aus e-mail von Doris Pumphrey, 14. Februar 2025, 8:50 Uhr
(…) Trump hat ein lockeres Mundwerk, aber: Der Colt sitzt bei ihm nicht
locker. Für das Letztere habe ich, nicht zuletzt als Soldat, Sympathien.
Er will verhandeln, er will raus aus diesem Krieg. (…) Es gibt ja auch
in Deutschland genug Leute, die am liebsten weitermachen würden und
jetzt gezwungen sind, ihre frühere Kriegsrhetorik und ihren
erschreckenden, irrationalen Bellizismus aufzugeben. (…) Anders als die
Bundesregierung und die EU sucht die US-Regierung allerdings nach einer
politischen Lösung in der Ukraine. Das haben die Europäer definitiv
verpasst, indem sie nur Waffen an die Ukraine lieferten, ohne
realistische politische Ziele und ohne ein strategisches Konzept, wie
man aus dem Krieg mit Verhandlungen herauskommt. Trump und Putin und
auch Kellogg und seine Counterparts in Moskau und Kiew zeigen uns, wie
es geht. (…)
Berliner Zeitung 14.2.2025
<https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/geopolitik/interview-mit-erich-vad-deutschland-spielt-fuer-trumps-ukraine-plaene-keine-rolle-li.2294801>
*Interview mit Erich Vad: Deutschland spielt für Trumps Ukraine-Pläne
keine Rolle
*Die USA preschen mit einem Friedensplan für die Ukraine vor.
Deutschland hat bislang auf Eskalation statt Diplomatie gesetzt. Ein
Fehler, meint Merkels früherer Militärberater Erich Vad.
Interview Simon Zeise
Die Amerikaner haben sich über den Kopf der Europäer bereits mit
Russland abgesprochen. Ein Frieden in der Ukraine scheint greifbar nah.
Die Berliner Zeitung hat den früheren Brigadegeneral Erich Vad um eine
Einschätzung gebeten. Im Interview spricht der frühere Militärberater
von Bundeskanzlerin Angela Merkel
<https://www.berliner-zeitung.de/topics/angela-merkel> über Trumps
Friedensplan, die Versäumnisse der Europäer und wie dringend eine
Rückkehr zu Diplomatie als Leitmotiv der deutschen Außenpolitik ist.
/Herr Vad, die US-Regierung hat angekündigt, dass sie am Rande der
Münchner Sicherheitskonferenz ihren Friedensplan für die Ukraine
vorlegen wird. Sagen Sie mir als Sicherheitsexperte: Was wird drinstehen?/
Ich glaube kaum, dass die Amerikaner in München einen Friedensplan
vorlegen werden, wenn aber, dass sie ihn eher nicht zur Diskussion
stellen werden. Vizepräsident J.D. Vance und der US-Sondergesandte für
die Ukraine und Russland, Keith Kellogg, werden sich wohl anhören, was
die Europäer zu den US-Vorschlägen zu sagen haben. Dann aber werden sie
ihr eigenes Ding machen. Das höre ich so aus meinen Quellen. Trumps
Pläne sollen umgesetzt werden und basta. Deutschland, die EU und auch
die Ukraine spielen dabei keine Rolle. Das zu lernen, ist für uns
Europäer schwierig. Aber es ist höchste Zeit zu mehr strategischer
Autonomie von den USA.
/Warum sollten die Amerikaner nicht mit den Europäern einen gemeinsamen
Friedensplan umsetzen?/
Bezeichnend waren bereits Äußerungen von US-Vizepräsident Vance. Er hat
die europäischen Staaten und insbesondere Deutschland vor kurzem als
Klientelstaaten der USA bezeichnet, die einfach umsetzen, was von ihnen
verlangt wird.
Anders als die Bundesregierung und die EU sucht die US-Regierung
allerdings nach einer politischen Lösung in der Ukraine. Das haben die
Europäer definitiv verpasst, indem sie nur Waffen an die Ukraine
lieferten, ohne realistische politische Ziele und ohne ein strategisches
Konzept, wie man aus dem Krieg mit Verhandlungen herauskommmt.
Trump und Putin und auch Kellogg und seine Counterparts in Moskau und
Kiew zeigen uns, wie es geht. Zudem gab und gibt es nach wie vor die
Hotline zwischen Weißem Haus und dem Kreml, zwischen den Generalstäben
und Geheimdiensten.
Während in Deutschland immer gebetsmühlenartig wiederholt worden ist,
man dürfe mit Putin und Russland nicht reden, haben andere das immer
getan. Es ist auch ein Zeichen, dass Vance bei seiner Europareise erst
mal nach Paris fährt und mit Macron redet. Dort war übrigens auch Modi,
der indische Präsident, der in den Brics-Staaten und gegenüber China
eine starke Rolle spielt. Daran sieht man, welchen Stellenwert die
Amerikaner Deutschland beimessen. Die Bundesregierung hofft
wahrscheinlich, dass bei der Münchner Sicherheitskonferenz ein Ergebnis
für die Ukraine präsentiert und diskutiert wird. Aber das können die
Europäer vergessen.
/Trump hat bereits erste Forderungen an die Ukraine gestellt. Er
verlangt unter anderem Zugriff auf Bodenschätze. Werden die Europäer mit
den USA verhandeln können oder heißt es bei der Ukraine „America first“?/
Am Ende wird es eine Entscheidung des russischen und des amerikanischen
Präsidenten sein. Denn in der Ukraine wird ein Stellvertreterkrieg auf
dem Rücken der Ukraine gekämpft. Es sind zwei Großmächte, die
konkurrierende Interessen in einer bestimmten Region haben – sowie in
Panama, um Taiwan und Grönland eben auch.
In Deutschland müssen wir das endlich verstehen. Der ukrainische
Präsident Wolodymyr Selenskyj spielt keine Rolle. Auch wenn die
Bundesregierung mantraartig erklärt, man dürfe nicht über die Köpfe der
Ukrainer hinweg entscheiden – die politische Realität ist eine andere.
Trump hat ja sogar schon Wahlen ins Spiel gebracht, denen sich Selenskyj
stellen müsste und damit seine politische Legitimität infrage gestellt.
Wenn es dazu kommt, glaube ich nicht, dass er als Wahlsieger hervorgehen
wird. Mir scheint es eher so, dass „Dealmaker“ Trump den Preis für
Frieden einfach nur hochtreiben will.
/Während sich die Amerikaner aus dem Krieg zurückziehen, soll
Deutschland mehr Geld für die Ukraine und für den Ausbau der Bundeswehr
ausgeben. Müssen wir letztlich für die US-Außenpolitik die Zeche bezahlen?/
Die Amerikaner lassen sich ihre Ausgaben auf Dollar und Cent
zurückzahlen. Es gibt schon erste Privatisierungsprogramme,
Landwirtschaftsreformen und Ressourcenabkommen über Lithium und seltene
Erden. Ich bin mir sicher, da kommt noch mehr.
Die europäischen Unterstützungsleistungen werden hingegen nicht
zurückgezahlt. Das ist selbstverständlich, weil wir eben – Zitat Vance –
als Klientelstaat der USA gesehen werden. Es ist eine sehr harte
Lektion. Aber ich glaube, wir werden lernen müssen, welche Rolle die
Europäer in diesem Krieg spielten und spielen. Die Amerikaner erwarten
wie selbstverständlich, dass Deutschland den Wiederaufbau der Ukraine
maßgeblich mitfinanzieren soll.
Hinzu kommt die Forderung nach der Erhöhung des Verteidigungsetats.
Trump fordert ein Niveau von fünf Prozent des deutschen BIP. Das ist
zwar unrealistisch. Aber wenn es am Ende dann drei Prozent sind, ist es
für ihn auch ein Big Deal. Da muss man vorsichtig sein. Natürlich müssen
wir unsere Streitkräfte verbessern. Aber es kann am Ende nicht so sein,
dass die Erhöhung des Nato-Etats als ein Konjunkturprogramm, als Big
Deal für die US-Wirtschaft dient. Schließlich sind die meisten
Waffensysteme, die wir im Moment kaufen, aus US-Produktion.
/Friedrich Merz dürfte aller Wahrscheinlichkeit nach der nächste
Bundeskanzler werden. Glauben Sie, dass Deutschland unter ihm eine
Außenpolitik verfolgen wird, die sich stärker an den eigenen Interessen
ausrichtet?/
Auch Merz wird lernen müssen, dass Deutschland keine ewigen Freunde hat,
sondern dass auch die USA nur dann Partner sind, wo es um ihre
Interessen geht. Daraus ergeben sich Schnittmengen. Deutschland und die
USA haben ein Interesse an einer stabilen Nato.
Doch die amerikanischen Interessen gehen darüber hinaus. Die USA sind
eine Weltmacht. Die Debatten um Grönland, Kanada und den Panamakanal
zeigen deutlich, wo ihre Schwerpunkte liegen. Dann diese Konfrontation
mit Russland, die wir vor dem Krieg so nicht hatten. Das löffeln wir
Europäer genauso aus wie die anderen Kriege, die Amerika geführt hat.
Denken Sie an den Irak oder Afghanistan, an Syrien, an Libyen und an die
Ukraine. Das waren aus meiner Sicht verlorene Kriege, mit hohem
finanziellen Aufwand, mit weitflächigen Zerstörungen, die der Auslöser
für heftige Migrationswellen nach Europa waren. Wenn ich nach dem Sinn
und nach dem Nutzen frage, dann erschließt sich mir das nicht.
/Merz setzt weiter auf die militärische Unterstützung der Ukraine. Er
hält sogar an der Lieferung von den höchst umstrittenen weitreichenden
Taurus-Raketen fest. Ist es nicht der richtige Weg, um den Preis für
Putin in die Höhe zu treiben?/
Nein, es ist vielmehr hochgradig gefährlich, und ich verstehe nicht,
welche unverantwortlichen „Spin-Doktoren“ und Lohnschreiber solche
Forderungen in die Wahlprogramme schreiben. Mit dem Taurus können Ziele
auf dem Roten Platz und der Kreml getroffen werden. Außerdem müssten wir
die Zielsteuerung aus der Hand geben und der ukrainischen Armee überlassen.
Ich bin mir zudem sicher, dass Herr Merz, wenn er Kanzler ist, gar nicht
die Genehmigung aus Washington bekäme, den Taurus freizugeben. Das ist
keine bilaterale Frage zwischen Kiew und Berlin – letztlich entscheiden
auch hier die USA.
Nein, wir müssen uns wieder zurückbesinnen auf die sogenannte
Harmel-Doktrin der Nato, die besagt, dass wir militärische Abschreckung
brauchen, aber immer in Verbindung mit Dialog, Interessenausgleich,
Verhandlungen und Abrüstung. Da müssen wir wieder hinkommen. Wenn die
Nato-Osterweiterung so aggressiv wie jetzt fortgesetzt wird, könnte
Georgien das nächste Kriegsszenario sein, oder Moldawien, Serbien, oder
es droht eine Eskalation im Fernen Osten mit China.
Besonders aus deutscher Sicht können wir so eine Entwicklung, die
zwangsläufig zu einem europäischen Krieg führen könnte, nicht wollen.
Denn im Fall einer militärischen Eskalation in Europa, oder einer
direkten Konfrontation zwischen Russland und den USA würde Deutschland
zum Schlachtfeld.
/Gehört zum Konzept der erfolgreichen Abschreckung auch die
Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland dazu? /
Ich halte das für sehr unglücklich. Diese Mittelstreckenstationierung in
einem laufenden Krieg inklusive einer möglichen Erstschlagbefähigung
gegenüber Russland aus Deutschland heraus verschärft die Sicherheitslage.
Es kommt dabei darauf an, welche Waffensysteme am Ende eingesetzt
werden. Dark Eagle ist im Gespräch, Tomahawk Cruise Missiles und die
SM-6. All diese Systeme können potenziell diese Erstschlagbefähigung
gegenüber Russland haben, weil sie die Vorwarnzeiten der Russen aufgrund
der geografischen Nähe unterlaufen können.
Dadurch rücken wir Russland so nah auf die Pelle, wie es die Sowjets in
der Kuba-Krise 1962 mit den Amerikanern versucht haben. Damals hätten
sowjetische Raketen innerhalb weniger Minuten Washington erreichen
können. Das war mit Fug und Recht nicht akzeptabel für die USA. Genauso
schnell träfen die US-Mittelstreckenraketen in Deutschland Ziele in
Moskau. Das werden die Russen nicht hinnehmen. Sie werden weitere
Gegensysteme aufstellen, und die werden auf Deutschland und nicht auf
die USA gerichtet. Wir machen uns damit zur Zielscheibe.
Diese Vereinbarung ist stark verbesserungswürdig. Sie wurde nicht
parlamentarisch und öffentlich diskutiert, die damit verbundenen Risiken
nicht mit anderen Bündnispartnern geteilt und sie singularisiert und
gefährdet Deutschland. Ich hoffe sehr, dass die neue Bundesregierung
hier nachverhandelt, vor allem, dass Deutschland bei der Entscheidung
über den Einsatz mitbestimmen kann.
/Die ukrainische Armee ist in den letzten Wochen stark in die Defensive
geraten. Wie lange werden Selenskyjs Truppen der russischen Armee noch
standhalten können?/
Die militärische Lage ist für die Ukraine schon seit Monaten
aussichtslos. Der damalige US-Generalstabschef Mark Milley hatte bereits
Ende 2022 die Prognose ausgegeben, dass es sehr schwerfallen werde, eine
militärische Lösung herbeizuführen, sprich Russland zu schlagen. Die
amerikanische Stiftung Rand Corporation hatte diese Sicht damals in
einer Studie bestätigt.
Die deutsche Politik und große Teile der Medien haben in den letzten
Jahren in der guten Absicht, der Ukraine zu helfen und Selenskyj
politische und mediale Rückendeckung zu geben, ein regelrechtes
Wunschkonzert veranstaltet – oft weit weg von der militärischen
Realität. Trotz punktueller Erfolge, die die Ukrainer hatten, trotz
ihrer Tapferkeit und ihres Stehvermögens war und ist es ein blutiger
Abnutzungskrieg, der nie zu gewinnen war vor dem Hintergrund der
militärischen Kräfteverhältnisse, der Eskalationsmöglichkeiten Russlands
und der logistischen Faktoren. Dies war absehbar und man hätte den Tod
von Hunderttausenden Soldaten und Zivilisten verhindern können. Die
ukrainische Armee wird nicht mehr lange durchhalten können. Erst recht
nicht, wenn die US-Hilfsleistungen wegfallen.
/Vieles von dem, was Trump ankündigt, entpuppt sich später als Schall
und Rauch. Glauben Sie, im Falle der Ukraine hält er sein Wort?/
Trump hat ein lockeres Mundwerk, aber: Der Colt sitzt bei ihm nicht
locker. Für das Letztere habe ich, nicht zuletzt als Soldat, Sympathien.
Er will verhandeln, er will raus aus diesem Krieg. Ich weiß nicht, ob
Kamala Harris das gemacht hätte. Biden hätte den Krieg wahrscheinlich
sogar weitergeführt. Es gibt ja auch in Deutschland genug Leute, die am
liebsten weitermachen würden und jetzt gezwungen sind, ihre frühere
Kriegsrhetorik und ihren erschreckenden, irrationalen Bellizismus
aufzugeben. Klar, Trump ist schwer berechenbar, aber die Beendigung des
Ukrainekriegs war ein zentrales Wahlkampfversprechen. Ein Scheitern wird
er sich nicht leisten können. Und es sieht alles so aus, dass er sein
Wahlversprechen einlöst. Und das ist eine gute Nachricht für die
Europäer und auch für Deutschland.
/Die Spekulationen um den Friedensplan für die Ukraine reißen nicht ab.
Was denken Sie, welches Szenario ist realistisch?/
Ich denke, es wird einen eingefrorenen Konflikt geben. In naher Zukunft
dürfte es einen Waffenstillstand geben. Ein dauerhafter Frieden mit
Russland ist nur möglich, wenn die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine
ausgeschlossen wird. Und danach sieht es aus.
Der Westen müsste die Sanktionen gegen Russland lockern, aber
gleichzeitig der Ukraine Sicherheitsgarantien in Aussicht stellen.
Selenskyj wird von der Rückeroberung des Territoriums im Donbass und der
Krim absehen müssen. Faktisch wird ihm das sowieso nicht gelingen. Nicht
zuletzt Russland muss der Ukraine belastbare Sicherheitsgarantien geben.
Das wird man aushandeln müssen.
/Zum Schutz der Ukraine wird auch eine europäische Friedenstruppe
diskutiert. Sollte Deutschland diesen Vorschlag vorantreiben?/
Als Vorbild wird oft der eingefrorene Konflikt zwischen Nord- und
Südkorea genannt. Dort liegt die Konfliktlinie bei ca. 300 Kilometern.
In der Ukraine ist die Frontlinie rund 1300 Kilometer lang. Wie will man
die überwachen mit Friedenstruppen?
Und selbst wenn die Friedenstruppen unter dem Dach der Vereinten
Nationen operierten, wären es für die Russen faktisch Nato-Truppen, die
an ihren Grenzen stehen. Also muss man die Frage stellen, ob es nicht
zielführender ist, dass andere Staaten wie Brasilien, Indien, Südafrika,
China Kontingente stellen können. Aber wenn es sich nicht um eine reine
Beobachtermission handeln soll, sondern kampffähige Truppen in der
Ukraine stationiert werden sollen, würden rund 200.000 Soldaten
benötigt. Das ist utopisch.
Gut ist es, dass endlich über Verhandlungen gesprochen wird. Schade,
dass erst ein erratischer US-Präsident kommen musste, und die Europäer
es alleine weder versucht haben noch es mit ihren Ansätzen vermocht
haben. Das ist sehr enttäuschend. Jetzt ist Europa zu spät dran. Die
beiden Großmächte Russland und USA machen es unter sich aus. Es ist so,
wie es der griechische Geschichtsschreiber und Stratege Thukydides
gesagt hat: „Die Starken machen, was sie können, und die Schwachen
erleiden, was sie müssen.“ Ich sage: Es hätte frühere, bessere und
friedlichere Alternativen gegeben, die uns den Tod Hunderttausender
Menschen und die Zerstörung der Ukraine erspart hätten.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.