aus e-mail von Doris Pumphrey, 27. Januar 2022, 19:44 Uhr
https://www.nachdenkseiten.de/?p=80197
27.1.22
*„Tagesthemen“: Freundliche Bühne für Faschisten-Verehrer
*Caren Miosga hat ausgerechnet wenige Tage vor dem heutigen Holocaust-Gedenktag ein freundliches Interview mit einem bekennenden Verehrer des ukrainischen Nazi-Kollaborateurs Stepan Bandera geführt:
Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk müsste eigentlich als eine radikale Figur vorgestellt werden. Aber weil er gegen Russland trommelt, führen die „Tagesthemen“ ein devotes Gespräch mit ihm. Wäre Melnyk allerdings Russe oder würde er die deutsche Corona-Politik kritisieren,
so würde vermutlich die ganze Palette an Diffamierungen als „Autokraten-Versteher“ oder „rechtsradikaler Staatsfeind“ über ihn hereinbrechen. Dadurch wird das Interview zu einem Symbol für die große Heuchelei, in der die deutsche Medienlandschaft verstrickt ist. Ein Kommentar von *Tobias Riegel*.
Es vergeht bereits zu normalen Zeiten kaum ein Tag, an dem nicht deutsche Repräsentanten aus Politik und Medien die „Lehren aus der deutschen Geschichte“ zitieren und angesichts von rechtsextremen Tendenzen dazu aufrufen, den „Anfängen zu wehren“. Rund um den heutigen
Holocaust-Gedenktag fühlen sich viele Repräsentanten (zu Recht)
besonders motiviert, in wohlklingenden Worten antifaschistisches
Engagement einzufordern. Damit kein Missverständnis entsteht: Das
Gedenken an den Holocaust ist wichtig und soll hier keineswegs
diffamiert werden! Zu diesem Gedenken gehören auch die wichtigen
Mahnungen, einer Wiederholung von totalitären Tendenzen in Deutschland
(und seien sie in neuem Gewand) entgegenzutreten.
Das schöne Bild des politisch-moralisch geläuterten und
antifaschistischen Deutschlands wird jedoch auch instrumentalisiert,
etwa für die eitle Selbstdarstellung von Politikern. Und das Bild
bekommt erste Risse, wenn teils die gleichen Politiker nun totalitäre
Tendenzen im Schatten einer „Virusbekämpfung“ fördern. Und wenn jene
Bürger, die noch den Erhalt ihrer (bis Corona) verbrieften Grundrechte
einfordern, als „Staatsfeinde“ und als „rechtsradikal“ bezeichnet werden.
*„Tagesthemen“: Radikaler Wolf darf sich als friedliches Schaf präsentieren*
Vollends verstricken sich Medienschaffende in großer Heuchelei, wenn sie
wenige Tage vor dem heutigen Holocaust-Gedenktag mit dem ukrainischen
Botschafter Andrij Melnyk einen bekennenden Verehrer eines ukrainischen
Nazi-Kollaborateurs und Faschisten interviewen und ihm eine freundliche
Bühne bereiten. Das praktizierten etwa die „Tagesthemen“ am 24. Januar
<https://www.ardmediathek.de/video/tagesthemen/tagesthemen/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL3RhZ2VzdGhlbWVuLzFkMDE0ZDJjLWQ2NTQtNGU3OS1hNWU0LTEwZGQzM2Q0MzlhYQ/>
(ab Minute 4:01). Das Interview ist nur ein kleiner Teil in einer
überwältigenden aktuellen Kampagne gegen Russland, aber es sticht durch
die Person Melnyk doch heraus.
Interessant ist, dass der seit 2014 als ukrainischer Botschafter in
Deutschland amtierende Melnyk selber bereits vor einigen Jahren offensiv
mit seiner Verehrung für den ukrainischen Nazi-Kollaborateur Stepan
Bandera hausieren ging (etwa hier
<https://twitter.com/melnykandrij/status/592635676258148352> oder hier
<https://ukrainiancrusade.blogspot.com/2015/10/a-new-memorial-to-stepan-bandera-was.html>).
Und dass die „Tagesthemen“ diesen wunden Punkt nun aber nicht einmal
strategisch thematisieren, etwa um ihn als „überholt“ darzustellen und
Melnyks Kritikern so den Wind aus den Segeln zu nehmen. Eine angemessene
Distanzierung Melnyks von seiner Bandera-Verehrung konnte ich zumindest
in deutschen Quellen nicht finden. Dass deutsche Medien mit der
Unterstützung von Rechtsradikalen keine Probleme haben, solange sie in
Opposition zum russischen Präsidenten Wladimir Putin stehen, haben sie
bereits am Beispiel Alexej Nawalny gezeigt.
Im Interview selber hält sich Miosga mit allzu harten Aussagen (relativ)
zurück, transportiert aber eine tendenziell devote Haltung für die
„zurückhaltende“ deutsche Position zur Ukraine und etwa
Waffenlieferungen. Das verbindet sie auch noch mit der fragwürdigen
Behauptung, Deutschland würde „grundsätzlich“ keine Waffen direkt in
Krisengebiete liefern. Auch der Botschafter Melnyk hatte (im Vergleich
zu einigen sonstigen Auftritten) gehörig Kreide gefressen und spielte
die Rolle des besorgten und wortgewandten Politikers. Und diese Rolle
wurde von Miosga auch nicht infrage gestellt. Dadurch konnte sich ein
radikaler Wolf als friedliches Schaf präsentieren, mit freundlicher
Unterstützung unseres öffentlich-rechtlichen Fernsehens.
Sollten die „Tagesthemen“ beim Interview dem Prinzip gefolgt sein, dass
ausländische Diplomaten auch diplomatisch behandelt werden müssen (was
keine abwegige Haltung wäre), so muss aber doch auf Gleichbehandlung
gepocht werden: Wie ein Gespräch mit einem russischen Botschafter mit
vergleichbar radikalen politischen Neigungen ausgesehen hätte, kann man
sich vorstellen. Eine radikale Figur, die man wegen des Diplomatenstatus
schonen „muss“, sollte man nicht in die Sendung einladen.
*Wie es gerade passt: Rechtsradikale werden betont oder verschwiegen*
Der sanfte Umgang mit Melnyk durch die „Tagesthemen“ ruft Erinnerungen
an die Berichterstattung zum Maidan-Umsturz von 2014 wach, als die
starke rechtsextreme Färbung des Umsturzes von deutschen Medien gezielt
unter den Teppich gekehrt wurde. Aktuell verhalten sich viele deutsche
Redakteure gegenüber den Corona-Protesten umgekehrt: Eine offensichtlich
nicht rechtsradikale Bewegung soll mit aller Macht und allen Tricks der
Manipulation als rechtsradikal dargestellt werden. Welchen Charakter die
auch von Deutschland unterstützte aktuelle Regierung der Ukraine hat,
beschreibt etwa RT:
„Die seit dem Jahr 2014 die Ukraine beherrschenden Parteien – und die
derzeitige von Präsident Selenskij eingesetzte Regierung ist da auch
keine Ausnahme – lässt Straßen nach ukrainischen Nationalisten benennen,
die mit Hitler und den deutschen Besatzern zusammenarbeiteten, und
errichtet für sie Denkmäler. Denkmäler für sowjetische Soldaten hingegen
werden zerstört. Die Fahne, die im Mai 1945 über dem Reichstag und auf
dem Brandenburger Tor wehte, ist in der Ukraine seit dem Sieg des Maidan
verboten.“
Die sanfte Ausdrucksform Melnyks in den „Tagesthemen“ sollte nicht über
seine knallharten Standpunkte (etwa gegenüber Russland) hinwegtäuschen.
Melnyk gehört zu den umstrittensten Diplomaten in Deutschland. RT hat in
diesem Artikel
<https://de.rt.com/inland/130362-ukrainischer-botschafter-zu-vizeadmiral-schonbach/>
einige der von Melnyk ausgelösten Kontroversen zusammengestellt. So habe
er gerade der „Welt“ als Reaktion auf die Äußerungen des
Marine-Vizeadmirals Schönbach gesagt, aus den Äußerungen spreche
“deutsche Arroganz und Größenwahn, mit denen einer der hochrangigsten
Köpfe der Bundeswehr von einer heiligen Allianz mit Kriegsverbrecher
Putin und einem deutsch-russischen modernen Kreuzzug gegen China
träumt“. RT listet weiter auf:
„/Im Mai 2020 //griff er Brandenburgs Europaministerin Katrin Lange
(SPD) scharf an/
<https://de.rt.com/international/102728-ukrainischer-botschafter-geht-auf-brandenburgs-europaministerin-katrin-lange-los/>/,
die sich am 8. Mai zum Anlass 75. Jahrestag des Kriegsendes kritisch zu
den Sanktionen gegen Russland geäußert hatte. Ebenfalls im Jahr 2020
//ließ er eine deutsch-ukrainische Historikerkommission/
<https://germany.mfa.gov.ua/de/news/shchodo-tzv-nimecko-ukrayinskoyi-komisiyi-istorikiv>/wegen
ihrer ablehnenden Position zur Anerkennung der Hungersnot des Winters
1932/33 als Genozid platzen. Im Jahr 2021 lief Melnyk zur Höchstform
auf: Zuerst nahm er im Frühjahr //den Bundespräsidenten Franz-Walter
Steinmeier ins Visier/
<https://de.rt.com/meinung/113033-steinmeiers-waterloo-ukrainische-botschafter-und-sein-feldzug/>/,
weil dieser an die historische Verantwortung Deutschlands gegenüber
Russland erinnert hatte. Im April //drohte er mit ukrainischen
Atomwaffen/
<https://de.rt.com/europa/116012-ukraine-zieht-atomare-aufrustung-in/>/und
im Mai //schoss er sich auf die Partei die Linke ein/
<https://de.rt.com/europa/117820-nazi-uberfall-auf-sowjetunion-ukrainischer/>/,
die ihn mit einem friedenspolitischen Antrag im Bundestag empört hatte.
Kurz darauf forderte er die Umbenennung des Deutsch-Russischen Museums
in Berlin-Karlshorst und//boykottierte eine Gedenkveranstaltung/
<https://de.rt.com/europa/119236-angriffe-auf-deutsche-gedenkpolitik-deutsch-ukrainischer-geschichtsstreit-eskaliert/>/zum
achtzigsten Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion, an
der Steinmeier als Bundespräsident teilnahm. Im Oktober //forderte er
ultimativ deutsche Reparationen/
<https://de.rt.com/europa/125309-ukrainischer-botschafter-pocht-auf-eu-nato-beitritt-stellt-reparationsforderung-aussicht/>/für
sein Land und zum Jahreswechsel //die Lieferung von Waffen/
<https://de.rt.com/international/129693-kriegsrhetorik-a-la-kiew-ukrainischer/>/und
Kriegsgerät./“
*Wer war Stepan Bandera?*
Die faschistischen Haltungen des von Melnyk verehrten Stepan Bandera
werden von seinen Anhängern gerne als Kampf für eine „selbstbestimmte
Ukraine“ verklärt. Das ist Geschichtsklitterung. Sogar die
„Bundeszentrale für Politische Bildung“ kommt zum Ergebnis
<https://www.bpb.de/apuz/257664/stepan-bandera-der-ukrainische-nationalismus-und-der-transnationale-faschismus?p=all>,
dass Bandera eindeutig ein Nazi-Kollaborateur war und seine Gruppierung
OUN-B ein radikales faschistisches Netzwerk:
„Die OUN nutzte 1935/36 Prozesse gegen sich in Warschau und Lemberg, die
wegen des Attentats auf den polnischen Innenminister Pieracki und
anderer Verbrechen stattfanden, um ihren “Freiheitskampf” international
bekannt zu machen. Bandera stilisierte sich nun explizit zum Führer
einer faschistischen Bewegung, die die Ukraine befreien würde. Im
Gerichtsaal wurde er von seinen Kampfgenossen mit faschistischem Gruß
geehrt. (…) Seine Zeit in Haft nutzte er unter anderem dafür, junge
Ukrainer zu radikalisieren, die im Zweiten Weltkrieg Massenmorde
organisieren sollten.
Die OUN-B kontrollierte den Großteil des Untergrundes in der Westukraine
und erarbeitete im Generalgouvernement einen detaillierten Plan für den
Ausbau eines faschistischen Staates auf allen administrativen Ebenen,
den sie “Ukrainische Nationale Revolution” nannte.
An seiner Verwirklichung sollten sich unter anderem die aus ukrainischen
Freiwilligen bestehenden Bataillone “Roland” und “Nachtigall” der
deutschen Wehrmacht sowie die sogenannten Marschgruppen beteiligen. Die
OUN-B hoffte, dass die Nationalsozialisten ihren Staat akzeptieren
würden, und dieser ähnlich wie die Slowakei im März 1939 und Kroatien im
April 1940 zu einem politischen Organismus des “Neuen Europa” unter
deren Führung werden würde. Auf einem Kongress Anfang April 1941 in
Krakau faschisierte sich die OUN-B weiter und leistete dadurch einen
Beitrag zur Gestaltung des europäischen Faschismusdiskurses. Sie führte
unter anderem den Gruß “Ehre der Ukraine! – Ehre den Helden!” ein,
diskutierte die Gesundheit der ukrainischen Rasse und verdammte die
Juden als Stütze der Sowjetunion. (…) Beim Überfall auf die Sowjetunion
am 22. Juni 1941 trat die OUN-B als Verbündeter Deutschlands auf.“
*Was sagt die Bundesregierung?*
Auch die Bundesregierung ist sich gegenüber Melnyks Ansichten längst im
Klaren. Bereits 2015 antwortete sie auf eine Anfrage der LINKEN Sevim
Dağdelen <https://dserver.bundestag.de/btp/18/18102.pdf#P.9775>:
„Dem ukrainischen Botschafter ist unsere Position hierzu hinlänglich
bekannt. Die Bundesregierung verurteilt die von der Organisation
Ukrainischer Nationalisten, OUN, teilweise unter Leitung Banderas
begangenen Verbrechen an polnischen, jüdischen und ukrainischen
Zivilisten und Amtsträgern. Dabei ist sie sich bewusst, dass ein
erheblicher Anteil an diesen Verbrechen in Kollaboration mit deutschen
Besatzungstruppen begangen wurde.“
Ein bekennender Verehrer dieser Faschisten und Nazi-Kollaborateure
erscheint den „Tagesthemen“ – solange es gegen Russland geht – auch
wenige Tage vor dem Holocaust-Gedenktag als angemessener Gesprächspartner.