EU-Einsatz im Roten Meer (II) EU-Marineeinsatz im Roten Meer rückt näher. Bundestag soll Fregatte Hessen im verkürzten Verfahren entsenden. Im künftigen Einsatzgebiet droht durch Angriffe der USA und der Huthi eine militärische Eskalation.
german-foreign-policy.com, 19. Januar 2024
BERLIN/SANAA (Eigener Bericht) – Beschlüsse in Berlin und Brüssel über den geplanten EU-Militäreinsatz im Roten Meer unter Beteiligung der Bundeswehr rücken näher. Wie berichtet wird, hat sich das Politische und Sicherheitspolitische Komitee der EU am Dienstag im Grundsatz auf den Einsatz geeinigt. Am Montag werden sich die EU-Außenminister damit befassen; mehrere EU-Staaten fordern eine möglichst rasche Entscheidung. Die Entsendung der Fregatte Hessen im Rahmen der EU-Intervention soll im verkürzten parlamentarischen Verfahren abgesegnet werden und spätestens Mitte Februar erfolgen. Noch diskutiert wird, ob das Entern fremder Schiffe und der Beschuss von Stellungen der Huthi-Milizen an Land zum EU-Einsatzmandat gehören soll. Gleichzeitig setzen die US-Streitkräfte den Beschuss solcher Stellungen fort, ohne damit die Huthi-Attacken auf Handelsschiffe im Roten Meer stoppen oder auch nur verringern zu können. Iran wiederum ahmt Praktiken nach, die sich der Westen seit je anmaßt, und attackiert Stellungen seiner Gegner in Syrien, im Irak und in Pakistan. Es drohen eine Eskalationsspirale und ein Flächenbrand in Mittelost und damit im künftigen Einsatzgebiet der Deutschen Marine.
Zitat: „So bald wie möglich“
Die Planungen für den Einsatz der Deutschen Marine im Roten Meer konkretisieren sich. Berichten zufolge hat das Politische und Sicherheitspolitische Komitee der EU am Dienstag einem neuen EU-Einsatz in dem Gewässer im Grundsatz zugestimmt. Am nächsten Montag werden sich die EU-Außenminister mit ihm befassen. Spätestens am 19. Februar soll er in aller Form beschlossen werden, heißt es; dann werde er noch im Februar real starten können. Mehrere EU-Diplomaten werden mit der Forderung zitiert, der Einsatz solle noch deutlich früher beginnen; Italiens Außenminister Antonio Tajani etwa verlangt, er müsse „so bald wie möglich“ eingeleitet werden.[1] Geplant ist, dass mindestens drei Kriegsschiffe teilnehmen und dann Handelsschiffe bei deren Durchfahrt durch das Rote Meer vor Angriffen der Huthi-Milizen (Ansar Allah) schützen. Ergänzend sollen Aufklärungskapazitäten bereitgestellt werden, darunter auch Satelliten. Italien und Frankreich sind schon jetzt mit jeweils einem Kriegsschiff vor Ort präsent. Die Bundesregierung will die Fregatte Hessen entsenden. Dazu ist ein Beschluss des Bundestags nötig, der laut Ankündigung der Parlamentarischen Staatssekretärin im Verteidigungsministerium, Siemtje Möller, bis Mitte Februar getroffen werden soll – in einem verkürzten parlamentarischen Verfahren.[2]
Nicht unter US-Kommando
Bezüglich der Ausgestaltung des Einsatzes zeichnet sich ab, dass er auf den Strukturen der Opération Agénor aufbauen wird, einem europäischen, von Frankreich geführten Einsatz, der gegenwärtig im Rahmen der Operation EMASoH (European Maritime Awareness in the Strait of Hormuz) an der Straße von Hormuz Handelsschiffen Schutz bieten soll. Eine Reihe EU-Staaten legen laut Auskunft von Diplomaten Wert darauf zu verhindern, „dass Schiffe aus einem EU-Staat unter US-Kommando operieren“, wird berichtet.[3] Eine Beteiligung an der US-Operation Prosperity Guardian scheidet damit für sie aus. Noch unklar ist, wie weit das Einsatzmandat reichen soll. Fest steht, dass Huthi-Angriffe mit Drohnen, Raketen und Schiffen abgewehrt werden dürfen. Noch umstritten ist, ob fremde Schiffe, die verdächtigt werden, Waffen für die Ansar Allah an Bord zu haben, geentert werden dürfen. Ebenso gibt es noch keine Einigkeit darüber, ob Angriffe auf Stellungen der Huthi-Milizen an Land zulässig sein sollen. Spanien kritisiert den Einsatz prinzipiell und spricht sich für die diplomatische Beilegung des Konflikts aus. Qatars Premierminister Mohammed bin Abdulrahman al Thani warnt, Angriffe auf Stellungen der Ansar Allah trügen „ein hohes Risiko einer weiteren Eskalation“; statt zu den Waffen zu greifen, solle man lieber „das zentrale Thema bearbeiten“, also den Krieg im Gazastreifen beenden.[4]
In der Zwickmühle
Von Letzterem kann keine Rede sein. Zugleich setzen die Vereinigten Staaten ihre Attacken auf Stellungen der Huthi-Milizen im Jemen fort. Einer ersten Angriffswelle in der Nacht vom 11. auf den 12. Januar, bei der die Streitkräfte der USA und Großbritanniens mit rund 150 Bomben und Raketen mehr als 60 Ziele an 16 Orten zerstörten, sind schon mehrere weitere gefolgt. Am Mittwoch meldete Washington eine vierte Runde, bei der erneut jemenitische Raketenstellungen getroffen worden sein sollen. Die Ansar Allah setzt ihre Angriffe auf Schiffe, die das Rote Meer passieren, dennoch unverändert fort und hat in den vergangenen Tagen mit erneuten Treffern schwere Schäden verursacht. Ihr Anführer Abdel Malik al Huthi warnte am gestrigen Donnerstag, es sei für seine Kämpfer „eine große Ehre“, sich „in einer direkten Konfrontation mit Israel und Amerika“ zu befinden; sie seien aus vergleichbaren Auseinandersetzungen mit ihren Feinden stets stärker hervorgegangen.[5] Washington steckt in der Tat in der Zwickmühle. Reagiere es auf Beschuss durch die Ansar Allah mit begrenzten Attacken, dann ändere sich nichts, und die Gefahr für Handelsschiffe bleibe erhalten, urteilen Beobachter; gehe es aber zu großflächigen Angriffen über, dann werde sich „der Krieg noch mehr ausweiten“.[6] Die USA kämen dann aus dem nächsten Mittelostkrieg nicht mehr heraus.
Gleiches Unrecht für alle
Weiter verschärft wird die Lage im Mittleren Osten dadurch, dass Iran in den vergangenen Tagen dazu übergegangen ist, Praktiken nachzuahmen, die die westlichen Staaten sich seit je anmaßen – insbesondere im Nahen und Mittleren Osten. Zunächst griffen die iranischen Revolutionsgarden in der Nacht von Montag auf Dienstag Ziele in Syrien und im Irak an; die Attacken hätten antiiranischen „Terrorgruppen“ und im nordirakischen Erbil einem Posten des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad gegolten, hieß es dazu.[7] Iraks Regierung äußerte entschlossenen Protest, bestellte den iranischen Geschäftsträger in Bagdad ein und rief den irakischen Botschafter aus Teheran zu Konsultationen zurück. Nur wenig später griffen iranische Einheiten zudem zwei Ziele in Pakistan an, von denen sie erklärten, es habe sich um Stellungen der Terrororganisation Jaish al Adl gehandelt; diese kämpft für die Abspaltung der iranischen Provinz Sistan und Belutschistan. Pakistan protestierte scharf und griff am frühen Donnerstagmorgen Ziele in Iran an, über die es in Islamabad hieß, es habe sich ebenfalls um Stellungen von Terroristen gehandelt.[8] Die Parallele zu den Attacken der Vereinigten Staaten und Israels auf Stellungen proiranischer Milizen in Syrien und im Irak sowie zu israelischen Angriffen auf Ziele in Iran ist unverkennbar.
Die „Achse des Widerstands“
Beobachter urteilen, Iran und mit ihm verbündeten Kräften von der libanesischen Hizbollah über schiitische Milizen im Irak und in Syrien bis hin zur Ansar Allah gelinge es immer mehr, den Westen im Nahen und Mittleren Osten herauszufordern. Die „Achse des Widerstands“, die sie ausgerufen hätten, bedrohe inzwischen „die regionale Ordnung“, die der Westen dort „geschaffen und über Jahrzehnte verteidigt“ habe, heißt es etwa in einem aktuellen Beitrag in der US-Zeitschrift Foreign Affairs.[9] Dabei begleiteten Iran und seine Verbündeten ihre militärischen Aktivitäten mit einer medialen Kampagne, die die verbreitete Wut über Israels Kriegführung im Gazastreifen nutze, um der „Achse des Widerstands“ eine bisher ungeahnte Popularität zu verschaffen. „Wenn der Krieg nicht bald endet und kein klarer Weg zu einer gerechten Lösung für die Palästinenser eingeschlagen wird“, heißt es in dem Beitrag weiter, dann würden die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten einer Region gegenüberstehen, in der die erwähnte Wut „die öffentliche Meinung weiter entfacht“ und „den Einfluss der Achse zementiert“. Washington könne „den Trend nur umkehren“, indem es „einen Waffenstillstand in Gaza“ aushandle und „einen glaubwürdigen Friedensprozess“ gestalte, der letzten Endes „zu einer abschließenden Lösung“ führe. Dies allerdings ist nicht in Sicht.
[1] Andrew Rettman: Spanish abstention clears way for EU naval mission in Red Sea. euobserver.com 17.01.2024. S. auch EU-Einsatz im Roten Meer.
[2] Markus Decker: Verteidigungsministerium: Mandat für Bundeswehr-Einsatz im Roten Meer bis Mitte Februar. rnd.de 17.01.2024.
[3] Hubert Wetzel: EU bereitet Einsatz im Roten Meer vor. Süddeutsche Zeitung 18.01.2024.
[4] Andrew Rettman: Spanish abstention clears way for EU naval mission in Red Sea. euobserver.com 17.01.2024.
[5] Vivian Nereim: Houthi Leader Says Clash With U.S. Will Strengthen Militia Group. nytimes.com 18.01.2024.
[6] Eric Schmitt, Saeed Al-Batati: U.S. Strikes Houthi Targets in Yemen for a Third Time. nytimes.com 16.01.2024.
[7] Empörung über iranischen Angriff im Nordirak. Frankfurter Allgemeine Zeitung 17.01.2024.
[8] Othmara Glas, Alexander Haneke: Pakistans minimale Abschreckung. Frankfurter Allgemeine Zeitung 19.01.2024.
[9] Narges Bajoghli, Vali Nasr: How the War in Gaza Revived the Axis of Resistance. foreignaffairs.com 17.01.2023.
Info: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9458
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.