Begriff für von Mitgliedern aufgebaute Organisationen "grassroots organisation", Graswurzelorganisation ist. Gräser wachsen von unten nach oben. Kunstrasen wird von oben verlegt und sieht nur so aus, als wäre er gewachsen.

Die letzte große Astroturfing-Kampagne in der BRD war "Fridays for Future". Überhaupt ist die ganze Klimawandel-Szene voll mit NGOs der zweiten Generation; klassische Mitgliederorgani-sationen finden sich so gut wie überhaupt nicht. Dazu kommen dann Stiftungen und Forschungsinstitute, deren Finanzquellen erstaunlicherweise wieder die gleichen Oligarchen sind...


Ganz unabhängig von der politischen Bewertung der gesetzten Inhalte und der Frage, wessen Interessen damit durchgesetzt werden, gegen wen – unter dem Etikett NGO verbergen sich überwiegend Organisationen, die schon durch ihre Struktur und ihre Vorgehensweise für das demokratische Leben eines jeden Landes toxisch sind. Dafür müssen sie nicht einmal aus dem Ausland finanziert und gegen die Souveränität gerichtet sein. Ein Blick auf die Bertelsmann Stiftung, die NGOs, die sie fördert, das sie umgebende Netzwerk an Instituten und ihre vielfältigen Methoden, die politischen Interessen der Bertelsmann AG in der politischen Landschaft durchzusetzen, genügt.


Die Frage sollte folglich nicht sein, Handlungsfreiheit für alle NGOs zu fordern oder Länder zu kritisieren, die das Astroturfing begrenzen wollen. Die Frage lautet, wie es gelingen kann, an die Stelle der Simulation von Demokratie durch Kunstrasenstrukturen wieder eine wirkliche, lebendige, authentische Demokratie zu setzen. Oder zum Mindesten zu verhindern, in einer Art Matrix-Republik zu erwachen, in deren politischen Diskurs sich nur noch die unterschiedlichen Oligarchen bespielen.


RT Deutsch bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln. 



Mehr zum Thema - Mademoiselle Neubauer auf dem Steckenpferd


Info: https://de.rt.com/meinung/119126-wie-man-demokratie-verhindert-ngo    


Kommentar:  Als persönliches Beispiel nenne ich hier eine Veranstaltung von Mehr Demokratie e.V. in Hannover  von 2020, auf der  sich Vorstandsmitglied Claudine Nierth ganz entschieden gegen zur Stimmabgabe legitimierte Bürgerbeteiligungen aussprach, wie es  auch ein direkt-demokratische Ziel für Volksabstimmungen auf allen politischen Ebenen ist. Stattdessen emp-fahl sie nicht zur Stimmabgabe legitimierte Bürgerräte zu etablieren, die zwischenzeitlich ihre Arbeit aufgenommen haben, unterstützt nicht zuletzt durch Wolfgang Schäuble. Das ist n.m.E. ein weiteres Beispiel für "Astroturfing" und eigentlich nur lächerlich, wenn es die Entfaltung der direkten Demokratie nicht so konkret ersetzen d.h. aushebeln würde.  

Solche Artikel zitierte ich bevorzugter aus unseren Qualitätsmedien, wenn möglich!    Th. Bauer



Weiteres:  



aus E-Mail von Doris Pumphrey, vom 19.6.2021 09:10


vom 26.5.2021, *von Rick Sterling – <https://popularresistance.org>  Übersetzung LZ

*Wie milliardenschwere Stiftungen NGOs finanzieren, um US-außenpolitische Ziele voranzutreiben

<https://linkezeitung.de/2021/05/26/35128/>


Zitat: Die US-Außenpolitik wird zunehmend von milliardenschweren Stiftungen gefördert.  Die neoliberale Ära hat Individuen mit unglaublichem Reichtum hervorgebracht, und durch „Philanthropie“ üben sie ihren Einfluss aus und fühlen sich gleichzeitig gut dabei. Während diese Philanthropen in einigen Fragen liberal sein können, unterstützen sie durchweg die US-Außenpolitik und den „freien Markt“.  Da viele dieser superreichen Individuen ihren Reichtum durch Investitionen und Spekulationen gemacht haben, mögen die meisten keine Planwirtschaft,

keine sozialisierten Dienstleistungen jenseits des privaten Sektors oder eine größere staatliche Kontrolle.


Diese megareichen Individuen und die Leute, die ihre Stiftungen leiten und sind oft eng mit dem außenpolitischen Establishment der USA verbunden. Zuschüsse werden an Projekte, Kampagnen und Organisationen vergeben, die mit ihren langfristigen Zielen übereinstimmen.  Auf diese direkte Weise werden vermeintlich unabhängige ThinkTanks und NGOs beeinflusst, wenn nicht sogar kontrolliert.  Es ist viel Wahres an dem alten Sprichwort: „Wer zahlt, bestimmt die Melodie.“


*Unabhängiges Nicaragua

*Nicaragua ist ein gutes Beispiel.  Aus historischen und aktuellen Gründen steht Washington der nicaraguanischen Regierung feindlich gegenüber.  Die Sandinistische Front stürzte 1979 den von den USA unterstützten Diktator und regierte bis 1990. Dann, nach einem Jahrzehnt des von den USA unterstützten „Contra“-Krieges und Wirtschaftssanktionen, wurden die Sandinisten abgewählt. Nach 16 Jahren neoliberaler Regierungen stimmte das nicaraguanische Volk 2006 für die Rückkehr der Sandinisten an die Macht. Seitdem gewann die Sandinistische Front (FSLN) die Wahlen mit mehr Unterstützung im Jahr 2011 und erneut mit 73% im Jahr 2016.


Nicaragua hat eine kapitalistische Wirtschaft, aber die Regierung stellt viele soziale Dienste zur Verfügung, einschließlich Gesundheitsversorgung und Bildung, zusammen mit einer gemeinde-basierten Polizeiarbeit und einer beeindruckenden Selbstversorgung mit Lebensmitteln von 90%. Nicaragua pflegt eine unabhängige Außenpolitik, die sich manchmal mit Kuba, Venezuela und anderen unabhängigen Bewegungen in Lateinamerika verbündet.


Nicaragua hat Pläne für einen transozeanischen Kanal gemacht.  Da dieser mit dem Panamaka-nal konkurrieren und unabhängig von starkem US-Einfluss sein würde, sind die Vereinigten Staaten nicht damit einverstanden. Mit dem finanziellen Zusammenbruch des chinesischen Investors des Kanals wurden die Pläne auf Eis gelegt, wenn nicht sogar abgesagt.  Unabhängig

davon, ob der Plan umgesetzt wird, stehen das außenpolitische Establishment der USA und die dazugehörigen Medien der nicaraguanischen Regierung feindlich gegenüber, weil sie es gewagt haben, dieses Projekt zu planen.


*US hat es auf Nicaragua abgesehen

*Die US-Einmischung in Nicaragua ist wenig verschleiert hinter der von den USA finanzierten „Zivilgesellschaft“, einer „neuen Generation demokratischer Führer“ und einem „Ökosystem unabhängiger Medien“ auszumachen.  Im September 2016 sagte ein hoher USAID-Beamter dem

Auswärtigen Ausschuss des Repräsentantenhauses, dass 2.200 Jugendliche ein Führungstraining erhalten hätten. Die Heuchelei der US-Regierung ist ziemlich verblüffend.  Stellen Sie sich vor, Nicaragua (oder Russland oder irgendein anderes Land) würde Tausende von US-Aktivisten ausbilden, um die „Demokratie“ in den USA zu fördern.


Im Dezember 2018 haben die USA den „Nicaragua Human Rights and Anticorruption Act“ ratifiziert, der Sanktionen verhängt und die USA verpflichtet, zu verhindern, dass Nicaragua einen Kredit, finanzielle oder technische Unterstützung von US-dominierten Finanzinstitutionen erhält. Im August 2020 berichtete der Journalist Ben Norton von Grayzone über Details eines neuen US-AID-„Auftrags“ namens Responsive Assistance in Nicaragua (RAIN). Das Dokument „umreißt Pläne für ein US-Regime-Change-Schema gegen Nicaraguas gewählte linke Regierung“.

Kurz gesagt, Washington ist nicht nur feindselig, sondern versucht aktiv, die sandinistische Regierung zu untergraben, zu destabilisieren und zu ersetzen.


*Das außenpolitische Establishment, Nicaragua und Elliot Abrams

*Eine Schlüsselinstitution des außenpolitischen Establishments ist der Council on Foreign Relations (CFR).  Seine Rolle und Bedeutung wird in dem Buch „Wall Street’s Thinktank“ analysiert. CFR-Veranstaltungen und -Publikationen, darunter die Zeitschrift „Foreign Affairs“, geben ein gutes Bild der wichtigsten außenpolitischen Prioritäten und Debatten.


Die Feindseligkeit gegenüber der nicaraguanischen Regierung spiegelt sich in den Berichten und Publikationen des CFR wider. Ein wichtiges Beispiel ist ein Artikel von Elliott Abrams. Abrams ist

seit vierzig Jahren ein wichtiger außenpolitischer Funktionär.  Er wurde verurteilt, weil er den Kongress belogen hat, dennoch ist er ein Senior Fellow beim Council on Foreign Relations (CFR).  Im September 2015 schrieb er einen Artikel, der beim CFR veröffentlicht wurde, mit dem Titel „The Sandinistas Attack the Miskito Indians – Again“.  Er beendet den Artikel mit einem Appell an Umwelt- oder Menschenrechtsgruppen:

/„Die offene Frage ist, ob irgendjemand – Gruppen, die die Umwelt verteidigen, oder Gruppen, die die Rechte der Indianer oder die Menschenrechte im Allgemeinen verteidigen, oder Gruppen, die gegen die sandinistische Unterdrückung kämpfen – ihnen helfen werden.“/


Scheinbar als Reaktion auf Elliott Abrams‘ Vorschlag haben mehrere große Stiftungen eine Berichterstattung über Nicaragua finanziert, die den Konflikt und die Spannungen in der indigenen Miskitu-Zone betont. Im März 2017 beschrieb ein von der Bill and Melinda Gates Foundation finanzierter Artikel im Guardian „Lush Heartlands of Nicaragua’s Miskito

people sparkly deadly land disputes“.


Im Herbst 2018 erhielt das Oakland Institute von der Howard G Buffet Foundation einen Zuschuss in Höhe von 237.294 US-Dollar für das „Land Dispute Project – Nicaragua“.  In diesem Jahr veröffentlichte das Oakland Institute den Bericht „Nicaragua’s Failed Revolution“. Der

Untertitel des Berichts lautet „The Indigenous Struggle for Saneamiento“, wobei „saneamiento“ der letzte Schritt des Prozesses zur Wiedererlangung indigener Rechte ist.


Die Finanzierung dieser Berichte kam von Stiftungen, deren Hauptakteure mit dem außenpolitischen Establishment verflochten sind. Zum Beispiel ist Howard W. Buffet, der ehemalige Geschäftsführer der Howard G. Buffet Foundation, Mitglied des CFR.  Melinda Gates, Co-Vorsitzende der Bill and Melinda Gates Foundation (BMGF), ist Autorin für CFR-Publikationen

und Rednerin bei CFR-Veranstaltungen.


Wir wissen nicht, ob sie durch den Aufruf von Elliott Abrams beeinflusst wurden, aber die anti-sandinistische Botschaft wurde wahrscheinlich auf die eine oder andere Weise gehört. Landstreitigkeiten, an denen indigene Gruppen beteiligt sind, sind in Amerika, einschließlich Nordamerika, weit verbreitet.  Recherchen und Berichte könnten über fast jedes Land gemacht werden. Aber anstatt über indigene Landkonflikte in Kolumbien oder Honduras oder British Columbia zu recherchieren und zu berichten, finanzierten die Milliardärsstiftungen Berichte über Nicaragua.


Die Miskitu-Indianer in Nicaragua sind nicht neu im Konflikt. In den 1980er Jahren manipulierte die CIA sie, um ihre Proxy-Contra-Armee voranzubringen.  Viele Nicaraguaner starben infolgedessen.  Jetzt, 35 Jahre später, versuchen Leute wie Elliott Abrams, die Miskitu erneut zu

benutzen. Die Miskitu mögen berechtigte Probleme und Beschwerden haben. Aber suchen die Befürworter eine Lösung oder versuchen sie, den Konflikt zu verschärfen? Das macht einen großen Unterschied aus.


*Wirtschaftskriegführung und „Rindfleischkonflikt“

*Die Vereinigten Staaten setzen zunehmend Sanktionen und Wirtschaftskriegsführung ein, um jenen Regierungen zu schaden, die als „Gegner“ gelten.  Einige rechte außenpolitische Berater würden gerne den wirtschaftlichen Schaden für Nicaragua verstärken. Einige würden gerne

verhindern, dass die USA Rindfleisch aus Nicaragua importieren.


Die Rinderzucht ist ein wichtiger Teil der Wirtschaft Nicaraguas. In der Vergangenheit exportierte Nicaragua viel Rindfleisch nach Venezuela. Aber mit der extremen wirtschaftlichen Notlage sind die Exporte zurückgegangen.  Nicaragua hat geholfen, die Lücke zu schließen, indem es größere Mengen an hochwertigem Rindfleisch in die USA exportiert hat.


Am 21. Oktober zeigte PBS Newshour ein 9-minütiges Video über den „Rindfleischkonflikt“. In dem Dokumentarfilm hieß es, dass der Anstieg der nicaraguanischen Exporte „zu einem hohen Preis für indigene Gemeinden kommt, die von ihrem Land vertrieben werden, um Platz für

Rinderfarmen zu schaffen“. Diese Anschuldigung und der Vorschlag, dass vielleicht kein nicaraguanisches Rindfleisch importiert werden sollte, war eine Kernaussage des Videos, das Journalismus mit Aktivismus verband.


Nachfolgende Recherchen, einschließlich Interviews mit indigenen Anführern aus der Region, zeigen, dass der PBS Newshour-Bericht grundlegend ungenau ist.  Der Journalist John Perry, der in Nicaragua lebt, gibt Details in dem Artikel Progressive Media Promoted a False Story of Conflict Beef from Nicaragua, veröffentlicht von Fairness and Accuracy in Reporting. Ein Teil der berichteten Gewalt wurde erfunden, ein anderer Teil wurde übertrieben. Die Behauptungen von „Völkermord“ sind nicht glaubwürdig.


Die übertriebenen und unwahren Anschuldigungen in dem PBS-Bericht beruhen auf vier Quellen. Lottie Cunningham ist eine indigene Anwältin, die das Zentrum für Gerechtigkeit und Menschenrechte an der Atlantikküste Nicaraguas (CEJUDHCAN) leitet.  Ihre Organisation ist

Empfänger von US AID und sie steht dem US-Botschafter in Nicaragua nahe. Die Menschen-rechtskommission der Vereinten Nationen hat Pressemitteilungen herausgegeben, die sich ausschließlich auf ihre Anschuldigungen stützen. Nach diesem „Conflict Beef“-Bericht zu urteilen, sind ihre Anschuldigungen manchmal übertrieben und manchmal unwahr.


Eine weitere Quelle für diesen Bericht ist Anuradha Mittal vom Oakland Institute. Das Institut erhielt einen Zuschuss von fast einer Viertelmillion Dollar für ihre Forschung zum nicaraguanischen „Landkonflikt“.


Viele ihrer Informationen stammen aus dem Bericht des Oakland Institute und den Behauptungen von Lottie Cunningham, einer USAID-Stipendiatin und Empfängerin des von Lush Cosmetics gesponserten Lush Spring Prize. Kürzlich veröffentlichte Interviews mit zahlreichen gewählten indigenen Führern aus den autonomen Zonen Nicaraguas zeigen, dass Lottie

Cunningham mit Skepsis, wenn nicht gar Feindseligkeit betrachtet wird.  Die Anführer glauben, dass ihre Organisation, das Zentrum für Gerechtigkeit und Menschenrechte im atlantischen Distrikt von Nicaragua (CEJUDHCAN), nicht die Interessen der indigenen Gemeinden vertritt und

in Wirklichkeit Gewalt und Publicity für persönlichen Gewinn fördert.


Der leitende Journalist war Nate Halverson für REVEAL beim Center for Investigative Reporting (CIR). CIR ist gut finanziert, mit einem Budget von etwa $10M und großen Zuschüssen von Dutzenden von einzelnen Stiftungen:  Hearst ($625K), Soros ($325K), Gates ($247k), Ford ($250K),

Pierre Omidyar ($900K), etc. Ein weiterer Journalist, Camilo de Castro Belli, erschien in dem Video. Er ist der Sohn des Autors und Sandinisten-Kritikers Giacondo Belli und ein „Central America Fellow“ am neoliberalen Aspen Institute.  Das Aspen Institute wird durch Zuschüsse der Rockefeller-, Ford-, Gates- und anderer US-Philanthropie-Stiftungen finanziert.


Wichtige Behauptungen in der „Conflict Beef“-Story sind unwahr. Das Rindfleisch für den Export stammt von Rindern, die NICHT aus den indigenen Gebieten stammen.  Die Rinder werden individuell gekennzeichnet und vom nationalen IPSA (Institut für landwirtschaftlichen Schutz und Gesundheit) reguliert, das wiederum vom US-Landwirtschaftsministerium geprüft wird. Die Nicaraguaner sind derzeit in Gesprächen mit den europäischen Aufsichtsbehörden, um den

Export dorthin vorzubereiten. Dieses Video, von einem der nicaraguanischen Rindfleischproduzenten, gibt einen Eindruck von der Professionalität.


Schon die Einleitung des PBS-Videos ist unwahr. Es wird sensationell behauptet, dass ein junges Miskitu-Mädchen von jemandem ins Gesicht geschossen wurde, der „eine Botschaft“ an die Gemeinschaft senden wollte.  Das Mädchen wurde versehentlich angeschossen, als es mit einem

anderen Jugendlichen spielte, der die Waffe seines Vaters hatte.  Diese Version wird vom Präsidenten der örtlichen indigenen Gemeinde bestätigt, der die Familie des Mädchenopfers kennt. Das Mädchen hat den Vorfall überlebt, und die Familie hat eine Bestechung angenommen, um die falsche Geschichte zu fabrizieren.


Eine andere Behauptung, dass „Dutzende bewaffneter Männer ein anderes indigenes Dorf im Nordosten Nicaraguas angegriffen und vier Menschen in der Mayangna-Gemeinde getötet haben“, ist falsch.  Eine Version derselben Geschichte wurde zweimal im Bericht des Oakland-Instituts wiederholt und von Lottie Cunningham (CEJUDHCAN) an den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen geschickt, der pflichtbewusst eine Pressemitteilung herausgab. Dies trotz der Tatsache, dass die Behauptungen vom Präsidenten der indigenen Gemeinde Mayangna schnell als falsch entlarvt worden waren.  Aber die Medien stürzten sich schnell auf die Geschichte, angeblich nach zwei Anrufen von Menschen und ohne Überprüfung.


Wenn eine Regierung ins Visier Washingtons gerät, wie es bei der sandinistischen Regierung offensichtlich der Fall ist, scheint die Haltung der Medien „schuldig bis zum Beweis der Unschuld“ zu sein.


Diese Geschichte über einen „Rindfleischkonflikt“ zeigt, wie große Stiftungen Berichte beeinflussen, die die Ziele der US-Außenpolitik in Bezug auf Nicaragua fördern: die Diffamierung und wirtschaftliche Bestrafung derjenigen, die zu unabhängig sind.

19.06.2021

Stiko-Chef zu Debatte um Kinderimpfung: „Gut, dass ich kein Politiker bin“

taz.de, 19. Juni 2021

Die Corona-Impfung ab 12 wird nicht generell empfohlen. Der Stiko-Vorsitzende Thomas Mertens über die Gründe – und warum er trotz böser Briefe sein Amt gerne ausübt.


Zitat: IM INTERVIEW: 

taz: Professor Mertens, Sie und die Ständige Impfkommission (Stiko) standen unter enormer Beobachtung vor Ihrer aktuellen Empfehlung zu den Kinderimpfungen. Hat Gesundheitsminister Spahn Sie angerufen und gesagt, jetzt empfehlen Sie das doch mal?

Nein, hat er nicht. Das Problem war doch nicht die Stiko, sondern die Tatsache, dass in der Politik, schon bevor überhaupt der Impfstoff zugelassen wurde, so massiv über den Einsatz in dieser Altersgruppe diskutiert wurde, mit Plänen für Reihenimpfungen und so weiter. Das war auch für uns neu und aus meiner Sicht nicht glücklich, das muss man ganz klar so sagen.


Jedenfalls empfiehlt die Stiko den Impfstoff jetzt nicht für alle Kinder und Jugendlichen ab 12, sondern nur bei bestimmten Risikofaktoren. Lassen Sie uns in aller Kürze noch einmal die Gründe zusammentragen.

Es ist ja zunächst zu betonen, dass wir bei der Stiko nicht zusammensitzen, uns gegenseitig Meinungen erzählen und dann setzt sich der Lauteste durch. Wir diskutieren die vorliegenden wissenschaftlichen Daten nach einer festgelegten, ebenfalls wissenschaftlichen Vorgehensweise. Unser Job besteht darin, auf der Basis der besten verfügbaren Evidenz eine Empfehlung zu erarbeiten. In diesem Fall ging es einerseits um die Gefährdung der Kinder durch eine Infektion mit Sars-Cov-2 und auf der anderen Seite die Erkenntnisse zur Sicherheit des Impfstoffs in dieser Altersgruppe. Das hängt unmittelbar zusammen: Je geringer die Gefährdung durch die Krankheit, desto sicherer muss die Impfung sein. Das leuchtet sicher jedem ein.


Das ist auch der Unterschied zu der Bewertung der Covid-19-Impfstoffe bei den Erwachsenen?

Das stimmt. Es gibt aber auch noch extremere Beispiele. Nehmen Sie mal eine Ebola-Epidemie in Afrika, bei der 60 Prozent der Infizierten sterben. Dann ist die Betrachtung der Sicherheit des Impfstoffes natürlich eine ganz andere, als wenn Sie eine Infektion haben, die für diese spezielle Altersgruppe eigentlich kein großes Risiko darstellt.

Sie meinen sicher das niedrige Versterbensrisiko von 0,001 Prozent in der Altersgruppe 12 bis 17?

Moment, das ist zu schnell gesagt. Es gab in Deutschland 2 Todesfälle in der Altersgruppe, so ergeben sich die 0,001 Prozent. Aber beide waren bereits vor Covid-19 sehr schwer erkrankt. Für gesunde Kinder und Jugendliche der Altersgruppe ist das Risiko an Covid-19 zu sterben derzeit rein statistisch gleich null.


Und trotzdem wird die Gefahr für Kinder und Jugendliche heiß diskutiert. Christian Drosten zum Beispiel sprach kürzlich davon, dass 4,5 Prozent der in einer Studie befragten erkrankten Kinder und Jugendlichen noch lange nach der Infektion mit Symptomen zu kämpfen hatten.

Er zitiert da wahrscheinlich aus einer englischen Studie. Gerade die haben unsere Pädiater und vor allen Dingen auch der extra hinzugebetene Experte, Professor Berner, genau analysiert. Professor Berner leitet die Studie zur Erfassung von COVID-19 in dieser Altersgruppe. Zusammenfassend kann man jedenfalls sagen, dass es zu Long Covid in dieser Altersgruppe einfach keine verlässlichen Daten gibt. Bei PIMS wissen wir da schon mehr.


Das ist die Multientzündungserkrankung, an der Kinder und Jugendliche Wochen nach der Infektion erkranken können.

Knapp 100 betroffene Kinder und Jugendliche in dieser Altersgruppe sind erfasst, zum Teil mussten sie im Krankenhaus und auch intensivmedizinisch behandelt werden. Aber die Kinderärzte, auf die man sich ja da verlassen muss, sagen, dass sie sich in den pädiatrischen Kliniken mittlerweile sehr gut mit diesem Krankheitsbild auskennen und damit gut umgehen können. In der Summe war das nicht ausschlaggebend für eine generelle Empfehlung.


Also gut, dann reden wir über den Punkt Sicherheit des Impfstoffs.

Da haben wir bisher nur eine kontrollierte Zulassungsstudie für die Altersgruppe und die hat 1.130 geimpfte Kinder etwa zwei Monate beobachtet. Da lässt sich schon mit Hilfe der Mathematik ableiten, dass die Studie keine Risiken abbilden kann, die seltener als 1:100 sind. Sie kann sie entsprechend auch nicht ausschließen. Diese seltenen Nebenwirkungen, wie wir sie von anderen Impfstoffen aber auch von den Covid-19-Impfungen kennen, sind aber in diesem Fall relevant. Denn wie gesagt: Wenn die Kinder und Jugendlichen ein sehr geringes Krankheitsrisiko haben, dann müssen wir auch verdammt sicher mit der Impfung sein.


In den USA und anderen Ländern wurde das anders bewertet, dort sind bereits Millionen Kinder und Jugendliche ab 12 geimpft.

Dazu sage ich gleich einmal eins: Die Aussage allein, “Aber es gibt doch schon Millionen geimpfte Kinder“, die nutzt überhaupt nichts, solange diese Impfungen nicht in Studien richtig ausgewertet wurden. Und wenn solche Daten vorliegen, dann ist auch die Stiko wie immer bereit, die Empfehlung anzupassen – wir sind ja für Impfungen, das dürfen Sie nicht vergessen.


Da könnte man der Stiko aber vorwerfen, Sie lasse den Impfstoff erstmal anderswo testen, bevor sie ihn für die hiesigen Kindern empfiehlt.

Und? Wo ist da der Vorwurf?


Dass man andere Länder als Versuchslabor nutzt.

Das sind sogenannte Real-Life-Studien. Es gibt keinen Grund, dass sich alle an diesen Feldversuchen beteiligen.


Aber wir profitieren davon, dass andere Länder das Risiko seltener Nebenwirkungen eingehen.

Nun ist aber die Situation in den USA bei den Kindern eine ganz andere, allein schon, wenn Sie die Häufigkeit des metabolischen Syndroms betrachten, also extrem fettleibige Kinder und Kinder mit schlecht eingestellter Diabetes. In unserem Gesundheitssystem gibt es das kaum. Solche Faktoren ändern natürlich die Risiko-Nutzen-Bewertung.


Laufen denn diese weiterführenden Studien bereits in den USA?

So wie ich die wissenschaftliche Welt der Vereinigten Staaten kenne, habe ich keine Zweifel, dass solche Studien dort laufen und es auch bald Ergebnisse geben wird. Und natürlich sind wir froh, wenn dabei herauskommt, dass die Impfung auch bei Kindern völlig harmlos ist. Aber ich darf Sie nochmal erinnern, dass schon ein Dutzend Fälle ernsthafter Nebenwirkungen bei Kindern die ganze Impfung in Frage stellt.


Die Vorsitzende des Ethikrats hat neulich gesagt, Ihr sei nicht bekannt, dass es in der Geschichte der Impfstoffe jemals späte Nebenwirkungen gegeben habe. Woher dann diese Forderung nach längerer Nachbeobachtung?

Gerade wenn man die Geschichte des Impfens betrachtet, kann man das nicht absolut ausschließen. Das ist selten, keine Frage, aber es gab die Narkolepsie-Fälle nach der Pandemrix-Impfung vor allem in den skandinavischen Ländern. Da können sich die meisten noch gut erinnern, die Betroffenen leiden bis heute darunter und das war auch erst Monate nach der Impfung aufgetreten. Schon in den 1970ern gab es in den Vereinigten Staaten einen Grippeimpfstoff, der Guillan-Barré-Fälle hervorgerufen hat, auch erst Monate nach der Impfung. Den Zusammenhang konnte man klar nachweisen, weil die Fälle plötzlich häufiger auftraten als in der Normalbevölkerung.


Nun sind aber die Eltern in einer denkbar schwierigen Situation. Weil es keine offizielle Empfehlung, aber eine Öffnung für alle Kinder und Jugendlichen ab 12 gibt, müssen sie ganz individuell entscheiden.

Damit haben wir doch aber die Situation, die gerade der Ethikrat immer gefordert hat: Dass man nämlich die individuelle Patientenentscheidung ermöglicht. Das steht sogar in dem gemeinsamen Papier von Ethikrat, Stiko und Leopoldina explizit so drin.


Normalerweise sind die Stiko-Empfehlungen bindend. Wie ist das in diesem Fall geregelt?

Die rechtliche Sicherheit ist nach Auskunft des Gesundheitsministeriums und auch nach Änderungen im Infektionsschutzgesetz gegeben. Das heißt, die Empfehlung der Stiko macht die Impfung für den Arzt und auch die Eltern in jedem Fall rechtssicher.


Das heißt, sie haften nicht für mögliche Folgen der Impfung?

Zumindest nicht materiell.


Und darin steckt eben eine Emotionalität, die mit anderen Impfentscheidungen nicht vergleichbar ist. Diese Pandemie ist so allgegenwärtig, läuft nicht unter dem Radar wie die Grippe oder andere Infektionserkrankungen. Und deshalb müssen Eltern nun eine bewusste Entscheidung fällen, während sie sich sonst – quasi automatisch – an die Empfehlungen der Stiko halten.

Ich verstehe, dass diese Entscheidung durch das ganze Drumherum emotional sehr aufgeladen ist. Aber die Grippe ist ein gutes Stichwort. Wir haben einen sehr genauen Vergleich mit vielen Grippe-Jahrgängen gemacht. Und es gab keinen Jahrgang, in dem die Grippe für diese Altersgruppe eine geringere Bedeutung hatte als Covid-19. Und die Grippeimpfung wird für diese Altersgruppe auch nicht allgemein empfohlen.


Im Unterschied zur Grippe befinden wir uns aber in einer Situation, in der die Kinder und Jugendlichen mit extremen Einschränkungen leben, um das Infektionsrisiko aller zu verringern. Insofern ist der Vergleich ja nicht ganz zu halten.

Da sag ich Ihnen gleich etwas dazu, aber erst noch etwas anderes: Wenn Sie fünf Millionen Impfstoffdosen für die Kinder beiseite gestellt hätten, wie das ursprünglich geplant war, dann hätten genau diese fünf Millionen Impfstoffdosen gefehlt für die Eltern dieser Kinder, die Impfung viel dringender brauchen. Allein das war nicht zu verstehen.


Das ist auch wichtig, aber ich wollte ja auf etwas anderes hinaus.

Aber das ist der gleiche Punkt, Sie werden es gleich sehen. Man zäumt hier nämlich immer das Pferd vom Schwanz auf. Wenn die Kinder aus gesundheitlichen Gründen die Impfung nicht brauchen, also Covid-19 kein gutes Argument ist, dann muss man auch die anderen Maßnahmen, die man im Umfeld der Kinder trifft, ähnlich evidenzbasiert überprüfen. Ob es stimmt, dass wir die Impfung brauchen, um die Schulen zu öffnen, wie das plakativ gesagt wurde, das hat doch niemand überprüft. Diesen Zusammenhang herzustellen zwischen dem normalen Leben der Kinder und der Impfung, das halte ich von vornherein für illegitim.


Der Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach sagt, dass aufgrund dieser Stiko-Empfehlung und ohne die breite Impfung der Kinder und Jugendlichen im Herbst eine Riesen-Infektionswelle bei den Kindern droht.

Ach wissen Sie, das ist das Leiden in dieser Zeit mit diesen ganzen Meinungsäußerungen. Politiker müssen halt offensichtlich so reden, aber man muss das wirklich sehr genau betrachten. Wenn das Krankheitsrisiko für die Kinder gering ist und es noch ungeimpfte Erwachsene gibt, dann müssen wir erst einmal die impfen, um weitere relevante Infektionswellen zu verhindern. Übrigens führen Infektion und Impfung zur Herdenimmunität. Dann brauchen wir auch dieses im Grunde schon seltsame Argument nicht, dass wir die Kinder impfen müssen, um die gefährdeteren Erwachsenen zu schützen.


Was genau muss passieren, damit die Stiko sagt: So, jetzt empfehlen wir den Impfstoff für alle Kinder?

Das können Sie im Grunde nachrechnen. Wir müssen größere Kollektive haben, die geimpft und vor allen Dingen entsprechend nachverfolgt sind. Nur so haben wir die Möglichkeit, seltene Nebenwirkungen in einer anderen Größenordnung auszuschließen, als das jetzt der Fall ist. Und wir brauchen mehr Studien zur Bedeutung der Krankheitsbilder, also auch zu Long-Covid, in den verschiedenen Altersgruppen. Das Gleiche kommt ja dann mit den kleineren Kindern auf uns zu. Und ich hoffe inständig, dass auch die Politik künftig erst einmal die Auswertung der Daten abwartet. Wozu habe ich sonst ein Gremium wie die Stiko, die sich ausschließlich mit der Schaffung von Evidenzen beschäftigt?! Dann macht es doch auch Sinn, erst einmal diese Evidenzen abzuwarten, bevor sich Politiker laut in der Öffentlichkeit positionieren.


Wir sind nicht nur in einer Pandemie, sondern auch im Wahljahr.

Sehen Sie, da habe ich es doch gut, dass ich Wissenschaftler bin und kein Politiker. Ich kann nicht verhindern, dass die Politik sich über mich oder über die Stiko ärgert. Aber ich mache mir nicht die Mühe, mich über die Politik zu ärgern. Ich mache einfach meine Arbeit.


Nur nicht mehr so im Stillen, wie in Vor-Pandemie-Zeiten. Bereuen Sie es in diesen Tagen manchmal, der Chef der Stiko zu sein?

Also das ist vielleicht noch weniger mein Problem als das meiner Frau, die sich unseren Ruhestand auch anders vorgestellt hat. Aber im Ernst: Ich habe schon im letzten Jahr böse Zuschriften bekommen, nach dem Motto, ich alter Mann sollte doch endlich mal diesen hochbezahlten Job aufgeben. Und dann denkt man natürlich: Ja, warum machst du das eigentlich noch im Ehrenamt? Sollen sich doch die anderen die Köpfe einschlagen. Für mich persönlich ist dieses ganze Auftreten in der Öffentlichkeit auch nicht reizvoll. Jetzt fragen sie mich gleich, warum ich den Job dann noch mache.


Natürlich.

Ich bin Wissenschaftler geworden, weil ich wissen wollte, wie die Dinge funktionieren, weil ich verstehen wollte. Das war immer die Antriebsfeder und die ist immer noch gespannt. Und eines muss man auch sagen: Für jemanden, der zum Beispiel als Institutsleiter noch voll im Job steht, wäre dieses Pensum gerade gar nicht zu schaffen.



71, ist seit 2004 Mitglied der Ständigen Impfkommission (Stiko) und seit 2017 deren Vorsitzender. Bis 2018 war er Ärztlicher Direktor des Ulmer Instituts für Virologie.Die Stiko ist ein ehrenamtliches, politisch unabhängiges Expertengremium, dessen Tätigkeit vom Robert-Koch-Institut koordiniert werden. Die Ex­per­t*in­nen entwickeln Impfempfehlungen und passen diese an aktuelle wissenschaftliche Ergebnisse an. Die Empfehlungen gelten als medizinischer Standard.
Info: https://taz.de/Stiko-Chef-zu-Debatte-um-Kinderimpfung/!5774779   
19.06.2021

Sterblichkeit - Fallzahlen nach Monaten für Deutschland 2016 - 2021


                       Rohdaten Statistisches Bundesamt, aktueller Stand: 14. Juni 2021


   Jan.
   Feb.   März   April   Mai  Juni  Juli   Aug.  Sept.   Okt.   Nov.   Dez.
2021 106281  81754
   81276
  80910  79756






2020   85421  80070   87517  83885  75823 72177
 73822  78711 74089  79672  86083 108726
2019   85105  81009   86739  77410  75669 
 73483
 76926  73444 
 71022  77006  78378   83329
2018   84973  85799 107104  79539  74648 69328 75605  78370 69708  74039  74762   80999
2017   96033  90649   82934  73204
  75683 69644 71411  71488 69391  75229  74987   81610
2016   81742  76619
   83668  75315  74525 69186 72122  71295 69037  76001  77050   84339

Gesamtsterblichkeit2021 bis Mai = 429 977 ; 2020 = 985 996 ; 2019 = 939 520 ; 2018 = 954 874; 2017 = 932 263 ; 2016 = 910 899


Info: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Sterbefaelle-Lebenserwartung/Tabellen/sonderauswertung-sterbefaelle-pdf.pdf?


                     V.i.S.d.P.: Initiative: "Kein Militär mehr", Leinaustraße 3, D-30451 Hannover
18.06.2021

Runder Tisch der Bundestagsfraktion DIE LINKE mit Vertreter*innen der Friedensbewegung

Videokonferenz, vom 16.6.21, Lühr Henken

FCAS (Future Combat Air System)

Ich möchte mich mit dem ambitioniertesten, größten, teuersten europäische: Rüstungsprojekt befassen, dem Luftkampfsystem der Zukunft, FCAS. Es ist zwar noch kein EU-Projekt, wenngleich das PESCO-Projekt, die sogenannte Eurodrohne, Bestandteil von FCAS werden soll. Noch ist es trinational zwischen Deutschland, Frankreich und Spanien vereinbart, hat aber den Anspruch, durch Einbezug weiterer Staaten ein EU-Projekt zu werden. 


Zitat:  Das ist wahrlich ein Jahrhundertprojekt, auf das sich Macron und Merkel 2017 verständigt haben. Dabei sollen die dann veralteten Kampfflugzeuge Deutschlands (Eurofighter) und Frankreichs (Rafale) nicht schlicht durch ein neues Kampfflugzeug ersetzt, sondern schrittweise vom Future Combat Air System abgelöst werden. FCAS soll in den Jahren 2040 bis 2080 eingesetzt werden. Allein seine Entwicklungskosten werden auf über 100 Mrd. Euro geschätzt. Branchenkenner rechnen mit einem Umsatz von 500 Mrd. Euro.1 Ein Vergleich macht die gigantische Dimension von FCAS deutlich. Es ist fünfmal so groß wie das bisher größte europäische Militärprojekt, der Eurofighter.2 Um dieses MegaProjekt über Wahltermine hinweg unumkehrbar zu machen, wollen die FCAS-Befürworter ein Rahmengesetz unter Dach und Fach bringen. AKK nennt das Verteidigungsplanungsgesetz. Der verteidigungspolitische Sprecher der Bündnisgrünen, Tobias Lindner, unterstützt den Vorstoß und modifiziert ihn. 


Im Zentrum von FCAS steht ein neu zu entwickelndes Kampfflugzeug der nächsten Generation. Das ist die 6. Generation: 3 der Next Generation Fighter, kurz: NGF 

Jedes NGF soll von kampffähigen Drohnen, wie der „Eurodrohne“, und Drohnenschwärmen (Remote Carriers) in einem digitalen Netzwerk, der sogenannten „Kampf-Cloud“, umgeben sein. Das NGF wiederum ist mit anderen NGFs verbunden, verbunden mit Satelliten, mit Aufklärungsdrohnen, mit Aufklärungs- und Tankflugzeugen, mit Kriegsschiffen und Heereseinheiten. Die Verbindung schafft Echtzeit-Bilder und Echtzeit-Analysen. In der „Kampf-Cloud“ spielt Künstliche Intelligenz die alles durchdringende zentrale Rolle. FCAS stellt eine Revolution der Militärtechnik dar. Es wird deshalb als „System of Systems“ bezeichnet. 


Nun etwas ausführlicher zu den Elementen des FCAS: 

Das Kampfflugzeug NGF wird als „Tarnkappen-Bomber“ und als Träger von Atombomben konzipiert und soll auf einem eigens noch herzustellenden französischen oder deutsch-französischen Flugzeugträger starten und landen und möglicherweise auch unbemannt fliegen können. 

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1 Das Projekt wird „nach Schätzungen aus der Branche,“ so das Handelsblatt, „einen Umsatz von 500 Milliarden Euro bringen“ Thomas Hanke, Martin Murphy, Donata Riedel. So wollen Deutschland und Frankreich ihre Rüstungsindustrie neu  aufstellen, , 26.11.18,

https://www.handelsblatt.com/politik/international/gemeinsame-jets-und-panzer-so-wollen-deutschland-und-frankreich-ihre-ruestungsindustrie-neu-aufstellen/23673794.html?ticket=ST-1006788-z1Z9FyM2EFj5ebyOImst-ap2

2 Die 140 Bundeswehr-Eurofighter der Tranchen 1 bis 3A kosteten knapp 25 Milliarden Euro. Für insgesamt 623 bestellte Eurofighter müssen rund 100 Milliarden Euro berappt werden. 3 Die Spitze der Entwicklung momentan bildet mit dem US-amerikanischen F-35 die 5. Generation. Die angesprochenen Rafale und Eurofighter sind Kampfflugzeuge der Generation 4+.

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Die Ausgestaltung der Drohnenschwärme ist noch unklar. Es gibt im wesentlichen zwei Möglichkeiten: Zum einen: Der Schwarm kann aus hunderten von etwa ein Kilogramm schweren Maschinen bestehen, die unter Einsatz von Künstlicher Intelligenz weitgehend autonom agieren. Diese Drohnenschwärme sollen als Täuschkörper die gegnerische Luftverteidigung überfordern. Sie sollen in gegnerisches Gebiet einsickern, um Wellen von Kamikaze-Angriffen auszuführen – man spricht hier auch von Übersättigungsangriffen. Und sie sollen automatisch Lufträume abriegeln, also autonom im Luftkampf eingesetzt werden können. Die zweite Variante sind größere Kampfdrohnen, die als unbemannte Jagdflugzeuge den eigentlichen Luftkampf führen sollen, aber auch, dem NGF vorausfliegend, am Boden feindliche Flugabwehrstellungen zerstören können. 


Das militärische Ziel von FCAS ist es, über eine Kampfüberlegenheit in der Luft auch den Krieg an Land und auf dem Meer zu gewinnen und ist vor allem gegen Großmächte gerichtet. Die EU strebt damit militärischen Weltmachtstatus an. 


Dafür gibt es zwei Belege: Erstens, den gemeinsamen Standpunkt der Luftwaffenchefs Deutschlands, Frankreichs und Spaniens, den sie in der FAZ veröffentlicht haben. Sie sagen, worum es ihnen mit dem FCAS-System geht: Es „soll in allen Kategorien des Luftkampfes über hervorragende Fähigkeiten verfügen, dadurch die Luftüberlegenheit unserer Luftwaffen und dadurch die erforderliche Bewegungsfreiheit der anderen Teilstreitkräfte sicherstellen.“4 Und zweitens: Der französische Senat hat sich ausführlich mit dem FCAS befasst und hält über dessen Architektur fest: „Die Herausforderung an die künftigen Kampfflugzeuge wird darin bestehen, die Fähigkeit zur Eroberung und Aufrechterhaltung der Luftüberlegenheit zu besitzen, um mit der dritten Dimension sowohl zu Land als auch zu Wasser agieren zu können.“


Um das FCAS kommerziell erfolgreich zu machen, sollen weitere EU-Länder zu den drei derzeitigen hinzustoßen, um als Hersteller und Käufer von FCAS-Komponenten gewonnen zu werden. FCAS ist jedoch nur realisierbar, wenn das System oder wesentliche Teile davon auch nach außerhalb Europas exportiert werden können, was wiederum nur möglich ist, wenn auf US-amerikanische Bauelemente verzichtet wird, denn sonst könnte die US-Regierung Einspruchsrechte geltend machen. 


Die EU würde sich auf diesem Weg eine militärische strategische Autonomie – also technologische Unabhängigkeit von den USA - verschaffen, die insbesondere Frankreich für sich anstrebt. Die EU könnte so mit FCAS international technologische Standards setzen. Jahrzehntelanges umfassendes Wettrüsten ist so programmiert. Aktuell geht es vor allem um die Entwicklung eines flugfähigen Demonstrators und von Drohnen, die die Schwärme bilden sollen. Sie sollen schon bis 2027 fertig sein. 


Den FCAS-Befürwortern kommt es aufs Tempo an, denn ein Konkurrenzsystem ist in Arbeit. 


Mit dem Projekt Tempest beabsichtigen die britische BAE-Systems zusammen mit SAAB (Schweden) und Leonardo (Italien) ebenfalls ein Tarnkappenkampfflugzeug der 6. Generation zu entwickeln, für das der Start bereits für 2035, also 5 Jahre vor FCAS, vorgesehen ist. Über eine Verbindung mit dem 

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4 FAZ.net 21.2.20, Philippe Lavigne, Javier Salto Martines-Avial, Ingo Gerhartz, Die Zukunft der europäischen Luftwaffen, https://www.faz.net/aktuell/politik/gastbeitrag-die-zukunft-der-europaeischen-luftwaffen-16642571.html

 5 Ronan Le Gleut, Hélène Conway-Mouret, Senatoren, Senat, Sondersitzung 2019 – 2020, Informationsbericht Nr. 642, ausgestellt im Namen des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten, Verteidigung und Streitkräfte über das Luftkampfsystem der Zukunft (Future Combat Air System, FCAS), 15. Juli 2020, 99 Seiten, S. 29, im Weiteren: Senat. http://www.senat.fr/rap/r19-642-3/r19-642-31.pdf

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US-Projekt „Loyal Wingman“ von Boeing können auch bei Tempest Drohnenschwärme zum Einsatz kommen. 


Die FCAS-Betreiber sehen ihr Projekt dann gefährdet, wenn das britisch-schwedisch-italienische Projekt realisiert wird, denn zum einen steht dies einer gemeinsamen europäischen technologischen Industriebasis entgegen, zum anderen würde die Exportfähigkeit von FCAS innerhalb Europas und weltweit geschwächt, wenn es zwei konkurrierende Systeme in Europa gebe. Die Exportierbarkeit wird als Schlüsselfrage gesehen. 


Die FCAS-Betreiber hoffen, Schweden und Italien für sich gewinnen zu können. Vor allem wollen sie ihr FCAS vor Tempest entwickelt haben. Sand im Getriebe ist für FCAS tödlich. 


Um Störungen im Ablauf auszuschließen, kommt das BMVg, wenn man der ZDF-Meldung von gestern Abend Glauben schenken darf6 , und ich tue das, mit einem überraschenden und überrumpelnden Finanzantrag daher. Über 4,5 Milliarden Euro soll der Haushaltsausschuss noch am 23. 6 locker machen, dem letzten Sitzungstag vor der Wahl. Damit soll bis 2027 der NGF-Demonstrator und Drohnen entwickelt werden. Der Rahmenvertrag ist damit überflüssig, denn die Aufträge überdauern die nächste Legislaturperiode – wenn der Haushaltsausschuss zustimmt. 

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*Lühr Henken, ist Ko-Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag (www.Friedensratschlag.de), Herausgeber der Kasseler Schriften zur Friedenspolitik (https://jenior.de/produkt-kategorie/kasseler-schriften-zur-friedenspolitik) und arbeitet mit in der Berliner Friedenskoordination (http://www.frikoberlin.de

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6 ZDF, 15.6.2021, https://www.zdf.de/nachrichten/politik/kampfjet-fcas-streit-100.htm

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18.06.2021

Der große Krieg                                                                                                                US-Militärs debattieren über einen Krieg der Vereinigten Staaten gegen China. Der könnte "vielleicht schon 2026 oder 2024" beginnen.

german-foreign-policy.com, 18. Juni 2021

BERLIN/WASHINGTON/BEIJING(Eigener Bericht) - Vor dem Beginn der Asien-Pazifik-Fahrt der deutschen Fregatte Bayern schwillt unter hochrangigen US-Militärs die Debatte über Form und Zeitpunkt eines möglichen großen Krieges gegen China an. Admiral a.D. James G. Stavridis, Ex-NATO-Oberbefehlshaber und Autor eines aktuellen Romans über einen solchen Krieg, hielt bis vor kurzem den Beginn von Kämpfen im kommenden Jahrzehnt für denkbar. Als mögliche Auslöser gelten die Auseinandersetzungen um Taiwan oder um Inseln im Süd- und im Ostchinesischen Meer. Allerdings verschiebt sich Stavridis zufolge das militärische Kräfteverhältnis zwischen den USA und China rasant, und zwar zugunsten der Volksrepublik, die in Teilbereichen - etwa bei der Anzahl ihrer Kriegsschiffe oder in der Cyberkriegführung - bereits aufgeholt habe. Stavridis warnt mittlerweile, "die Schlacht" zwischen Washington und Beijing könne "viel früher kommen". Dabei spielten US-Verbündete eine zentrale Rolle; die USA bänden sie gezielt in immer "aggressivere" Operationen etwa im Südchinesischen Meer ein. Zu den erwähnten Verbündeten gehört auch Deutschland.


Zitat: Ein erfahrener Stratege

Mit ausdrücklichen Warnungen vor einem großen Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und China tritt aktuell James G. Stavridis an die Öffentlichkeit. Stavridis, hochdekorierter Admiral im Ruhestand, hat im Lauf seiner militärischen Karriere US-Kriegsschiffe unter anderem im Mittelmeer sowie im Persischen Golf geführt; in der Zeit von 2002 bis 2004 kommandierte er die Flugzeugträgerkampfgruppe um die USS Enterprise, die damals unter anderem Operationen im Irak-Krieg durchführte. Im Sommer 2009 übernahm er die Leitung des U.S. European Command und zugleich den Posten des NATO-Oberbefehlshabers (Supreme Allied Commander Europe, SACEUR); beide Posten hatte er bis Mai 2013 inne. Anschließend amtierte er gut fünf Jahre lang als Dekan der Fletcher School of Law and Diplomacy an der renommierten Tufts University bei Boston (US-Bundesstaat Massachusetts). Stavridis, der gern darauf verweist, dass er einen erheblichen Teil seiner Laufbahn bei der U.S. Navy in asiatisch-pazifischen Gewässern verbracht hat, ist als Autor zahlreicher militärisch-strategischer Fachbücher hervorgetreten, darunter breit rezipierte Werke. Sein jüngstes, in Romanform verfasstes Buch beschreibt einen möglichen amerikanisch-chinesischen Krieg (vgl. unsere Rezension).


Das militärische Kräfteverhältnis

Stavridis hat in Interviews und Artikeln zuletzt immer wieder auf zwei in diesem Zusammenhang zentrale Faktoren hingewiesen: auf die Entwicklung des militärischen Kräfteverhältnisses zwischen den Vereinigten Staaten und China sowie auf die Bedeutung der US-Bündnissysteme. Militärisch holt die Volksrepublik Stavridis zufolge rasch auf und hat auf einigen Feldern die USA inzwischen überholt. So verfügt die chinesische Marine bereits über mehr Kampfschiffe (rund 350) als die U.S. Navy (etwa 300) und stellt "fast wochenweise" neue Kriegsschiffe in Dienst. Freilich müsse man dabei berücksichtigen, dass US-Kriegsschiffe in aller Regel größer, besser ausgerüstet und mit erfahreneren Mannschaften ausgestattet seien, konstatiert der US-Admiral. [1] Rapide Fortschritte macht China Stavridis zufolge auch bei der Aufrüstung für den Cyber- und den Weltraumkrieg. Für den Fall, dass es bei Taiwan, im Süd- oder im Ostchinesischen Meer zu Kämpfen komme, besitze die Volksrepublik selbstverständlich geografische Vorteile, da die US-Streitkräfte in großer Entfernung von ihrem Heimatterritorium operieren müssten, räumt der US-Militär ein. Zudem habe Beijing mit seinen Stützpunkten auf Inseln im Südchinesischen Meer "unsinkbare Flugzeugträger" geschaffen, die die US-Militärbasen in Japan und Südkorea sowie auf Guam in gewissem Maß ausbalancierten.[2]


Die Bedeutung von Bündnissen

Hohe Bedeutung misst Stavridis den US-Bündnissystemen bei. Den Kern bildeten im Falle eines Krieges gegen China, urteilt der Admiral a.D., Japan, Südkorea und Australien - auch deshalb, weil die US-Streitkräfte dort über Stützpunkte und Rückzugsmöglichkeiten verfügten. Darüber hinaus unterhielten die USA Bündnisverträge mit Neuseeland, den Philippinen und Thailand - und sie könnten sich zudem auf "sehr starke Partnerschaften mit Singapur, Vietnam und Malaysia" stützen. Zusätzlich würden die Beziehungen zu Indien immer enger. Zwar sei fraglich, ob man sich schon heute auf militärische Unterstützung von all diesen Ländern verlassen könne - doch Washington arbeite daran. Einen zentralen Stellenwert misst Stavridis dem "Quad"-Pakt (Quadrilateral Security Alliance) der USA mit Japan, Australien sowie Indien bei.[3] Hinzu kämen schließlich noch die Verbündeten in Europa, die "fähig zu globalen Einsätzen im Pazifik" seien, ganz besonders Großbritannien, Frankreich und Deutschland; diese hätten inzwischen ihre prinzipielle Bereitschaft bekräftigt, sich zumindest an Patrouillenfahrten im Südchinesischen Meer zu beteiligen.[4] Dem globalen US-Bündnissystem könne China keine gleichwertigen Strukturen entgegensetzen.


Wann der Krieg beginnt

Mögliche Auslöser für eine Kriegseskalation sieht Stavridis vor allem in den Auseinandersetzungen um Taiwan sowie um diverse Inseln im Süd- und im Ostchinesischen Meer. Dabei verfüge das US-Militär in einem Waffengang, der wohl vor allem von See- und Luftstreitkräften geführt werde - einen Landkrieg in Ostasien schließt der Admiral a.D. aus -, zur Zeit über einen, wenngleich knappen, Vorteil: "Unsere Technologie, unser Netzwerk von Verbündeten und Stützpunkten in der Region", aber auch High-Tech-Waffensysteme wie Drohnen aller Art und militärische Fähigkeiten im Weltraum überträfen die chinesischen Kapazitäten - "noch".[5] Allerdings mache China "rasant" Fortschritte, "und gegen Ende des Jahrzehnts, wenn nicht sogar früher, wird es in der Lage sein, die USA im Südchinesischen Meer tatsächlich herauszufordern". Stavridis, der seinen neuen Roman nach dem Jahr, in dem ein amerikanisch-chinesischer Krieg möglicherweise beginnen könnte, "2034" genannt hat, fügt inzwischen hinzu: "Wir haben vielleicht nicht mehr bis 2034 Zeit, uns auf die Schlacht vorzubereiten - sie könnte viel früher kommen."[6] "Eine der häufigsten Reaktionen" auf seinen Roman laute: "sehr gutes Buch, aber falsches Datum". Hochrangige Militärs seien der Auffassung, es gehe "nicht um 2034", "sondern eher um 2024 oder 2026".[7]


Marinekoalition gegen China

Die Biden-Administration forciert ihre Vorbereitungen auf einen möglichen Krieg gegen China auf allen Ebenen - mit dem Bestreben, sich ökonomisch wie auch technologisch von der Volksrepublik unabhängig zu machen, aber auch mit militärischen Maßnahmen. So hat Verteidigungsminister Lloyd Austin in der vergangenen Woche angekündigt, die Empfehlungen einer von ihm im Februar eingesetzten "China Task Force" schnellstmöglich umzusetzen; sie werden geheimgehalten, zielen aber laut Austin darauf ab, die US-Streitkräfte mit aller Energie auf den Machtkampf gegen China zu orientieren und zudem die Kooperation mit verbündeten Staaten "zu optimieren und zu stärken".[8] In diesen Kontext gehört, dass die US-Marine Stavridis zufolge in Zukunft wohl nicht nur "aggressivere Patrouillenfahrten durch die Gewässer vor China unternehmen", sondern zunehmend auch "Kriegsschiffe von Verbündeten in diese aggressiveren 'Freedom of Navigation'-Patrouillen einbinden" wird: "Das internationalisiert den Gegenstoß gegen chinesische Souveränitätsansprüche im Südchinesischen Meer."[9] Letztlich gehe es darum, "eine globale Marinekoalition zu schaffen, um den überaus fähigen Streitkräften der chinesischen Volksbefreiungsarmee entgegenzutreten" - kurz vor einem möglichen großen Krieg.

 

Mehr zum Thema: Rezension: "2034""Der Startschuss ist gefallen" und Das Gravitationszentrum der Welt sowie unsere Video-Kolumne Krieg gegen China.

 

[1], [2] James Stavridis: If the US went to war with China, who would win? asia.nikkei.com 30.05.2021.

[3] U.S. admiral warns against U.S.-China war in best-seller. asahi.com 02.06.2021.

[4], [5], [6] James Stavridis: It's not too soon to prepare for a sea war in Asia. politico.com 13.05.2021.

[7] Bernhard Zand: "Wir müssen verhindern, dass wir in einen großen Krieg hineinschlittern". spiegel.de 14.04.2021.

[8] S. dazu "Der Startschuss ist gefallen".

[9] James Stavridis: How the US military is preparing for a war with China. asia.nikkei.com 07.03.2021.


Info: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8632      

17.06.2021

KenFM und Anonymus Hacken gegen die Meinungsvielfalt

nachdenkseiten.de, 17. Juni 2021 um 12:10, Ein Artikel von: Tobias Riegel
Ein Hacker-Angriff auf das Alternativ-Medium KenFM wird von großen Medien entweder ignoriert oder verniedlicht. Solidarität von anderen Journalisten? Weitgehend Fehlanzeige. Dabei ist der Vorgang eine Attacke auf die Meinungsfreiheit, das Mittel kennt man auch aus dem Arsenal der Geheimdienste.


Zitat:  
Die Hackergruppe „Anonymus“ hat nach eigenen Angaben die Webseite des Portals „KenFM“ von Betreiber Ken Jebsen gehackt und sie vorübergehend lahmgelegt. Dabei seien unter anderem „persönliche Daten von Abonnenten“, etwa „Vornamen, Nachnamen, E-Mail, Passworte“ sowie „Spenderdaten“, also „Namen, Beträge, Mailadressen von Spendern“ erbeutet worden. Einige der so identifizierten Abonnenten wurden in den vergangenen Tagen bereits mit E-Mails von „Anonymus“ behelligt.


Meinungsvielfalt muss prinzipiell verteidigt werden

Diese Aktion ist zu kritisieren, sie ist ein Angriff auf die Meinungsfreiheit und -vielfalt: Hacker-Angriffe sind Werkzeuge, die auch aus dem Sortiment der Geheimdienste bekannt sind, und Hacker-Angriffe auf Medien müssten eigentlich prinzipiell gegeißelt werden – unabhängig von inhaltlichen Differenzen. Ausgenommen von dieser prinzipiellen Ablehnung wären unter Umständen Daten-Angriffe, um kriminelles und gesellschaftsschädigendes Verhalten von Konzernen oder Politikern zu unterbinden, etwa Geldwäsche oder Korruption in großem Stil oder die Vorbereitung von Angriffskriegen. Ebenso können Hacker-Angriffe unter Umständen akzeptabel sein, wenn sie das Ziel haben, technische Mängel bei der Datensammlung von Unternehmen oder staatlichen Institutionen zu offenbaren.


Keines dieser Kriterien kann aber auf die Aktion gegen KenFM und seine Abonnenten angewendet werden. Die Ablehnung des Vorgangs hat im Übrigen nichts mit den Inhalten des Portals zu tun. Es geht um die prinzipielle Verteidigung der Meinungsvielfalt, unabhängig vom Grad der thematischen Übereinstimmung. Dass man sich mit der Kritik an der Hacker-Aktion nicht mit allen bei KenFM verbreiteten inhaltlichen Standpunkten einverstanden erklärt, ist selbstverständlich. Meinungsfreiheit ist ein Grundrecht, das nicht von anonymen und dubiosen Gruppen, deren Motive und Unterstützer im Dunkeln bleiben, willkürlich infrage gestellt werden darf. Zur Ausübung des Rechts auf freie Wahl der eigenen Informationsquellen gehört auch die 

Anonymität der Spender und Abonnenten.


Ein „Kollektiv“ von „Aktivisten“ gegen „Corona-Verharmloser“

Was die Anonymus-Gruppe vom für die Ausübung der politischen Mitwirkung wichtigen Prinzip der Vertraulichkeit hält, hat sie bereits kürzlich bewiesen, indem sie Daten von Mitgliedern der neuen Partei „Die Basis“ erbeutete, wie etwa „t-Online“ beschreibt:

„Schlag von Anonymous-Aktivisten gegen die organisierte Szene der Corona-Verharmloser: Das Hackerkollektiv ist an die Daten der mehr als 10.000 Mitglieder der Partei ‚dieBasis‘ gelangt.“

Dieser zitierte Absatz ist symptomatisch für den Umgang vieler großer Medien mit „Anonymus“: Die Gruppe wird (wenn die Wahl der Opfer in die aktuelle politische Agenda passt) verharmlosend zu „Aktivisten“ und einem „Kollektiv“ erklärt. Auf der anderen Seite wird aus der betroffenen Partei eine „organisierte Szene der Corona-Verharmloser“ gemacht. Durch beide Schritte wird der auch im Fall von „Die Basis“ abzulehnende Angriff auf politische Willensbildung indirekt gerechtfertigt.


Diffamierung statt Solidarität: Ken Jebsen, der „Verschwörungsprediger“

Auch die teils ignoranten, teils indirekt applaudierenden Reaktionen in manchen Medien auf die aktuelle Aktion gegen KenFM sind fragwürdig: Statt Kritik an der das Meinungsspektrum zensierenden Anonymus-Aktion oder Solidarität mit dem betroffenen Medium sind entweder Nichtbeachtung oder Häme zu verzeichnen. Zusätzlich fällt die un-journalistische Kategorisierung von Ken Jebsen auf, um den Hacker-Angriff indirekt zu rechtfertigen, etwa jene als „Verschwörungstheoretiker“, der ein „Geschäftsmodell“ bedienen würde.


Laut Deutschlandfunk ist Jebsen ein „Verschwörungsmystiker“ und „einer der wohl einflussreichsten deutschen Verschwörungsideologen“. Bei „t-Online“ wird Jebsen zum „Verbreiter von Fake News“ und die Hacker zu „Verschwörungsgegnern“ erklärt. Laut ZDF trifft es das „Verschwörungsportal ‚KenFM’“, die „Frankfurter Rundschau“ nennt Jebsen einen „Verschwörungsprediger“ und im „Spiegel“ wird er zu einem „ehemaligen Journalisten“. Der Versuch, Ken Jebsen unmöglich zu machen, damit bei ihm andere Kriterien gelten und die Pressefreiheit hier nicht verteidigt werden muss, ist offensichtlich.


Wie aber würden die Reaktionen wohl klingen, wenn ein gegen Putin oder gegen Assad gerichtetes „oppositionelles“ Portal gehackt würde und die Unterstützer offenbart würden? Wie würden die Reaktionen klingen, wenn der „Spiegel“ oder die „Süddeutsche Zeitung“ gehackt würden? Anlass zu scharfer Kritik gibt es bei vielen großen deutschen Medien nun wirklich zur Genüge: die Vorbereitung und langjährige Flankierung von US-Kriegen, eine Stützung des neoliberalen Umbaus, aktuell die mediale Corona-Panik und vieles andere mehr.


Hacker-Angriffe auf Medien sind prinzipiell abzulehnen

Aber selbst diese kritikwürdigen Kampagnen von großen Medien würden keine anonymen Hacker-Angriffe auf sie rechtfertigen. Im Gegenteil: Gegen solche auch aus dem Arsenal der Geheimdienste bekannte Aktionen sollte sich eigentlich die Medienlandschaft kollektiv und deutlich aussprechen, unabhängig von den jeweiligen inhaltlichen Meinungen: Hier geht es um das Prinzip der Meinungsvielfalt, das durch Solidarität unter den Journalisten geschützt werden müsste. Wenn diese Solidarität nun durch Nichtberichterstattung ausbleibt oder gar mit Häme beschädigt wird, dann wird das ganze Prinzip beschädigt. Dieses Verhalten kann irgendwann auch auf die beteiligten Medien zurückfallen, wenn sie einst selbst Opfer solcher Daten-Attacken werden sollten. Dann wird es schwer, diese moralisch zu verurteilen, denn man hat sie bei KenFM selber geduldet.


Anonymus agiert außerdem nicht im luftleeren Raum: Die Aktion gegen KenFM reiht sich ein in eine Vielzahl von Angriffen gegen das Medium. So hat YouTube den Kanal gesperrt, seit März wird “KenFM” vom Berliner Verfassungsschutz als Verdachtsfall geführt und die Landesmedienanstalt Berlin hat ein Verfahren eröffnet. Die Anonymus-Gruppe sieht ihre Aufgabe offenbar in einer nochmaligen Verstärkung dieser zensorischen Angriffe von staatlicher und privater Seite.

„Anonymus“ und „Faktenchecker“: Regierungskritiker als Hauptgegner

Nicht nur KenFM oder „Die Basis“ sind betroffen. Die „Aktivisten“ vom „Hackerkollektiv“ sehen ihre Gegner anscheinend nicht zuerst in mächtigen staatlichen Institutionen oder großen Medien, die sich an der Vorbereitung von Angriffskriegen beteiligen. Selbstgewählte Aufgabe ist im Moment nach eigenen Angaben vor allem die Beobachtung und die Schikane von Kritikern der Corona-Politik, etwa mit der „Operation Tinfoil“. Die Sabotage eines unbequemen Mediums und die damit erzielte Einschränkung der Meinungsvielfalt wird von „Anonymus“ in grotesker Verdrehung als Kampf für Meinungsfreiheit, demokratisches Miteinander und natürlich „die Wahrheit“ verkauft:

„Das Kollektiv Anonymous kämpft gegen das System, wenn es notwendig ist. Aber Anonymous kämpft immer für die Meinungsfreiheit, wenn sie tatsächlich eingeschränkt ist, und für ein demokratisches Miteinander. Vor allem jedoch kämpft Anonymous immer für die Wahrheit.“

Ein „Kampf gegen das System“ ist allerdings spätestens seit 2020 bei Anonymus weit und breit nicht mehr zu entdecken. Im Gegenteil: Durch die im Zuge der Corona-Krise vorgenommene endgültige Fokussierung der „Faktenchecker“ und „Hackerkollektive“ auf die Kritiker der Regierung und deren Diffamierung als „Fake-News“ soll mutmaßlich der Anschein erweckt werden, die angepassten Journalisten der großen Medien würden im „Gegensatz“ dazu keine Fake-News verbreiten. KenFM, RT und alle alternativen Medien zusammen könnten jedoch nicht ansatzweise solche umfangreichen und langfristigen Kampagnen wie zum Syrien-Krieg oder zum Maidan-Umsturz oder zur Sabotage der staatlichen Rente ausführen, wie sie in vielen großen Medien zu beobachten waren, von der aktuellen medialen Corona-Panik ganz zu schweigen.

Die Hauptquelle der großflächigen Manipulation der Bürger sprudelt in den Redaktionen großer Medien. Und die werden von den „Faktencheckern“ und „Hackerkollektiven“ nicht behelligt.


Dieses Messen mit zweierlei Maß ist eine große Heuchelei und entzieht den Beteiligten die Glaubwürdigkeit. Nicht zuletzt ist festzustellen, dass der große Erfolg von Portalen wie KenFM nicht die Ursache von gesellschaftlichen Spaltungen ist: Dieser Erfolg ist erst die Folge von Spaltungen, die von Politikern, Unternehmern und von Journalisten etablierter Medien herbeigeführt wurden.


Hat die Pressefreiheit als „Staatsreligion“ ausgedient?

Wie groß muss außerdem die eigene inhaltliche Unsicherheit sein, wenn die wenigen Kritiker, die noch übrig sind, in so scharfer Form und gleichzeitig von Geheimdiensten, Tech-Konzernen, Landesmedienanstalten, Politikern, großen Medien, „Faktencheckern“ und nun Hackern bekämpft werden? Ein offensiver “Werte“-Wandel ist festzustellen: Die Zensur und die (nicht inhaltlich geführten) Attacken auf die Meinungsvielfalt werden gar nicht mehr kaschiert, höchstens notdürftig hinter einem durchschaubaren „Kampf gegen Hasssprache“ versteckt.


 „Werte“ werden nun ganz offen über Bord geworfen, indem YouTube inhaltliche Zensur erlaubt wird, indem öffentliche Institutionen wie die Landesmedienanstalten gegen unbequeme Medien vorgehen, indem der Verfassungsschutz unter anderem die Medien „Junge Welt“ und „KenFM“ beobachtet, indem Hacker-Angriffe nicht skandalisiert werden. Das beschädigt ganz offiziell Werte, die (wie die Pressefreiheit) bis vor Kurzem geradezu als Staatsreligion hochgehalten wurden und die noch immer als Alleinstellungsmerkmal der „westlichen Demokratien“ genutzt werden, um sich über andere Länder zu erheben.


Und Menschen, die sich früher „links“ genannt haben (und das in einer grotesken Verdrehung der Kriterien noch immer tun), applaudieren: Da kann dann von der Polizei gar nicht genug Härte gegen friedliche „Querdenker“-Demos eingefordert werden. Oder „Hacktivisten“ beziehen sich auf den Verfassungsschutz als indirekte Handlungsempfehlung, anstatt die Drangsalierung Andersdenkender durch den Geheimdienst zu geißeln.


Mehr zum Thema:

Die rote Linie ist überschritten


Rubriken:

Erosion der Demokratie Kampagnen / Tarnworte / Neusprech Medienkritik

Schlagwörter:


Info: https://www.nachdenkseiten.de/?p=73445  


Kommentar:  Anonymus, Autonome, verborgene Gesichter mit und ohne Maske, KenFM der sich das Maskenbild des Jokers hat anschminken lassen um die Zuschauer perfekter zu unterhalten usw. hat alles nichts mit aufklärendem Journalismus zu tun und mit der Enthüllung  verschwie-gener Wahrheiten zu tun, denn es lenkt den Blick weg vom aktuellem Geschehen, hin zu sugges-tiven Absichten.   -    Dennoch ist der versuchte Angriff auf die Pressefreiheit auch in diesem Falle unerträglich.   Thomas Bauer

17.06.2021

In der Negativspirale          EU-Kommission sagt in neuem Strategiepapier den "Niedergang der Beziehungen zu Russland" voraus. Deutsche Soldaten singen in Litauen "Geburtstagsständchen für Hitler".

german-foreign-policy.com, 17. Juni 2021

BERLIN/BRÜSSEL/MOSKAU(Eigener Bericht) - In einem neuen Strategiepapier zur Russlandpolitik sagt die EU-Kommission "einen weiteren Niedergang" der EU-"Beziehungen zu Russland" voraus und droht mit neuen Sanktionen. Leiste sich die russische Regierung weiterhin "bösartige Handlungen", dann schließe man weitere Strafmaßnahmen nicht aus, heißt es in dem Dokument, das der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am gestrigen Mittwoch vorgelegt hat. Es soll von den Staats- und Regierungschefs der Union auf ihrem Gipfeltreffen Ende kommender Woche abgesegnet werden. Das Strategiepapier fordert Schritte, um Russland "zurückzuweisen" und "einzuschränken", verlangt von Moskau aber gleichzeitig eine Anpassung wirtschaftlicher Regeln an die Wünsche von Unternehmen aus der EU. Zudem wird eine weitere Einmischung in Russlands innere Angelegenheiten in Aussicht gestellt. Während Brüssel die neuen aggressiven Schritte ankündigt, wird bekannt, dass deutsche Militärs in Litauen nahe der Grenze zu Russland "Geburtstagsständchen für Hitler" gesungen haben - unmittelbar vor dem 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion.


"Zurückweisen, einschränken, zusammenarbeiten"

Das Strategiepapier zur Russlandpolitik, das der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am gestrigen Mittwoch vorgestellt hat, prognostiziert eine weitere Verschlechterung der schon jetzt miserablen Beziehungen zwischen Brüssel und Moskau. Wörtlich heißt es in dem Papier, die Beziehungen befänden sich in einer "Negativspirale"; diese wird ausschließlich "der russischen Regierung" angelastet, deren Vorgehen "eine strategische Herausforderung" darstelle.[1] Daher müsse sich die EU auf "einen weiteren Niedergang ihrer Beziehungen zu Russland" einstellen: Das sei "für die Gegenwart die realistischste Perspektive". Eine "erneuerte Partnerschaft" sei allenfalls "eine ferne Aussicht". In dem Strategiepapier, das die Staats- und Regierungschefs der Union auf ihrem Gipfeltreffen Ende kommender Woche offiziell annehmen sollen, werden für die Russlandpolitik diverse Vorschläge gemacht, die die für das Dokument verantwortlich zeichnende Kommission zu drei Gruppen bündelt. Deren letzte wird unter dem Schlagwort "zusammenarbeiten" ("engage") geführt; allerdings gehen ihr zwei weitere Vorschlagsgruppen voraus, deren erste mit dem Wort "zurückweisen" ("push back") überschrieben ist; die zweite steht unter dem Motto "einschränken" ("constrain").


"Bösartige Handlungen"

Konkret zieht die EU in Reaktion auf "bösartige Handlungen" der russischen Regierung weitere Sanktionen in Betracht. Dabei könnten bereits verhängte Strafmaßnahmen ausgeweitet, aber auch gänzlich neue beschlossen werden, heißt es in dem Strategiepapier.[2] Ausdrücklich wird auf die Möglichkeit Bezug genommen, Bürger Russlands mit Einreisesperren zu belegen und etwaiges Vermögen in der EU einzufrieren; das dazu erforderliche Gesetz, das sich am US-amerikanischen "Magnitsky Act" orientiert und mit dem sich die Union praktisch zum Weltenrich-ter aufschwingt, hatten die EU-Außenminister im Dezember vergangenen Jahres angenommen.[3] Darüber hinaus kündigt die EU an, größere "Resilienz" zu entwickeln; so will sie etwa entschlossener gegen "ausländische Informationsmanipulation und Einmischung" vorgehen. Explizit aufgelistet wird dabei die East Stratcom Task Force, eine mit Millionensummen finanzierte EU-Stelle, die vorgibt, gegen "russische Desinformation" vorzugehen, faktisch jedoch Positionen der EU-Kommission verbreitet und unter anderem Kritik an der Union als "Fake News" auszugrenzen sucht.[4] Dabei bemüht sich die East Stratcom Task Force explizit, auch jenseits der EU Einfluss zu nehmen. Als unzulässige Einmischung gilt dies, anders als entsprechende russische Schritte, nicht.


"Ökonomische Ärgernisse"

Dem Stichwort "zusammenarbeiten" schlägt die Kommission zweierlei Aktivitäten zu. Zum einen geht es ihr darum, trotz des eskalierenden Konflikts Wirtschaftsinteressen zu bedienen; so heißt es, Moskau solle "die immense Anzahl ökonomischer Ärgernisse" beseitigen, etwa Handelsschranken sowie von der EU nicht gewünschte Subventionen.[5] Die Kommission weist explizit darauf hin, dass Russland fünftgrößter Handelspartner der Union ist und im vergangenen Jahr für rund 4,8 Prozent ihres Außenhandels stand. Allein deutsche Unternehmen erzielten vergangenes Jahr trotz der Sanktionen und der Coronakrise im Russlandgeschäft Handelsumsätze in Höhe von fast 45 Milliarden Euro. Parallel zur Forderung an Moskau, seine Wirtschaftsnormen an die EU-Wünsche anzupassen, enthält das Strategiepapier die Ankündigung, die Nutzung erneuerbarer Energien noch entschlossener als bisher voranzutreiben, um auf Erdöl und Erdgas aus Russland verzichten zu können. Zugleich heißt es, man wolle die "Zivilgesellschaft" in Russland und "unabhängige russischsprachige Medien" stärken - genau diejenige Form der Einmischung, mit der Brüssel sein Vorgehen gegen Moskau legitimiert. In diesem Zusammenhang nennt das Strategiepapier explizit die russischen Parlamentswahlen am 19. September 2021.


Manöver an der russischen Grenze

Während die EU neue aggressive Schritte gegen Moskau ankündigt, werden gravierende Vorwürfe gegen unweit der Grenze zu Russland stationierte deutsche Militärs laut. Die Bundeswehrsoldaten sind dort im NATO-Rahmen tätig und führen die litauische Battlegroup innerhalb der Enhanced Forward Presence (eFP), eines NATO-Dispositivs, das Kampfgruppen auch in Estland, Lettland sowie Polen umfasst und Teil des westlichen Truppenaufmarschs in größtmöglicher Nähe zur russischen Grenze ist. Erst vor kurzem, vom 19. bis zum 30. Mai, hatte die im litauischen Rukla stationierte Battlegroup in einer umfangreichen Übung ihre Einsatzfähigkeit unter Beweis gestellt; in der Übung "Iron Wolf" praktizierte sie allerlei Operationen gegen feindliche Truppen, die unschwer als fiktive russische Einheiten zu identifizieren waren. Zum Beispiel ging es darum, ein Gebiet um den litauischen Flugplatz Gaižūnai "im schnellen Feuerkampf" einzunehmen und "den gewonnenen Raum zu halten".[6] Der deutsche Brigadegeneral Christian Freuding, Kommandeur der Panzerlehrbrigade 9, der das Manöver begleitete, urteilte anschließend, was er "an Leistungen gesehen" habe, sei "auf allen Ebenen sehr überzeugend" gewesen; die Truppe sei "combat-ready": Sie "steht für unsere Allianz".[7]


"Geburtstagsständchen für Hitler"

Das deutsche Kontingent in der litauischen Battlegroup sorgt nun für Schlagzeilen. So wurde bekannt, dass Soldaten eines Bundeswehrzugs mit einer Stärke von rund 30 Personen eine Soldatin mit sexualisiertem Mobbing attackiert und einen Soldaten sexuell missbraucht haben sollen - mit einer Handlung, für die in Bundeswehrkreisen offenbar sogar ein fester Begriff existiert.[8] Zudem sollen deutsche Militärs einen Kameraden mit afghanischen Vorfahren rassistisch beleidigt und "abfällige Sprüche über Juden" geäußert haben. Nicht zuletzt heißt es, Bundeswehrsoldaten hätten in einer Kaserne der litauischen Armee in Rukla "am 20. April", dem "Führergeburtstag", "ein Geburtstagsständchen für Adolf Hitler angestimmt".[9] Die Truppe ist auf einst sowjetischem Territorium stationiert, das vor beinahe genau 80 Jahren von der Wehrmacht überfallen wurde; den deutschen Einheiten gelang es damals, das heutige Litauen binnen weniger Tage zu okkupieren. Bereits während die Angriffe noch liefen, begannen sie mit der Vernichtung der mehr als 200.000 litauischen Juden - annähernd 95 Prozent von ihnen wurden ermordet - und brachten zehntausende polnische Widerstandskämpfer sowie sowjetische Kriegsgefangene um.[10]

 

[1], [2] Joint Communication to the European Parliament, the European Council and the Council on EU-Russia relations - Push back, constrain and engage. JOIN(2021) 20 final. Brussels, 16.06.2021.

[3] S. dazu Die Weltenrichter (II).

[4] S. dazu Die EU und die Desinformation.

[5] Joint Communication to the European Parliament, the European Council and the Council on EU-Russia relations - Push back, constrain and engage. JOIN(2021) 20 final. Brussels, 16.06.2021.

[6], [7] EFP: Combat ready nach erfolgreicher Übung. bundeswehr.de 04.06.2021.

[8], [9] Matthias Gebauer: Geburtstagsständchen für Hitler. spiegel.de 15.06.2021.

[10] S. dazu Tote Erinnerung.


Info: 
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8630    
16.06.2021

New York Times: US-Historiker übt harsche Kritik an der NATO

aus E-Mail von Doris Pumphrey, vom 15.6.2021 12:38


<https://www.tachles.ch/artikel/news/harsche-kritik-der-nato>


*Harsche Kritik an der NATO

*In einem Beitrag für die «New York Times» fordert Stephen Wertheim die Auflösung des Nord-atlantik-Paktes.

15. Jun 2021, Stephen Wertheim ist Historiker, spezialisiert auf US-Außenpolitik. Er ist Direktor für Grand Strategy am Quincy Institute for Responsible Statecraft.


Zitat: Die NATO sei ein «Militär-Bündnis, das Differenzen in Europa zementiert, den Mittleren Osten bombardiert, die USA belastet und das Risiko für einen Krieg unter Großmächten erhöht». Des-halb sollte Amerika den Nordatlantik-Pakt verlassen. Derart harsche Töne schlägt in einem Meinungsbeitrag für die «New York Times» Stephen Wertheim an. Der Historiker hat 2020 mit «Tomorrow, the World» eine grundlegende Studie über die Entwicklung der «Dominanz-Doktrin» als Grundlage der amerikanischen Global-Strategie seit 1940 vorgelegt und ist derzeit mit einem Plädoyer für eine neue US-Außenpolitik unter dem Motto «Von Dominanz zu Kooperation» in unserer Zeitschrift aufbau vertreten (Link <https://www.aufbau.eu/epaper/aufbau/04-juni-2021-88-jahrgang-ausgabe-03>).


In der «Times» kritisiert Wertheim die von Joe Biden zur «heiligen Pflicht» Amerikas erklärte Bin-dung an die gegenseitige Verteidigung von NATO-Mitgliedern in fundamentaler Weise. Denn mit dem Kollaps der Sowjetunion vor 30 Jahren sei dem Bündnis schlicht die Grundlage und Not-

wendigkeit abhanden gekommen. Mit einer Wirtschaft von der Größe Italiens sei Russland kei-neswegs in der Lage, Europa zu überrollen. Neue «Daseinszwecke» der NATO wie die Interven-tionen in Afghanistan und Libyen seien zu Desastern geraten. Und in Europa regten sich Wider-stände gegen amerikanische Forderungen wie eine harte Linie gegen China. Von daher sollten die Europäer ihre Verteidigung selbst in die Hand nehmen.


Aber eigentlich richtet Wertheim seinen lesenswerten Beitrag an die Demokraten und ihre Basis in den USA: Wer den Abzug amerikanischer Truppen aus anderen Weltteilen und eine Einstel-lung der endlosen Kriege in Übersee fordert, könne keine Ausnahme bei den in Europa statio-nierten Einheiten machen (Link <https://www.nytimes.com/2021/06/14/opinion/biden-nato-summit.html>). /Andreas Mink /



New York Times June 14, 2021

<https://www.nytimes.com/2021/06/14/opinion/biden-nato-summit.html>

Guest Essay

*Sorry, Liberals. But You Really Shouldn’t Love NATO.

*By Stephen Wertheim

Mr. Wertheim, a historian of U.S. foreign policy, is the director of grand strategy at the Quincy Institute for Responsible Statecraft.


Even before today’s NATO summit, President Biden settled the most important question: He affirmed

<https://www.whitehouse.gov/briefing-room/speeches-remarks/2021/06/09/remarks-by-president-biden-to-u-s-air-force-personnel-and-families-stationed-at-royal-air-force-mildenhall/>America’s  

commitment to defend the alliance’s 30 members by force. And despite divisions on many other foreign policy issues, his party stands in lock step behind him. To most Democrats, alliances symbolize international cooperation. Proof positive is that Donald Trump supposedly sought to

tear them down.


Yet current progressive enthusiasm for NATO is anomalous. After the Soviet Union collapsed in 1991, depriving NATO of its original reason for being, skeptics of the alliance included liberals as much as conservatives. In 1998, 10 Democratic Senators joined nine Republicans in opposing the first, fateful round of NATO enlargement, which would soon extend the alliance to Russia’s border.


Among the dissenters was Senator Paul Wellstone of Minnesota. In between voting against the first Iraq war in 1991 and the second after Sept. 11, Mr. Wellstone warned that expanding NATO would jeopardize Europe’s hard-won gains. “There is peace between states in Europe, between

nations in Europe, for the first time in centuries,” he said 

<https://www.everycrsreport.com/files/19980810_98-669_1e4420a1a3b5f2b6b2e34196e0adeabff05f0ae1.pdf>.

“We do not have a divided Europe, and I worry about a NATO expansion which could redivide Europe and again poison relations with Russia.”


Events have proved him wiser than his party seems to think. The left has ceded criticism of NATO to the right, mistaking <https://www.politico.com/news/magazine/2020/10/22/why-we-cant-be-friends-with-our-allies-431015>armed   alliances for friendly partnerships and fixating on Mr. Trump’s rhetoric instead of his actions. (In the end, he reaffirmed every U.S. alliance

commitment, embraced NATO’s expansion to Montenegro 

<https://nationalinterest.org/blog/skeptics/would-you-send-your-son-or-daughter-die-montenegro-27357>and North Macedonia 

<https://www.nytimes.com/2019/02/06/world/europe/north-macedonia-nato-russia.html>,

and beefed up <https://www.fpri.org/article/2018/12/the-increased-u-s-commitment-to-europe-under-the-trump-administration/>U.S. forces in Eastern Europe.) It’s time for Americans to recover their critical faculties when they hear “NATO,” a military alliance that cements European division, bombs the Middle East, burdens the United States and risks great-power war — of which Americans should want no part.


At first, the United States figured it could enlarge its defense obligations under NATO because doing so seemed cost-free. Throughout the 1990s, post-Soviet Russia lay prostrate. The United States, by contrast, could trim its military spending only to enjoy greater pre-eminence than

ever. If the Soviet collapse made NATO seem less necessary, it also made NATO seem less risky. Warnings like Mr. Wellstone’s, voiced <https://www.nybooks.com/articles/1995/09/21/should-nato-growa-dissent/>by  many <https://www.nytimes.com/1998/04/27/opinion/the-senate-should-halt-nato-expansion.html>analysts  <https://www.nytimes.com/1997/02/05/opinion/a-fateful-error.html>at  the time, sounded hypothetical and distant.


But they have gained credence as Russia objected, first with words, eventually with arms, to the expansion of an alliance whose guns had always pointed at Moscow. By 2008, NATO declared its intention to admit Georgia and Ukraine. Each had been a founding republic of the Soviet Union and had territorial disputes with Russia. For each, Russia was willing to fight. It swiftly occupied parts of Georgia. Once Ukraine’s pro-Russian president was overthrown in 2014, Russia seized Crimea, home to its Black Sea naval base, and backed separatists in the Donbas region.


The conflict in Ukraine continues, with no resolution near. Rather than use diplomacy to back an internationally negotiated settlement

<https://www.chathamhouse.org/2020/05/minsk-conundrum-western-policy-and-russias-war-eastern-ukraine-0/minsk-2-agreement>,

the United States has preferred to arm Ukraine with lethal weapons

<https://www.politico.com/news/2021/04/12/ukraine-us-missile-weapons-russia-480985>.

After decades of overreach, the Biden administration now faces a stark

choice: commit to fight for Ukraine, creating a serious risk of war with

Russia, or admit that NATO expansion has come to an overdue end

<https://quincyinst.org/report/the-dominance-dilemma-the-american-approach-to-nato-and-its-future/>.


Lacking an adversary of Soviet proportions, NATO has also found new foes

“out of area” — its euphemism for waging wars in the greater Middle

East. The bombing of Libya in 2011 was a NATO operation, signaling to

war-weary Americans that this time the United States had real partners

and multilateral legitimacy

<https://www.newyorker.com/news/news-desk/leading-from-behind>. The war

proved

<https://publications.parliament.uk/pa/cm201617/cmselect/cmfaff/119/11903.htm>disastrous  

<https://www.foreignaffairs.com/articles/libya/2019-02-18/obamas-libya-debacle>anyway.


NATO helped fight the forever war in Afghanistan, too. Seeking to

support U.S. aims after Sept. 11, it undertook “our biggest military

operation ever,” Secretary General Jens Stoltenberg boasted

<https://www.nato.int/cps/en/natohq/opinions_182132.htm>in  March. Two

decades later, European soldiers are leaving

<https://www.nytimes.com/2021/05/25/us/politics/us-afghanistan-withdrawal.html>,

having failed to remake Afghanistan but perversely succeeded in making

NATO seem relevant. Absent the Soviet threat, as Secretary General

Stoltenberg admitted, the alliance has had to go “out of area or out of

business.”


At least the Middle East contains the real, if receding, threat of

terrorism, against which minimal military action can be warranted. But

Europe is stable and affluent, far removed from its warring past.

America’s European allies provide their people with world-leading living

standards. They can also

<https://foreignpolicy.com/2021/05/21/exactly-how-helpless-is-europe/>perform  

<https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/00396338.2020.1851080>the  

most basic task of government: self-defense. In any case, Russia, with

an economy the size of Italy’s, lacks the capability to overrun Europe,

supposing it had any reason to try. If American leaders cannot

countenance pulling U.S. forces back from Europe, then from where would

they be willing to pull back, ever?


The danger of permanent subordination to America has started to register

in European capitals, long solicitous of American commitment. President

Emmanuel Macron of France has accused NATO of experiencing “brain death

<https://www.economist.com/europe/2019/11/07/emmanuel-macron-warns-europe-nato-is-becoming-brain-dead>”  

and proposed creating an independent European army

<https://www.bbc.com/news/world-europe-46108633>, an idea rhetorically

welcomed by Chancellor Angela Merkel of Germany. The watchword in

Brussels these days is “strategic autonomy

<https://www.politico.eu/article/europe-trade-wants-strategic-autonomy-decide-what-means/>,”  

meaning autonomy from the United States. Europeans scarcely seek to

disinvite American forces from their continent. Still, they are finding

that cheap security from Washington carries mounting costs: dependence

on an erratic superpower, pressure to restrict business

<https://www.nytimes.com/2021/02/18/us/politics/biden-europe-russia-china.html>with  

China and Russia, and division in Europe itself.


The real question is what Americans want. They could continue to

fetishize military alliances as a “sacred obligation

<https://www.whitehouse.gov/briefing-room/speeches-remarks/2021/06/09/remarks-by-president-biden-to-u-s-air-force-personnel-and-families-stationed-at-royal-air-force-mildenhall/>,”  

as President Biden characterized NATO on Wednesday. Or they could treat

them as means to ends

<https://www.nytimes.com/2019/03/10/opinion/trump-aside-whats-the-us-role-in-nato.html>—  

and coercive means that often corrupt worthy ends.


For progressives who seek to end endless wars and prevent new ones, the

matter of Europe can no longer be skirted. The United States can trust

Europeans to defend Europe. Otherwise, it would seem that America truly

intends to dominate the world in perpetuity, or until the day a war so

great puts dreams of dominance to rest.    
16.06.2021

Grüne Kriegspartei: Cem Özdemir / Madeleine Albright

aus E-Mail von Doris Pumphrey, vom 15.6.2021 11:53

<https://www.n-tv.de/politik/Putin-setzt-auf-Eskalation-article22617677.html>

14.6.2021

*"Putin setzt auf Eskalation"

*Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir plädiert für einen klaren Tonfall bei Gesprä-chen mit dem russischen Präsidenten. Zugleich kritisiert er, dass "viele ein sehr naives Bild" von Wladimir Putin hätten.


Der Grünen-Politiker Cem Özdemir ist optimistisch, dass die Zusammenarbeit der NATO-Staaten nun besser wird, als sie es in der Amtszeit von US-Präsident Donald Trump war. "Die NATO ist zurück und sie lebt", sagte der Bundestagsabgeordnete im "Frühstart" von ntv.


Özdemir machte zugleich deutlich, dass mit Trumps Nachfolger Joe Biden nicht alles sofort bes-ser werde. Vor allem mit Blick auf die Politik des russischen Präsidenten Wladimir Putin stehe die NATO vor großen Herausforderungen: "Die Nachbarn in Osteuropa sind sehr besorgt über das, was Putin macht", so Özdemir. "Jetzt geht es darum, dass die NATO deutlich macht, dass sie eine Wertegemeinschaft ist und für Demokratie steht. Da gibt es einiges zu tun."


Die Verantwortung für die schlechten Beziehungen zwischen der NATO und Russland sieht Öz-demir beim Kreml. "Putin setzt auf Eskalation und auf Grenzverschiebung. Wir müssen Putin klarmachen: Im 21. Jahrhundert löst man seine Probleme, indem man darüber redet, und nicht, indem man seine Nachbarländer terrorisiert und überfällt - oder gar Terrorismus exportiert, in-dem man hier Leute liquidiert. All das ist nicht akzeptabel."


Angesprochen auf das für Mittwoch geplante Treffen zwischen Putin und Biden sagte Özdemir, er verbinde damit keine große Hoffnung. Es sei aber dennoch gut, dass das Gespräch stattfinde. Zugleich plädierte er für einen klaren Tonfall Putin gegenüber: "Es ist wichtig, dass wir deutlich

machen, dass wir es ernst meinen mit den Werten und mit den Grenzen - zum Beispiel durch den Einsatz von Sanktionen."


Özdemir kritisierte, dass gerade in Deutschland "viele ein sehr naives Bild" von Putin hätten. "Die glauben, wenn man nett ist zu autoritären Herrschern, dann sind die nett zu uns. Das ist aber eine völlig weltfremde Haltung" und lade nur dazu ein, dass Herrscher wie Putin, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan oder der Ungar Viktor Orbán immer wieder einen Schritt weiter gingen.



aus E-Mail von Doris Pumphrey, vom 15.6.2021 11:53

<https://de.rt.com/meinung/119039-gute-alte-zeiten-nato-erweiterung-madeleine-albright-gibt-impulse-gruenen-parteitag/>

14.6.2021, von Wladislaw Sankin

*Gute alte Zeiten der "NATO-Erweiterung"–

Madeleine Albright gibt "Impulse" bei Grünen-Parteitag

*Ex-Außenministerin Madeleine Albright wirkt bis heute als Stichwortgeberin für transatlantisch ausgerichtete Politik. Auf dem Parteitag der Grünen wurde sie als Gastrednerin eingeladen. In ihrem Beitrag sehnte sie sich nach den Zeiten, als die USA auf dem Zenit ihrer Macht waren.


Aufs Neue haben die Grünen auf ihrem Online-Parteitag gezeigt: Ihre transatlantischen Netzwer-ke sind für sie das A und O. Stolz haben sie am dritten Tag der Veranstaltung 

<https://www.youtube.com/watch?v=JO5lQosAAs4>  die prominente Gastrednerin aus den USA für einen "Impuls-Beitrag" präsentiert – die Geschäftspartnerin und US-Kollegin des bislang ein-zigen grünen Außenministers Joschka Fischer, Madeleine Albright. So wie er beschäftigt sie sich mit ihrer Consultingfirma auch 20 Jahre nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt mit politischem Lobbyismus im Sinne einer transatlantischen, US-dominierten Politik.


Die nunmehr 84-Jährige war in der zweiten Amtszeit des demokratischen Präsidenten Bill Clinton zwischen 1997 und 2001 als erste Frau in den USA an der Spitze des Außenamtes tätig – auch diese Tatsache hoben die grünen Gastgeber in ihrem Einleitungssatz hervor. Damit vertrat sie die USA auf dem Höhepunkt ihrer Weltmacht. Auch wenn sie später ihre berühmt-berüchtigte Aussage, der Tod einer halben Million irakischer Kinder rechtfertige das US-Embargo gegen das Land, als "Fehler" bezeichnete, ändert dies nichts daran, dass ausgerechnet sie die Ruchlosigkeit der westlichen Sanktionspolitik und Völkerrechtsbrüche verkörpert.


Das gilt zumindest für viele derjenigen, die außerhalb der Reichweite der elitären Propaganda der Grünen leben, die Interventionen und die Regime-Change-Politik als "humanitäre" Einsätze verklärt. Für die Grünen ist sie dagegen die Grand Dame der Politik, eine hohe moralische Ins- tanz, die alle fünf Jahre einen Bestseller mit politischen "Weisheiten" 

<https://www.heise.de/tp/features/Der-Faschismus-der-anderen-4170657.html?seite=all> zu

Papier bringen weiß.


Deshalb – wenig überraschend – hat sie in ihrem Beitrag als Erstes an ihre gemeinsame Zeit mit Joschka Fisher gedacht. Natürlich waren es nur lobende Worte, denn er hat sich in der Zeit ihrer Zusammenarbeit vor allem als großer Befürworter des NATO-Militäreinsatzes gegen Jugoslawien

für US-Interessen nützlich gezeigt:

/"Wir haben mit Joschka Fischer zusammengearbeitet, um die NATO auszuweiten, die ethnischen Säuberungen auf dem Balkan zu beenden und die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staa-ten und der EU zu stärken."/


Kein einziger Staat der Erde konnte sich damals der Politik der USA und ihrer Partner ernsthaft widersetzen. Dieses System nennt Albright "kooperativ". Ihr zufolge sei sie es gewesen, die das "internationale kooperative System" als Erbe hinterlassen habe.


Seitdem habe sich alles grundlegend geändert, und die internationalen Spannungen hätten sich "vervielfacht": Sicherheit und Wohlstand seien bedroht, das Risiko eines Zusammenpralls der Großmächte habe sich erhöht. Und das Schlimmste: Die Zeit der historischen Rivalität zwischen

Demokratie und Autoritarismus sei zum ersten Mal seit 30 Jahren nach dem Mauerfall zurückge-kommen. In düsteren Tönen beschreibt Albright die Welt, die "Despoten" ausgeliefert sei, die Be-völkerung müsse zwischen Chaos und Unterdrückung wählen.


Was aber tun, um "den Niedergang der Demokratien" umzukehren? Albright weiß Bescheid. Als Erstes müsste die Führerschaft der USA und Europas einschließlich Deutschlands wiederherge-stellt werden. Ja, die Ex-Außenministerin sagte genau das: "The USA and Europe must lead." In

Abwesenheit eines Wahlsystems, das diese "Führerschaft" irgendwie legitimieren könnte, bedür-fte es immerhin einer Begründung. Und die Expertin liefert sie.       /"Keine andere Gruppe von Nationen hat sowohl die historische Identifikation mit der Freiheit als auch die geographische Reichweite, um demokratische Institutionen in jeder Region zu inspirieren und zu stärken."/


Offenbar bedürfte nun der (un-)gute alte westliche Interventionismus eines neuen Euphemis-mus – "geografische Reichweite". Warum? Nun ja, um in "jeder Region" etwas "inspirieren" und "stärken" zu dürfen, denn wenn man so groß sei, ist die ganze restliche Welt nur eine "Nachbar-schaft", für die man als Nachbar natürlich Mitspracherecht hat. Reicht die reine Ausstrahlung der demokratischen Werte nicht mehr, möchte man fragen? Doch, doch, die Werte, die Ideologie müssten jetzt sogar im Vordergrund stehen – aber dazu später mehr.


Das Sprachbild einer Räumlichkeit ist nicht zufällig gewählt. "Wenn die Vereinigten Staaten und Europa nicht vorausgehen, werden die anderen unseren Platz einnehmen: Entweder Despoten, die mit eiserner Faust regieren, oder Extremisten, die überhaupt keine Regeln anerkennen." Hat

Albright sich hier nicht versprochen und zufällig ukrainische Nationalisten erwähnt, die infolge eines US-geführten bewaffneten Putsches in Kiew <https://www.youtube.com/watch?v=oi2TcQMXxTE>  seit sieben Jahren ihre politischen Gegner mit Terror und Einschüchterung

überziehen? Nein, das sind doch "unsere Schurken", die bleiben unerwähnt.


Erwähnt werden dagegen die Chinesen – wohl als Beispiel für eine "Despotie". Aufgrund seiner Größe könne China "nicht ignoriert" werden. Dessen Methoden seien "zynisch" und die interne Politik "verwerflich". Außerdem sei die Unehrlichkeit seiner frühen Reaktion auf das Coronavirus "unentschuldbar". /"Es ist daher unerlässlich, dass eine neu belebte transatlantische Allianz, die an diese Ära angepasst ist, voranschreitet."/


Die Ex-Außenministerin erinnert an dieser Stelle an die Hochzeiten der europäisch-amerikani-schen Partnerschaft, noch vor den "Turbulenzen", als es darum ging, gemeinsam "äußeren Be-drohungen entgegenzuwirken und demokratische Institutionen und Werte zu stärken". Nun, mit der neuen US-Administration des Präsidenten Joe Biden geht es darum, die gleichen Prinzipien nur noch stärker als bisher zu pflegen.


/"Demokratische Nationen müssen den Aufbau und die Aufrechterhaltung der Demokratie zu ihrem wichtigsten Grundsatz machen und nicht zu einem nachträglichen Gedanken ihrer Außen- und Sicherheitspolitik."/ Ja, das ist das Zitat, das das Primat der Ideologie begründet, das Prinzip,

das die Grünen an ihrem dritten Parteitag auch umgesetzt haben, als Kanzlerkandidatin Anna-lena Baerbock betonte, dass Menschenrechte inder Außenpolitik grundsätzlich mehr Gewicht haben sollen als wirtschaftliche Interessen. Und wieder eine Prise Nostalgie. "Als ich Außenmi-nisterin war, habe ich die sogenannte Gemeinschaft der Demokratien organisiert. (...) Es geht

jetzt darum, dieses Gefühl der Solidarität wiederzubeleben."


Albright weiß, dass die Welt sich in den letzten zwei Jahrzehnten geändert hat, und zwar auf grundlegende Weise. Aber sie will es nicht wahrhaben, und deshalb dämonisiert sie die geopoli-tischen Rivalen der Transatlantiker, anstatt die Existenz einer neuen und – zugegeben – nicht mehr nach Westen orientierten Weltordnung anzuerkennen.


Sie bietet alte Rezepte, die im Kern darin bestehen, einfach die westliche Hegemonie und die US-Führerschaft wiederherzustellen und unter dem Vorwand der "Demokratie"-Stärkung zu zemen- tieren – mit all deren "Blüten" wie Diktat, Sanktionen und Interventionismus einer Regime-Chan-ge-Politik. Es ist fast schmerzhaft zu beobachten, mit welcher Ehrfurcht die sich als "jung" und "progressiv" anschickende Partei einer rückwärtsgewandten Altpolitikerin auf ihrer wichtigsten

Vorwahlveranstaltung lauscht. Das mag schmerzen, überraschen tut es aber nicht. Ihrem geo- politischen Grundverständnis nach verstehen sich die deutschen Grünen als eine Art deutsche Filiale der Demokratischen Partei der USA, was hier besonders deutlich wurde.


Info: 
https://www.n-tv.de/politik/Putin-setzt-auf-Eskalation-article22617677.html    
15.06.2021

Libanon - Der alltägliche Mangel / Syrien - Von Wasser u. Olivenbäumen

aus E.Mail von Doris Pumphrey, vom 14.6.2021 21:11

<https://www.jungewelt.de/artikel/404234.krise-im-libanon-der-allt%C3%A4gliche-mangel.html>

*Der alltägliche Mangel

*Im Libanon verschlechtert sich wirtschaftliche Lage zusehends. Strom und Lebensmittel sind kaum erschwinglich


jungewelt.de, 12.6.2021/Von Karin Leukefeld, Beirut

Zitat: /Hinter dem Empfangstresen des Hotels in Beirut in dem Aschraf arbeitet, sieht der junge Mann bei diesem Besuch noch schmaler und blasser aus als sonst. »Mein Monatslohn ist auf 80 US-Dollar geschrumpft«, umgerechnet sind das ungefähr eine Million Libanesische Pfund (LBP). »Das Geld zerfließt einem in den Händen, wenn man einkaufen geht«, erzählt er im Gespräch mit /jW/. »Ein Liter Milch kostet 15.000 Pfund, Milchpulver ist kaum zu bekommen. Fleisch kön-nen wir vergessen, ein Kilo kostet 100.000 Pfund.« Nach seinem persönlichen Befinden gefragt, antwortet Aschraf: »Miete, zusätzlichen Strom, Trinkwasser, der Kindergarten für unseren Sohn – ohne Familienhilfe aus dem Ausland wären wir nicht mehr. Krank werden dürfen wir nicht, weil wir die Arztkosten nicht bezahlen könnten«, fährt er fort. »Von dem politischen Chaos brauchen wir gar nicht sprechen.«


Rund 80 Prozent hat das Libanesische Pfund seit Beginn der Wirtschafts- und Finanzkrise im Herbst 2019 an Wert verloren. Der Preis eines US-Dollars schwankt aktuell auf dem Schwarz-markt zwischen 13.500 und 15.000 LBP. Der offizielle Umtauschkurs liegt bei einem Zehntel, bei

1.500 LBP. Die Banken haben den Kurs unter dem Druck des Schwarzmarkts mittlerweile auf knapp 4.000 LBP erhöht. Angesichts der fortlaufenden Hyperinflation ist das Abheben vom eigenen Konto limitiert.


Nach Angaben der Weltbank (Ende 2020) haben rund 40 Prozent der offiziell rund sechs Milli-onen Einwohner (einschließlich der Flüchtlinge) infolge von Wirtschafts- und Finanzkrise sowie des fast acht Monate währenden Coronalockdowns ihre Arbeit verloren. Besonders schwer be-troffen von Arbeitslosigkeit sind die rund 1,5 Millionen syrischen Flüchtlinge, die allerdings wei-terhin finanzielle Unterstützung und Sachleistungen durch UN- oder internationale Hilfsorgani-

sationen erhalten. Unter den offiziell 180.000 palästinensischen Flüchtlingen im Libanon haben UN-Untersuchungen zufolge 80 Prozent ihre Arbeit verloren. Alle anderen, die noch Arbeit 

haben oder Pensionen beziehen, müssen durch die hohe Inflation deutliche Einbrüche in ihren Bezügen hinnehmen.


Die Auslandsreserven der Libanesischen Zentralbank haben sich innerhalb eines Jahres halbiert. Lagen sie im Februar 2020 noch bei rund 30 Milliarden, wurden sie im März 2021 mit offiziell 17,5 Milliarden US-Dollar angegeben. Nach einem Bericht der Amerikanischen Universität von Beirut (Dezember 2020) haben libanesische Regierungen seit 1992 rund 40 Milliarden US-Dollar für die Stromversorgung des Landes ausgegeben, und doch werden nur etwa 60 Prozent des all-ägemeinen Strombedarfs gedeckt. Das Geld wurde nicht eingesetzt, um Elektrizitätswerke und das Stromnetz des Landes zu modernisieren und auszubauen, sondern verschwand in teuren Verträgen mit verschiedenen Anbietern.


Das türkische Stromversorgungsschiff Orhan Bey von der türkischen Firma Karadeniz Power-ship, das nördlich von Saida ankert und Strom ins nationale Netz einspeiste, stellte Mitte Mai den Betrieb ein, weil Rechnungen in Millionenhöhe seit 18 Monaten nicht bezahlt worden waren.

Die Bevölkerung versucht, den täglichen Mangel auszugleichen, indem sie Strom von lokalen, privaten Anbietern mit Großgeneratoren dazukauft.


Der Libanon, der weder über eine starke Landwirtschaft noch über Industrie verfügt, benötigt Devisen, um auf dem Weltmarkt Weizen und Medikamente einzukaufen, die (noch) subventio-niert werden. Zwar verfügt das Land über große Gasvorkommen im Mittelmeer, nicht aber über Geld, um das Gas zu fördern und zu vermarkten. Streit gibt es zudem zwischen dem Libanon und Israel über die Abgrenzung der Vorkommen entlang der südlichen Seegrenze.


Die Schäden und wirtschaftlichen Verluste, die dem Land durch die Explosion im Hafen von Beirut Anfang August 2020 entstanden sind, werden von der Weltbank auf eine Summe zwi-schen 6,7 und 8,1 Milliarden US-Dollar geschätzt. Die persönlichen Verluste der Bevölkerung durch Tod oder schwere Verletzungen von Angehörigen mit Langzeitfolgen sowie Traumatisie-rung sind finanziell nicht zu beziffern.


Die Zahl der Wirtschaftsflüchtlinge wird für das Jahr 2020 auf 50.000 geschätzt, eine genaue Un-tersuchung liegt allerdings nicht vor. Berufsverbände schätzen, dass bis zu 20 Prozent der Ärzte das Land verlassen haben oder verlassen wollen. Etwa 400 Apotheken haben 2020 schließen müssen, 70 Prozent der Absolventen eines Pharmaziestudiums verlassen den Libanon, um Arbeit in den arabischen Golfstaaten, Lateinamerika, Europa oder Australien zu finden.




aus E.Mail von Doris Pumphrey, vom 14.6.2021 21:11

<https://www.jungewelt.de/artikel/404505.krieg-in-syrien-von-wasser-und-olivenb%C3%A4umen.html>

*Von Wasser und Olivenbäumen

*Die Plakate der Kandidaten sind verschwunden: Besuch in der Hauptstadt

Syriens nach den Präsidentschaftswahlen


jungewelt.de, 12.6.2021/Von Karin Leukefeld, Damaskus

Zitat: /Damaskus, Mitte Juni. Nach und nach werden die Plakate der

Präsidentschaftskandidaten aus dem Stadtbild entfernt. Das ehrwürdige Tuma-Tor in der Alt-stadt ist wieder zu sehen, seit bis auf eines die zahlreichen Plakate des alten und neuen Präsi-denten Baschar Al-Assad über Nacht abgehängt wurden.


Es ist heiß geworden. Immer mehr Damaszener schalten ihre Klimaanlagen an, was sich unmit-telbar auf die Stromversorgung der Zwei-Millionen-Stadt auswirkt. In den Kriegsjahren hat sich die Bevölkerung der syrischen Hauptstadt durch die Zuwanderung von Inlandsvertriebenen min-destens verdoppelt, und der Strom wird rationiert. Nur dort, wo Regierungsmitglieder sowie Mit-arbeiter von internationalen Organisationen und Botschaften leben, sind kaum Ausfälle zu ver- zeichnen. Krankenhäuser und große Hotels verfügen über eigene Generatoren, und auch Ver-waltung, Armee, Medien und Ministerien werden zumeist mit ausreichend Elektrizität versorgt.


In den Wohnvierteln gibt es in guten Zeiten im Wechsel vier Stunden mit und zwei Stunden ohne Strom. Das reicht, um die Waschmaschine, Kühlschränke und -truhen einzuschalten, elektrische Geräte und Batterien aufzuladen. Ähnlich wie in Damaskus haben die Menschen auch in ande-ren Städten des Landes gelernt, ihren Alltag dem anzupassen.


Schwieriger ist das Leben in den stark zerstörten Ortschaften im Umland der Metropole, in den zerstörten Vierteln von Homs und Aleppo oder in Dörfern und Städten im wenig besiedelten Ostsyrien. Trotz der eigenen Probleme beliefert Syrien aber noch immer, wie schon vor dem Krieg, Libanon mit Strom. Und Jordanien erhält, wie vor dem Krieg, noch immer Wasser aus dem südsyrischen Jarmuk-Tal.


Abu Raschid wohnt mit seiner Familie hoch oben auf dem Dschebel Kassiun, dem Hausberg von Damaskus. Dort weht meist ein kühler Wind, und besonders die Nächte bringen in den heißen Sommermonaten Erfrischung. Es sind arme Menschen, die sich im Laufe von Generationen hier angesiedelt haben. Viele sind wie Abu Raschid Kurden aus dem Norden des Landes. Sein Dorf gehört zu Afrin nordwestlich von Aleppo.


Abu Raschid ernährt seine Familie, indem er putzen geht, erzählt er im Gespräch mit /jW/. Eine feste Anstellung hat er seit Jahrzehnten in einem kleinen Hotel in der Innenstadt. Ansonsten arbeitet er dort, wo immer man ihm Aufträge gibt. Einmal die Woche putzt er fünf Stunden in inem Haus in der Altstadt von Damaskus. Die Hausbesitzerin ist froh, dass sie in Abu Raschid eine zuverlässige Hilfe hat. Nur wenn es um Wasser geht, gerät sie regelmäßig in Rage. Als er wieder einmal das Wasser aus dem Schlauch über den Fliesenboden des Innenhofes laufen

lässt, dreht sie es kurzerhand ab und greift selbst zum Schrubber. »So kann man mit wenig Wasser den Hof sauber machen«, erklärt sie ihm nicht zum ersten Mal. »Wir müssen Wasser sparen. Im letzten Winter hat es wenig geregnet und kaum geschneit. Was werden wir tun, wenn eines Tages aus dem Hahn kein Wasser mehr kommt?«


Über die Auswirkungen des Klimawandels macht sich Abu Raschid nicht viele Gedanken. Aber er erinnert sich gut an die Wochen zum Jahreswechsel 2016/17, als die bewaffneten Gruppen im Barada-Tal die Fidscha-Quelle besetzten, die Damaskus mit Wasser versorgt. Damals gab es in der ganzen Stadt, auch auf dem Kassiun, kein Wasser, Tankwagen kamen nur alle paar Tage, um die Menschen in den Stadtvierteln zu versorgen.


»Ich gehe zurück in mein Dorf«, sagt Abu Raschid und rechnet vor: »Wir haben Olivenbäume und können im Herbst mindestens fünf Teneke Olivenöl haben.« Ein »Teneke« (Kanister) fasst 18 Liter und kostet heute rund 200.000 syrische Pfund, umgerechnet etwa 75 Euro. »Eine Million syrische Pfund, das ist mehr, als ich in Damaskus in einem Jahr verdiene.« Sein Monatslohn im Hotel beträgt umgerechnet etwa 25 Euro. »Wir haben Tiere, Gemüse, Wasser und Olivenbäu-me.« Er sei ein alter Mann, es sei Zeit, sich zur Ruhe zu setzen. Da gebe es nur ein Problem, fügt er nach kurzem Zögern hinzu. Sein Dorf in Afrin ist seit 2018 von Dschihadisten besetzt, die von der Türkei beschützt werden. »Wir sind Kurden, sie wollen uns unsere Häuser und Olivenbäume nicht zurückgeben.«

15.06.2021

Zur Abstimmung über die Bewaffnung von Drohnen beim Grünen Parteitag

From: Elsa Rassbach <ElsaRassbach@gmail.com>

Subject: Zur Abstimmung über die Bewaffnung von Drohnen beim Grünen Parteitag

Date: 14. June 2021 at 20:52:17 CEST

To: karl-Heinz Peil via Drohnen-automatisierter-krieg <drohnen-automatisierter-krieg@listi.jpberlin.de>


Liebe Mitstreiter*innen,


wie Ihr wahrscheinlich mitbekommen habt, hat der Grüne Parteitag gestern mit einer knappen Mehrheit von 347 Stimmen dafür gestimmt "Bedingungen für den Einsatz der Drohnen zu prüfen”.  Ein Gegenantrag, der den Einsatz ausschließen wollte, hatte 343 Stimmen erhalten.


Wir müssen diese Herausforderung annehmen und bis in die Koalitionsverhandlungen hinein unsere Aufmerksamkeit viel mehr auf die Grünen richten, um die klare Gegnerschaft gegen bewaffnete Drohnen in den Grünen mit Argumenten, Aufklärungsarbeit und Lobbyarbeit zu untermauern.  


Dieser interessante Beitrag in der taz beschreibt beachtenswerte Details zu den Debatten über die Bewaffnung von Drohnen innerhalb der Reihen der Grünen in den Tagen vor dem Parteitag.  


Die Verteidigungspolitiker*innen der Grünen waren nicht an dem neuen Vorstoß zur möglichen Bewaffnung von Drohnen beteiligt und sprachen eher dagegen. Die überraschende Anträge für die Bewaffnung von Drohnen “zum Schutz der Soldat*innen" wurden ziemlich kurzfristig vor dem Grünen Parteitag von Basismitgliedern gestellt.


https://taz.de/Wahlprogramm-der-Gruenen/!5773410/

(Auszug)

"Einen der Anträge unterstützt auch eine Reihe von Basismitgliedern, die beruflich im Militär tätig sind. Sol­da­t*in­nen mit grünem Parteibuch sind vielleicht selten, aber nicht mehr ganz so selten wie noch vor einigen Jahren. Mit ihnen kommen neue Perspektiven in die Partei."


Siehe auch:

https://www.fr.de/politik/gruene-parteitag-wahlprogramm-spitzensteuersatz-berlin-news-zr-90800722.html

Grünen-Bundesparteitag: Partei schließt Einsatz bewaffneter Drohnen nicht kategorisch aus


(Auszug)

"Die Aussicht auf eine Regierungsbeteiligung und vielleicht sogar das Kanzleramt schweißt die Grünen zusammen. Heftig gestritten wird auf dem Parteitag nicht.


Update von 16.50 Uhr: Die Grünen schließen den künftigen Einsatz bewaffneter Drohnen nicht kategorisch aus. Mit einer hauchdünnen Mehrheit sprachen sich die Abgeordneten beim Online-Parteitag am Sonntag dafür aus, Bedingungen für den Einsatz der Drohnen zu prüfen: 347 von 728 Delegierten waren dafür. Ein Gegenantrag, der den Einsatz ausschließen wollte, erhielt 343 Stimmen. Ein dritter Antrag, der sich noch deutlicher für die Beschaffung aussprach, war bereits zuvor gescheitert.


Den Einsatz bewaffneter Drohnen für extralegale - also nicht juristisch abgesegnete - Tötungen lehnen die Grünen ab. „Gleichzeitig erkennen wir an, dass diese Systeme Soldat*innen in gewissen Situationen besser schützen können“, heißt es im nun verabschiedeten Text. Deshalb müsse klargemacht werden, für welche Einsatzszenarien der Bundeswehr bewaffnete Drohnen überhaupt eingesetzt werden können. Auch technische Aspekte wie die Möglichkeit von Hacker-Zugriffen sollten bei der Abwägung eine Rolle spielen.”


Viele Grüße

Elsa

15.06.2021

Im Streit vereint                   EU-USA-Gipfel soll heute die transatlantische Technologiekooperation gegen China stärken. Streit um Strafzölle und Chinageschäft hält dennoch an.

german-foreign-policy.com, 15. Juni 2021

BRÜSSEL/WASHINGTON(Eigener Bericht) - Überschattet von anhaltenden Konflikten um Strafzölle bemühen sich die EU und die Vereinigten Staaten auf ihrem heutigen Gipfeltreffen um die Schaffung neuer transatlantischer Strukturen für den gemeinsamen Machtkampf gegen China. So steht die Einrichtung eines "EU-US Trade and Technology Council" (TTC), die die EU im Dezember 2020 vorgeschlagen hat, auf der Tagesordnung. Der TTC soll Brüssel und Washington unter anderem in die Lage versetzen, gemeinsam Standards für Zukunftstechnologien festzulegen und sie weltweit durchzusetzen - damit "nicht China ... die Regeln für Handel und Technologie" schreibe, erläutert der Nationale Sicherheitsberater des US-Präsidenten, Jake Sullivan. Damit ergänzt der TTC Bemühungen Berlins und der EU, auf dem High-Tech-Sektor gegenüber China nicht zurückzufallen. Gleichzeitig dauern allerdings transatlantische Differenzen bezüglich der Wirtschaftsbeziehungen zur Volksrepublik ebenso an wie der Konflikt um die Stahlstrafzölle, die US-Präsident Donald Trump verhängt hat und die sein Nachfolger Joe Biden aufrechterhält.

Zitat: 
Von Trump zu Biden

Beim Versuch, die Strafzollschlachten mit den Vereinigten Staaten zu beenden, hat die EU vor dem heutigen Gipfeltreffen mit US-Präsident Joe Biden eine allenfalls gemischte Bilanz erzielt. Zwar ist es Anfang März gelungen, die jeweiligen Strafzölle im Streit um Subventionen für Airbus bzw. Boeing für vier Monate auszusetzen; beide Seiten verhandeln nun über eine Lösung und haben sich dafür Zeit bis zum 11. Juli gegeben. Eine gütliche Einigung gilt als möglich. Zumindest unklar sind die Perspektiven jedoch bei den Strafzöllen auf Stahl und Aluminium, die US-Präsident Donald Trump im März 2018 verhängt hat. Im März dieses Jahres kam das Washingtoner Economic Policy Institute zu dem Schluss, die Strafzölle lohnten sich: Die US-Stahlimporte seien von 2018 bis 2019 um 27 Prozent gesunken; US-Stahlunternehmen hingegen hätten etwa 3.200 neue Arbeitsplätze geschaffen und Investitionen in Höhe von 15,7 Milliarden US-Dollar in Aussicht gestellt.[1] Zwar werden aus anderen US-Branchen auch Beschwerden über die Strafzölle laut - aktuell zum Beispiel, weil die US-Stahlproduktion nach dem pandemiebedingten Stillstand nur recht schleppend anläuft und Stahlmangel die Preise massiv in die Höhe treibt.[2] Zugleich heißt es jedoch, Biden sei aus wahlpolitischen Erwägungen auf das Wohlwollen der Stahlbranche angewiesen.


"Enttäuschend, verschlossen"

Entsprechend bleibt Washington im Streit um die Stahlstrafzölle bisher hart. "Die Rückmeldungen zu den Handelsstreitigkeiten" seien "enttäuschend gewesen", teilte der deutsche EU-Botschafter Michael Clauß unter Berufung auf EU-Unterhändler vor kurzem in einem "Drahtbericht" mit. Das interne Dokument wurde vergangene Woche an die Presse durchgestochen.[3] Demnach ist vor allem bei den Stahlstrafzöllen in der Tat keine Lösung in Sicht. Offiziell heißt es, man sei bemüht, bis zum 1. Dezember einen Ausgleich zu finden; ob dies gelingt, ist bislang jedoch unklar. Skeptisch gab sich Clauß außerdem im Hinblick auf den Streitbeilegungsmechanismus bei der WTO. Dieser ist faktisch lahmgelegt, weil die Trump-Administration die Ernennung neuer Richter blockierte; die Biden-Administration hat bisher keine Kurskorrektur vorgenommen. Sie gebe sich "verschlossen hinsichtlich der Streitbeilegung bei der WTO", konstatiert Clauß. Nicht einmal in klimapolitischen Fragen zeichne sich - trotz Bidens öffentlich zur Schau gestellter Bekenntnisse - eine Annäherung ab: Washington wünscht dem deutschen EU-Botschafter zufolge "keine CO2-Bepreisung" und lehnt auch "Verweise auf die 2030-Ziele" ab. Es galt als unklar, ob bis zum heute stattfindenden Gipfel ein Verhandlungsfortschritt möglich sei.[4]


Industrieallianzen

Fortschritte erhofft sich Brüssel aktuell hingegen von Absprachen auf dem Technologiesektor. Um im globalen Wettlauf um die Entwicklung modernster Technologien nicht zurückzufallen bzw. gegenüber China und den USA aufzuholen, fördern Berlin und Brüssel bereits seit geraumer Zeit die Schaffung großer, duchsetzungsfähiger Konzernzusammenschlüsse - sogenannter nationaler bzw. europäischer Champions - oder breiter Industrieallianzen. Beispiele dafür sind etwa die EU-Batterieallianz oder die Bemühungen um den Ausbau einer "europäischen" Halbleiterfertigung.[5] Ähnliche Bemühungen gibt es bei Künstlicher Intelligenz (KI) [6] und inzwischen auch bei der Entwicklung des Quantencomputing: Vergangene Woche gab das neue Quantum Technology and Application Consortium (Qutac), ein Zusammenschluss zehn mächtiger deutscher Konzerne, seine Gründung bekannt. Den Anstoß dazu hat Berichten zufolge Bundeskanzlerin Angela Merkel gegeben; Ziel ist es, Grundlagen für eine "erfolgreiche Industrialisierung" des Quantencomputings zu schaffen.[7] Allerdings setzt sich offenbar mehr und mehr die Ansicht durch, es sei nicht sicher, ob Deutschland und die EU in der globalen High-Tech-Konkurrenz mithalten könnten. Experten weisen darauf hin, dass die EU bei der Innovationsfähigkeit klar zurückfällt (german-foreign-policy.com berichtete [8]).


Wer die Regeln schreibt

Die EU hat deshalb Anfang Dezember ergänzend die Gründung eines "EU-US Trade and Technology Council" (TTC) vorgeschlagen.[9] Ziel ist nicht nur, Handelsschranken abzubauen und Lieferketten jenseits chinesischen Einflusses zu organisieren, sondern vor allem, gemeinsame Standards für Zukunftstechnologien nicht zuletzt auf digitalem Feld - beispielsweise für Künstliche Intelligenz - festzulegen. Es gehe darum, erläuterte kürzlich Bidens Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan, "unsere Ansätze bei Handel und Technologie so anzugleichen, dass die Demokratien und nicht irgendjemand anderes, nicht China oder andere Autokratien, die Regeln für Handel und Technologie für das 21. Jahrhundert schreiben".[10] Der TTC soll sich mit Künstlicher Intelligenz, Cybersicherheit, Datenregulierung und Ähnlichem befassen. Berichten zufolge soll seine Gründung auf dem heutigen EU-USA-Gipfel diskutiert und nach Möglichkeit beschlossen werden. Allerdings weisen Beobachter darauf hin, dass etwa im Umgang mit Daten erhebliche Differenzen zwischen der EU und den Vereinigten Staaten bestehen; so hat der Europäische Gerichtshof vergangenes Jahr das Privacy-Shield-Abkommen, das die Übermittlung personenbezogener Daten aus der EU in die USA regelte, für ungültig erklärt. Ein Erfolg des TTC gilt unter anderem deshalb als nicht ausgemacht.


Das Chinageschäft der EU

Im Hintergrund überschatten Uneinigkeiten im Vorgehen gegen China den heutigen Gipfel. Beide Seiten sind sich in der Absicht einig, den Aufstieg der Volksrepublik machtpolitisch zu bremsen. Differenzen bestehen allerdings hinsichtlich der Wirtschaftskooperation. Während die Biden-Administration die Strafzölle und Sanktionen, die die Trump-Regierung verhängt hatte, bis heute aufrechterhält und zum Teil sogar noch verschärft, setzen Deutschland und die EU weiterhin auf einen Ausbau ihres Chinageschäfts. Wie eine aktuelle Umfrage der EU Chamber of Commerce in China zeigt, hat der Anteil ihrer Mitgliedsunternehmen, die darüber nachdenken, sich aus der Volksrepublik zurückzuziehen, mit neun Prozent seinen bisherigen Tiefststand erreicht. Zugleich geben sich 68 Prozent bezüglich ihrer Wachstumsaussichten in China optimistisch; 59 Prozent ziehen es in Betracht, ihr Chinageschäft noch auszubauen. Nur die politischen Machtkämpfe sind geeignet, die Stimmung einzutrüben. "Geopolitische Spannungen zwingen uns dazu, unsere Strategie zu ändern", wird Charlotte Roule aus dem Vorstand der EU-Handelskammer zitiert: EU-Unternehmen, nicht gewillt, China zu verlassen, sähen sich veranlasst, getrennte Lieferketten aufzubauen und dabei die Lieferketten für ihre chinesischen Produktionsstätten immer mehr nach China zu verlegen.[11] Das läuft den Absichten Washingtons diametral entgegen.

 

[1] U.S. Section 232 tariffs lifted the steel industry - and should be continued. epi.org 24.03.2021.

[2] Katharina Kort, Annett Meiritz: Kurz vor Bidens Europabesuch: Wie der Streit um die Strafzölle das Verhältnis der USA und EU belastet. handelsblatt.com 09.05.2021.

[3], [4] Vereinigte Staaten auf Konfrontationskurs zur EU. Frankfurter Allgemeine Zeitung 11.06.2021.

[5] S. dazu Kampf um "digitale Souveränität".

[6] S. dazu "Airbus 2.0 für KI".

[7] Bert Fröndhoff, Joachim Hofer, Roman Tyborski: BASF, Siemens, VW: Zehn deutsche Konzerne schließen Quanten-Allianz. handelsblatt.com 10.06.2021.

[8] S. dazu "Zu träge, zu konservativ, zu zögerlich".

[9] Mark Scott, Laurens Cerulus: EU-US 'tech alliance' faces major obstacles on tax, digital rules. politico.eu 02.12.2020.

[10] Mark Scott, Jacopo Barigazzi: US and Europe to forge tech alliance amid China's rise. politico.eu 09.06.2021.

[11] Europäische Firmen setzen noch stärker auf China. sueddeutsche.de 08.06.2021.


Info:  
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8627  
14.06.2021

*"Dammbruch für automatisierte Kriegseinsätze": Europäisches Megarüstungsprojekt FCAS in der Kritik *

aus E-Mail von Doris Pumphrey, 14. Juni 2021  11:33

Das Future Combat Air System (FCAS) hat neben einem beeindruckenden Titel einen enormen Finanzierungsbedarf. In höchster Eile sollten die Gelder für die nächste Entwicklungsphase be-willigt werden. Woher diese kommen sollen, ist nicht die einzige offene Frage.


Für das seit Jahren von Befürwortern vorangetriebene "europäische Luftkampfsystem der Zukunft" (Future Combat Air System, FCAS) sollen noch vor der Bundestagswahl für die kom- mende Projektphase die benötigten elder freigegeben werden. Doch zeigen sich aktuell neben der Finanzierungsplanung offenbar eine Reihe weiterer Schwachstellen an dem Projekt, das vonseiten der Friedensbewegung als exorbitant teures und gefährliches <https://drohnen-kampagne.de/>  Rüstungsprojekt kritisiert wird. Dabei ist es für die Befürworter von enormer Bedeutung.


Luftwaffeninspekteur Ingo Gerhartz bezeichnete das FCAS bei einer Tagung des "Bundesverban- des der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie" (BDLI) im Januar 2021 als das "größte europä-ische Rüstungsprojekt überhaupt". Schon Ursula von der Leyen hatte sich als Bundesverteidi-gungsministerin zusammen mit ihrer französischen Amtskollegin Florence Parly dafür starkge- macht.

/Hier weiterlesen: <https://de.rt.com/europa/118957-dammbruch-fur-automatisierte-kriegseinsatze-europaisches/>




*EU-Militärprojekt FCAS bedroht die Zivilisation Europas


aus E-Mail von Doris Pumphrey, 14. Juni 2021  11:33, Von //Bernhard Trautvetter/

Zitat: Der Haushaltsausschuss des Bundestages wird voraussichtlich am 23. Juni 2021 über das bisher größte Militärprojekt der EU, das sogenannte *F*uture *C*ombat *A*ir *S*ystem (FCAS) abstim-men. Dass dies kurz nachdem Ende der “umfangreichsten Übung der NATO seit Ende des Kalten

Krieges”[1<https://www.nachdenkseiten.de/?p=73324#foot_1>] – Defender 2021- stattfindet, lenkt die Aufmerksamkeit auf den Rahmen aller großen Militärprojekte.


Das US-geführte Manöver Defender 2021 zielt auf den Einsatz der Militärmaschinerie bis hin ins Baltikum und ins Schwarze Meer sowie in den Balkan ab. NATO-Sprecher begründen das mit dem Verweis auf das ihrer Einschätzung nach “aggressive Verhaltensmuster Russlands”[2<

https://www.nachdenkseiten.de/?p=73324#foot_2>].  Hiergreifen die doppelten Standards des Schwarz-Weiß-Bildes mit der werteorientierten Nato und den gefährlichen Autokraten im Osten – so, als gäbe es kein Guantanamo, keine Zypern-Besetzung der Türkei und keine außergerichtli-chen Morde durch US-/NATO-Drohnen, so, als hätte es den Jugoslawien-, Libyen- und Irak-Krieg nie gegeben.


Die EU-Militarisierung, in die FCAS einzuordnen ist, nimmt Russland ins Visier, wie u.a. der Akti-ons n ausdrückt, den die EU und die NATO 2016 vereinbarten[3 <https://www.nachdenkseiten.de/?p=73324#foot_3 >]. Passend dazu haben die USA, Kanada und Norwegen die Kooperation mit dem PESCO getauften Militärpakt westeuropäischer Staaten die Kooperation aufgenommen. Somit ergibt es sich, dass europäische Rüstungsprojekte wie

FCAS auch NATO-Bezüge aufweisen – die Stoßrichtung gegen die Atommächte Russland und China ist in diesem Zusammenhang besorgniserregend.

/Hier weiterlesen: <https://www.nachdenkseiten.de/?p=73324>

14.06.2021

"Der Startschuss ist gefallen"     G7-Gipfel beschließt neue Maßnahmen gegen China. USA sehen sich im "Wettbewerb um den Sieg im 21. Jahr-hundert" und stärken Kooperation mit Verbündeten - auch militärisch.

german-foreign-policy.com, 14. Juni 2021

BERLIN/WASHINGTON/BEIJING(Eigener Bericht) - Mit einer neuen, die ganze Welt umspannenden Infrastrukturinitiative wollen die führenden westlichen Industriestaaten (G7) gegen Chinas Neue Seidenstraße konkurrieren. Das Vorhaben, auf das sich die G7 auf ihrem gestern zu Ende gegangenen Gipfeltreffen in Cornwall geeinigt haben, trägt das Motto "Build Back Better World" ("B3W"); es soll in den kommenden Jahren "Hunderte von Milliarden Dollar an Infrastrukturinvestitionen" für Entwicklungsländer mobilisieren. Freilich ist die Finanzierung noch vollkommen ungeklärt. Ähnlich ambitionierte Initiativen, die der Neuen Seidenstraße das Wasser abgraben sollten, sind in den vergangenen Jahren von der EU bzw. von Japan und Indien gestartet worden, blieben aber ohne Erfolg. Die aktuelle G7-Initiative ist Teil einer breiten Offensive der Vereinigten Staaten gegen China, die ein gewaltiges High-Tech-Förderprogramm und militärische Maßnahmen inklusive einer Stärkung der Kooperation mit den Verbündeten umfasst. US-Präsident Joe Biden konstatiert: "Wir sind in einem Wettbewerb um den Sieg im 21. Jahrhundert, und der Startschuss ist gefallen."

Zitat: Der "europäische Weg"

Die EU hatte bereits im September 2018 den Versuch gestartet, Chinas Neuer Seidenstraße (Belt and Road Initiative, BRI) ein eigenes, Europa und Asien umspannendes Infrastrukturprogramm entgegenzusetzen: die "EU-Asien-Konnektivitätsstrategie". Diese zielte in drei "Aktionsbereichen" darauf ab, erstens Verkehrs-, Energie- sowie Digitalnetze zwischen den Kontinenten auszubauen, zweitens spezielle "Konnektivitätspartnerschaften" mit einzelnen Ländern zu initiieren und drittens zur Realisierung potenzieller Vorhaben neue Finanzierungsinstrumente zu schaffen. Man wolle einem "europäischen Weg" folgen, hieß es in offener Absetzung von China: Die "Konnektivität" müsse "nachhaltig", "regelbasiert" und "umfassend" ausgebaut werden.[1] Rund zweieinhalb Jahre später, im März 2021, konstatierte die bundeseigene Außenwirtschaftsagentur Germany Trade & Invest (gtai), "die Umsetzung" des Vorhabens bleibe recht "träge": "Bisher konnten ... in keiner der drei Dimensionen nennenswerte Erfolge erzielt werden."[2] Berlin dringt auf Fortschritte; bereits im Juni 2020 hatten die Bundesministerien für Äußeres, für Wirtschaft sowie für Verkehr in einem Brief an den EU-Außenbeauftragten Josep Borrell energische Maßnahmen zur Realisierung der Pläne gefordert.[3] Der Vorstoß ist jedoch verpufft.


Die asiatische Alternative

Pläne, eine Alternative zur Neuen Seidenstraße zu schaffen, hatten bereits zuvor Japan und Indien zu realisieren versucht. Indiens Premierminister Narendra Modi hatte am 23. Mai 2017 die Gründung des indisch-japanischen "Asia-Africa Growth Corridor" (AAGC) bekanntgegeben - wenige Tage nach dem ersten großen Seidenstraßengipfel in Beijing.[4] Ziel des AAGC ist es, den Ausbau der Infrastruktur in Asien, aber auch zwischen Asien und Afrika voranzutreiben und dies mit allerlei Entwicklungs- sowie Kooperationsprojekten zu verknüpfen. Das Vorhaben gründet auf solide verankerten Beziehungen: Indien kann an Kontakte zu einer ganzen Reihe afrikanischer Länder anknüpfen, die teilweise auf der indischsprachigen Community in diversen Staaten Afrikas [5] beruhen, teilweise auf der "Blockfreien"-Kooperation während des Kalten Kriegs; japanische Konzerne wiederum nutzen ihre Standorte in Indien nicht selten für Exporte auf den afrikanischen Kontinent. Trotz der prinzipiell günstigen Voraussetzungen für den AAGC hieß es im Oktober vergangenen Jahres in einer Untersuchung über das Projekt, nach drei Jahren gebe es immer noch "keine konkreten Erfolge"; mehr noch: Meilenweit davon entfernt, eine Alternative zur Neuen Seidenstraße zu bilden, sei das Vorhaben fast in Vergessenheit geraten.[6]


"Bislang nur ein Traum"

Die führenden westlichen Industriestaaten (G7) haben auf ihrem gestern zu Ende gegangenen Gipfel nun den nächsten Anlauf gestartet. Unter dem Motto "Build Back Better World" ("B3W"), das an Kampagnenslogans sowohl der britischen Regierung als auch von US-Präsident Joe Biden anknüpft, sollen künftig Infrastrukturvorhaben in ärmeren Ländern gefördert werden. Die Initiative sei "wertegetrieben, von hohem Standard und transparent", heißt es in der Abschlusserklärung im offenkundigen Versuch, das Vorhaben positiv von der - im Westen üblicherweise negativ beschriebenen - Neuen Seidenstraße abzuheben.[7] "B3W" werde "in den kommenden Jahren gemeinsam Hunderte von Milliarden Dollar an Infrastrukturinvestitionen für Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen katalysieren", heißt es weiter: Die Pläne reichten "von Lateinamerika über die Karibik bis nach Afrika und in den Indo-Pazifik". Anders als die hochtrabenden Worte vermuten lassen, ist freilich die Finanzierung noch völlig unklar. Sie solle in einer Arbeitsgruppe besprochen werden, hieß es gestern auf dem G7-Gipfel. Beispielhaft für skeptische Stimmen, die jenseits des Westens laut werden, hieß es am Samstag bei Al Jazeera (Qatar), B3W komme - acht Jahre nach dem Start der Neuen Seidenstraße - "sehr spät" und sei bislang nicht mehr als "ein Traum".[8]


"Die Tage unter unserer Regie"

Die B3W-Initiative ist, wenngleich sie zentrale Fragen offen lässt, Teil einer breiten Offensive der Biden-Administration, die dem Aufstieg Chinas ein Ende bereiten soll. Biden setzt nicht nur die Strafzoll- und Sanktionspolitik seines Amtsvorgängers Donald Trump nahezu unverändert fort; er ergänzt sie um weitere Initiativen. So ist im Senat in der vergangenen Woche ein 250 Milliarden US-Dollar schweres Investitionspaket beschlossen worden, das darauf abzielt, Forschung und Entwicklung in zentralen High-Tech-Branchen - etwa Halbleiter, Telekommunikation, Künstliche Intelligenz - gezielt zu fördern, um punktuell bereits bestehende Vorteile Chinas wettzumachen und den Vereinigten Staaten die globale technologische Führungsrolle zu sichern. "Wir wollen nicht, dass Amerika in diesem Jahrhundert eine mittelmäßige Nation wird", erläuterte Chuck Chumer, der Mehrheitsführer der Demokraten im Senat: "Wir wollen nicht, dass die Tage unter unserer Regie zu Ende gehen."[9] Bleibe Washington jetzt untätig, dann "könnten unsere Tage als vorherrschende Supermacht gezählt sein". Präsident Biden äußerte mit Blick auf das Investitionspaket: "Wir sind in einem Wettbewerb um den Sieg im 21. Jahrhundert, und der Startschuss ist gefallen."[10]


Die Streitkräfte optimieren

Weitere Schritte hat ebenfalls in der vergangenen Woche US-Verteidigungsminister Lloyd Austin angekündigt. Dabei handelt es sich um die Umsetzung von Empfehlungen, die eine im Februar von ihm eingesetzte "China Task Force" entwickelt hat. Sie zielen darauf ab, die US-Streitkräfte, die in den vergangenen Jahren stark auf die Kriegführung gegen Aufständische etwa in Afghanistan und im Irak fokussiert waren, umfassend auf den Machtkampf gegen China zu orientieren; dies sei von der Trump-Administration zwar angekündigt, aber nicht umgesetzt worden, erläutert Austin. Bei den Maßnahmen, die im Detail geheimgehalten werden, gehe es außerdem darum, die Kooperation mit US-Verbündeten "zu optimieren und zu stärken", etwa bezüglich der Entwicklung "neuer operationeller Konzepte" und der künftigen Aufstellung des Streitkräftedispositivs.[11] Das betrifft als einen engen Verbündeten der Vereinigten Staaten auch Deutschland - ein Faktor, der spezielle Bedeutung daraus gewinnt, dass US-Militärs immer offener über einen künftigen Krieg gegen China debattieren. german-foreign-policy.com berichtet in Kürze.

 

[1] S. dazu Die Anti-Seidenstraße.

[2] Sebastian Holz: Was ist die EU-Asien-Konnektivitätsstrategie? gtai.de 18.03.2021.

[3] Sebastian Holz: EU-Konnektivitätsstrategie: Neuer Anlauf zur Umsetzung 2021. gtai.de 18.03.2021.

[4] S. dazu Chinas Jahrhundertprojekt.

[5] Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts warben britische Unternehmen billiges indisches Personal für Arbeiten in britischen Kolonien an. Die Nachfahren der indischen Niedriglohnarbeiter leben in vielen Fällen noch heute dort.

[6] Takuya Taniguchi: Should We Forget about the Asia-Africa Growth Corridor? Institut français des relations internationales (ifri): Lettre du Centre Asie, No. 87, October 19, 2020.

[7] G7 wollen die Neue Seidenstraße übertrumpfen. Frankfurter Allgemeine Zeitung 14.06.2021.

[8] G7 leaders attempt to rival China with infrastructure project. aljazeera.com 12.06.2021.

[9] Senat stimmt für Milliardenpaket im Wettbewerb mit China. sueddeutsche.de 09.06.2021.

[10] Amerika rüstet sich für Konkurrenz mit China. Frankfurter Allgemeine Zeitung 10.06.2021.

[11] Jim Garamone: Austin Signs Internal Directive to Unify Department's China Efforts. defense.gov 09.06.2021.


Info: 
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8626   

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