Zur 78. Vollversammlung der UNOWölfe im Schafspelz
unsere-zeit.de, vom 27. September 2023, Hans BauerCategories Blog
Die Stühle bleiben leer: Die UN-Vollversammlung macht lieber Kaffeepause, während Olaf Scholz redet (Foto: picture alliance/dpa | Michael Kappeler)
Deutschland hat seinen 50. Jahrestag der Aufnahme in die UNO gefeiert. Damals, 1973, als 133. (BRD) und 134. (DDR) Mitglied. Die diesjährige UN-Vollversammlung war ein willkommener Anlass, dieses Jubiläums zu gedenken. Wie nicht anders erwartet, nach großdeutschem Geschichtsverständnis natürlich: Als Ergebnis Brandtscher Entspannungspolitik, die die Aufnahme beider deutscher Staaten ermöglichte. Der Anteil der DDR wird verschwiegen, wenn nicht verfälscht. Verschwiegen wird auch, dass die BRD damals schon den Grundlagenvertrag zwischen beiden deutschen Staaten von 1972 – Voraussetzung für die UNO-Aufnahme – unterlaufen hatte, indem sie mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wenige Monate vor der UNO-Aufnahme, im Juli 1973, den Wesensgehalt des Vertrages entstellte. Schon damals Völkerrechtsbruch, juristische Aggression gegen die DDR mit Bekräftigung des Alleinvertretungsanspruchs der BRD im Urteil.
Aber all das ist für die westdeutschen Machthaber vergessen. Und Scholz´ Gedächtnis ist ohnehin geschädigt. Der Doppel-Wumms-Kanzler feierte also sich und Seinesgleichen vor der Vollversammlung – wenn auch vor fast leerem Saal. Er feierte Deutschland als „zuverlässigen Partner“ der Weltgemeinschaft. Gegen „Revisionismus und Imperialismus“, besonders den russischen. Für eine „multipolare Welt“. Sprach von souveräner Gleichheit, territorialer Integrität und davon, dass Deutschland dem Frieden verpflichtet sei. Großspurig präsentierte er allerdings für den aufmerksamen Zuhörer alle Indizien für Deutschlands imperialen und unipolaren Machtanspruch, Kriegspolitik und Völkerhass. „Russland ist für diesen Krieg verantwortlich“, war seine Hauptaussage zum Ukraine-Krieg. Verkehrung der Tatsachen. Immerhin mimte Scholz Bescheidenheit und vermied die Forderung nach einem ständigen Sitz für die BRD im Sicherheitsrat. Das erledigte sein Freund Selenski für ihn. Deutschland sei zu einem der „wichtigsten Garanten für Frieden und Sicherheit“ geworden. Und Russland müsse das Veto-Recht aberkannt werden. Alles verbunden mit Forderungen nach mehr und neuen Waffen für die Ukraine und weiteren Strafen für Russland. Dieselben Melodien bei ihren Auftritten im Sicherheitsrat. Alles bekannt und alles für den Frieden. Übrigens sprach Selenski ebenfalls vor fast leerem Saal. In einem manipulierten Video ist er sogar als sein eigener Zuhörer zu sehen. Das Interesse der Weltgemeinschaft hält sich offenbar in Grenzen.
Die Krönung lieferte allerdings der größte Kriegstreiber und -verbrecher, US-Präsident Joseph Biden. Der gerierte sich als weiser Hüter, Wächter und Mahner für den Frieden. Unter Bezug auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vor 75 Jahren zelebrierte er, dass und wie die USA den Menschenrechten verpflichtet waren und seien. Und zwar auf der ganzen Welt, um die Menschenwürde zu schützen. Benannte selbstverständlich auch die Feinde der Menschenrechte, vor allem Nordkorea und den Iran. Und Russland, das „ohne Provokation“ den Krieg in der Ukraine ausgelöst habe.
Offenbar ist Biden und Scholz bewusst, wie ihre Macht und ihr Ansehen in großen Teilen der Welt schwinden. Deshalb ihr sichtbares Bemühen, mit Auftreten und Rhetorik friedfertig und respektvoll zu wirken. Ihren Anspruch auf Wortführerschaft in der Weltgemeinschaft konnten sie aber nicht verbergen. Allzu sehr erleben die meisten Staaten, welche Rolle besonders die USA, NATO, EU, aber auch Deutschland in Wirtschaftskriegen, bei der Ausbeutung fremder Länder und Neokolonialismus spielen. Abgesehen von der Beteiligung an „bunten Revolutionen“ und heißen Kriegen.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
28.09.2023
Analyse Mit der Circular Economy zum Außenwirtschaftlichen Gleichgewicht?
makronom.de, vom 27. September 2023, Ein Beitrag von Marcus Wortmann.
Deutschland ist enorm auf Einfuhren aus dem Ausland angewiesen. Lassen sich diese Abhängigkeiten durch eine Transformation hin zu einer Circular Economy dauerhaft reduzieren?
In der Serie„Circular Economy und Nachhaltige Soziale Marktwirtschaft”werdendie vielfältigen Chancen, Risiken und Handlungsbedarfe des Konzepts einer Circular Economy (CE) für das Erreichen einer Nachhaltigen Sozialen Marktwirtschaft beleuchtet. Die Serie entsteht in Zusammenarbeit mit der Bertelsmann Stiftung und wird in unregelmäßigen Abständen im Makronom erscheinen. Im Fokus liegen dabei vor allem die möglichen Zielkonflikte, die mit der zirkulären Transformation verbunden sein können. Hier finden Sie alle Beiträge, die bisher im Rahmen der Serie erschienen sind.
Die Corona-Pandemie und der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine haben überdeutlich gemacht, wie kritisch die außenwirtschaftlichen Abhängigkeiten Deutschlands von bestimmten Rohstoffen, Energieträgern und Vorprodukten sind. Während die starke Einbettung ins globale Handelssystem jahrzehntelang eher wachstumstreibend und inflationsdämpfend wirkte, verkehrten sich diese wirtschaftlichen Vorteile der internationalen Arbeitsteilung mit einem Schlag ins Gegenteil: Knappheiten und Lieferausfälle bestimmten das Bild der letzten Jahre (vgl. Bertelsmann Stiftung 2022).
Gerade für Deutschland als exportorientierte, aber auch stark auf Rohstoffimporte angewiesene Volkswirtschaft gilt es nun, eine neue Balance zwischen den Vorteilen globaler Wirtschaftsbeziehungen und den Nachteilen zu starker Abhängigkeiten zu finden – ein neues zeitgemäßes „außenwirtschaftliches Gleichgewicht“ (vgl. Petersen und Wortmann 2022; Holzmann et al. 2022). Auch die Circular Economy (CE) kann ein wichtiger Hebel für den Weg hin zu solch einem neuen Gleichgewicht sein (vgl. García Schmidt et al. 2023).
Abhängigkeiten und Chancen auf der Im- und Exportseite
Insbesondere bei Metallerzen und bei fossilen Energieträgern ist Deutschland enorm abhängig von ausländischen Einfuhren. So ist die deutsche Wirtschaft bei Metallerzen nahezu vollständig auf Importe angewiesen und bei Erdgas, Erdöl und Steinkohle betrug der Importanteil 2019 noch 97 bis 100 Prozent (vgl. UBA 2022).
Welche Abhängigkeiten allerdings als „kritisch“ zu bewerten sind, ist nicht trivial. Dabei geht es nicht nur um aktuelle Konzentrationen in den Importbeziehungen, sondern auch um perspektivische Bedarfsabschätzungen (etwa im Rahmen der Energiewende), (geo-)politische Risikoabwägungen, technologische Entwicklungstrends und Souveränität, langfristige Verfügbarkeiten und Substitutionsmöglichkeiten. Nicht zuletzt können natürlich auch die sozialen und ökologischen Probleme, die mit dem Abbau und Transport vieler Rohstoffe verbunden sind, als kritisch bewertet werden.
In einer aktuellen Studie des WWF (2023) wurden die gemäß ihrer ökologischen, strategischen und ökonomischen Bedeutung besonders relevanten Rohstoffe ermittelt (siehe Tabelle 1). Dabei wird deutlich, dass eine Vielzahl von abiotischen Rohstoffen einen hohen Kritikalitätsgrad aufweisen. Gerade viele dieser Rohstoffe sind zudem zentral für Zukunftstechnologien etwa bei der Energiespeicherung, dem Wasserstoffeinsatz, der Elektromobilität oder dem Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik (IKT).
Kritische abiotische Rohstoffe nach ökologischen, ökonomischen und strategischen Kriterien, eigene Darstellung nach Prakash et al. (2022)
Auch auf der Exportseite und bezüglich der im Ausland getätigten Investitionen deutscher Unternehmen gibt es erhebliche Abhängigkeiten vom Ausland. Zum einen sind Absatzmärkte wie der Chinas von herausragender Bedeutung für die deutsche Wirtschaft. Zum anderen wurden erhebliche Direktinvestitionen im Ausland getätigt, die im Konfliktfall in Gefahr geraten könnten. Eine Transformation in Richtung CE könnte auch hier helfen – denn im Erfolgsfall entstünden neue Geschäftsmodelle, neue Technologien und damit möglichweise auch neue Märkte und Exportchancen für deutsche Unternehmen.
Mehr Zirkularität kann Importabhängigkeiten reduzieren
Eine größere Diversifizierung und wirtschaftspolitische Steuerung z. B. durch Importquoten scheint also generell angezeigt, um ein neues außenwirtschaftliches Gleichgewicht zu finden, das die unerwünschten Externalitäten des heutigen Außenhandels adressiert (vgl. Braml und Felbermayr 2022). Daneben können eine umfangreichere Lagerhaltung, ein koordinierter Einkauf und die Erschließung eigener Vorkommen die Versorgungssicherheit mit Rohstoffen erhöhen (vgl. Menkhoff und Zeevaert 2022). Ein Eckpunktepapier aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz in Ergänzung zur deutschen Rohstoffstrategie beschreibt eine künftig stärkere Rolle des Staates (vgl. BMWK 2023).
Auch die derzeit in der Entwicklung befindliche Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS) zielt in diesem Zusammenhang darauf ab, die deutsche Wirtschaft durch die Transformation in eine CE resilienter gegenüber kritischen Importabhängigkeiten aufzustellen. Eine stärkere Kreislaufführung, längere Nutzungsdauern von Produkten und eine insgesamt höhere Ressourcenproduktivität hätten nicht nur ökologische Vorteile (Senkung des Ressourcenverbrauchs, der Treibhausgasemissionen und Landinanspruchnahme sowie Vermeidung entsprechender Umweltkosten), sondern könnten einen deutlichen Beitrag dazu leisten, die Angewiesenheit auf neue Rohstoffimporte zu verringern (vgl. BMUV 2023).
Tatsächlich zeigt der WWF (2023) durch eine umfangreiche Folgeabschätzung von CE-Maßnahmen in zentralen Wirtschaftssektoren deutliche Entspannungsmöglichkeiten der Versorgungssicherheit bei zahlreichen kritischen Rohstoffen, darunter Palladium, Yttrium, Dysprosium, Neodym, Terbium, Kobalt, Kupfer, Praseodym und Gallium. Der prognostizierte Bedarf 2045 könne so zu mehr als 50 Prozent gedeckt werden.
CE dürfte Handelsströme stark verändern
Durch das Schließen stofflicher Kreisläufe in den Ökonomien wären aber auch insgesamt erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaftsstrukturen, die Beschaffenheit von Lieferketten und das internationale Handelssystem zu erwarten (vgl. Barrie und Schröder 2022). Die konkreten makroökonomische Folgewirkungen und damit auch die außenwirtschaftlichen Effekte für Deutschland lassen sich deshalb bisher kaum valide abschätzen.
In einer OECD-Modellsimulation der Transformationsphase zu einer ressourceneffizienteren und zirkulären Weltwirtschaft (Dellink 2020) werden die globalen Handelseffekte prognostiziert, die von steuerlich angereizten Preis- und Nachfrageänderungen in Richtung sekundärer Materialnutzung ausgehen. Während durch den induzierten wirtschaftlichen Strukturwandel bis 2040 zwar substanzielle Nutzungsminderungseffekte bei einigen Rohstoffkategorien erreicht werden können (etwa bei nicht eisenhaltigen Metallen zwischen 35 und 50 Prozent), soll das BIP über diesen Zeitraum insgesamt moderat sinken (um 0,9 Prozent).
Allerdings wird auch explizit auf die Defizite und Vereinfachungen verwiesen, die ein solch komplexer Prognoseversuch mit sich bringt und die aggregierten Ergebnisse nur mit Vorsicht genießen lässt. So sind die länderspezifischen Handelsauswirkungen und makroökonomischen Effekte der stilisierten Politikmaßnahmen stark von den jeweiligen nationalen und regionalen Wirtschaftsstrukturen, Wettbewerbssituationen und Faktorausstattungen abhängig und können entsprechend unterschiedlich ausfallen. Wie sich die Handelsströme in der Realität anpassen, dürfte zudem auf die tatsächlichen politischen Ziele und Transformationsansätze der einzelnen Länder sowie auf die Strategie des Auslands ankommen. Viele weitere denkbare Politiken, aber auch Wirkungsmechanismen und Effekte blieben in der Modellierung unberücksichtigt (vgl. Dellink 2020).
So sollte eine synergetische Verbindung von CE-Politikinstrumenten mit handelspolitischen Ansätzen (vgl. Steinfatt 2020) und Regeln der Welthandelsorganisation (WTO), etwa im Bereich des globalen Abfallhandels, angestrebt werden. Eine supranationale Kooperation kann generell helfen, z. B. eine kompatible Normierung und gemeinsame Standardisierung auch grenzüberschreitend zu etablieren. Insgesamt bestehen über die möglichen Auswirkungen einer Transformation zu einer CE auf das Welthandelssystem noch große Unklarheiten und ein erheblicher Forschungs- und Verständigungsbedarf (vgl. Kettunen et al. 2019, Yamaguchi 2021, Barrie und Schröder 2022).
CE an kritischen Ressourcen ansetzen
Das lenkt den Fokus zurück auf die Frage, wie und in welchen Sektoren einzelne Länder wie Deutschland oder die EU insgesamt mit ihren CE-Strategien ansetzen sollten. Bisher werden hierzulande ca. 64 Prozent der verwendeten Rohstoffe importiert (vgl. UBA 2022). Mit Blick auf die angestrebte Verringerung ausgeprägter einseitiger Abhängigkeiten in den deutschen Außenhandelsverflechtungen sollte nun ein besonderes Augenmerk auf diejenigen Rohstoffe gelegt werden, die hochgradig konzentriert aus einigen wenigen, oft undemokratischen Herkunftsländern bezogen werden.
Das gilt etwa für die als essenziell einzustufenden Rohstoffe wie Magnesium oder Seltene Erden, bei deren Gewinnung und Verarbeitung Deutschland stark auf China angewiesen ist (vgl. Fremerey und Obst 2022, Menkhoff und Zeevaert 2022). Momentan befindet sich Deutschland gerade bei den Seltenen Erden in einer extremen Abhängigkeit – über 90 Prozent der Importe werden heute aus China bezogen (vgl. BGR 2022). Die generell weiter wachsenden Importe aus China dürften die deutsche Volkswirtschaft gerade im Konfliktfall abhängig und damit politisch erpressbar machen (vgl. Matthes 2023). Darüber hinaus prognostiziert die Internationale Energieagentur (vgl. IEA 2021) auch weltweit stark steigende Bedarfe für seltene Metallerze wie z. B. Lithium, das im Zuge der Transformation in Richtung klimaneutraler Technologien gebraucht wird.
Ein effizienterer Ressourceneinsatz sowie das Recyceln in diesen Bereichen sind also – nicht nur aus ökologischen Gründen – dringend geboten und bereits politisch erkannt. So sollen nach dem Willen des BMWK (2023) die Kreislaufwirtschafts- und die Rohstoffstrategie enger verzahnt, Leitmärkte über Rezyklatquoten geschaffen, bestehende Hemmnisse etwa bei Normen und Standards abgebaut sowie die Anreize und Finanzierungsbedingungen für Innovation verbessert werden.
Auch in der Privatwirtschaft entstehen bereits große Projekte zur Wiederverwendung etwa von Lithium und Kobalt, aber auch von Aluminium, Nickel und Kupfer in der Batterieproduktion. Prognosen des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung gehen davon aus, dass sich die recycelten Mengen an Altbatterien von aktuell ca. 50 Kilotonnen in Europa auf 2.100 Kilotonnen im Jahr 2040 erhöhen könnten. Dadurch sei zwar mittelfristig eine gewisse Verringerung von Importabhängigkeiten möglich. Angesichts der zu erwartenden enormen Bedarfszunahme sei aber erst langfristig mit einem signifikanten Beitrag durch Rezyklate zu rechnen. So könnten der Prognose zufolge 2040 z. B. 40 Prozent des Kobalts und über 15 Prozent des Lithium-, Nickel- und Kupferbedarfs für die Zellproduktion durch Rohstoffrecycling gedeckt werden. Der Staat sei nun gefragt, eine entsprechende Rückgabe- und Sammelinfrastruktur aufzubauen (vgl. Fraunhofer ISI 2023).
Auch das Recycling von Seltenen Erden, die etwa für die Herstellung von Permanentmagneten für Windkraftanlagen oder die Elektromobilität elementar wichtig sind, würde helfen, die Importabhängigkeit gerade von China zu verringern. Unter Verwendung innovativer biotechnologischer Verfahren könnte es in Zukunft tatsächlich möglich sein, die Metalle Seltener Erden mittels Cyanobakterien oder Proteinen zu recyceln und wieder neu anzureichern (vgl. Paper et al. 2023, Dong et al. 2021). Doch derartige Verfahren sowie ihre Skalierung dürften, wenn überhaupt, erst auf lange Sicht dabei helfen, den großen Bedarf stabil decken zu können. Kurzfristig dürften also Werterhalt, Vermeidung und Produktivitätsfortschritte im Umgang mit solch kritischen Stoffen neben anderen Strategien der Ressourcenpolitik im Vordergrund stehen.
Fazit
Grundsätzlich ist das Ziel eines verminderten Einsatzes von Primärrohstoffen im Rahmen einer CE kompatibel mit einem außenwirtschaftlichen Gleichgewicht, in dem kritische Importabhängigkeiten minimiert und die Vorteile internationaler Arbeitsteilung maximiert sind. Je weniger kritische Rohstoffe stetig von außen neu zugeführt werden müssen, umso unabhängiger und resilienter kann die Volkswirtschaft funktionieren.
Diesem theoretisch großen Potenzial steht allerdings ein zunehmend wachsender Bedarf an Rohstoffen, insbesondere für den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft, gegenüber. Zumindest auf kurze Sicht ist daher nicht mit einer deutlichen Entlastung durch CE-Strategien zu rechnen. Weitere Maßnahmen zur Diversifizierung des Außenhandels und zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit sind notwendig. Gleichzeitig kann eine rasche und erfolgreiche Implementierung von CE-Strategien auch neue wirtschaftliche Vorteile für Deutschland als Exportland bedeuten.
Zum Autor:
Marcus Wortmannist Senior Expert im Programm Nachhaltige Soziale Marktwirtschaft der Bertelsmann Stiftung.
Deutschland ist für seine neue harte Linie in der Flüchtlingspolitik unter Beschuss geraten. Das größte EU-Land müsse seinen Widerstand gegen die sogenannte Krisenverordnung im geplanten EU-Migrationspakt aufgeben und den Weg für eine Einigung freimachen, hieß es vor einem Treffen der Innenminister am Donnerstag in Brüssel.
Die Krisenverordnung sieht Regeln für den Fall vor, dass Nicht-EU-Länder wie Belarus oder die Türkei gezielt Migranten in die EU schicken. Im Kern ist sie eine Notstands-Verordnung, die den Staaten erlaubt, die Aufnahme von Flüchtlingen zu verweigern.
Außenministerin Baerbock lehnt den Plan allerdings nicht nur aus humanitären Gründen ab – sondern auch, da er „Anreize für eine Weiterleitung großer Zahlen unregistrierter Flüchtlinge nach Deutschland“ geben könne. Sie erzwang eine Enthaltung.
Das Europaparlament nahm dies zum Anlass, um die Verhandlungen über das gesamte Migrationspaket auszusetzen. Die Innenminister müssen nun eine Lösung finden, um die Blockade zu lösen. Allerdings ist unklar, wie er aussehen könnte.
Die EU-Kommission fordert, den Streit schnell beizulegen. Druck macht auch Kanzler Scholz. Er habe ein Machtwort gesprochen und die Ampel zur Zustimmung aufgefordert, hieß es nach einer Kabinettssitzung in Berlin. Dies habe er auch Baerbock mitgeteilt.
Ob Innenministerin Faeser die Blockade nun lösen kann, ist unklar. Die Chancen stünden besser denn je, hieß es in Brüssel. Allerdings müsste Faeser die Krisenverordnung ändern, um humanitäre Sicherungen einzubauen, wie sie die Grünen fordern.
Dies wiederum könnte an den Gegnern scheitern, denen die Asyl- und Flüchtlingspolitik jetzt schon viel zu liberal ist. Die EU hat sich in ihren eigenen Krisenregeln verheddert – und das mitten in der schlimmsten Flüchtlingskrise seit 2015/16…
Schutzstatus bis 2025 verlängert? Ukrainische Kriegsflüchtlinge sollen noch bis mindestens März 2025 einen besonderen Schutz genießen. Die EU-Innenminister befassen sich am Donnerstag in Brüssel mit dem Vorschlag der EU-Kommission, den temporären Schutzstatus um ein Jahr zu verlängern. – Mehr im Blog
Baerbock fordert „Vertrauensbeweis“ von Baku. Aus Bergkarabach ist nach Angaben aus Armenien bereits ein Drittel der Bevölkerung vertrieben worden. Nun meldet sich Außenministerin Baerbock wieder zu Wort – mit einer abstrusen Forderung. – Mehr im Blog
Krisentreffen zum Stahlstreit. Die USA und die EU planen ein Gipfeltreffen in Washington. Präsident Biden werde EU-Kommissionschefin von der Leyen und Ratspräsident Michel am 20. Oktober empfangen, hieß es in Brüssel. Im Mittelpunkt dürfte der Stahlstreit stehen. Die USA könnten Ende Oktober wieder Zölle einführen…
Das Letzte
Pariser Klimaziel passé?Die Erde steht nach Erkenntnissen von Wetter- und Klimaexperten vor nicht mehr abwendbaren, massiven Veränderungen.„Das Pariser Rahmenabkommen ist faktisch gescheitert, weil immer weniger Länder daran glauben, dass immer mehr Länder die nötigen Maßnahmen wirklich ergreifen“, sagte Frank Böttcher, Vorsitzender der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft. Statt der in Paris anvisierten 1,5 Grad müsse man nun mit einer Erwärmung um 3 Grad bis zum Ende des Jahrhunderts rechnen. Er nannte Klimaschutz einen „Marathonlauf“: Reduziere der Mensch die Emissionen, dauere es mindestens 20 Jahre, bis sich das in den globalen Temperaturen bemerkbar mache.Wenn das stimmt, dann hat die EU ihre Klimapolitik auf falschen Voraussetzungen aufgebaut…
@Thomas Dmarau Zum Thema Paris: +++breaking news+++ Mysteriöse Löcher in der Arktis entdeckt https://www.awi.de/im-fokus/permafrost/mysterioese-loecher-in-der-arktis.html Btw.: Solche Löcher in klein, also nicht geeignet für „mysteriöse Schlagzeilen“, werden schon seit mehr als 30 Jahren – seit dem in zunehmender Zahl – beobachtet. Ursache: Methanhydrat. Der Norden erwärmt sich schneller als der Süden – in Sibirien im Juni 30°C keine Seltenheit (mehr) – tauender Permafrost hält den Deckel über dem Methanhydrat nicht mehr dicht … Die Menschheit sollte es mal mit einem <5°-Ziel versuchen … anders gesagt: Der Drops ist gelutscht (leider seit Ende der 80-iger schon – damals gab's noch keine Klimakrise, deshalb wurden unbefangen erste Berichte zu Methanhydratkrater im Fernsehen(!!) gezeigt). SCNR
Und selbst wenn wir morgen durch ein Wunder kein CO2 mehr ausstießen, würden die Temperaturen ja nicht fallen: Die Erde ist gut Wärme-gedämmt und parkt weiter Sonnenenergie in der Atmosphäre und im Meer, bis ein neues Gleichgewicht zwischen Einstrahlung und Abstrahlung erreicht wird. Ganz zu schweigen von Sekundär-Effekten: Freisetzung weiterer Klimagase durch Tauen des Permafrostes, verminderte Rückstrahlung der Sonnenenergie durch das Tauen von Eis …
Eigentlich Zeit für entschlossenes Handeln. Das ist aber nicht zu erkennen: – Es gilt weltweit Ökonomie vor Ökologie – auch bei den deutschen Grünen. – Neue fossile Energiequellen werden weltweit erschlossen. – Die Anzahl der zugelassenen PKW befindet sich in Deutschland auf einem Allzeit-Hoch. Die meisten e-Autos sind viel zu schwer: Ein Drei-Liter-Verbrenner wäre beim heutigen Strommix ökologischer als die elektrischen Monster-Autos, die Daimler & Co produzieren. – Die Luftfahrtbranche sieht sich im Aufwind ( https://www.deutschlandfunk.de/wirtschaftsgespraech-luftfahrtbranche-im-aufwind-dlf-862caf15-100.html ). Die Versuche, die CO2-Emissionen des Fliegens zu reduzieren, können das nicht kompensieren. – Die deutschen Grünen verbreiten immer noch die Botschaft „Noch ein paar Windräder, schöne e-Autos, CO2-Ausstoß teurer machen, Bauvorschriften verschärfen – und dann wird der Markt grünes Wachstum ohne Ende produzieren.“ (Die Position der FDP unterscheidet sich davon nur durch die Fantasy-Komponente eFuels&Wasserstoff-allüberall). Diese naive Herangehensweise zerbröselt gerade vor unseren Augen. – Die angestrebte Transformation benötigt sehr viel Geld, das gerade in Rüstungsprojekten verbrannt wird ( https://www.tagesschau.de/inland/bundeswehr-funkgeraete-100.html ) und soll noch schneller verbrannt werden ( https://www.spiegel.de/ausland/nato-jens-stoltenberg-kuendigt-debatte-ueber-erhoehung-des-zwei-prozent-ziels-an-a-587250a0-d40c-477a-b93d-98e2c9c6cb59 ). – Es lohnt sich das Interview mit dem Chef der Krefelder Stadtwerke, Carsten Liedke, anzuhören ( https://www.deutschlandfunk.de/wo-hakt-es-bei-der-kommunalen-waermeplanung-interview-carsten-liedtke-dlf-79e9bfea-100.html ): Nach dem Anhören kann man erahnen, was hinter der harmlosen „Die Städte müssen eine Wärmeplanung aufstellen“ steckt.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
Die Grünen-Politikerin fordert aber nicht etwa ein Ende der Vertreibung und/oder Sanktionen gegen die Verantwortlichen in Aserbaidschan. Nein, sie wählt – drei Tage nach dem Beginn der ethnischen „Säuberung“ – die mildeste Variante.
„Es braucht jetzt Transparenz und die Augen und Ohren der internationalen Gemeinschaft vor Ort. Gemeinsam mit unseren Partnern werden wir mit aller Kraft daran arbeiten, so rasch wie möglich Beobachterinnen und Beobachter zu entsenden.“
Sie appellierte an Baku, eine solche Entsendung zu akzeptieren. Wenn Aserbaidschan diese Beobachter zuließe, würde es sich um einen „Vertrauensbeweis“ dafür handeln, dass Baku es „mit seinen Zusagen für die Sicherheit und das Wohl der Menschen“ ernst meine.
Ein „Vertrauensbeweis“ vom Autokraten aus Baku – meint Baerbock das erst? Oder geht es darum, Herrn Alijew zu schonen und das eigene Gewissen zu beruhigen?
@ebo Fliehen oder flüchten (aus Gründen) oder „vertrieben worden“ („raus hier!“), ich seh‘ da ’nen Unterschied. Scuzsi! Die Propaganda hier schreibt natürlich „vertrieben“. ????
Irgendetwas (scheinbar) Moralisches musste Baerbock ja von sich geben. Offensichtlich ist die niedrigste moralische Kategorie, dass zumindest jemand zuschaut und Videos dreht, die man dann mit einem Pfui als Kommentar veröffentlichen kann. Damit ist der Werte-geleiteten Außenpolitik offensichtlich Genüge getan.
Ansonsten ist das Thema natürlich heikel: – Russland fällt als Ordnungsmacht im Kaukasus im Augenblick aus. – Der Westen braucht einerseits Alijews Gas – andererseits ist die Verlockung groß, Russland als armenische Schutzmacht abzulösen. Ein moralisches Dilemma von kosmischen Ausmaßen.
Einem Land, das nach dem bestehenden Gas-Deal bis 2027 20 Milliarden Kubikmeter Gas an die EU liefern soll (https://www.politico.eu/article/eu-sanctions-gas-deal-azerbaijan-grow-ethnic-cleansing-fears-nagorno-karabakh/) würde sicher selbst der trampligste Politiker des Planeten nicht auf die Füße treten wollen. Schön, wie „wir“ unsere Abhängigkeiten im Energiesektor reduziert haben, das macht „uns“ jetzt in diesem Fall richtig schön handlungsfähig.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
28.09.2023
Neue Bücher über verschwiegene Pazifisten - (Helmut Donat Verlag)
aus e-mail vonFelix Weiland, 17. September 2023, 17;33 Uhr
Hallo liebe Friedensfreund:innen!
Den wenigsten ist es bewußt:
Der orginäre Pazifismus ist in Deutschland heute weitgehend verschwiegen
und verdrängt. Weder im Spektrum der Russland-Freunde (wie Ulrich Heyden
sie nennt), noch bei NGOs wie Attac oder ICAN und leider auch nicht in
der DFG/VK (von regierungsnahen Kräften gekapert) hat der Pazifismus
eine Stimme.
Oder stimmt meine Behauptung etwa nicht?
Wer hat von den Autoren, die der anhängende Freitag-Artikel erwähnt,
schon einmal gehört?
Wo in den heutigen Resten der Friedensbewegung spielen sie eine Rolle?
Voraussetzung des Pazifismus ist eine Äquidistanz zu ALLEN
Kriegsparteien und eine Kritik an der Staatsgewalt als solcher.
Mit besten Grüßen
Felix Weiland
Weiteres:
Helmut Donat: Ein Verleger aus Bremen kämpft für Frieden und gegen Militarismus Johannes Klotz
freitag.de, 20.09.2023, 06:33
Pazifismus Vor 40 Jahren erschien erstmals das Handlexikon „Die Friedensbewegung“. Hinter ihm steht unter anderem der Bremer Verleger Helmut Donat. Dessen Arbeit verdient über jenes Werk hinaus Würdigung und Beachtung
Exklusiv für Abonnent:innen
Für Frieden gingen die Menschen auch in den 80ern auf die Straße Foto: Imago / Sommer
Heribert Prantl von derSüddeutschen Zeitung schrieb vor Kurzem, „es gibt ,kleine‘ Verleger, die große Dinge tun“. Die anerkennenden Worte galten dem heute 76-jährigen Bremer Verleger Helmut Donat. Gleichwohl diese Verlage „große Dinge“ tun, entspricht die mediale Wahrnehmung kaum der schöpferischen Produktion des Verlags – im Ein-Mann-Betrieb, phasenweise mit Mitarbeiterinnen, umgeben von tausenden Büchern, zahlreichen Nachlässen und Originalquellen. Dispute des Verlegers mit gewichtigen Autoren gehören dazu, steigern die Qualität sorgfältig und künstlerisch entworfener Einbände.
Die Geschichtsphilosophie seines Verlags, vor allem des kenntnismächtigen Verlegers, gründet auf Methoden kritischer Wissenschaften. Nur damit seien Realität und Geschichte wirklichkeitsnah zu erfassen.
Träger des Carl-von-Ossietzky-Preises Der schon im Jahr 1996 für seine „herausragende verlegerische Leistung“ mit dem Carl-von Ossietzky-Preis der Stadt Oldenburg ausgezeichnete Verleger Helmut Donat hat mit seinem Verlag mehr als 520 Bücher veröffentlicht, unter anderem zur Geschichte der Deutschen seit der Kraft- und Machtentwicklung des Preußentums, die bis in die Gegenwart wirkt. Auch eigenständige Reihen wie „Geschichte & Frieden“, zum verdrängten Völkermord des armenischen Volkes, oder Kinderbücher, wie das soeben neu erschienene von Sigmar Schollak, Das Mädchen aus Harrys Straße, das angesichts eines grassierenden Rassismus und Antisemitismus dem Schulunterricht nahezulegen ist. Wieder- und sorgfältig edierte Kunst- und Ausstellungskataloge, zum Beispiel über die Künstlerkolonie Worpswede, Besonderheiten im Blick, wie das kreative Wirken des politischen Künstlers, Malers und Revolutionärs (1917/1918) Heinrich Vogeler, der sich für die Sowjetrepublik begeisterte, mit futuristischen Entwürfen, später mit dem „sozialistischen Realismus“. Donat zitiert bevorzugt aus dem Friedensbrief Vogelers an den Kaiser (Januar 1918). Aber auch Belletristik und Reisebeschreibungen.
Der lektorierende und schreibende Verleger besitzt die Gabe des Hin- und Herwägens, bis die geeigneten Begriffen gefunden sind, ist ständig auf der Suche nach den Worten, bis sie das Gemeinte treffen, kurz: eine „donatische“ („er gibt“) Rhetorik mit energetischem Überschuss. Präzision und Schärfe sind Instrumente der Aufklärung gegen die herrschende Propaganda, sie reiften in ihm mit seinem Heranwachsen im Nachkrieg. Die Eltern geflüchtet aus Ostpreußen in ein kleines niedersächsisches Dorf, wo er am 7. April 1947 geboren wurde, streng-protestantisch erzogenes Flüchtlingskind. Wohl sammelte es in diesem zurückhaltend-misstrauischen Umfeld Energie, Tatkraft und Leidenschaft für sein späteres Leben.
Als er dann nach Bremen kam, in studenten- und streikbewegten Zeiten sozialliberaler Reformpolitik, an der 1971 neu gründeten Universität studierte und lehrte, entdeckte der spätere Verleger in einem Antiquariat Ende der 1970er Jahre Schriften des Antimilitaristen und Zivilisationskritikers Hans Paasche. Diese Entdeckung trieb ihn zur (Wieder-) Veröffentlichung derselben unter dem Titel Auf der Flucht erschossen.
Die Verklärung der für 1981 geplanten „Preußen-Ausstellung“ in Berlin bewog ihn, zusammen mit Arno Klönne historische Fakten richtigzustellen, die von einem Mainstream heute wieder bestrittene oder verschwiegene These von der Kontinuität des preußischen Militarismus nach 1871, Erstem und Zweitem Weltkrieg, wie von den Alliierten im Potsdamer Abkommen 1945 hervorgehoben. Deshalb erschien die Schrift Preußen. Die Gefahr Europas des sozialdemokratischen Pazifisten August Siemsen 1981 als Reprint. Der Reichstagsabgeordnete der SPD, der dann von 1931 bis 1933 zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD) zählte, der auch Willy Brandt angehört hat, emigrierte nach Hitlers Machtantritt über die Schweiz nach Argentinien, wo er 1937 dieses mit glänzenden Kritiken bedachte Buch zum preußischen Militarismus veröffentlicht hatte.
August Siemsen und Hans Paasche Die Schriften von Siemsen und des längst vergessenen Kolonialoffiziers Hans Paasche faszinierten ihn, den immer zu aktuellen Zeitgeistesentwicklungen angeregt, fachten seine Neugier an, ließen suchen, die Handlungen der Mächtigen und ihrer Vollstrecker offenzulegen, die zerstören, jedenfalls nicht Frieden und wirkliche Demokratie im Sinne haben. Es ist ihm bis heute wichtig, pädagogisch zu wirken, wie all jene, die der Öffentlichkeit von Politik und Medien verschwiegen werden, in Schulbüchern nicht vorkommen. Weil sie so etwas Gefährliches wollen wie den Frieden.
Verlag und Verleger verstehen sich als ideelle Heimstatt der Verfolgten und Bedrohten, zu denen der in Hannover geborene und 1933 von den Nazis ermordete Schriftsteller Theodor Lessing gehörte. Um ihn zu ehren, ist der Verleger in der Stadt aktiv geworden. Etwa ein Jahrzehnt reiste er mit der schwedischen Schauspielerin und Menschenrechtlerin Sonja Sonnefeld, die unter dem Eindruck der Reichspogromnacht nach Stockholm emigriert war, durch norddeutsche Schulen. Sie lebte zeitweilig mit ihm im Verlag, bis sie mit fast 98 Jahren in ihrem „Offenen Haus“ in Stockholm starb.
Für ein anderes Deutschland Historische Zeitgenossen und Pazifisten wie etwa der Philosoph und Pädagoge Friedrich Wilhelm Foerster, der sich kritisch mit der deutschen Kriegspolitik des Ersten Weltkriegs auseinandersetzte, offenbarten eine enorme Willenskraft, wehrten sich geduldig-pazifistisch gegen Anfeindungen. Sie wollten Das andere Deutschland, wie die im Jahr 1925 von Fritz Küster herausgegebene Zeitung für entschiedene demokratische Politik nannte, die aus der Zeitschrift Der Pazifist (gegründet 1921) hervorgegangen war. Ihr Name war Programm für die Schaffung einer Republik, die Würde des Menschen und der Natur zum höchsten Gut nicht nur zu erheben, sondern diese Ordnung zu praktizieren und zu pflegen.
Es ist ein anderes Deutschland, das sich dem Verleger Helmut Donat in vielen, von ihm neu- oder wiederentdeckten Biografien, in den Autorinnen und Autoren, bedeutenden und weniger bedeutenden, in jedem Falle in erhellenden, faszinierenden Ideen, künstlerischen Begabungen und zeitlosen Anregungen spiegelte: Hans Paasche kann als Symbolfigur gelten für die Gesamtproduktion des späteren, im Jahr 1987 gegründeten Verlags, den er aus der Geschichte zum heutigen Vorbild erhob. Von diesen Figuren gibt es nicht wenige, die beschwiegen, in Schulbüchern und in der Wissenschaft nicht erwähnt oder gar unbekannt geblieben sind. Wer war dieser Paasche?
Gegen den Krieg Schon im Jahr 1908 reichte er aufgrund seiner Erlebnisse bei der Niederschlagung des Maji-Maji- Aufstandes in Deutsch-Ostafrika (1905) seinen Abschied aus der kaiserlichen Marine ein. Der Sohn des nationalliberalen Reichstagsvizepräsidenten Hermann Paasche engagierte sich für die Friedensbewegung gegen die imperialistisch-kolonialistischen Bestrebungen des deutschen Kaiserreichs. Zunächst von der Unschuld Deutschlands an der Entfesselung des Weltkriegs überzeugt, kehrte er zu den Waffen zurück, aufgrund seiner pazifistisch-ethischen Überzeugung entließ ihn die Armee 1916 aus ihren Diensten. Fortan verbreitete er verbotene, die Schuld des kaiserlichen Regimes am Weltkrieg offenlegende Schriften. Vergeblich setzte er sich nach der Novemberrevolution 1918 im Arbeiter- und Vollzugsrat für die Verurteilung der Schuldigen ein. Paasche sympathisierte mit dem linken Flügel der USPD, trat für eine geistig-politische Überwindung des preußischen Militarismus ein und für eine Aussöhnungspolitik mit Frankreich. Ohne dass ein Haftbefehl gegen ihn vorlag, wegen angeblicher Vorbereitungen eines kommunistischen Aufstands, erschossen ihn Freikorpstruppen „auf der Flucht“.
„Die Befürchtungen der Pazifisten, der Friedliebenden“ seien später immer eingetroffen“ bemerkte der Schriftsteller und Sozialdemokrat Dieter Lattmann im Jahr 1983 zum Erscheinen des Handlexikons Die Friedensbewegung: „Kriege wüten zu jeder Zeit und nicht nur an einer Stelle“ (jedenfalls seit dem Ersten Weltkrieg). Dass die Pazifisten jedes Mal nach den Verheerungen mit neuen Wiederaufrüstungen in die Position von Randgruppen geraten, sollte schwer zu denken geben. „Heute wie früher“, so Lattmann 1983 (!) „steht die Mehrheit der Menschen der Rüstung, Kriegsvorbereitung und Kriegführung machtlos gegenüber“. Das standardsetzende Handlexikon, das den organisierten Pazifismus in Deutschland, Österreich und der Schweiz prägnant erfasst hat, versammelte Fundstücke, Kenntnisse und Erfahrungen für ein breites Publikum. Aufrüstung und Nachrüstungen, ein neuer Wettlauf von Militarismus und ihn rechtfertigenden Anschauungen galt es zu verhindern. In diesem Handlexikon finden sich einige Zeitgenossen wie eben jene Vertreter des anderen Deutschlands, die sich in Abkehr der von Bismarck geprägten „Macht-vor-Recht- Politik“ für eine Politik des Rechtes und der Gerechtigkeit“ einsetzen. Nicht zu verwechseln mit der heutigen Ideologie „regelbasierter Ordnung“ oder „westlicher Werten“. Namen wie Heinrich Stöbel, Friedrich Seger, Paul Freiherr von Schoenaich und Oskar Stillich, von Gerlach oder Grelling werden totgeschwiegen. Donat hob und hebt Schätze kritischer Geschichtsschreiber und Zeitgenossen. Stillich, der 1918 schon über zwei Jahrzeh te der Deutschen Friedensgesellschaft angehörte, promovierter Volkswirt, warf ein anderes Licht auf das Versailler Vertragswerk von 1919 als noch heute gemeinhin eingestuft. Er führte den Ruin der deutschen Wirtschaft nicht auf die Wiedergutmachungsleistungen zurück, sondern auf die wilhelminische Kriegswirtschaft. Der Verlag begann mit der Veröffentlichung „Ausgewählter Schriften“, eines auf zehn Bände angelegten Projekts, von denen Versailles – Ein Racheakt der Sieger? (Band 1), Die Militarisierung der Sprache und des Volkes (Band 2) und Begriff und Wesen des Völkischen (Band 3) im Jahr 2022 erschienen sind. Bezüge zur Gegenwart sind nicht zufällig.
Helmut Donat: Ein Verleger aus Bremen kämpft für Fr... https://www.freitag.de/autoren/johannes-klotz/helmu... 20.09.2023, 06:33
28.09.2023
Bergkarabach: Darum ist die Reaktion der Bundesregierung ein Skandal
berliner-zeitung.de, vom 21.09.2023 | aktualisiert am 24.09.2023 - 06:19 Uhr, Dustin Hoffmann
Deutschland lässt Bergkarabach im Stich: Darum ist die Reaktion der Bundesregierung ein Skandal
Aserbaidschan zerstört die kleine Demokratie Bergkarabach. Die EU hat unter Führung der Bundesregierung einen erheblichen Anteil daran. Ein Gastbeitrag.
Ein beschädigtes Wohnhaus nach dem BeschussSiranush Sargsyan/AP
2018 führte mich meine erste Reise nach Bergkarabach, eine Gebirgsregion im südlichen Kaukasus, die mehrheitlich von Armeniern bewohnt ist und sich im Zuge des Zerfalls der Sowjetunion von Aserbaidschan losgesagt hat. Die Zunahme von Diskriminierungen und eine Siedlungspolitik, die darauf abzielte, die Demografie zugunsten Aserbaidschans zu verändern, waren die Ursache für den Drang nach Unabhängigkeit.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
Pazifismus Der russische Überfall der Ukraine und dessen Folgen sorgen für harte Auseinandersetzungen auch bei denen, die Staat und Militär eigentlich rundherum ablehnen: Anarchisten. Manch einer vermisst die Bereitschaft zur inhaltlichen Debatte, Peter Nowak | Community | 2
Wie der hier beim Internationalen Antiautoritären Treffen im Juli in St. Imier fotografierte Sergej aus Finnland die Frage nach Waffen und Krieg beantwortet, ist nicht überliefert.
Bild: Peter Klaunzer/picture alliance/Keystone
Die für die nächsten Monate erwartete Abspaltung bei der Linkspartei wird durch die unterschiedliche Haltung zum Ukraine-Konflikt wesentlich befeuert. Doch auch in der außerparlamentarischen Linke sorgt die Frage der Positionierung zum russischen Krieg in der Ukraine für Streit und Ausschlüsse.
Eigentlich wäre zu denken, Anarchisten und Anarchistinnen fällt die Positionierung zu Krieg einfach – schließlich lehnen sie Staatsgewalt und damit auch Polizei und Militär grundsätzlich ab. Daher wäre zu erwarten, dass sie Nationalismus und Krieg auf beiden Seiten verurteilen und sich vor allem für die verfolgten Deserteure, Kriegs und Militärgegnerinnen in allen Ländern einsetzen. Diese Position teilen libertäre und a
Im Krieg sterben keine Männer – es fallen bloß Soldaten Weit über 100.000 Soldaten sind im Ukrainekrieg bisher gefallen – die Trauer darüber aber findet keinen Platz. Zählt das Leben von Männern in Zeiten der Wehrhaftigkeit nicht?
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28.09.2023
Nachrichten von Pressenza: Das Wettern der Woche: Wir können nicht alle aufnehmen!
Das Wettern der Woche: Wir können nicht alle aufnehmen!
Wir können nicht alle aufnehmen – ganz meine Meinung! Bei den Alten- und Pflegeheimen warten mehr als 125.000 auf Aufnahme. OK, sagen Sie, die Alten haben ja gelernt, geduldig zu sein, aber die Kinder? Bertelsmann behauptet frech, dieses Jahr würden…
Assanges Vater erzählt Greenwald, wie Assange schließlich frei kommen könnte
In diesem Video interviewt der mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Journalist und Herausgeber der NSA-Snowden-Leaks Glenn Greenwald den Vater von Julian Assange, Richard Brett Assange, über die aktuelle Lage von Julian Assange und ob es Hoffnung auf seine Freilassung gibt. Obwohl…
„Hat die Menschheit noch eine Chance?“ hatte ich am 29. Januar 2023 hier gefragt und am Ende des Beitrags auf das Buch „Pluriversum – Ein Lexikon des Guten Lebens für alle“ hingewiesen. Ende September erscheint es nun im AG SPAK…
Asyldebatte: PRO ASYL warnt vor Verlust von menschenrechtlichem Kompass
An diesem Freitag debattiert der Bundestag in Zeiten einer überhitzten Debatte einmal mehr über die Aufnahme von Flüchtlingen. Doch statt positiver Impulse steht ein Abschottungs- und Abschreckungskatalog der CDU/CSU-Fraktion zur Debatte. PRO ASYL fordert alle demokratischen Parteien dazu auf, sich…
Pressenza - ist eine internationale Presseagentur, die sich auf Nachrichten zu den Themen Frieden und Gewaltfreiheit spezialisiert hat, mit Vertretungen in Athen, Barcelona, Berlin, Bordeaux, Brüssel, Budapest, Buenos Aires, Florenz, Lima, London, Madrid, Mailand, Manila, Mar del Plata, Montreal, München, New York, Paris, Porto, Quito, Rom, Santiago, Sao Paulo, Turin, Valencia und Wien.
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28.09.2023
Mit der Waffen-SS gegen Russland Skandal um Beifall für Waffen-SS‘ler in Kanadas Parlament führt zu ersten Konsequenzen. Waffen-SS’ler werden auch im Baltikum öffentlich geehrt. Berlin lehnt UN-Resolution gegen „Glorifizierung des Nazismus“ ab.
german-foreign-policy.com, 28. September 2023
OTTAWA/KIEW/BERLIN (Eigener Bericht) – Der Skandal um den tosenden Beifall für einen ehemaligen Waffen-SS-Mann im kanadischen Parlament führt zu ersten Konsequenzen. Der Parlamentssprecher in Ottawa, der den Mann als „Held“ im Kampf „für die ukrainische Unabhängigkeit gegen die Russen“ gepriesen hatte, ist zurückgetreten. In Polen überprüft die Regierung, ob sie ein Auslieferungsverfahren gegen den NS-Kollaborateur einleiten kann – seine Einheit, die Waffen-SS-Division Galizien, hat unter anderem Massaker an Bürgern Polens begangen. In den vergangenen Jahren wurde die Division regelmäßig in der Ukraine geehrt. Mitglieder weiterer Einheiten der Waffen-SS werden unter anderem in den baltischen Staaten gewürdigt; noch im März dieses Jahres fand in Lettlands Hauptstadt Riga ein Gedenkmarsch zur ehrenden Erinnerung an lettische Mitglieder der Waffen-SS statt. Ursache für das Lob, mit dem die Waffen-SS’ler bedacht werden, ist die Tatsache, dass sie gegen die Sowjetunion bzw. „gegen Russland“ kämpften. Um den baltischen Staaten sowie der Ukraine nicht in den Rücken zu fallen, spricht sich die Bundesregierung mittlerweile gegen eine UN-Resolution aus, die die „Glorifizierung des Nazismus“ verurteilt.
Zirat: Teilnehmer am Vernichtungskrieg
Der Skandal um den tosenden Beifall für den ehemaligen Waffen-SS-Mann Jaroslaw Hunka im kanadischen Parlament schlägt weiterhin hohe Wellen. Hunka war am Freitag vergangener Woche anlässlich eines Auftritts des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vor dem Parlament in Ottawa offiziell als Gast begrüßt worden; der Sprecher des House of Commons, Anthony Rota, würdigte ihn mit den Worten, der 98-Jährige sei „ein ukrainisch-kanadischer Veteran aus dem Zweiten Weltkrieg“, der „für die ukrainische Unabhängigkeit gegen die Russen gekämpft“ habe „und die Truppen heute weiterhin unterstützt“.[1] Rota betonte: „Er ist ein ukrainischer Held, ein kanadischer Held, und wir danken ihm für all seinen Dienst.“ Hunka wurde daraufhin vom kanadischen Parlament und von Premierminister Justin Trudeau mit stehenden Ovationen geehrt. Dies geschah, obwohl keine großen historischen Kenntnisse erforderlich sind, um zu erahnen, dass ein Ukrainer, der im Zweiten Weltkrieg gegen die Sowjetunion („Russen“) kämpfte, dies an der Seite Nazideutschlands tat. Hunka war 1943 als Freiwilliger in die 14. Waffen-Grenadier-Division der SS (Waffen-SS-Division Galizien) eingetreten und hatte als Angehöriger der Einheit am deutschen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion teilgenommen – Kriegsverbrechen inklusive.
Massaker an polnischen Zivilisten
Hunkas Auftritt und der tosende Beifall für ihn führen inzwischen – nach Protesten jüdischer Organisationen, darunter etwa die Freunde des Simon-Wiesenthal-Zentrums für Holocaust-Studien und B‘nai B‘rith Canada – zu ersten Konsequenzen. Parlamentssprecher Rota ist am Dienstag nach längerer Bedenkzeit zurückgetreten. Premierminister Trudeau begnügte sich bislang mit der Äußerung, er sei über den Vorfall „zutiefst beschämt“.[2] In Polen teilte Bildungsminister Przemysław Czarnek am Dienstag mit, er habe das Institut für Nationales Gedenken (Instytut Pamięci Narodowej, IPN) gebeten, „dringend zu prüfen“, ob Hunka verdächtigt werde, im Zweiten Weltkrieg auch Verbrechen an polnischen Bürgern begangen zu haben, darunter solche jüdischen Glaubens. Gebe es „Anzeichen für solche Verbrechen“, dann werde Warschau bei den kanadischen Behörden seine Auslieferung beantragen, um ihn vor Gericht stellen zu können.[3] Die Waffen-SS-Division Galizien hat tatsächlich Massaker unter anderem an polnischen Zivilisten begangen, so etwa am 28. Februar 1944 in dem Dorf Huta Pieniacka, in dem sie, nach unterschiedlichen Schätzungen, zwischen 500 und 800 Polinnen und Polen ermordete. Ihre Beteiligung an mehreren weiteren Massakern, bei denen zahllose Polinnen und Polen ums Leben kamen, ist historisch belegt.
Sicherer Hafen für Naziverbrecher
Hintergrund für Hunkas Auftritt im Parlament in Ottawa ist nicht zuletzt, dass Kanada nach dem Zweiten Weltkrieg zum Zufluchtsort für große Teile der ukrainischen NS-Kollaboration geworden ist. Zwar verweigerte Kanada Mitgliedern der Waffen-SS offiziell die Einreise, gewährte der Waffen-SS-Division Galizien aber im Jahr 1950 eine prinzipielle Ausnahme.[4] Im Jahr 1986 kam eine offizielle Untersuchung zu dem bemerkenswerten Schluss, „Vorwürfe wegen Kriegsverbrechen“ gegen die Division seien „nie“ angemessen begründet worden. Kritiker stuften Kanada schon vor Jahren als sicheren „Hafen für Naziverbrecher“ ein.[5] Zu den mutmaßlichen Kriegsverbrechern, die nie verurteilt wurden, gehörten auch Ukrainer, darunter ukrainische Mitglieder der Waffen-SS.
Ehrendes Gedenken
Der Skandal um den Beifall des kanadischen Parlaments für Hunka ruft in Erinnerung, dass Mitglieder unterschiedlicher Einheiten der Waffen-SS bis heute in diversen Ländern Europas geehrt werden – insbesondere in Osteuropa. Im Westen der Ukraine etwa nahm im Sommer 2013 ein Abgeordneter der späteren Kiewer Regierungspartei Swoboda an einer Gedenkfeier zum 70. Jahrestag der Gründung der Waffen-SS-Division Galizien teil.[6] Nachdem mehrere Jahre lang weitere Gedenkfeiern für die Division in der Westukraine abgehalten wurden – dort ist die vom Faschisten und NS-Kollaborateur Stepan Bandera geprägte Ausformung des ukrainischen Nationalismus besonders stark verankert –, marschierten am 28. April 2021 erstmals Hunderte durch Kiew, um an die Gründung der Waffen-SS-Einheit im Jahr 1943 zu erinnern.[7]
„Kaum Berührungsängste“
Geehrt werden Mitglieder der Waffen-SS auch in den baltischen Staaten. In Estland zum Beispiel wurden seit den 1990er Jahren eine Reihe von Denkmälern errichtet, die lobend an estnische Freiwillige der Waffen-SS erinnern. Internationale Aufmerksamkeit erregte etwa ein Gedenkstein in dem estnischen Dorf Mustla, der Alfons Rebane gewidmet ist, einem Esten, der zum Standartenführer der Waffen-SS aufstieg und nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs den Kampf gegen die Sowjetunion weiterführte, nun allerdings im Untergrund. 1961 floh er in die Bundesrepublik. Die Tageszeitung Die Welt konstatierte vor einigen Jahren, „in Estland wie in den beiden anderen baltischen Staaten Litauen und Lettland“ seien zur Zeit „die Berührungsängste gegenüber der Waffen-SS ... gering“: „Viel wichtiger“ erscheine „vielen Aktivisten vor Ort“ heute die gemeinsame Positionierung „gegen den großen und aggressiven Nachbarn Russland“.[8] In Lettland wiederum wird jedes Jahr ein öffentlicher Gedenkmarsch zu Ehren der lettischen Mitglieder der Waffen-SS abgehalten; der jüngste fand am 16. März dieses Jahres statt.[9] Auch dort genießen die NS-Kollaborateure Wertschätzung als die entschlossensten Kämpfer gegen die Sowjetunion bzw. gegen Russland.
Vorkämpfer für westliche Werte
In Deutschland führt dies seit einiger Zeit dazu, dass die Bundesregierung offiziell zu einer weicheren Haltung gegenüber Organisationen der NS-Kollaboration, darunter die Waffen-SS, übergeht. Dies zeigt sich an den regelmäßig durchgeführten Abstimmungen der UN-Generalversammlung über Resolutionen, die sich gegen jede „Glorifizierung des Nazismus“ aussprechen und in diese auch die Ehrung bzw. Verherrlichung unter anderem der Waffen-SS einbeziehen. Jahrelang konnte sich die Bundesregierung nicht dazu durchringen, die Resolution zu unterstützen, sondern enthielt sich in der Abstimmung – mit der Begründung, der Wortlaut unterstelle „Personen, die sich in den 40er-Jahren für die Unabhängigkeit der baltischen Staaten von der Sowjetunion eingesetzt haben, pauschal eine Verbindung zu den nationalsozialistischen Verbrechen“.[10] Im November vergangenen Jahres nun lehnte Berlin es sogar explizit ab, die „Glorifizierung des Nazismus“ zu verurteilen. Hintergrund dafür war der Ukraine-Krieg. Insgesamt stimmten 52 Staaten mit Nein – darunter fast alle, die sich gewöhnlich stolz als Vorkämpfer für „westliche Werte“ inszenieren.[11]
[1] Isabel van Brugen: Who is Yaroslav Hunka? Ukrainian With Nazi Past Honored in Canada. newsweek.com 25.09.2023.
[2] Josh Kaplan: Justin Trudeau ‘deeply embarrassed’ after hosting Nazi in Canadian parliament. thejc.com 26.09.2023.
[3] Claudia Chiappa, Kyle Duggan: Poland seeks extradition of Ukrainian SS veteran who was applauded in Canada. politico.eu 26.09.2023.
[4] Tristin Hopper: Canada’s long history of soft-pedalling the Ukrainian Waffen-SS Galicia Division. nationalpost.com 25.09.2023.
[5] Anthony Depalma: Canada Called Haven for Nazi Criminals. nytimes.com 03.02.1997.
[6] Nils Casjens: Abgeordneter von ukrainischer Regierungspartei ehrt Waffen-SS. daserste.ndr.de 07.03.2014.
[7] Bernhard Clasen: Mit SS-Symbolen und Hitlergruß. taz.de 29.04.2021.
[10] Schriftliche Fragen mit den in der Woche vom 8. Dezember 2014 eingegangenen Antworten der Bundesregierung. Deutscher Bundestag, Drucksache 18/3519. Berlin, 12.12.2014. S. dazu Das Gedenken der Wehrhaften.
[11] Les Décodeurs: Why France and 51 other countries voted against UN resolution condemning Nazism. lemonde.fr 09.11.2022.
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27.09.2023
Nichts aus der Geschichte gelernt: Deutsche Gewerkschaft stimmt wieder für einen Weltkrieg
freedert.online, 27 Sep. 2023 10:14 Uhr, Von Anton Gentzen
Am Freitag hat die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) beschlossen, Waffenlieferungen in die Ukraine, antirussischen Sanktionen und generell dem Konfrontations- und Kriegskurs der Bundesregierung, der EU und der NATO zuzustimmen. Das gab es schon einmal, vor 110 Jahren, mit katastrophalen Folgen, die dieses Mal noch schlimmer werden können.
Mit wehenden Fahnen in den Weltkrieg, wieder einmal … Rekonstruktion des 1. Weltkrieges in der Medingschanze bei Halberstadt, Sachsen-Anhalt (16.09.2023).
Das, was Susan Bonath vor einer Woche befürchtet hat, ist geschehen: Der Bundeskongress der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) hat am Freitag den Leitantrag E084 des Vorstandes mit dem irreführenden Titel "Perspektiven für Frieden, Sicherheit und Abrüstung in einer Welt im Umbruch" mit einer überragenden Mehrheit von fast 80 Prozent der Delegiertenstimmen angenommen. Der "Widerstand der Mitglieder", dem Bonath noch Aussichten auf Erfolg zurechnete, entpuppte sich als das Aufbegehren einer verhältnismäßig kleinen Minderheit. Die Mehrheit brachte das Gewerkschaftsschiff – wie vom Vorstand gewünscht – auf klaren Kriegskurs.
Warum der Titel des Antrages irreführend ist? Nun, tatsächlich geht es dort – Orwell lässt grüßen – um das genaue Gegenteil von Frieden, Sicherheit und Abrüstung. Der angenommene Antrag stimmt ausdrücklich dem Konfrontations- und Kriegskurs der Bundesregierung, der EU und der NATO zu sowie den Deutschland und Europa mehr als Russland schädigenden Sanktionen und den Waffenlieferungen an die Ukraine und fordert gar noch mehr von alledem:
"Die Entscheidung der Europäischen Union wie auch der Bundesregierung, den russischen Angriff auf die Ukraine nicht unbeantwortet zu lassen und der angegriffenen Ukraine auf vielfältige Weise zu helfen wie auch Sanktionen zu verhängen, die der russischen Führung die Fortsetzung des Angriffskrieges erschweren und russische Oligarchen treffen sollen, die das Kriegsregime stützen, war und ist grundsätzlich richtig. Die Sanktionen müssen dabei zielgenau sein, ihre Einhaltung konsequent überwacht, die Wirksamkeit überprüft und evaluiert und sie müssen gegebenenfalls angepasst werden."
"Anpassung" meint hier gegebenenfalls auch Ausweitung. Eher Ausweitung denn Rücknahme von Sanktionen, die ihr verkündetes Ziel allesamt verfehlen.
Und zu den Waffenlieferungen hat sich Verdi nunmehr so festgelegt:
"Die Ukraine bei ihrer Verteidigung gegen die russischen Angriffe und ihrem Bemühen, um Wiederherstellung territorialer Integrität auch mit militärischem Material wie Waffen aus den Reihen der NATO-Mitglieder zu unterstützen, ist völkerrechtlich zulässig und eine Unterstützung der Angegriffenen, die es ihnen ermöglicht, sich weiter zu verteidigen."
Dass die Belieferung der einen Kriegspartei mit Waffen, die immer intensiver für Angriffe auf russisches Territorium und Zivilisten verwendet werden, die Gefahr des Ausbruchs eines Weltkrieges mit direkter deutscher Beteiligung in sich birgt, verkennen auch die Verfasser des Leitantrags nicht. Die Bundesregierung, heißt es in ihm direkt nach der soeben zitierten Passage, solle sich hüten, selbst zu einer Kriegspartei in diesem Konflikt zu werden. Doch wo ist die Linie, die massive Waffenlieferungen von direkter Kriegsbeteiligung trennt und wer legt den Verlauf dieser Linie fest? In Wahrheit ist Deutschland bereits Konfliktpartei, der Schritt zur Kriegspartei ist da ein sehr kleiner.
Die Frage, die sich einem einfachen Gewerkschaftsmitglied angesichts der kriegerischen Töne seiner Gewerkschaft als Erstes stellt, ist: "Wozu dieser Kotau vor der Bundesregierung, vor EU und NATO?" Bringt er Vorteile bei der Erfüllung der Kernaufgaben einer Gewerkschaft – dem Kampf um höhere Löhne und Gehälter, um bessere Arbeitsbedingungen?
Es ist nicht das erste Mal in der deutschen Geschichte, dass Gewerkschaften ohne größere Not den engen Schulterschluss mit der deutschen Regierung und dem deutschen Imperialismus üben. Der Blick in die Geschichte lohnt, wenn man sich die Frage beantworten will, ob der Kriegskurs der Gewerkschaftsbosse die "Arbeitgeber" bei künftigen Tarifverhandlungen spendabler stimmen oder dem Arbeiter und Angestellten sonst Vorteile bringen wird.
Im kommenden Jahr wird die Menschheit des 110. Jahrestags des Beginns des Ersten Weltkriegs gedenken. Wieder werden wir uns im Rückblick auf die Ereignisse des Jahres 1914 fragen, wie es so weit kommen konnte: wie der bis dahin blutigste Krieg, mit Millionen Opfern, mit aus lächerlichen Gründen und mit unklaren Zielen vergossenem Blut von Soldaten und Zivilisten beginnen konnte. Ein Krieg, den "niemand wollte" und an dessen Ausbruch noch wenige Wochen zuvor kaum jemand glaubte.
Dass die deutsche Sozialdemokratie damals binnen weniger Tage auf "patriotischen" Kriegskurs schwenkte und damit Verrat an den Idealen der internationalen Solidarität übte, dürfte jedem bekannt sein. Nur wenige, der bekannteste unter ihnen sicherlich Karl Liebknecht, fanden sich in der SPD anno 1914, die dem kaiserlichen Aufruf zum "Burgfrieden" widerstanden und den sinnlosen Krieg als solchen brandmarkten. Die absolute Mehrheit der sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten stimmte für die Kriegskredite und ermöglichte damit das millionenfache Blutvergießen.
Weniger bekannt ist die Rolle der deutschen Gewerkschaften in jenem Sündenfall. Dabei sind diese beinahe noch schneller umgefallen als die SPD. Noch am 1. August 1914, dem Tag der deutschen Mobilmachung, hatte die Generalkommission der Freien Gewerkschaften einen Friedensappell veröffentlicht, aber bereits am folgenden Tag stellte ihre Vorständekonferenz fest:
"Alle Bemühungen der organisierten Arbeiterschaft, den Frieden aufrechtzuerhalten, den mörderischen Krieg zu bannen, sind vergeblich gewesen."
"Tatsächlich identifizieren sich Freie Gewerkschaften und SPD inzwischen mit dem Wilhelminischen Kaiserreich. Voller Stolz blicken sie auf die organisatorischen und sozialpolitischen Erfolge, die sie errungen haben. Beide sehen es daher als ihre patriotische Pflicht an, den Krieg zu unterstützen. Sie akzeptieren den Burgfrieden vom 2. August 1914 und stellen ab sofort alle innenpolitischen Konflikte zurück."
Am 17. August 1914 beschlossen die Freien Gewerkschaften offiziell, auf alle Lohnkämpfe zu verzichten. Sie hofften durch das Wohlverhalten, ihre Organisation über die Kriegszeit retten und weitere soziale Reformen erkaufen zu können.
Einige Teile der damals zersplitterten Gewerkschaftslandschaft versteigerten sich in jenen Jahren gar dazu, den Krieg zu romantisieren. Beispielsweise heißt es im Jahrbuch 1915 der Christlichen Gewerkschaften, der Krieg sei "der Feuerofen, der die Menschheit von Schlacken und Fehlern reinigt". Er bedrohe zwar "die äußere Kultur und das äußere Glück" des Menschen, "den inneren Menschen aber hat er veredelt und emporgehoben". Theodor Brauer, der führende Theoretiker der Christlichen Gewerkschaften, pries den Krieg "mit seinen Begleiterscheinungen" als "eine grandiose, in ihrer Art überwältigende Bestätigung der Grundsätze der christlichen Arbeiterbewegung".
Das mögen extreme Äußerungen, untypisch für die Gewerkschaftsbewegung insgesamt sein, in der Unterstützung der deutschen Kriegsführung, in dem Verzicht auf Arbeitskampf und den Aufrufen für immer größere Arbeitsleistungen fürs gleiche Entgelt waren sich alle Gewerkschaften weitgehend einig. Erste Absetzungsbewegungen gab es erst im dritten Jahr des Massenmordens, 1916, als die Reichsregierung das Versprechen neuer Sozialreformen verschleppte und einige Gewerkschaften daraufhin mit der Aufkündigung des "Burgfriedens" drohten.
Das Kalkül, von Regierung und Arbeitgebern durch all das Verrenken Entgegenkommen zumindest bei den existenziellen Anliegen der Arbeiter und Angestellten zu erlangen, ging indes nicht auf. Den Gewerkschaftsbossen brachte er Anerkennung, Orden und Aussichten auf lukrativere Posten, dem einfachen Arbeiter brachte der "Burgfriede" nichts außer Not, Leiden, Schweiß und vor allem Tod auf den Schlachtfeldern des gewerkschaftlich und sozialdemokratisch abgesegneten Weltkrieges.
Wieder die schon zitierte Ausarbeitung zur deutschen Gewerkschaftsgeschichte:
"Der auch von den Gewerkschaften oft beschworene 'Geist des Schützengrabens' erweist sich rasch als Illusion. Angesichts der Niederlagen an den Fronten, der Versorgungsengpässe und Wucherpreise auf dem Schwarzen Markt zeigt die deutsche 'Volksgemeinschaft' ihr anderes Gesicht. Gleichzeitig lässt das von den Gewerkschaften ersehnte Entgegenkommen der Arbeitgeber, speziell der Groß- und Rüstungsindustrie, auf sich warten. Diese beharren darauf, dass allein sie im Unternehmen das Sagen haben."
Die Früchte der Politik von damals sind bekannt: vor der kriegsbedingten Massenverelendung rettete nicht einmal die zwischenzeitliche Eroberung der Brotkammer Ukraine (welch Parallelen zu heute!) das Deutsche Reich, die Revolution brach aus, der Krieg ging verloren, die Sozialdemokratie verriet die Revolution, auf Hyperinflation und trügerische Stabilität der Weimarer Zeit folgte eine schlimme Wirtschaftskrise, Hitler kam an die Macht, Teile der Gewerkschaften übten sich in Widerstand, größere Teile fügten sich jedoch auch diesem Führer, ein noch schlimmerer Krieg forderte noch mehr Tote, bis die Rote Armee Berlin eroberte. Eine Verkettung von sich gegenseitig bedingenden Ereignissen und letztlich alles eine Folge des Verrats der SPD und der Gewerkschaften an der deutschen und der weltweiten Arbeiterklasse und ihren wirklichen Interessen.
Der Preis allein des Ersten Weltkrieges waren weltweit 17 Millionen Menschenleben, darunter 2 Millionen deutsche Gefallene, rekrutiert hauptsächlich aus dem einfachen Volk, den von ihren politischen und gewerkschaftlichen Führern verratenen Arbeitern und Bauern. Im Zweiten Weltkrieg kamen noch einmal 60 Millionen Kriegstote weltweit dazu.
Sozialdemokratie und Gewerkschaften hätten den Ersten Weltkrieg ohne größere Anstrengung verhindern können: Ein Massenstreik hätte die Industrie lahmgelegt und jede Kriegsführung unmöglich gemacht. Damals wie heute diente und dient der angebliche "großrussische Imperialismus", den Begriff bringt der Verdi-Beschluss vom Freitag tatsächlich, zur Rechtfertigung des Kriegskurses und des Verrats der Prinzipien. Den eigenen Imperialismus, den kaiserlichen damals, den der EU und der NATO heute, übersieht man dabei geflissentlich.
Dabei war es der Expansionskurs von EU und NATO, der die Probleme in und um die Ukraine überhaupt erst erzeugte. Um zu verstehen, warum Russland die EU schwer und die NATO in seinem weichen Bauch, der die Ukraine nun mal ist, gar nicht dulden kann, genügt mir ein Blick auf die Landkarte. Was EU, NATO und Deutschland dort zu suchen haben, ist nur mit räuberischen, imperialistischen Ambitionen zu erklären. Wie ein Raubtier seine gefangene Beute verteidigt, so verhalten sich EU, NATO und Deutschland im Ukraine-Konflikt. Ob Russland dabei auch ein Raubtier ist (das ist es nach meiner Überzeugung nicht), ist letztlich nachrangig. Gegen den eigenen Imperialismus haben Linke, Sozialdemokraten und Gewerkschafter zu kämpfen, nicht gegen einen tatsächlichen oder vermeintlichen fremden. Anderenfalls werden sie eben zu "Burgfriedlern" und "Landesverteidigern". Wie 1914. Wie Verdi seit Freitag.
RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
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Am 24. Februar kündigte der russische Präsident Wladimir Putin an, gemeinsam mit den Streitkräften der Donbass-Republiken eine militärische Spezialoperation in der Ukraine zu starten, um die dortige Bevölkerung zu schützen. Die Ziele seien, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren. Die Ukraine spricht von einem Angriffskrieg. Noch am selben Tag rief der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij im ganzen Land den Kriegszustand aus. Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland. Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
27.09.2023
»Geschichtspolitischer Super-GAU« der Bundesregierung
aus e-mail von Doris Pumphrey, 27. September 2023, 12:28 Uhr
*»Keine eigenen Erkenntnisse«
*Dokumentiert: Die Bundesregierung gibt sich einsilbig. Kleine Anfrage
der Linksfraktion im Bundestag zur Verherrlichung Stepan Banderas in der
Ukraine
Wir dokumentieren im folgenden eine Kleine Anfrage der
Bundestagsabgeordneten von Die Linke, Sevim Dagdelen, und der Fraktion
von Die Linke zu »Rechtsextremen Ausprägungen der ukrainischen
Geschichtspolitik« sowie die Antworten der Bundesregierung darauf. (jW)
im Parlament des NATO-Mitglieds Kanada als ›ukrainischer Held‹«,
kommentierte Sevim Dagdelen das Verhalten der Bundesregierung gegenüber
/junge Welt/.
Die »Wiederschlechtmachung«, wie der Dichter Erich Fried die
Restauration des deutschen Imperialismus in der postnazistischen BRD
genannt hatte, erreicht mit der »Zeitenwende« offenbar einen neuen
schaurigen Höhepunkt. »Es ist ein geschichtspolitischer Super-GAU, wie
die Ampel hier den seit 1945 bestehenden Konsens aufbricht«, meint
Dagdelen. Dass die deutsche Regierung nicht einmal der in der Anfrage
der Linksfraktion enthaltenen Aussage zur fortschreitenden
Rehabilitierung Stepan Banderas und anderer ukrainischer Faschisten –
»eine positive Sichtweise auf historische Organisationen und
Persönlichkeiten, die sich mitschuldig am Holocaust und an NS-Verbrechen
gemacht haben, kann in keiner Weise hingenommen werden« – zugestimmt
hat, untermauert diesen Vorwurf. Ebenso die unappetitliche Tatsache,
dass Annalena Baerbocks Ministerium vor einigen Monaten Vertreter der in
der Tradition der OUN stehenden »Asow«-Bewegung empfangen hat. Dagdelen
warnt vor brandgefährlichen Folgen: »Wer wie das von den Grünen geführte
Außenministerium die Nazikollaborateure der Ukraine aus bloßem
antirussischen Reflex weißzuwaschen versucht, hat wirklich jeden
politischen Kompass verloren und rollt den Rechtsextremisten den roten
Teppich aus.«
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
»Einfach Proafrikanisch«: Mali, Burkina Faso und Guinea läuten vor UN-Generalversammlung neue Zeiten ein. Niger Rederecht verweigert
Brendan McDermid/REUTERS
Geht es nach Guineas Präsident Mamadi Doumbouya, sind die Zeiten westlichen Klientelismus in Westafrika vorbei (New York, 21.9.2023)
Hintergrund: Ungleichheit angeprangert Die Forderung nach größerer Eigenständigkeit, nach Unabhängigkeit von fremder Einmischung, nach einem Ende der globalen westlichen Dominanz war während der UN-Generaldebatte in New York von Repräsentanten nicht nur afrikanischer, sondern auch lateinamerikanischer Staaten immer wieder zu hören. Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva etwa kritisierte, globale Institutionen würden immer noch vom Westen beherrscht; die Ungleichheit in IWF und Weltbank etwa, wo allein die G7 mehr als 41 Prozent der Stimmrechte halten, sei »inakzeptabel« – und leider seien »die Grundlagen für eine neue Wirtschaftsregierung immer noch nicht gelegt«. Lula beklagte zudem die Doppelmoral der transatlantischen Staaten, indem er auf die »wesentliche« Rolle der Pressefreiheit hinwies – und daran erinnerte, dass Julian Assange im Westen von der Justiz verfolgt wird, weil er Pressefreiheit für sich in Anspruch nahm.
Scharf kritisierte Lula zudem die immer weiter anschwellenden Wirtschaftssanktionen, mit denen der Westen sich widerspenstige Staaten zu unterwerfen sucht – und die, daran erinnerte Brasiliens Präsident, der Bevölkerung der betroffenen Länder regelmäßig »große Schäden« zufügen. Der Kritik an den Sanktionen, insbesondere an der Kuba-Blockade oder auch an denjenigen gegen Venezuela, schlossen sich weitere an, darunter Chiles Präsident Gabriel Boric. Boric kritisierte darüber hinaus Russlands Einmarsch in die Ukraine. Gerade mittelgroße oder kleinere Länder seien in künftigen Konflikten davon abhängig, dass das internationale Recht ihnen wenigstens ein gewisses Maß an Schutz biete: »Heute ist es die Ukraine, in der Zukunft könnte es jeder von uns sein.« Auch Lula äußerte, »die Schrecken und das Leid, das alle Kriege hervorbringen«, seien allzu bekannt; er weigerte sich aber, sich direkt gegen Russland zu positionieren, und sprach sich erneut für Verhandlungen aus: »Keine Lösung wird von Dauer sein, wenn sie nicht auf dem Dialog gründet.« Dafür setzt sich Lula seit seinem Amtsantritt Anfang dieses Jahres ein. (jk)
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Für die drei Staaten des Sahel, die sich zur Zeit mit aller Macht aus dem Klammergriff der einstigen Kolonialmächte Europas zu lösen versuchen, begann die diesjährige Generaldebatte der Vereinten Nationen in New York am Dienstag vergangener Woche mit großem Ärger. Der Zeitplan sah vor, dass Malis Außenminister Abdoulaye Diop sich am Sonnabend mit der üblichen Rede an die Weltöffentlichkeit wenden konnte. Für Burkina Fasos Staatsminister Bassolma Bazié war ebenfalls Zeit für eine Ansprache eingeplant. Nigers neuer Außenminister, Bakary Yaou Sangaré, aber suchte in den Unterlagen vergeblich nach dem Tag, an dem er sich im Namen seines Landes an die versammelten UN-Mitgliedstaaten hätte wenden können: Er stand nicht auf der Liste. Empört fragte er bei den zuständigen Stellen der Vereinten Nationen nach.
Die Antwort, die Sangaré erhielt? Nun, außer ihm hatte auch Hassoumi Massaoudou, einst Außenminister des Ende Juli gestürzten Präsidenten Mohammed Bazoum, Rederecht beantragt. Massaoudou begründete das damit, der Putsch, der Bazoum entmachtet habe, sei illegal. Bazoum sei daher, juristisch gesehen, weiter Nigers rechtmäßiger Präsident, und er weiter rechtmäßiger Außenminister. Wohl unter argem Druck stehend – die europäischen Staaten dringen darauf, die Übergangsregierung in Niamey nicht anzuerkennen –, entschied UN-Generalsekretär António Guterres, die Entscheidung, wer für Niger sprechen dürfe, einer speziell für solche Streitfälle geschaffenen UN-Kommission zu übertragen. Die aber tagt erst wieder irgendwann im Herbst. Die UNO erteilte also weder Sangaré noch Massaoudou Rederecht – Niger, Opfer europäischer Intrigen, kam nicht zu Wort.
Die UN-Generaldebatte wurde damit zur ersten kleinen Bewährungsprobe für die am 16. September gegründete Alliance des États du Sahel (AES). Zu ihr haben sich Mali, Burkina Faso und Niger zusammengeschlossen, um sich gemeinsam zu verteidigen – wenn nötig, gegen eine Invasion von außen, mit der die westafrikanische Regionalorganisation ECOWAS Niger seit dem Putsch in Niamey bedroht, sonst aber auch gegen in ihrem Innern operierende Dschihadistenmilizen. In New York zeigte sich, dass ihr Dreierbündnis darüber hinaus gegen politische Attacken standhält. Der burkinische Staatsminister Bazié beschwerte sich in seiner Rede über das »schmutzige Manöver«, mit dem Niger zum Schweigen gebracht worden sei. Der malische Außenminister Diop erklärte, er spreche im Namen nicht nur seiner, sondern auch der nigrischen Regierung – denn die werde ja von der UNO daran gehindert, sich vor der Welt zu präsentieren.
Dabei ließen Diop und Bazié nicht den geringsten Zweifel daran, dass ihre Staaten den Kampf um wirkliche Unabhängigkeit vor allem von der einstigen Kolonialmacht Frankreich fortsetzen wollen: »unser Schicksal in unsere eigenen Hände nehmen«, wie Bazié es in New York formulierte. Diop betonte, Malis Regierung lege besonderen Wert auf die »souveräne Gleichheit der Staaten«. Daraus ergebe sich, dass sie »die Aktivitäten gewisser Mächte« ablehne, die klar darauf abzielten, »eine neokoloniale Dominanz zu verstetigen und andere Bevölkerungen, andere Länder und andere Nationen zu unterwerfen«. Explizit sprach er sich auch gegen Sanktionen aus, wie sie die ECOWAS zuletzt – unter lautem Beifall der EU – gegen Niger verhängte. Dass Frankreich das Regionalbündnis instrumentalisiere, um in einem »neokolonialen und paternalistischen Vorgehen Bruderländer gegeneinander auszuspielen«, sei »bedauerlich«, konstatierte Diop.
Ganz auf dieser Linie argumentierte auch Mamady Doumbouya, Übergangspräsident Guineas und wie seine Amtskollegen in Mali, Burkina Faso und Niger in einem Putsch an die Macht gelangt. Doumbouya warf die Frage auf, wie es denn eigentlich dazu gekommen sei, dass seit drei Jahren in Westafrika ein Staatsstreich dem anderen folge. Dafür gebe es »sehr tiefe Gründe«, erläuterte er. So sei in der Region eine »schlechte Verteilung der Reichtümer« zu beklagen: Wenn diese sich in den Händen »einer Elite« befänden, »während Neugeborene in den Krankenhäusern sterben, weil es keine Brutkästen gibt«, dann müsse man sich über einen Umsturz nicht wundern. Zumal, wenn Staatschefs sich darüber hinaus vorrangig darum kümmerten, ihre Amtszeit über die legalen zwei Amtszeiten hinaus zu verlängern. Die Aussage zielte auf den guineischen Expräsidenten Alpha Condé, den Doumbouya aus dem Amt geputscht hatte, womöglich aber auch auf Alassane Ouattara, den in dritter Amtszeit regierenden Präsidenten der Côte d’Ivoire, der als loyaler Handlanger Frankreichs und zur Zeit als einer der Scharfmacher gegen die nigrische Führung gilt.
Aber rechtfertigt das einen Putsch? Nun, das Regierungsmodell, das die Kolonialmächte den Staaten Afrikas aufgenötigt hätten, funktioniere nur für wenige, kritisierte Doumbouya. Da gebe es Staatschefs, die in Würdigung »ihrer Folgsamkeit oder ihrer Fähigkeit, die Ressourcen und das Hab und Gut ihrer Bevölkerungen zu verschleudern«, ohne weiteres »als Demokraten zertifiziert« würden oder auch einfach, weil sie »den Befehlen gewisser internationaler Institutionen Folge leisten«, die »im Dienst der Großmächte stehen«. Allzu oft vernachlässigten sie dabei »das Wohlergehen der Bevölkerung«. Von diesem System müssten sich die Staaten Afrikas verabschieden und statt dessen ihre eigenen Wege gehen, strikt in ihrem eigenen Interesse. »Wir sind weder pro- noch antiamerikanisch, weder pro- noch antichinesisch, weder pro- noch antifranzösisch«, erklärte Doumbouya, »wir sind einfach proafrikanisch«. Für die einstigen Kolonialmächte sei nun »der Moment« gekommen, »damit aufzuhören, uns Lektionen zu erteilen«. Diese Botschaft war in New York immer wieder deutlich zu hören. Afrika hat den Kampf um eine echte Entkolonialisierung erneut aufgenommen.
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27.09.2023
Angriffskrieg – ein heute unentwegt benutztes Wort
nachdenkseiten.de, 27. September 2023 um 11:00
Ein Artikel von: Albrecht Müller
Wo man hinschaut, überall wird zur Kennzeichnung des Krieges in der Ukraine das Wort Krieg in Kombination mit Angriff verwendet. So zum Beispiel in einem neuen interessanten Buch des Beck-Verlags über 100 andere Bücher (eine Besprechung dazu erscheint in den nächsten Tagen auf den NachDenkSeiten), zum Beispiel in Verlautbarungen von Bundeskanzler Scholz und Außenministerin Baerbock, im Deutschlandfunk, im ZDF, in der Frankfurter Rundschau, bei zeit.de, in Verlautbarungen der SPD, von der Konrad-Adenauer-Stiftung, von der Heinrich-Böll-Stiftung und von Amnesty International. Stets heißt es russischer Angriffskrieg oder Angriffskrieg Russlands.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Beim Ersten Weltkrieg, beim Zweiten Weltkrieg, beim Sechs-Tage-Krieg, bei den vielen Kriegen der USA in Lateinamerika, beim Irak-Krieg, beim Vietnamkrieg, beim Jugoslawien-Krieg – immer kam man mit dem Wort Krieg alleine aus. Jetzt also Angriffskrieg. Offensichtlich soll damit der Verursacher festgezurrt werden. Mit dem ständigen Gebrauch des Wortes „Angriffskrieg“ Russlands soll deutlich gemacht werden, dass Russland diesen Krieg begonnen habe und an ihm schuld sei. Das ist in diesem Fall eigenartig, weil gerade der Ukraine-Krieg eine Vorgeschichte hat, die die Benutzung des Wortes Angriffskrieg als fragwürdig erscheinen lässt. Beim Beschuss der Ost-Ukraine durch die ukrainische Armee in der Zeit nach 2015 sind bekanntermaßen weit über 10.000 Menschen getötet und viele verwundet worden. Das war eine der Ursachen für die Angriffskrieg genannte Invasion Russlands vom 24. Februar 2022.
Wir notieren: Fast noch besser als die westliche Kriegsmaschinerie funktioniert die westliche Propagandamaschinerie.
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Dokumentiert: Die Bundesregierung gibt sich einsilbig. Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag zur Verherrlichung Stepan Banderas in der Ukraine
Efrem Lukatsky/AP/dpa
Stepan Bandera wird in der Ukraine vielfach geehrt – Kundgebung anlässlich des Geburtstags des Nazikollaborateurs (Kiew, 1.1.2022)
Bundestagsdrucksache Nr.: 20/8177 vom 31.8.2023
Wir dokumentieren im folgenden eine Kleine Anfrage der Bundestagsabgeordneten von Die Linke, Sevim Dagdelen, und der Fraktion von Die Linke zu »Rechtsextremen Ausprägungen der ukrainischen Geschichtspolitik«sowie die Antworten der Bundesregierung darauf. (jW)
Nach Kenntnis der Fragestellerinnen und Fragesteller haben rechtsextremistische Kräfte einen erheblichen Einfluss auf die ukrainische Politik. Vertreter rechtsextremer Organisationen sind prominent in zahlreichen staatlichen, zivilgesellschaftlichen und militärischen Einrichtungen tätig. Das gilt beispielhaft für das rechtsextreme Asow-Regiment, aber auch für weitere militärische Formationen. Die offiziöse Geschichtspolitik ist zudem von einer Rehabilitierung von Akteuren der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) und der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA) geprägt, die eine wichtige Rolle bei der Kollaboration mit den NS-Besatzern während des Zweiten Weltkrieges und bei der Ermordung von Juden, Polen und Roma hatten. Nach Auffassung der Fragestellerinnen und Fragesteller muss solchen Tendenzen entschieden entgegengetreten werden. Auch angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine darf es keine Toleranz gegenüber Rechtsextremismus geben, erst recht keine Waffenlieferungen an Rechtsextremisten.
Die Geschichtspolitik in der Ukraine ist seit mehreren Jahren davon geprägt, an nationalistische Bewegungen, insbesondere der Zwischenkriegszeit, anzuknüpfen. Im Vordergrund stehen dabei die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) und die Ukrainische Aufständische Armee (UPA). Das Ukrainische Institut des nationalen Gedächtnisses (UINP) wirbt auf vielfacher Ebene, an Schulen, in Bildungsmaterialien und öffentlichen Ausstellungsproduktionen, für eine affirmative Sicht auf diese Organisationen und deren Akteure, etwa indem es den sog. »Tag der Helden« explizit in die Tradition der OUN stellt (uinp.gov.ua/pres-centr/novyny/v-ukrayini-vidznachayetsya-den-geroyiv). Im Jahr 2022 hat das Institut auf seiner Homepage Vorschläge für Organisationen und Personen veröffentlicht, »zu deren Ehren« Straßenumbenennungen durchgeführt werden können, darunter sind etwa »Andrij Melnyk« (der Anführer der Minderheitsfraktion der OUN), »Wasil Galasa« (ein Oberst der UPA) und »Helden der UPA«. Das UNIP ist eine Regierungseinrichtung, die nach eigenen Angaben »ein zentrales Organ der Exekutive, dessen Aktivitäten vom Ministerkabinett der Ukraine über den Minister für Kultur und Informationspolitik geleitet und koordiniert werden«, darstellt (http://uinp.gov.ua/pro-instytut/pravovi-zasady-diyalnosti).
Bei der OUN handelt es sich um eine autoritäre, faschistische Bewegung, die sich an deutschen, kroatischen und italienischen Faschisten orientierte. »Die Führer der OUN sahen ihre Organisation auf gleicher Ebene mit solchen europäischen faschistischen Bewegungen wie den Nationalsozialisten, den italienischen Faschisten oder der Ustaša.« Die Ideologie der OUN war eine »Mischung aus Ultranationalismus, Patriotismus, Faschismus, Antisemitismus, Rassismus und revolutionär-aufständischem Geist. Zu ihren klar definierten Feindbildern zählten die Okkupanten (Polen und Russland bzw. die Sowjetunion) und die polnische, russische und jüdische Bevölkerung, die in den ›ukrainischen Territorien‹ lebte«, ihre Akteure waren während der deutschen Besetzung aktiv an antijüdischen Pogromen und am Holocaust beteiligt (https://www.static.tu.berlin/fileadmin/www/10002032/Jahrbuecher/Jahrbuch_2013.pdf).
So fassen die Wissenschaftlichen Dienste zusammen, es sei im allgemeinen unbestritten, »dass Angehörige der OUN und UPA mit den deutschen Besatzern zusammengearbeitet haben und einen Beitrag zur Vernichtung der Juden und der Ermordung von Polen und Roma geleistet haben«. Verwiesen wird in der Dokumentation unter anderem auf die Ermordung von 50–60.000 Polen, aber auch auf verbreitete antisemitische Mordaktionen. (WD 1-3000-022/22, 19.7.2022)
Ebendiese Akteure werden in der Ukraine zunehmend als vermeintliche Freiheitskämpfer, Vorbilder und Helden dargestellt, auch in Bildungsmaterialien des UINP wird etwa die Tätigkeit der UPA in die Tradition »der ukrainischen Befreiungsbewegung« gestellt. Unter anderem mit dem Projekt einer »virtuellen Nekropolis« will das UINP an Ukrainer erinnern, die im Ausland verstorben sind (http://necropolis.uinp.gov.ua/ua/burial?id=2301545343856149739). Dazu zählen neben Bandera nach Angaben des schwedischen Historikers Per Rudling auch Kommandeure von Schutzmannschafts-Bataillonen, die im Dienst der Nazibesatzer gemordet haben. Ephraim Zuroff vom Jerusalemer Simon-Wiesenthal-Center spricht davon, dass Personen glorifiziert werden sollen, denen eine solche Ehrung nicht zukommen sollte, »weil sie Menschen, insbesondere Juden, ermordet haben« (https://www.jpost.com/diaspora/antisemitism/nazi-collaborators-included-in-ukrainian-memorial-project-656253).
Wie stark verbreitet das Bemühen um eine Ehrung der rechtsextremen OUN und UPA auf seiten der ukrainischen Regierung verbreitet ist, zeigte auch das Agieren des ehemaligen ukrainischen Botschafters Andrij Melnyk, der aus seiner Verehrung für Bandera keinen Hehl machte (www.zdf.de/nachrichten/politik/melnyk-bandera-interview-botschafter-ukraine-100.html).
Eine profaschistische Orientierung ist auch in Teilen der ukrainischen Streitkräfte zu beobachten, die sich ebenfalls positiv auf Protagonisten der OUN und UPA beziehen. So hat etwa die Asow-Brigade ihre Militärschule nach dem OUN-Gründer Ewgen Konowalez benannt.
Die Bundesregierung zeigt bislang aus Sicht der Fragestellerinnen und Fragesteller wenig Bemühungen, sich von der Verehrung rechtsextremer Kräfte in der Ukraine abzugrenzen, obwohl sich OUN- und UPA-Angehörige auch am Holocaust beteiligt haben.
Vorbemerkung der Bundesregierung
Die Bundesregierung verurteilt jede Form von Rechtsextremismus, Antisemitismus, Antiziganismus oder andere Formen von Rassismus und tritt entsprechenden Äußerungen oder Verhaltensweisen in ihrer Arbeit ausnahmslos und nachdrücklich entgegen. Die Bundesregierung setzt sich für das Gedenken an die Opfer der Menschheitsverbrechen des NS-Regimes und die unabhängige wissenschaftliche Erforschung und Aufarbeitung der Geschichte ein.
Die Bundesregierung macht sich die in der Vorbemerkung und den Fragestellungen enthaltenen rechtlichen Wertungen und Tatsachenbehauptungen, insbesondere hinsichtlich der pauschalen Einordnung bestimmter (historischer) Gruppierungen oder Personen als rechtsextrem, antisemitisch, antiziganistisch oder sonst rassistisch, ausdrücklich nicht zu eigen.
Die Bundesregierung verweist darauf, dass sich der parlamentarische Informationsanspruch nur auf Gegenstände erstreckt, die einen Bezug zum Verantwortungsbereich der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag haben und die in der Zuständigkeit der Bundesregierung liegen. Eine Pflicht zur Beantwortung besteht dann, wenn Fragen einen konkreten Bezug zum Regierungshandeln haben und die Bundesregierung einen amtlich begründeten Kenntnisvorsprung gegenüber den Abgeordneten hat.
Wir fragen die Bundesregierung:
1. Ist sich die Bundesregierung des Umstandes bewusst, dass Angehörige der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) und der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA) während des Zweiten Weltkrieges vielzehntausendfache Morde an Zivilisten, insbesondere an Polen, Juden und Roma, verübt, und zumindest zeit- und fallweise mit den Nazibesatzern kollaboriert haben, und wenn ja, welche Verantwortung ergibt sich hieraus ihrer Auffassung nach für die deutsche Geschichtspolitik?
2. Ist sich die Bundesregierung des Umstandes bewusst, dass die OUN unter Führung Banderas einen »Säuberungsauftrag« an ihre militärischen Einheiten erteilte, in dem die »Liquidierung unerwünschter polnischer, moskowitischer und jüdischer Aktivisten« erlaubt wurde und zudem vorgesehen war, Juden »beim kleinsten Verschulden« zu liquidieren (https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/ukraine-bandera-enkel-verlangt-korrektur-von-berliner-zeitung-doch-die-beweislage-ist-klar-li.250831), und wenn ja, inwiefern hält es die Bundesregierung für geboten, affirmativen Darstellungen der OUN oder ihrer Protagonisten aktiv entgegenzutreten, weil antisemitische Bestrebungen als Lehre aus der deutschen Geschichte nirgends unwidersprochen hingenommen werden dürfen, und welche Schlussfolgerungen zieht sie daraus?
Die Fragen 1 und 2 werden zusammen beantwortet. Es wird auf die Vorbemerkung verwiesen.
3. Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, dass der Oberkommandierende der ukrainischen Streitkräfte, Walerij Saluschnyi, im vergangenen Jahr zusammen mit einem weiteren Armeeoffizier vor einem Porträt des früheren OUN-Führers Stepan Bandera posierte (https://correctiv.org/faktencheck/2023/01/04/ja-auf-diesem-foto-steht-ein-ukrainischer-general-vor-einem-stepan-bandera-gemaelde/), und wenn ja, hat sie hierzu weitere Erkenntnisse, und welche Schlussfolgerungen zieht sie aus dieser Hommage an den Führer einer ultrarechten Bewegung, deren Angehörige Zehntausende von Zivilisten ermordet haben? Hat sie Überlegungen darüber angestellt, welche Schlüsse diese Hommage auf die politische Ausrichtung der ukrainischen Armee bzw. ihres Oberkommandierenden zulässt, und wenn ja, welche?
4. Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, dass das Parlament der Ukraine zum 1. Januar 2023, dem Geburtstag des früheren OUN-Führers Stepan Bandera, einen Tweet veröffentlichte, der das oben erwähnte Foto des Oberkommandierenden der ukrainischen Armee aufgriff und betonte, dieser sei sich der »Instruktionen Stepan Banderas« sehr gut bewusst (https://tvpworld.com/65446906/ukrainian-parliament-removes-twitter-post-commemorating-bandera), und wenn ja, hat sie hierzu und zur erfolgten Löschung des Tweets aufgrund insbesondere polnischer Proteste weitere Erkenntnisse, und wenn ja, welche, und welche Schlussfolgerungen zieht sie daraus hinsichtlich der politischen Orientierung der Mehrheit des ukrainischen Parlaments?
Die Fragen 3 und 4 werden zusammen beantwortet. Der Bundesregierung liegen keine eigenen, über Medienberichte hinausgehende Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung vor. Im übrigen wird auf die Vorbemerkung verwiesen.
5. Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, dass in der Ukraine in der jüngeren Vergangenheit zahlreiche Denkmäler zu Ehren von Angehörigen der OUN und UPA eingeweiht bzw. Straßen nach ihnen benannt worden sind, darunter in Kyjiw ein Stepan-Bandera-Prospekt, was den damaligen Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses zu der Bemerkung veranlasste, es sei erstaunlich, dass die Kyjiwer Behörden »einen Mann, dessen Anhänger sich den deutschen Todeseinheiten anschlossen, um die Juden der Ukraine während des Holocaust zu ermorden«, ehren und wenn ja, wie bewertet sie diese Ehrung von Personen, die Organisationen leiteten, deren Angehörige Zehntausende ziviler Polen, Juden und Roma ermordeten? Kann die Bundesregierung ausschließen, dass von ihr in der Vergangenheit gewährte Hilfe für die Ukraine, einschließlich von Projektmitteln an Dritte, für den Bau oder Unterhalt von Denkmälern zu Ehren der OUN, UPA, der Waffen-SS-Division »Galizien« oder deren jeweiliger Angehöriger, oder für einschlägige Straßenumbenennungen verwendet worden sind, und welche Erkenntnisse hat sie hierzu ggf.?
Die Bundesregierung hat Kenntnis von den in der Fragestellung in Bezug genommenen Vorgängen. Nach Kenntnis der Bundesregierung wurden keine der Ukraine seitens der Bundesregierung gewährten Unterstützungsleistungen zu den in der Fragestellung genannten Zwecken verwendet. Im übrigen wird auf die Vorbemerkung verwiesen.
6. Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, dass in Ternopil im Jahr 2021 ein Stadion nach Roman Schuchewitsch benannt worden ist, dem früheren Kommandeur des Wehrmachts-Bataillons »Nachtigall« und der UPA, was den umgehenden Protest des israelischen Botschafters hervorrief, der diese Ehrung scharf verurteilte (vgl. https://www.algemeiner.com/2021/03/09/israeli-envoy-in-ukraine-slams-naming-of-soccer-stadium-in-honor-of-nazi-ally-roman-shukhevych/), woraufhin ein Sprecher des ukrainischen Außenministeriums die Benennung mit den Worten verteidigte, es gehe um die »Bewahrung des nationalen Gedächtnisses«, und wenn ja, wie bewertet sie den Umstand, dass die Behörden einer ukrainischen Stadt einen solchen Kollaborateur der Nazis öffentlich ehren und diese Ehrung von seiten der ukrainischen Regierung legitimiert wird?
7. Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, dass der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij im Jahr 2019 sagte, es sei »in Ordnung und super« (https://www.rbc.ua/rus/news/vladimir-zelenskiy-nam-vygodno-raspustit-1555546435.html), dass der frühere OUN-Anführer Stepan Bandera für einen gewissen Prozentsatz der Ukrainer ein Held sei, und wenn ja, welche weiteren Erkenntnisse hat sie ggf. hierzu? Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, es sei »in Ordnung und super«, den Anführer einer rechtsextremen Organisation, deren Angehörige Zehntausende Zivilisten ermordet haben, als Helden zu betrachten (bitte ggf. begründen)?
8. Ist der Bundesregierung bekannt, dass mit Förderung von USAID in der Ukraine ein Zusammenschluss führender Nichtregierungsorganisationen und Experten unter dem Titel »Reanimation Package of Reforms« (RPR) geschaffen wurde, der sich auch auf dem Gebiet der Erinnerungspolitik engagiert und in dem aktiv Vertreter des OUN-nahen »Zentrums für die Erforschung der Befreiungsbewegung«, einer Organisation, die sich an der OUN-B orientiert, tätig sind (https://www.jungewelt.de/artikel/454683.erinnerungspolitik-banderisierung-der-ukraine.html), und wenn ja, welche weiteren Kenntnisse hat sie hierzu?
9. Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, dass die erwähnte RPR-Koalition im Jahr 2018 einen Gesetzentwurf zur Rehabilitierung der mit Nazideutschland verbündeten OUN als Organisation von »Freiheitskämpfern« erarbeitet hat, der vom Parlament angenommen wurde (https://www.jungewelt.de/artikel/454683.erinnerungspolitik-banderisierung-der-ukraine.html), und wenn ja, welche, und wie haben sich die im Parlament damals vertretenen Parteien dazu jeweils verhalten? Hat die Bundesregierung eine Position zur Frage, inwiefern eine solche Rehabilitierung einer faschistischen Organisation angebracht ist?
Die Fragen 6 bis 9 werden zusammen beantwortet.
Der Bundesregierung liegen hierzu keine eigenen, über Medienberichte hinausgehenden Erkenntnisse vor. Im übrigen wird auf die Vorbemerkung verwiesen.
10. Hat sie Kenntnis davon, dass dieser Zusammenschluss oder das erwähnte Zentrum Fördergelder aus Bundesmitteln erhalten hat, und wenn ja, welche?
Die Bundesregierung hat die genannten Vereinigungen nicht gefördert.
11. Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, dass der stellvertretende Direktor des regierungseigenen Ukrainischen Instituts des nationalen Gedächtnisses (UINP) Wolodimir Tylischtschak, für die OUN-B-ZeitungShlyakh Peremohy(Weg zum Sieg) schreibt, der NGO »Ukrainische Studien zur Strategieforschung« angehört, die jährlich in Kyjiw die »Bandera-Lesungen« ausrichtet (https://www.jungewelt.de/artikel/454683.erinnerungspolitik-banderisierung-der-ukraine.html), und wenn ja, welche weiteren Erkenntnisse hat sie hierzu und welche Rückschlüsse lässt dieses Engagement für OUN-Traditionspflege auf die politische Orientierung des UINP zu?
12. Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, dass das regierungseigene Ukrainische Institut des nationalen Gedächtnisses (UINP) den sog. »Tag der Helden« am 23. Mai 2021 in direkter Anlehnung an die OUN dargestellt hat, indem es auf einen diesbezüglichen Beschluss der OUN-Tagung im April 1941 verwies?
Die Fragen 11 und 12 werden zusammen beantwortet.
Der Bundesregierung liegen keine eigenen, über Medienberichte hinausgehenden Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung vor.
13. Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, dass das UINP zum »Tag der Helden« 2021 zur Frage, was Heldentum sei, ein Projekt durchführte, in dem Zitate führender früherer Vertreter der OUN präsentiert wurden, unter anderem von Jaroslaw Stezko, dem damaligen Stellvertreter Banderas, der Sinn seines Lebens sei eine »freie Ukraine« gewesen, ohne dass die Darstellung des UINP auch nur ein kritisches Wort über antisemitische Einstellungen, die Kollaboration der OUN mit den Nazis oder ihre Verwicklung in Massenmorde verloren hat, und wenn ja, hat die Bundesregierung ggf. weitere Erkenntnisse zur affirmativen Darstellung der OUN durch das UINP (bitte ggf. anführen), und wie bewertet sie die positive Sichtweise auf eine rechtsextreme, antisemitische Organisation, die zahlreiche Verbrechen an Zivilisten begangen hat, durch das UINP als offizieller Einrichtung der ukrainischen Regierung?
14. Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, dass das UINP auch im Jahr 2022 an seiner affirmativen Sichtweise auf OUN, UPA und deren Protagonisten festhielt, indem es Vorschläge zur Umbenennung von Straßen verbreitete, welche die Namen »Andrij Melnyk« (den Anführer der Minderheitsfraktion der OUN, OUN-M), »Wasil Galasa« (einen Oberst der UPA) und »Helden der UPA« enthielten, und wenn ja, welche weiteren Erkenntnisse hat sie ggf. hierzu, und wie bewertet sie den Umstand, dass das UINP als offizielle Einrichtung der ukrainischen Regierung die Benennung von Straßen nach Protagonisten einer antisemitischen, rechtsextremen Organisation unterstützt, auf deren Konto Zehntausende Morde gehen?
15. Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, dass das UINP Informationsmaterialien bereitstellt, die eine affirmative Sichtweise auf den Gründer der OUN, Ewgen Konowalez, darstellen, in denen dessen »Talent und Autorität« gewürdigt werden, ohne auf die von der OUN begangenen Verbrechen und ihre zeitweise Kollaboration mit den Nazis einzugehen, und wenn ja, welche Schlussfolgerungen zieht sie aus dem Umstand, dass das UINP als offizielle Einrichtung des ukrainischen Staates eine solch positive Sichtweise auf den Gründer einer rechtsextremen Vereinigung pflegt?
16. Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, dass das UINP Vorlesungen für ukrainische Diplomaten organisiert hat, unter anderem von Iwan Patryljak den Vortrag »Schwierige Fragen der Geschichte der OUN und UPA« (http://uinp.gov.ua/pro-instytut/zvity/zvit-za-2021-rik), wobei es sich bei dem Vortragenden um jemanden handelt, der in seinem Buch den kompromisslosen Kampf von OUN und UPA als »notwendig« und als traditionsstiftend für die ukrainische Unabhängigkeitsbewegung der 1980er Jahre bezeichnet, und wenn ja, welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Umstand, dass das UINP als offizielle Einrichtung der ukrainischen Regierung derart die Sichtweise unterstützt, die rechtsextreme OUN/UPA, auf deren Konto Zehntausende Morde gehen, habe einen »notwendigen« Kampf geführt und sei traditionsstiftend für die heutige Ukraine?
17. Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, dass das UINP auch an Schulen eine affirmative Sichtweise auf OUN und UPA vermittelt, etwa in Form der dort präsentierten Ausstellung »UPA – die Antwort des unbesiegten Volkes« (http://uinp.gov.ua/pres-centr/novyny/4553), und wenn ja, welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Umstand, dass das UINP als offizielle Einrichtung der ukrainischen Regierung bereits Minderjährigen eine affirmative Sichtweise auf eine Organisation vermittelt, die für Zehntausende Morde verantwortlich ist?
18. Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, dass das UINP Partner eines Projektes namens »Gegen Goliath« war, in dessen Rahmen der langjährige OUN-Führer, Stepan Bandera, und der ehemalige Kommandeur des Wehrmachts-Bataillons »Nachtigall« sowie später der UPA, Roman Schuchewitsch, positiv dargestellt werden und behauptet wird, dank dieser Akteure gebe es jetzt »eine freie Ukraine« (http://uinp.gov.ua/vystavkovi-proekty/vystavka-proty-goliafa), und wenn ja, welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Umstand, dass das UINP als offizielle Einrichtung der ukrainischen Regierung eine positive Sichtweise auf Vertreter rechtsextremer, terroristischer Organisationen pflegt?
19. Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, dass das UINP ein Video für den Einsatz im Unterricht anbietet, das die Geschichte der UPA »von der heroischen Seite des nationalen Befreiungskampfes des ukrainischen Volkes« (http://uinp.gov.ua/vystavkovi-proekty/vystavka-upa-vidpovid-neskorenogo-narodu) zeigt, und wenn ja, welche Schlussfolgerungen zieht sie aus dem Umstand, dass das UINP als offizielle Einrichtung der ukrainischen Regierung es für richtig hält, Schulkindern die Geschichte einer Organisation, die Zehntausende Morde begangen hat, als »heroisch« darzustellen?
20. Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, dass das UINP in einem Projekt namens »Virtuelle Nekropolis« an Personen erinnert, zu denen ukrainische Nationalisten gehören, die für die Ermordung von Jüdinnen und Juden zwischen 1917 und 1923 und während des Zweiten Weltkrieges verantwortlich waren und bei denen, wie es in der Jerusalem Post heißt, Nazikollaborateure gehören, darunter Angehörige der sogenannten Schutzmannschaften im Dienst der Nazibesatzer, die an Ermordungen von Zivilisten beteiligt waren, sowie Stepan Bandera, mithin Personen, die nach Auffassung des Leiters der Jerusalemer Simon-Wiesenthal-Instituts Efraim Zuroff aufgrund ihrer Beteiligung an insbesondere antisemitischen Morden nicht als Freiheitskämpfer geehrt werden sollten (https://www.jpost.com/diaspora/antisemitism/nazi-collaborators-included-in-ukrainian-memorial-project-656253), und wenn ja, welche Schlussfolgerungen zieht sie aus dem Umstand, dass das UINP als offizielle Einrichtung der ukrainischen Regierung solche Persönlichkeiten ehrt?
Die Fragen 13 bis 20 werden zusammen beantwortet.
Der Bundesregierung liegen hierzu keine eigenen, über Medienberichte hinausgehenden Erkenntnisse vor. Im übrigen wird auf die Vorbemerkung verwiesen.
21. Wie bewertet die Bundesregierung den Umstand, dass das UINP als offizielle Vertreterin der ukrainischen Regierung OUN und UPA, zwei rechtsextreme Organisationen, deren Angehörige an Zehntausenden Morden von Zivilsten, insbesondere Polen, Juden und Roma beteiligt waren, als Vorbilder für die heutige Ukraine darstellt?
22. Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, dass das ukrainische Parlament mit den Stimmen von Abgeordneten der Regierungspartei »Diener des Volkes« im Jahr 2020 ein ehrendes Gedenken für Iwan Poltawez-Ostrjanizja, den einstigen Assistenten von Alfred Rosenberg, Wolodimir Kubijowitsch, den Organisator der SS-Division »Galizien«, sowie weiteren NS-Verbrechern forderten (https://www.jungewelt.de/artikel/447011.krieg-in-der-ukraine-selenskijs-schwarzer-haufen.html?sstr=Schwarzer%7CHaufen), und wenn ja, welche Schlussfolgerungen lässt diese Ehrung von Nazi-Tätern aus ihrer Sicht auf das Geschichtsbild des höchsten parlamentarischen Organs der Ukraine zu?
23. Welche Position vertritt die Bundesregierung im Dialog mit der ukrainischen Regierung hinsichtlich des Umgangs mit OUN, UPA und der Waffen-SS-Division »Galizien«?
Die Fragen 21 bis 23 werden zusammen beantwortet.
Der Bundesregierung liegen keine eigenen, über Medienberichte hinausgehenden Kenntnisse im Sinne der Fragestellungen vor. Ergänzend wird auf die Vorbemerkung verwiesen.
24. Stimmt die Bundesregierung der Auffassung der Fragestellerinnen und Fragesteller zu, dass eine positive Sichtweise auf historische Organisationen und Persönlichkeiten, die sich mitschuldig am Holocaust und an NS-Verbrechen gemacht haben, in keiner Weise hingenommen werden kann, und dies auch unmissverständlich der ukrainischen Regierung angesichts der weitverbreiteten Bandera-, OUN- und UPA-Verehrung klargestellt werden muss, und wenn ja, wie kommt sie diesem Anspruch gegenüber der ukrainischen Regierung nach (bitte entsprechendes Engagement der Bundesregierung, Verbalnoten usw. anführen)?
Es wird auf die Vorbemerkung verwiesen. Zu vertraulichen Gesprächen und vertraulicher Korrespondenz mit Vertreterinnen und Vertretern anderer Staaten äußert sich die Bundesregierung grundsätzlich nicht.
Leserbrief von Ullrich-Kurt Pfannschmidt (27. September 2023 um 10:00 Uhr)
»Auch angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine …«: – Offenbar ist Sevim Dağdelen in ihrem Erkenntnisprozess inzwischen einen Schritt weiter, denn bisher sah sie Russland eher als Opfer, denn als Täter. Meine Anerkennung! – In ihrer ziemlich umfangreichen Kleinen Anfrage geht es Frau Dağdelen um detaillierte Informationen über den Faschismus in der Ukraine, die sie auf diesem Wege an die Bundesregierung weitergibt. Ginge es nicht um die Ukraine, sondern z. B. um Russland, würde wahrscheinlich W. Putin eine derartige »Einmischung in innere Angelegenheiten« schärfstens zurückweisen. Dennoch: Faschistische Tendenzen gibt es auch in Russland! Die »Wagner«-Truppe, mit der die russische Führung noch bis vor kurzem bestens zusammenarbeitete, möge nur als ein Beispiel genannt werden: »Wagner-Mitgründer Dmitri Utkin: Bis zu seiner Pensionierung Oberst im Militärgeheimdienst GRU. Wählte den Kampfnamen ›Wagner‹, weil Richard Wagner Hitlers Lieblingskomponist war. Weitere Hinweise auf seine Nazi-Ideologie: Er trägt eine Tätowierung der Siegrunen der Waffen-SS als Kragenspiegel und einen Reichsadler mit Hakenkreuz als Tätowierung auf der Brust« (Wikipedia). – Mit Sicherheit gibt es außer Utkin noch weitere Nazis. Wie wäre es, wenn sich Sevim Dağdelen im Nachgang über Nazis in Russland kundig macht und ihr Wissen mittels einer weiteren Anfrage an die Bundesregierung weitergibt?
Leserbrief von Onlineabonnent/in Onlineabo abschließen" data-placement="top" class="far fa-info-circle" data-original-title="" title="">Joachim S. aus Berlin (27. September 2023 um 07:42 Uhr)
Was für eine eindrucksvolle Darstellung der neuen außenpolitischen Strategie der Bundesrepublik Deutschland: Dumm tun und dumm sein über jede Schmerzgrenze hinaus! »Wertegeleitet« eben und jenseits jedes Versuchs, auf die wirklichen Probleme unserer Zeit konstruktiv eingehen zu wollen.
Leserbrief von Onlineabonnent/in Onlineabo abschließen" data-placement="top" class="far fa-info-circle" data-original-title="" title="">Andreas E. aus Schönefeld (27. September 2023 um 07:08 Uhr)
»Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch …« Bertold Brecht in »Der unaufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui«. Diese Bundesregierung will oder kann es nicht begreifen – sie unterstützt mit Waffen und unserem Steuergeld ein faschistisches Regime. Diese Bundesregierung ist auf dem rechten Auge total blind. Wer Bandera ehrt, wenn ein ukrainischer Präsident in aller Öffentlichkeit im kanadischen Parlament einem ehemaligen Angehörigen der SS-Division »Galizien« die Faust als Gruß entgegen reckt, obwohl er selbst (angeblich) jüdischen Glaubens ist, wenn die »Asow«-Truppen sich als Nachfahren der faschistischen OUN betrachten – wieviel wert ist dann diese »Vorbemerkung« der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage von Sevim Dagdelen und der Fraktion Die Linke im Bundestag? Hier die Antwort – nicht das Papier wert, auf dem sie gedruckt wurde. Und da wundert sich die Regierungsmehrheit über den Aufstieg der AfD. Diese Ampel macht mit ihrer Politik nach innen und außen den Faschismus salonfähig. Wie kann es sein, dass Frau Baerbock, Frau von der Leyen usw. dieses Regime in Kiew so unterstützen? Ich sage es unumwunden, linke Bewegungen werden als rechtsoffen oder putinfreundlich diskreditiert, wenn es um Friedensdemos, Forderungen nach Diplomatie im Konflikt zwischen dem NATO-Stellvertreter Ukraine und Russland geht. Aber Frau von der Leyen herzt und umarmt eine sich als offen neofaschistisch bezeichnende Frau Meloni in Italien. Diese Regierungen in Deutschland und in Europa, die sich so zeigen, gehören nach deutschen Recht wegen Verherrlichung des Faschismus vor Gericht. Nach den Nürnberger Prozessen gegen die Kriegsverbrecher des Zweiten Weltkrieges wurden internationale Regeln (das sogenannte Völkerstrafrecht) erlassen. Das sollte hier doch anwendbar sein.
Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (26. September 2023 um 20:42 Uhr)
»Die Bundesregierung macht sich die in der Vorbemerkung und den Fragestellungen enthaltenen rechtlichen Wertungen und Tatsachenbehauptungen, insbesondere hinsichtlich der pauschalen Einordnung bestimmter (historischer) Gruppierungen oder Personen als rechtsextrem, antisemitisch, antiziganistisch oder sonst rassistisch, ausdrücklich nicht zu eigen.« Das ist Relativierung und Rechtfertigung von Völkermord und ein Fall für § 130. Steht Holocaustleugnung in Deutschland nicht unter Strafe? Ich warte auf eine Anzeige der PdL gegen die Bandera-Versteher und Holocaustleugner betreffs der Ukraine. »Bei Russlandverstehern ist die Justiz da schon munterer. Die Bundesregierung hat die genannten Vereinigungen nicht gefördert.« Natürlich hat sie das. Sie finanziert den gesamten Staat Ukraine gemeinsam mit westlichen Partnern, und zwar dauerhaft, damit dann auch die genannten Vereinigungen. Ich muss kein spezielles Mordprojekt finanzieren, wenn ich dem Mörder eine monatliche Rente zahle. Der Bandera-Kult ist kriminell und wird beispielsweise von Polen auf das Schärfste wenigstens verbal verurteilt. »Der Bundesregierung liegen keine eigenen, über Medienberichte hinausgehenden Kenntnisse im Sinne der Fragestellungen vor.« Da müsste man sich schon selbst um solche Erkenntnisse bemühen. Jedenfalls hat sie die gleichen Erkenntnisse wie Polen und könnte ebenso reagieren. Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. Die Bundesregierung hat ja über ihre Geheimdienste oft viel mehr Erkenntnisse als die Medien. Wenn sie die nicht nutzt, muss sie abtreten oder die Geheimdienste als nutzlos auflösen.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
27.09.2023
Ein Jahr lang Lügen über Nord Stream
seniora.org, 27. September 2023, 26.09.2023 von Seymour Hersh - übernommen von seymourhersh.substack.com
ie Regierung Biden hat weder ihre Verantwortung für die Sprengung der Pipeline noch den Zweck der Sabotage anerkannt.
Ein Bildschirmfoto von Danish Defense zeigt das Gasleck aus den gesprengten Nord Stream-Pipelines, das am 30. September 2022 Blasen an der Oberfläche der Ostsee verursacht. / Foto von Swedish Coast Guard Handout / Anadolu Agency via Getty Images.
(Red.) Der Artikel bringt keine wirklich neuen Erkenntnisse, fasst aber noch einmal die politisch-strategischen Ziele hinter den Sprengungen zusammen. Interessant ist der Grund, warum die CIA-Leute, die Seymour Hersh die Wahrheit erzählt haben: Sie waren der Meinung, ein Abschreckungsmittel gegen den Krieg oder für den Kriegsverlauf gefunden zu haben. Dass die Biden-Administration die Sprengung unabhängig vom Krieg als geostrategisches Mittel eingesetzt hat, sei aus ihrer Sicht ein Verrat gewesen. Etwas schräg - aber so kommt wenigstens die Wahrheit heraus... Und: die CIA-Leute haben nicht den Hauch eines Zweifels, dass Olaf Scholz in die Pläne von Biden hinsichtlich der geplanten Sprengung der Pipelines eingeweiht gewesen ist. Wie auch immer: der frühere Daimler-CEO Clausen hat gesagt, die Pipelines könnten problemlos repariert und wieder in Betrieb genommen werden. Dafür müsste man nur die Interessenlage anders einordnen - weg von den kolonialistischen Interessen der USA hin zu den Interessen Europas und vor allem auch Deutschlands. Aber deutsche Politiker, die solche Interessen vertreten würden, gibt es nicht mehr...(am)
Ich weiß nicht viel über verdeckte CIA-Operationen – kein Außenstehender kann das –, aber ich weiß, dass der wesentliche Bestandteil aller erfolgreichen Missionen die totale Abstreitbarkeit ist. Die amerikanischen Männer und Frauen, die sich in den Monaten, die für die Planung und Durchführung der Zerstörung von drei der vier Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee vor einem Jahr nötig waren und die verdeckt in Norwegen ein- und ausgereist sind, haben keine Spuren hinterlassen – nicht den geringsten Hinweis auf die Existenz des Teams – außer dem Erfolg ihrer Mission.
Für Präsident Joe Biden und seine außenpolitischen Berater war die Möglichkeit des Abstreitens von größter Wichtigkeit. Keine wichtigen Informationen über die Mission wurden auf einem Computer gespeichert, sondern stattdessen auf einer Royal- oder vielleicht einer Smith-Corona-Schreibmaschine mit ein oder zwei Durchschlägen getippt, als ob das Internet und die übrige Online-Welt noch nicht erfunden worden wären. Das Weiße Haus war von den Vorgängen in der Nähe von Oslo isoliert; verschiedene Berichte und Aktualisierungen aus dem Einsatzgebiet wurden direkt an CIA-Direktor Bill Burns übermittelt, der die einzige Verbindung zwischen den Planern und dem Präsidenten war, der die Mission vom 26. September 2022 genehmigt hat. Nach Abschluss der Mission wurden die getippten Papiere und Durchschläge vernichtet, so dass es keine physischen Spuren gab – keine Beweise, die später von einem Sonderstaatsanwalt oder einem Historiker des Präsidenten ausgegraben werden könnten. Man könnte es das perfekte Verbrechen nennen.
Aber es gab einen Fehler – eine Verständnislücke zwischen denjenigen, die die Mission durchgeführt haben, und Präsident Biden darüber, warum er die Zerstörung der Pipelines anordnete, als er es tat. Mein ursprünglicher Bericht mit 5.200 Wörtern, der Anfang Februar veröffentlicht wurde, endete kryptisch mit dem Zitat eines Beamten, der mit der Mission vertraut war und mir sagte: "Es war eine schöne Tarngeschichte." Der Beamte fügte hinzu: "Der einzige Fehler war die Entscheidung, es zu tun."
Dies ist der erste Bericht über diesen Fehler am einjährigen Jahrestag der Sprengungen, und er wird Präsident Biden und seinem nationalen Sicherheitsteam nicht gefallen.
Meine anfängliche Geschichte sorgte zwangsläufig für Aufsehen, aber die großen Medien betonten die Dementis des Weißen Hauses und stützten sich auf eine alte Legende – meine Berufung auf eine ungenannte Quelle –, um gemeinsam mit der Regierung die Vorstellung zu entkräften, dass Joe Biden irgendetwas mit einem solchen Angriff zu tun gehabt haben könnte. Ich muss hier anmerken, dass ich in meiner Karriere buchstäblich Dutzende von Preisen für Geschichten in der New York Times und dem New Yorker gewonnen habe, die sich auf keine einzige namentlich genannte Quelle stützten. Im vergangenen Jahr gab es eine Reihe von widersprüchlichen Zeitungsberichten, die sich auf keine namentlich genannten Quellen aus erster Hand stützten und in denen behauptet wurde, eine ukrainische Dissidentengruppe habe den Anschlag mit einer technischen Tauchoperation in der Ostsee von einer gemieteten 49-Fuß-Yacht namens Andromeda aus durchgeführt.
Jetzt kann ich über den damals nicht erklärten Fehler schreiben, auf den sich der ungenannte Beamte berufen hat. Es geht einmal mehr um die klassische Frage, worum es bei der Central Intelligence Agency geht: eine Frage, die von Richard Helms aufgeworfen wurde, der die Agentur während der turbulenten Jahre des Vietnamkriegs und der geheimen Bespitzelung von Amerikanern durch die CIA leitete, die von Präsident Lyndon Johnson angeordnet und von Richard Nixon fortgesetzt wurde. Im Dezember 1974 veröffentlichte ich in der Times ein Exposé über diese Spionagetätigkeit, das zu einer beispiellosen Anhörung im Senat über die Rolle der Behörde bei den von Präsident John F. Kennedy genehmigten erfolglosen Versuchen zur Ermordung des kubanischen Präsidenten Fidel Castro führte. Helms erklärte den Senatoren, dass es um die Frage gehe, ob er als CIA-Direktor für die Verfassung oder für die Krone in der Person der Präsidenten Johnson und Nixon gearbeitet habe. Der Church-Ausschuss ließ die Frage offen, aber Helms machte deutlich, dass er und seine Behörde für den obersten Mann im Weißen Haus arbeiteten.
Zurück zu den Nord Stream-Pipelines: Es ist wichtig zu verstehen, dass kein russisches Gas durch die Nord Stream-Pipelines nach Deutschland floss, als Joe Biden am 26. September letzten Jahres deren Sprengung anordnete. Nord Stream 1 hatte seit 2011 riesige Mengen an günstigem Erdgas nach Deutschland geliefert und dazu beigetragen, Deutschlands Status als Produktions- und Industriekoloss zu stärken. Doch Ende August 2022 wurde sie von Putin abgeschaltet, als der Krieg in der Ukraine bestenfalls eine Patt-Situation darstellte. Nord Stream 2 wurde im September 2021 fertiggestellt, aber zwei Tage vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine von der deutschen Regierung unter Bundeskanzler Olaf Scholz für die Gaslieferungen gesperrt.
Angesichts der riesigen Erdgas- und Erdölvorräte Russlands haben amerikanische Präsidenten seit John F. Kennedy die mögliche Nutzung dieser natürlichen Ressourcen als Waffe zu politischen Zwecken im Auge gehabt. Diese Ansicht wird von Biden und seinen außenpolitischen Beratern, Außenminister Antony Blinken, dem Nationalen Sicherheitsberater Jake Sullivan und Victoria Nuland, der jetzigen Stellvertreterin von Blinken, weiterhin vertreten.
Sullivan hat Ende 2021 eine Reihe hochrangiger nationaler Sicherheitssitzungen einberufen, als Russland seine Streitkräfte entlang der ukrainischen Grenze aufbaute und eine Invasion als nahezu unvermeidlich angesehen wurde. Die Gruppe, der auch Vertreter der CIA angehörten, wurde aufgefordert, einen Vorschlag für Maßnahmen zu unterbreiten, die Putin abschrecken könnten. Der Auftrag, die Pipelines zu zerstören, wurde durch die Entschlossenheit des Weißen Hauses motiviert, den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Zelensky zu unterstützen. Das Ziel von Sullivan schien klar zu sein. "Die Politik des Weißen Hauses bestand darin, Russland von einem Angriff abzuschrecken", sagte mir der Beamte. "Die Herausforderung für die Nachrichtendienste bestand darin, etwas zu finden, was stark genug war, um dies zu erreichen, und eine starke Aussage über die amerikanischen Fähigkeiten zu machen."
Die wichtigsten Gas-Pipelines von Russland nach Europa. / Karte von Samuel Bailey / Wikimedia Commons.
Jetzt weiß ich, was ich damals nicht wusste: den wahren Grund, warum die Regierung Biden "die Nord-Stream-Pipeline aus dem Verkehr gezogen hat". Der Beamte erklärte mir kürzlich, dass Russland zu dieser Zeit Gas und Öl über mehr als ein Dutzend Pipelines in die ganze Welt lieferte, dass aber Nord Stream 1 und 2 direkt von Russland durch die Ostsee nach Deutschland führten. "Die Regierung hat Nord Stream ins Auge gefasst, weil es die einzige Pipeline war, auf die wir zugreifen konnten, und weil man es nicht abstreiten konnte", so der Beamte. "Wir haben das Problem innerhalb weniger Wochen – Anfang Januar – gelöst und es dem Weißen Haus mitgeteilt. Wir gingen davon aus, dass der Präsident die Drohung gegen Nord Stream als Abschreckung nutzen würde, um den Krieg zu vermeiden."
Es war für die geheime Planungsgruppe der CIA keine Überraschung, als die selbstsichere und selbstbewusste Nuland, die damalige Staatssekretärin für politische Angelegenheiten, am 27. Januar 2022 Putin eindringlich warnte, dass Nord Stream 2 im Falle eines Einmarsches in die Ukraine, den er offensichtlich plante, "so oder so nicht vorankommen wird". Dieser Satz erregte große Aufmerksamkeit, nicht aber die Worte, die der Drohung vorausgingen. Aus dem offiziellen Protokoll des Außenministeriums geht nämlich hervor, dass sie dieser Drohung hinsichtlich der Pipeline folgendes vorangeschickt hat: "Wir führen weiterhin sehr intensive und klare Gespräche mit unseren deutschen Verbündeten."
Auf die Frage eines Reporters, wie sie mit Sicherheit sagen könne, dass die Deutschen mitmachen würden, "weil das, was die Deutschen öffentlich gesagt haben, nicht mit dem übereinstimmt, was Sie sagen", antwortete Nuland mit einer erstaunlichen Doppelzüngigkeit: "Ich würde sagen, gehen Sie zurück und lesen Sie das Dokument, das wir im Juli [2021] unterzeichnet haben und das die Konsequenzen für die Pipeline im Falle einer weiteren Aggression Russlands gegen die Ukraine sehr deutlich macht." In dieser Vereinbarung, die den Journalisten vorgelegt wurde, wurden jedoch keine Drohungen oder Konsequenzen genannt, wie die Times, die Washington Post und Reuters berichten. Zum Zeitpunkt der Vereinbarung am 21. Juli 2021 erklärte Biden gegenüber der Presse, dass die Pipeline zu 99 Prozent fertiggestellt sei und "die Idee, dass irgendetwas gesagt oder getan werden könnte, um sie zu stoppen, nicht möglich sei". Damals bezeichneten die Republikaner, allen voran Senator Ted Cruz aus Texas, Bidens Entscheidung, das russische Gas fließen zu lassen, als "unschätzbaren geopolitischen Sieg" für Putin und "eine Katastrophe" für die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten.
Doch zwei Wochen nach Nulands Erklärung, am 7. Februar 2022, signalisierte Biden auf einer gemeinsamen Pressekonferenz des Weißen Hauses mit dem zu Besuch weilenden Scholz, dass er seine Meinung geändert habe und sich Nuland und anderen ebenso kriegslüsternen außenpolitischen Beratern anschließe, wenn es darum gehe, die Pipeline zu stoppen.
"Wenn Russland einmarschiert – und das bedeutet, dass Panzer und Truppen wieder die Grenze zur Ukraine überqueren –, wird es Nord Stream 2 nicht mehr geben", sagte er. "Wir werden ihr ein Ende setzen." Auf die Frage, wie er dies tun könne, da die Pipeline unter deutscher Kontrolle stehe, antwortete er: "Das werden wir, das verspreche ich Ihnen, wir können das."
Scholz antwortete auf die gleiche Frage: "Wir handeln gemeinsam. Wir sind uns absolut einig, und wir werden keine unterschiedlichen Schritte unternehmen. Wir werden die gleichen Schritte unternehmen, und sie werden für Russland sehr, sehr hart sein, und sie sollten das verstehen."
Der deutsche Regierungschef galt damals – und gilt auch heute noch – bei einigen Mitgliedern des CIA-Teams als voll im Bilde über die geheimen Pläne zur Zerstörung der Pipelines.
Zu diesem Zeitpunkt hatte das CIA-Team bereits die notwendigen Kontakte in Norwegen geknüpft, dessen Marine- und Spezialkräftekommandos schon seit langem verdeckte Operationen mit der Behörde durchführten. Norwegische Matrosen und Patrouillenboote der Nasty-Klasse halfen Anfang der 1960er Jahre dabei, amerikanische Sabotage-Agenten nach Nordvietnam zu schmuggeln, als die USA unter der Kennedy- und der Johnson-Regierung dort einen nicht erklärten Krieg führten. Mit Norwegens Hilfe erledigte die CIA ihren Job und fand einen Weg, das zu tun, was das Weiße Haus unter Biden mit den Pipelines vorhatte.
Damals bestand die Herausforderung für die Geheimdienste darin, einen Plan zu entwickeln, der deutlich genug sein würde, um Putin von einem Angriff auf die Ukraine abzuhalten. Der Beamte sagte mir: "Wir haben es geschafft. Wir haben ein außerordentliches Abschreckungsmittel gefunden, weil es wirtschaftliche Auswirkungen auf Russland hat. Und Putin hat es trotz der Drohung getan."
Es bedurfte monatelanger Nachforschungen und Übungen in den aufgewühlten Gewässern der Ostsee durch die beiden erfahrenen Tiefseetaucher der US-Marine, die für die Mission angeworben wurden, bevor die Sache als erfolgversprechend eingestuft wurde. Die hervorragenden norwegischen Seeleute fanden die richtige Stelle, um die Bomben zu platzieren, die die Pipelines sprengen sollten. Hohe Beamte in Schweden und Dänemark, die immer noch darauf bestehen, dass sie keine Ahnung hatten, was in ihren gemeinsamen Hoheitsgewässern vor sich ging, drückten bei den Aktivitäten der amerikanischen und norwegischen Agenten ein Auge zu. Das amerikanische Team von Tauchern und Hilfskräften auf dem Mutterschiff der Mission – einem norwegischen Minenräumboot – konnte sich nur schwer verstecken, während die Taucher ihre Arbeit verrichteten. Das Team erfuhr erst nach der Sprengung, dass Nord Stream 2 mit 750 Meilen Erdgas im Tank abgeschaltet worden war.
Was ich damals nicht wusste, aber vor kurzem erfuhr, war, dass nach Bidens außerordentlicher öffentlicher Drohung, Nord Stream 2 in die Luft zu jagen, wobei Scholz neben ihm stand, der CIA-Planungsgruppe vom Weißen Haus mitgeteilt wurde, dass es keinen sofortigen Angriff auf die beiden Pipelines geben würde, sondern dass die Gruppe dafür sorgen sollte, die erforderlichen Bomben zu platzieren und bereit zu sein, sie "bei Bedarf" auszulösen – also nach Kriegsbeginn. "Zu diesem Zeitpunkt wurde uns" – der kleinen Planungsgruppe, die in Oslo mit der königlich-norwegischen Marine und den Sonderdiensten an dem Projekt arbeitete – "klar, dass der Angriff auf die Pipelines keine Abschreckung darstellte, denn im weiteren Verlauf des Krieges erhielten wir nie den Befehl dazu."
Nach Bidens Befehl, die an den Pipelines angebrachten Sprengsätze zu zünden, bedurfte es nur eines kurzen Fluges mit einem norwegischen Kampfflugzeug und des Abwurfs eines abgeänderten, handelsüblichen Sonargeräts an der richtigen Stelle in der Ostsee, um dies zu bewerkstelligen. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die CIA-Gruppe längst aufgelöst. Zu diesem Zeitpunkt sagte mir der Beamte auch: "Wir erkannten, dass die Zerstörung der beiden russischen Pipelines nichts mit dem Krieg in der Ukraine zu tun hatte" – Putin war gerade dabei, die vier ukrainischen Oblaste zu annektieren, die er wollte –, sondern Teil einer politischen Agenda der Neokonservativen war, um Scholz und Deutschland angesichts des nahenden Winters und der stillgelegten Pipelines davon abzuhalten, kalte Füße zu bekommen und die stillgelegte Nord Stream 2 doch zu öffnen. "Die Befürchtung des Weißen Hauses war, dass Putin Deutschland unter seine Fuchtel bekommen würde und dann Polen."
Das Weiße Haus sagte nichts, während sich die Welt fragte, wer die Sabotage begangen hatte. "Der Präsident hat also einen Schlag gegen die deutsche und westeuropäische Wirtschaft geführt", sagte der Beamte zu mir. "Er hätte es im Juni tun und Putin sagen können: Wir haben dir gesagt, was wir tun werden." Das Schweigen und Dementi des Weißen Hauses sei "ein Verrat an dem, was wir getan haben. Wenn Sie es tun wollten, dann hätten Sie es tun müssen, als es noch einen Unterschied [in Bezug auf den Krieg] gemacht hätte".
Die Führung des CIA-Teams betrachtete Bidens irreführende Anleitung für den Befehl zur Zerstörung der Pipelines, so der Beamte, "als einen strategischen Schritt in Richtung Dritter Weltkrieg". Was wäre, wenn Russland darauf mit den Worten reagiert hätte: Ihr habt unsere Pipelines in die Luft gejagt, und ich werde eure Pipelines und eure Kommunikationskabel in die Luft jagen. Nord Stream war für Putin keine strategische Frage, sondern eine wirtschaftliche. Er wollte Gas verkaufen. Er hatte seine Pipelines bereits verloren", als Nord Stream I und 2 vor Beginn des Ukraine-Kriegs abgeschaltet wurden.
Wenige Tage nach der Sprengung kündigten Beamte in Dänemark und Schweden an, dass sie eine Untersuchung durchführen würden. Zwei Monate später berichteten sie, dass es tatsächlich eine Explosion gegeben hatte, und sagten, dass es weitere Ermittlungen geben würde. Es wurden keine Ergebnisse bekannt. Die deutsche Regierung führte eine Untersuchung durch, kündigte aber an, dass wesentliche Teile der Ergebnisse geheim bleiben würden.
Im letzten Winter haben die deutschen Behörden 286 Milliarden Dollar an Subventionen für Großunternehmen und Hausbesitzer bereitgestellt, die mit höheren Energierechnungen konfrontiert waren, um ihre Geschäfte zu betreiben und ihre Häuser zu heizen. Die Auswirkungen sind auch heute noch zu spüren, da in Europa ein kälterer Winter erwartet wird.
Präsident Biden wartete vier Tage, bevor er die Sprengung der Pipelines als "vorsätzlichen Sabotageakt" bezeichnete. Er sagte: "Jetzt pumpen die Russen Desinformationen darüber heraus". Sullivan, der die Sitzungen leitete, die zu dem Vorschlag geführt hatten, die Pipelines heimlich zu zerstören, wurde auf einer späteren Pressekonferenz gefragt, ob die Regierung Biden "jetzt glaubt, dass Russland wahrscheinlich für den Sabotageakt verantwortlich war?"
Sullivans Antwort, die zweifellos geübt war, lautete: "Nun, erstens hat Russland das getan, was es häufig tut, wenn es für etwas verantwortlich ist, nämlich Anschuldigungen zu erheben, dass es in Wirklichkeit jemand anderes war, der es getan hat. Das haben wir im Laufe der Zeit wiederholt gesehen. Aber der Präsident hat heute auch deutlich gemacht, dass die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind, bevor die Regierung der Vereinigten Staaten bereit ist, eine Schuldzuweisung in diesem Fall vorzunehmen." Er fuhr fort: "Wir werden weiterhin mit unseren Verbündeten und Partnern zusammenarbeiten, um alle Fakten zu sammeln, und dann werden wir entscheiden, wie wir weiter vorgehen."
Ich konnte keinen Fall finden, in dem Sullivan anschließend von jemandem in der amerikanischen Presse zu den Ergebnissen seiner "Entscheidung" befragt worden wäre. Ich konnte auch keine Beweise dafür finden, dass Sullivan oder der Präsident seither zu den Ergebnissen der "Entscheidung" befragt worden wären.
Es gibt auch keine Beweise dafür, dass Präsident Biden den amerikanischen Geheimdienst aufgefordert hat, eine umfassende Untersuchung der Sprengung der Pipelines durchzuführen. Solche Anfragen sind als "Taskings" bekannt und werden innerhalb der Regierung normalerweise ernst genommen.
All dies erklärt, warum eine Routinefrage, die ich etwa einen Monat nach den Sprengungen an jemanden stellte, der seit vielen Jahren im amerikanischen Geheimdienst tätig ist, die mich zu einer Wahrheit hätte führen sollen, der niemand in Amerika oder Deutschland nachgehen zu wollen scheint. Meine Frage war einfach: "Wer hat es getan?"
Die Biden-Regierung hat die Pipelines in die Luft gejagt, aber die Aktion hatte wenig damit zu tun, den Krieg in der Ukraine zu gewinnen oder zu beenden. Sie resultierte aus der Befürchtung im Weißen Haus, dass Deutschland einknicken und den russischen Gashahn wieder aufdrehen würde – und dass Deutschland und dann die NATO aus wirtschaftlichen Gründen unter die Herrschaft Russlands und seiner umfangreichen und preiswerten natürlichen Ressourcen geraten würden. Und das war die eigentliche Angst: dass Amerika seine langjährige Vormachtstellung in Westeuropa verlieren würde.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
27.09.2023
DER FRIEDEN DER ZUKUNFT. INTERNATIONALE TAGUNG, 5./6. OKTOBER 2023
Der westfälische Friede von 1648 hat das Kräfteverhältnis von Staaten und Religionen in Europa in neue Bahnen gelenkt. Eine Periode der Gewalt ging zu Ende. Die Grundlage für das Zusammenwirken der politischen Mächte für die kommenden Jahrhunderte war gelegt.
375 Jahre danach erscheint die Welt aus dem Gleichgewicht. Institutionen, die für Verständigung und Ausgleich sorgen sollen, verlieren an Akzeptanz. Neue Kräfte beanspruchen Einfluss im internationalen Raum. Die Demokratie steht als Regierungsform zunehmend unter Druck. In immer mehr Staaten brechen Kontrollmechanismen der Macht zusammen.
Wird die Welt der Zukunft ein friedlicher Ort sein? Wie können Konflikte von heute nachhaltig überwunden werden? Welche Rolle spielt dafür Bildung? Können Religionen einen Beitrag leisten?
Wie kann sich die internationale Zusammenarbeit so weiter entwickeln, dass sie zur Sicherung des Friedens beiträgt? Und welche Impulse gibt der Frieden von 1648 für den Frieden der Zukunft?
Sehr herzlich laden wir ein, diesen Fragen im Rahmen einer internationalen Tagung am 5. und 6. Oktober 2023 nachzugehen. Referentinnen und Referenten aus der Zentralafrikanischen Republik, Costa Rica und Deutschland teilen ihre Erfahrungen und Perspektiven mit uns. 375 Jahre nach dem westfälischen Frieden geht damit von Osnabrück erneut ein Impuls für den Frieden der Zukunft aus.
PROGRAMM Teil 1: Öffentliche Podiumsveranstaltung Donnerstag, 5. Oktober 2023, 19.00 – 21.00 Uhr
Frieden und Sicherheit neu denken in Afrika
Marie-Noelle Koyara, Verteidigungsministerin (em.) und Präsidentin des Nationalrates Aktive Gewaltfreiheit, ZAR
Frieden und Sicherheit neu denken in Europa Ralf Becker, Sicherheit neu denken
Resonanzen Regionalbischof Friedrich Selter, Sprengel Osnabrück der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers Domkapitular Theo Paul, Bistum Osnabrück
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
unser weiterer Kommentar: Wenn diese Veranstaltung unter konkreter Weglassung der Kriegsverbrechen geschieht, die von Seiten der NATO begangen worden sind und weiter begangen werden, dann wird sie falsche Erwartungen wecken und betreibt Augenwischerei.
27.09.2023
Demokratisches Defizit? Schuldenbremse und Demokratie(theorie)
die Corona-Pandemie, der russische Angriffskrieg und die Klimatransformation haben auch die Fiskalpolitik nicht unberührt gelassen. Die Schuldenbremse hat drei intensive und kontroverse Jahre erlebt – und vermutlich weitere herausfordernde Jahre vor sich.
Wir wollen einen grundsätzlicheren Blick auf unsere Fiskalregel werfen und zusammen mit Haushaltstaatssekretär Werner Gatzer, Professor Stefan Korioth (LMU München), Philippa Sigl-Glöckner (Dezernat Zukunft) und Dr. Max Krahé (Dezernat Zukunft, Moderation) über das Verhältnis der Schuldenbremse zur Demokratie diskutieren.
Wann? Freitag, 13. Oktober 2023, 14-15:30, anschließend Kaffee bis 16:00
Wo? Futurium, Alexanderufer 2, 10117 Berlin
Wir freuen uns, Euch zahlreich dort zu sehen. Aufgrund begrenzter Plätze (first come, first serve) bitten wir um eine vorherige Anmeldung via E-Mail unter events@dezernatzukunft.org (mailto:events@dezernatzukunft.org?subject=Anmeldung%20Paneldiskussion%2013.10.&body=Gerne%20w%C3%BCrde%20ich%20mich%20f%C3%BCr%20die%20Paneldiskussion%20am%2013.10.%20anmelden.%0A%0AVorname%3A%0ANachname%3A) .
Die Veranstaltung ist Teil einer ganztägigen Tagung von Dezernat Zukunft in Kooperation mit der Humboldt Universität zu Berlin. Die Teilnahme an der Diskussionsveranstaltung steht allen Personen offen, Vorkenntnisse sind keine erforderlich.
Wir freuen uns auf Eure Teilnahme und Eure Fragen.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
unser weiterer Kommentar: Bereits 2019 wurden Gesetze zum sog. Lastenausgleich verabschiedet, die es der Regierung ermöglichen die Kostenlasten der Pandemie als eine Form der Zwangsabgabe auf die gesamte Bevölkerung umzulegen.
In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.
Das große Spiel um Chips, Taiwan und den möglichen Krieg
Innovation, Hochtechnologie-Standort, Arbeitsplätze – hinter diesen Schlagworten versteckt sich der womöglich härteste geopolitische Konflikt unserer Zeit – zumindest wenn es um die Chip-Produktion geht. Dieses Interview mit Buchautor Chris Miller, das der geschätzte Johannes Kuhn geführt hat, geht wirklich in die Tiefe (und ist das volle Transkript dieses DLF-Audio-Interviews). Miller hat das Buch „Der Chip-Krieg“ geschrieben und analysiert das Chip-Wettrennen des Westens mit China. Er nimmt den Leser mit in die Geschichte des Mikrochips, die Trennung von Produktion und Design durch den TSMC-Gründer Chang, ohnehin ist die Rolle Taiwans in diesem Spiel faszinierend. Sie muss in direktem Zusammenhang mit Spatenstichen für Chipfabriken in Magdeburg und Dresden gesehen werden:
Wenn wir Begriffe wie “Versorgungsprobleme” verwenden, benennen Sie das Problem, über das wir sprechen, nicht mit der nötigen Ehrlichkeit. Nämlich das Risiko, dass China Taiwan blockiert oder angreift. Politiker müssen verständlicherweise etwas vorsichtig sein, wenn sie über diese Fragen sprechen. Aber ich denke, in der Öffentlichkeit müssen wir ehrlich sagen, um was es geht. Es gibt nur ein Versorgungsproblem, das zählt: Und das ist das China-Risiko im Zusammenhang mit einem Angriff auf Taiwan, der hundertmal kostspieliger wäre als die Subventionen.
Das ist eine klare Ansage. Miller richtet sich auch gegen die These vom „Ende der Globalisierung“ beziehungsweise der „Deglobalisierung“:
Ich kann keine Anzeichen dafür sehen. Wenn sie sich die Schlagzeilen der letzten Monate ansehen, werden sie feststellen, dass Intel aus den USA eine Investition von 20 Milliarden Dollar in Deutschland angekündigt hat. TSMC in Taiwan hat gerade eine bedeutende Investition in Deutschland bekannt gegeben. Samsung aus Südkorea baut Chipfabriken in den USA. TSMC baut Chipfabriken in Japan…das sind einige der größten ausländischen Investitionsvereinbarungen, die je…angekündigt wurden. Was passiert, ist, dass es eine bedeutende Veränderung in der Art und Weise gibt, wie China sich zum Rest der Chipindustrie verhält
Was Miller erzählt, liest sich auf unangenehme Art prophetisch – und ist eine gute Grundlage für die kommenden Jahre. Die Chips sind schließlich nur der Anfang.
Bei allem Frust über das Schneckentempo beim Klimaschutz tut es gut, hin und wieder auch mal Erfolgsgeschichten zu hören. Und die schreibt die Photovoltaik wie keine andere Technologie. Spiegel-Kolumnist Christian Stöcker hat kurz zusammengefasst, welche phänomenalen Fortschritte hier zuletzt zu verzeichnen waren.
Das beginnt beim Zubau in Deutschland: Bereits in den ersten acht Monaten dieses Jahres wurde so viel Photovoltaik neu installiert, wie es die Bundesregierung als Jahresziel gesetzt hatte. Wobei Stöcker gar nicht erst das irre Ausbautempo in China erwähnt – dort werden 2023 wohl rund 200 Gigawatt neu in Betrieb gehen, fast das Dreifache der bis dato insgesamt in Deutschland installierten Leistung.
Der starke Zubau ist auch ein Grund dafür, dass die Strompreise für Verbraucher nach dem Hoch im letzten Jahr hierzulande wieder stark gefallen sind. Mit einem dynamischen Stromtarif können sich Haushalte zu vielen Zeiten schon für 10 bis 20 Cent pro Kilowattstunde eindecken.
Auch technologisch ist viel passiert: Die heute gängigen Solarzellen sind mittlerweile so effizient, dass das physikalisch mögliche Maximum nicht mehr weit entfernt ist. Daher setzen Forscher auf alternative Materialien, mit denen sie permanent neue Wirkungsgrad-Rekorde erzielen. In spätestens fünf Jahren sind die neuen Zellen marktreif.
Die Erfolgsgeschichte der Photovoltaik soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass es etwa bei der Windenergie oder auch beim Wasserstoff viel zu langsam vorangeht. Aber immerhin: Sie zeigt, was möglich ist!
Die Konfrontation mit Russland verdeckt teilweise ein anderes Feld der globalen Auseinandersetzung – den wirtschaftlichen Wettbewerb mit China. Oder muss man gar von einem existentiellen Kampf um die wirtschaftliche Vorherrschaft sprechen?
Zuletzt stand dabei oft die Abhängigkeit hiesiger Unternehmen von chinesischen Rohstoffen und Vorleistungen im Mittelpunkt. Mindestens ebenso besorgniserregend ist allerdings, wie chinesische Unternehmen deutschen Firmen auf den globalen Märkten Konkurrenz machen – und das nicht zufällig: Die chinesische Regierung zielt mit ihrer Strategie „Made in China 2025“ darauf ab, durch massive Förderung die heimischen Unternehmen auch im Medium- und Hightech-Bereich zum Innovationsführer zu machen. Damit nimmt sie exakt jene Branchen ins Visier, in denen Deutschland bislang Spezialisierungsvorteile hat.
Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat gerade am Beispiel des europäischen Marktes analysiert, wie sich dieser Wettbewerb zwischen China und Deutschland konkret entwickelt. Zusammenfassend kann man mit Blick auf die gesamten Importe der EU sagen: China gewinnt Marktanteile, Deutschland verliert welche.
Während sich Chinas Anteil an allen Warenimporten der EU seit 2005 annähernd verdoppelt hat und 2022 fast 9 Prozent betrug, verringerte sich der deutsche Anteil um fast 3 Prozentpunkte auf 12,5 Prozent.
Besonders besorgniserregend erscheint der Trend bei anspruchsvollen Industriegütern. Analysiert wurden acht Gruppen von technologieintensiven Produkten, bei denen deutsche Unternehmen viel Know-how besitzen. Zusammen machen diese Güter 61 Prozent der EU-Importe aus Deutschland aus.
Es handelt sich dabei um Kraftwagen und -teile, sonstige Fahrzeuge, Maschinen, Metallerzeugnisse, elektrische Anlagen, Chemie, Pharma sowie um Datenverarbeitungsgeräte, elektrische und optische Erzeugnisse. In zwei der acht Gruppen liegt China inzwischen vor Deutschland, in allen anderen schrumpft der deutsche Vorsprung kontinuierlich. Zum Beispiel war bei
elektrischen Ausrüstungen … der deutsche Anteil an den EU-Importen im Jahr 2005 mit gut 20 Prozent noch fast doppelt so hoch wie der chinesische – inzwischen kommt Deutschland nur noch auf 15,5, China jedoch auf 23,7 Prozent.
Besonders dramatisch für unseren Wirtschaftsstandort erscheint mir ein Feld zu sein, das in der Analyse des IW nicht explizit ausgewiesen wird – die Erneuerbaren Energien (EE). In diesem Segment der sogenannten „Clean Tech“ ist China laut NZZ unangefochtener Weltmarktführer in allen Bereichen:
Im Bereich Photovoltaik sowie bei Batterien dominiert es mit einem Anteil von 75% den Weltmarkt mit riesigem Abstand. Auch im Bereich Windturbinen und Elektroautos stammt mehr als die Hälfte aller global verkauften Anlagen und Fahrzeuge aus China. Einerseits ist China der grösste Markt sowohl für Windkraft als auch Elektromobilität. Mit einem Anteil von 35% dominiert das Land inzwischen selbst im Export von Elektroautos.
Rund 60% der weltweiten Produktionskapazitäten für erneuerbaren Technologien stehen demnach laut IEA in China.
Europa hingegen ist mit Ausnahme von Windturbinen in allen Bereichen auf Importe angewiesen – jeweils zu mehr als einem Viertel in den Bereichen Elektroautos sowie Batterien und fast zu 100% bei Photovoltaikanlagen.
Schon heute enthalten Windkraftanlagen aus deutscher Produktion zu 60 bis 70 Prozent Komponenten aus China. Viele Guss- und Schmiedeteile sind in Europa gar nicht mehr zu bekommen. Künftig liefern die Asiaten womöglich gleich die ganze Turbine.
Wir steuern also auf eine Energiewende zu, deren Technik wir weitgehend nicht mehr selbst produzieren. Noch haben wir wohl das Geld, die Technik zu kaufen. Aber womit wollen wir das zukünftig bezahlen, wenn unser Wirtschaftsmodell wankt? Offensichtlich sind wir mit unseren Lohn- und sonstigen Kosten, mit unseren Strategien nicht mehr wettbewerbsfähig. Eine Vorreiterrolle bei wesentlichen Innovationen im technologischen Spitzenbereich spielen wir schon länger nicht mehr.
Aber auch China ist mit wirtschaftlichen Problemen konfrontiert. Das sich abschwächende Wirtschaftswachstum und die schnell steigenden Jugendarbeitslosigkeit untergräbt die unausgesprochene Übereinkunft zwischen kommunistischer Partei und Volk, wonach ein Mangel an politischer Freiheit durch stetig zunehmenden Wohlstand ausgeglichen werden soll. Das erhöht die geopolitischen Spannungen zwischen dem Westen und China.
Gerade aufgrund ihrer Weltanschauung kommen Xi und andere Spitzenpolitiker zum Schluss, dass jeder wirtschaftliche Rückschlag die Tür für liberale Ideen weiter öffnen und eine existenzielle Bedrohung für ihre Herrschaft darstellen könnte.
So fordert Peking zwar von Washington, sich zur «Koexistenz» zu bekennen – aber das mit ihrer Sicht auf die Auseinandersetzung:
Die Kommunistische Partei interpretiert Wettbewerb und Rivalität so, dass die eine oder die andere Seite zerstört wird. Und die Partei ist sich nicht sicher, wie gut ihre Aussichten wären.
Beide Seiten haben offensichtlich Schwierigkeiten, die Beziehungskonzeption des anderen zu verstehen und zu akzeptieren.
Dies setzt dem diplomatischen Dialog und den Erfolgsaussichten von Entspannungspolitik harte Grenzen. Selbst eine potenzielle Zusammenarbeit in Bereichen, wo gemeinsame Interesse offensichtlich sind – etwa beim Klimawandel, bei der Ernährungssicherheit oder der makroökonomischen Stabilität –, kommt in China heute schlecht an. Verhandlungen über Kooperation werden in der Regel als Mittel betrachtet, dem anderen seinen Willen aufzuzwingen.
Gleiches gilt natürlich auch für den fairen wirtschaftlichen Wettbewerb zwischen den Lagern. Wenn man die wirtschaftliche Globalisierung als eine „Win-lose-Dynamik“ und nicht als Win-Win“ Chance betrachtet, kommt es fast zwangsläufig zum Wirtschaftskrieg, zu Abschottung sowie dem Zusammenbruch etablierter Wertschöpfungsketten und arbeitsteiliger Spezialisierungen. Das wiederum heißt sinkende Stückzahlen bei steigenden Kosten, sinkende Produktivität und damit schrumpfender Wohlstand – für alle. Eine verrückte Situation, in der sich unsere Welt da hinein manövriert ….
Ende November beginnt in Dubai die 28. UN-Klimakonferenz, die COP28. Als Anfang dieses Jahres bekannt wurde, wer Präsident der COP sein soll, gab es Aufruhr: Sultan Ahmed al-Jaber, CEO der staatseigenen Abu Dhabi National Oil Company (ADNOC). Unter al-Jabers Aufsicht hat ADNOC seine Öl- und Gasproduktion in einem Ausmaß ausgeweitet, das nicht mit dem Pariser Klimaziel vereinbar ist. Dieser Mann führt also nun die Verhandlungen in Dubai an.
Doch natürlich gibt es um einen COP-Präsidenten ein ganzes Team. Bereits im Februar berichtete Ben Stockton im Guardian, dass mindestens 12 Mitglieder des Präsidentschaftsteams direkt aus der fossilen Industrie kämen. Im Juni deckte der Guardian dann auf, dass ADNOC wohl die E-Mail-Kommunikation des COP28-Büros mitlesen konnte und bei der Antwort auf eine Medienanfrage beraten habe.
Diese Verstrickungen sind vielleicht wenig überraschend, trotzdem ein Skandal. Von daher macht Ben Stockton einen sehr wichtigen Job, indem er immer wieder neue Details zu diesen Verstrickungen veröffentlicht. Im aktuellen Artikel erklärt er, dass zwei PR-Experten von ADNOC auch das Präsidentschaftsteam der COP beraten:
The two Adnoc communications executives named in the leaked document – Philip Robinson and Paloma Berenguer – have a combined 28 years of experience in the fossil fuel industry, according to their LinkedIn accounts. They both previously worked for Shell before joining Adnoc.
Unter anderem sollen sie al-Jaber zu seiner Rede beim UN-Nachhaltigkeitsgipfel in New York letzte Woche beraten haben. Dort sprach der Sultan erneut von einem „phase-down“ (Runterfahren) aus den fossilen Brennstoffen. Dass wir eigentlich ein „phase-out“ brauchen, also das Ende für Öl, Kohle und Gas, wird in der Kommunikation von al-Jaber wohl nicht vorkommen. Tragisch!
Es ist nicht ausgeschlossen, dass es das Ferment einer neuen Vorkriegszeit liefern wird.
Dieser Satz steht in Joseph Vogl bislang letzten Buch „Kapital und Ressentiment“ aus dem Jahr 2021, auf das ich in diesem piq hinwies.
Dass der Berliner Germanist, Philosoph und Medientheoretiker einer der klügsten Köpfe ist, wissen alle, die piqd lesen, sehen und hören. Eigentlich wollte ich hier seine Abschiedsvorlesung an der Humboldt-Universität posten, über die zum Beispiel die SZ von einem Vortrag mit der Intensität eines Pop-Konzerts schrieb. Da er sie zu einem Buch ausarbeitet, wie ich hörte, wird sie noch nicht publiziert. Aber seine Antworten auf die Fragen von Michael Hesse über gravierende Veränderungen und erstaunliche Kontinuitäten sind auch hochinteressant.
Über den Aufstieg der Rechtsextremen und der menschenfeindlichen Migrationsabwehr bemerkt er:
Ich habe das Ressentiment einen Basisaffekt kapitalistischer Gesellschaften genannt, aber vielleicht sollte man zunächst an manche Umstände erinnern, die nicht unbedingt Zufälle sind. Seit der Nachkriegszeit gab es in der alten Bundesrepublik ein rechtsextremes Wählerreservoir von ungefähr 20 Prozent, das man immer wieder aktivieren konnte. Und seit 1993 führen konservative Parteien regelmäßig Wahlkämpfe mit Ressentiments gegen Geflüchtete, Migranten, Ausländer – jüngst wurde wieder für die Abschaffung des Asylrechts plädiert. Solche und verwandte Ressentiments haben dann in den digitalen Netzwerken einen neuen Mobilisierungsschub erhalten, nicht zuletzt deshalb, weil das Geschäftsmodell der Plattformindustrie keine rechtliche Verantwortung für das dort gepostete Zeug kennt. Die bloße Meinung, das Meinungshafte ist zum Währungsstandard dieser Kommunikationssphären geworden.
Nach den großen Finanzzusammenbrüchen des vielgestaltigen Kapitalismus – also nach 1873, nach 1929 und dann nach 2008 – wuchsen die rechtsextremen Parteien. Gleichzeitig sind heute die Finanzmärkte
in einer Weise geordnet und reguliert, dass Vermögensungleichheit und die Umverteilung von unten nach oben garantiert bleiben.
Joseph Vogl sieht dadurch die Zukunft der Demokratie gefährdet – nicht nur in Deutschland.
Man hat den Wohlfahrtsstaatkompromiss, eine Folge aus den Desastern des 20. Jahrhunderts, gekündigt. Dieser Prozess hat sich in den letzten Jahren verstärkt. Für die Brexit-Kampagne etwa ging es darum, die Pflege der heimischen Finanzindustrie mit dem Abbau von Rechtsstaatlichkeit zu verknüpfen, wie man das in den gegenwärtigen Projekten beobachten kann: Verschärfungen im Polizei- und Demonstrationsrecht, im Asylrecht, Wahlrechtsreformen, Austritt aus der Europäischen Menschenrechtskonvention. Und der gegenwärtige Plattform- und Informationskapitalismus benötigt nach den Aussagen seiner Protagonisten vom alten Rechtsstaat nur noch Minimalgarantien, etwa für den Schutz des Eigentums und für die Freiheit des Kapitalverkehrs, nicht unbedingt aber Parlamente und repräsentative Demokratie. Alle sozialen und politischen Probleme werden besser technokratisch, von Privatunternehmen gelöst. Hier hat sich die liberale Phobie gegen den vorsorgenden Staat in die libertäre Feier des fürsorglichen Unternehmens verwandelt.
Das wird noch erschreckender, wenn man seine Fernsehgespräche aus den letzten Jahrzehnten noch mal hört und sieht. Oft lag er mit seinen scharfsinnigen Einsprüchen richtig. Diese Gespräche geben auch prächtige und tief blickenden Einblicke in die Kulturgeschichte des „Westens“: Hier findet man die mit Alexander Kluge auf der Webseite von dctp.tv
In einem Text im hervorragenden, auf künstliche Intelligenz fokussierten Summer Special des Magazins New Atlantis warnt Brian J. A. Boyd vor einer kommenden Sinnkrise durch die Automatisierung von Wissensarbeit im Servicesektor und den sogenannten „White Collar Jobs“, also Arbeit, für die man einen Business-Anzug trägt.
Viele Zeilen wurden bereits geschrieben über die Vernichtung von den in David Gräbers gleichnamigen Buch sogenannten „Bullshit Jobs„. Im Mai empfahl ich hier auf piqd einen Text des Science-Fiction-Autors Ted Chiang, der die Automatisierungspotenziale mit der Unternehmensberatung McKinsey verglich und passenderweise veröffentlichte Ökonomie-Professor Ethan Mollick eine Studie über den Einsatz von ChatGPT-4 in der Boston Consulting Group, die zeigte, dass Angestellte, die ChatGPT einsetzten, produktiver und schneller arbeiteten als Angestellte, die keine AI einsetzten und zwar in allen nachgemessenen Dimensionen.
David Karpf, Professor für Medienforschung, kommentiert die Studie ein wenig zynisch “Hey! I hear you think A.I. is a bullshit generator. Well, we gave a whole profession of bullshit generators access to A.I., and you’ll never believe how much more productive they became at generating bullshit! This is such a big deal for the Future of Work!” und fordert enthusiastische AI-Maximalisten auf, genauer über die gesellschaftlichen Auswirkungen dieser Automatisierungen nachzudenken.
Genau das hat Brian J. A. Boyd im von mir hier gepiqden Text getan und konstatiert nicht nur eine potenzielle Automatisierungswelle für Knowledge-Worker in allen Sektoren, sondern auch einen Verlust des menschlichen Gefühls für die Wirkungskraft der eigenen Handlungsfähigkeit – eine der essenziellen Erfahrungen des menschlichen Lebens: Als Mensch kann ich Pläne schmieden, in die Tat umsetzen und die Entfaltung ihrer Wirkung betrachten.
Unser Leben in einer modernen, kapitalistisch geprägten Gesellschaft hat diese Erfahrung bereits erheblich beeinträchtigt – Stichwort: Entfremdung –, und der Siegeszug von künstlicher Intelligenz gerade in Verwaltung, Service und Wissensarbeit läuft Gefahr, sie weiter zu untergraben.
Die Befreiung von scheinbar lästiger und sinnloser Arbeit ist demnach ein zweischneidiges Schwert, wenn sie den Menschen zu einem Leben als ausführender Arm einer komplett automatisierten Maschine und ihrer algorithmischen Anweisungen verdammt. Deshalb sollten wir vorsichtig sein, das Ende der sogenannten Bullshit Jobs zu feiern, so wie ich es gerne und schulterzuckend getan habe.
Vor einer Woche hat Jürgen Klute eine piqd-Empfehlung zum Thema Katar-Gate, dem Schmiergeld-Skandal im Europäischen Parlament, abgegeben. Schmiergeld ist offensichtlich für viele Staaten ein Mittel, um ihre Politik durchzusetzen. Aber das umfasst nur einen kleinen Teil der umfangreichen Finanz- und Wirtschaftsverbrechen auf unserem Kontinent mit seinen halblegalen bis kriminellen Netzwerken. Im Mittelpunkt stehen dabei unauffällige, verdeckte Finanztransfers etwa auch zur Geldwäsche.
Der unauffällige internationale Finanztransfer, juristische Betreuung und verschiedenen Formen von Lobbying sind längst auf eine Weise professionalisiert worden, dass daraus zum Beispiel in Großbritannien eine ganze „Industrie“ mit Rechtsanwälten, Buchhaltern, Immobilienmaklern und PR-Leuten entstanden ist.
Als Antwort darauf gründete Europol im Jahr 2020 das Kompetenzzentrum für Finanz- und Wirtschaftsverbrechen, das kürzlich erstmals einen Bericht zur Bedrohungsanalyse publiziert. Darin heißt es:
Kriminelle Akteure nutzen die Schwachstellen unseres Systems aus, schwächen dabei unsere Gesellschaft und generieren dabei enorme Gewinne. Mit dem Wachsen der schweren und organisierten Kriminalität, entwickeln sich auch kriminelle Strukturen, die an Finanz- und Wirtschaftsverbrechen beteiligt sind, indem sie die illegalen Erlöse waschen und das unterirdische kriminelle Finanzsystem verwalten. Und damit in der Lage sind, den Reichtum krimineller Akteure zu erhalten. Sie müssen auch Brücken zu relevanten Akteuren mit Zugang zu (politischer) Macht oder Informationen in wichtigen Bereichen der Gesellschaft und Wirtschaft aufbauen. Dafür ist die Korruption der Schlüssel. Daher bilden Geldwäsche, kriminelle Finanzen und Korruption weiterhin die Hauptmotoren der organisierten Kriminalitätsmaschine.
Ein zentraler Bestandteil der organisierten Kriminalität ist laut dem Papier die Geldwäscherei. Das gilt für alle „Branchen“ – egal ob Drogenhändler, Zigarettenschmuggler, Mehrwertsteuerbetrüger, Wettmafias oder Geldfälscher. Die Akteure im Katar-Gate scheinen da Amateure gewesen zu sein, die recht unvorsichtig mit großen Mengen Bargeld hantiert haben.
Knapp 70 Prozent der in der EU aktiven kriminellen Netzwerke benutzen gemäss dem Bericht «Basistechniken» zur Geldwäscherei, während der Rest professionelle Geldwäschedienste oder das System der Untergrundbanken braucht. Professionelle Geldwäscher verlangen laut den Behörden typischerweise für ihre Dienste 5 bis 20 Prozent der gewaschenen Gelder.
Die Liste der praktizierten Methoden ist dabei ziemlich lang: von informellen Geldüberweisungssystemen, Bargeldschmuggel, Banküberweisungen via Konten von Strohmännern über Kryptowährungen bis hin zu fingiertem Warenhandel und der Zwischenschaltung von Scheinfirmen, d. h. dem Missbrauch legaler Geschäfte etwa von Restaurants oder Juwelierläden, aber auch Spielcasinos und Fußballklubs. Fantasie scheint gefragt, was die Summen der beschlagnahmten Gelder betrifft, sagt der Europol-Bericht:
In den EU-Mitgliedstaaten wurden pro Jahr durchschnittlich 4,1 Milliarden Euro an kriminellen Vermögenswerten in den Jahren 2020 und 2021 beschlagnahmt. Dies stellt einen Verdoppelung im Vergleich zu früheren Schätzungen dar. Es ist jedoch nur ein kleiner Teil dessen, was kriminelle Netzwerke wahrscheinlich illegal an finanziellen Gewinnen generieren.
Immer noch gibt es keine wirklich zuverlässigen Daten über illegale Erträge aus der organisierten Kriminalität in der EU. Daher handelt es sich bei den genannten Summen – sowohl über die gesamten illegalen Gewinne als auch über den Anteil der eingezogenen Gewinne – um vorsichtige Schätzungen. Allgemein gilt die begründete Vermutung,
dass die große Mehrheit der illegalen Erträge in den Händen der organisierten Kriminalität bleibt. Betrachtet man die Einnahmen der organisierten Kriminalität, so lagen die jüngsten Schätzungen der jährlichen Gewinne von neun kriminellen Märkten in der EU zwischen 92 und 188 Mrd. EUR. Demnach würden sich die beschlagnahmten kriminellen Gelder auf 4,4 % bis 2,2 % der gesamten illegalen Einnahmen belaufen. Wenn man bedenkt, dass selbst die höhere Schätzung von 188 Mrd. EUR zweifellos eine Unterschätzung der tatsächlichen Gewinne der schweren und organisierten Kriminalität darstellt (bei einer einzigen groß angelegten EU-Operation beliefen sich allein die beschlagnahmten kriminellen Gelder auf fast 900 Mio. EUR), bleibt der Betrag der Vermögenswerte, die die Strafverfolgungsbehörden den kriminellen Netzen entziehen konnten, immer noch unter 2 % der jährlichen Erträge aus der organisierten Kriminalität.
Sicher ein erträgliches Risiko für kriminelle Netzwerke. Dies zeigt u. a., dass die zu den Ermittlungen gegen die kriminellen Machenschaften zu wenig parallele Finanzermittlungen erfolgen. Noch sind solche integrierten Vorgehensweisen nicht in allen EU-Strafverfolgungsbehörden gängige Praxis. Das aber wäre
eine Voraussetzung für die Einziehung von mehr kriminellen Vermögenswerten und für einen besseren Schutz der Bürger und der legalen Wirtschaft ist. Die Investition von Milliarden von Euro an gewaschenen illegalen Gewinnen in die legale Wirtschaft verzerrt den Wettbewerb und die allgemeine Dynamik eines freien Marktumfelds und behindert letztlich die wirtschaftliche Entwicklung. Gleichzeitig stellt die Möglichkeit, kriminell erworbene Gelder einzubehalten und sie in kriminelle Aktivitäten oder Dienstleistungen zu reinvestieren, eine zentrale Bedrohung für die innere Sicherheit der EU dar, da sie kriminelle Strukturen und Märkte fördert.
Man fragt sich auch, ob die mittlerweile 84 Angestellten des europäischen Kompetenzzentrums für Finanz- und Wirtschaftsverbrechen ausreichen, um den gemeinsamen Markt mit fast 450 Mio. Einwohnern und ca. 23 Mio. Unternehmen erfolgreich im Blick zu behalten? Und so endet der empfohlene Artikel der NZZ sehr allgemein:
Luft nach oben in der Verbrechensbekämpfung ortet auch die zuständige EU-Kommissarin Ylva Johansson: «Wir brauchen bessere Gesetze.» Sie erinnerte am Montag vor den Medien an Vorschläge der EU-Kommission unter anderem zur Bekämpfung der Geldwäscherei und zur Modernisierung des chronisch von Betrügern missbrauchten Mehrwertsteuersystems.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
27.09.2023
Unruhen im Kosovo (III) Im Kosovo eskalieren gewalttätige Spannungen zwischen der serbischsprachigen Minderheit und der Regierung in Priština. Ein Abzug der NATO respektive der Bundeswehr rückt erneut in weite Ferne.
german-foreign-policy. com, 27. September 2023
BERLIN/BELGRAD (Eigener Bericht) – Eine neue Eskalation der Spannungen im Kosovo lässt einen etwaigen Abzug der Bundeswehr aus dem Gebiet erneut in weite Ferne rücken. In der Nacht von Samstag auf Sonntag wurden bei einem Angriff auf eine Polizeieinheit im Norden des Kosovo und bei anschließenden Gefechten ein Polizist und vier Angreifer getötet. Vorausgegangen waren über Monate eskalierende Auseinandersetzungen zwischen der serbischsprachigen Minderheit im Norden des Gebiets und der Regierung in Priština, die im Herbst vergangenen Jahres mit einem Streit um die Verwendung serbischer Kfz-Kennzeichen begonnen hatten und nun zu einer ersten bewaffneten Auseinandersetzung im größeren Stil führten. Eine weitere gewaltsame Zuspitzung der Lage wird nicht ausgeschlossen. Damit stehen nicht nur die jüngsten Versuche der EU auf dem Spiel, im alten Konflikt zwischen Priština und Belgrad erstmals die serbische Regierung zu begünstigen, um einen Keil zwischen Serbien und Russland zu treiben. Auch eine Aufstockung der NATO-Truppen ist nicht auszuschließen – in einer Zeit, in der das Bündnis eigentlich alle Kräfte gegen Russland und China in Stellung zu bringen sucht, die Bundeswehr inklusive.
Zitat: Streit um Kfz-Kennzeichen
Die Spannungen im Kosovo zwischen der Regierung in Priština und der serbischsprachigen Minderheit im Norden des Gebietes nehmen bereits seit dem vergangenen Jahr kontinuierlich zu. Hintergrund ist, dass der seit März 2021 regierende Ministerpräsident Albin Kurti, ein kosovo-albanischer Nationalist, Prištinas Kontrolle über die serbischsprachigen Landesteile zu stärken sucht, während die Bevölkerung dort entschlossen Autonomierechte einfordert. Schon im Jahr 2013 wurde die Gründung eines Verbandes serbischer Gemeinden im Kosovo mit allerlei Sonderbefugnissen zugesagt; die kosovarische Regierung verschleppte sie aber stets. Auch Kurti zögert sie hinaus. Im Herbst 2022 eskalierte ein Streit um die Nutzung serbischer Kfz-Kennzeichen durch Angehörige der serbischsprachigen Minderheit so heftig, dass die serbischsprachigen Angestellten kosovarischer Behörden – von Bürgermeistern über Richter bis hin zu Polizisten – geschlossen zurücktraten. Als Priština daraufhin unter Bruch bestehender Vereinbarungen begann, albanischsprachige Polizisten in die serbischsprachigen Gebiete zu entsenden, kam es dort zu breiten Protesten und Straßenblockaden; die Situation begann in raschem Tempo außer Kontrolle zu geraten und konnte nur mit Mühe und unter starkem äußeren Druck zumindest oberflächlich beruhigt werden.[1]
Wahlboykott und gewaltsame Proteste
Zu einer erneuten Eskalation kam es im Frühjahr 2023, als Priština, veranlasst durch den Rücktritt der Bürgermeister, Neuwahlen für die serbischsprachigen Gebiete im Nordkosovo ansetzte. Aus Protest gegen das Ausbleiben der Gründung des Verbandes serbischer Gemeinden und gegen die anhaltende Präsenz albanischsprachiger Spezialeinheiten der Polizei in ihren Wohngebieten boykottierte die serbischsprachige Minderheit allerdings die Wahl. Bei einer Wahlbeteiligung von 3,47 Prozent wurden lediglich albanischsprachige Bürgermeister gewählt, die nach Lage der Dinge von mehr als 90 Prozent der Bevölkerung offen abgelehnt werden. Prištinas Versuch, sie Ende Mai gegen absehbar heftige Proteste unter massivem Einsatz der Repressionsapparate in ihr Amt einzuführen, löste eine neue Gewaltwelle aus; Barrikaden wurden errichtet, es kam zu Handgreiflichkeiten. Militärs der NATO-geführten KFOR-Truppe wurden zur Unterstützung der kosovarischen Polizei herbeigerufen. Allein die KFOR verzeichnete 93 Verletzte, einige von ihnen schwer.[2] Die Lage hat sich seitdem erneut nur oberflächlich beruhigt. Beobachter warnten bereits zum damaligen Zeitpunkt, die Spannungen könnten jederzeit neu aufflackern und womöglich zu noch heftigeren Auseinandersetzungen führen.
Vermitteln und spalten
Daran konnten alle Bemühungen der EU, die Spannungen zumindest einzudämmen, nichts ändern. Bereits im Februar hatten sich Kurti und Serbiens Präsident Aleksandar Vučić unter starkem Druck aus Brüssel auf einen Elf-Punkte-Plan zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Belgrad und Priština geeinigt – allerdings nur mündlich. Gleichfalls nur mündlich stimmten sie im März einem Fahrplan zur Umsetzung der Vereinbarungen zu. Realisiert wurde kaum etwas. Mitte dieses Monats stellte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell bei einem weiteren Treffen mit Kurti und Vučić fest, nur drei der elf Punkte seien in Angriff genommen worden. Darüber hinaus konstatierte er, Kurti sei weiterhin nicht bereit, die Gründung des Verbandes serbischer Gemeinden voranzutreiben, und verlange immer noch, Serbien müsse vorab das Kosovo faktisch anerkennen.[3] Die EU hatte im Juni sogar einige Strafmaßnahmen gegen Priština verhängt; so wurden hochrangige Treffen bis auf weiteres ausgesetzt, gewisse Mittel aus Brüsseler Töpfen wurden eingefroren.[4] Dass die Union gegen die kosovarische Regierung einschritt, war neu; Ursache war der Versuch, Serbien zu umwerben, um es Russland abspenstig zu machen (german-foreign-policy.com berichtete [5]). Belgrad ließ sich allerdings nicht auf ernste Zugeständnisse ein, während Priština hochverärgert reagierte.
Heftige Schusswechsel
Am Wochenende ist die weitere Eskalation, vor der Beobachter gewarnt hatten, eingetreten. In der Nacht von Samstag auf Sonntag blockierten zwei Fahrzeuge eine Straße nahe dem Ort Banjska im serbischsprachigen Gebiet im Norden des Kosovo. Polizisten, die sich der Blockade näherten, wurden von rund 30 Angreifern unter Beschuss genommen. Ein Polizist kam zu Tode; die Angreifer verschanzten sich zunächst in einem nahe gelegenen Kloster, mussten allerdings nach heftigen Schusswechseln aufgeben. Fünf von ihnen wurden durch Kugeln tödlich getroffen; fünf weitere wurden Berichten zufolge festgenommen, eine nicht bekannte Anzahl konnte fliehen.[6] Eine weitere Eskalation gilt als möglich. So kündigte Ministerpräsident Kurti an, im serbischsprachigen Norden des Kosovo künftig härter gegen tatsächlich oder angeblich kriminelle Strukturen durchgreifen zu wollen. Serbiens Präsident Vučić hingegen erklärte, er wolle schon in Kürze „Belege“ für nicht näher beschriebene Übergriffe der kosovarischen Polizei gegen Angehörige der serbischsprachigen Minderheit vorlegen.[7] Damit sind die Weichen nicht für weitere Verhandlungen, sondern für eine erneute Verschärfung der Spannungen zumindest im Norden des Kosovo gestellt.
„Problemlösung durch Dialog“
Die Eskalation stellt nicht bloß in Frage, ob die EU ihren Versuch fortsetzen kann, Serbien zu umwerben, um es aus seiner traditionellen Kooperation mit Russland zu lösen. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell war in seinen ersten Reaktionen auf den Überfall der rund 30 Angreifer auf die kosovarischen Polizisten bemüht, die Tat zu isolieren und sich nicht offen auf Prištinas Seite zu schlagen: Er erklärte, er verurteile „den abscheulichen Angriff auf das Schärfste“, während sein Sprecher Peter Stano verlangte, beide Seiten müssten jetzt alles tun, „damit wir aus dem ständigen Krisenmodus herauskommen und wieder zur Problemlösung durch Dialog gelangen“.[8]
Abzug in weiter Ferne
Gelingt dies nicht, rückt ein Abzug der KFOR und mit ihr der Bundeswehr aus dem Kosovo erneut in weite Ferne. Die Bundesrepublik hatte den völkerrechtswidrigen Angriff auf Jugoslawien im Jahr 1999 sowie die ebenfalls illegale förmliche Abspaltung des Kosovo im Jahr 2008 unterstützt, um Belgrad, einen traditionellen Gegner der deutschen Dominanz in Europa, empfindlich zu schwächen. Das ist gelungen. Gescheitert ist Berlin jedoch mit dem Bestreben, im Kosovo Ruhe zu schaffen, um sich ungehemmt anderen Vorhaben zuwenden zu können, aktuell dem Ukraine-Krieg und der militärischen Mobilisierung gegen Russland und gegen China. Laut Angaben der Bundeswehr sind zur Zeit 3.400 KFOR-Soldaten im Kosovo stationiert, darunter ungefähr 70 aus Deutschland. Italiens Außenminister Antonio Tajani teilte am Sonntag mit, die KFOR-Truppen im Norden des Kosovo sollten in Kürze in Reaktion auf den Überfall verstärkt werden.[9] Ob dies ohne eine neue KFOR-Aufstockung möglich ist, ist unklar. Tatsache ist: Die Bundeswehr steckt aufgrund der Unfähigkeit der NATO, ihre Einsätze erfolgreich abzuschließen, in Südosteuropa fest.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
Die EU-Kommission ist stolz auf ihren Verhaltenskodex gegen „Desinformation“ im Internet. Sie lobt Google für Zensur bei Youtube – fordert aber noch mehr.
Das sei gut, weil es sich um „koordinierte Beeinflussungs-Kampagnen“ gehandelt habe, die mit der berüchtigten russischen Internet Research Agency (IRA) in Zusammenhang stünden.
Lobend wird auch erwähnt, dass zehn Blogs blockiert wurden. TikTok habe 211 Videos zum Ukraine-Krieg gelöscht, Microsoft 798.180 Suchergebnisse herabgestuft.
Immer ging es darum, russische „Fake News“ zu bekämpfen. Dass es auch Falschmeldungen aus den USA, UK, Polen, Ungarn oder der Türkei gibt, wird im „Transparenz-Center“ nicht erwähnt.
Die EU-Kommission geht aber nicht nur einseitig vor, sie will sogar noch mehr davon: Die großen Internet-Konzerne Google, Meta, Microsoft und TikTok sollen den Kampf gegen russische „Desinformation“ verschärfen.
Doch warum die Eile? „Vor allem, weil wir damit rechnen müssen, dass der Kreml und andere vor den Europawahlen aktiv werden“, erklärte die zuständige EU-Kommissarin Vera Jourova.
Auch bei der Wahl in der Slowakei könne Propaganda auf einen fruchtbaren Boden fallen. Dort liegt der EU-Kritiker Fico vorn – ob Jourova glaubt, dass seine Anhänger alle „desinformiert“ sind?
Haha. Lustig. Wie schaffe ich es, nicht mehr ernst genommen zu werden?
Im Zeitalter von alternativen anonymen Suchmaschinen, Plattformen und VPNs sind das großartige Feststellungen. Glaubt nicht deren fake news, glaubt unseren fake news. Es hilft nur noch der Galgenhumor.
Der Umsatz an Popkorn dürfte in der nächsten Zeit schwindelnde Höhen erreichen. ???? ???? ????
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
Die EU-Kommission stockt ihre humanitäre Hilfe für Bergkarabach auf. Brüssel hat zusätzliche 4,5 Millionen Euro mobilisiert, um rund 60 000 schutzbedürftigen Menschen zu helfen. Doch die Begründung schockiert.
We must be prepared to support the thousands who have decided to flee Nagorno Karabakh, especially as the upcoming winter is likely to expose the refugees to additional challenges. The EU is drastically stepping up its humanitarian aid in the region to provide emergency relief to people in need, both within the Nagorno Karabakh enclave, and to people now displaced in Armenia. The EU is committed to coordinate humanitarian efforts on the ground to assist the people affected by this conflict.
Zu gut deutsch: „Wir müssen darauf vorbereitet sein, die tausenden Menschen zu unterstützen, die sich entschieden haben, aus Bergkarabach zu fliehen.“ Das sagt der EU-Kommissar für Katastrophenhilfe.
Kein Wort zum Militäreinsatz Aserbaidschans, kein Wort zu Vertreibung und ethnischer „Säuberung“. Aserbaidschan und sein „geschätzer“ Führer Alijew tauchen in der Pressemitteilung nicht einmal auf!
Verschweigen unterscheidet sich nur unwesentlich vom Lügen. Da es inzwischen bewährte Praxis in der EU ist, unbequeme Wahrheiten zu verschweigen – hierzu passt auch vdL und ihr unfassbares Statement zu Hiroshima, aber auch das Schweigen über die Gründe des Ukrainekriegs, über Nord Stream 2 und vieles mehr – wird es irgendwann kaum noch möglich sein, realpolitisch und lösungsorientiert zu handeln. Die EU ist auf dem besten Wege, die eigenen Lügen zu glauben, damit ist jede Handlungsfähigkeit zerstört.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
Ein Jahr nach dem Anschlag auf die Nordstream-Pipelines wird die Aufklärung weiter verschleppt. Die Bundesregierung hält ihre Erkenntnisse geheim, die EU ermittelt nicht, die NATO schweigt. Bleibt der Kriegsakt gegen eine wichtige europäische Infrastruktur ungesühnt?
Ein Jahr nach den Anschlägen auf die Nordstream-Pipelines geht das Rätselraten munter weiter. Nach Erkenntnissen deutscher Ermittler gibt es zwar einige Tatverdächtige, die allesamt aus der Ukraine stammen.
Doch nach Recherchen von ARD, Süddeutscher Zeitung und ZEIT dementieren die meisten Verdächtigen eine Tatbeteiligung. Und die Bundesregierung tut alles, um die Ukraine aus dem Schußfeld zu nehmen.
Auch die USA wollen es nicht gewesen sein – den Enthüllungen von S. Hersh zum Trotz. Zum Jahrestag legte Hersh neue Erklärungen vor. Demnach sei es Washington darum gegangen, Berlin von einer möglichen Rückkehr zur russischen Gasversorgung abzuhalten.
Tatsächlich gab es damals deutsch-russische Gespräche über die angebliche defekte Turbine. Deutschland blockierte auch EU-Sanktionen gegen Gas aus Russland, wie sie etwa die Ukraine forderte.
Mehr als ein Indiz ist dies jedoch nicht. Die Ukraine und die USA hatten ein Motiv – that’s all we know.
Mindestens genauso stark schien zunächst die Motivation, die Hintergründe aufzuklären. Doch die Bundesregierung hält ihre (angeblichen) Erkenntnisse zurück, die EU hat nie ermittelt, und die Nato schweigt.
Kein Interesse an Aufklärung
Mittlerweile hat im Westen offenbar niemand mehr ein Interesse an Aufklärung. Der Bruch mit Russland ist vollzogen, daran will auch die Bundesregierung nicht mehr rütteln. Die USA und die Ukraine haben in dieser Hinsicht ihre Ziele erreicht.
Die EU und die Nato arbeiten enger denn je zusammen, kritische Infrastruktur wird gemeinsam gegen vermeintlich drohende Angriffe aus Russland geschützt. Auch daran will niemand mehr rütteln.
Bleibt der Kriegsakt gegen eine wichtige, wenn nicht die wichtigste europäische Infrastruktur also ungesühnt? Es sieht ganz so aus…
Was für eine bodenlose Verachtung der deutschen, der gesamteuropäischen Bevölkerung – da wird ein kriegerischer, vermutlich von einem anderen Staat ausgeführter Anschlag auf existenzielle Energieinfrastruktur verübt und die Legislative und die Exekutive tun so, als wäre nichts gewesen. Was für eine unfassbare Missachtung der Sicherheitsinteressen und der Informationsrechte der Bürger. Kann man seine Bevölkerung eigentlich noch mehr verachten? Ich glaube kaum, dass das in demokratischen Staaten noch steigerungsfähig ist.
U.S. Navy jet flew across Baltic after ours Nord Stream burst – titelte Reuters am 07.10.2022 Nach offizieller Darstellung ein Routine-Aufklärungsflug. Was wurde denn aufgeklärt? Die Boeing p-8 Pioneer wird heute nirgendwo mehr erwähnt.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.