27.09.2021

»Von einer neuen Volkspartei sind wir weit entfernt«

spiegel.de27.09.2021, 13.00 Uhr • aus DER SPIEGEL 54/2021, Ein Interview von Ralf Neukirch

Die frühere Grünen-Fraktionschefin Antje Vollmer beklagt eine Kluft zwischen Parteispitze und Wählerschaft und sieht eine Präferenz für ein Bündnis mit der SPD.

- ab hier Bezahlschranke -


Zitat: Auszüge aus dem Interview mit der früheren (grünen) Bundestags-Vizepräsidentin Antje Vollmer zu Grüne, Außenpolitik + Pazifismus zur Kenntnis


Vollmer: Ich bedaure, dass ich über Außenpolitik in diesem Wahlkampf so wenig gehört habe. Das wird eine wichtige Frage für die kommende Regierung. Als größtes Problem der Grünen sehe ich die Tatsache, dass die Partei faktisch keinen pazifistischen Flügel mehr hat. Umwelt und Frieden waren die beiden Themen, die die Grünen in fortschrittlichen Kreisen erfolgreich gemacht haben. Das war die Zeit nach Helsinki, der Verbindung von Entspannungspolitik zwischen den Blöcken und der Menschenrechtspolitik an der Basis. Heute vertreten sie die Nato-Formel: Härte und Dialog, aber Dialog findet kaum statt.


SPIEGEL: Und diese Position finden Sie falsch?

Vollmer: Ich glaube, das gesamte westliche Bündnis muss nach dem Scheitern in Afghanistan sein triumphales Überlegenheitsgefühl infrage stellen. Auch die Grünen brauchen eine ehrliche Analyse, wir waren ja Anhänger dieser missionarischen Idee von Nation-Building, die jetzt gescheitert ist. Das ist mein eigener drängender Wunsch an die Partei, da doch noch mal mit aller Nüchternheit die Entwicklung der letzten 20 Jahre zu überprüfen. Europa ist ein von Kriegen schwer geprüfter Kontinent. Wir brauchen schon aus Gründen unserer Geschichte und unserer geopolitischen Lage einen eigenen Spielraum für den Vorrang von Entspannungspolitik und Diplomatie gegenüber präpotenten Drohgebärden.


Info: https://www.spiegel.de/politik/deutschland/antje-vollmer-von-den-gruenen-von-einer-neuen-volkspartei-sind-wir-weit-entfernt-a-2ec0d91c-bfa0-42b4-8c8a-c6d0ef85e8f5

27.09.2021

Volksentscheid: Berlin stimmt für Enteignung

sueddeutsche.de, 27. September 2021, 8:14 Uhr, Von Verena Mayer, Berlin

In einem Volksentscheid spricht sich eine Mehrheit dafür aus, große Immobilienkonzerne zu enteignen. Ob man so den überhitzten Wohnungsmarkt abkühlen kann, ist allerdings fraglich.


Zitat: 60 Quadratmeter in einer der heruntergerocktesten Ecken von Neukölln: 1999 Euro. 56 Quadratmeter an der ebenfalls nicht gerade idyllischen Potsdamer Straße: 1300 Euro. 67 Quadratmeter am Verkehrsknotenpunkt Alexanderplatz: 2200 Euro - bei allen Beträgen handelt es sich um Kaltmieten. Berliner Wohnaktivisten mussten in den vergangenen Wochen auf ihren Social-Media-Kanälen nur ganz normale Immobilienanzeigen posten, um ihren Punkt zu machen: Auf dem Wohnungsmarkt der Hauptstadt läuft einiges aus dem Ruder.


Der jüngsten Auswertung des Maklerportals Homeday zufolge, das die Wohnungspreise deutscher Städte verglich und ins Verhältnis zu den jeweiligen Einkommen setzte, befinden sich von den zehn am wenigsten erschwinglichen Stadtteilen sieben in Berlin (sowie zwei in München und einer in Hamburg.) Einer der Gründe:
Ein Teil der Berliner Wohnungen gehört großen Immobilienkonzernen, die renditeorientiert wirtschaften. Wenn es nach dem Volksentscheid geht, über den am Sonntag in Berlin abgestimmt wurde, sollen die Bestände von privaten Immobiliengesellschaften, die in der Hauptstadt mehr als 3000 Wohnungen besitzen, vergesellschaftet werden. Die 240 000 Wohnungen, die unter anderem Unternehmen wie Deutsche Wohnen, Vonovia oder Akelius gehören, sollen dann von der öffentlichen Hand verwaltet und die Firmen dafür entschädigt werden.


Nach Auszählung aller Wahlbezirke war am Montagmorgen klar: Eine Mehrheit stimmte mit "Ja", 56,4 Prozent der Wahlberechtigten sprachen sich für eine Vergesellschaftung aus. Mit "Nein" stimmten 39 Prozent, teilte die Landeswahlleitung mit.


Unklar ist jedoch, was daraus folgt

Dem Volksentscheid liegt kein konkreter Gesetzesentwurf zugrunde, der Berliner Senat wird nur "aufgefordert, alle Maßnahmen einzuleiten, die zur Überführung von Immobilien in Gemeineigentum erforderlich sind".


Ob solche Maßnahmen überhaupt rechtens sein können - darüber ist bereits eine Gutachterschlacht entbrannt. Im August 2019 kam der Wissenschaftliche Parlamentsdienst des Berliner Abgeordnetenhauses zu dem Schluss, dass eine Vergesellschaftung nicht unverhältnismäßig sei und auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße. Dagegen legte der Berliner Verwaltungsrechtler Ulrich Battis ein Gutachten vor, demzufolge die vorgeschlagene Enteignung ein unverhältnismäßiger Eingriff in privates Eigentum sei und sowohl verfassungs- als auch europarechtlich problematisch. Auch die Wohnungsbaugenossenschaften, die nicht gewinnorientiert arbeiten, warnten vor einer Mehrheit für den Volksentscheid: Sie fürchten, dass sie aus rechtlichen Gründen ebenfalls von der Vergesellschaftung betroffen sein könnten. Und da ist noch das Preisschild, das auf dem Vorhaben klebt: Mindestens zehn Milliarden Euro Entschädigungen müssten den Firmen gezahlt werden. Andere Schätzungen gehen von bis zu 30 Milliarden Euro aus.


Die Lust der Parteien, den Volksentscheid umzusetzen, hält sich dementsprechend in Grenzen. CDU und FDP haben sich klar dagegen ausgesprochen, SPD-Landeschefin Franziska Giffey kündigte zwar an, man werde "respektvoll und verantwortungsvoll" mit einer Mehrheit umgehen, sie ließ aber in den vergangenen Wochen keinen Zweifel daran, dass Enteignungen mit ihr nicht zu machen seien. Die Grünen sind zwiegespalten, Spitzenkandidatin Bettina Jarasch sagte zwar, dass sie persönlich für Ja stimmen werde, die Grünen haben aber nicht dezidiert für das Projekt geworben. Sie fordern einen Mieterschutzschirm, eine Selbstverpflichtung für Wohnungsbesitzer, Mieten für fünf Jahre einzufrieren und sich dem Gemeinwohl zu verpflichten, eine Art Fair-Trade-Label für Vermieter gewissermaßen.


Offensiv für die Enteignung geworben hat nur die Linke, die in Berlin bei Wohnungsthemen ohnehin den radikalsten Ansatz vertritt - sie hat schon den Mietendeckel in Berlin durchgesetzt, der später vom Bundesverfassungsgericht gekippt wurde. Ob dem Volksentscheid ein ähnliches Schicksal bevorsteht, wird sich zeigen. Sicher ist jedenfalls, dass es sich nicht um die letzte radikale Idee in der Berliner Wohnungspolitik handeln wird.


Info: https://www.sueddeutsche.de/politik/berlin-volksentscheid-enteignen-wohnungsmarkt-1.5422411



Weiteres: 



Enteignung ist der falsche Weg


rp-online.de, 27. September 2021 um 12:35 Uhr

Düsseldorf. Mit der Volksabstimmung in Berlin ist längst noch keine Entscheidung für die Enteignung von Wohnungskonzernen getroffen. Die wäre auch ökonomisch fahrlässig. Denn sie würde keinen zusätzlichen Wohnraum schaffen.


Zitat:  Eine Volksabstimmung ist noch kein Gesetz. Deshalb sollten all jene, die das positive Votum von Berliner Bürgern für eine Teilenteignung der großen Wohnungskonzerne bejubeln, sich nicht zu früh freuen. Nach der Bundestagswahl gibt es in der Hauptstadt aller Voraussicht nach eine Regierende Bürgermeisterin, die sich klar gegen Enteignung ausgesprochen hat. Selbst bei einer Fortführung der rot-grün-roten Koalition wäre ein solches Gesetz fraglich, weil es auch bei den Grünen nur die Ultima ratio wäre und die beiden großen Fraktionen lieber auf konstruktive Gespräche mit allen Beteiligten setzen als die harte politische Linie fahren würden.


Abseits einer solchen politischen Einschätzung wäre eine Enteignung ökonomisch fahrlässig. Sie würde keinen Quadratmeter mehr Wohnraum schaffen, sondern private Investoren vergrätzen, die man dringend für die Beseitigung der Wohnungsnot in Berlin braucht. Es stimmt, dass die Mieten in der Hauptstadt in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen sind; es ist richtig, dass manche Familie kaum noch bezahlbaren Wohnraum findet. Aber das den privaten Vermietern allein zuzuschreiben, ist falsch. In Berlin ist der Zuzug groß, die Nachfrage gewaltig. Wenn beispielsweise Genehmigungsverfahren sich dann zu lange hinziehen, wird der Druck immer größer. Ein Punkt, den die Initiatoren des Volksbegehrens offenbar ausgeblendet haben.

Ebenso wie die Tatsache, dass der Steuerzahler für ihre Pläne kräftig bluten soll. Woher sollen denn die bis zu 36 Milliarden Euro kommen, die für die Entschädigung enteigneter Konzerne fällig würden? Und was passiert in einem jahrelangen Streit, der sich vermutlich bis zum Bundesverfassungsgericht  ziehen würde und bei dem Investitionen ausbleiben könnten? Wer würde denen, die nach Berlin wollen, erklären, dass die Wohnungslage noch angespannter ist als bisher, weil immer noch viel zu wenig gebaut wird?


Den Mietern in den Wohnungen, die zur Vergemeinschaftung anstehen, würde eine Enteignung helfen. Allen anderen würden die Befürworter der Enteignung einen Bärendienst erweisen. Sie ist falsch. Was hilft: Alle müssen in Berlin an einen Tisch und gemeinsam eine Lösung finden. Das wäre gelebte Demokratie.

Info: https://rp-online.de/politik/analyse-und-meinung/enteignung-ist-der-falsche-weg_aid-63147921


Kommentar: "Auf konstruktive Gespräche mit allen Beteiligten setzen und gemeinsam eine Lösung finden." So etwas kommt meistens aus der Phrasendreschmaschine.  Thomas Bauer

27.09.2021

US-Bürgerin vor Prozess wegen Zivilen Ungehorsams angesichts von Atomwaffen der USA in Deutschland

aus E-Mail von Marion Küpker, 27. September 2021, 08:32 Uhr

Pressemitteilung ZUR SOFORTIGEN VERWENDUNG


Zitat: Nukewatch, nukewatch1@lakeland.ws  mailto:nukewatch1@lakeland.ws

740A Round Lake Road

Luck, Wisconsin USA 54853

+1 715-472-4185;http://www.nukewatchinfo.org

Kontakt: John LaForge, Nukewatch Co-director, Luck, Wisc., USA, mobile 001 715-491-3813; or: Marion Küpker, <marion@gaaa@gmx.de>  mailto:marion@gaaa@gmx.de  ; mobile: 0172-771-3266


US-Bürgerin vor Prozess wegen Zivilen Ungehorsams angesichts von Atomwaffen der USA in Deutschland

Susan Crane, 74, aus Redwood City, Kalifornien, seit vielen Jahren aktiv gegen die nukleare Aufrüstung, wird am 29.9.2021 um 10 Uhr in Cochem an der Mosel vor Gericht stehen. Sie hat Widerspruch gegen einen Strafbefehl eingelegt. Der Vorwurf: Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung bei zwei verschiedenen Aktionen gegen die Stationierung von Atomwaffen der USA am Militärflugplatz Büchel. Crane ist erst die dritte US-Bürgerin, die während der bereits seit mehreren Jahren laufenden Kampagne zivilen Ungehorsams gegen die “nukleare Teilhabe der NATO"  an Atomwaffen bestraft werden kann.


Die Strafbefehle beziehen sich auf Aktionen vom 15.7.2018 und 6.8.2018, bei denen sie sich zusammen mit anderen Zugang auf den Luftwaffenstützpunkt Büchel verschafft und anschließend einen mit Erde getarnten Flugzeugbunker erstiegen hat. (Siehe Foto.) Die übrigen Personen, die für beide Aktionen in gleicher Weise bestraft worden sind, wurden zu Geldstrafen von bis zu 1.500 Euro verurteilt.


Crane war seit 2017 Mitglied von vier US-Delegationen auf jährlichen Friedenscamps, die gleich neben dem Luftwaffenstützpunkt Büchel stattfanden. 2017 befanden sich unter der Delegation von elf Personen sieben, die wegen Protestaktionen gegen Atomwaffen oder Militarismus insgesamt 36 Jahre in Gefängnissen der USA verbracht haben.


Crane ist Lehrerin in Ruhestand und seit vielen Jahren Mitglied der Catholic Worker in Redwood City/ Kalifornien, die sich um Obdachlose in der Stadt kümmern. Sie war aktiv in vier sogenannten Pflugscharaktionen, die dafür bekannt sind, Atomwaffensysteme mit Blut zu markieren, und war in der Folge mehr als sechs Jahre in Bundesgefängnissen der USA.

In einem vorbereiteten Text, den Crane der Zeitschrift Nukewatch zugeschickt hat, erklärt sie kurzgefasst, was sie dem Gericht mitteilen will:


“Auf der Grundlage von § 34 des deutschen Strafgesetzbuches (Rechtfertigender Notstand) war gerechtfertigt, was ich getan habe. Eine Person, die ein Kind sieht, das in einem brennenden Haus von einem Fenster im Obergeschoss um Hilfe schreit, ist verpflichtet, die Tür aufzubrechen, das Haus zu betreten, das Kind zu ergreifen und es ins Sichere hinauszutragen. … Der Retter, der in das brennende Haus eindringt, um ein Kind zu retten, hat eine Hoffnung, dass seine Aktion das Kind vor dem Tod rettet. In ähnlicher Weise hoffen wir, dass unsere Versuche, ein Licht auf die Atomsprengköpfe zu werfen, die sich auf dem Luftwaffenstützpunkt Büchel befinden, andere inspirieren wird, dasselbe zu tun und in der Folge die Abschaffung der Atomwaffen erzwingen wird.”


Marion Küpker

Friedensreferentin beim deutschen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes

27.09.2021

Die Linke hält drei Direktmandate

fr.de, 27.09.202100:12, Von Jan Emendörfer

Die Partei zieht in den Bundestag ein, selbst wenn sie unter fünf Prozent bleibt. Denn sie kann wohl drei der fünf Direktmandate halten.


Zitat: Das war „ein Schlag in die Magengrube“, sagt Linken-Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow. Gemeinsam mit ihrer Co-Vorsitzenden Janine Wissler und Fraktionschef Dietmar Bartsch steht sie am Sonntagabend auf der Bühne im Festsaal Kreuzberg in Berlin vor dem überwiegend jungen Publikum, das zur Wahlparty gekommen ist. Kein Jubel, keine knallenden Sektkorken, stattdessen bange Blicke, betretene Gesichter. Die Linke muss zittern.


Wissler spricht von einem „schweren Abend“ und deutlichen Verlusten. 2017 hatte die Partei noch 9,2 Prozent geholt, jetzt muss sie um dem Wiedereinzug in den Bundestag bangen.

Die nötigen fünf Prozent waren bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe nicht sicher. Fraktionschef Bartsch sagt, die Ergebnisse dieses „bitteren Abends“ müssten nüchtern eingeschätzt werden. Ein „Weiter so“ könne es nicht geben. „Die Fehler lagen nicht im Wahlkampf, sondern schon davor“, ist er überzeugt und ruft den Anhänger:innen kurz nach 19 Uhr zu: „Die fünf Prozent schaffen wir noch, und wir holen auch die drei Direktmandate.“


Die drei Direktmandate sind nötig, um den Sprung in den Bundestag auch dann zu schaffen, sollten die Linke an der Fünfprozenthürde scheitern. Das war schon einmal 1994 der Fall, als die Partei nur 4,4 Prozent erreichte, aber dank vier Direktmandaten mit 30 Abgeordneten ins Parlament einzog.


Bei den Direktmandaten, die parteiintern in den vergangenen Wochen als Lebensversicherung betrachtet wurden, spielt Berlin die zentrale Rolle. Vor vier Jahren holte die Linke dort vier Direktmandate – in Treptow-Köpenick, Marzahn-Hellersdorf, Lichtenberg und Pankow. Zudem ging der Wahlkreis Leipzig-Süd an die Linke.


Zu Redaktionsschluss sah es am Abend so aus, als könnte die Partei drei der fünf Direktmandate halten – und zwar die von Gregor Gysi in Treptow-Köpenick, von Gesine Lötzsch in Lichtenberg sowie von Sören Pellmann im Leipziger Süden.


Gysi bezeichnet bei seinem Auftritt im Festsaal Kreuzberg das Gesamtergebnis als „desaströs“ und setzt nach: „Wenn wir noch einmal mit einem blauen Auge davonkommen, dann müssen wir sehr selbstkritisch über uns und unsere Zukunft nachdenken.“ mit FR


Info: https://www.fr.de/hintergrund/die-linke-haelt-drei-direktmandate-91006241.html?cmp=defrss


Kommentar: Die Linke wird unglaubwürdig, wenn sie ihre Kriegsbündnis NATO-Ablehnung für den Preis einer Regierungsbeteiligung feilbietet. Nichts anderes unterstelle ich hat Herr Gysi vor, wenn er jetzt glaubt mit seiner Partei in Klausur gehen zu müssen.   Thomas Bauer

27.09.2021

Gas Energiewende Russland                                                                                                Die Preise für Erdgas explodieren – und Russland gibt sich knauserig

rnd.de, 23.09.2021, 8:23 Uhr, Frank-Thomas Wenzel

    Die Internationale Energieagentur fordert, dass Russland dabei hilft, Gasspeicher aufzufüllen.Preissteigerungen hängen auch mit kaltem Wetter, wenig Windstrom und stark gestiegener Nachfrage zusammen.Annalena Baerbock spricht von Erpressung durch Putin und macht sich für eine nationale Gasreserve stark.


Zitat: Frankfurt. Die Internationale Energieagentur (IEA) ist bekannt für wohl erwogene Argumente und zurückhaltende Formulierungen. Umso bemerkenswerter ist eine aktuelle Mitteilung, die sich mit den Rekordpreisen für Erdgas befasst. Zwar erfülle Russland derzeit seine langfristigen Lieferverträge gegenüber europäischen Staaten. Aber: „Die IEA glaubt, dass Russland mehr machen könnte, um die Verfügbarkeit von Gas zu erhöhen.“

Das bringt einen neuen Akzent in die Debatte über die Preisexplosion. Naheliegend ist, dass die höchst umstrittene und fast fertiggestellte Pipeline Nord Stream 2 hierbei eine wichtige Rolle spielt. Annalena Baerbock, Kanzlerkandidatin der Grünen, spricht sogar von Erpressung.

 

Die IEA erwähnt die Rohrleitung in ihrer Mitteilung mit keinem einzigen Wort. Macht aber darauf aufmerksam, dass Russland aktuell dafür sorgen könne, dass die Gasspeicher in Deutschland und anderen Ländern „auf ein angemessenes Niveau“ aufgefüllt werden. Das sei eine Chance für Russland, seine Zuverlässigkeit als Lieferant für den europäischen Markt zu unterstreichen.

Das lässt sich durchaus als Aufforderung der IEA lesen. Die Reservoire hierzulande weisen nach Angaben der Initiative Erdgasspeicher (Ines) aktuell einen „historischen Tiefstand“ aus. Sie sind derzeit nur zu 64 Prozent gefüllt. Doch es bestehe, so Ines, noch bis Anfang November die Chance, das übliche Füllstandniveau von über 90 Prozent zu erreichen. Die Brennstoffvorräte werden bei längeren Kälteperioden – die oft im Januar und Februar auftreten – dringend benötigt, um Verbrauchsspitzen „lokal und zeitnah“ abzudecken, erläutert der Erdgasspeicher-Verband.


Für Baerbock ist unterdessen klar, was hinter der Zurückhaltung Russlands bei den Gaslieferungen steckt: „Das Putin-Regime will politischen Druck aufbauen, um die ausstehenden Genehmigungen für Nord Stream 2 schneller zu bekommen und so die Leitung in Betrieb zu nehmen“, sagte sie dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Baerbock betont: „Die Leidtragenden sind die Kunden in Deutschland, deren Gaspreise steigen werden oder die im Extremfall sogar im Kalten sitzen müssen.“


An den Energiebörsen wird Erdgas derzeit so hoch wie niemals zuvor gehandelt. Der aktuelle Preis bewegt sich bei 60 bis 65 Euro pro Megawattstunde. Das ist gut dreimal so viel, wie in den vergangenen Jahren im Schnitt üblich war. Und viele Rohstoffexperten gehen davon aus, dass diese Entwicklung bis tief ins nächste Jahr hineinreichen könnte. Das bedeutet auch, dass sich Verbraucher auf deutlich steigende Preise fürs Heizen einstellen müssen.


IEA-Direktor Fatih Birol macht darauf aufmerksam, dass die russische Knauserigkeit keineswegs der einzige Grund für die aktuell kritische Lage ist: „Die jüngsten Steigerungen bei den globalen Erdgaspreisen sind das Resultat multipler Faktoren“, erläutert Birol. Dazu zählt eine starke Erholung der Nachfrage. Auch die Witterung spiele eine Rolle, unter anderem mit einer kalten und langen Heizperiode in Europa im vergangenen Winter und einer geringeren Verfügbarkeit von Windstrom in den zurückliegenden Wochen.


Die Lage in Europa ist zudem das Ergebnis einer ganz speziellen Dynamik auf dem Weltmarkt. Auch Ostasien und Nordamerika hatten es im ersten Quartal des Jahres mit heftigen Kältewellen zu tun. Gefolgt von Hitzewellen in vielen Teilen der Erde. Das hat die Nachfrage laut IEA nach oben getrieben, insbesondere in China, aber auch in Japan und Korea. Zugleich gab es größere technische und logistische Probleme beim verflüssigten Gas (LNG), das mit Schiffen transportiert wird – vor allem Japan ist davon abhängig. Mit der Folge, dass seit Monaten kaum noch LNG nach Europa geliefert wird, es lässt sich in Asien schlicht teurer verkaufen.


Birol und seine Leute gehen davon aus, dass der europäische Gasmarkt mit „weiteren Stresstests“ konfrontiert werden könnte. Falls es zu unerwarteten Lieferausfällen und/oder heftigen Kältewellen kommen werde – insbesondere im späten Winter, also im Februar. Die Füllstände der Gasspeicher seien derzeit in ganz Europa unterhalb des Fünf-Jahres-Durchschnitts.


Mehr Erneuerbare für mehr Unabhängigkeit

Die Niederlande und Norwegen sind zwar wichtige Erdgaslieferanten. Mit dem leichtflüchtigen Brennstoff aus Russland wurde aber 2019 gut die Hälfte des hiesigen Bedarfs gedeckt. Zugleich ist die Bundesrepublik für den russischen Staatsmonopolisten Gazprom der wichtigste Abnehmer in Europa.


Mit Nord Stream 2 will Russland die Belieferung von Westeuropa noch einmal deutlich steigern. Kritiker des Projekts befürchten, dass die neue Rohrleitung durch die Ostsee auch als geostrategische Waffe eingesetzt werden könnte, insbesondere gegen die Ukraine und Polen, die bislang hohe Einnahmen mit Gebühren für die Durchleitung von Erdgas mittels Pipelines an Land machen.


Für Baerbock besteht derweil kein Zweifel: Das Spiel, das Russlands Präsident Wladimir Putin betreibe, zeige einmal mehr, „welchen Bärendienst SPD und Union mit ihrem Einsatz für Nord Stream 2 Deutschland erwiesen haben“. Die Bundesregierung habe die Pipeline vorangetrieben, allen Bedenken, Warnungen und Befürchtungen zum Trotz. Das räche sich. „Denn Deutschland ist nun in der Erpressungssituation, vor der ausgiebig gewarnt wurde.“


Die Grünen-Politikerin fordert von Union und SPD ein klares Signal Richtung Moskau: „Das Signal muss sein, dass Russland zu seinen Zusagen stehen muss und über die bestehenden Pipelines wie in der Vergangenheit auch genügend Gas liefert.“


Sie fügt hinzu: „Um uns unabhängiger von autokratischen Regimen zu machen, wäre eine meiner Prioritäten in der kommenden Bundesregierung, sich für den raschen Erneuerbaren-Ausbau bei uns in Deutschland einzusetzen.“ Gleichzeitig brauche es Vorgaben für Minimalfüllstande der Speicher beziehungsweise eine nationale Gasreserve – analog zur Ölreserve, „damit niemand im Winter im Kalten sitzt“.


Info: https://www.rnd.de/wirtschaft/erdgas-preise-explodieren-und-russland-gibt-sich-knauserig-H7AOK7R6TBCLDEOD4R2L6TBP3A.html

27.09.2021

Handlungsempfehlungen an die nächste Bundesregierung (I)          Berliner Denkfabrik fordert offensivere, risikobereitere Außenpolitik: "Die Grenzen zwischen Krieg und Frieden verwischen."

german-foreign-policy.com, 27. September 2021

BERLIN(Eigener Bericht) - Die nächste Bundesregierung soll eine Wende zu einer offensiveren, risikobereiten Außenpolitik einleiten und dafür "gesellschaftliche Akzeptanz" schaffen. Das fordert eine Expertengruppe, die von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) über einen Zeitraum von zehn Monaten koordiniert wurde, in einem soeben publizierten Strategiepapier. Die internationale Politik werde auf absehbare Zeit vom "Machtkampf zwischen den USA und China" dominiert, heißt es in dem Papier; "Verwundbarkeit" sei "zum Normalzustand geworden": "Die Grenzen zwischen Krieg und Frieden verschwimmen." Die Bundesrepublik habe dabei in den vergangenen Jahren an Einfluss verloren; Ziel müsse es daher nun sein, "ein weiteres strategisches Déclassement zu verhindern". Als Beispiele für den Einflussverlust listet das DGAP-Papier die inneren Zerwürfnisse in der EU und die eskalierenden Krisen jenseits der EU-Außengrenzen auf. Berlin müsse künftig bereit sein, "auch unter großer Unsicherheit Entscheidungen zu fällen". Wichtige Anstöße für das Papier kamen aus Ministerien und von Politikern von Union, SPD und Bündnis 90/Die Grünen.


Zitat: "Smarte Souveränität"

Das Strategiepapier mit dem Titel "Smarte Souveränität" ist in einem Ende 2020 gestarteten, rund zehn Monate währenden Prozess von einer Expertengruppe im Rahmen der "Ideenwerkstatt Deutsche Außenpolitik" erstellt worden, eines Projektes der DGAP (Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik). Es enthält zehn "Aktionspläne", die explizit als "Handlungsempfehlungen an die nächste Bundesregierung" deklariert sind und für die deutsche Außenpolitik nicht nur Ziele vorschlagen, sondern auch Instrumente und Bündnisse, mit denen sie erreicht werden sollen. Die Expertengruppe tagte unter dem Vorsitz des DGAP-Forschungsdirektors Christian Möller und der ehemaligen (bis April 2021) DGAP-Direktorin Daniela Schwarzer; in ihr arbeiteten mehrere Hochschulprofessoren sowie Spezialisten verschiedener Denkfabriken aus Europa und den USA zusammen. Begleitet wurde die Tätigkeit der Expertengruppe von einem "Policy Board", das, wie es heißt, "wichtige Denkanstöße" geliefert habe.[1] Ihm gehörten unter anderem der Leiter der außenpolitischen Abteilung im Bundespräsidialamt, Thomas Bagger, der Leiter des Leitungsstabs im Bundesverteidigungsministerium Nico Lange sowie Politiker von CDU/CSU, SPD sowie Bündnis 90/Die Grünen an. Gefördert wurde das Projekt von der Stiftung Mercator.


"Weiteres Déclassement verhindern"

Wie die Expertengruppe in ihrem Strategiepapier konstatiert, wird "der Machtkampf zwischen den USA und China ... auf absehbare Zeit die wichtigste internationale Entwicklung" bleiben. China, aber auch andere Staaten wie Russland errichteten "eigene, zumeist regionale Ordnungsstrukturen, die es ihnen erlauben, ihre Macht zu erhalten und zu mehren", heißt es in dem Papier. Gleichzeitig zeige sich: Zahlreiche andere Staaten - "so auch Deutschland - verlieren an Gestaltungsmacht". Dieser Prozess solle nun gestoppt werden. "Ziel ist es, ein weiteres strategisches Déclassement zu verhindern", erklären die Autoren: "Deutschland sollte in zentralen Bereichen nicht die Ziele anderer übernehmen müssen, sondern sich in die Lage versetzen, seine eigenen Ziele zu definieren und durchzusetzen." Dazu müsse die künftige Bundesregierung "die zunehmend begrenzten Machtressourcen gezielt so nutzen, dass sie einen weiteren Verlust an Gestaltungsspielraum und Einfluss verhindert". "Durch Kooperationen" müssten "neue Handlungsoptionen eröffnet" werden. Die Methode, nicht als klassisch souveräner Nationalstaat, sondern in - durchaus wechselnden - Bündniskonstellationen den eigenen globalen Einfluss zu sichern, bezeichnet die DGAP-Expertengruppe als "smarte Souveränität".


Von Krisen gezeichnet

Die Autoren des DGAP-Strategiepapiers deuten zunächst zwei konkrete Felder an, auf denen die deutsche Außenpolitik in den vergangenen Jahren zum Teil gravierende Rückschläge verzeichnen musste. So steht für die Expertengruppe gänzlich außer Frage, dass die Bundesrepublik in der internationalen Politik auf das Gewicht angewiesen ist, das ihr die EU verleiht. Allerdings sei "Europas Handlungsfähigkeit nach außen ... direkt an die Handlungsfähigkeit im Inneren gekoppelt". "Der Zusammenhalt in der EU" aber habe "in den vergangenen Jahren abgenommen": "In ihrem Inneren kämpft die EU nicht nur um wirtschaftliche Kohäsion, sondern auch um Rechtsstaatlichkeit und liberale Demokratie." Die nächste Bundesregierung müsse wegen der anhaltenden Auseinandersetzungen - nicht nur - mit Polen und Ungarn "den Zusammenhalt in der EU stärken"; "sowohl abweichende rechtsstaatliche Standards als auch Hürden bei der außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungsfindung" sollten auf ihrer Agenda stehen, heißt es in dem DGAP-Papier. Die EU sei ohnehin bereits "durch den Brexit ... geschwächt" worden. In der Tat hätte, abgesehen von der unmittelbaren Schwächung der EU durch den Brexit, etwa der AUKUS-Pakt, der Frankreich und mit ihm auch der EU schadet [2], ohne den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Union kaum geschlossen werden können.


Von Krisen umgeben

Hinzu kommt, dass die Bemühungen Berlins, rings um die EU eine sichere Pufferzone stabiler, kooperationswilliger Staaten zu schaffen, gescheitert sind. Vor acht Jahren hatte ein ebenfalls aus Anlass einer Bundestagswahl publiziertes Strategiepapier ("Neue Macht, neue Verantwortung", german-foreign-policy.com berichtete [3]) gefordert, die deutsche Außen- und Militärpolitik solle sich "in erster Linie" auf das "zunehmend instabil werdende europäische Umfeld von Nordafrika über den Mittleren Osten bis Zentralasien konzentrieren". Nun konstatiert hingegen die DGAP-Expertengruppe: "Der Konfliktbogen, der sich von Osten nach Süden um die EU zieht, hat sich in kürzester Zeit erweitert und intensiviert." Die "Zahl der Krisen, die heute oder in absehbarer Zeit die europäische Lebensweise und Sicherheit in Frage stellen", sei "gestiegen". Zudem stünden "viele Staaten in der unmittelbaren Nachbarschaft der EU ... in immer größerer Abhängigkeit von Russland, China oder auch der Türkei". Dies trifft auf immer mehr Länder Nordafrikas [4], des Nahen Ostens [5] und sogar Südosteuropas [6] zu. "In der Folge gehen Deutschland national und international immer mehr Handlungsspielräume verloren", heißt es in dem Strategiepapier.


Mehr "Bereitschaft zum Risiko"

Die von der DGAP koordinierte Expertengruppe dringt auf "mutige politische Innovationen" und urteilt, die bevorstehenden Koalitionsverhandlungen böten "eine Chance", ihnen "den Weg ... zu bereiten". "Verwundbarkeit" sei "zum Normalzustand geworden", heißt es in dem Strategiepapier; "sektor- und grenzüberschreitende Schocks" würden sich künftig "nicht vermeiden lassen": "Die Grenzen zwischen Krieg und Frieden verwischen." Die Bundesrepublik müsse daher "weg von einer reaktiven ad-hoc-Politik", die darauf bedacht sei, "Schaden einzugrenzen", hin zu einer "proaktiven Politik". Dies bedeute "auch eine Bereitschaft zu geteiltem Risiko und die Fähigkeit, auch unter großer Unsicherheit Entscheidungen zu fällen". Gelingen könne dies allerdings nur, wenn "die gesellschaftliche Akzeptanz dafür gegeben" sei. Deshalb sei es "eine der größten Aufgaben der nächsten Jahre, bei den Bürgerinnen und Bürgern, der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft für eine aktive deutsche Außenpolitik zu werben" und diese dabei "gegen Angriffe" zu verteidigen. "Verteidigt" werden müsse die neue "aktive" Außenpolitik nicht nur gegen "Angriffe von ... außen", heißt es in dem Strategiepapier, sondern auch gegen "Angriffe von innen".


Aktionspläne

Die Expertengruppe hat insgesamt zehn "Aktionspläne" erstellt, in denen sie zentrale Grundlinien für die künftige deutsche Außenpolitik skizziert. german-foreign-policy.com berichtet in Kürze.

 

[1] Zitate hier und im Folgenden: Ideenwerkstatt Deutsche Außenpolitik: Smarte Souveränität. 10 Aktionspläne für die neue Bundesregierung. DGAP Bericht Nr. 16. September 2021.

[2] S. dazu Der AUKUS-Pakt und die Fregatte Bayern.

[3] Neue Macht, neue Verantwortung. Elemente einer deutschen Außen- und Sicherheitspolitik für eine Welt im Umbruch. Ein Papier der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und des German Marshall Fund of the United States (GMF). Berlin, Oktober 2013. S. dazu Die Neuvermessung der deutschen Weltpolitik.

[4] S. dazu Die zweite Berliner Libyen-KonferenzNicht mehr alternativlos und Russische Fahnen in Bamako.

[5] S. dazu Keine Ordnungsmacht.

[6] S. dazu Machtkämpfe um Ost- und Südosteuropa.


Info: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8715



Weiteres: 



SMARTE SOUVERÄNITÄT          10 Aktionspläne für die künftige Bundesregierung


dgap.org, vom September 20, 2021

Wie die neue Bundesregierung Deutschlands und Europas Handlungsfähigkeit stärken und internationale Gestaltungskraft zurückgewinnen kann.
 

Dr. Christian Mölling    /   Prof. Dr. Daniela Schwarzer   /   Prof. Dr. Christian Calliess   /   

Serafine Dinkel   /   Dr. Stefan Heumann   /   Anna-Lena Kirch   /   Dr. Friederike Otto

Dr. Claudia Major   /   Gerald Knaus   /   Dr. Tim Rühlig   /   Dr. Constanze Stelzenmüller

Dr. Kira Vinke   /   Dr. Guntram B. Wolff


13.2 MB application/pdf DGAP Bericht "Smarte Souveränität" - Ideenwerkstatt Außenpolitik


Info: https://dgap.org/en/node/35817

27.09.2021

Geopolitik   Der russische Außenminister Lawrow liest dem Westen vor der UNO die Leviten

anti-spiegel.ru, vom 26. September 2021 03:17 Uhr, von Anti-Spiegel

Bei der UNO-Generalversammlung hat Außenminister Lawrow für Russland gesprochen und seine Rede, in der er in aller Deutlichkeit mit der Politik des Westens abgerechnet hat, ist für jeden politisch Interessierten ein "Leckerbissen".


Zitat: Ich habe erst vor wenigen Tagen in einem ausführlichen Artikel aufgezeigt, was gemeint ist, wenn der Westen in letzter Zeit immer öfter davon spricht, er trete für eine „regelbasierte Weltordnung“ ein. Den Artikel habe ich aufgrund meiner eigenen Erkenntnisse und Analysen geschrieben, ohne zu wissen, dass der russische Außenminister Lawrow das Thema keine zehn Tage später in seiner Rede vor der UNO-Generalversammlung anschneiden würde.

Mir wird gerne vorgeworfen, ich sei ein „Putinist“. Das stimmt nicht, vielmehr ist es so, dass Russland unter Putin eine Politik macht, die fast vollständig meinem Verständnis einer „guten“ Außenpolitik entspricht. Im Scherz sage ich gerne, dass in Wahrheit Putin wohl ein „Röperist“ ist, denn er macht eine Außenpolitik, die ich, Thomas Röper, mir von mehr Staaten wünschen würde.


Die aktuelle Rede von Lawrow vor der UNO zeigt das einmal mehr auf, denn als er nun vor UNO der über die „regelbasierte Weltordnung“ gesprochen hat, da hat er – in Kurzform – exakt das gesagt, was ich ausführlicher in meinem Artikel über die „regelbasierte Weltordnung“ geschrieben, meinen Artikel finden Sie hier.


Da Lawrow in seiner Rede vor der UNO-Generalversammlung in sehr deutlichen Worten die russische Position zu den aktuellen Themen der internationalen Politik aufgezeigt hat, habe ich seine Rede übersetzt.


Beginn der Übersetzung:

Ich freue mich über die Gelegenheit vom Podium der Generalversammlung der Vereinten Nationen zu sprechen. Die Tatsache, dass wir erneut in diesem Saal versammelt sind, symbolisiert die kollektive Entschlossenheit, wieder normale Gespräche zu führen, die seit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie unterbrochen wurden.


Im Grunde haben wir keine andere Wahl: Eine breit angelegte Zusammenarbeit der Vereinten Nationen ist gerade jetzt erforderlich, da die Zahl der Herausforderungen auf der globalen Agenda weiter zunimmt. Das Spektrum der grenzüberschreitenden Bedrohungen wird immer breiter. Zahlreiche regionale Spannungsherde stellen ernsthafte destabilisierende Faktoren dar. Zunehmend wird das Recht des Stärkeren gegen das Recht durchgesetzt. Zwischen den führenden Mächten besteht keine Einigkeit über die Grundsätze der Weltordnung.


Für Russland liegt es auf der Hand, dass den Herausforderungen und Bedrohungen nur durch gemeinsame Anstrengungen unter strikter Einhaltung der allgemein anerkannten Normen des Völkerrechts, insbesondere der Ziele und Grundsätze der UN-Charta, wirksam begegnet werden kann. Die Weltorganisation muss eine zentrale koordinierende Rolle in der Weltpolitik spielen und ihr einzigartiges Potenzial für universellen Multilateralismus und Legitimität voll ausschöpfen.


In letzter Zeit gab es immer wieder Versuche, die Rolle der UNO bei der Bewältigung zentraler Fragen unserer Zeit zu verringern, sie in den Hintergrund zu drängen oder sie in ein gehorsames Instrument zur Förderung der Interessen von irgendwem zu verwandeln. Diese Versuche zeigen sich deutlich an dem Konzept der so genannten „regelbasierten Weltordnung“, das der Westen beharrlich als Gegengewicht zum Völkerrecht in die politischen Prozesse einführt.

Natürlich hat niemand etwas gegen Regeln. Schließlich ist gerade die UN-Charta ja ein Regelwerk. Aber es müssen Regeln sein, die von allen Ländern der Welt beschlossen werden. Ebenso müssen alle neuen Normen, die die zwischenstaatliche Kommunikation regeln, in universellen Plattformen vereinbart werden, allem voran hier in der UNO. Wenn sie von kleinen Gruppen und unter Umgehung der Weltorganisation gemacht werden, können sie keine umfassende Legitimität haben.


Indem der Westen die Diskussionen über die wichtigsten Probleme in für ihn bequeme Formate verlagert, möchte er diejenigen, die einen eigenen, anderen Standpunkt vertreten, aus dem Prozess der Erarbeitung globaler Lösungen ausschließen. Vor nicht allzu langer Zeit haben Deutschland und Frankreich dieser Logik folgend die Schaffung einer „Allianz der Multilateralisten“ angekündigt, wobei man sich fragt, welche andere Organisation multilateraler sein könnte als die UNO? Berlin und Paris waren jedoch der Ansicht, dass es in der UNO viele „Konservative“ gibt, die die Bemühungen der „führenden Avantgarde“ behindern. Sie stellen die Europäische Union als das Ideal eines „effektiven Multilateralismus“ dar und fordern alle anderen auf, ihr nachzueifern.


Ein aktuelles Beispiel ist die Idee der US-Regierung, einen „Gipfel der Demokratien“ einzuberufen. Die Teilnehmer werden natürlich von Washington selbst ausgesucht, das sich das Recht anmaßt, zu bestimmen, inwieweit ein Land demokratische Standards erfüllt. Die Initiative entspricht im Grunde ganz dem Geiste des Kalten Krieges und sie ruft einen neuen ideologischen „Kreuzzug“ gegen alle Andersdenkenden aus. Dabei wird diese Linie vor dem Hintergrund der Erklärung von Präsident Biden umgesetzt, dass die USA die Welt nicht in gegnerische Blöcke aufteilen wollen. In Wirklichkeit ist der „Gipfel der Demokratien“ ein Schritt zur Spaltung der Weltgemeinschaft in „wir und die anderen“.


Es ist auch bezeichnend, dass Washington zwar erklärt, der Demokratie in seinen Beziehungen zu allen Partnern Vorrang einzuräumen, sich aber ausschließlich um die Situation innerhalb von Ländern kümmert. Sobald es um Demokratieförderung in den internationalen Beziehungen geht, verlieren die USA, sowie alle ihre Verbündeten, das Interesse am Gespräch. Nach dem Motto: Niemand kann die Autorität der NATO und der EU antasten. So sind die Regeln.

Präsident Biden hat kürzlich angekündigt, keine militärischen Methoden mehr einzusetzen, um, wie er es ausdrückte, „andere Länder umzubauen“. Wir erwarten, dass die USA den nächsten Schritt tun und nicht nur auf die Anwendung von Gewalt, sondern auch auf alle anderen Methoden zur Durchsetzung ihres Entwicklungsmodells verzichten.


Die „regelbasierte Weltordnung“ basiert auf Doppelmoral. Wenn es dem Westen nützt, wird das Selbstbestimmungsrecht der Völker zum absoluten Wert erhoben. Und dann wird unter Verstoß gegen eine Resolution des UNO-Sicherheitsrats und ohne Referendum das künstlich geschaffenes Gebilde Kosovo als unabhängiger Staat anerkannt, der dem europäischen Staat Serbien gewaltsam entrissen wurde. Niemand stört sich daran, dass die Falklandinseln 12.000 km von Großbritannien entfernt sind und ehemalige Kolonialgebiete immer noch unter der Kontrolle von Paris und London stehen, die trotz der Beschlüsse der UNO und des Internationalen Gerichtshofs niemand in die Freiheit entlässt. Wenn das Selbstbestimmungsrecht den geopolitischen Interessen des Westens widerspricht – wie im Fall der freien Willensäußerung der Bewohner der Krim beim Referendum über die Wiedervereinigung mit Russland im Jahr 2014 -, wird es vergessen und es werden illegale Sanktionen dafür verhängt, dass dieses Recht ausgeübt wurde. Der Grund dafür ist einfach: Die Bewohner der Krim sind vor den Ultra-Radikalen geflohen, die in der Ukraine einen vom Westen unterstützten Staatsstreich verübt hatten. Mit anderen Worten: Die „eigenen Leute“ sind in Kiew an die Macht gekommen, und nach den Regeln des Westens müssen sie geschützt und verteidigt werden.


Im Einklang mit derselben „regelbasierten Weltordnung“ halten die USA das archaische Handelsembargo gegen Kuba aufrecht und versuchen, den Bevölkerungen von Venezuela und Nicaragua ihren Willen zu diktieren – ein eklatanter Verstoß gegen den in der UN-Charta verankerten Grundsatz der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten. Die Anwendung einseitiger Sanktionen untergräbt die Vorrechte des Sicherheitsrates und steht im Widerspruch zu der jüngsten Forderung des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, diese zumindest für die Dauer der Pandemie auszusetzen. (Anm. d. Übers.: Sanktionen, die nicht vom UNO-Sicherheitsrat verhängt werden, sind völkerrechtswidrig, die Details können Sie in diesem Artikel oder direkt in Kapitel VII der UN-Charta nachlesen)

Die Bemühungen einer Reihe von Ländern, die Geschichte des Zweiten Weltkriegs neu zu schreiben, zielen ebenfalls darauf ab, die UNO-zentrierte Weltordnung zu verwischen. Die EU- und NATO-Mitglieder weigern sich, Resolutionen der Generalversammlung über die Unzulässigkeit der Verherrlichung des Nationalsozialismus zu unterstützen und lehnen Vorschläge ab, die Praxis der Zerstörung von Denkmälern für die Befreier Europas von der „braunen Pest“ zu verurteilen. (Anm. d. Übers.: Das ist ein besonders absurder Vorgang, denn tatsächlich weigern sich die Staaten des Westens, inklusive Deutschland, alle Jahre wieder, eine UNO-Resolution zu unterstützen, die sich gegen die Verherrlichung des Nationalsozialismus wendet, Details dazu finden Sie hier)


Die Auferlegung einer „regelbasierten Weltordnung“ anstelle der bedingungslosen Einhaltung des Völkerrechts birgt gefährliche Rückfälle in die Blockpolitik und die Schaffung von Trennlinien zwischen der Gruppe der westlichen Länder und dem Rest der Staaten. Die jüngsten Ereignisse haben jedoch gezeigt, dass auch innerhalb des westlichen Lagers voluntaristische Regeln angewandt werden können, wenn jemand dort zu unabhängig wird. Zumindest haben viele Medien in aller Welt das Epos der U-Boot-Lieferungen an Australien als Reaktion auf das Gerede von „strategischer Autonomie“ in Europa interpretiert, das sich nach dem überstürzten Rückzug der USA aus Afghanistan verstärkt hat. Die chaotische Situation rund um diesen Rückzug ist auch ein Beispiel für die Regeln, auf denen der Westen seine Weltordnung aufbauen möchte.


Wir sind davon überzeugt, dass es an der Zeit ist, Lehren aus den gefährlichen Folgen des Kurses zu ziehen, die UNO-zentrierte Architektur, die am Ende des Zweiten Weltkriegs entstanden ist und immer wieder als zuverlässige Absicherung gegen Katastrophenszenarien gedient hat, zu untergraben. Angesichts der globalen Herausforderungen braucht die Weltgemeinschaft Einigkeit und keine neue Spaltung. Russland befürwortet nachdrücklich die Ablehnung jeglicher Konfrontation und Stereotypen sowie die gemeinsame Bewältigung der zentralen Aufgaben der Entwicklung und des Überlebens der Menschheit. Dafür haben wir ausreichend Instrumente. Vor allem die Vereinten Nationen und ihren Sicherheitsrat, der an die Realitäten einer polyzentrischen Weltordnung angepasst werden muss, indem seine Mitgliederzahl um Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas erweitert wird.


Die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates, die nach der UN-Charta eine besondere Verantwortung gegenüber der Organisation haben, können und sollten den Beginn eines echten kollektiven Handelns anregen. Der russische Präsident Wladimir Putin hat vorgeschlagen, ein Gipfeltreffen der „Großen Fünf“ einzuberufen, um ein ehrliches Gespräch über die Probleme der globalen Stabilität zu führen.


Große Erwartungen sind auch mit den Aussichten auf einen russisch-amerikanischen Dialog über die Zukunft der Rüstungskontrolle verbunden, der auf dem russisch-amerikanischen Gipfel in Genf vereinbart wurde. Wenn guter Wille vorhanden ist, ist es durchaus realistisch, zu für beide Seiten akzeptablen Lösungen zu gelangen. Die ganze Welt schöpfte Hoffnung, als die neue US-Regierung unserem Vorschlag zustimmte, den NEW-START-Vertrag ohne jegliche Bedingungen zu verlängern. Von großer Bedeutung war, dass die Präsidenten Russlands und der Vereinigten Staaten in einer gemeinsamen Erklärung ihr Bekenntnis zu dem Grundsatz bekräftigten, dass es in einem Atomkrieg keine Gewinner geben kann und er niemals entfesselt werden darf.


Auch in anderen Bereichen der strategischen Stabilität ist ein verantwortungsvoller Ansatz erforderlich. Nach dem Ausstieg Washingtons aus dem INF-Vertrag verpflichtete sich Russland einseitig, keine derartigen landgestützten Raketen – ob nuklear oder nicht – in Regionen zu stationieren, in denen keine ähnlichen Systeme aus amerikanischer Produktion stationiert werden. Wir warten weiterhin auf die Reaktion der NATO-Mitglieder auf unseren Vorschlag, auch ein solches Moratorium auszurufen, das – ich betone dies – durch gegenseitige Verifikationsmaßnahmen unterstützt wird. (Anm. d. Übers.: NEW-START-Vertrag und INF-Vertrag sind wichtige atomare Abrüstungsverträge, Details über die nuklearen Abrüstungskonferenz finden Sie hier)


Zu den neuen globalen Herausforderungen und Bedrohungen gehört die Absicht bestimmter Staaten, das Internet zu militarisieren und ein Wettrüsten mit Cyberwaffen zu entfesseln. Russland befürwortet die Koordinierung von Maßnahmen zur Gewährleistung der internationalen Informationssicherheit im Rahmen der Vereinten Nationen. Auch hier sollten nicht irgendwelche „Sonderregeln“ das Kriterium sein, sondern allgemeingültige Vereinbarungen, die eine transparente und faktenbasierte Abwägung aller Belange ermöglichen. Das ist das Ziel unserer Initiativen zur Entwicklung gemeinsamer Normen für ein verantwortungsbewusstes Verhalten der Staaten bei der Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnik und zur Ausarbeitung einer universellen Konvention gegen Cyberkriminalität.


Neben dem digitalen Bereich sehen einige Länder den Weltraum als eine Sphäre der Konfrontation. Wir halten das für eine gefährliche Entwicklung und schlagen ein Verbot der Stationierung jeglicher Art von Waffen im Weltraum sowie der Anwendung von Gewalt oder der Androhung von Gewalt dort vor. Der russisch-chinesische Entwurf eines entsprechenden Abkommens liegt weiterhin auf dem Verhandlungstisch der Abrüstungskonferenz.

Russland hat auch immer wieder Initiativen zu anderen Problemen vorgelegt, die solidarisches Handeln erfordern.


Heute, zwanzig Jahre nach den schrecklichen und brutalen Terroranschlägen in New York, ist der Aufruf des russischen Präsidenten Wladimir Putin zur Bildung einer breiten Antiterrorkoalition auf der Grundlage des Völkerrechts, die nicht mit zweierlei Maß misst, aktueller denn je. Wir erwarten eine Reaktion auf die russische Initiative zur Ausarbeitung eines Übereinkommens über die Bekämpfung des chemischen und biologischen Terrorismus.


Nur auf der Grundlage des Völkerrechts und unter Einbeziehung aller betroffenen Parteien und unter Berücksichtigung ihrer Interessen können Fortschritte bei der Beilegung regionaler Konflikte erzielt werden. In Afghanistan, Syrien, Libyen, Jemen und anderen Krisenherden müssen alle externen Akteure die kulturellen und zivilisatorischen Besonderheiten der Gesellschaften verstehen, von einer Politisierung humanitärer Hilfe absehen und die Bildung von breit repräsentativen Regierungen unterstützen, in denen alle wichtigen ethnischen, religiösen und politischen Kräfte der betreffenden Länder vertreten sind. Auf der Grundlage dieses Konzepts beteiligt sich Russland im Rahmen der „erweiterten Troika“ und des „Moskauer Formats“ konstruktiv an der Förderung einer Lösung für Afghanistan, trägt im Rahmen des „Astana-Prozesses“ zur Stabilisierung der Lage in Syrien bei und arbeitet mit allen libyschen Parteien an der Umsetzung politischer Reformen.


Die Prozesse im Nahen Osten sollten nicht die Aufgabe überschatten, eine nachhaltige palästinensisch-israelische Lösung auf einer allgemein anerkannten internationalen Rechtsgrundlage zu erreichen, die die Schaffung eines unabhängigen, lebensfähigen palästinensischen Staates voraussetzt, der in Frieden mit Israel koexistiert. Wir sind für die Wiederaufnahme direkter Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern und für die Aktivierung der Rolle des Quartetts internationaler Vermittler in Abstimmung mit der Liga der Arabischen Staaten.


Russland wird weiterhin zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Iran und seinen arabischen Nachbarn beitragen. Gemeinsam mit unseren Partnern streben wir eine baldige Wiederaufnahme der vollständigen Umsetzung des Gemeinsamen Umfassenden Aktionsplans an, um die Situation im Zusammenhang mit dem iranischen Atomprogramm zu lösen. Die langfristige Stabilisierung der gesamten Region erfordert einen umfassenden Ansatz. Das ist das Ziel des aktualisierten russischen Konzepts für kollektive Sicherheit im Persischen Golf, das kürzlich als Dokument an den UN-Sicherheitsrat und die UN-Generalversammlung weitergeleitet wurde.


Bei der Suche nach Wegen zur Überwindung regionaler Krisen sind wir bereit, die einzigartigen Erfahrungen Russlands mit der friedlichen Koexistenz verschiedener Zivilisationen, Religionen und Kulturen zu teilen. Wir erwarten von der Weltkonferenz zum interkulturellen und interreligiösen Dialog, die vom 16. bis 18. Mai 2022 in St. Petersburg stattfinden wird und von UN-Generalsekretär Guterres und der Führung der Interparlamentarischen Union unterstützt wird, greifbare praktische Ergebnisse.


Die Bedeutung der humanitären, sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Dimensionen der Vereinten Nationen wächst heute um ein Vielfaches. Es ist wichtig, der Versuchung zu widerstehen, auch diese zum Gegenstand geopolitischer Spiele und unlauteren Wettbewerbs zu machen.


COVID-19 ist unser gemeinsamer Feind. Wir unterstützen die gegenseitige Anerkennung der von den nationalen Regulierungsbehörden zugelassenen Impfstoffe, um die Beschränkungen für internationale Reisen der Menschen so schnell wie möglich aufzuheben.


Es ist von grundlegender Bedeutung, dass die Bemühungen für die Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung nicht nachlassen. Wir sind zuversichtlich, dass die Beschlüsse des jüngsten UN-Gipfels für Ernährungssysteme zur Verwirklichung beitragen werden.

Wir sind für eine Stärkung der zentralen Rolle der UNO bei der Gestaltung der Umweltagenda auf der Grundlage der Gleichberechtigung und der Achtung der gegenseitigen Interessen, einschließlich der Berücksichtigung der sozioökonomischen Realitäten. Andernfalls wird es schwierig sein, alle Staaten zu mobilisieren, um die globalen Klimaziele zu erreichen.


In allen Strukturen, die Einfluss auf die Wirksamkeit der Global Governance haben, sollte ein Interessenausgleich angestrebt werden, wobei das Potenzial integrativer Zusammenschlüsse wie der G20, der sowohl „alte“ als auch „neue“ dynamische globale Zentren wie die BRICS und ihre gleichgesinnten Mitglieder umfasst, optimal genutzt werden sollte. Die globale Entwicklungsinitiative des chinesischen Präsidenten Xi Jinping, die mit unseren Ansätzen übereinstimmt, haben wir mit Interesse aufgenommen.


Russland und seine Verbündeten und Partner unterstützen die Stärkung sich gegenseitig ergänzender Netzwerkallianzen durch die Entwicklung von Integrationsprozessen innerhalb der GUS, der Eurasischen Wirtschaftsunion, der Organisation für kollektive Sicherheit und der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit. Die Initiative des russischen Präsidenten Wladimir Putin zur Bildung einer größeren eurasischen Partnerschaft unter Einbeziehung der ASEAN, die eine zentrale Rolle bei der Festlegung von Verhaltensnormen in der asiatisch-pazifischen Region spielt, trägt dazu einen erheblichen positiven Beitrag bei.


Insgesamt wird die regionale Dimension der Entwicklung der Welt immer wichtiger. Vieles hängt davon ab, ob wir die wachsende regionale Rivalität in eine konstruktive Richtung lenken können. Wer ist wichtiger: Europa oder Asien? Der Pazifik oder der Indische Ozean? Wird es eine „Lateinamerikanische Europäische Union“ geben? Warum soll Afrika zum Schauplatz von Konfrontation werden?


Die UN-Charta enthält das Kapitel VIII, das die Beziehungen zu regionalen Organisationen regelt. Auf dieser Grundlage beruft der Generalsekretär diese Organisationen jährlich zu einem Meinungsaustausch über die Weltpolitik ein. Wir sind der Meinung, dass es sinnvoll ist, dieses Format einen Schritt weiterzuentwickeln und es zu nutzen, um Vorschläge für die Harmonisierung regionaler Bestrebungen zu machen, um die globale Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit zu maximieren.


Wir sitzen alle im gleichen Boot. Es liegt in unserem gemeinsamen Interesse, dass es fest auf den Wellen der Weltpolitik verankert ist. Wir sind verschieden, aber das darf uns nicht daran hindern, uns für das Wohl unserer Völker und der Menschheit einzusetzen. Nur so können wir die edle Aufgabe der Vereinten Nationen erfüllen, nämlich die jetzigen und künftigen Generationen vor Krieg, Krankheit und Hunger zu schützen und eine friedlichere, stabilere und demokratischere Zukunft für alle aufzubauen.


Abschließend schlage ich den Hashtag „DieUNO-ChartaIstUnserRecht“ vor.

Ende der Übersetzung


Info: https://www.anti-spiegel.ru/2021/der-russische-aussenminister-lawrow-liest-dem-westen-vor-der-uno-die-leviten



Weiteres: 



"Afrika unser Platz"? Lawrow kritisiert EU-Diplomatie in Debatte um russische Söldner in Mali


de.rt.com, vom 26 Sep. 2021 10:04 Uhr

Sergei Lawrow hat jede Beteiligung der russischen Regierung an einer Kooperation zwischen einer privaten Militärfirma aus Russland und der malischen Regierung zurückgewiesen. Zugleich kritisierte der Außenminister die EU-Außenpolitik hinsichtlich der Terrorbekämpfung in der Sahelzone.


Zitat: Der russische Außenminister Sergei Lawrow hat sich am 26. September auf einem Pressebriefing am Rande der UN-Generalversammlung in New York zu russischen Söldnern in Mali geäußert.

Auf die entsprechende Frage des RT-Korrespondenten Caleb Maupin antwortete der Diplomat, dass die russische Regierung mit einer Kontaktaufnahme der Regierung in Bamako zu einer privaten Militärfirma aus Russland nichts zu tun habe.


Die Führung des westafrikanischen Landes habe in ihrem Kampf gegen den Terrorismus das Militärunternehmen um Hilfe gebeten, da Frankreich vorhabe, sein militärisches Kontingent in Mali erheblich zu kürzen.

"Diese Tätigkeit ist legal und betrifft das Verhältnis zwischen dem Empfänger – in diesem Fall ist das eine legitime Übergangsregierung, die von allen als solche anerkannt wird – und denjenigen, die Dienstleistungen ausländischer Fachkräfte anbieten."

In Frankreich und anderen westlichen Ländern hatten zuletzt Berichte über einen möglichen Einsatz der Söldnerfirma Gruppe Wagner in Mali große Besorgnis ausgelöst. Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian kündigte am Freitag bei einem Treffen mit seinem russischen Amtskollegen Konsequenzen für Russland an, sollte die Gruppe Wagner in Mali ihre Tätigkeit entfalten.


Zugleich warnte der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Josep Borrell den malischen Außenminister Abdoulaye Diop vor unverzüglichen Auswirkungen einer Präsenz der Gruppe Wagner im westafrikanischen Land auf das bilaterale Verhältnis mit der EU.


Der malische Premierminister Shoguel Kokalla Maiga erklärte, sein Land fühle sich von Frankreich im Stich gelassen, weshalb die Behörden nach anderer militärischer Unterstützung suchen und sich an ein privates russisches Militärunternehmen gewandt haben. In seiner Rede vor der UN-Generalversammlung sagte er:

"Die neue Situation, die durch das Ende der Operation Barkhan entstanden ist, stellt Mali vor vollendete Tatsachen: Wir sind gewissermaßen auf halber Strecke im Stich gelassen worden. Dies zwingt uns, Mittel und Wege zu erkunden, wie wir unsere Sicherheit allein oder mit anderen Partnern besser gewährleisten können."

Zwar erwähnte Lawrow in seiner Antwort auf die Frage des RT-Journalisten den Namen der Militärfirma nicht. Der russische Chefdiplomat gab aber zugleich die Einzelheiten seines Gesprächs mit Borrell am Rande der 76. UN-Generalversammlung bekannt und kritisierte scharf die EU-Außenpolitik hinsichtlich der Terrorbekämpfung in der Sahelzone.

"Josep Borrell sagte mir: 'Sie sollten lieber gar nicht in Afrika tätig sein, weil Afrika unser Platz ist.' Genau so sagte er es mir."

Lawrow teilte mit, es wäre besser, die Handlungen Brüssels und Moskaus bei der Terrorbekämpfung miteinander abzustimmen. Die Position der EU mit dem Motto "Ich bin hier der Erste, deswegen müssen Sie weggehen" beleidige die Regierung in Bamako, die ausländische Partner eingeladen habe. In einem solchen Ton dürfe man mit niemandem reden.


In der Sahelzone, die sich südlich der Sahara vom Atlantik bis zum Roten Meer erstreckt, sind etliche bewaffnete Gruppen aktiv. Einige haben den Terrorgruppen "Islamischer Staat" und al-Qaida die Treue geschworen. Die frühere Kolonialmacht Frankreich führt in Westafrika mit bis zu 5.100 Soldaten einen Kampfeinsatz mit dem Namen "Barkhane" gegen Islamistenmilizen.


Mit einer Neuausrichtung seiner Militärpräsenz will Frankreich die Truppenstärke langfristig auf 2.500 bis 3.000 Kräfte reduzieren. In Mali läuft auch die UN-Mission MINUSMA zur Stabilisierung des Landes. Daran sind unter anderem etwa 900 Männer und Frauen aus Deutschland beteiligt. Rund 300 deutsche Soldaten sind zudem für die seit dem Jahr 2013 laufende EU-Ausbildungsmission EUTM im Land.


Trotz der internationalen Militärhilfe haben die bewaffneten Gruppen in den vergangenen Jahren ihre Aktionsbereiche in Mali ausgebaut. Die nach einem Putsch installierte Übergangsregierung erwägt deshalb das Engagement der Gruppe Wagner, was auf heftige Kritik der westlichen Partnerstaaten stößt.


Das Militärunternehmen aus Russland ist in den letzten Jahren wegen seiner Einsätze in Syrien und in einigen anderen afrikanischen Ländern immer wieder in die Schlagzeilen geraten. Dort sind jedoch nicht nur russische Söldner tätig. Die USA und Großbritannien stellen mitunter private Militärunternehmen wie Academi, Aegis und G4S unter Vertrag.



Mehr zum Thema - Neue Geldquelle: Blackwater-Gründer Prince verdient fürstlich an Evakuierung aus Afghanistan


Info: https://de.rt.com/international/124671-aussenminister-sergei-lawrow-aeussert-sich-zu-russischen-soeldnern-in-mali



Weitere: 



Russische Söldner    Lawrow bestätigt Mali-Kontakt zu Militärfirma


tagesschau.de, vom 25.09.2021 21:54 Uhr

Vor mehr als zehn Tagen gab es erstmals Berichte über einen möglichen Einsatz russischer Söldner in Mali. Nun hat Außenminister Lawrow den Kontakt zu einer Militärfirma bestätigt. Ob es sich um die Gruppe Wagner handelt, ist unklar.


Zitat: Russlands Außenminister Sergej Lawrow hat eine Kontaktaufnahme der Behörden im westafrikanischen Mali zu einem privaten russischen Militärunternehmen bestätigt. "Sie haben sich an eine private Militärfirma aus Russland gewandt", sagte Lawrow bei einer Pressekonferenz am Rande der UN-Vollversammlung in New York. "So, wie ich das verstehe, im Zusammenhang damit, dass Frankreich sein militärisches Kontingent erheblich kürzen möchte, das sich dort aufhielt und (...) Terroristen bekämpfen sollte."


Name Wagner fällt nicht direkt

Lawrow betonte dabei, dass er bei der Sache keine Verantwortung für die russische Regierung sehe: "Damit haben wir nichts zu tun. Dies sind kommerzielle Verträge zwischen einer anerkannten, legitimen Regierung und denen, die ausländische Militärhilfe leisten." Lawrow nannte den Namen Wagner dabei nicht direkt. In Frankreich und anderen westlichen Ländern hatten zuletzt Berichte über einen möglichen Einsatz der Söldnerfirma Wagner in Mali große Besorgnis ausgelöst. In Deutschland mehrten sich die Stimmen, in einem solchen Fall den Bundeswehreinsatz in dem afrikanischen Krisenstaat zu überprüfen.


  • ANALYSE17.09.2021 Söldner in Mali  Was will Russland in Afrika? Die Regierung des Krisenlandes Mali möchte angeblich russische Söldner anheuern.


00:24 MinRusslands Außenminister bestätigt Kontaktaufnahme von Mali an russische Söldnertagesschau 04:50 Uhr, 26.9.2021  Malis Regierung hatte vor rund einer Woche erklärt, dass es sich bei den angeblichen Plänen, Wagner anzuheuern, lediglich um Gerüchte handele. Nach Informationen aus der Hauptstadt Bamako soll es der durch einen Putsch an die Macht gekommenen Führung vor allem um den eigenen Personenschutz gehen. An der UN-Mission Minusma zur Stabilisierung Malis sind etwa 900 Männer und Frauen aus Deutschland beteiligt. Rund 300 deutsche Soldaten sind zudem für die seit 2013 laufenden EU-Ausbildungsmission EUTM im Land.


Info: https://www.tagesschau.de/ausland/militaerfirma-mali-101.html

26.09.2021

           -  zur Diskussion über die Widersprüche - bitte weiterleiten  -

                Kriegsparteien sind nicht wählbar, weil sie eine Gefahr für den Frieden sind!


Wer eine Zukunft ohne Krieg und ohne Wettrüsten will, muss andere als die etablierten Parteien wählen. Denn diese sind immer mehr zum Selbstbedienungsobjekt von Macht- und Geldgierigen geworden, die zwar viel versprechen aber  a l l e  Lehren aus zwei Weltkriegen vergessen haben.


Nicht nur der erste deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer, der stolz darauf war nie Soldat gewesen zu sein, gelobte alles zu tun um das Zeitalter der Gewalt zu beenden. Auch Millionen Bürger*innen haben kein Militär und keinen Krieg immer wieder versprochen bekommen aber konnten das nie durch Wahlen realisieren. 


                                                          Anders zu wählen ist möglich. 


Heute, nachdem unzählige Milliarden für Rüstung und Militär ausgegeben worden sind, wird immer noch weiter gerüstet. Obwohl zwanzig Jahre erfolgloser Krieg in Afghanistan und anderen Ländern zeigen, wie sinnlos sogar moderne Kriege sind. Gegenwärtig sind alle im Bundestag vertretenen Parteien zur Rückbesinnung auf unsere Nachkriegsgelöbnisse nicht bereit. Sondern haben lt. isw (sozial-ökologisches Wirtschaftsinstitut e.V.) in 2020 unglaubliche  5 2 , 8  M i l l i a r d e n  D o l l a r  für Rüstung ausgegeben, statt dafür Corona-Luftreinigungsgeräte anzuschaffen. https://www.isw-muenchen.de/2021/05/welt-militaerausgaben-2020-welt-im-waffen-wahn/?output=pdf


Zwar haben die Grünen noch 1990 Parteitage mit dem Motto "BRD braucht keine Armee" abgehalten und waren fast soweit die Umwandlung Deutschlands in einem entmilitarisierten Staat zu fordern, doch weder von ihnen noch aus der Friedensbewegung heraus wurde die bedeutsame Forderung auch von Professor Andrej Sacharow aufgegriffen, der vorschlug West-Europa zu entmilitarisieren, ähnlich wie es auch Ex-Natogeneral Schmückle 1990 im Nachrich-tenmagazin SPIEGEL tat. 

Stattdessen haben die Grünen 1999 als sie in Regierungsmitverantwortung waren dem später für völkerrechtswidrig  erklärten Nato-Krieg im Kosovo an der Seite der SPD zugestimmt. Ebenso haben diese der deutschen Beteiligung am Afghanistankrieg zugestimmt und deshalb auch die verheerenden Folgen mit zu verantworten. (s. Die Ära der Straflosigkeit https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8687)

Es ist an der Zeit daran zu erinnern und jetzt zu widersprechen, wo auch die Grünen in us-politischer Gefolgschaft die militärische Konfrontation zu Russland und zu China gutheißen.


Die verheerenden Ergebnisse zwanzigjähriger Besatzung und des Krieges in Afghanistan sind  der Beweis für die Unfähigkeit auch der deutschen Regierung und ihrer derzeitigen Pseudo-Opposition, neben ihren zunehmend undemokratischen wie kriminellen Corona-Widersprüchen und Überwachungsabsichten, eine verantwortungsvolle Politik für die Zukunft zu machen. 

Rüstungskonzern Thales erläutert strategischen Zweck der Impfprivilegien und -pässe, von Dr. Norbert Häring. https://www.cashkurs.com/hintergrundinfos/beitrag/ruestungskonzern-thales-erlaeutert-strategischen-zweck-der-impfprivilegien-und-paesse 


                    Nur Kooperation statt Konfrontation ist eine Garantie für den Frieden. 


Nach Afghanistan haben wir jetzt erneut die Chance Lehren daraus und aus zwei Weltkriegen zu ziehen um  politische Parteien abzuwählen, die weiter auf militärische Konfrontation setzen, statt den "kompletten" Austritt Deutschlands aus den politisch/militärischen Strukturen aller Militärbündnisse zu fordern und das Truppenstatut aufzukündigen.


Nach den illegalen Finanzgeschäften der Bundesregierung, wie den Cum-Ex-Geschäften 55,2 Mrd., Wirecard 1,9 Mrd. Luftbuchungen, Mautskandal 1 Mrd. nicht zuvor bewilligt, vertuschten Beraterverträgen des  Verteidigungsministerium (BWI) Rahmenvertrag für 4 Jahre über 390 Millionen Euro sowie Fehleinschätzungen zu Corona-Impfstoffen und die Demokratie einschrän-kenden Maßnahmen: 

Die Uni-Duisburg-Essen hat rund 190.000 PCR-Tests ausgewertet. Die Ergebnisse allein sind un-geeignet als Grund für Pandemiemaßnahmen. https://www.presseportal.de/pm/62259/4945425

Im Gegensatz zu den Lügen der Pharmaindustrie belegen die Zahlen des Statistischen Bundes-amtes, wie die Studien der Universität, dass es keine pandemiebedingte Übersterblichkeit gibt.

 

Diese Politik darf nicht fortgesetzt werden, diese Parteien dürfen an keiner neuen Regierung beteiligt sein!


Nur mit Volksentscheiden auf allen Ebenen und mit mehr Direktkandidat*innen, kommen wir in die Lage eine zukunftsfähigere Politik zu gestalten, statt immer wieder an Fraktionszwängen zu scheitern.


V.i.S.d.P. Initiative Kein Militär mehr! - Westfälische Friedensinitiative, Hannover - Münster/Westf.

                 web https://www.kein-militaer-mehr.de/10/aktuelles.html  e-mail libertom@htp-tel.de
25.09.2021

ECONOMISTS FOR FUTURE       Die Moral der Bürokratie

makronom.de, 20. SEPTEMBER 2021, FELICITAS SOMMERENERGIE & UMWELT UNGLEICHHEIT

Wie der Staat Landeigentumsverhältnisse (über)sieht. Ein Beitrag von Felicitas Sommer.


Zitat: Was folgt aus der Klimakrise für unsere Wirtschaft(sweisen) und das Denken darüber? 

Im Angesicht der Fridays-for-Future-Proteste hat sich aus dem Netzwerk Plurale Ökonomik eine neue Initiative herausgebildet: Economists for Future. Mit der gleichnamigen Debattenreihe werden zentrale Fragen einer zukunftsfähigen Wirtschaft in den Fokus gerückt. Im Zentrum stehen nicht nur kritische Auseinandersetzungen mit dem Status Quo der Wirtschaftswissen-schaften, sondern auch mögliche Wege und angemessene Antworten auf die dringlichen Herausforderungen. Dabei werden verschiedene Orientierungspunkte für einen tiefgreifenden Strukturwandels diskutiert. 


Wöchentlich erscheint wieder ein ausgewählter Beitrag, der sich kritisch-konstruktiv mit aktuellen Leerstellen und Herausforderungen in der Ökonomik und Wirtschaftspolitik auseinandersetzt. Die dritte Runde legt ihren Schwerpunkt auf Themen für die anstehende Bundestagswahl im September. Hierzu werden unterschiedliche Aspekte und Maßnahmen für eine sozial-ökologische 1,5-Grad-Politik beleuchtet. 


Alle Beiträge, die bisher im Rahmen der Economists-for-Future-Serie erschienen sind, finden Sie hier.



An landwirtschaftlichen Böden wird die Verbindung zwischen Klimawandel und den weiteren globalen Sozial- und Umweltkrisen besonders deutlich. Aktuell treiben Tierhaltung, Land- und Forstwirtschaft den Klimawandel nicht nur mit an, sondern zerstören gleichzeitig die Anpassungsfähigkeit der Ökosysteme, z.B. durch Absinken des Grundwasserspiegels aufgrund von hohem Wasserbedarf, Artensterben durch Monokulturen und Pestizideinsatz und Bodendegradation. Böden und Ökosysteme verlieren dadurch ihre Fähigkeit zur CO2-Aufnahme, erodieren, trocknen aus oder sind brandgefährdet. Nicht nur, um die Kettenreaktion geschädigter Ökosysteme zu bedenken und einzudämmen, braucht es eine stärkere integrierte und kohärente Klima- und Biodiversitätsgovernance.


Viele Klimaszenarien und -maßnahmen sind aktuell „bodenlos“ gedacht: Sie basieren auf der Idee, dass Treibhausgase überall kompensiert werden können. Doch die Windräder, Solaranlagen und Energiepflanzen sowie Wälder für Kompensationsmaßnahmen brauchen Fläche. Und diese ist schlecht kompensierbar. Einige Szenarien des Weltklimarats (IPCC) stehen in der Kritik, da die zugrundeliegenden Modelle von einer Flächenkapazität für CO2-Senken ausgehen, die die vorhandenen Flächen weit überschreitet. Bisher wurde auch der Flächenbedarf der angekündigten freiwilligen CO2-Kompensationsmaßnahmen nicht zusammengerechnet, davon abgesehen, dass diese bisweilen sogar von mehreren Akteuren gleichzeitig beansprucht wird. Solange der Flächenbedarf von Kompensationsmaßnahmen nicht analysiert wird, ist zu befürchten, dass wir eine weitere Erde allein für die Klimaneutralitätsversprechen von Konzernen bräuchten.


Mit dem Emissionshandel wurde ein neues Eigentum(sregime) „aus der Luft“ geschaffen. Das Eigentum an Boden dagegen kann nicht neu „geschaffen“ werden und seine Verteilung hat bereits eine lange Geschichte der Eigentums- und Nutzungskonflikte hinter sich. Sowohl Klimawandel als auch Klima- und Biodiversitätspolitik werden diese Konflikte voraussichtlich noch verstärken. In der Landwirtschaft muss Klima- und Biodiversitätsschutz daher auch mit sozialer Gerechtigkeit zusammengedacht werden. Der Zugang zu Land und zur sicheren (Selbst)Versorgung mit Nahrungsmitteln muss besonders für ärmere Gruppen sichergestellt werden, um die Verschärfung von Hunger, Konflikten und Vertreibung als soziale Kettenreaktionen des Klimawandels einzudämmen.


Ich möchte daher nicht wie gewöhnlich die Rolle der Landnutzer*innen und die EU-Agrarpolitik ins Visier nehmen, sondern die Bedeutung von Landeigentum für die sozial-ökologische Transformation hervorheben. Während etwa der Weltklimarat besonders die Bedeutung sicherer Landrechte für eine wirksame Klimagovernance betont, argumentiere ich, dass Eigentumsregime auch transparent und verhandelbar sein müssen.


Die implizierte "Klimagovernance" des Landeigentums


Mit zunehmenden Umweltkatastrophen und -konflikten wird deutlich, dass auf einem Grundstück viele Gemeingüter miteinander verbunden sind (und interagieren), wie beispielsweise Biodiversität, Stoffkreisläufe, CO2-Senken und (Grund)Wasser. Aktuell kommen weder Regulierung noch Marktinstrumente hinterher, diese überlebenswichtigen Gemeingüter der freien Verfügung der Grundstückseigentümer*innen zu entziehen, um ökologische Tragödien zu verhindern. Gerade zu viel Privateigentum an Land – verstanden als Kern der freien Verfügung – führt so dazu, dass aus jeder neuen Übernutzung eines Gutes auf dieser Fläche eine Kettenreaktion an neuen Zertifikaten und Regulierungen entstehen müsste, um die Privateigentümer (und die Gesellschaft) vor ihrem eigenen Handeln zu schützen.


                   Registrieren heißt nicht nur, etwas in ein Verzeichnis aufzunehmen, 

                                                    sondern etwas wahrzunehmen


Land und Wald oszillieren in der öffentlichen Wahrnehmung zwischen Gemeingut und Privateigentum: Wenn der Wald brennt und vertrocknet, ist er Gemeingut. Wenn es um Förderprogramme und CO2-Zertifikate geht, wird Land- oder Waldeigentum oft als eine „Leistung“ betrachtet, die Eigentümer*innen vergütet bekommen wollen. Gleichzeitig profitieren diese von der Bodenrente ohne eigene Leistung, ohne die unsichtbare Reproduktionsarbeit der Ökosysteme zu schützen. Ganz im Gegenteil schränken die weiter steigenden Pacht- und Bodenpreise die finanziellen Spielräume für eine nachhaltige Landnutzung gerade noch mehr ein – bei gleichbleibender niedriger Grundsteuer A für die Eigentümer*innen.


Inwiefern mit Landeigentum nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten und Verantwortung einhergehen sollten, wird viel zu selten debattiert. Landeigentümer*innen nutzen ihre Verfügungsrechte bisher kaum, um Nachhaltigkeitsanforderungen an die Landnutzung zu binden. Dies hat bereits zu Kritik gegenüber der Verpachtungspraxis von Kirchen und öffentlichen Institutionen geführt, deren Auftrag für das Gemeinwohl auch eine nachhaltige Flächenvergabe beinhalten sollte. Ein Bürgerbündnis hat beispielsweise für die Flächen der Stadt Greifswald erfolgreich eine an sozial-ökologische Kriterien gebundene Flächenverpachtung angestoßen.


Was ist Landeigentum?


Neue Gesetze und Verwaltungsstrategien, wie z.B. die Flächenvergabe durch Kriterien, konkretisieren sich in bürokratischen Strukturen. Wir reden viel über Digitalisierung, aber beschäftigen uns wenig mit der Bedeutung der Informationsinfrastrukturen, die sie transformieren soll. Auch Landeigentum ist nicht der Boden selbst, sondern die bürokratischen Artefakte in einer Datenbank, welche nach bestimmten Mechanismen abgerufen und verändert werden. Sie verlinken normative Vorstellungen und politische Ziele mit konkreten Maßnahmen und Adressaten. Registrieren heißt nicht nur, etwas in ein Verzeichnis aufzunehmen, sondern etwas wahrzunehmen: Register codieren Wertvorstellungen in die Praktiken und Wahrnehmung des Staates hinein.


Trotz des sozial-demokratischen Leitbilds einer „breiten Streuung von Grund und Boden“ für eine freiheitliche Gesellschaftsordnung und des grundgesetzlich verankerten Rechtsbegriffs der „gesunden Agrarstrukturen” haben wir praktisch kein systematisches, empirisches Wissen darüber. Die aktuellen Konflikte um das Land – sei es „Wir haben es Satt”, „Rettet die Bienen” oder aber um Land Grabbing und Höfesterben – zeigen, dass sich auf Basis der bestehenden Repräsentationen des ländlichen Raums keine Lösungen für die sozialen und ökologischen Probleme entwickeln lassen. Deswegen wurden in den letzten zwei Jahren Forschungsprojekte angestoßen, welche Landeigentumsverhältnisse und Marktmacht auf den Bodenmärkten erstmalig in der Bundesrepublik erheben.


Wissens- und Kommunikationsinfrastrukturen werden oft erst sichtbar, wenn sie versagen. Das wurde auch bei der letzten Hochwasserkatastrophe sehr deutlich. Auch die gesteigerte Aufmerksamkeit für Eigentumsverhältnisse zeigt: Agrar- und Bodenmarktpolitik basieren mit Blick auf das Eigentum an Betrieben und Land auf Dateninfrastrukturen, die diese Realität gar nicht wahrnehmen können. Ihre Kategorien und Ordnungssysteme als Grundlage für die Durchführung von Ordnungsmaßnahmen sind nicht auf komplexe Unternehmensverflechtungen und die Erfassung von Vermögenskonzentration ausgelegt.


Zur Zeit könnte selbst mit hohem finanziellen, technischen und organisatorischen Aufwand nur unzureichend bestimmt werden, wie viele Flächen verpachtet oder von Auftragsfirmen bestellt werden, in welche globalen Unternehmensverflechtungen und finanzielle Kontrollbeziehungen Agrarbetriebe eingebettet sind und wer die ultimativen Eigentümer*innen von im Grundbuch eingetragenen Unternehmen oder Gesellschaften sind. Durch die erstmalige Bodeneigentumserhebung des Thünen-Instituts in 59 Gemeinden in Deutschland wissen wir zumindest: Selbst in Westdeutschland gehört der größte Teil der Flächen Nicht-Landwirt*innen, also beispielsweise Körperschaften, Kirchen, Stiftungen, verstreuten Privatpersonen, ehemaligen Landwirten, Erben(gemeinschaften), Adelsfamilien und Investoren.


Aufgrund einer EU-Verordnung wurden dieses Jahr erstmalig auch die Zugehörigkeit von Betrieben zu Unternehmensgruppen in die bundesweite Agrarstrukturerhebung aufgenommen. Davor wurden lediglich landwirtschaftliche Einzelbetriebe gezählt – selbst wenn hunderte davon einem einzigen Konzern gehören. Seit letztem Monat wissen wir daher: Mehr als 1,7 Millionen Hektar von 16 Millionen landwirtschaftlicher Gesamtfläche in Deutschland werden von Unternehmensgruppen mit mehr als 500 Hektar pro Unternehmen bewirtschaftet. Auf einer Fläche von einer Millionen Hektar bewirtschaften Unternehmensgruppen laut Destatis jeweils mehr als 2.000 Hektar. In Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen und Thüringen sind mehr als 30% in Besitz von Unternehmensgruppen. Nach einer Fallstudie des Thünen-Instituts von 2017 lag dabei der Anteil überregionaler Investoren in landwirtschaftlichen Betrieben in Ostdeutschland bei 25%, davon 12% außerlandwirtschaftlich.


Die Obskurität von Landeigentumsstrukturen


Auch wenn man mit den ausgedruckten Statistiken des Statistischen Bundesamtes wohl die Fläche der Bundesrepublik tapezieren könnte, wissen wir also praktisch nichts über die Eigentumsstrukturen von Land. Nicht, weil Daten über Landeigentümer unter Verschluss sind. Es ist die technische, juristische und organisatorische Ausrichtung der staatlichen Datensysteme, in die die Vorstellung von Landeigentum als lokal und familiär eingebettete Fläche im Eigentum natürlicher Personen eingeschrieben sind. In diesem Bild hallt das Versprechen der Aufklärung von Freiheit und Privatsphäre des Individuums wider. Dieses ist älter als unser heutiges Bewusstsein der ökologischen (und sozialen) Probleme und auch als das Grundgesetz, welches Eigentum verpflichtet und im Rahmen der Gesetze gültig macht.


Das Grundbuch wird oft als Spiegel der Grundstücksrechte bezeichnet. Aber es ist vor allem der Spiegel eines „besitzindividualistischen“ Konzeptes von Eigentum – die Idee, welche aus globalem Boden eine isolierbare Sache macht: die Privatsphäre eines einzelnen Individuums. Laut § 12 der Grundbuchordnung ist der Zugang zu Eigentümerinformationen daher beschränkt, weil das Grundbuch sensible persönliche Informationen enthält. Dies wurde im 19. Jahrhundert besonders vom preußischen Adel gefordert. Würde die Regel tatsächlich nur für die natürlichen Personen gelten, die auf ihrem Grundstück leben oder arbeiten, nicht aber für die Konzerne und Anleger, dann müsste man den größten Teil des Grundbuches wahrscheinlich problemlos einsehen können.


                  Die Privatsphäre von Vermögen ist in Deutschland weitaus besser geschützt 

                                                             als die einzelner Bürger*innen


Während diese rechtliche Hürde für den Zugang zu Eigentümerinformationen an einem einzigen Grundstück überwindbar ist, sind die technisch konfigurierten Einschränkungen für die Erhebung von Vermögensverhältnissen weitaus größer: Denn das Landvermögen einer Person oder eines Unternehmens ist im Ordnungssystem jedes einzelnen Grundbuch eines Bezirkes in isolierte Grundstücke aufgesplittert. Somit sind deren Eigentümer nicht eindeutig identifizierbar und damit zusammenführbar. Auch zum Handelsregister, in dem durchaus persönliche Informationen von Anteilseignern von Unternehmen veröffentlicht sind, gibt es keine Verknüpfung (z.B. durch Identifikatoren). Somit lassen sich die ultimativen Eigentümer eines im Grundbuch eingetragenen Unternehmens nicht eindeutig zuordnen. Während die Bürger-ID kommt, hat der Eigentümer im Grundbuch keine ID. Die Privatsphäre von Vermögen ist also weitaus besser geschützt als die  einzelner Bürger*innen.


Auch in der Agrar- und Bodenmarktpolitik steht weiterhin der (familiengeführte) Einzelbetrieb im Fokus. Dies führt häufig nicht zu seinem Schutz, sondern zu Gesetzeslücken für Großkonzerne. Grund- und Betriebseigentum werden in solchen Fällen als ein Wirtschafts- und Lebensraum von Privatpersonen behandelt, selbst wenn das bei einem zunehmenden Teil der Flächen vor allem die Privatsphäre von verstreuten Anlegern und Anteilseignern an Gesellschaften – also eher „Kollektiven des Kapitals” – schützt.


Eigentum ist kein Naturgesetz


Wir nutzen und verstehen in anderen wirtschaftlichen Bereichen komplexe Zahlen, wie das Bruttoinlandsprodukt, Inflation oder den Gini-Koeffizienten. Aber gerade bei der Agrarstrukturerhebung von Destatis – in der es um gut visualisierbare, räumliche Strukturen und Flächengrößen geht – haben sich die Gliederungszahlen in Tabellen erhalten. Deren Größenklassen sind so limitiert, dass Großbetriebe dort verschwinden. So können wir die Konzentration und Verflechtungen von Eigentum buchstäblich nicht „sehen”. Wir zahlen Milliarden an Agrarsubventionen – und alles, was die Steuerzahler*innen über die profitierenden Unternehmensstrukturen und die Bodenverteilung in der Landwirtschaft informiert, sind ein paar Tabellen. Eine wirksame Agrarpolitik, welche unerwünschte Policy-Effekte z.B. der EU-Subventionen nachvollziehen will, braucht ein besseres Verständnis der wirtschaftlichen Strukturen des Agrarsektors.


Der landwirtschaftliche Grundstücksverkehr war bisher ebenfalls vor allem darauf ausgerichtet, dass einzelne Flächen nicht weiter zersplittert und nicht an Nicht-Landwirte verkauft werden. Damit war insgesamt dem Gemeinwohl und dem Artikel 14 des Grundgesetzes gedient, wie das Bundesverfassungsgericht 1967 erneut bestätigte. Gesetzesinitiativen einiger Bundesländer planen nun, auch Vermögenskonzentration und den mittelbaren Verkauf von Land durch die Veräußerung von Unternehmensanteilen an Betrieben (Share Deals) zu regulieren. Dabei muss der Begriff der „gesunden Agrarstruktur” nun konkretisiert und geschärft werden.


      Um den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu begegnen, müssen die Rechte und                                                             Pflichten am Boden verhandelbar sein


Was ist unerwünschte Marktmacht und Vermögenskonzentration im Sinne des Gemeinwohls? Darauf finden die Gesetzesinitiativen verschiedene Lösungen. Es wird beispielsweise vorgeschlagen, die Flächenkonzentration eines Eigentümers künftig innerhalb eines räumlichen Rasters oder innerhalb einer Region zu messen, eine absolutes maximales Flächeneigentum festzulegen oder aber die 25% der größten Unternehmen nicht mehr weiter wachsen zu lassen. Und erst zuletzt wurde argumentiert, dass auch sozial-ökologische Initiativen im Sinne einer gesunden Agrarstruktur sind und daher ebenfalls ein Vorkaufsrecht haben sollten. In Forschung und Gesetzgebung zeichnen sich also Suchbewegungen ab, die den unbestimmten Rechtsbegriff der „gesunden Agrarstrukturen“ erstmalig an der Frage schärfen, wie sozial und ökologisch nachhaltiges Landeigentum aussehen könnte. Eine neue Perspektive in der Verwaltung schafft wiederum neue Datenbestände, die die empirische Forschung weiterbringt.


Die Praxis, Legitimation und unsere Wahrnehmung von Eigentum sind sozial gestaltet und Gegenstand politischer und gesellschaftlicher Auseinandersetzung. Derzeit wird an vielen Stellen um neue Leitbilder gesunder Agrarstrukturen gerungen, obwohl wir so wenig über die tatsächliche Bodenverteilung wissen. Wir brauchen also zunächst einen Realitätsabgleich. Daher sehe ich eine wichtige politische Aufgabe darin, Dateninfrastrukturen so auszurichten, dass Fragen der Vermögenskonzentration und seiner Auswirkung auf das Gemeinwohl und die freiheitliche demokratische Ordnung empirisch erforschbar werden. Auf EU-Ebene wird derzeit die Einführung eines Vermögensregisters geprüft. Das Vermögen am Boden und seiner Ökosysteme sollte auch in Deutschland transparenter sein. Denn um den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu begegnen, müssen die Rechte und Pflichten am Boden verhandelbar sein.

 

Zur Autorin:

Felicitas Sommer ist Ethnologin und forscht zu Eigentum, Recht, Bürokratie und zukünftig Green Finance. Außerdem ist sie für die Sustainability Research bei Asset Impact zuständig.


Info: https://makronom.de/die-moral-der-buerokratie-40238


Kommentar: Gut, wenn in Ergebnis dadurch Eigentumsverhältnisse im Sinne der Gemeinwohlinteressen, die vor Ort bestehen, vorrangig  und besser geregelt werden und Fremdnutzen dadurch ausgeschlossen werden kann. Eigentums-, und Nutzungsrechte an ihren Flächen sollten immer den Einwohnern  der jeweiligen Gemeinde vorbehalten sein. Rechte und Pflichten von Anrainern benachbarter Flächen müssen gewahrt bleiben.      Thomas Bauer

25.09.2021

Dr. Hans Georg Maaßen trifft Thilo Sarrazin

Dr. Hans Georg Maaßen trifft Thilo Sarrazin. 23.09.2021 Suhl


Video https://www.youtube.com/watch?v=FLWoWvd82KY Dauer 1:47:12 Min.


Kommentar: Beide bereichern kontroverse Wertediskussionen auch entgegen des Mainstreams. 

Darüber z. B., wenn  "Hypermoral an die Stelle des Rechts tritt" (Maaßen) und beim Vertreten scheinbar unpopulärer Gegenpositionen zu Themen wie Migrationspolitik.     Thomas  Bauer

24.09.2021

Covid-19 – Die Netzwerke, die die Pandemie erschaffen haben

apolut.net, Veröffentlicht am: 24. September 2021 | Anzahl Kommentare: 7 Kommentare

Von Thomas Röper.

Auf dem YouTube-Kanal Langemann-Medien ist am 22. September ein Video hochgeladen worden, das derzeit Furore macht und während ich diese Zeilen schreibe in zwei Tagen bereits 170.000 Mal angeklickt wurde. In dem Video geht es um ein Dokument, das auf 169 Seiten die Netzwerke aus NGOs, Konzernen, Universitäten, staatlichen Stellen und internationalen Organisationen aufzeigt, die mit Covid-19 zu tun haben. Das Dokument wurde von einem IT-Spezialisten erstellt, der anonym bleiben möchte, weshalb ich ihn in diesem Artikel vereinfacht als „Mr. X“ bezeichnen werde.


In dem Video erklärt Mr. X, wie die verschiedenen Organisationen miteinander vernetzt sind und zusammen an einem gemeinsamen Ziel arbeiten. Vor allem folgt er dabei der Spur des Geldes und zeigt auf, wer wem wann wie viel Geld bezahlt hat.


Da ich seit der Veröffentlichung des Videos viele Mails mit Hinweisen auf das Video und das Dokument bekommen habe, werde ich hier zum ersten Mal erzählen, dass ich Mr. X und seine Arbeit und vor allem die Erkenntnisse daraus schon seit einigen Monaten kenne. Ich werde hier erzählen, wie wir uns kennengelernt haben und woran wir gemeinsam arbeiten (ehrlich gesagt arbeitet bisher vor allem er, mein Teil der Arbeit steht noch bevor). Und ich werde erklären, was er macht, wie seine Arbeit aufgebaut ist und dann werde ich an einem aktuellen Beispiel aufzeigen, wie explosiv die Informationen sind, die uns bereits vorliegen.


Sie sollten also die Geduld mitbringen und diesen Artikel aufmerksam bis zum Ende lesen und hören, auch wenn er recht lang ist – ich verspreche, es lohnt sich!


Ich empfehle Ihnen, zum besseren Verständnis zuerst diesen Artikel zu lesen. Das Video ist am Ende des des Schriftartikels verlinkt. Schauen Sie es sich anschließend an, Sie werden dann sehen, warum diese Reihenfolge sinnvoll ist.


Wie ich Mr. X kennenlernte

Im Frühjahr habe ich in einer Tacheles-Sendung die NGO Open Philantropy erwähnt, die mir damals sehr interessant erschien, über die ich aber kaum etwas in Erfahrung bringen konnte. Ein paar Tage später bekam ich eine Mail, in der sich jemand auf die Sendung berief und mir schrieb, er habe Informationen über die NGO und ob ich daran interessiert sei. Das war ich.

Dann schrieb mir der Mann, er sei IT-Spezialist und habe sich zu Beginn der Pandemie für die Rolle von NGOs bei der Pandemie interessiert. Dabei ist er auf ein Netzwerk gestoßen, das so groß ist, dass er extra eine spezielle Software anschaffen musste, um eine Übersicht über die Menge von Daten zu bekommen.


Die Software zieht sich von den Seiten der NGOs Informationen darüber, mit wem sie kooperieren, wem sie Geld bezahlen und wer dort in leitender Funktion tätig ist. Außerdem stellt die Software mit Hilfe von Facebook und LinkedIn fest, ob und wie eng die handelnden Akteure miteinander verbunden sind. Dabei wird nicht nur geschaut, wer mit wem befreundet ist, sondern es wird auch geprüft, wie eng die Beziehung ist, indem die Zahl der vergebenen Likes oder gemeinsam besuchte Veranstaltungen und so weiter analysiert werden.

Die Software holt sich also Daten direkt von den Originalquellen, an den Daten ist nichts manipuliert. Die Daten werden dann in Excel-Tabellen oder Grafiken sichtbar gemacht, was bei teilweise hunderten oder gar tausenden Verbindungen auch nötig ist, wenn man einen Überblick bekommen möchte.


Da ich zu der Zeit an meinem Buch „Abhängig beschäftigt“ gearbeitet habe, das sich mit NGOs und ihrer Macht über die Politik im Westen befasst, hatte ich reichlich Material, um zu überprüfen, ob ich einem Schwindler aufgesessen bin. Wir haben fünf Stunden lang über Zoom gesprochen und er zeigte mir seine Software. Dabei habe ich ihn getestet und ihn gebeten, mit seiner Software vor meinen Augen die NGOs zu analysieren, die ich aus meiner Arbeit an meinem Buch gut kannte.


Das Ergebnis war verblüffend, denn was ich in langer Kleinarbeit recherchiert hatte, zeigte mir die Software innerhalb von Sekunden. Damit wusste ich, dass ich hier einen wirklich interessanten Gesprächspartner mit unschätzbar wertvollen Informationen gefunden hatte, denn er hatte bereits eine Datenbank mit tausenden Verbindungen von NGOs, staatlichen Stellen, Universitäten und Konzernen, die bei der Covid-19-Pandemie eine zentrale Rolle spielen, angelegt.


Unser Projekt

Ich war Feuer und Flamme und wollte darüber sofort ein Buch schreiben und auch Mr. X war von der Idee begeistert. Das war vor einem halben Jahr. Das Problem ist, dass es so viele Informationen sind, dass es uns bisher nicht gelungen ist, sie so zu komprimieren, dass man sie „in ein Buch packen“ kann.


Ein Beispiel macht das deutlich: Das Dokument, dass Mr. X in dem Video von Langemann-Medien präsentiert, umfasst 169 Seiten. Es ist also im Grunde bereits ein Buch und trotzdem ist das nur ein Ausschnitt aus der gigantischen Datenbank. Und das Dokument besteht fast ausschließlich aus Grafiken und Tabellen.


Um aber ein Buch darüber zu schreiben, muss man die Tabellen nicht nur in Worte fassen, sondern auch zu jeder NGO oder sonstigen Organisation erklären, was sie macht. Man muss erklären, wer die handelnden Personen sind. Und erst dann kann man für Leser verständlich darüber schreiben, wer wen wofür bezahlt, wie all diese Menschen und Organisationen miteinander vernetzt sind, wer welche Initiativen angestoßen hat und so weiter.

Wenn man also das 169-Seiten-Dokument in ein verständliches Buch „packen“ möchte, dann hätte das Buch zehntausende Seiten.


Ich habe in den letzten Monaten ab und zu angedeutet, dass ich an einer spannenden Recherche arbeite, nun wissen Sie, worum es dabei geht. Mr. X und ich haben – vorsichtig geschätzt – bereits 20 oder mehr Stunden in Zoom-Gesprächen gesessen und überlegt, wie wir diesen Wust an Informationen so aufarbeiten und auf das wirklich Wichtige eingrenzen können, das am Ende ein lesbares und verständliches Buch entsteht, das nicht mehr als 500 Seiten hat.


Die geplante Pandemie

Aus den Daten kann man sehen, dass die Pandemie seit 2017 vorbereitet wurde, denn die Organisationen, die sich mit einer (damals als „möglich“ bezeichneten) Pandemie befasst haben, ihre Verbindungen untereinander und die Geldflüsse haben ab 2017 begonnen. Auch viele der beteiligten NGOs wurden erst ab 2017 gegründet und sie werfen seitdem mit sehr viel Geld um sich. Da so etwas Vorlauf braucht, vermuten wir, dass die Idee bereits 2016 geboren wurde.

Das könnte natürlich alles Zufall sein, wenn die handelnden Personen, die an diesen Vorbereitungen beteiligt waren, heute nicht auch die Entscheidungsträger wären, die hinter den Kulissen als Berater von Regierungen über die Corona-Maßnahmen und die Impfungen mit mRNA-Impfstoffen entscheiden. Und zu allem Überfluss sind diese Berater auch noch seit vielen Jahren eng mit denen verbunden, die an den mRNA-Impfstoffen verdienen, also zum Beispiel mit Pfizer und den Aktionären von Pfizer, um das bekannteste Beispiel zu nennen.

Das sind Leute, die seit Jahren an all dem beteiligt waren und sie schreiben heute Entscheidungsvorlagen für den deutschen Ethikrat, sie sitzen in leitender Position in der Leopoldina, sie beraten das RKI und so weiter. Und dieses Muster sieht man in allen wichtigen Ländern des Westens, besonders deutlich sieht man es in den USA.

Um das ganz deutlich zu sagen: Weder Mr. X noch ich behaupten, dass das Virus künstlich erschaffen wurde. Das ist möglich, aber man weiß es nicht. Und es ist auch unwichtig.

Es geht vielmehr darum, dass Medien und Politik Panik wegen eines Virus verbreiten und das hätte man auch mit einem Grippe-Virus veranstalten können. Mit wochenlang wiederholten Schlagzeilen über die „Spanische Grippe 2.0“ in Verbindung mit einem Lockdown und vielen Horrormeldungen über überlastete Krankenhäuser hätte man die gleiche Stimmung verbreiten können, wie sie Anfang 2020 mit Corona verbreitet wurde und bis heute verbreitet wird.

Unsere These, die sich aus den Daten von Mr. X ergibt, ist, dass das seit 2017 vorbereitet wurde. Ob dazu ein Virus erschaffen wurde, oder ob man einfach ein Virus ausgesucht hat, das man als neue Seuche darstellt, ist im Grunde Nebensache.

Das klingt unglaublich und auch ich hatte zunächst große Zweifel, aber da Mr. X mir sogar einen Zugang zu seiner Software und seiner Datenbank gegeben hat, sind meine Zweifel nach allem, was ich gesehen habe, verflogen.


Die Software

Mr. X hat inzwischen eine ganze Reihe von Programmen gekauft, die er für seine Recherchen nutzt. Es sind alles legale und frei verfügbare Programme, die jeder – das nötige Kleingeld vorausgesetzt – kaufen und nutzen kann. Einige der Programme sind (wahrscheinlich entschärfte) Programme, die auch von Geheimdiensten genutzt werden und wir können uns sogar auf der Landkarte anzeigen lassen, wer seinen Sitz wo mit wem im gleichen Gebäude hat.

Es wird von Google-Streetview auch gleich das Gebäude selbst gezeigt, was besonders spannend ist, wenn man sieht, wie zum Beispiel in einem kleinen, einstöckigen Haus am Stadtrand einer US-Stadt, in dem nur ein paar unscheinbare Läden sind, mehrere der wichtigen NGOs sitzen, die offiziell viele Mitarbeiter haben und eigentlich eigene Etagen in Bürogebäuden bräuchten. Es sind offenbar unscheinbare Briefkasten-Adressen, über die aber viele Millionen verteilt werden.

Die Möglichkeiten der Software sind schier unglaublich und man bekommt ein gruseliges Gefühl dafür, was Geheimdienste (und auch Google, Apple und Facebook) alles über jeden von uns wissen, denn wir haben mal herumgespielt und Daten von Personen in die Software eingegeben und konnten Bewegungsmuster sehen, die eigentlich vollkommen privat sind. Es ist erschreckend, was im Netz über jeden von uns (und damit auch über die bei unserer Recherche wichtigen Personen) frei verfügbar ist, wenn eine Software verschiedene Quellen miteinander verknüpfen kann.


Was Geheimdienste, die auch Zugang zu Informationen haben, die nicht offen im Netz zugänglich sind, alles über uns alle wissen, mag ich mir nicht einmal vorstellen.


Zur Sicherheit wiederhole ich es: Die Software nutzt und zeigt nur Daten, die direkt von den Akteuren selbst kommen. Die Daten und Informationen sind also alle „echt“, sie sind alle öffentlich zugänglich, es sind keine (Falsch-)Informationen, die jemand über andere verbreitet hat oder die man sich illegal oder mit Insiderwissen beschaffen muss.


Die unglaubliche Macht der Netzwerke

Um ein Beispiel dafür zu geben, welche Macht diese NGOs und Akteure haben, will ich ein aktuelles Beispiel zeigen, das in den Medien (auch den alternativen Medien) kaum Erwähnung gefunden hat, das Mr. X aber sofort im Blick hatte, weil er die „richtigen“ NGOs beobachtet.

Am 3. August 2021 wurde ein offener Brief an die Biden-Administration veröffentlicht, in dem die wichtigen NGOs, die – nach unserer Erkenntnis – seit 2017 eine Pandemie vorbereitet haben, Forderungen gestellt haben. Diese Forderungen vom 3. August 2021 schauen wir uns nun an.


Globaler Impfgipfel

In dem offenen Brief konnte man zum Beispiel folgende Forderung lesen:

„einen „Globalen Impfgipfel“ auf Präsidentenebene vor der UN-Generalversammlung im September zu veranstalten, an dem man Führungskräfte des öffentlichen und privaten Sektors aus der ganzen Welt zusammenbringt (…) und sich verpflichten, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um Lücken in der Impfstoffversorgung zu schließen und die Finanzierungs- und Kapazitätslücken bei der Verteilung und Bereitstellung von Impfstoffen, sowie der Schaffung von Nachfrage zu schließen“


Es hat nur sechs Wochen gedauert und schon hat Biden das umgesetzt. Parallel zur Generalversammlung der UNO veranstaltet US-Präsident Biden derzeit ein virtuelles Gipfeltreffen mit Vertretern von 100 Staaten, auf dem der US-Präsident genau das angekündigt hat. Und er hat von anderen Staaten gefordert, dem Beispiel der USA zu folgen, wie zum Beispiel die Tagesschau berichtet hat.


Verstehen Sie jetzt, welche Macht diese Akteure haben, wenn es reicht, dass sie einen offenen Brief an den US-Präsidenten schreiben und der ihre Forderungen innerhalb von sechs Wochen umsetzt?


70 Prozent der Weltbevölkerung impfen

Weiter wurde in dem offenen Brief gefordert:

„Die Staats- und Regierungschefs der Welt dazu bewegen, sich vor oder auf dem Gipfel zu verpflichten, das Ziel zu erreichen, bis Mitte 2022 70 Prozent der Weltbevölkerung zu impfen“

Die Tagesschau berichtet in ihrem Artikel über Bidens Impfgipfel:

„Als organisatorischen Rahmen hob Biden eine transatlantische Impfpartnerschaft aus der Taufe. „Heute bringen wir die EU-US-Partnerschaft für eine globale Impfoffensive auf den Weg“, sagte er, um enger zusammenzuarbeiten. Das Ziel sei es, bis September kommenden Jahres 70 Prozent der Weltbevölkerung geimpft zu haben.“

Biden (und auch die EU) haben sich innerhalb von sechs Wochen verpflichtet, die Forderung aus dem offenen Brief eins zu eins umzusetzen.

Die Verfasser des offenen Briefes

Das waren nur zwei Beispiele, aber die sollten reichen, um die Macht der Verfasser des offenen Briefes zu belegen.


Die Unterzeichner des offenen Briefes sind für Mr. X (und mich inzwischen auch) alte Bekannte. Ich will das wieder an einem Beispiel aufzeigen und das Beispiel zeigt auch die Verflechtungen zwischen Konzernen und NGOs auf und wie die Öffentlichkeit getäuscht werden soll.

Einer der Unterzeichner des offenen Briefes ist Scott Gottlieb. Er hat den Brief als Fellow des American Enterprise Institute unterzeichnet und wird außerdem als ehemaliger leitender Mitarbeiter der FDA, also der Lebensmittelüberwachungs- und Arzneimittelbehörde der USA, bezeichnet.


So ist das bei allen Unterzeichnern, sie alle haben als Vertreter „besorgter NGOs“ unterzeichnet, denen es nur um unser aller Gesundheit geht. Da kann man doch nun wirklich keinen Verdacht schöpfen, oder denen gar Eigennutz unterstellen. Man muss sich also freuen, dass der US-Präsident deren Forderungen so schnell umgesetzt hat.


Wer den Brief wirklich verfasst hat

Bleiben wir bei Scott Gottlieb. Was wir in dem offenen Brief (und auch in den wenigen Medienberichten darüber) nicht erfahren, ist, dass Scott Gottlieb zufälligerweise auch noch Vorstandsmitglied von Pfizer ist. Und solche Interessenkonflikte gibt es bei allen Unterzeichnern des offenen Briefes.


Das bedeutet im Klartext, dass ein Vorstand von Pfizer dem US-Präsidenten schreibt, der solle gefälligst dafür sorgen, dass die ganze Welt Pfizer-Impfstoffe kauft und mindestens 70 Prozent der Weltbevölkerung damit geimpft werden. Und der US-Präsident setzt diesen Wunsch augenblicklich um und auch die EU steigt sofort mit Milliarden in das Vorhaben ein. Das ganze hat keine sechs Wochen gedauert.


Das, liebe Freunde, ist wahre Macht! 

Und diese Macht hat nicht der US-Präsident, sondern Pfizer und seine Aktionäre. Und die üben diese Macht über die von ihnen finanzierten und kontrollierten NGOs aus.

Die Rechnung bezahlen Sie, liebe Leser, weil sie die Steuern zahlen, aus denen diese Programme finanziert werden, deren Gewinne in die Taschen von Pfizer und seinen Aktionären fließen, zu denen übrigens auch ein sympathischer Wohltäter namens Bill Gates gehört, der ganz selbstlos dafür kämpft, die ganze Welt mit mRNA-Impfstoffen von Pfizer zu impfen.

Man beachte: Im Westen, wo angeblich der Wähler die Macht hat, entscheiden die Konzerne, in diesem Fall (vereinfacht gesagt) Pfizer, was getan wird. Pfizer schreibt einen Brief an den US-Präsidenten, der US-Präsident sagt der EU, was sie zu tun hat, und schon machen die EU und die USA Milliarden locker, ohne dass auch nur ein Parlament gefragt wurde, vom Wähler gar nicht zu reden. So funktioniert die „westliche Demokratie“ in Wirklichkeit. Diejenigen, die mein Buch „Abhängig beschäftigt“ gelesen haben, verstehen das ganze Ausmaß dessen, was ich in diesem einen Absatz zum Ausdruck bringe.


Wenn Sie sich jetzt fragen, warum die angeblich kritischen westlichen Medien darüber nicht berichten, dann sollten Sie wissen, dass alleine Bill Gates den wichtigsten Leitmedien nur in 2016 insgesamt 24 Millionen Dollar „gespendet“ hat. Andere NGOs tun das gleiche, wir reden also von einem Vielfachen dieser Summe, die die NGOs den Medien alljährlich „spenden“. Daher wissen die Medien sehr genau, was sie berichten müssen und was sie besser nicht erwähnen, wenn sie weiterhin etwas von den Geldflüssen des Herrn Gates und seiner Kollegen abbekommen wollen.


Die schockierendste Recherche meines Lebens

Dieser offene Brief an Präsident Biden ist nur ein Beispiel von unzähligen, die Mr. X bei seiner Arbeit gefunden hat. Er schickt mir fast wöchentlich neue, sehr ernüchternde Beispiele, die er bei seinen Recherchen findet. Und diese Linie lässt sich mindestens bis ins Jahr 2017 zurückverfolgen, wobei immer die gleichen Akteure Forderungen stellen, Kongresse veranstalten, Studien veröffentlichen und so weiter, die – so wird rückblickend klar – bei Medien und Politik den Boden für die Pandemie bereitet haben, an der die gleichen Akteure heute Milliarden verdienen.


Mr. X und ich arbeiten daran, diese Informationen so aufzuarbeiten, dass ich sie in einem Buch verständlich und nachvollziehbar darstellen kann. Und natürlich kann jeder Leser sie dann mit Quellenangabe direkt von den handelnden Akteuren überprüfen. Ob uns das gelingt, steht in den Sternen, denn die Menge an Informationen so zu komprimieren, dass sie einerseits verständlich bleibt, andererseits aber noch das wirkliche Ausmaß der Netzwerke aufzeigt, ist für uns seit nun fast einem halben Jahr die Quadratur des Kreises.


Vor kurzem haben wir einen Weg gefunden, wie wir das machen könnten und Mr. X versucht derzeit, die Daten entsprechend in eine andere Software zu migrieren, die die tausenden Informationen so aufbereiten kann, wie wir es brauchen. (Ich werde jetzt noch nicht erzählen, was die Software können muss, bzw. wie die Daten aufbereitet werden müssen, damit der Weg, den wir gefunden haben, realisierbar wird)


Bevor ich diesen Artikel geschrieben habe, habe ich Mr. X um Erlaubnis gebeten, denn ich veröffentliche nichts, ohne Erlaubnis der Quelle. Das ist auch der Grund, warum ich mein Wissen über all diese Dinge bisher nicht öffentlich gemacht und bisher noch nichts von dem Buchprojekt, dem Datensatz und unserer Arbeit erzählt oder geschrieben habe. Nachdem Mr. X nun aber zum ersten Mal in einem Interview über seine Erkenntnisse gesprochen hat, haben wir beschlossen, dass es an der Zeit ist, von unserem Projekt zu erzählen.


Hinter den Kulissen hat Mr. X mir in den letzten Monaten bei manchem Artikel geholfen, wenn ich auf die Schnelle Informationen über Verbindungen zwischen NGOs brauchte, oder wenn es zum Beispiel um die Rolle von Peter Daszak bei den von Dr. Fauci finanzierten Corona-Forschungen in Wuhan ging, Details dazu finden Sie hier.


Das ist ein Beispiel dafür, wie wertvoll seine Datenbank ist, denn als Peter Daszak und seine Rolle bei den Forschungen in Wuhan im Mai bekannt wurden und ich im Juni das erste Mal darüber geschrieben habe, konnte Mr. X mir sofort eine Menge Informationen über Daszak geben, der Mr. X schon länger aufgefallen war, weil Daszak in viele der NGOs und Veranstaltungen, um die es geht, sehr gut eingebunden ist und ebenfalls eine interessante Rolle spielt.


Nach dieser Vorrede sollten Sie sich unbedingt anhören, was Mr. X selbst bei Langemann-Medien über seine Arbeit sagt und nach diesen Informationen wird die Brisanz des Videos und des dazu veröffentlichten 169-seitigen Dokuments von Mr. X sicher auch um einiges verständlicher.

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Dieser Beitrag erschien am 24. September 2021 auf dem Blog anti-spiegel.

Info: https://apolut.net/covid-19-die-netzwerke-die-die-pandemie-erschaffen-haben-von-thomas-roeper

24.09.2021

Transatlantische Denkfabrik DGAP: Künftige Bundesregierung soll Russlandpolitik eskalieren

de.rt.com, 24 Sep. 2021 08:49 Uhr. von Gert Ewen Ungar

In einer Reihe zur Bundestagswahl gibt die die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) der künftigen Bundesregierung Empfehlungen zur Außenpolitik. In Bezug auf Russland empfiehlt sie eine weitere Eskalation des Verhältnisses. Dabei ist die Argumentation krude und fern der Fakten.


Zitat: Zur Bundestagswahl publiziert die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) eine kleine Reihe zu außenpolitischen Themen mit konkreten Empfehlungen für die nächste Bundesregierung. Die DGAP finanziert sich aus Steuermitteln, aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen. Sie ist ideologisch stramm transatlantisch ausgerichtet, erhält Zuwendungen unter anderem von der NATO und den Open Society Foundations. Dessen ungeachtet behauptet die Gesellschaft, unabhängig zu sein.


Meinung  Gefährlich, naiv und fahrlässig – Cem Özdemirs Vorstellungen von grüner Außenpolitik


Dem Thema deutsch-russisches Verhältnis widmet sich die vierte Ausgabe der Reihe. Autor des mit "Pragmatische Russlandpolitik" überschriebenen Beitrags ist der Politologe Stefan Meister. Dieser war bis Juli 2021 Büroleiter für die Region Südkaukasus bei der grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung. Das lässt Schlimmes ahnen, und genauso kommt es auch. Das Umfeld der Grünen hält in Bezug auf die Position zu Russland wenig Überraschungen bereit und agitiert verlässlich antirussisch. So auch hier.


Zur Beschreibung der neuen Konfrontation mit Russland, aber auch Chinas haben die Grünen eine alte Vokabel aus dem Kalten Krieg wieder aufgewärmt. Sie sehen einen Systemkonflikt. Man sollte diesen Begriff im Kopf behalten und seine Entwicklung genau beobachten. Er wird uns lange erhalten bleiben. Die Vokabel behauptet einen grundlegenden Unterschied zwischen dem Westen einerseits und China und Russland andererseits, der in dieser holzschnittartigen Form nicht besteht. Systemkonflikt bedeutet ganz einfach, wir sind der freie Westen, dort sind die autoritären, antidemokratischen Systeme.


Das ist schon auf den ersten Vergleich mit Russland nicht stimmig, wenn man auf die völlig undemokratische EU schaut, die das Versprechen einer nachholenden Demokratisierung seit über 30 Jahren nicht einlöst. Vergleicht man diese absolut demokratie-defizitäre EU mit dem politisch souveränen Russland, das über funktionierende demokratische Strukturen und Institutionen verfügt, wird deutlich, wie wenig am Begriff vom Systemkonflikt tatsächlich dran ist. Dennoch ist der Begriff gut gewählt, denn seine Verwendung dient der Verdeckung der westlichen Defizite, entzieht sie der Analyse, dem Vergleich und der Diskussion gerade im Zusammenhang mit den aufsteigenden geopolitischen Playern und behauptet einen festen Status quo: hier die Guten – dort die Bösen. Es ist ein Propagandabegriff. Wie Baerbock, Özdemir und zahlreiche andere Transatlantiker bedient sich auch Meister in seinem Memo zur Bundestagswahl des Begriffes. Man kann also von einem abgesprochenen Wording ausgehen, das uns in der nächsten Zeit begleiten wird.


Meinung "Transatlantisch? Traut Euch!" – Die zarteste Versuchung, seit es die NATO gibt


Doch während der Systemkonflikt im Kalten Krieg vor allem um die Begriffe Sozialismus und Kapitalismus respektive soziale Marktwirtschaft kreiste, ist der neu verortete Systemkonflikt der Grünen ein Konflikt zwischen liberaler Demokratie und autoritären Regimen. Russland wird dabei von der DGAP Letzterem zugerechnet, und spätestens an dieser Stelle wird es dann auch sehr schräg, wie eben gezeigt wurde.


Seit spätestens 2012 sei Russland ein vollständig autoritärer Staat, behauptet Meister, bleibt den Beleg dafür allerdings schuldig. Das ist nicht verwunderlich, denn man mag mit vielen russischen Entscheidungen insbesondere aus einer westlich-liberalen Perspektive unzufrieden sein, demokratisch verfasst ist das Land aber allemal. Wesentlich demokratischer jedenfalls als die EU und inzwischen auch ihre Nationalstaaten, die immer mehr Souveränität an die EU abgeben müssen und beispielsweise die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs national umzusetzen haben. Doch Meister interessiert das alles nicht. Laut ihm unterstützt Russland autoritäre Systeme und betreibt aktiv die Schwächung demokratischer Länder, während Deutschland international für die Stärkung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie eintritt. Das ist in dieser Form ebenso plump, wie es einfach falsch ist.


Deutschland hat keine Scheu in der Zusammenarbeit mit rechten Regimen, unterstützte in Venezuela einen rechten Putschversuch, während Russland dort wie auch in Syrien die vom Volk gewählte Regierung anerkennt. Sowohl Deutschland als auch Russland arbeiten gut mit dem vollkommen autoritär regierten Usbekistan zusammen. Auch mit Ägypten, das autoritär geführt wird, seit sich Präsident Sisi 2013 an die Macht putschte, hat Deutschland keinerlei Berührungsängste. Dies sind nur einige Beispiele aus einer Liste, die sich fortsetzen ließe, die zeigt, wie wenig haltbar die von Stefan Meister aufgestellte These ist, Deutschland diene der weltweiten Demokratisierung und Russland untergrabe sie. Die Entscheidung für eine engere Zusammenarbeit mit einem Land basiert auf anderen Kriterien. Es sind vor allem wirtschafts- und sicherheitspolitische Interessen, die hier den Ausschlag geben. Der Demokratiebegriff ist bei geostrategischen Überlegungen ein Feigenblatt und dient insbesondere dem Westen bisher als Argument für Interventionen und Umsturzversuche in Ländern, die sich seinem Einfluss entziehen. 

"Alles ist drin" bei den Grünen –  sogar Beschaffung von Killer-Drohnen





"Alles ist drin" bei den Grünen – sogar Beschaffung von Killer-Drohnen






Dass die DGAP in ihrer Eigenschaft als politischer Analyst diese Zusammenhänge nicht in dieser schnörkellosen chlichtheit offen benennt, senkt den Wert ihrer Analysen deutlich ab. Stattdessen verliert sich das Memo zur Russlandpolitik in moralischen Thesen, denen auf der faktischen Ebene nichts entspricht, die daher notwendig auch in die falsche Richtung weisen müssen. Die Grundannahme, Russland sei ein autoritärer Staat, ist schon falsch. Alles, was sich aus dieser falschen Grundannahme herleitet, ist damit ebenfalls falsch. Man muss in diesem Zusammenhang gar nicht darauf eingehen, dass Meister trotz aller Fragwürdigkeiten und Ungereimtheiten die in Deutschland verbreiteten Erzählungen über Russland und Putins angebliche Machenschaften völlig kritiklos übernimmt. Putin wollte Nawalny vergiften, die Ermordung des Georgiers tschetschenischer Abstammung Changoschwili im Kleinen Tiergarten in Berlin, der in Russland wegen Beteiligung an Terroranschlägen gesucht wurde, war ein russischer Auftragsmord – Meister übernimmt das alles unhinterfragt. Für einen politischen Analysten ist das unwürdig. Ebenso wenig wie er hier auch nur den Hauch eines Zweifels an der Richtigkeit des westlichen Narrativs aufkommen lässt, behauptet er einen Krieg im Donbass. Dabei handelt es sich hier eben nicht um einen Krieg im Sinne eines internationalen militärischen Konflikts unter Beteiligung von Staaten, sondern um einen Bürgerkrieg.


Insbesondere die Grünen behaupten seit Jahren eine aktive russische Kriegsbeteiligung. Das ist eine grobe Verzerrung der Tatsachen. Ebenso verzerrend ist dann Meisters Behauptung, Moskau hätte kein Interesse an einer Lösung des Konflikts in der Ostukraine, solange die Föderalisierung der Ukraine nicht umgesetzt sei. Die Föderalisierung diene der Absicherung des russischen Einflusses, versteigt sich Meister. Meister unterschlägt dabei, dass die Föderalisierung ein zentraler Punkt des Minsker Abkommens ist. Russland besteht zurecht auf die Einhaltung der auch mit Deutschland und Frankreich zustande gekommenen Regeln und Abläufe für die Herstellung des Friedens in der Ukraine. Dass Deutschland und Frankreich die Kiewer Regierung nicht mehr zur Umsetzung drängen, ist der eigentliche Skandal, denn damit ist der Minsker Prozess faktisch tot. Das liegt aber nicht an Russland, wie Meister unterstellt, sondern an den westlichen Partnern, die sich als unzuverlässig erwiesen haben. Wieder einmal, möchte man hinzufügen.


Meinung Neokolonial, aggressiv und konfrontativ – Das Grünen-Wahlprogramm zur Außenpolitik


Wenn allerdings die Analyse schon grundlegende Schwächen hat und von falschen Annahmen ausgeht, können die sich darauf aufbauende Folgerungen und Handlungsempfehlungen bestenfalls zufällig richtig sein. Aber auch hier macht die DGAP keinen Punkt. Meister empfiehlt den eingeschlagenen Kurs einer aggressiven Russlandpolitik nicht nur fortzusetzen, sondern sogar noch zu intensivieren. Sanktionen sowie eine engere militärische Zusammenarbeit im Rahmen von EU und NATO sind die Kernpunkte seiner Empfehlungen. Nur wenn Deutschland bereit zum Krieg und zur militärischen Konfrontation sei, würde es von Russland ernst genommen, schließt Stefan Meister seine Empfehlung an eine künftige Bundesregierung ab. Dass Deutschland auch dann ernst genommen würde, wenn es seine Zusagen und Absprachen einhalten würde, auf diese Idee kommt Meister nicht. Man kann als Bürger Europas nur hoffen, dass die künftige Bundesregierung nicht auf Meisters Empfehlungen hört.


Angesichts der anhaltenden ökonomischen Schwäche der EU und des zunehmenden Desinteresses der USA am transatlantischen Bündnis wäre es naheliegend, die in den 90er Jahren verpasste Chance auf den Bau eines gemeinsamen Hauses Europa wieder neu anzugehen und die wirtschafts- und sicherheitspolitischen Interessen aller europäischen Länder zu berücksichtigen. Schaut man sich allerdings die möglichen Konstellationen der nächsten Bundesregierung an, wird genau das nicht passieren. Und die deutschen Thinktanks werden deutsche Politik weiter stramm ideologisch beraten, die Kriegstrommeln rühren und die Interessen Europas auf dem transatlantischen Altar opfern.


RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Mehr zum Thema - Krieg und Frieden nur Nebenthema im Wahlkampf? – Magazin für Rüstung prüft Wahlprogramme


Video https://youtu.be/jy92KqwNXcg  Dauer 8:28 Min.


Info: https://de.rt.com/meinung/124408-dgap-empfiehlt-kuenftiger-bundesregierung-eskalation



Weiteres:



ZIVILE KONFLIKTBEARBEITUNG

Prioritäten für die nächste Bundesregierung


dgap.org, vom 30. August 2021, Dr. Gerrit Kurtz

Das deutsche Engagement für zivile Konfliktbearbeitung findet weitgehend unterhalb der öffentlichen Aufmerksam­keitsschwelle statt. Dabei hat die Bundesregierung in den letzten Jahren signifikant in Krisenprävention, Stabilisierung und Friedensförderung investiert und sie konzeptionell weiterentwickelt. Wachsende Mittel und neue Strategie­dokumente sind begrüßenswert. Sie leben jedoch von politischer Führung, die bereit ist, das finanzielle und politische Kapital Deutschlands gezielt für die darin formulierten Ziele einzusetzen.


Zitat: Die nächste Bundesregierung sollte ihre Interessen und Ziele klarer kommunizieren, die ressortübergreifende Steuerungsarchitektur für präventives Handeln ausbauen und die Auslandsvertretungen in fragilen Staaten stärker personell ausstatten. Der Bundestag sollte eine detailliertere Rechenschaft der Bundesregierung in Form eines Umsetzungsplans mit Erfolgsindikatoren einfordern.


Frieden ist ein Kern­interesse deutscher Außenpolitik

Massenverbrechen gegen die Zivilbevölkerung und gewaltsame Konflikte gefährden grundlegende internationale Normen, die von entscheidender Bedeutung für Deutschlands Rolle in der Welt sind. Deutschlands Wohlstand und Sicherheit hängen an einer halbwegs funktionierenden Weltordnung, die den Austausch von Ideen, Talenten, Waren und Dienstleistungen ermöglicht. Wenn Regierungen oder bewaffnete Gruppen Gewalt gegen Zivilbevölkerung verüben oder den Zugang für humanitäre Hilfe blockieren, stellen diese Menschenrechtsverletzungen das normative Fundament in Frage, in das auch Deutschland jahrzehntelang investiert hat. Ohne Einsatz für diese Ordnung können Deutschland und Europa dem autoritären Gegenwind außenpolitisch wenig entgegensetzen. Deutschland ist dabei nach Kolonialismus, zwei Weltkriegen und Shoa in einer besonderen Verantwortung: nicht als besserwisserischer Heilsbringer, sondern als reiches und stabiles Land, das internationaler Solidarität selbst viel zu verdanken hat und sich somit für Frieden und Menschenrechte einsetzen sollte, wenn diese unter Beschuss sind. 

Rahmenbedingungen

Akzteptanz korrupter und re­pressiver Regierungen verschärft Konflikte

Nach dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan und angesichts der sich verschlechterten Sicherheitslage in Mali trotz des internationalen Einsatzes, sollte die deutsche Politik  „realistische Ziele“ nicht zu eng setzen. Terrorismus, organisierte Kriminalität oder Fluchtbewegungen sind letztlich Symptome schlechter Regierungsführung. Organisierte Gewalt droht besonders dort, wo Regierungen ganze Bevölkerungsgruppen von Macht und Wohlstand ausschließen. In Ländern, in denen breite Proteste gegen staatliche Missstände gewaltsam niedergeschlagen werden, kann latente Unzufriedenheit in offene Rebellion eskalieren. Dieser Prozess lässt sich etwa in Myanmar seit dem Putsch im Februar 2021 in Echtzeit verfolgen. Solche dysfunktionalen Regierungen drohen zu Objekten von Regionalmächten oder transnationalen Terror-Netzwerken wie dem sogenannten Islamischen Staat in Syrien zu werden. Mit der impliziten Akzeptanz korrupter und repressiver Regierungen im Kampf gegen Terrorismus geht das Risiko einher, Konflikte zu verschärfen.


Zivile Konfliktbearbeitung zum Markenzeichen deutscher Politik machen

Globale Krisen fordern die Fähigkeit von nationalen Regierungen und internationalen Organisationen zur friedlichen Bearbeitung von Konflikten heraus. Die Corona-Pandemie hat über 80 Millionen Menschen zusätzlich in absolute Armut gestürzt und strapaziert die Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe. Die Klimakrise verschärft die Kapazitätsengpässe vieler Staaten, Konflikte um Land und Wasser friedlich zu managen.


Globale Führungsmächte für Konfliktbearbeitung wie die USA und Großbritannien wenden sich stärker Herausforderungen im eigenen Land zu. Großbritannien kürzt beispielsweise seine Entwicklungsausgaben aktuell stark zusammen. Während die Verlässlichkeit enger Verbündeter sinkt, mischen sich China und Russland sowie Regionalmächte wie die Vereinigten Arabischen Emirate zunehmend auf der Seite autoritärer Strömungen in fragilen Staaten ein. Multilateralen Institutionen wie dem UN-Sicherheitsrat oder der Afrikanischen Union (AU) gelingt es kaum, in aufflammenden Konflikten wie in Bergkarabach oder Äthiopien zu einheitlichen Positionen geschweige denn effektiven Maß­nahmen zu gelangen.


Deutschland hat sich in den letzten Jahren vorgenommen, weltweit mehr zu Frieden und Sicherheit beizutragen. So zählt Deutschland mittlerweile zu den wichtigsten Förderern ziviler Konfliktbearbeitung. 2019 gab Deutschland so viele als Entwicklungsmittel anrechenbare Gelder für Frieden und Sicherheit aus wie kein anderer Geber außer den EU-Institutionen. Mit entsprechenden Projekten bemüht sich die Bundesregierung, selbst in besonders verfahrenen Konflikten einen konstruktiven Beitrag zu leisten, um z.B. den Zugang zur Justiz oder Friedensmediation zu stärken. Viele neue Mechanismen, zum Beispiel zur Krisenfrüherkennung, befinden sich zwar noch in der Experimentierphase, haben aber das Potential, international Maßstäbe zu setzen. Zivile Konfliktbearbeitung könnte zum Markenzeichen deutscher Außen- und Sicherheitspolitik werden.


Deutschland verfügt als engagiertes Mitglied internationaler Organisationen und im Vergleich zu wichtigen Partnern relativ wenig gespaltene Gesellschaft über erhebliche diplomatische Handlungsfähigkeit. Dieses Kapital setzte Deutschland beispielsweise ein, um eine internationale Kontaktgruppe zur Unterstützung des Übergangsprozesses im Sudan zu organisieren, Vermittlungsprozesse in Libyen zu unterstützen, und vom sogenannten „Islamischen Staat“ befreite Gebiete in Irak zu stabilisieren. Keines dieser Beispiele ist unproblematisch, aber sie zeigen, dass Deutschland sich mehr diplomatische Führung zutrauen kann.


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Herausforderungen

Unterschiedliche Wirkungs­­­logiken verhindern Synergien

In den Vorstellungen der zuständigen Ministerien in Deutschland finden sich unterschiedliche Wirkungslogiken zur Konfliktbearbeitung. Obwohl sich die Bundesregierung seit langem zu einem „vernetzten Ansatz“ aller Akteure und Instrumente in der Sicherheitspolitik bekennt, gibt es noch viele fachliche Silos. Ressortkoordination in der Konfliktbearbeitung ist wichtig, um Widersprüche und Ineffizienzen zu vermeiden und Synergien zu ermöglichen. Wirtschaft, Umwelt, Entwicklung, Sicherheit, Landwirtschaft – die verschiedenen Perspektiven jedes Ressorts können sich gegenseitig entlang gemeinsamer Oberziele bereichern. Zu diesen Oberzielen gehören etwa Krisenverhinderung, Konfliktbewältigung und Friedensförderung, so wie es die 2017 von der Bundesregierung verabschiedeten Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ formulieren. Doch trotz Fortschritten in ressortgemeinsamen Strategieprozessen sieht der Bundesrechnungshof zwischen dem Auswärtigen Amt (AA) und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) aber noch eine „Abwehrhaltung“, die unter Berufung auf das Ressortprinzip eingenommen werde. Gespräche mit den Ressorts zeigen: Tiefgehende Zusammenarbeit ist stark von der Bereitschaft der beteiligten Personen abhängig. Es fehlt an hochrangiger politischer Führung für die Konfliktbearbeitung.


Wirkung zu selten erfasst  

Es ist schwierig zu sagen, welchen Erfolg deutsche Maßnahmen in der Konfliktbearbeitung hatten. Das liegt vor allem daran, dass es kaum unabhängige Untersuchungen gibt, die zumindest versuchen, den spezifisch deutschen Beitrag zur Konfliktbearbeitung herauszuarbeiten. Abschlussuntersuchungen hochrangigen Engagements wie zu Norwegens Rolle in Sri Lanka und Afghanistan oder Fallstudien des präventiven Engagements der Vereinten Nationen zeigen, dass es durchaus möglich ist, Wirkung, Lehren und Einfluss ziviler Konfliktbearbeitung zu erfassen. Solche Untersuchungen können differenziertere Bewertungen als parlamentarische Ausschüsse liefern, die an die Logik von Regierung und Opposition gebunden sind. Beispielsweise hat der Berliner Prozess die Konfliktakteure in Libyen zwar wohl nicht zu ihrem Waffenstillstand bewegt (sondern das militärische Patt), aber zumindest einen hochrangigen Rahmen geliefert, in dem sie diesen aushandeln und nächste Schritte besprechen konnten. Eine institutionenübergreifende Lernplattform, wie sie die Bundesregierung eigentlich mit den Leitlinien hatte einrichten wollen, könnte solch praxisnahen Untersuchungen und Austausche voranbringen.


Entscheidungsfähigkeit braucht abgestimmte Mechanismen

Laufende Zielkonflikte zu bearbeiten, Maßnahmen miteinander abzustimmen und auf Anzeichen von Gewalt frühzeitig zu reagieren erfordert einen effizienten und effektiven Entscheidungsmechanismus innerhalb der Bundesregierung. Im Zuge der Umsetzung der Leitlinien gibt es zwar mehr ressortgemeinsame Treffen und Abstimmungen, doch diese sind teilweise noch schwerfällig oder nicht optimal an die Leitungsebene angebunden. So trifft sich die ressortübergreifende Arbeitsgruppe zur Krisenfrüherkennung viermal im Jahr, um ein gemeinsames Lagebild zu besprechen. Bislang reichen die Kapazitäten allerdings nur dafür, dass sich die Arbeitsgruppe mit einer Situation pro Sitzung befasst. Doch wirkliche Frühwarnungen widersprechen meist der herrschenden Meinung und werden sich daher schwer in der im Konsens entscheidenden Gruppe durchsetzen können. Akute Krisen verdrängen dazu oft die Aufmerksamkeit für Krisenfrüherkennung in der politischen Leitungsebene.


Mangelnde Kapazitäten zur diplomatischen Begleitung

Um Projekte zur Friedensförderung auszuwählen und zu begleiten sowie politische Akteure und Prozesse voranzutreiben braucht es ausreichend qualifiziertes Personal. Wegen des enormen Aufgaben- und Mittelzuwachses hat das AA in den letzten Jahren auch mehr Planstellen erhalten. Allerdings platzen die Ausbildungskapazitäten für neue Attachés aus allen Nähten. An einigen Auslandsvertretungen fehlt schlichtweg der Büroplatz für mehr Kolleginnen und Kollegen. In Ländern wie Niger und Burkina Faso, die für die Sahelpolitik der Bundesregierung strategisch wichtig sind, sollen gerade einmal jeweils drei Mitarbeitende aus dem höheren Dienst den politischen Dialog führen. Dabei kommt gerade Auslandsvertretungen eine Schlüsselrolle in der Konfliktbearbeitung zu. Sie sind es, die das Engagement der Bundesregierung in einem Land zusammenführen, die Situation im Land laufend analysieren, Beziehungen zu allen relevanten Stakeholdern pflegen, und sich mit internationalen Partnern abstimmen. Das Rotationsprinzip des AA und die verbreitete Nutzung von Zeitvertragskräften, die nach zwei Jahren den Arbeitgeber wechseln, erschweren das Wissensmanagement, das der Bundesrechnungshof bereits seit 20 Jahre als unzureichend kritisiert. Für Postenvorbereitung und Weiterbildung bleibt häufig zu wenig Zeit.


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Empfehlungen

Strategische Interessen klären

Die nächste Bundesregierung sollte ihre Interessen, Ziele und Maßnahmen in der internationalen Konfliktbearbeitung klarer kommunizieren und kohärenter umsetzen. Zivile Konfliktbearbeitung ist weder mutlose Alternative zu Militäreinsätzen noch ist sie frei von Zielkonflikten und Machtpolitik. Konfliktbearbeitung ist immer „politisch“ und darf sich nicht in floskelhaften Bekenntnissen, lokale Zivilgesellschaft zu stärken, erschöpfen. Stattdessen braucht es mehr integriertes Denken und Handeln. Der Bundestag sollte realistische Zielvorstellungen für Konfliktbearbeitung entwickeln und von der Bundesregierung Ziele einfordern, die sowohl erreichbar sind als auch transformative Möglichkeiten eröffnen. Führende Vertreterinnen und Vertreter der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik sollten Krisenprävention und Konfliktbearbeitung einen höheren Stellenwert in ihren sonstigen bilateralen Treffen einräumen. Wer sich Klarheit über die eigenen Ziele und Interessen verschafft, kann auch gegenüber seinen Partnern selbstbewusster auftreten, wenn diese wie Frankreich im Sahel Terrorismusbekämpfung statt nachhaltige Konfliktbearbeitung priorisieren.


Ressortübergreifende Steuerungsarchitektur ausbauen

Die Mitglieder des nächsten Bundeskabinettes sollten konstruktive Zusammenarbeit vorleben und ziviler Konfliktbearbeitung eine größere Priorität einräumen. Ein gemeinsames Steuerungsgremium auf Kabinettsebene wie ein nationaler Rat für Frieden und Sicherheit könnte zumindest einen Ort bieten, um Zielkonflikte zwischen den gemeinsamen Oberzielen der Bundesregierung explizit zu machen, statt die Kosten von außenpolitischen Entscheidungen unter den Tisch fallen zu lassen. Auf Arbeitsebene können mehr integrierte Strukturen wie der 2019 geschaffene Arbeitsstab Sahel helfen, die unterschiedlichen Ressortperspektiven als Bereicherung und weniger als Konkurrenz zu verstehen. Deren Leiterinnen und Leiter können als Sondergesandte effektiv regionale Diplomatie betreiben. Ein allmählich wachsender gemeinsamer Haushaltstitel für Stabilisierung und Friedensförderung könnte einen Anreiz für mehr Zusammenarbeit von AA und BMZ bieten. Die Bundesregierung sollte ebenfalls Instrumente zur Konfliktbearbeitung dort stärker miteinander kombinieren, wo diese sich gegenseitig ergänzen können, zum Beispiel Vergangenheitsbearbeitung und Friedensmediation.


Auslandsvertretungen und Diplomatie stärken

Die nächste Leitung des Auswärtigen Amts sowie der Haushaltsausschuss des nächsten Bundestags sollten die ausreichende Personalausstattung des Auswärtigen Diensts zu einer größeren Priorität machen, gerade mit Blick auf Referate und Auslandsvertretungen mit Relevanz für konfliktbetroffene Staaten. Dazu braucht es allerdings nicht allein ausreichend Referentinnen und Referenten, sondern auch den entsprechenden Unterbau der anderen Laufbahnen, sprachlich versierte Ortskräfte, eine zuverlässige, sichere IT und ausreichend physische Arbeitsplätze. Eine weitere Öffnung für Quereinsteiger könnte dabei helfen, Menschen mit spezifischen Erfahrungen und Fähigkeiten in der Konfliktbearbeitung, Konfliktanalyse und Friedensförderung über zweijährige Verträge hinaus anzuziehen, abseits des regulären Generalistenprinzips. In den Zielvereinbarungen mit den Auslandsvertretungen sollten Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und Friedensförderung eine größere Rolle spielen. Neben bereits laufenden Weiterbildungen wären diese ein geeignetes Mittel, die Relevanz und Sichtbarkeit des Themas in der sonstigen diplomatischen Arbeit zu erhöhen.



Info: https://dgap.org/de/forschung/publikationen/zivile-konfliktbearbeitung

24.09.2021

Epidemiologe Ioannidis: Politik hatte einen schädlichen Einfluss auf die Pandemiewissenschaft

de.rt.com, 24 Sep. 2021 06:45 Uhr

Der renommierte Epidemiologe John P. A. Ioannidis sprach sich bereits früh gegen harte Lockdowns aus und wurde dafür scharf kritisiert. In einem Gastbeitrag im Tablet Magazine erläutert er, wie die Wissenschaft in der Corona-Krise instrumentalisiert wurde und welchen schädlichen Einfluss Politik und Technologieunternehmen haben.


Zitat: John P. A. Ioannidis, Epidemiologe an der Stanford University, zählt zu den meistzitierten Wissenschaftlern der Welt und sprach sich in der Corona-Krise bereits relativ früh gegen harte Lockdowns aus, da diese wirkungslos seien – und wurde dafür oft angefeindet. In einem Gastbeitrag im Tablet Magazine äußerte er sich nun dazu, wie die Wissenschaft in der Corona-Krise politisch instrumentalisiert und wissenschaftliche Prinzipien wie Skeptizismus und Uneigennützigkeit über Bord geworfen wurden.

Forscher der Universität Stanford: Corona-Sterblichkeit liegt im Bereich 0,15 bis 0,2 Prozent

Forscher der Universität Stanford: Corona-Sterblichkeit liegt im Bereich 0,15 bis 0,2 Prozent


Eingangs weist Ioannidis darauf hin, dass die durch COVID-19 ausgelöste Krise und die Reaktionen darauf bei zahlreichen Menschen ein übermäßiges Interesse an Wissenschaft entwickelt hätten, da alles, was von Bedeutung war, von Wissenschaftlern und von jenen, "die auf der Grundlage ihrer eigenen Interpretationen der Wissenschaft Maßnahmen im Rahmen politischer Kämpfe" durchsetzen, beeinflusst wurde.


Das Problem sei jedoch, so Ioannidis, dass die meisten Menschen, die auf einmal Interesse entwickelten, nie mit den grundlegenden Normen der Wissenschaft in Berührung gekommen sind. Nach Auffassung des Epidemiologen sollten diese auf den CUDOS-Prinzipien (Communism, Universalism, Disinterestedness, Organized Skeptizism; zu Deutsch: (Wissens-)Kommunismus, Universalismus, Uneigennützigkeit, Skeptizismus) beruhen. Begründet wurden diese Prinzipien Mitte der 1930er Jahre durch den US-amerikanischen Soziologen Robert K. Merton, der sich besorgt zeigte vom Ausschluss jüdischer Wissenschaftler aus dem Wissenschaftsbetrieb im Nationalsozialismus und der Bereitschaft deutscher Wissenschaftler, sich freiwillig in den Dienst der Nationalsozialisten zu stellen. Merton versuchte daher, eine Grenze zwischen "demokratischer und ethischer" und der "unethischen" Wissenschaft zu ziehen.


Nach dem Prinzip des Wissenskommunismus sind die Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeiten das Produkt kollektiver Anstrengungen, die allen Mitgliedern der wissenschaftlichen Gemeinschaft frei zur Verfügung stehen müssen. Zudem muss die Bewertung wissenschaftlicher Forschung unabhängig von Person, Ethnie, Nationalität und Religion des verantwortlichen Wissenschaftlers erfolgen. Forscher sollten zudem nicht aus Eigennutz arbeiten, sondern aus Leidenschaft zu wachsender Erkenntnis und aus altruistischen Interessen. Man sollte zudem einen gewissen Skeptizismus mit sich bringen, um aktuelle Forschungsergebnisse immer wieder kritisch zu hinterfragen.


Epidemiologe Ioannidis: Ein harter Lockdown kann die Situation sogar verschlimmern


Des Weiteren weist Ioannidis darauf hin, dass es in der Wissenschaft bereits vor der Corona-Krise Probleme gab: So war der freie Zugang zu Daten, Protokollen und Entdeckungen auch vorher bereits begrenzt. Zudem wurde immer offensichtlicher, dass die Universalität nicht gegeben sei, da vor allem "hierarchische Eliten", also eine Minderheit von Experten, bestimmte Felder dominierten:

"In der Nachbarschaft der Wissenschaft blühten gewaltige finanzielle und andere Interessen und Konflikte – und die Norm der Uneigennützigkeit blieb auf der Strecke."

Laut Ioannidis blieb auch der organisierte Skeptizismus auf der Strecke, da selbst Fachjournale mit Peer-Review (Gutachterverfahren) Ergebnisse oft mit einer gewissen Voreingenommenheit präsentierten. Dennoch gab es auch schon vor der Krise einige Stimmen, die sich für bessere wissenschaftliche Normen einsetzten. So führte beispielsweise die Krise der Reproduzierbarkeit in vielen Fachdisziplinen zu verstärkten Bemühungen um Transparenz und auch dazu, dass Rohdaten, Protokolle und Programmiercodes geteilt wurden und öffentlich einsehbar waren. Zudem gab es Bestrebungen, Interessenkonflikte transparenter zu machen, auch wenn diese insbesondere in der Medizin immer noch häufig anzutreffen sind. Man hätte hoffen können, dass es durch COVID-19 zu einem Wandel käme. Diesen gab es zwar, so Ioannidis – allerdings eher zum Schlechteren.


Als Beispiel hierfür führte er den Rückzug einer bekannten Studie über die Wirksamkeit von Hydroxychloroquin bei COVID-19 im Fachjournal Lancet an, da sich später herausstellte, dass die Publikation auf falschen Daten beruhte. Auch die Frage, ob SARS-CoV-2 natürlichen Ursprungs ist oder bei einem Laborunfall freigesetzt wurde, hätte man wesentlich leichter klären können, wenn das Institut für Virologie in Wuhan transparenter gearbeitet hätte. So bleibe die Theorie eines Laborunfalls "verlockend glaubwürdig", auch wenn Ioannidis die Theorie nicht als vorherrschende Erklärung ansehen möchte.


"Österreichs Wieler": Ohne PCR-Test wäre neue Pandemie "niemandem wirklich aufgefallen"


Auch der Universalismus habe mittlerweile erschreckende Formen angenommen, da inzwischen so gut wie jeder Forschung zu COVID-19 betreibe. Mittlerweile haben Wissenschaftler aus mehr als 174 Fachgebieten Arbeiten zu COVID-19 publiziert. Anfang 2021 gab es selbst Arbeiten von Automobilingenieuren zur COVID-19-Thematik. Auf den ersten Blick könne man meinen, diese interdisziplinäre Arbeit bringe Vorteile, doch es zeigte sich, dass die meisten Arbeiten von schlechter Qualität waren. Neben erfahrenen Wissenschaftlern traten auch zahlreiche "frischgebackene Experten" mit fragwürdigen Referenzen auf die Bühne. Insbesondere die sozialen und die Mainstream-Medien hätten zur Verbreitung solcher "falschen Experten" beigetragen:

"Jeder, der kein Epidemiologe oder Spezialist für Gesundheitspolitik war, konnte plötzlich als Epidemiologe oder Spezialist für Gesundheitspolitik von Reportern zitiert werden, die oft wenig über diese Bereiche wussten, aber sofort wussten, welche Meinungen wahr waren. Umgekehrt wurden einige der besten Epidemiologen und Gesundheitspolitiker Amerikas von Leuten als ahnungslos und gefährlich verleumdet, die sich für geeignet hielten, wissenschaftliche Meinungsverschiedenheiten pauschal zu bewerten, ohne die fraglichen Methoden oder Daten zu verstehen."

Auch die Uneigennützigkeit habe stark gelitten: Während der Krise wurden Einrichtungen mit Interessenkonflikten oft zu Helden erklärt:

"So produzierten beispielsweise die großen Pharmaunternehmen nützliche Medikamente, Impfstoffe und andere Dinge, die Leben retteten, obwohl bekannt war, dass ihr Hauptmotiv der Profit war und ist."

Auch vorher gängige Forderungen nach besserer medizinischer Evidenz für die Wirksamkeit und die Frage nach unerwünschten Nebenwirkungen waren während der Krise auf einmal nicht mehr erwünscht. Durch diesen "herablassenden Ansatz" habe man beispielsweise die Impfgegner-Bewegung erst bestärkt. Andere Unternehmen mit Interessenkonflikten profitierten nicht nur, sondern wurden zu den "neuen gesellschaftlichen Regulierern". Als Beispiel führt Ioannidis Technologieunternehmen an, die "mächtige Zensurmechanismen" nutzten, die die zugänglichen Informationen für die Nutzer verzerrten, während die Tech-Konzerne durch die Veränderungen des gesellschaftlichen Lebens im Lockdown enorme Gewinne einfuhren. Während Berater von Regierung und Unternehmen prestigeträchtige Positionen und Macht erhielten, wurden Forscher, die das herrschende Narrativ infrage stellten, als mit Interessenkonflikten beladene Leute diffamiert. Der Skeptizismus wurde in der Corona-Krise nunmehr als Bedrohung der öffentlichen Gesundheit angesehen:

"Es kam zu einem Zusammenstoß zwischen zwei Denkschulen, der autoritären öffentlichen Gesundheit und der Wissenschaft – und die Wissenschaft verlor."

Das Hinterfragen von Ergebnissen sei für eine gute Wissenschaft unerlässlich, doch wie Ioannidis erläutert, wird dies in der autoritären Version der öffentlichen Gesundheit als "Verrat" und "Fahnenflucht" gebrandmarkt. Das vorherrschende Narrativ der Corona-Krise sei, dass man sich "im Krieg befinde":

"Im Krieg hat jeder Befehle zu befolgen. Wenn ein Zug den Befehl erhält, nach rechts zu gehen, und einige Soldaten das Manöver nach links erkunden, werden sie als Deserteure erschossen. Wissenschaftliche Skepsis musste erschossen werden, ohne Fragen zu stellen. Die Befehle waren klar."

Stanford-Studie belegt Unwirksamkeit harter Lockdowns


Der Epidemiologe ist jedoch nicht der Auffassung, dass diese Entwicklung nicht auf einzelne Personen zurückzuführen sei, sondern auf ein "Konglomerat" ohne Namen und Gesicht, zu denen reißerische und parteiische Medien, Accounts in den sozialen Medien, schlecht regulierte Technologieunternehmen, die ihre Marktmacht nutzten, und normale Menschen, die von der Krise betroffen waren, zählten. Diese Entwicklungen haben in der Folge dazu geführt, dass Opponenten durch "Cancel Culture"-Kampagnen in den sozialen Medien und reißerische Schlagzeilen in den Mainstream-Medien Drohungen und Beschimpfungen erfuhren. In der sozialen Isolation sei es, abgeriegelt von der persönlichen Kommunikation, obendrein schwierig, auf diese Diffamierungen zu reagieren. Doch auch die Politik hatte einen deutlichen Einfluss auf die Wissenschaft:

"Die Politik hatte einen schädlichen Einfluss auf die Pandemiewissenschaft. Alles, was ein unpolitischer Wissenschaftler sagte oder schrieb, konnte als Waffe für politische Ziele eingesetzt werden."

Diese Politik "im Gewand der öffentlichen Gesundheit" habe nicht nur der Wissenschaft geschadet:

"Sie hat auch die partizipatorische öffentliche Gesundheit, bei der die Menschen befähigt und nicht verpflichtet und gedemütigt werden, zunichtegemacht."

Ioannidis warnte zudem davor, dass Wissenschaftler ihre Expertise nicht nach politischen Diskursen und der vorherrschenden Meinung in sozialen Medien ausrichten sollten, denn man konnte beobachten, dass ein und derselbe unpolitische Wissenschaftler an der einen Stelle von linken und an anderer Stelle von rechten Diskursteilnehmern angegriffen wurde. Diese "Selbstzensur" sei der größte Verlust für die wissenschaftliche Forschung gewesen. Am Ende des Beitrags erläutert Ioannidis, dass seiner Meinung nach keine "Verschwörung" oder "globale Planung" hinter dieser überstürzten Entwicklung stecke. Es sei trivialerweise eher so, dass in Krisenzeiten die Mächtigen gedeihen und die Schwachen noch stärker benachteiligt werden. Dabei wurden die Mächtigen und diejenigen mit Interessenkonflikten mächtiger und mächtiger, während "Millionen starben und Milliarden litten".


Mehr zum Thema - Epidemiologe Ioannidis: Kollateralschäden schwerwiegender als die Auswirkungen der Pandemie selbst


Info: https://de.rt.com/international/124397-epidemiologe-ioannidis-politik-hatte-schadlichen

24.09.2021

Exklusiv. Das Netzwerk-Dokument

clubderklarenworte.de, vom 22. Sep. 2021, 21:45 Uhr, von Markus Langemann

Dieses Dokument sollten Sie noch vor Sonntag kennen.


Zitat: Wir alle kennen aus unserer realen Lebenswelt, dass soziale Netzwerke als Beziehungsgeflechte überlebenswichtig sind.

Das waren sie schon zu Zeiten der Neandertaler, später beim Homo sapiens und natürlich auch heute in der Fortführung in der digitalen Welt sowieso.


Das wissen Soziologen. Das wissen Sie.


Ob Sie wollen oder nicht, Sie sind per Geburt Mitglied in mindestens einem Netzwerk, nämlich in dem Ihrer Familie. Im Laufe des Lebens kommen hinzu – Mitschüler, Kommilitonen, Kollegen usw.


Von all diesen Netzwerken können Sie in bestimmten Situationen profitieren. Denn Erfolg hängt weniger von großartigen Ideen oder Produkten ab als vielmehr von den richtigen Menschen, die einem den Weg dafür frei machen.


In einem Businessratgeber las ich kürzlich: „Unterschätzen Sie deshalb nie den Wert eines Netzwerks, auch wenn es kein selbst gewähltes ist. Mit der Zeit wachsen Netzwerke qualitativ und quantitativ und damit auch die Anzahl und der Wert Ihrer Kontakte.“ Und weiter: „Achten Sie auf Ähnlichkeiten, nicht auf Unterschiede, und Sie werden bald bessere Beziehungen haben.


Sie werden beruflich erfolgreich sein.“


So oder so ähnlich können Sie es in vielen Ratgebern lesen.

Die (sichtbaren) digitalen beruflichen Netzwerke LinkedIn oder Xing, aber auch soziale Netzwerke wie Facebook und andere sind nur eine Möglichkeit der Verbindung unter Gleichgesinnten.


Wie wichtig Netzwerke sind und welche Macht sich in ihnen konzentriert, sieht man oft im Berufsleben oder eben auch in der Politik. Das können in aktuellen gesellschaftlichen Fragen parteipolitische Netzwerke, Lobbynetzwerke sein oder Plattformen wie etwa das Weltwirtschaftsforum in Davos.


Es gibt Netzwerke, die grundsätzlich im Verborgenen agieren, wie solche, denen man beitreten kann: Alumni-Netzwerke, denen der Rotarier etc.

Dann wiederum gibt es jene, die man erst erkennt, wenn man Punkte miteinander verbindet. Connecting the dots. Wenn man sie verbindet, werden Beziehungen, Abhängigkeiten und Seilschaften sichtbar. Sieht man sie klar vor sich, kann man beispielsweise selbst politische Entscheidungen und die ihr vorausgehenden Motivationen besser verstehen und somit auch einordnen.


Ich veröffentliche mit diesem Video ein bisher weltweit einzigartiges Netzwerkdokument, das Ihnen erstmals das komplexe Beziehungsgeflecht von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Firmen, Dokumenten und Personen sichtbar macht.


Es sind 6500 Objekte und über 7200 Links, inklusive der Zahlungsströme und in Teilen auch der geflossenen Beträge. Im Fall der Bill & Melinda Gates Foundation sehen Sie schon auf Seite 4 des Dokuments, dass diese Stiftung in der Zeit von 1994 bis 2021 rund 43 Milliarden Dollar allein in den USA ausgegeben hat und in Deutschland in diesem Zeitraum rund eine halbe Milliarde an Geldern verteilte.


Das Dossier umfasst 170 Seiten. Wir stellen es Ihnen zum Download und zur Verbreitung zur Verfügung.
Das Dokument ist gerade vor der anstehenden Bundestagswahl wichtig, aber es hat auch einen großen Wert für den Erkenntnisgewinn darüber hinaus.



Info: https://clubderklarenworte.de/das-netzwerk-dokument

24.09.2021

Russische Fahnen in Bamako         Debatte über die Zukunft des Bundeswehreinsatzes in Mali findet vor dem Hintergrund deutlicher russischer und türkischer Einflussgewinne im Sahel statt.

german-foreign-policy.com, 24. September 2021

BERLIN/PARIS/BAMAKO/MOSKAU(Eigener Bericht) - Deutliche Einflussverluste des Westens in Mali überschatten die Debatte über die Zukunft des Bundeswehreinsatzes im Sahel. Während es in Berlin mit Blick auf die Niederlage in Afghanistan heißt, die Intervention im Sahel dürfe nicht "der nächste 20-Jahre-Einsatz" werden, zieht die Übergangsregierung in Bamako für den Fall eines westlichen Teil- oder Komplettabzugs als "Plan B" die Anwerbung von Söldnern der russischen Firma Wagner in Betracht. Der Plan knüpft an den Ausbau der Militärkooperation zwischen Mali und Russland an, der mit einem im Juni 2019 unterzeichneten Abkommen eingeleitet worden ist. Wie berichtet wird, stößt eine mögliche engere Zusammenarbeit mit Moskau in der malischen Öffentlichkeit zunehmend auf Sympathie. Zugleich stärkt auch die Türkei ihre Stellung im Sahel; sie weitet ihren wirtschaftlichen und kulturellen Einfluss aus und hat mit der Fortbildung malischer Offiziere begonnen. Damit ist Mali nach Syrien und Libyen das nächste Land, in dem die Mächte des Westens schwächer werden, während Russland und die Türkei erstarken.


Zitat: "Marionette des Neokolonialismus"

Die Debatte um die Perspektiven der Militärintervention in Mali und um den möglichen Einsatz russischer Söldner dort vollzieht sich vor dem Hintergrund eines Stimmungsumschwungs in dem westafrikanischen Land, auf den inzwischen selbst westliche Fachzirkel immer öfter hinweisen. Ursache ist zum einen, dass insbesondere Frankreich politische Entscheidungen in Bamako zu diktieren sucht, zum anderen, dass sich die Lage in Mali seit dem Beginn des Militäreinsatzes im Jahr 2013 nicht verbessert, sondern vielmehr verschlechtert hat und immer mehr Zivilisten ums Leben kommen oder fliehen müssen.[1] Malis öffentliche Meinung betrachte die französische Opération Barkhane nicht nur als unfähig, Sicherheit zu schaffen, sondern auch als Werkzeug des französischen Neokolonialismus, wird etwa Mady Ibrahim Kanté von der Université de Bamako zitiert.[2] Im Februar hielt die International Crisis Group (ICG), ein westlicher Think-Tank, ausdrücklich fest, die Demonstrationen gegen Präsident Ibrahim Boubacar Keïta vor dem Putsch vom 18. August 2020 hätten Keïta nicht nur wegen der krassen Korruption, sondern auch als "Marionette eines neokolonialen Frankreich" attackiert.[3] Vor allem in Mali, aber auch darüber hinaus gebe es, so formulierte es die ICG, eine "weitverbreitete Feindseligkeit gegenüber der westlichen Intervention im Sahel".


Russland und der Sahel

Gleichzeitig richtet sich in Mali die öffentliche Aufmerksamkeit, wie Kanté berichtet, in wachsendem Maß auf Russland als möglichen Kooperationspartner - vor allem für den Fall, dass Frankreich seine militärische Präsenz im Land tatsächlich reduziert.[4] Die Regierung in Bamako hat bereits im Juni 2019 ein Abkommen mit Moskau geschlossen, das ein gewisses Maß an Militärkooperation vorsieht.[5] Auf russischer Seite ist die Kooperation mit Mali eingebunden in Bestrebungen, die Beziehungen zu den Staaten Afrikas insgesamt zu intensivieren; einen ersten Höhepunkt stellte dabei der Russia-Africa Summit and Economic Forum am 23./24. Oktober 2019 in Sotschi dar. Auf dem Treffen zog der Exekutivsekretär des Zusammenschlusses G5 Sahel (Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger, Tschad), Maman Sambo Sidikou, erstmals öffentlich in Betracht, Russland könne zu gegebener Zeit eine Rolle bei der Stabilisierung des Sahel spielen.[6] Der russische Präsident Wladimir Putin wiederum kündigte an, Moskau wolle künftig enger mit afrikanischen Staaten kooperieren - unter anderem im Anti-Terror-Kampf. Putin fügte damals, anspielend auf die neokoloniale Einflussnahme der westlichen Mächte, hinzu, Russland könne den Staaten Afrikas damit zugleich helfen, "ihre Unabhängigkeit und Souveränität zu schützen".


Malis Plan B

In Mali lösen die russischen Angebote in wachsendem Maß ein positives Echo aus. Im November 2019 etwa forderten Demonstranten in Bamako, Russland solle in ihrem Land gegen die Jihadisten vorgehen - so, wie es dies zuvor in Syrien getan habe.[7] Nach dem Putsch vom 18. August 2020 ebenso wie nach dem zweiten Putsch vom 24. Mai 2021 schwenkten Demonstranten russische Fahnen und warben für eine engere russisch-malische Kooperation. Kürzlich wurde bekannt, dass die Übergangsregierung in Bamako Verhandlungen mit der russischen Söldnerfirma Wagner führt; Berichten zufolge ist geplant, dass Wagner bei einer teilweisen oder auch kompletten Einstellung der französischen Opération Barkhane bis zu tausend Söldner nach Mali schickt und zudem den Personenschutz für die malische Staatsspitze übernimmt.[8] Frankreich, Deutschland und die anderen westlichen Mächte haben darauf mit äußerster Empörung reagiert und versuchen mit aller Kraft, Bamako zur Aufgabe des Vorhabens zu zwingen. Premierminister Choguel Maïga erhebt gegen die politischen Interventionen Protest: Man könne Mali nicht verbieten, mit einem bestimmten Staat zu kooperieren, "bloß weil ein anderer Staat das nicht will".[9] Maïga spricht mit Blick auf die Pläne für die Zusammenarbeit mit Wagner ausdrücklich von einem "Plan B".


Krankenhäuser und Moscheen

Dabei ist Russland nicht der einzige Staat, der sich anschickt, den Einfluss der früheren westlichen Kolonialmächte in Mali zurückzudrängen. Kürzlich hat die ICG in einer ausführlichen Analyse den Blick auf die Aktivitäten der Türkei in der Sahelzone gelenkt.[10] Ankara baut seine Beziehungen dorthin - ganz wie in andere Staaten und Regionen Afrikas - energisch aus, nicht zuletzt nach Mali. Dort hat ihr tatkräftiger Einsatz für den Bau von Krankenhäusern und -stationen sowie Moscheen ein günstiges Umfeld für den Absatz türkischer Exporte geschaffen: Der Handel zwischen den beiden Ländern wuchs von einem Volumen von 5 Millionen US-Dollar im Jahr 2003 auf 57 Millionen US-Dollar im Jahr 2019. Turkish Airlines hat nicht nur Direktflüge aus Bamako nach Jeddah ins Programm genommen und sich damit für muslimische Pilger attraktiv positioniert; das Unternehmen bedient zudem die Strecke aus Bamako nach Istanbul und lockt damit malische Geschäftsleute, die von den krassen Hürden bei der Einreise in die EU abgeschreckt werden, in die Türkei. Im Jahr 2018 hat Ankara begonnen, malische Offiziere in der Türkei fortzubilden und Mali mit Kleinwaffen und Munition zu versorgen. Nach dem Putsch vom 18. August 2020 war der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu der erste Spitzenpolitiker aus dem Ausland, der mit den Anführern des Umsturzes zusammentraf.


"Nicht der nächste 20-Jahre-Einsatz"

Der sich abzeichnende Einflussverlust der Mächte Europas verkompliziert die deutsche Debatte über den Bundeswehreinsatz in Mali. Die Diskussion hat seit der Niederlage und dem überstürzten Abzug des Westens aus Afghanistan an Fahrt gewonnen; allzu offen liegen die Parallelen zwischen den beiden Interventionen zutage: Wie am Hindukusch erstarken die Aufständischen auch in Mali mit zunehmender Dauer des Einsatzes immer mehr. Frankreich, dessen Streitkräfte längst als überdehnt gelten, will die Zahl seiner im Sahel stationierten Soldaten halbieren und zudem den Kampfeinsatz dort beenden. Anfang September forderte die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl (SPD), man müsse "sehr zügig nachdenken", ob der Bundeswehreinsatz "nachhaltig" sei.[11] Johann Wadephul, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, sagte, man müsse sich "Mali neu anschauen": Zwar könne man noch "nicht abziehen"; doch müsse "klar sein, dass hier nicht der nächste 20-Jahre-Einsatz läuft". Nach Bekanntwerden der Pläne in Bamako, unter Umständen mit der russischen Söldnerfirma Wagner zu kooperieren, stellte erstmals Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer einen Abzug der Bundeswehr in den Raum.[12] Damit wäre freilich, anders als in Afghanistan, ein unmittelbarer Einflussverlust gegenüber Russland verbunden.

 

[1] S. dazu Putsch im Einsatzgebiet.

[2] Michele Barbero: France Bids Adieu to Its Military Mission in West Africa. foreignpolicy.com 07.07.2021.

[3] International Crisis Group: A Course Correction for the Sahel Stabilisation Strategy. Africa Report No 299. 1 February 2021. S. auch Die Dauerkriege des Westens (I).

[4] Michele Barbero: France Bids Adieu to Its Military Mission in West Africa. foreignpolicy.com 07.07.2021.

[5] Russia, Mali: Moscow Inks Defense Agreement With Sahel Nation. worldview.stratfor.com 27.06.2019.

[6] Sergey Sukhankin: Terrorist Threat as a Pre-Text: Russia Strengthens Ties with G5 Sahel. jamestown.org 20.03.2020.

[7] Samuel Ramani: Why Russia is a Geopolitical Winner in Mali's Coup. fpri.org 16.09.2020.

[8] Mali-Russie : Bamako sur le point de signer un contrat avec une société du groupe Wagner. jeuneafrique.com 14.09.2021.

[9] Fatoumata Diallo: Mali : Bamako ne fléchit pas et n'exclut pas de collaborer avec le groupe Wagner. jeuneafrique.com 20.09.2021.

[10] Turkey in the Sahel. crisisgroup.org 27.07.2021.

[11] Markus Decker: Nach dem Afghanistan-Desaster: Mali-Einsatz soll überprüft werden. rnd.de 02.09.2021.

[12] Kramp-Karrenbauer stellt Mali-Einsatz in Frage. tagesschau.de 15.09.2021.


Info: 
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8713
23.09.2021

Killer-Drohnen & FCAS:  ERFOLGE unserer Abgeordnetenwatch-Initiative + NÄCHSTE SCHRITTE

aus E-Mail von Elsa Rassbach, 23. 09. 2021, 16:42 Uhr


Liebe Mitglieder,

vielen Dank für Eure vielen Fragen via Abgeordnetenwatch an die Bundestagskandidat*innen von SPD und Grünen.  


Um die vielen Fragen sowie die Antworten von Bundestagsabgeordneten zu sehen:  1) auf abgeordnetwatch.de <http://abgeordnetwatch.de/>   klicke auch die Suchikone oben rechts und 2) schreibe als Suchbegriff entweder “Drohnen” oder “FCAS”.  


Die Antworten zeigen, dass es immer noch sehr unterschiedliche Meinungen und interne Debatten in der SPD und unter den Grünen gibt.  Es wird auch ziemlich klar, welche Grundpositionen und/oder Fragen die einzelnen Kandidat*innen zur Bewaffnung von Drohnen bzw. zum FCAS haben, und welche Kandidat*innen am ehesten ansprechbar sind.


Die Befürworter der Bewaffnung von Drohnen in der SPD und unter den Grünen behaupten in ihren Antworten immer wieder, dass durch Vereinbarungen von verbindlichen Einsatzregeln, die negativen und völkerrechtswidrigen Konsequenzen der Nutzung dieser Waffen ganz vermieden werden können. Wir müssen klar machen, dass dies nicht möglich sein wird.


Deswegen:


Wir bitten Euch, weiterhin Fragen via Abgeordnetenwatch zu stellen -- nicht nur bis zur Wahl, sondern auch in den kommenden Wochen!  Die Entscheidungen zur Bewaffnung von Drohnen und zu FCAS werden erst in den Wochen und Monaten nach der Wahl getroffen. Zum Beispiel wird die SPD-Projektgruppe zur Bewaffnung von Drohnen etwa Mitte Oktober an den SPD-Parteivorstand über ihre Beratungen berichten. Der Bericht wird sicherlich eine wichtige Rolle in der Entscheidung der SPD und der zukünftigen Regierung spielen.


Bitte stellt Fragen auch an Kandidierende, die nicht in Euren Wahlkreisen sind.  Viele einflussreiche Kandidierende bzw. MdB der SPD und Grünen sind noch nicht befragt worden, und wir möchten über ihre Positionen informiert werden.  


Hin und wieder wurde eine Frage durch die Abgeordnetenwatch-Moderation wegen fehlender Quellen abgelehnt, auch wenn dieselbe Frage erfolgreich an andere Kandidierende gestellt werden konnte.  Eventuell beanstandet die eine oder der andere Angefragte wegen Quellenmangel die Frage, weil sie/er sie nicht beantworten möchte.


Deswegen:


Wir haben unsere Beispiel-Fragen mit Quellen ergänzt, und wir bieten hiermit auch eine neue Beispiel-Frage an.


Eine Anleitung von uns ist nochmals angehängt.  Zudem antwortet Abgeordnetenwatch sehr freundlich Eure Fragen: E-Mail: info@abgeordnetenwatch.de  <mailto:info@abgeordnetenwatch.de>, Telefon: 040 / 317 69 10 - 26


Viele Grüße

Elsa

 


NACHTRAG:


Beispiele von FRAGEN an die Bundestagskandidat*innen von SPD und Grünen, die via www.abgeordnetenwatch.de/bundestag <http://www.abgeordnetenwatch.de/bundestag>  gestellt werden könnten:  


1) NEUE FRAGE —


Auch wenn bewaffnete Drohnen eingesetzt werden, um Soldat*innen vor einer unmittelbaren Bedrohung zu schützen, ist das Waffensystem oft fehlerhaft: Welche Konsequenzen ziehen Sie aus dieser Kenntnis?  


(Erläuterung)

Bündnispartner Deutschlands haben bewaffnete Drohnen nicht nur für "gezielte Tötungen" eingesetzt, sondern auch um Soldat*innen der normalen Streitkräfte zu schützen. Am 29.08.21 hat ein USA Drohnenangriff in der Nähe der Kabul-Basis versehentlich zehn Zivilist*innen, darunter sieben Kinder, ermordet. US-General Kenneth McKenzie, der das US-Zentralkommando Centcom der US-Streitkräften führt, erklärte: "Dieser Schlag wurde in dem ernsten Glauben ausgeführt, dass er eine unmittelbare Bedrohung unserer Streitkräfte...verhindern würde, aber das war ein Fehler”. (Tagesschau 17.09.21) US-Drohnen in Afghanistan haben bis zu 90% "Unbekannte" getötet. (https://www.tagesspiegel.de/politik/leak-zu-us-drohnenkrieg-die-meisten-toten-sind-unschuldige-zivilsten/12460084.html) <https://www.tagesspiegel.de/politik/leak-zu-us-drohnenkrieg-die-meisten-toten-sind-unschuldige-zivilsten/12460084.html>. Zum "Schutz der Soldat*innen" würde die Bundeswehr nicht auch manchmal "Verdächtigte" verfolgen und töten oder Kinder durch ständig über ihre Köpfe fliegende tödliche Drohnen traumatisieren?  


 

2 & 3) FRÜHERE BEISPIEL-FRAGEN ERGÄNZT MIT QUELLEN:  


In der 20. Legislaturperiode wird der Bundestag entscheiden ob, oder unter welche Bedingungen, deutsche Drohnen bewaffnet werden dürfen. Sind Sie für oder gegen die Bewaffnung von Drohnen? Und warum?


(Erläuterung)

Sollen die HERON TP Drohnen, die Airbus Euro-Drohnen oder weitere deutsche Drohnen (z. B. für das FCAS Projekt) bewaffnet werden? Die Große Koalition hat die versprochene ausführliche Prüfung zur Bewaffnung von Drohnen nie konsequent durchgeführt: Z. B. sind weder Opfer noch Whistleblower*innen bisher gehört worden. Laut einem durchgesickerten US-Regierung-Dokument haben US-Drohnen in Afghanistan bis zu 90% unschuldige Zivilisten getötet.


 (https://w  <https://www.tagesspiegel.de/politik/leak-zu-us-drohnenkrieg-die-meisten-toten-sind-unschuldige-zivilsten/12460084.html>ww.tagesspiegel.de/politik/leak-zu-us-drohnenkrieg-die-meisten-toten-sind-unschuldige-zivilsten/12460084.html  <https://www.tagesspiegel.de/politik/leak-zu-us-drohnenkrieg-die-meisten-toten-sind-unschuldige-zivilsten/12460084.html>) Ist die Terrorisierung der Zivilbevölkerung durch ständig über ihre Köpfe fliegende tödliche Waffen verhältnismäßig? Hat der Einsatz von bewaffneten Drohnen US-Soldat*innen in Afghanistan oder französischen Soldat*innen in Afrika zuverlässig geschützt? Allein mit Aufklärungsdrohnen sind Bundeswehrsoldat*innen sicherer: Seit 2014 sind keine beim Auslandseinsatz getötet worden.


 <https://dserver.bundestag.de/btd/19/077/1907778.pdf>)

 

Wie stehen Sie zur Entwicklung des Luftkampfsystems der Zukunft (Future Combat Air System/FCAS), dessen gigantische Kosten für Entwicklung 100 Mrd. und Anschaffung auf 500 Mrd. € geschätzt werden?

 

(Erläuterung)

Leitmedien wie zeitonline (22.6.21) und das Handelsblatt (26.11.18) berichten über diese nie dagewesenen Finanzvolumina für Entwicklung und Anschaffung von FCAS. Das von Deutschland, Frankreich und Spanien ins Leben gerufene Jahrhundertprojekt der Luftwaffen ist ein System, das zwischen 2040 und 2080 einsetzbar sein soll. Im Zentrum von FCAS steht ein atomwaffenfähiges Kampfflugzeug der noch zu entwickelnden 6. Generation mit Tarnkappeneigenschaften, das mit bewaffneten weitgehend autonom agierenden Drohnenschwärmen, der „Eurodrohne“, anderen Flugzeugen, Satelliten, Kriegsschiffen und Heereseinheiten in Echtzeit verbunden werden kann. Künstliche Intelligenz durchdringt alles.


 Letztlich soll FCAS die EU militärstrategisch autonom machen, um eine weltweite Luftüberlegenheit zu erreichen. (FAZ.net <http://faz.net/>  21.2.20, Zukunft der europäischen Luftwaffen). In der nächsten Legislatur stehen Entscheidungen an zum Bau eines flugfähigen Kampfflugzeuges (Demonstrators) für mehr als 3,5 Mrd. Euro.

 

############            

   

Wir wird’s gemacht?

            • Auf dem Portal www.abgeordnetenwatch.de <http://www.abgeordnetenwatch.de/>  im Kasten „Bundestag“ klicken auf „Wahlportal öffnen“.

            • Auf neuer Seite: im Suchfeld „Finden Sie Ihre Kandidierenden“ die eigene Postleitzahl eintippen.

            • Auf neuer Seite: klicken auf Feld „Wahlkreis auswählen“ (oft gibt es zwei)

            • Auf neuer Seite: bei Kandidierenden aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen jeweils klicken auf „Frage stellen“

            • Auf neuer Seite: im Feld „Ihre Frage“ die Frage (max. 200 Zeichen) hineinkopieren oder variieren, anschließend „Thema“ anklicken und dafür „Verteidigung“ auswählen. Danach: ins Feld „Ergänzung“ die Erläuterungen (max. 1.000 Zeichen) hineinkopieren. Unten auf „weiter“ klicken.

            • Persönliche Daten eintragen. Danach absenden.

            • Sobald Deine Frage veröffentlicht wird, wirst du eine E-Mail von Abgeordnetenwatch mit einem Link erhalten.  (Als Beispiel siehe  


Am Schluss noch eine große Bitte: Bitte sendet diese Antwort an drohnen-kampagne@web.de  <mailto:drohnen-kampagne@web.de>. Uns wird dadurch ermöglicht, dass Abgeordnetenwatch auch uns die Antworten direkt zusendet.


Mit friedlichen Grüßen

Elsa Rassbach, Laura von Wimmersperg, Rainer Hammerschmidt, Lühr Henken

i. A. der Drohnen-Kampagne


www.drohnen-kampagne.de <http://www.drohnen-kampagne.de/>

www.drohnen-kampagne.org <http://www.drohnen-kampagne.org/>


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Netzwerk mit 150 Unterstützer-Gruppen

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23.09.2021

KOMMENTAR                                                                                                              Nobelpreis für Biden   US-Präsident spricht vor UN

jungewelt.de23.09.2021, Von Arnold Schölzel

Zitat: Joseph Bidens Amtsvorgänger Donald Trump wollte die »endlosen« Kriege der USA beenden, was ungefähr so endete wie das Versprechen Barack Obamas, die Welt atomwaffenfrei zu machen. Obama erhielt 2009 den Friedensnobelpreis, bevor er mit der Abschaffung beginnen konnte. 2016 beschloss die NATO dann unter seiner Führung die Rückkehr zur Abschreckungs- und Erstschlagsdoktrin des Kalten Krieges gegen die »Regionalmacht« (so Obama) Russland. Wenn er nicht Schönes ankündigte, befasste sich Obama im übrigen eigenhändig jeden Dienstag mit Namenslisten, auf denen aufgeführt war, wer durch US-Drohnen getötet werden sollte. Wen er strich oder draufsetzte, ist nicht bekannt, die Tätigkeit als Schnellhenker ließ er im Wahlkampf 2012 bekanntgeben – dergleichen hilft in den USA. Er und sein Vizepräsident Biden wurden so die bislang bedeutendsten Mörder von Zivilisten mit Hilfe von joystick­gelenkten Drohnen.

Das Gedächtnis von Repräsentanten des Imperialismus ist davon bestimmt, welche Bewegungsfreiheit das blutige Staatsterror- und Weltausplünderungssystem gerade hat. Im Fall von Biden ist es auch eine persönliche Angelegenheit: Als er am 15. September zusammen mit dem Briten Boris Johnson und dem Australier Scott Morrison zur Überraschung der Welt und der übrigen sogenannten US-Verbündeten das antichinesische Dreierbündnis AUKUS aus der Taufe hob, konnte er sich an Johnsons Vornamen erinnern, aber partout nicht an den des »Kollegen aus Down Under«.

Ähnliche Aussetzer häuften sich am Dienstag in Bidens Rede vor der UN-Generalversammlung. Der US-Präsident malte ein Bild von Frieden und globalem Wohlstand, das einige Leerstellen hatte. So beteuerte er sechs Tage nach der Gründung des atomaren Pakts im Südpazifik, die USA strebten »nicht nach einem neuen Kalten Krieg oder einer Welt, die in starre Blöcke geteilt ist«. Das eine zu machen und die gegenteilige Absicht zu behaupten, hat allerdings nichts mit Vergessen zu tun.

Das gilt auch für Bidens Satz: »Ich stehe hier heute, da die Vereinigten Staaten zum ersten Mal seit 20 Jahren nicht im Krieg sind.« Denn US-Truppen in Syrien oder dem Irak haben mit dem nichts zu tun. Im übrigen, so der Oberkommandierende über die NATO, also mehr als eine Billion US-Dollar Rüstungsausgaben und mehr als 800 US-Militärbasen rund um die Erde, sei »die Demokratie überall«. Das ist bei solchen Ziffern richtig. Ausnahmen finden sich laut Biden »in Belarus, Burma, Syrien, Kuba, Venezuela und überall dazwischen«. »Dazwischen« ist, wo es keinen US-Stützpunkt gibt. Damit sich das ändert, hat Biden mit Freund Boris aus London im Juni erst eine neue »Atlantik-Charta« statt des Völkerrechts und nun den Atompakt mit dem »Fellow from Down Under« geschlossen. China und Russland nannte Biden in New York nicht namentlich, er sprach lediglich über Kriegsvorbereitung.

Der Friedensnobelpreis 2021 sollte ihm sicher sein.


Info: https://www.jungewelt.de/artikel/410984.nobelpreis-f%C3%BCr-biden.html

23.09.2021

ESSAY   Die große Globalisierungslüge

makronom.de, vom 8. JANUAR 2018DANI RODRIK

Lange haben Politiker die Globalisierung als für alle Menschen von Vorteil und unvermeidbar dargestellt – tatsächlich war sie weder das eine noch das andere. Wenn es die zentristischen Eliten auch weiterhin nicht schaffen, angemessen auf die jüngsten Rückschläge zu reagieren, könnte dies die liberale Demokratie zusammenbrechen lassen. Ein Essay von Dani Rodrik.


Zitat: Vor nicht allzu langer Zeit galt die Debatte über die Globalisierung als abgeschlossen – und das sowohl von linker als auch von rechter Seite.


2005 hielt Tony Blair auf dem Parteitag der Labour-Partei eine Rede, die einen Eindruck des damals herrschenden Zeitgeists gibt: „Ich höre Menschen sagen, wir müssten einhalten und über die Globalisierung debattieren“, so Blair. „Man könnte genauso gut darüber diskutieren, ob der Herbst dem Sommer folgt.“ Strukturelle Umbrüche würden folgen und einige würden zurückbleiben, das Motto laute dennoch: Die Menschen müssten damit klarkommen. Unsere „Welt im Wandel“, fuhr Blair fort, sei „voller Chancen, die allerdings nur jenen offen stehen, die sich zügig anpassen“ und sich nicht so schnell beklagen.


Heutzutage würde wohl kein kompetenter Politiker seine Wähler dazu drängen, sich solche Sorgen nicht zu machen. Die Davos-Clique, die Blairs und Clintons unserer Zeit zerbrechen sich alle den Kopf darüber, wie um alles in der Welt sich diese doch angeblich so unaufhaltsame Entwicklung ins Gegenteil verkehren konnte. Der internationale Handel stagniert im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung, die grenzüberschreitenden Finanzströme haben sich seit ihrem Einbruch während der globalen Finanzkrise vor zehn Jahren nicht mehr erholt und auf einer Welle des Populismus ist ein amerikanischer Nationalist ins Weiße Haus geritten, wo er jegliche Bemühungen um mehr Multilateralismus in Frage stellt.


Jene, die noch um die Jahrhundertwende herum der Hyper-Globalisierung das Wort geredet haben, stehen nun hilflos da. Sie sind völlig unfähig zu begreifen, wie alles so dermaßen schiefgehen konnte, und realisieren nicht, wie wenig sie von dem Prozess verstanden haben, den sie so bereitwillig propagierten.


Schon im Jahr 2005, als Blair seine Parteitagrede hielt, gab es Anlass daran zu zweifeln, dass „das, was funktioniert kein Mysterium ist: eine offene, liberale Wirtschaft, die stets gewillt ist, sich zu wandeln, um wettbewerbsfähig zu bleiben“. Was würde mit dem sozialen Zusammenhalt passieren? Würde die Globalisierung ihn einfach hinwegfegen? Damals meinte Blair, dass der soziale Zusammenhalt nur überleben könne, wenn wir ihn neu definieren würden.

 Gemeinschaften dürften sich nicht der „Kraft der Globalisierung“ widersetzen – die Aufgabe einer progressiven Politik sei es lediglich, sie „darauf vorzubereiten“. Die Globalisierung war also ausgemachte Sache – die einzige Frage war, ob sich die Gesellschaft dem globalen Wettbewerb würde anpassen können.


Blair und sein Gefolge waren sich dessen nicht nur deshalb so sicher, weil sich die Welt in ihre Richtung entwickelte. Sie hatten auch ein sehr mächtiges Argument auf ihrer Seite: den Komparativen Vorteil. Dieses Argument war keineswegs neu, sondern schon 200 Jahre alt. Es war jedoch wieder in Mode gekommen und hatte auch echte logische Kraft: Handel ermöglichte Spezialisierung, und ein Land, das sich auf das konzentriere, was es besonders gut kann, würde dadurch „als Ganzes“ besser dastehen.


Allerdings vergaßen die Globalisierungs-Cheerleader mehr oder weniger, die Vorbehalte dieses „Ganzen“ zu berücksichtigen.


Wenig überraschend waren die größten Profiteure der Globalisierung Länder wie China, die um die offiziellen Regelungen einen Bogen machten und nach ihrer eigenen Pfeife tanzten


Zudem übertrugen sie dieses Argument vom Güterhandel beiläufig auch auf die Finanzmarktliberalisierung, wo es aber schon immer anders und zweifelhafter war. Ohne zu zögern eilten sie also vom Abbau grenzbezogener Handelshemmnisse, wie etwa Zöllen oder Importquoten, zu politisch aggressiveren Initiativen, um auch hinter der Grenze Regulierungen – Investitionsregeln, Produktstandards, Patente und Copyrights – zu harmonisieren, bei denen weitaus weniger klar ist, warum eine grenzüberschreitende Integration alle beteiligten Länder besserstellen sollte.


Wenig überraschend waren die größten Profiteure der Globalisierung Länder wie China, die um die offiziellen Regelungen einen Bogen machten und nach ihrer eigenen Pfeife tanzten. China und andere asiatische Länder integrierten sich auf ihre ganz eigene Art und Weise in die Weltwirtschaft: sie betrieben eine Handels- und Industriepolitik, die von der Welthandelsorganisation verboten war, bestimmten den Wert ihrer Währungen nach eigenem Gutdünken und kontrollierten internationale Kapitalströme aufs Genaueste. Als Resultat erhielten sie beachtliche Wachstumsraten, die dazu beitrugen, dass Millionen Menschen der Armut entkommen konnten.


Dagegen fiel die Bilanz in den etablierten Industrienationen deutlich durchwachsener aus. Die Hauptprofiteure der nach 1990 geschaffenen Regeln der Globalisierung waren die Unternehmen und professionellen Eliten. Kein Zweifel, die Hyper-Globalisierer glaubten an ihre Sache. Aber sie übertrieben es bis hin zur vollständigen Verzerrung, und waren blind für den unausweichlichen Aufschrei ihrer Mitbürger – Bürger, die ihre Beschwerden neuerdings nicht mehr so schnell runterschlucken.


Die Lehren der Geschichte

Im Gegensatz zu Blairs Beteuerungen ist die Globalisierung durchaus ein umkehrbarer Prozess, der bereits jede Menge Rückschläge und Schlimmeres erlitten hat. Höhepunkte der weltweiten Integration waren schon an der Wende zum 20. Jahrhundert erreicht, wobei diese Periode in vielerlei Hinsicht mit der heutigen vergleichbar ist.


Unter dem damals vorherrschenden Goldstandard konnten nationale Währungen frei in fixe Mengen Gold umgetauscht werden und durfte Kapital ungehindert die Grenzen passieren. Das Regime förderte nicht nur Kapitalströme, sondern auch den Handel, indem es Währungsrisiken beseitigte: Händler konnten sicher von überall her Zahlungen annehmen, ohne sich darüber Gedanken machen zu müssen, dass die Wechselkurse allzu stark schwanken würden. Im Jahr 1880 waren Goldstandard und grenzüberschreitende Kapitalfreiheit die Norm. Auch Menschen konnten diese Freiheit nutzen, was sie zwischen Europa und der Neuen Welt auch zahlreich taten. Genau wie heute erleichterten Verbesserungen der Transport- und Kommunikationstechnologien – Dampfschiff, Eisenbahn, Telegraf – die Verkehrsfreiheit von Gütern, Kapital und Arbeitern erheblich.


Der Rückschlag ließ nicht lange auf sich warten. Bereits in den 1870er Jahren übte der Verfall der weltweiten Agrarpreise Druck aus, wieder Importbarrieren wiedereinzuführen. Mit Ausnahme Großbritanniens erhöhten alle europäischen Länder bis zum Ende des 19. Jahrhunderts ihre Zölle für Agrarprodukte wieder. Vielfach übertrug sich dieser Agrar-Protektionismus auf Manufakturerzeugnisse. Im späten 19. Jahrhundert gab es auch erste Einwanderungsbeschränkungen. So beschloss der US-Kongress 1882 den berüchtigten „Chinese Exclusion Act” und beschränkte ab 1907 die Einwanderung aus Japan. Etwas später, in den 1920er Jahren, führten die USA dann ein umfassenderes System von Einwanderungsquoten ein.


In den USA entstand während der 1880er Jahre als Reaktion auf den internationalen Goldstandard die weltweit erste bewusst-populistische Bewegung. Und warum? Weil das System, obwohl es die Globalisierung beschleunigte, auch Verlierer hervorbrachte. Da das heimische Geldangebot an die Menge des vorhandenen Goldes gebunden war, wurde in Zeiten der Goldknappheit auch das heimische Kreditangebot knapper und die Realzinsen stiegen.


So kam es, dass der Goldstandard in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunehmend mit Deflation in Verbindung gebracht wurde, genauso wie die heutige Austeritätspolitik. Farmer beklagten sich darüber, dass sie gezwungen wurden, ihr Getreide billig zu verkaufen, und das zu einer Zeit, in der Frachtraten und Kredite teuer waren. Gemeinsam mit den Arbeiterbewegungen und Minenarbeitern aus dem Westen stellten sie sich gegen die Finanziers aus dem Nordosten, die sie als die einzigen Nutznießer des Goldstandards ansahen – und als die Erschaffer ihrer Notlage.


Die US-Populisten wurden letztlich besiegt, größtenteils wegen der Neuentdeckung zusätzlicher Goldreserven nach den 1890er Jahren, die den Deflationsdruck umkehrten. Nichtsdestotrotz verschärften sich die Auseinandersetzungen zwischen den finanziellen und kosmopolitischen Interessen, die den Goldstandard hochhielten und den nationalistischen Gruppen, die unter ihm litten, zunehmend. Diese Konfrontation spitzte sich im Europa der Zwischenkriegsjahre zu.


Das alte System zerfiel inmitten der Kämpfe des Jahres 1914, und die Versuche, es zurückzubringen, erwiesen sich unter der Last der ökonomischen Krisen und politischen Unruhen der 1920er Jahre als nicht tragfähig. Wie mein Harvard-Kollege Jeffrey Frieden schrieb, nahm die Reaktion auf die Mainstream-Politik zwei Formen an: Die Kommunisten zogen den sozialen Wiederaufbau der internationalen Wirtschaft vor, während Faschisten und Nazis auf nationale Wiedergeburt setzten. Beide Wege kehrten der Globalisierung den Rücken.


Vorteile und Nachteile

Warum also haben sich die fortgeschrittenen Stadien der Globalisierung – in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und jetzt wieder im frühen 21. Jahrhundert – als so anfällig für Rückschläge herausgestellt? Fangen wir am besten mit dem eingängigsten Argument zugunsten der Globalisierer an: der Liberalisierung der Grenzbarrieren für den Warenhandel.


Es gibt kaum Zweifel, dass die zahlreichen Runden der multilateralen Handelsgespräche nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs jede Menge Gutes bewirkt haben. Die Importzölle und -Quoten für den Handel mit Industrieerzeugnissen waren damals extrem restriktiv – und ihre Lockerung brachte der Welt erhebliche Vorteile. Des Weiteren betraf diese Liberalisierung zunächst den Handel zwischen relativ fortgeschrittenen Volkswirtschaften, in denen die Löhne und Arbeitsbedingungen nicht sonderlich unterschiedlich waren. Die ersten Anzeichen für Probleme gab es, nachdem die Entwicklungsländer anfingen, sich in die Weltwirtschaft zu integrieren – und ihre niedrigen Löhne begannen, in den Importländern verteilungspolitische Spannungen zu verursachen.


Europa war mit seinen ausgeprägten sozialen Sicherheitsnetzten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts relativ gut vorbereitet, um mit disruptiven Handelsflüssen umgehen zu können


Das ist genau das, was die Volkswirtschaftslehre lehrt. Laut dem gefeierten Stolper-Samuelson-Theorem der Handelstheorie werden die Löhne von geringqualifizierten Arbeitern, wenn es von ihnen – wie in den USA und Westeuropa – zu viele gibt, durch den Freihandel sinken. Die Offenheit gegenüber dem Handel schadet immer manchen Menschen in einer Gesellschaft, abgesehen von Extremfällen, bei denen nur Dinge importiert werden, die zuvor niemals zuhause produziert wurden (diese Fälle sind aber für keine große Volkswirtschaft relevant).


In der Theorie können Länder immer ihre Verlierer kompensieren, indem sie Mittel von den Gewinnern umverteilen, und in der Praxis ist dies gelegentlich auch getan worden. So war Europa mit seinen ausgeprägten sozialen Sicherheitsnetzten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts relativ gut vorbereitet, um mit disruptiven Handelsflüssen umgehen zu können. Zudem führten die Verhandlungsführer bei den Freihandelsgesprächen anfangs Sonderregelungen in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften für Bekleidungs- und Textilexporteure durch, was deren Anfälligkeit begrenzte.


Allerdings hätte die Liberalisierung des Handels selbst unter den bestmöglichen Umständen sowohl Vorteile als auch Nachteile mit sich gebracht. Nach den 80er Jahren begann die Bilanz schlechter und schlechter auszusehen. Wenn Zölle (wie auch Steuern) zu hoch sind, verzerren sie die ökonomische Aktivität stärker und schmälern den Wohlstand. In den 50er und 60er Jahren waren Zölle oftmals sehr hoch, weshalb ihre Reduzierung stark dazu beitrug, den volkswirtschaftlichen Kuchen wachsen zu lassen. Aber vier oder fünf Jahrzehnte später, in einer Welt, in der Zölle gewöhnlich im einstelligen Bereich lagen, war das Bild ein anderes.


Wenn man mit den Zöllen der Nachkriegszeit beginnt, sagen die ökonomischen Standardmodelle, dass man beim Erreichen eines Nettozuwachses von einem US-Dollar beim Nationaleinkommen durch die Handelsliberalisierung erwarten kann, dass rund vier oder fünf Dollar des Einkommens zwischen verschiedenen Gruppen innerhalb eines Landes neu verteilt werden. Aber unter Annahme der Zölle, die es am Ende des 20. Jahrhunderts gab, geht ein Zuwachs von einem Dollar mit einer Umverteilung von 20 Dollar einher – was die Schaffung einer furchtbar großen Zahl von Verlierern impliziert. Und außerdem waren die 90er Jahre eine Zeit, in der der Sozialstaat ab- und nicht ausgebaut wurde. Somit war es weniger plausibel zu glauben, dass diese Verluste kompensiert werden würden.


Nehmen wir beispielsweise das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (Nafta), das 1994 in Kraft trat. Eine kürzlich erschienene Studie zu dessen Arbeitsmarkteffekten fand heraus, dass eine wichtige Minderheit von US-Arbeitern erhebliche Einkommenseinbußen erlitt. Wenig überraschend war der Effekt bei den „blue-collar workers“ am größten: Ein High School-Abbrecher in den vom Nafta-Handel stark betroffenen Gegenden hatte in Relation zu einem vergleichbaren Arbeiter aus den von Nafta nicht betroffenen Gegenden in der Periode von 1990 bis 2000 ein um acht Prozentpunkte niedrigeres Lohnwachstum. In den vormals geschützten Branchen, die ihren Schutz nun verloren, fielen die Löhne um 17 Prozentpunkte im Vergleich zu Branchen, die auch vorher nicht geschützt gewesen waren.


Und der Gesamtnutzen des Abkommens? Laut den jüngsten Schätzungen betrug der Nettozuwachs für die USA deutlich unter 0,1 Prozentpunkten des Bruttoinlandprodukts – das ist weniger als ein Zehntel von einem Prozent des Nationaleinkommens. Stellen Sie sich nur einmal vor, wie viel weniger wahrscheinlich ein Präsident Donald Trump wäre, wenn all das politische Kapital, das für eine Initiative investiert wurde, die so viel Disruption für so viele Amerikaner verursacht hat und die Wirtschaft dabei nicht einmal nennenswert wachsen ließ, stattdessen für Industrie-, Qualifizierungs- oder Infrastrukturprogramme eingesetzt worden wäre, die ordentliche Arbeitsplätze in den USA geschaffen hätten.


Hinter der Grenze

Importe sind nur eine Quelle für Disruptionen auf den Arbeitsmärkten, und nicht einmal die wichtigste. Nachfrageschocks, technologische Veränderungen und der gewöhnliche Wettbewerb mit anderen heimischen Firmen produzieren in der Regel mehr Verschiebungen. Dennoch sind die durch den Außenhandel angestoßenen Entwicklungen tendenziell politisch markanter. Sie bieten Politikern eine dankbare Sündenbock-Strategie, weil diese leicht mit dem Finger auf Ausländer zeigen können – im Falle Trumps sind das Chinesen, Mexikaner oder Deutsche.


Die gesamte Community wird dadurch aufgewühlt, wenn sie sieht, wie einer ihrer Mitbürger wegen unfairer Praktiken keinen ordentlichen Job mehr bekommt


Aber es gibt noch einen weiteren, tiefer gehenden Faktor, der die durch den Handel verursachten Verwerfungen besonders kontrovers macht. Manchmal sorgt der internationale Handel für einen Wettbewerb, der durch heimische Gesetze normalerweise untersagt wäre, weil er vereinbarte Normen verletzt. Es ist eine Sache, wenn du deinen Job an jemanden verlierst, der nach den gleichen Regeln wie du selbst spielst – aber es ist eine völlig andere, wenn dein Job zu einer Firma wandert, die von schwächeren Arbeits-, Umwelt- oder Sicherheitsstandards profitiert. Ein solcher Wettbewerb kann wichtige Regulierungen und auch Steuergesetze durch die Hintertür unterwandern. Diese Fairness-Bedenken gehen über das hinaus, was ein Individuum direkt beeinflussen kann – die gesamte Community wird dadurch aufgewühlt, wenn sie sieht, wie einer ihrer Mitbürger wegen unfairer Praktiken keinen ordentlichen Job mehr bekommt.


Aber die Hyper-Globalisierer haben solche Bedenken ignoriert. Stattdessen setzten sie noch eins drauf und drängten auf Handelsabkommen, bei denen es in Wahrheit überhaupt nicht mehr um den Freihandel ging. Ihr Fokus verlagerte sich auf Regulierungen hinter der Grenze – auf den Abbau von Agrarsubventionen, auf die Standardisierung von Investitionsregeln, Produktstandards, geistigen Eigentumsrechten, Finanzregularien. Diese sind alle traditionell das Ergebnis von institutionellen Übereinkünften oder innenpolitischen Verhandlungen. Doch plötzlich wurden sie als Handelsbarrieren angesehen und durch Handelsabkommen neu geschrieben.


Die Details von Handelsregimen werden auf diesem Terrain sehr schnell sehr politisch. In Großbritannien gab es das Beispiel der Wohlfahrtsstandards bei der Eierproduktion oder in Deutschland die Chlorhühner-Debatte. Auch in anderen Ländern drehten sich die Bedenken oft um billige Nahrungsmittel. Als Großbritannien kleine Legehennen-Batterien verbot, aber wegen der EU-Regeln gezwungen war, den Import von Eiern aus dem weniger regulierten Polen zuzulassen, gab es einen Aufschrei unter den britischen Landwirten. Ein paar Jahre später waren schließlich die Polen wütend, als es den Briten gelang, die Gesetze für die Käfighaltung EU-weit zu verschärfen.


Und anders als beim konventionellen Freihandel versprechen hinter der Grenze wirksam werdende Harmonisierungen nicht notwendigerweise Effizienzverbesserungen. Es existiert keine mit dem Komparativen Vorteil vergleichbare Theorie, die erklären könnte, warum beispielsweise vereinheitlichte Lebensmittel- oder Bankenregulierungen grundsätzlich zum Vorteil aller Länder funktionieren sollten. Dafür beinhaltet der Harmonisierungsprozess die Aufgabe der nationalen Gesetzgebungsautonomie – und damit der Fähigkeit, auf die individuellen Konturen von Volkswirtschaften und Gesellschaften zu reagieren.


Abkommen zur Regelung von grenzüberschreitenden Investments und Initiativen wie das TRIPS-Abkommen, dass seit 1995 die geistigen Eigentumsrechte regelt, waren sicherlich das, was multinationale Konzerne, Finanzfirmen und die Pharmabranche wollten und oftmals bekamen. Solche Abkommen haben zu Kontroversen geführt, weil sie oft als Bevorzugung von Firmeninteressen auf Kosten der gesellschaftlichen wahrgenommen wurden – und als einen direkten Angriff auf die nationale demokratische Kontrolle.


Die Finanz-Globalisierung

Der vielleicht ungeheuerlichste Fehler der Hyper-Globalisierer war es, nach den 90er Jahren die Finanz-Globalisierung voranzutreiben. Sie nahmen ein Lehrbuch-Argument und liefen damit Amok. Der freie Verkehr von Finanzströmen rund um den Globus würde, so die selbstbewusste Prognose, Geld dort zum Einsatz bringen, wo es am ehesten gebraucht würde. Durch den freien Kapitalfluss würden Ersparnisse automatisch in Länder mit höheren Renditen gelenkt werden; durch den Zugang zu den Weltmärkten würden Volkswirtschaften und Unternehmen auch Zugang zu verlässlicheren Finanzquellen haben; und auch ganz gewöhnliche Sparer würden profitieren, weil sie nicht länger gezwungen wären, alle ihre Eier in einen nationalen Korb zu packen.


Die Ketten der Finanzbranche zu lockern produzierte eine Reihe von extrem kostspieligen Finanzkrisen – eine uneingeschränkte Offenheit gegenüber ausländischen Finanzierungen ist fast nie eine gute Idee


Diese Vorteile haben sich aber im Großen und Ganzen niemals eingestellt. Manchmal waren die Folgen sogar das Gegenteil des Versprochenen. China wurde zu einem Kapitalexporteur, anstatt Kapital zu importieren, was laut der Theorie für junge und arme Länder der Fall hätte sein sollen. Die Ketten der Finanzbranche zu lockern produzierte eine Reihe von extrem kostspieligen Finanzkrisen, darunter die Asienkrise von 1997. Im besten Fall gab es eine schwache Korrelation zwischen der Öffnung für ausländische Finanzierungen und Wirtschaftswachstum. Aber es gibt im Zeitverlauf eine starke empirische Verbindung zwischen Finanz-Globalisierung und Finanzkrisen – genau wie es sie seit dem 19. Jahrhundert schon gegeben hat, als frei bewegliche internationale Kapitalströme mit Begeisterung in die argentinische Eisenbahn oder für kurze Zeit in einen entlegenen Winkel des britischen Empire flossen, nur um dann bei der nächsten Gelegenheit wieder die Flucht zu ergreifen.


Die moderne Finanz-Globalisierung ging nirgendwo soweit wie in der Eurozone. Die monetäre Vereinigung zielte auf die komplette finanzielle Integration ab, indem alle mit Ländergrenzen verbundenen Transaktionskosten aufgehoben wurden. Die Euro-Einführung im Jahr 1999 reduzierte tatsächlich die Risikoaufschläge in Ländern wie Griechenland, Spanien und Portugal, die Finanzierungskosten glichen sich an. Aber was war die Folge? Schuldnern wurde es ermöglicht, große Leistungsbilanzdefizite zu haben und problematische Größenordnungen an Auslandsschulden anzuhäufen. Das Geld floss in jene Sektoren der Schuldner-Volkswirtschaften, die nicht über Grenzen gehandelt werden konnten (vor allem in den Bausektor), und zwar zulasten der handelbaren Aktivitäten. Der Kreditboom führte schließlich zu unvermeidlichen Pleiten, und es folgten im Zuge der weltweiten Kreditklemme anhaltende Krisen in Griechenland, Spanien, Portugal und Irland.


Heutzutage sind die Ansichten der ökonomischen Profession zur Finanz-Globalisierung bestenfalls ambivalent. Es ist allseits bekannt, dass das Versagen von Märkten und Staaten – asymmetrische Information, Bank Runs, exzessive Volatilität, inadäquate Regulierung – für die Finanzmärkte endemisch sind. Tatsächlich litten jene Volkswirtschaften am wenigsten unter der Asienkrise von 1997, die sich eine stärkere Kontrolle über ausländisches Kapital bewahrt hatten. Alles in allem ist eine uneingeschränkte Offenheit gegenüber ausländischen Finanzierungen fast nie eine gute Idee.


Die größte Skepsis wendet sich gegen für Krisen und Exzesse anfällige kurzfristige Finanzströme, während langfristige Flüsse und ausländische Direktinvestitionen allgemein immer noch als vorteilhaft angesehen werden, da solche Investments tendenziell stabiler und wachstumsfördernd sind. Aber auch sie sind nicht unproblematisch: Sie produzieren eine Verlagerung von Steuern und gewerkschaftlicher Verhandlungsmacht, was der Arbeiterschaft zum Nachteil gereicht.


Warum? Weil die Arbeitgeber davon profitieren, eine glaubwürdige Drohung in der Hand zu halten, solange die Löhne teilweise durch Tarifverhandlungen bestimmt werden: akzeptiert niedrigere Löhne oder wir ziehen woanders hin. Es gibt eine gewisse Evidenz dafür, dass der schrumpfende Arbeitsanteil am Nationaleinkommen in Zusammenhang mit der Bedrohung steht, die Produktion ins Ausland zu verlagern. Zudem ist die Arbeiterschaft lokalen Schocks stärker ausgesetzt, wenn das Kapital viel mobiler ist als die Arbeit. Und die Arbeiter mit den geringsten Fähigkeiten und Qualifikationen, also jene, die am wenigsten in der Lage sind, ins Ausland zu ziehen, sind davon gewöhnlich am stärksten betroffen.


Und wenn das Kapital mobil wird, ist es außerdem schwerer zu besteuern. Die Regierungen müssen sich zunehmend durch die Besteuerung von Dingen finanzieren, die weniger gut zu Fuß sind: Konsum oder Arbeit. Tatsächlich sind die Unternehmenssteuern – die Trump gerade reduziert hat – seit den späten 80er Jahren praktisch in allen fortgeschrittenen Volkswirtschaften deutlich gesunken. Währenddessen blieb die Abgabenbelastung der Einkommen (z. B. durch Sozialabgaben) größtenteils konstant, während die Konsum- und Umsatzsteuern oftmals erhöht wurden.


Eine demokratische Neujustierung

Wie wird die Reise weitergehen? Zunächst sollten wir nicht erwarten, dass die Erwartungen der 1990er Jahre, also einer unbarmherzigen ökonomischen Integration, die von den Politikern nicht beachtet wurde, alsbald zurückkehren werden. Die Wähler werden das einfach nicht mehr mitmachen, die enorm gewachsene Zustimmung für Links- und Rechtspopulisten in den Demokratien dieser Welt bereitet dafür die Grundlage. Meinen Berechnungen zufolge haben Länder, in denen Populisten zur Wahl standen, in den späten 90ern weniger als 10% der Stimmen erhalten, doch in den letzten Jahren ist ihr Anteil auf knapp 25% gestiegen.


Und wenn der alte Weg versperrt ist, wohin kann es dann gehen? Der Alptraum einer Neuauflage des Kollapses aller Kooperationen im Stile der 1930er Jahre erscheint zum Glück unwahrscheinlich. Jahrzehnte nach der Desintegration der Sowjetunion wird niemand mehr von einem stalinistischen „Sozialismus in einem Land“ überzeugt werden, jedenfalls nicht so, wie es viele Linke damals waren. Der Nationalismus bleibt eine mächtige Kraft, aber ihm steht mehr im Weg, als dies in den 30ern der Fall war. Heutzutage haben wir viel stärkere internationale Organisationen, und obwohl die heimischen Sicherheitsnetze ausgefranzt sein mögen, bieten sie jenen, die vom Handel negativ betroffen sind, doch mehr Schutz als während der Jahre der Depression. Und vielleicht am wichtigsten: Die in den heutigen fortgeschrittenen Volkswirtschaften vorherrschende politische Machtbalance bevorzugt sehr stark Gruppen, die für internationalen Handel und Investitionen sind.


Nichtsdestotrotz gibt es ein anderes scheußliches Szenario, dass deutlich wahrscheinlicher ist: Die zentristischen Eliten schaffen es nicht, angemessen auf den Rückschlag zu reagieren, was Populismus und Protektionismus weiter befeuert. Dies könnte zu einer Erosion der Offenheit unserer Volkswirtschaften gegenüber ausländischen Produkten und vielleicht auch Ideen führen, und – am wichtigsten – die liberale Demokratie zusammenbrechen lassen. Dieses Risiko besteht wegen der Verachtung, die die Populisten typischerweise für rechtsstaatliche Verfahren, den Schutz von andersdenkenden Minderheiten und für die Kontrollmöglichkeiten des von ihnen definierten „Volkswillens“ haben. Das ungesunde Element des nationalistischen Chauvinismus könnte sich leicht einschleichen – der Brexit und Trump sind die Vorboten dieses Szenarios.


Es gibt jedoch noch einen anderen – viel besseren – Weg in die Zukunft: eine demokratische Neujustierung. Ein Abrücken von der Hyper-Globalisierung, aber ohne die Tür zuzuschlagen, während eine größere nationale Autonomie im Dienste einer inklusiveren heimischen Ordnung wiederhergestellt wird.


Was würde dies konkret beinhalten? Zunächst einmal die Entwicklung und Anwendung der Idee des „fairen Handels“. Das ist ein Begriff, für den sich Ökonomen nur schwer erwärmen können: Für viele von ihnen hat er den Beigeschmack eines getarnten Protektionismus. Aber der faire Handel ist bereits in Form von Anti-Dumping- und Kompensationspflichten in den Handelsgesetzen festgeschrieben, die Länder nutzen können, um gegen Länder zurückzuschlagen, die Exporte auf rücksichtslose Weise bepreisen oder sie subventionieren, um Marktanteile zu gewinnen. Sicher, diese sogenannten „handelspolitischen Schutzmaßnahmen“ ermöglichen das Blockieren eines Austauschs, aber sie ermöglichen es auch, sich politisch für ein offenes Handelssystem einzusetzen.


Hätten die Verhandlungsführer bei den Freihandelsgesprächen solche Schutzmaßnahmen auch auf das sogenannte „Sozialdumping“ ausgedehnt, also beispielsweise auf den Wettbewerb durch das Unterschreiten von Arbeitsmarktstandards, dann hätten sie dem Welthandelsregime möglicherweise jene Unterstützung verschafft, die ihm so schmerzlich fehlt. Aber die Hyper-Globalisierer konnten sich für diese Idee nie erwärmen. Für sie bedeutete komparativer Vorteil komparativer Vorteil – vollkommen egal, ob dieser nun durch die Ressourcen eines Landes oder dessen repressive Institutionen entstand.


Die Globalisierung war und ist das Produkt menschlichen Handelns – sie kann geformt und reformiert werden, zum Guten wie zum Schlechten


Durch Trump, den Brexit und die Wiederauferstehung der populistischen Linken bezahlen sie heute den Preis für ihre Gleichgültigkeit. Alle, die sich die Bewahrung einer offenen liberalen Ordnung wünschen, müssen sich nun ein paar längst überfällige Gedanken darüber machen, welche Art des politischen Fortschritts faire Handelsregeln schaffen kann, die nicht nur angewendet werden, sondern auch einen grenzüberschreitenden Respekt genießen. Wir können damit anfangen, Handelsabkommen zu entwerfen, die die Legitimität der Weltwirtschaft in den Augen der breiten Öffentlichkeit erhöhen, anstatt die Sonderinteressen von globalen Konzernen zu verfolgen.


Es ist fundamental zu begreifen, dass die Globalisierung das Produkt menschlichen Handels ist und es auch schon immer war – sie kann geformt und reformiert werden, zum Guten wie zum Schlechten. Das große Problem mit Blairs energischer Bejahung der Globalisierung im Jahr 2005 war die Annahme, dass sie eine Sache wäre, die nicht dadurch beeinflusst wird, wie unsere Gesellschaften sie erleben, und ein Wind des Wandels, mit dem man nicht verhandeln oder debattieren könne.


Diese Fehleinschätzung beeinflusst immer noch unsere politischen, finanziellen und technokratischen Eliten. Aber der nach den 90er Jahren umgesetzte Drang zur Hyper-Globalisierung, mit seinem Fokus auf eine freie Finanzbranche, restriktive Patentregeln und Sonderregelungen für Investoren, war nicht vorherbestimmt.


Die Wahrheit ist, dass die Globalisierung wissentlich durch die Regeln geprägt wurde, die die Machthaber erlassen wollten: durch die von ihnen privilegierten Gruppen, durch die Politikfelder, die sie angehen wollten und jene, die sie außenvorgelassen haben, und welche Märkte zum Gegenstand des internationalen Wettbewerbs wurden. Es ist möglich, die Globalisierung wieder für das Allgemeinwohl zu beanspruchen, indem man die richtige Wahl trifft. Wir können eine koordinierte Unternehmensbesteuerung gegenüber einem stärken Patentschutz, bessere Arbeitsstandards gegenüber Sondergerichten für Investoren und eine größere regulatorische Autonomie gegenüber der Minimierung von hinter der Grenze geltenden Transaktionskosten priorisieren.


Eine Weltwirtschaft, in der diese alternativen Entscheidungen getroffen würden, würde ziemlich anders aussehen. Die Verteilung von Gewinnen und Verlusten zwischen und innerhalb von Nationen würde dramatisch angepasst werden. Und wir würden nicht notwendigerweise weniger Globalisierung haben: Die Legitimation der Weltmärkte zu erhöhen, würde sehr wahrscheinlich den globalen Handel und Investitionen antreiben, statt sie zu behindern. Solch eine Globalisierung wäre nachhaltiger, weil sie mehr Unterstützung genießen würde. Und es wäre auch eine Globalisierung, die mit unserer heutigen nicht sonderlich viel gemeinsam hätte.

 

Zum Autor: Dani Rodrik ist Wirtschaftsprofessor an der Harvard University.

Hinweis: Eine englische Version dieses Beitrags ist zuerst im Prospect Magazine erschienen.


Info: https://makronom.de/dani-rodrik-die-grosse-globalisierungsluege-24731



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Das Trilemma der Globalisierung


piqd.de, vom 02.12.2016, Eric Bonse

In Deutschland haben wir uns ja angewöhnt die Globalisierung als einen naturgegebenen Prozess zu betrachten, der in unserem ureigensten Interesse liegt. Wer gegen Globalisierung ist, ist nicht nur rechts oder populistisch, sonder er schadet sich selbst, lautet die herrschende Lehre. Die Wähler von Trump, Orban oder Le Pen seien dann auch alle Globalisierungsverlierer, oder wenigstens solche, die vor der Globalisierung Angst haben, fälschlicherweise.


Bullshit, antwortet der Ökonom Dani Rodrik aus Harvard. Er hat ein Globalisierungs-Trilemma beschrieben, das vereinfacht wie folgt geht: Wenn wir die Globalisierung weitertreiben wollen, dann müssen wir entweder den Nationalstaat oder die Demokratie aufgeben. Und wenn wir den Nationalstaat und unsere Selbstbestimmung bewahren wollen, dann müssen wir entweder die Demokratie oder die Globalisierung aufgeben.


Wenn man das zu Ende denkt, dann bedeutet die deutsche Doktrin das Ende der Demokratie - denn wir wollen ja Globalisierung und Nationalstaat. Es gibt aber offenbar immer mehr Menschen, denen Nationalstaat und Demokratie wichtiger sind als die Globalisierung. Wenn Rodrik Recht hat, liegt da ein echtes Problem. Wie schlimm das werden kann, zeigt die Dauerkrise der Eurozone. Vor allem Griechenland steckt tief im Trilemma.


Aber es gibt wohl auch einen Ausweg: Das Ende der Hyper-Globalisierung. Wie das aussehen könnte, beschreibt dieser Artikel!

                                                               - ab hier noch Bezahlschranke -


Info: https://www.piqd.de/volkswirtschaft/das-trilemma-der-globalisierung



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KOMMENTAR

Der Brexit und das Trilemma der Globalisierung


makronom.de, vom 16. JUNI 2016, DANI RODRIK

Inzwischen nehmen sogar vernünftige und gut informierte Beobachter die EU als dermaßen antidemokratisch wahr, dass für sie ein EU-Austritt die einzige Option ist, um die Demokratie zu reparieren – trotz aller ökonomischer Risiken. Ein Kommentar von Dani Rodrik.


Zitat: Ich habe bisher nicht viel über den Brexit geschrieben, weil ich keine sonderlich starke oder gut informierte Meinung zu dem Thema habe. Meine persönliche Hoffnung ist, dass Großbritannien sich für einen EU-Verbleib entscheiden wird – aber diese Hoffnung beruht nicht auf den wahrscheinlichen ökonomischen Kosten, die ein Brexit mit sich bringen würde, sondern eher auf dem Glauben, dass die EU ohne die Briten tendenziell undemokratischer und irregeleiteter werden dürfte, als sie es jetzt ist.


Ja, ich bin definitiv der Meinung, dass ein EU-Austritt für Großbritannien (und möglicherweise auch für die Weltwirtschaft) ein erhebliches ökonomisches Risiko darstellt, obwohl ich glaube, dass es erhebliche Unsicherheitsmargen bei den quantitativen Prognosen gibt, die das britische Schatzamt und viele britische Ökonomen vorgelegt haben. Aber es bestehen auch einige ernste Fragen über die Art der Selbstverwaltung und zur demokratischen Natur der EU in ihrem momentanen Zustand.


Ambrose Evans-Pritchard, der International Business Editor des Daily Telegraph, hat kürzlich einen bemerkenswerten Beitrag geschrieben, in dem er aus politischen Gründen zugunsten eines Brexit argumentiert. Evans-Pritchard macht klar, dass er mit dem hurrapatriotischen und nativistischen Ton der Brexit-Kampagne wenig gemeinsam hat. Aber lässt man die Verdrehungen und Lügen der Brexit-Befürworter einmal beiseite, ergibt sich aus dem Referendum doch die wichtige Frage, wie Großbritannien künftig regiert werden soll. Evans-Pritchard schreibt:

„Es geht um eine fundamentale Frage: ob die vollständige Selbstverwaltung dieser Nation wiederhergestellt wird oder sie weiter unter einem höheren supranationalen Regime lebt, regiert von einem Europäischen Rat, den wir in keiner Form gewählt haben und den das britische Volk niemals abschaffen kann, selbst wenn er in seinem Irrtum verharrt.“

„Wir entscheiden, ob wir von einer Kommission mit quasi-exekutiver Macht geführt werden, die eher wie die Priesterschaft des Papsttums im 13. Jahrhundert agiert, als wie ein moderner öffentlicher Dienst; und ob wir uns einem Europäischen Gerichtshof fügen, der eine weitreichende Vorherrschaft beansprucht, ohne jedes Recht auf Berufung.“

„Es geht darum, ob Sie denken, dass die Nationen Europas die einzigen authentischen Foren der Demokratie sind, sei es in diesem Land oder in Schweden oder in den Niederlanden oder in Frankreich…“

Das Problem besteht darin, dass die EU eher eine Technokratie als eine Demokratie ist (Evans-Pritchard nennt sie eine „Nomenklatura“). Eine naheliegende Alternative zum Brexit wäre es, eine voll entwickelte europäische Demokratie zu errichten. Evans-Pritchard erwähnt Yanis Varoufakis, einen Brexit-Gegner, der so etwas wie die „Vereinigten Staaten von Europa mit einem wahrhaftigen Parlament, das einen gewählten Präsidenten zur Rechenschaft ziehen kann“ fordert.


Allerdings schreibt Evans-Pritchard:

„Ich denke nicht, dass dies auch nur im Entferntesten möglich ist, oder auch nur erstrebenswert wäre, und es gibt auch kein Angebot in diese Richtung. Selbst im sechsten Jahr der Eurokrise gibt es nicht das geringste Anzeichen für eine Fiskalunion: Keine Eurobonds, keinen hamiltonischen Schuldentilgungsfonds, keine gemeinsame Schuldenaufnahme, keine Transfers von Haushaltsmitteln. Die Bankenunion straft ihren Namen lügen. Deutschland und die anderen Gläubigerstaaten widersetzten sich dem energisch.“

Genau das ist es, was ich versucht habe, in meinem „politischen Trilemma der Weltwirtschaft“ herauszuarbeiten:



Dieses Trilemma besagt, dass die Demokratie nur mit einer tiefen ökonomischen Integration kompatibel ist, wenn die Demokratie ebenfalls transnationalisiert wird – das ist die Lösung, die Varoufakis favorisiert. Evans-Pritchard glaubt dagegen, dass ein demokratischer und verantwortungsvoller europäischer Superstaat weder möglich noch erstrebenswert ist.


Es gilt zu anzumerken, dass die Spannungen, die zwischen Demokratie und Globalisierung entstehen, keine eindeutige Konsequenz der Tatsache sind, dass letztere die nationale Souveränität beschränkt. Es gibt Umstände, unter denen externe Zwänge die Demokratie fördern statt beschränken können. Aber es gibt auch viele Umstände, unter denen externe Regeln nicht die Rahmenbedingungen für die Delegation demokratischer Rechte bieten (mehr zu dieser Diskussion hier).


Evans-Pritchard glaubt, dass die europäischen Regeln eindeutig in die letztere Kategorie fallen. Abgesehen von der europäischen Bürokratie (und ihrer Politik in der Eurokrise) ärgert er sich vor allem über die starke Autorität, die der Europäische Gerichtshofs über die nationale Politik hat, ohne dass es die Möglichkeit einer Berufung gäbe.


Mit Blick auf die Sonderregelung, anhand derer sich das Land der EU-Gesetzgebung entziehen kann („Opt-out“), schreibt Evans-Pritchard: „Muss ich noch hinzufügen, dass Großbritanniens Opt-out-Regelung von der Grundrechtecharta unter Protokoll 30 – das von Tony Blair im Unterhaus als „absolut eindeutig“ beschrieben wurde – vom Europäischen Gerichtshof beiseite gewischt wurde.“


Ich habe keine klare Meinung zur Substanz von Evans-Pritchards Argument – genauso wenig dazu, ob die britische Selbstverwaltung durch die EU stark beeinträchtigt wird oder ob die Opt-out-Regelung durch den Europäischen Gerichtshof annulliert wurde. Aber es ist klar, dass die EU-Gesetze, die nötig waren, um einen gemeinsamen europäischen Binnenmarkt zu unterstützen, deutlich über das hinausgehen, was demokratisch legitimiert ist. Ob Großbritanniens Opt-out nun in Kraft ist oder nicht – das politische Trilemma ist in Kraft. In Evans-Pritchards aufrüttelnden Worten hört sich das wie folgt an:

„Das [europäische] Projekts zapft das Lebensblut der nationalen Institutionen ab, aber versagt darin, es auf der europäischen Ebene mit irgendetwas Liebenswertem oder Legitimen zu ersetzen. Es entzieht Charisma und zerstört es. Auf diese Art sterben Demokratien.“

Die EU war einst ein Leuchtturm der Demokratie

Ich habe erstmals an das Trilemma der Globalisierung gedacht, als ich im Jahr 2000 gebeten wurde, für die Millennium-Sonderausgabe des Journal of Economic Perspectives darüber zu spekulieren, wie die Weltwirtschaft in 100 Jahren aussehen könnte. Ich habe dies getan, indem ich eine politische Analogie zum makroökonomischen Trilemma offener Volkswirtschaften präsentierte, die Ökonomen sehr vertraut ist (wir können nur zwei von diesen drei Dingen haben: autonome Geldpolitik, freien Kapitalverkehr, oder einen festen Wechselkurs). Dann dachte ich, und tue es immer noch, dass dieses politische Trilemma die Entwicklung der globalen politischen Ökonomie immer stärker prägen wird.


Zu dieser Zeit habe ich die EU als den einzigen Teil der Weltwirtschaft angesehen, der erfolgreich Hyperglobalisierung (gemeinsamer Binnenmarkt) und Demokratie durch die Erschaffung einer europäischen Öffentlichkeit und eines Staatswesens verbinden könnte. Dieser Ansicht habe ich, wenn auch etwas vorsichtiger, 2011 in meinem Buch Das Globalisierungs-Paradox Ausdruck verliehen.


Deutschland und insbesondere Angela Merkel haben jede Chance auf ein demokratisches Europa beerdigt


Aber jetzt muss ich eingestehen, dass meine Ansicht falsch war (oder hoffentlich: vielleicht falsch war). Die Art, wie Deutschland und insbesondere Angela Merkel auf die Krise in Griechenland und anderen überschuldeten Staaten reagierte, hat jede Chance auf ein demokratisches Europa beerdigt. Sie hätte die Krise als eine Krise der gegenseitigen Abhängigkeit darstellen können („wir haben alle dazu beigetragen, und jetzt stecken wir alle gemeinsam drin“).


Merkel hätte die Krise als eine Gelegenheit nutzen können, um einen großen Sprung in Richtung einer politischen Union zu machen. Stattdessen hat sie ein Moralstück daraus gemacht und verantwortungsbewusste Nordeuropäer gegen faule, verschwenderische Südeuropäer ausgespielt. Die Krise sollte von europäischen Technokraten gelöst werden, die niemanden rechenschaftspflichtig sind und desaströse ökonomische Medikamente verabreichten.

Die Brexit-Gegner erinnern uns daran, dass die ökonomischen Kosten eines britischen Abschieds tatsächlich erheblich wären. Vernünftige Menschen müssen sich selbst darüber klarwerden, wie sich diese Kosten gegenüber dem Schaden an der demokratischen Selbstverwaltung verhalten. Evans-Pritchard ist sich übrigens vollkommen darüber im Klaren, dass seine Wahl ein „kalkuliertes Risiko“ enthält.


Ich gehöre einer Generation von Türken an, die die Europäische Union als ein nachahmenswertes Beispiel und als einen Leuchtturm der Demokratie angesehen hat. Es macht mich unheimlich traurig, dass die EU jetzt eine Art von Gesetzgebung und Regierung darstellt, die so im Gegensatz zur Demokratie steht, dass selbst informierte und vernünftige Beobachter wie Ambrose Evans-Pritchard einen EU-Austritt als einzige Option sehen, um die Demokratie zu reparieren.

 

Zum Autor:

Dani Rodrik ist Wirtschaftsprofessor an der Harvard University. Er ist Autor zahlreicher Bücher und zählt zu den weltweit renommiertesten Ökonomen auf dem Gebiet der Entwicklungspolitik. Außerdem betreibt Rodrik einen Blog, auf dem dieser Beitrag zuerst in englischer Sprache erschienen ist. Die Übersetzung erfolgte mit Zustimmung des Autors durch die Makronom-Redaktion.


Info: https://mkronom.de/der-brexit-und-das-trilemma-der-globalisierung-15571

23.09.2021

Rodriks unmögliches Dreieck

faz.net, AKTUALISIERT AM GERALD BRAUNBERGER.

Dani Rodrik zählt seit Jahren zu den angesehensten und meistgelesenen Entwicklungsökonomen, auch wenn er sich anders als der Hauptstrom in der Ökonomik der vergangenen drei Jahrzehnte nicht der Ansicht angeschlossen hat, dass Globalisierung und Freihandel immer und automatisch vorteilhaft seien. ...


Zitat: Dani Rodrik zählt seit Jahren zu den angesehensten und meistgelesenen Entwicklungsökonomen, auch wenn er sich anders als der Hauptstrom in der Ökonomik der vergangenen drei Jahrzehnte nicht der Ansicht angeschlossen hat, dass Globalisierung und Freihandel immer und automatisch vorteilhaft seien. Doch obgleich der gebürtige Türke und langjährige Harvard-Professor in einer Wissenschaft tätig ist, die gerne zwischen Freund und Feind unterscheidet, hat Rodrik stets auch in jenen Fachzeitschriften publizieren können, die den uneingeschränkt gläubigen Freihändlern nahestehen. Mit anderen Worten: Man muss Rodrik nicht immer zustimmen, aber man sollte ihn ernst nehmen.


In seinem neuen Buch will der Ökonom die Unvereinbarkeit von Nationalstaat, Demokratie und grenzenloser Globalisierung ("Hyperglobalisierung") demonstrieren. Am Anfang trifft er zwei grundsätzliche Feststellungen, die er der deutschen Geistesgeschichte entnommen haben könnte. Erstens: Markt und Staat sind keine Antipoden, sondern gehören zusammen. Funktionsfähige Märkte brauchen einen starken Staat. (Soweit sich der Staat auf das Setzen und Garantieren eines Ordnungsrahmens beschränkt, müsste ein deutscher Ordoliberaler im Geiste Walter Euckens diese These bejahen.)


Zweitens: Es gibt nicht den Kapitalismus, sondern eine Vielzahl von Ausprägungen, die auf unterschiedliche nationale, kulturelle, historische oder gesellschaftliche Traditionen und Gebräuche zurückzuführen sind. Daher wirken Markt und Staat je nach Land oder Region auf unterschiedliche Art und Weise zusammen. (Das hatte die deutsche Historische Schule der Ökonomik schon vor 100 Jahren konstatiert.)


Nun kommt Rodriks Problem: Wir haben globale Märkte, die, um auf Dauer ordentlich zu funktionieren, seines Erachtens eines globalen staatlichen Regelwerks bedürfen. Wir haben aber keine Weltregierung, weil die meisten Menschen nicht bereit sein dürften, die dafür notwendigen Kompetenzen vom demokratischen Nationalstaat zu übertragen. Eine Übertragung solcher Kompetenzen durch eine nationale Regierung gegen den Willen ihrer Bürger verstieße ihrerseits gegen die Demokratie.


Rodrik folgert: "Ich nenne dies das fundamentale politische Trilemma der Weltwirtschaft: Wir können nicht gleichzeitig Demokratie, nationale Selbstbestimmung und wirtschaftliche Globalisierung betreiben. Wenn wir die Globalisierung weiterführen wollen, müssen wir entweder den Nationalstaat oder demokratische Politik aufgeben. Wenn wir die Demokratie behalten und vertiefen wollen, müssen wir zwischen dem Nationalstaat und internationaler wirtschaftlicher Integration wählen. Und wenn wir den Nationalstaat und Selbstbestimmung bewahren wollen, müssen wir zwischen einer Vertiefung der Demokratie und einer Vertiefung der Globalisierung wählen."


Rodrik macht klar, wo seine Präferenzen liegen. Er will die Demokratie und die nationale Selbstbestimmung bewahren und ist hierfür bereit, etwas Sand in das Getriebe der Globalisierung zu streuen: "Demokratien haben das Recht, ihre sozialen Regeln zu verteidigen, und wenn dieses Recht mit den Anforderungen einer globalen Wirtschaft konfligiert, sollte die Globalisierung das Nachsehen haben."


Wie begründet der Ökonom Rodrik seine Position? An den Anfang stellt er mit David Ricardos Theorie der komparativen Kosten eine Art "Magna Charta" der Theorie des Freihandels. Ricardo hatte mit einem simplen Beispiel, in dem England und Portugal Wein und Tuch handeln, gezeigt, dass Freihandel für beide Länder grundsätzlich vorteilhaft ist. Fundamentale Globalisierungsgegner werden an Rodrik wenig Freude haben, denn er hält diese Theorie nicht für falsch: "Das ist ein kraftvolles Argument, das Globalisierungskritiker häufig nicht genug durchdenken." Ebenso weist er als "merkantilistischen Fehlschluss" das nachfolgende bekannte Zitat Abraham Lincolns zurück, das viele Nichtökonomen plausibel finden, das einem Ökonomen aber die Haare zu Berge steigen lässt: "Ich weiß nicht viel über den Zolltarif, aber so viel weiß ich: Wenn wir im Ausland Fertigwaren kaufen, bekommen wir die Waren und die Ausländer das Geld. Wenn wir im Inland Fertigwaren kaufen, bekommen wir sowohl die Waren als auch das Geld."


Rodrik hält die Theorie des Freihandels jedoch für unvollständig. Die Folgen internationalen Handels sind seines Erachtens zu vielschichtig und zu kompliziert, um in eine simple Theorie gepackt zu werden. Hier seien zwei Beispiele genannt: So kann die forcierte Herstellung von Gütern für den Außenhandel möglicherweise teure ökologische Spätfolgen mit sich bringen. Man könnte etwa an die Abholzung der Regenwälder im Amazonasgebiet denken. Hier fallen - sofern nennenswerte ökologische Kosten entstehen - die privaten und die gesellschaftlichen Kosten der Produktion auseinander. Für die Gesellschaft ist der Außenhandel insgesamt weniger rentabel, als es alleine mit Blick auf die Exportbranche scheint.


Ein zweites Beispiel liefert der mit der Einbindung eines Landes in die Globalisierung verbundene Strukturwandel innerhalb einer Landes, der nicht nur Gewinner kennt, sondern auch Verlierer. Die traditionelle liberale Botschaft lautet zwar, dass zumindest auf lange Sicht alle oder nahezu alle gewinnen, aber nicht nur das aus der Außenhandelstheorie bekannte Samuelson/Stolper-Theorem lässt daran zweifeln. Selbst ein liberaler Ökonom wie Jagdish Bhagwati befürwortet staatliche Hilfen für Gruppen von Menschen, die im Zuge der Einbindung eines Landes in die Weltwirtschaft ihre Arbeit verlieren und neues Humankapital aufbauen müssen.


Und natürlich hat Rodrik recht, wenn er darauf verweist, dass heute reiche Nationen in der Zeit der Industrialisierung selbst Zölle erhoben hatten - darunter auch die Vereinigten Staaten und das Deutsche Reich. In der Gegenwart kennen rasch wachsende Länder in Asien Beschränkungen des freien Handels.


Mit Blick auf die reale Welt hält Rodrik die liberale Traumkonstellation von Freihandel und Minimalstaat für eine Illusion. Vielmehr zitiert er Untersuchungen, nach denen Industrienationen mit starker Außenhandelsorientierung häufig einen hohen Staatsanteil an der Wirtschaft aufweisen. Rodrik erklärt dies mit der Notwendigkeit des Staates, die Benachteiligten der Globalisierung zu kompensieren. Wie weit diese Argumentation trägt, ist unklar. Eine Korrelation ist nicht identisch mit einer Kausalität, und zumindest in Deutschland dürfte die sozialstaatliche Tradition, die man in der Wissenschaft mit Lorenz von Stein und in der Politik mit Otto von Bismarck beginnen lassen kann, nicht primär auf außenwirtschaftliche Überlegungen zurückzuführen sein.


Rodriks Alternative zur "Hyperglobalisierung" ist eine "Globalisierung mit Augenmaß", die er auch als "Kapitalismus 3.0" bezeichnet. Denn Rodrik versteht sich als Reformer, nicht als Bilderstürmer: "Der Kapitalismus ist konkurrenzlos, wenn es darum geht, die kollektiven unternehmerischen und wirtschaftlichen Energien menschlicher Gesellschaften zu mobilisieren." Und: "Das Geheimnis der Langlebigkeit des Kapitalismus ist seine Flexibilität."


Rodrik strebt eine Welt an mit maßvollen Handelsbeschränkungen, mit nationaler Selbstbestimmung und mit dem Verzicht darauf, anderen Ländern die eigene Ordnung aufzuzwingen. Ein Problem besteht darin, dass sich maßvolle Handelsbeschränkungen schlecht konkret definieren lassen. Wer den Geist des Protektionismus aus der Flasche lässt, bekommt ihn vielleicht nicht wieder hinein.


Dani Rodrik: Das Globalisierungs-Paradox.

Beck Verlag, München 2011, 415 Seiten, 24,95 Euro

Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.03.2011, Nr. 73 / Seite 14


Info: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/wirtschaft/rodriks-unmoegliches-dreieck-1612995.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2

23.09.2021

Die Berliner Reparationsverweigerung (II)                                                      Proteste in Namibia verhindern Ratifizierung eines Berliner Versuchs, Entschädigungsforderungen für den Genozid an den Herero und Nama billig abzuwehren. Weitere Staaten bestehen auf Reparationen.

german-foreign-policy.com, 23. September 2021

BERLIN/WINDHOEK/WARSCHAU/ATHEN(Eigener Bericht) - Heftige Proteste haben in Namibia den Versuch der Bundesregierung vorläufig gestoppt, die Forderung nach angemessenen Entschädigungen für den Genozid an den Herero und Nama auszuhebeln. Berlin hatte sich mit der Regierung in Windhoek auf ein vorgebliches Versöhnungsabkommen geeinigt, das den Genozid lediglich politisch, nicht aber juristisch anerkennt und daher keine förmlichen Reparationen, sondern nur freiwillige Zahlungen im Wert der bisherigen deutschen Entwicklungshilfe vorsieht. Bedeutende Organisationen der Herero und Nama weisen es zurück und haben am Dienstag seine Ratifizierung im namibischen Parlament verhindert. Unterdessen halten weitere Staaten ihre Forderungen nach Entschädigung für deutsche Kolonial- und Weltkriegsverbrechen aufrecht, so zumindest zeitweise Tansania, vor allem aber Polen und Griechenland. Die Reparationsschuld der Bundesrepublik gegenüber Warschau wird auf 850 Milliarden Euro, diejenige gegenüber Athen wird auf 288 Milliarden Euro geschätzt. Athen hat zuletzt anlässlich des 80. Jahrestags des deutschen Überfalls Verhandlungen angemahnt - vergebens.


Zitat: Hilfsgelder statt Entschädigung

Das sogenannte Versöhnungsabkommen mit Namibia, das am 15. Mai nach sechs Jahre währenden Geheimverhandlungen zwischen Berlin und Windhoek paraphiert worden war, sieht keine rechtliche, sondern lediglich eine "politisch-historische" Anerkennung des Genozids an den Herero und Nama in den Jahren von 1904 bis 1908 vor. Zwar ist die Bundesregierung, wie Außenminister Heiko Maas am 28. Mai bestätigte, bereit, die damaligen "Ereignisse" nun "auch offiziell als das [zu] bezeichnen, was sie aus heutiger Perspektive waren" - als "Völkermord".[1] Zugleich aber beharrt das Auswärtige Amt darauf, juristisch könne der Massenmord an bis zu 65.000 Herero und mindestens 10.000 Nama nicht als Genozid eingestuft werden, da die UN-Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes, die erstmals Genozid als Straftat definiert, erst 1948 unterzeichnet worden und erst 1951 in Kraft getreten sei; man könne sie keinesfalls rückwirkend anwenden. Entsprechend bietet auch das "Versöhnungsabkommen" Namibia keinerlei reguläre Entschädigung, sondern lediglich eine freiwillige Zahlung an. Sie soll sich auf 1,1 Milliarden Euro verteilt auf die nächsten 30 Jahre belaufen; das ist ungefähr der Betrag, den die Bundesrepublik Windhoek während der vergangenen 30 Jahre als Entwicklungshilfe gezahlt hat.


Proteste

Während die Regierung in Windhoek und ihr nahestehende Herero und Nama sich zuletzt darauf eingelassen haben - Namibia benötigt dringend Geld, umso mehr in der Coronakrise -, wehren sich einflussreiche Organisationen der Opfernachkommen seit Jahren dagegen, von Deutschland billig abgespeist zu werden. Sie haben in den vergangenen Jahren mit Prozessen vor US-Gerichten die Bundesrepublik zur Zahlung von Entschädigungen zu verpflichten versucht, sind damit allerdings gescheitert. Berlin hatte allerlei Tricks angewandt, um sich den Verfahren zu entziehen (german-foreign-policy.com berichtete [2]). Da die strikt auf dem Recht auf eine förmliche Entschädigung bestehenden Herero und Nama von den Geheimverhandlungen über das "Versöhnungsabkommen" ausgeschlossen waren, blieb ihnen nichts anderes als offener Protest. Diesen setzen sie auch jetzt fort, da die Vereinbarung vom Parlament in Windhoek ratifiziert werden soll. Die Ratifizierung war ursprünglich für Juni vorgesehen, wurde dann aber verschoben - offiziell wegen der Covid-19-Pandemie. Am Dienstag stand sie erneut zur Debatte, wurde allerdings zum zweiten Mal vertagt: Einige hundert Demonstranten protestierten vor dem Parlament; mehrere von ihnen drangen in das Gebäude ein. Die Ratifizierung musste verschoben werden.[3] Die Entschädigungsfrage bleibt in Namibia damit auch formal offen.


Erfolgreich abgeblockt

Entschädigungsforderungen flackern auch in Tansania immer wieder auf. So erklärte etwa Anfang 2017 der damalige tansanische Verteidigungsminister Hussein Mwinyi, die Regierung seines Landes bereite eine offizielle Aufforderung an die Bundesregierung vor, endlich Entschädigungen für die Verbrechen im Kolonialkrieg in Deutsch-Ostafrika von 1905 bis 1907 ("Maji-Maji-Krieg") zu zahlen. Der Krieg kostete wohl 180.000, vielleicht sogar noch deutlich mehr Menschen im heutigen Tansania das Leben. Berlin gelang es zunächst, die Forderungen abzuwehren: Bereits im Frühjahr 2018 ließ sich Außenminister Heiko Maas von seinem tansanischen Amtskollegen bei seinem Besuch in dem ostafrikanischen Land bestätigen, Entschädigungen seien "kein Thema, das die [dortige] Regierung aufgegriffen hat". Maas sagte im Gegenzug etwa die Restaurierung kolonialer Prachtbauten aus der deutschen Kolonialzeit zu (german-foreign-policy.com berichtete [4]). Dauerhaft erfolgreich war das deutsche Bestreben, Entschädigungsforderungen bereits im Keim zu ersticken, allerdings nicht: Anfang 2020 rief Tansanias Botschafter in Deutschland, Abdallah Possi, die Bundesregierung erneut auf, über "Reparationen zu verhandeln".[5] Berlin blockte die Forderung freilich wie gewohnt ab.[5]


Bis heute nicht beglichen

Ebenfalls noch offen sind Entschädigungen für deutsche Kriegsverbrechen und -zerstörungen im Zweiten Weltkrieg in Polen. Dort verfolgte das Deutsche Reich eine Besatzungspolitik, die der Vorbereitung und Durchführung des Holocaust diente, die daneben aber auch, wie der Historiker Stefan Garstecki formuliert, einen "genozidalen Charakter ... gegenüber den ethnischen Polen" aufwies.[6] Bis zu sechs Millionen Polen kamen zu Tode, darunter rund drei Millionen jüdischen Glaubens, die zum großen Teil in den deutschen Vernichtungslagern ermordet wurden; auch die materiellen Zerstörungen waren enorm. Warschau fordert dafür bereits seit geraumer Zeit Entschädigung und hat den Betrag von einer Parlamentskommission feststellen lassen; er beläuft sich laut Berichten auf annähernd 850 Milliarden Euro.[7] Polnische Politiker bekräftigen immer wieder, man halte an der Forderung fest; zuletzt konstatierte der stellvertretende polnische Außenminister Szymon Szynkowski vel Sęk, Deutschland habe die vom NS-Reich "im Zweiten Weltkrieg angerichteten Schäden [bis heute] nicht beglichen".[8] Berlin weist Polens Forderung, endlich Entschädigungen zu zahlen, seit je mit großer Konsequenz zurück (german-foreign-policy.com berichtete [9]).


Bleibende Forderungen

Dasselbe tut es gegenüber Griechenland. Athen fordert seit je, die Bundesrepublik müsse für die immensen Schäden zahlen, die das Deutsche Reich vom Zeitpunkt seines Überfalls am 6. April 1941 bis zum Abzug der Wehrmacht im Jahr 1944 angerichtet hatte.[10] Eine griechische Parlamentskommission kam im August 2016 zu dem Ergebnis, die deutsche Reparationsschuld gegenüber Griechenland belaufe sich heute auf umgerechnet 288 Milliarden Euro. Im Juni 2019 forderte die griechische Regierung zu Verhandlungen über Entschädigungszahlungen auf - und scheiterte damit: Berlin lehnte das Anliegen im Oktober 2019 rundheraus ab. Auch eine diplomatische Note vom Januar 2020 führte zu nichts. Zuletzt bestätigte Athen kurz vor dem 80. Jahrestag des deutschen Überfalls Anfang April dieses Jahres, es halte an seinem Anliegen fest: "Die Frage bleibt offen bis zur Erfüllung unserer Forderungen", erklärte ein Sprecher des griechischen Außenministeriums. "Diese Forderungen sind gültig und aktiv und sie werden mit jedem Mittel geltend gemacht."[11] Mit Blick auf die deutsche Praxis, Forderungen einfach auszusitzen, fügte der Sprecher schließlich noch hinzu: "Verhandlungen würden sehr positiv zur weiteren Förderung der griechisch-deutschen Beziehungen beitragen." Geschehen ist seitdem nichts.

 

Mehr zum Thema: Schweigegeld statt EntschädigungAchthundert Milliarden und Reparationsabwehr aus der Trickkiste.

 

[1] Außenminister Maas zum Abschluss der Verhandlungen mit Namibia. auswaertiges-amt.de 28.05.2021.

[2] S. dazu Annahme verweigert und Schweigegeld statt Entschädigung.

[3] Cai Nebe, Sakeus Iileka: Namibia vertagt Abstimmung über deutsche Entschädigungen erneut. dw.com 21.09.2021.

[4] S. dazu Auf dem Weg zum Vernichtungskrieg (I) und Meilensteine deutscher Erinnerung.

[5] Antonio Cascais: Germany's colonial past catches up with it. dw.com 30.08.2020.

[6] Stefan Garsztecki: Deutsche Kriegsreparationen an Polen? Hintergründe und Einschätzungen eines nicht nur innerpolnischen Streites. In: Polen-Analysen Nr. 227, 27.11.2018. S. 2-7. S. auch Die Berliner Reparationsverweigerung.

[7] Sven Felix Kellerhoff: Warum in Polen jetzt 850 Milliarden von Deutschland gefordert werden. welt.de 20.08.2019.

[8] Nach Steinmeier-Äußerung: Polens Regierung will neue Debatte um Reparationen. rnd.de 11.02.2021.

[9] S. dazu Die Berliner Reparationsverweigerung.

[10] S. dazu Reparationsabwehr aus der Trickkiste.

[11] Griechenland besteht auf Reparationen für Zweiten Weltkrieg. tagesspiegel.de 05.04.2021.


Info: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8712

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