nachdenkseiten.de, vom 22. Februar 2024 um 16:50
Ein Artikel von Moritz Müller
Am Dienstag und Mittwoch gab es am High Court in London eine weitere Anhörung im Fall Julian Assange. Es ging dabei um die Frage, ob Julian Assange das Oberste Gericht, den Supreme Court in London, anrufen kann, um seine Auslieferung an die USA zu stoppen. Speziell ging es um die Frage, ob Bezirksrichterin Vanessa Baraitser in ihrem Schiedsspruch vom 4. Januar 2021 alle wichtigen Punkte berücksichtigt hat und ob die Genehmigung der Auslieferung im Juni 2022 durch die damalige Innenministerin Priti Patel rechtmäßig ist. Auf der Straße vor dem Gericht gab es eine große Zahl von Assange-Unterstützern und Aktivisten. Unter den Beobachtern im Gericht fanden sich auch langjährige Unterstützer aus dem Bundestag und dem Europäischen Parlament und die UN-Sonderberichterstatterin für Folter und unmenschliche Behandlung. Diesmal waren auch einige deutsche Medienvertreter im Gerichtssaal und vor dem Gericht teilten sich Fernsehteams den Platz mit den Demonstranten. Es ist, als ob jetzt in letzter Minute die Wichtigkeit des Falles doch noch erkannt wird, oder man will sich in den Redaktionen nicht vorwerfen lassen, dass man zu dem Fall nicht genug berichtet hat. Assange selbst nahm an der Anhörung nicht teil. Ein erster Überblick aus London von Moritz Müller.
Am Dienstagmorgen um halb acht war vor dem Gericht schon viel Betrieb, obwohl dessen Tore erst um neun öffnen und die Anhörung erst um halb elf beginnt. Einmal mehr führt die Knappheit der Beobachterplätze dazu, dass es vor dem Einlass Gedränge und Gerangel gibt. Dies hat sich seit der Anhörung am Woolwich Crown Court vor exakt 4 Jahren nicht geändert. Schon damals hatte ich über diese angewandte „Teile und herrsche“-Methode berichtet. Trotzdem ist die Stimmung okay und ich gelange in die kathedralenartige Haupthalle der Königlichen Gerichtshöfe (Royal Courts of Justice). Es gelingt mir, an einen kleinen grünen Zettel zu kommen, auf dem handschriftlich „Court 5“ vermerkt ist. Irgendwie ist dieses provisorische Vorgehen auch charmant und ein Grund, warum ich gerne in einem angelsächsisch-gälischen Land lebe, aber dies nur am Rande.
Am Tag zuvor hatte mir mein Gastgeber in London erklärt, dass es keine Person gibt, die der Gesamtheit der Royal Courts of Justice vorsteht. Das liegt daran, dass sich drei verschiedene Abteilungen der englischen und walisischen Justiz dieses Gebäude teilen. Es gibt auch drei verschiedene Sicherheitskräfte mit verschiedenen Aufgabenbereichen, deren Dienste von allen drei Justizabteilungen in Anspruch genommen werden.
Diese Unterteilung ist auch der offizielle Grund dafür, warum die Anhörung im relativ kleinen Saal 5 stattfindet. Es ist anscheinend der größte Raum, der der Queen‘s Bench, der Abteilung, die für die Anhörung zuständig ist, zur Verfügung steht. Vor dem Saal wartet man eine weitere gute Stunde, in der man sich mit interessanten Menschen, die den Fall verfolgen, unterhalten kann. Es gibt auch noch den Saal 3, in den die Anhörung übertragen wird, aber meine Erfahrung sagt mir, dass man der Technik in Londoner Gerichten lieber nicht vertrauen sollte, denn sie scheint die gleichen Urheber zu haben wie die oben erwähnten Einlasszettel.
Um kurz vor halb elf werden wir in den Saal gelassen und suchen unsere Plätze auf. Die zwei großen roten Bürosessel der Vorsitzenden Richterin und des Richters auf der Tribüne sind noch nicht besetzt. Unterhalb der Richtersessel sitzen drei der freundlichen und zuvorkommenden Gerichtsdiener. Bei manchen von ihnen wird während der ganzen zwei Tage nicht wirklich ersichtlich, welche Funktion sie haben. Links neben den Richtern gibt es einen riesigen, mittelalterlich anmutenden, schmiedeeisernen Käfig für die Angeklagten. Dieser Käfig ist Craig Murray zufolge erst in Tony Blairs Zeiten zum viktorianischen Interieur hinzugefügt worden. Insgesamt macht die gesamte Innenarchitektur einen wuchtigen Eindruck, von der ewig hohen Kassettendecke über die holzgetäfelten Wände, wo sie nicht von den Tausenden in Leder gebundenen Bänden mit Präzedenzfällen verdeckt werden, zu den beiden großen Kronleuchtern. Wir Beobachter nehmen auf Bänken Platz, die man auch in einer Kirche finden könnte und auf denen es gemütlich eng zugeht.
Die Anwälte beider Parteien sitzen vor uns und hinter ihnen ihre Helfer und dahinter wiederum die Klienten. Links ist das die Familie von Assange mit Stella Assange und Assanges Vater und Bruder, John und Gabriel Shipton, rechts die Vertreter des US-Regierungsapparats. Es ist bemerkenswert, dass die beiden Parteien auf der gleichen Bank nebeneinandersitzen müssen, wenn man bedenkt, dass es sichere Anzeichen dafür gibt, dass die CIA Mord- und Entführungspläne gegen Assange schmiedete. Zum Glück sitzt Assanges Anwalt in den USA, Barry Pollack, als eine Art Puffer dazwischen.
Als die Vorsitzende Richterin Viktoria Sharpe und der Richter Jeremy Johnson eintreten, stehen wir alle noch einmal auf und setzen uns wieder, nachdem die Gehilfen der Richter diesen ihre Sessel unter ihr Sitzfleisch gerückt haben. Jemand, der jahrelang in diesem Gebäude gearbeitet hat, sagte mir, dass jeder der 120 dort tätigen Richter einen solchen Gehilfen hat und manche der Richter in diesem eine Art Butler sähen.
Dann fängt die Verhandlung an und nachdem die Richterin uns begrüßt hat, erklärt sie, dass Julian Assange sich so unwohl fühlt, dass er es vorgezogen habe, an der Anhörung nicht teilzunehmen. Vielleicht wollte er aber auch weder in dem gruseligen Käfig neben den Richtern sitzen noch die charmante Videotechnik des Gerichts nutzen. Wie schon öfter in diesen Verhandlungen kommt es mir sehr merkwürdig vor, dass die Person, um die es geht, nicht anwesend ist.
Die Richterin ist akustisch schwer zu verstehen, obwohl sie in unsere Richtung spricht, und bei den Vertretern der Verteidigung wird es noch schwerer, weil diese die Richter ansprechen. Die Akustik des Raumes an sich trägt auch zur Unverständlichkeit bei. Nach einer Weile kommt dann auch eine Meldung aus Saal 3, dass man dort den per Mikrofon übertragenen Ton überhaupt nicht verstehen kann. Das Ganze ist sehr ermüdend und man muss die Richter bewundern, dass sie über die beiden Tage der Anhörung sehr konzentriert wirken.
Hier wäre dringend Abhilfe geboten, um die Technik im Namen einer transparenten Justiz auf den neuesten Stand zu bringen. Im Sommer haben die Gerichte monatelang Pause, sodass man hier sicher etwas machen könnte, wenn man wollte. Andererseits drängt sich das Gefühl auf, dass diese Pannen fast gewollt sind, um das Geschehen im Fall Assange zu verschleiern. Beobachter, die die Anhörung per Videolink verfolgen wollten und nicht in England oder Wales leben, wurden diesmal auch nicht zugelassen. Darunter fallen langjährige Assange-Verfahrensbeobachter wie Mary Kostakidis und Kevin Gosztola.
Der Verteidiger Edward Fitzgerald KC (King‘s Counsel, dt. Kronanwalt) eröffnete seine Ausführungen damit, dass die Bezirksrichterin in ihrem Schiedsspruch fälschlicherweise nicht erkannt habe, dass es sich bei diesem Auslieferungsbegehren um einen politischen Fall handelt. Politische Vergehen sind in Paragraf 4 des Auslieferungsvertrags zwischen den USA und dem Vereinigten Königreich explizit ausgeschlossen. Leider hat es der Paragraf 4 nicht bis in das entsprechende Auslieferungsgesetz des Vereinigten Königreichs geschafft und so umschiffte Bezirksrichterin Baraitser diese Frage in ihrem Schiedsspruch.
Die Verteidigung argumentierte am Dienstag, dass es diese Paragrafen, die eine Auslieferung bei politischen Straftaten verbieten, in den Gesetzen für 153 andere Länder gibt, und dass man deswegen aus der Nichtexistenz im Auslieferungsgesetz für die USA nicht schließen könne, dass diese Klausel im Allgemeinen nicht existiert. Außerdem gibt es diesen Paragrafen ja im Vertrag mit den USA. Dies war auch das Thema einer Rückfrage von Richter Johnson an die Anklage am Mittwoch, der sinngemäß sagte: „Wir liefern auch in politischen Fällen an die USA aus, während die USA sich im umgekehrten Fall auf den Auslieferungsvertrag berufen und nicht ausliefern?“ Daraufhin hatte die Anklage nichts Sinnvolles zu sagen.
Ein weiterer Punkt der Verteidigung war die Frage, ob Julian Assange als Ausländer unter den Schutz des Ersten Verfassungszusatzes der USA fiele, der die freie Rede absolut schützt. Es gibt nämlich in der Anklageschrift und aus Kommentaren dazu Indizien, dass dies nicht der Fall ist. Auch zu einer diesbezüglichen expliziten Nachfrage von Richter Johnson, ob es für die Gleichbehandlung von Nicht-US-Bürgern Beweise gibt, konnte die Anklage am Mittwoch nichts Aussagekräftiges antworten.
Ein weiterer Punkt, den die Verteidigung anführte, war, dass Julian Assange mit den WikiLeaks-Enthüllungen im öffentlichen Interesse gehandelt hat und dass eine strafrechtliche Verfolgung in den USA beispiellos wäre und noch nie vorgekommen sei. Die Anklage konterte am Mittwoch damit, dass auch die Verbrechen, die Julian Assange vorgeworfen werden, beispiellos seien und deshalb aufs Strengste verfolgt werden müssten.
Auf Edward Fitzgerald KC folgte Mark Summers KC, der auf die Unverhältnismäßigkeit der möglichen Strafe mit 175 Jahren Freiheitsentzug einging, was sich mit dem Strafmaß im Vereinigten Königreich in ähnlichen Fällen decke.
Der letzte und vielleicht gravierendste Punkt in seinen Ausführungen war, dass die USA nirgendwo in ihrem Auslieferungsbegehren wirklich wasserdicht zugesichert haben, dass Julian Assange in den USA nicht die Todesstrafe droht. Als Summers diesen Punkt in einem Satz zusammenfasste, nickte Richter Jeremy Johnson sogar merklich. Auch die Vertreter der USA konnten die Todesstrafe am Mittwoch auf Nachfrage nicht hundertprozentig ausschließen. Sie bemerkten nur mehrmals sehr schwammig, dass dieser Fall nicht relevant sei.
Die Richterin und der Richter machten auf mich einen interessierten Eindruck, während vorherige Richter und Richterinnen der Verteidigung gegenüber desinteressiert, abweisend oder herablassend gewirkt haben.
Besonders Jeremy Johnson wirkte der Verteidigung gegenüber aufgeschlossen, während er am Mittwoch der Anklage gegenüber eher skeptisch schien und mehrmals sehr kritische und schwierige Nachfragen intelligent formulierte. Einmal schien er, als die Anklagevertreterin Clair Dobbin KC etwas sagte, sogar mit den Augen zu rollen und den Kopf zu schütteln. Sie selbst wirkte am Mittwoch etwas fahrig. Einmal stieß sie ein Glas Wasser um, auf den vor ihr sitzenden Chris Hedges, dann fielen ihr Akten herunter oder sie konnte diese nicht finden. Mehrmals wurde sie von Richterin Dame Victoria Sharp gebeten, lauter zu sprechen.
Am Ende des zweiten Verhandlungstages zogen sich die beiden Vorsitzenden zurück und als sie nach kurzer Zeit wieder erschienen, erklärten sie, dass sie die Entscheidung vertagt hätten. Die während der zwei Tage erwähnten Dokumente, die nachzureichen seien und verschiedene von Verteidigung und Anklage gemachte Punkte genauer erläutern, müssten noch studiert werden. Als letztes Datum für die Einreichung wurde der 4. März genannt. Ein Datum für die Verkündung der Entscheidung, ob die Berufung zugelassen wird, wurde nicht bekanntgegeben.
Das Verfahren wird sich zumindest eine Weile noch so schleppend hinziehen, wie es das schon seit Jahren tut. Meine Vermutung ist, dass die Berufung zugelassen wird, weil keiner der potenziellen US-Präsidentschaftskandidaten Julian Assange vor den Wahlen im November in den USA haben will. Julian Assange hat vehemente Feinde, aber auch starke Fürsprecher auf beiden Seiten und es wäre schwer, es allen recht zu machen. Darum, so mein Eindruck, ist es für die USA sowie Großbritannien günstiger, wenn Julian Assange weiter willkürlich und auf unbestimmte Zeit in seiner grausamen Schwebe gehalten wird. Beide Staaten können dann so tun, als seien sie für diese Lage nicht wirklich verantwortlich.
Manchmal frage ich mich, ob jemand sich ein Diagramm wie dieses angeschaut hat und dann überlegt hat, welcher der Wege am längsten dauert …
Ich bin mir nicht sicher, ob es sich bei der relativen Freundlichkeit der Richter gegenüber der Verteidigung und der Skepsis gegenüber der Anklage nicht um eine Form des britischen Sports des Debating handelt. Hierbei schlüpfen die Kontrahenten in Rollen und vertreten Positionen, hinter denen sie nicht unbedingt stehen. Das kann sehr lustig sein, aber auch sehr unecht. Ich hoffe, ich täusche mich und die Richter sind wirklich daran interessiert, die ausstehenden Punkte neutral in einem etwaigen Berufungsverfahren geklärt zu sehen. Vor allem Richter Johnson wirkte aufgeschlossen und zeigte Humor.
Leider ändert dies alles gar nichts an Julian Assanges aktueller Lage, denn er sitzt weiterhin auf unbestimmte Zeit, Tag für Tag alleine in seiner Zelle im Hochsicherheitsgefängnis in Belmarsh.
Auch der Demonstrationszug, der mehrere Tausend Menschen am Mittwoch vom Gericht zum Sitz des Premierministers in der Downing Street führte, hat daran bis heute nichts geändert. Es liegt in der Macht US-amerikanischer oder britischer Politiker, diesen Fall abzuschließen und zu den Akten zu legen. Vielleicht sehen sie endlich ein, dass sie von der Weltöffentlichkeit beobachtet werden. Dazu tragen Demonstrationen, Mahnwachen und Medienberichte vielleicht bei.
In den nächsten Tagen werde ich noch weitere Links und weiterführende Gedanken zu diesem Thema zusammenfassen.
Rubriken: einzelne Politiker / Personen der Zeitgeschichte Erosion der Demokratie
Schlagwörter: Assange, JulianBürgerprotesteGefängnisGroßbritannienJustizpolitische Haft Todesstrafe USA
Info: https://www.nachdenkseiten.de/?p=111459
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
Weiteres :
Fall Julian Assange: Sieht Frau Baerbock noch immer „schwerwiegende Verstöße gegen Folterverbot“?
nachdenkseiten.de, 22. Februar 2024 um 10:40
Ein Artikel von: Florian Warweg
Am 20. Februar begann in London die wohl letzte Anhörung im Fall des seit fast fünf Jahren eingekerkerten Journalisten und WikiLeaks-Gründers Julian Assange. Ende 2021, kurz vor Amtsantritt als Außenministerin, forderte Annalena Baerbock öffentlich die „sofortige Freilassung von Julian Assange“ und begründete dies damals mit Verweis auf „schwerwiegende Verstöße gegen das Verbot von Folter, gegen das Recht auf ein faires Verfahren und gegen das Recht, keine Strafe ohne Gesetz zu erhalten“. Die NachDenkSeiten wollten auf der BPK vor diesem Hintergrund wissen, ob die Außenministerin weiterhin die damals von ihr angeführten schwerwiegenden Menschenrechtsverstöße gegen Assange gegeben sieht. Das Auswärtige Amt reagierte sichtlich genervt. Von Florian Warweg.
Hintergrund
„Aufgrund schwerwiegender Verstöße gegen grundlegende Freiheitsrechte der Europäischen Menschenrechtskonvention im Umgang mit Julian Assange – allen voran gegen das Verbot von Folter (Art. 3), gegen das Recht auf Freiheit und Sicherheit (Art. 5), gegen das Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6) und gegen das Recht, keine Strafe ohne Gesetz zu erhalten (Art. 7) – schließen wir uns der Resolution der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 27. Januar 2020 sowie dem Appell des UN-Sonderbeauftragten Nils Melzer an und fordern die sofortige Freilassung von Julian Assange.“
So lautete die unmissverständliche Antwort von Annalena Baerbock, damals noch Kanzlerkandidatin der Grünen, am 14. September 2021 auf dem Portal Abgeordnetenwatch hinsichtlich der Frage, wie sie zum Fall Julian Assange steht. Zweieinhalb Jahre später scheint bei Annalena Baerbock von diesen Einschätzungen und Forderungen nichts mehr übriggeblieben zu sein:
Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 21. Februar 2024 zum Thema Julian Assange
Frage Amin (ARD-Hauptstadtstudio)
Frau Deschauer, heute wird in Großbritannien die mögliche Auslieferung von Julian Assange verhandelt. Die Bundesaußenministerin hat sich zu einem früheren Zeitpunkt, als sie noch nicht Außenministerin war, sehr stark für die sofortige Freilassung von Herrn Assange eingesetzt. Was sagt sie heute zu dem Verfahren? Werden sie oder auch die Beauftragte für Menschenrechtspolitik, von der ich meine, auch noch nichts gehört zu haben, sich irgendwie zu Wort melden?
Deschauer (AA)
Vielen Dank für Ihre Frage. Sie nehmen Bezug auf ein laufendes Verfahren, das gerade seit gestern und heute vor dem High Court in London stattfindet und das wir als Bundesregierung wie aber natürlich auch die Außenministerin und die Menschenrechtsbeauftragte genau verfolgen. Die Menschenrechtsbeauftragte hat sich in der vergangenen Woche auf X dazu eingelassen. Darauf verweise ich einfach. Das können Sie vielleicht noch einmal nachlesen.
Inhaltlich kann ich die Position der Bundesregierung und der Außenministerin noch einmal darstellen. Sie hat sich auch in der Vergangenheit dazu geäußert. Es ist so, dass wir Diskrepanzen zwischen unserem Rechtsverständnis und dem Rechtsverständnis der Vereinigten Staaten von Amerika sehen, was die Bedeutung von Pressefreiheit in diesem konkreten Fall angeht. Es gibt ein Bundesverfassungsgerichtsurteil – ich meine, aus dem Jahr 2007 -, das deutlich gemacht hat, dass bei Tatbeständen wie etwa Geheimnisverrat der Bedeutung der Pressefreiheit Rechnung getragen werden muss. Die unterschiedliche Rechtsposition in diesem sehr konkreten Fall bringt die Bundesregierung auch gegenüber den Ansprechpartnern – das heißt, den Ansprechpartnern in den Vereinigten Staaten und im Vereinigten Königreich – sehr deutlich und sehr klar zum Ausdruck, in der Vergangenheit, aber auch in laufenden Gesprächen. Wir haben den Fortgang natürlich gestern beobachtet und beobachten ihn heute. Die Haltung der Bundesregierung und der Außenministerin ist sehr klar in dieser Hinsicht.
Frage Jung
Frau Deschauer, sind denn Vertreter oder Vertreterinnen der Bundesregierung im Gerichtssaal vertreten? Das war ja in früheren Fällen schon einmal der Fall.
Herr Hebestreit, wie wirkt der Kanzler bei diesem Verfahren mit? Hat er den US-Präsidenten auf die Diskrepanzen, auf die Frau Deschauer gerade in Sachen Rechtsverständnis hingewiesen hat, denn bei seinem Besuch im Weißen Haus vor ein paar Tagen hingewiesen?
Deschauer (AA)
Ich kann vielleicht auf die erste Frage antworten: Ja, ein Vertreter der Botschaft wird dabei sein.
Regierungssprecher Hebestreit
Das Thema Julian Assange hat beim Besuch des Bundeskanzlers im Weißen Haus vor knapp zwei Wochen keine Rolle gespielt.
Zusatzfrage Jung
Obwohl das so ein elementares Verfahren ist, obwohl dabei europäisches und US-amerikanisches Verständnis über Recht und Menschenrechte und Presserechte so weit auseinanderliegen, ist das ausgerechnet, wenn man im Weißen Haus ist, kein Thema?
Hebestreit
Nein. Der Bundeskanzler hat sich bei seinem Besuch beim amerikanischen Präsidenten auf die Lage in der Ukraine konzentriert, die militärische Unterstützung, die für die Ukraine nötig ist, und mit dem amerikanischen Präsidenten über verschiedene andere, sehr zentrale weltpolitische Fragen gesprochen. Ich glaube, man kann eine ganz lange Liste von Themen aufstellen, die wichtig sind und die man gerne miteinander besprechen würde, aber man muss da Prioritäten setzen, und das ist auch in diesem Fall geschehen.
Frage Warweg
Die Kollegin von der ARD hat ja schon darauf hingewiesen, dass Annalena Baerbock kurz vor Amtsantritt öffentlich die sofortige Freilassung von Julian Assange gefordert hat. Begründet hatte sie das damals, wenn ich kurz zitieren darf, „mit schwerwiegenden Verstößen gegen das Verbot von Folter und gegen das Recht auf ein faires Verfahren“. Da würde mich interessieren: Sieht denn die Außenministerin nach wie vor diese schweren Verstöße gegen das Folterverbot und gegen ein faires Verfahren im Falle von Julian Assange als gegeben an?
Deschauer (AA)
Ich glaube, ich habe eben sehr deutlich gemacht, was die Haltung der Bundesregierung und der Außenministerin ist und wie sie in ihren Gesprächen wirkt und sich einlässt. Detaillierter berichten wir nicht aus Gesprächen, die mit Partnern geführt werden; das wissen Sie auch. Es gibt ein divergierendes Rechtsverständnis. Aus gutem Grunde wären entsprechende Handlungen in unserem Rechtssystem nicht strafbewehrt, so nennt sich das. Diese Haltung hat sich nicht geändert, und die vertritt die Außenministerin klar, auch in entsprechenden Austauschen mit ihren britischen und amerikanischen Kollegen.
Vielleicht ergänzend, Herr Jung, weil Sie gerade eine Frage stellten, möchte ich noch eine Präzisierung anführen. Es ist so, aber dafür müssten Sie sich vielleicht im Detail an die britischen Behörden bzw. den High Court selbst wenden, dass es von der logistischen Organisation her so ist, dass aufgrund des großen Interesses natürlich nur ein begrenzter Anteil von Menschen direkt in dem Saal beiwohnen kann. Die Behörden stellen dann die Möglichkeit zur Verfügung, dass die gestern und heute stattfindenden Anhörungen für einen erweiterten Kreis in Nebensälen verfolgt werden können. Insofern eine Präzisierung, um das noch einmal präziser klarzustellen: Ja, wir sind über einen Kollegen der deutschen Botschaft vertreten.
Zusatzfrage Warweg
Frau Deschauer, ich hatte ja auch darauf verwiesen, dass Frau Baerbock damals von schwerwiegenden Verstößen gegen das Folterverbot gesprochen hat. Sieht die Außenministerin denn nach wie vor schwere Verstöße gegen das Folterverbot im Falle von Julian Assange als gegeben an?
Deschauer (AA)
Herr Warweg, ich kann Ihnen sagen, dass wir als Bundesregierung und Außenministerin keine Zweifel an einem in den Vereinigten Staaten jetzt laufenden rechtsstaatlichen Verfahren haben und im Moment keinen Anlass haben, diesen Zweifel zu äußern. Die Position der Bundesregierung und der Außenministerin, dass es eine inhaltlich unterschiedliche Bewertung in der Sachfrage gibt, habe ich klargemacht.
Frage Jessen
Unterstützt die Außenministerin die Forderung des australischen Parlaments, also aus Assanges Heimatland, Assange zu entlassen und nach Australien ausreisen zu lassen?
Deschauer (AA)
Die Außenministerin macht deutlich, dass aus gutem Grunde in unserem Rechtssystem die entsprechenden Handlungen nicht strafbewehrt wären, und kommuniziert das in aller Deutlichkeit gegenüber ihren Partnern in Gesprächen, und zwar den britischen und den amerikanischen Partnern.
Zusatzfrage Jessen
Das war eine deutliche Nichtbeantwortung der Frage, „sorry to say“. Es gibt offenbar – das wird jedenfalls berichtet – Aussagen der US-amerikanischen Regierung, dass Assange im Falle einer Verurteilung in den USA die Verbüßung der Strafe in Australien ermöglicht werde, und dann könne die australische Regierung ihn ja begnadigen. Das würde also sozusagen für Assange eine Freilassung innerhalb absehbarer Zeit bedeuten. Kennt die Außenministerin solche Zusagen bzw. fordert oder erwartet sie, dass die US-amerikanische Regierung die Zusage einer solchen Möglichkeit oder Absicht öffentlich macht?
Deschauer (AA)
Ich habe jetzt von dieser Stelle aus ein laufendes rechtsstaatliches Verfahren und entsprechende mögliche Entscheidungen, die wir sicherlich in den kommenden Tagen erfahren werden, nicht weiter zu kommentieren. Deswegen bitte ich um Verständnis. Die Position der Bundesregierung und der Außenministerin ist sehr klar. Die habe ich hier vorgetragen. Sie ist übrigens auch nicht anders, als wir sie in der Vergangenheit vorgetragen haben. Ich würde es dabei bewenden lassen.
Frage Warweg
Entschuldigen Sie, Frau Deschauer, ich habe es noch nicht ganz erfasst. Frau Baerbock sagte also im Herbst 2021, sie sehe schwerwiegende Verstöße gegen das Folterverbot und gegen ein Recht auf ein faires Verfahren. Wenn ich es jetzt richtig verstanden habe, sieht Frau Baerbock mittlerweile, Februar 2024, keine Verstöße mehr, weder gegen das Folterverbot noch gegen ein Recht auf ein faires Verfahren.
Deschauer (AA)
Ich habe auch darauf verwiesen, wie sich die Außenministerin geäußert hat. Insofern habe ich dem nichts mehr hinzuzufügen.
Zusatz Warweg
Das ist ja eine einfache Ja-Nein-Frage!
Deschauer (AA)
Ich habe Ihre Frage beantwortet, und im Übrigen beantworte ich die so, wie ich sie beantworten möchte, Herr Warweg.
Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 21.02.2024
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unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.