Sie soll einen Beitrag zum kollektiven Gedächtnis der Friedensbewegung
leisten und Mut machen für aktuelle Herausforderungen.
Nach einer jahrelangen Vorgeschichte richterlichen Protestes gegen die
Stationierung von atomaren Pershing II-Raketen und Cruise Missiles
blockierten am 12.01.1987 zwanzig Richterinnen, Richter auf der Fahrbahn
sitzend zwei Stunden die Zufahrt zum Raketenstandort in Mutlangen.
Es folgten ein medialer Shitstorm, politische Diffamierungen sowie
Straf- und Disziplinarverfahren. Erst als 504 Richter:innen und
Staatsanwält:innen in einer Zeitungsanzeige Respekt vor dem Verhalten
der „Blockierer“ bekundeten, rückte das Thema der Stationierung von
atomaren Mittelsstreckenraketen in Deutschland in den Vordergrund.
Die Broschüre zeigt die Entstehung dieses zivilen Widerstandes der
JustizjuristInnen, den Ablauf der Aktion, ihre Folgen sowie die
obergerichtliche Rechtsprechung zu derartigen Blockade-Aktionen.
*Eine Druckversion der Broschüre kann über das IALANA Büro bestellt
werden: info [at] ialana . de*
Mit freundlichen Grüßen,
für den Vorstand der IALANA,
Bernd Hahnfeld
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
10.11.2023
Interview Ex-Botschafter Israels: "Dann gibt es nur noch den Ausweg Apartheid"
augsburger-allgemeine.de, vom 27.11.2019, Von Simon Kaminski
Avi Primor kritisiert seit vielen Jahren die Politik seiner Regierung in den besetzten Gebieten. Foto: Till Hofmann (Archiv)
Exklusiv Der frühere israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor, spricht über die langfristigen Folgen eines ungebremsten Siedlungsbaus im Westjordanland.
Herr Primor, im Mai 2015 habe ich mit Ihnen in Augsburg ein Gespräch geführt. Damals sorgten Sie sich um eine Entfremdung zwischen Israel und Deutschland. Wie sehen Sie das Verhältnis heute?
Avi Primor: Ich fühle mich in meiner Sorge bestätigt. Allerdings hat sich die Entfremdung langsamer entwickelt, als ich geglaubt habe. Das liegt daran, dass Deutschland heute andere Sorgen hat – das gilt übrigens für ganz Europa. Das Interesse am Nahen Osten ist geringer geworden. Paris oder Berlin sind keine wichtigen Spieler mehr in dem Konflikt. Das wiederum liegt nicht zuletzt an den Schwierigkeiten mit dem US-Präsidenten.
Hat sich der Blick der Deutschen auf Israel verändert?
Primor: Wenn ich mir die Meinungsumfragen in Deutschland anschaue, dann verlieren wir seit Jahren viel Sympathie wegen der Situation im Nahen Osten. Und zwar nicht, weil die Deutschen anti-israelisch geworden sind, sondern wegen der Besatzung des Westjordanlandes, wegen der Verstöße gegen die Menschenrechte dort und wegen der blockierten Friedensgespräche.
In Deutschland wird seit Jahren ein Anstieg antisemitischer Gewalttaten registriert. Trauriger Höhepunkt war der Anschlag in Halle. Wie ist die Reaktion in Israel darauf?
Primor: In Israel kümmert man sich derzeit fast ausschließlich um eigene Probleme. Die meisten Israelis glauben nicht, dass Deutschland antisemitisch wird. Viele bei uns gehen davon aus, dass Antisemitismus dort meistens von Ausländern ausgeht – auch wenn die Berichte, die uns erreichen, etwas anderes aussagen. Die neue Rechte und neonazistische Tendenzen werden zwar registriert, aber nicht als ein großes Problem in der deutschen Bevölkerung gesehen.
In Ihrer Heimat gibt es ein schier endloses politisches Patt. Kann ein wegen Korruption angeklagter Premierminister das Land überhaupt aus der Krise führen?
Primor: In Wirklichkeit sind die Verdachtsmomente gegen Benjamin Netanjahu viel gravierender, als öffentlich bekannt ist. Der Staatsanwalt, der eigentlich als Mann Netanjahus galt, hat das Verfahren immerhin vorangetrieben. Die Anklagepunkte sind aber nicht so schwerwiegend, wie der Regierungschef befürchten musste. Dennoch, es geht dabei ganz klar um Korruption. Das ist natürlich mit dem Posten eines Premierministers nicht vereinbar.
Das scheint Netanjahu nicht zu stören.
Primor: Für ihn ist entscheidend, dass er, so lange er Premierminister ist – anders als die einfachen Minister – Immunität besitzt und nicht vor Gericht gestellt werden kann.
Sie glauben also, dass er alles tun wird, um im Amt zu bleiben?
Primor: Er ist zweimal damit gescheitert, eine Regierung zu bilden. Seit der letzten Wahl ist Netanjahu nicht mehr Chef der größten Partei. Das blau-weiße Bündnis von Benny Gantz hat einen Sitz mehr in der Knesset. Aber auch Gantz konnte keine Regierungsmehrheit organisieren. Bliebe die Möglichkeit einer Großen Koalition zwischen Likud und Blau-Weiß mit einem Wechsel auf dem Posten des Regierungschefs nach zwei Jahren. Allerdings hat Gantz die Bedingung gestellt, dass er die ersten beiden Jahre amtiert. Dann allerdings würde Netanjahu für zwei Jahre seine Immunität verlieren. Er müsste vor Gericht.
Und nun?
Primor: In wenigen Tagen endet die Frist zur Regierungsbildung. Ich halte Neuwahlen im März für wahrscheinlich. Bis danach eine Regierung steht, hätte Netanjahu mindestens sechs Monate Ruhe vor einer Strafverfolgung. Das ist gut für ihn, aber schlecht für seine Likudpartei. Analysten gehen davon aus, dass viele Wähler sie für Neuwahlen verantwortlich machen würden.
Tatsächlich regt sich im Likud Widerstand. Netanjahus innerparteiliche Konkurrent Gideon Saar hat die Machtfrage in der Partei gestellt. Hat er eine Chance?
Primor: Das glaube ich nicht. Netanjahu hat sich in den letzten Jahren eine stabile Machtposition in der Partei aufgebaut. Außerdem hat der Likud noch nie seinen Vorsitzenden entmachtet.
Was bedeutet die Blockade für Israel?
Primor: Eine echte Katastrophe. Die Bevölkerung ist tief gespalten. Die Anhänger von Netanjahu und dem Likud glauben an den Premierminister wie an einen Propheten. Ob er etwas richtig oder falsch gemacht hat, ob er Verbrechen begangen hat – er ist der König, er hat alle Rechte. Das hat religiöse Züge. Aber so denken seine Stammwähler.
Was muss geschehen, damit die Politik wieder effektiver wird?
Primor: Es gibt Überlegungen, das Wahlrecht zu ändern. Da wird auf die Systeme in Deutschland oder Frankreich geschaut. Leider bedarf es meist einer existenziellen nationalen Krise, bis solche Reformen kommen. Doch ich hoffe, dass es in Israel auch ohne eine solche Notlage passiert, weil wirklich jeder in der Bevölkerung – wie man in Deutschland sagt – "die Schnauze derartig voll hat" von diesem Wahlsystem.
Sie kritisieren den israelischen Siedlungsbau im Westjordanland schon seit vielen Jahren. Jetzt hat Washington erklärt, dass es diese Praxis nicht mehr für völkerrechtswidrig hält. Welche Folgen erwarten Sie?
Primor: Das hat überhaupt keine Bedeutung für die verfahrene Lage. Es ist nur für die israelische Innenpolitik relevant, wenn es zu Neuwahlen kommt: Denn es ist Ausdruck einer bedingungslosen Unterstützung des US-Präsidenten für die Politik von Netanjahu. Und das kommt dem Premierminister zugute, da in Israel fast alle davon überzeugt sind, dass das Land vollständig von den USA abhängig ist.
Die Situation ist völlig verfahren. Wie kann es weitergehen?
Primor: Die israelische Regierung macht sich keine großen Sorgen. Warum? Weil unsere arabischen Nachbarn ganz andere Probleme haben. Wir haben Ruhe, weil sie sich derzeit nicht um Israel oder die besetzten Gebiete kümmern. Wir haben zwar ein großes Problem mit Teheran. Ich glaube aber nicht, dass der Iran – auch wenn das Land extremistische Gruppen mit Waffen unterstützen – Interesse an einem direkten Angriff auf Israel hat.
Sie sind weltweit unterwegs, um für einen Frieden zwischen Israel und den Palästinensern zu werben. Am Donnerstagabend sprechen Sie um 19 Uhr im Augsburger Zeughaus bei einer Veranstaltung der Volkshochschule und der Deutsch-Israelischen Gesellschaft über das Thema. Befällt Sie angesichts der Rückschritte nicht Resignation?
Primor: Resignation ist das richtige Wort. Ich glaube, dass das rechte Lager – also der Likud und viele kleinere, zum Teil extreme Parteien – in Israel eine strukturelle Mehrheit hat. Eine Mehrheit wiederum unter denen, die rechts wählen, ist gegen eine Annexion der besetzten Gebiete. Gleichzeitig sagen sie, dass eine Übereinkunft nicht möglich sei, weil die Palästinenser Krieg wollen und zu gefährlich sind. Das ist ein echter Quatsch, weil die Palästinenser so viel schwächer sind als Israel. Aber eine Mehrheit glaubt das.
Aber ist eine Räumung der Gebiete angesichts des ungebremsten Siedlungsbaus nicht längst unmöglich?
Primor:Wenn wir Ostjerusalem und die besetzten Gebiete zusammenzählen, dann wohnen dort bereits 500.000 Juden. Ihnen stehen rund 2,5 Millionen Araber gegenüber. Wenn die Entwicklung so weitergeht, wird Israel irgendwann annektieren müssen. Dort gibt es seit über 50 Jahren eine militärische Besatzung, das kann man nicht ewig so weiterführen. Das wünschen sich ja viele im rechtsextremistischen Lager in Israel. Doch dann hätten wir zusammen zu den 2,5 Millionen Arabern, die jetzt schon in Israel leben, weitere 2,5 Millionen. Angesichts der Geburtenrate in den besetzten Gebieten stellen die Araber dann in absehbarer Zeit die Mehrheit. Dann können wir den Staat Israel im Parlament in Jerusalem abschaffen.
Das würden doch die rechten Parteien kaum zulassen.
Primor: Dann gibt es nur noch den Ausweg Apartheid mit weniger Rechten für einen Teil der Bevölkerung. Um das zu verhindern, bräuchte man eine Regierung, die den Mut zu einem Gebietsaustausch im Westjordanland entlang der Grenze zu Israel hat. Dazu wären die Palästinenser bereit. Es geht um zwei bis fünf Prozent des Gebietes, in denen sehr viele Siedler leben. Die Siedlungen im Innern des Westjordanlandes müssten geräumt werden. Das beträfe rund 140.000 Siedler. Das wäre heute technisch noch machbar. Ich sehe allerdings nicht den politischen Willen dazu. Aber ich zitiere – mit einem Lächeln – Staatsgründer Ben Gurion: "Wer an Wunder nicht glaubt, ist kein Realist."
Zur Person: Avi Primor, 84, wurde 1935 in Tel Aviv geboren. Von 1993 bis 1999 war er israelischer Botschafter in Deutschland. Primor ist heute als weltweit renommierter Publizist, Buchautor und Wissenschaftler tätig. Er lebt in Tel Aviv.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
Weiteres:
Apartheid (Recht) (wiki I von II)
de.wikipedia.org, abgerufen am 10. November 2023, 11:00 Uhr
Apartheid ist ein im Völkerrecht definiertes Verbrechen gegen die Menschlichkeit (englischcrime of apartheid). Die Internationale Konvention über die Bekämpfung und Bestrafung des Verbrechens der Apartheid (Anti-Apartheidkonvention, abgekürzt AAK) vom 30. November 1973 definiert es in Artikel II als „unmenschliche Handlungen, die zu dem Zweck begangen werden, die Herrschaft einer rassischen Gruppe über eine andere rassische Gruppe zu errichten und aufrechtzuerhalten und diese systematisch zu unterdrücken“. Dies schließe „die Politik und Praxis der Rassentrennung und -diskriminierung, wie sie im südlichen Afrika betrieben werden“, mit ein.
Die Konvention richtete sich primär gegen das damals noch bestehende Apartheid-System in Südafrika und Südrhodesien, sollte auch gleichartige Verbrechen ächten und die Unterzeichnerstaaten zur Strafverfolgung der Betreiber verpflichten. Nach dem Ende der Apartheid Südafrikas in den Jahren 1990 bis 1994 nahm das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs von 1998 das Apartheidverbrechen in das Völkerstrafrecht auf. Bisher hat jedoch kein nationales oder internationales Gericht eine Person oder Gruppe dieses Verbrechens angeklagt und verurteilt.
Die AAK entstand aus dem jahrzehntelangen Kampf der UNO gegen die rassistische Unterdrückungspolitik der Buren gegenüber dunkelhäutigen, vor allem einheimischen schwarzen Bevölkerungsgruppen in Südafrika. Seit 1944 nannte Premierminister Daniel François Malan das von seiner Regierung dann eingeführte System der Rassentrennung auf Afrikaansapartheid („Getrenntheit“).[1] Die UN-Generalversammlung verurteilte dieses System von 1952 bis 1990 jedes Jahr als Widerspruch zu den Artikeln 55 und 56 der UN-Charta. Auch der UN-Sicherheitsrat verurteilte Südafrikas Apartheid seit 1960 regelmäßig.[2]
1965 beschloss die UN-Generalversammlung ein Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (englisch abgekürzt ICERD), das 1969 in Kraft trat. Dieses definiert Apartheid als „Regierungspolitik, die mit rassischer Überlegenheit oder Hass begründet ist“. Sie verpflichtet die Unterzeichnerstaaten, „rassische Segregation und Apartheid zu verurteilen und alle Praktiken dieser Art in Gebieten unter ihrer Gesetzgebung zu verhüten, zu verbieten und zu beseitigen.“[3] Die Konvention definierte Apartheid nur vage und erwähnte Südafrika nicht, richtete sich aber eindeutig gegen das dortige System und Rassentrennung anderswo. Schon 1962 hatte die UN-Resolution 1761 Sanktionen gegen Südafrika verlangt, und die UNO hatte ein „Spezialkomitee zur Apartheidpolitik der Regierung Südafrikas“ eingerichtet. Bei einer UN-Tagung über Apartheid im August/September 1966 wurde der Begriff auch auf Südwestafrika, Rhodesien, die damaligen afrikanischen Kolonien Portugals (Angola, Kap Verde, Guinea-Bissau, Mosambik, São Tomé und Príncipe) sowie auf Basutoland, Betschuanaland und Swaziland bezogen.[4]
Die ICERD entstand aus der Debatte um die Definition von „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ in der UNO. Die Sowjetunion wollte diese von ihrer Begrenzung auf Achsenmächte im Zweiten Weltkrieg lösen und Rassentheorien international strafbar machen. Dies war Bestandteil ihrer Strategie im Kalten Krieg, mit Mitteln des Völkerrechts ihre Zusammenarbeit mit Staaten Afrikas zu verstärken. Der Ostblock und Staaten des Südens wollten auch „Verbrechen gegen den Frieden“ und „Kolonialismus“ in die Definition aufnehmen. Diskutiert wurde, ob die ICERD auch spezifische Formen von Rassismus wie Nazismus, Antisemitismus und Apartheid erwähnen sollte. Staaten Afrikas wollten „unmenschliche Handlungen, die sich aus der Politik der Apartheid ergeben“, in die ICERD aufnehmen. Der Mehrheitskonsens war, darin nur die Ausdrücke „Apartheid“ und „rassische Segregation“ zu nennen.[5]
Die UN-Resolution 2202/A vom 16. Dezember 1966 nannte Apartheid erstmals ein „schweres Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Darum führte die „Konvention über die Nichtanwendbarkeit von Verjährungsfristen auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ von 1968 unter letzteren auch Apartheid auf. Jedoch schrieb sie keine individuelle Haftung dafür fest.[6]
Daher beauftragte die UN-Generalversammlung ein Komitee damit, eine Konvention gegen Apartheid zu formulieren. Die meisten Komiteemitglieder sahen darin ein nur gegen Südafrika anzuwendendes Mittel. Für andere erfasste der Textentwurf auch Rassendiskriminierung in anderen Staaten.[2] Der Entwurf stammte von der Sowjetunion und Guinea.[7] Er definierte Apartheid bewusst weit, um auch westliche Staaten dieses Verbrechens anklagen zu können. Er wurde von den westlichen Staaten damals abgelehnt, aber von den Ostblockstaaten und den blockfreien Staaten inklusive der arabischen und afrikanischen Staaten gemeinsam durchgesetzt.[8] Im Ergebnis definierte der Entwurf Apartheid nicht nur als Bruch der UN-Charta durch Mitgliedsstaaten, sondern als Verbrechen durch „rassische Personengruppen“. Am 30. November 1973 nahm die UN-Generalversammlung die Konvention mit 91 Ja-Stimmen gegen vier Nein-Stimmen (Großbritannien, Portugal, Südafrika, USA) und 26 Enthaltungen an. Am 18. Juli 1976 trat die Konvention in Kraft. 1984 übernahm der Sicherheitsrat ihre Definition.[2]
Aufnahme in das Völkerstrafrecht
Die AAK umfasst nach Artikel II rassistisch begründete Morde; Folter; unmenschliche Behandlung und willkürliche Verhaftung von Mitgliedern einer rassischen Gruppe; aufgezwungene Lebensumstände, die ihre physische Vernichtung beabsichtigen; Gesetze, die die Gruppe politisch, sozial, ökonomisch und kulturell benachteiligen; Trennen der Bevölkerung entlang rassischen Linien, etwa durch separate Wohnbereiche; das Verbot von interrassischen Ehen; die Verfolgung von Gegnern der Apartheid. Nach Artikel III sollen Einzelne, Mitglieder von Organisationen und Vertreter von Staaten, die Apartheid verüben, dazu aufrufen oder sich dazu verabreden, international strafverfolgt werden. Nach Artikel IV und V dürfen Staaten auch Apartheidverbrechen strafverfolgen, die Nichtstaatsbürger außerhalb ihres Gebiets begangen haben.
Weil Artikel V ausdrücklich ein internationales Straftribunal für die in der Konvention aufgeführten Verbrechen verlangte, verfasste der Völkerrechtsexperte Cherif Bassiouni im Auftrag der UNO dazu 1980 eine ausführliche Studie. Diese war zugleich der erste Entwurf für den späteren Internationalen Strafgerichtshof (IStGH).[9] Bassiounis Empfehlungen wurden jedoch erst 1998 umgesetzt.[10] Bis dahin blieb es den Staaten überlassen, Gesetze zur Strafverfolgung des Apartheidverbrechens zu erlassen. Vor und nach dem Ende der Apartheid in Südafrika 1990 wurde dort niemand dafür angeklagt, weil deren Betreiber und Gegner den Übergang zu einer demokratischen Regierung miteinander friedlich aushandelten. Die 1994 eingerichtete Wahrheits- und Versöhnungskommission überwachte die Amnestiegarantie für die Täter der Apartheidverbrechen. Darum trat Südafrika der AAK weiterhin nicht bei, ebenso wenig die meisten westlichen Staaten.
Andere Völkerrechtsverträgekodifizieren Apartheid als internationales Verbrechen. So bezeichnet das Zusatzprotokoll I von 1977 zu den Genfer Konventionen von 1949 Apartheid ohne geografische Begrenzung als „schweren Bruch“ dieses Protokolls. Die Völkerrechtskommission nannte Apartheid 1991 in ihrer ersten Lesung des Draft Code of Crimes against the Peace and Security of Mankind ohne Bezug zu Südafrika. 1996 nahm die Kommission „institutionalisierte rassische Diskriminierung“ in ihren Code-Entwurf für Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf. Eine Fußnote dazu erläuterte, das sei faktisch eine allgemeinere Bezeichnung des Apartheidverbrechens.
Die UN-Konferenz zur Einrichtung des IStGH 1998 nahm Apartheid zunächst nicht in das Römische Statut auf. Viele ihrer spezifischen Merkmale waren mit Abs. 1 des Statuts abgedeckt, die fast wörtlich aus der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes von 1948 übernommen wurde. Südafrikas Delegation bestand jedoch darauf, Apartheid zu ergänzen.[11] Einige Delegationen fanden dies überflüssig, da jede systematische Apartheidpolitik ohnehin unter das Verbot rassisch begründeter Verfolgung fiele. Andere meinten, da Apartheid unter „ähnliche unmenschliche Taten“ im Statut falle, könne man sie ebenso gut explizit nennen. Konsens war zuletzt, dass Apartheid nach Art und Schwere mit anderen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleichrangig sei und ein eigenes Verbot verdiene.[12] Das Römische Statut zählt Apartheid daher zu den strafbaren Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Abs. 7,1) und definiert es (Abs. 7,2) als „unmenschliche Handlungen ähnlicher Art wie die in Absatz 1 genannten, die von einer rassischen Gruppe im Zusammenhang mit einem institutionalisierten Regime der systematischen Unterdrückung und Beherrschung einer oder mehrerer anderer rassischer Gruppen in der Absicht begangen werden, dieses Regime aufrechtzuerhalten.“[13]
Das Völkerstrafgesetzbuch ordnet das Apartheidverbrechen (§ 7, Abs. 5) nicht als selbstständigen Tatbestand, sondern nähere Qualifikation der Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein, hier des „Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung“.[17] Weil das Tatbestandsmerkmal „unmenschliche Handlungen ähnlicher Art“ im Römischen Statut dem Bestimmtheitsgrundsatz widersprach, wurde es nicht in das VStGB aufgenommen.[18] Nach § 7 Abs. 1 Nr. 10 VStGB ist das Apartheidverbrechen individuell zurechenbar, unabhängig davon, wo es begangen wurde. Danach macht sich eine Person strafbar, die „im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung“ eine „identifizierbare Gruppe oder Gemeinschaft verfolgt, indem er ihr aus politischen, rassischen, nationalen, ethnischen, kulturellen oder religiösen Gründen, aus Gründen des Geschlechts oder aus anderen nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts als unzulässig anerkannten Gründen grundlegende Menschenrechte entzieht oder diese wesentlich einschränkt“.[19]
Tatbestandsmerkmale
Das Römische Statut definiert „unmenschliche Taten“ der Apartheid in Abs. 7,2 (h) nur durch den Verweis „vom gleichen Charakter wie die in Abs. 7,1 genannten Taten“. Gemeint sind Taten eines bestimmten Schweregrads, die außergewöhnliche Leiden und Verletzung bewirken, wie in Art. II der AAK.[20] Der Verweis öffnet die Definition für gleichartige wie die in Abs. 7,1 genannten Verbrechen.[21] Praktisch decken sich viele Merkmale von Apartheidverbrechen mit denen anderer unmenschlicher Taten, die laut Abs. 7,1 (k) absichtlich großes Leiden oder ernste Verletzung von Körper, Geist oder Psyche bewirken. Sie können auch unter die in Abs. 7, 1 (h) definierten Verfolgungsverbrechen fallen, sofern sie eine diskriminierende Absicht enthalten, etwa gegen eine rassische Gruppe.[22] Daher kann Apartheid leicht unter irgendeine andere der in Abs. 7,1 genannten Taten subsumiert werden. Somit bestreiten manche, dass das Statut Apartheid überhaupt als eigenes unterscheidbares Verbrechen definiert.[23] Damit fehlt ihrer Definition die nach dem Gesetzlichkeitsprinzip notwendige präzise Besonderheit. Einige Völkerrechtler begrüßen den Verweis auf Abs. 7,1 als ausreichend und sehen die lange und vage Tatenliste in Art. II der AAK als bloße Illustration oder Interpretationshilfe für den IStGH. Der bloße Verweis solle das Überschreiten bestehender Gesetze vermeiden und biete daher nur eine knappe Anerkennung des Apartheidverbrechens.[24] Andere sehen Art. II der AAK als inhaltliche Näherbestimmung für „unmenschliche Taten vom gleichen Charakter“.[25]
Der Ausdruck „institutionalisiertes Regime“, übernommen aus dem Code-Entwurf von 1996, bildet den wichtigsten Unterschied des Römischen Statuts zur AAK. Danach liegt Apartheid vor, wenn ein Plan oder eine Politik dazu institutionalisiert wurde.[24] Ob eine gesetzliche (de jure) oder nur faktische (de facto) Diskriminierung gemeint ist, bleibt offen. „Regime“ verstand Christopher Keith Hall nicht nur als Regierungsform, sondern als organisierte Methode oder System, einschließlich einer militärischen Kontrolle eines bestimmten Gebiets.[20]Ariel Bultz dagegen begrenzt „institutionalisiertes Regime“ auf erkennbare Staaten. Eine Gebietskontrolle nichtstaatlicher Milizen oder Rebellen wäre nicht institutionalisiert. Diskriminierungspolitik solcher Gruppen erfasse das Statut schon als Verfolgungsverbrechen.[26] Für andere meint das Kriterium eine effektive Regierungspolitik der Apartheid,[27] die als Gesetz und/oder Praxis der herrschenden Ordnung etabliert ist.[21] Ein Apartheidregime läge unbestreitbar vor, wenn es rassistische Unterdrückung und Dominierung wie das frühere Südafrika im einheimischen Gesetz verankert.[28]
Das Merkmal „systematische Unterdrückung und Dominierung“ erfordert Kontrolle und harte Behandlung der unterdrückten rassischen Gruppe. Diese Systematik verlangt der übergeordnete Abs. 7,1 jedoch nicht für alle dort genannten Verbrechen. Das Fallrecht hatte die Systematik schon als nicht notwendiges Merkmal von Verbrechen gegen die Menschlichkeit beurteilt. Auch den Unterschied zwischen „Unterdrückung“ und „Dominierung“ halten einige Völkerrechtler für unklar und unwesentlich. Andernfalls trüge die Strafverfolgung die Beweislast für beides.[20]
Die Tatbegehung durch „eine rassische Gruppe über eine andere“ ist das zentrale Merkmal von Apartheid; ohne dieses wäre jede Anklage dazu unhaltbar.[29] Die UN-Konvention gegen Völkermord nennt eine „rassische Gruppe“ als eine von vier zu schützenden Gruppen; Abs. 6 des Römischen Statuts griff diese Völkermorddefinition auf.[30] Die Völkermordkonvention lehnte ihren Rassebegriff noch an den Nationalsozialismus an, verstand also dessen Opfergruppen als Gruppen mit angeblich unveränderlichen inneren und äußeren Merkmalen.[31] Dieser Rassebegriff ist als pseudowissenschaftliche und rassistische Zuschreibung erwiesen, um soziale Herrschaft und Ungleichheit zu rechtfertigen.[32] Damit wurde „Rasse“ als Kategorie zur Unterteilung menschlicher Unterarten praktisch unbrauchbar.[33] Folglich mussten Strafprozesse zu Völkermorden das Merkmal „rassische Gruppe(n)“ jeweils fallbezogen definieren.[34] Um das Merkmal objektiver zu fassen, schlugen Juristen eine an Sozialwissenschaft und Anthropologie angelehnte Definition vor: Apartheid sei ein ganz besonderes Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das allein auf rassistischer Diskriminierung beruhe.[35] Dann müssen nicht „Rassen“ bewiesen werden, sondern dass soziale Akteure sie für real halten, also eine Gruppe als „andersartig“ imaginieren und definieren, sie so stigmatisieren und danach ihren Ausschluss organisieren. Dass eine Gruppe als „fremde Rasse“ gesehen und behandelt wird, würde das Tatbestandsmerkmal erfüllen, auch wenn jeder objektive Unterschied zwischen Tätern und Opfern der Apartheid fehlt.[36]
Nach Abs. 30 des Römischen Statuts müssen die Täter das Verbrechen mit dem Wissen (Mens rea) um seine Art, Schwere und reale Umstände verüben, hier mit der besonderen Absicht, ihr Unterdrückungsregime über eine andere rassische Gruppe systematisch aufrechtzuerhalten, also zu institutionalisieren. Anders als bei Völkermord muss nicht das Zerstören der Gruppe beabsichtigt sein.[37] Dass Apartheidpolitik auch genozidale Tendenzen enthalten kann, wie es eine UN-Expertenkommission für Südafrika festgestellt hatte, berücksichtigte die Definition nicht.[38] Das Verb „Aufrechterhalten“ umfasst anders als Art. II der AAK nicht das Errichten oder Ersetzen eines Apartheidsystems.[20][26]
Status im Völkergewohnheitsrecht
Bisher hat kein nationales oder internationales Gericht das Apartheidverbrechen verfolgt, keine Person wurde je dafür angeklagt und verurteilt.[39] Weil der Tatbestand unklar definiert ist, das Fallrecht fehlt und viele westliche Staaten die AAK nicht ratifiziert haben, streiten Völkerrechtler über die individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit für das Verbrechen und ob es den Status von Völkergewohnheitsrecht erreicht hat.[40] Manche bestreiten das und betrachten die Nennung im Römischen Statut eher als symbolische Erinnerung an Südafrikas Apartheidsystem ohne aktuelle Relevanz.[41]
Da nicht alle Staaten das Statut ratifizierten, fällt dem Völkergewohnheitsrecht umso mehr Gewicht für etwaige Anklagen auf Apartheid zu.[42] Der IGH urteilte 1966 in Bezug auf Südwestafrika, die Norm der Nichtdiskriminierung oder Nichttrennung auf der Basis von „Rasse“ sei zur Regel des Völkergewohnheitsrechts geworden.[43] Der IGH erklärte 1970 in seinem Urteil zur Barcelona Traction, neben dem Völkergewohnheitsrecht verbiete auch die Norm erga omnes (Absolutes Recht) die Rassendiskriminierung. Damit hätten alle Staaten eine Pflicht, diese Norm zu befolgen und durchzusetzen.[44] Das American Law Institute bestätigte 1986 in seinem Restatement of the law für Auslandsbeziehungen der USA: Rassendiskriminierung sei ein Verstoß gegen Gewohnheitsrecht, wenn sie systematisch als Mittel der Staatspolitik praktiziert werde.[45] Daraus folgern einige Völkerrechtler, Apartheid als besondere Form der Rassendiskriminierung sei nicht nur als Norm, sondern auch als Staatspolitik verboten und das Verbot habe zweifelsfrei den Status von Völkergewohnheitsrecht erreicht,[46] spätestens mit der Aufnahme des Apartheidverbrechens in das Römische Statut.[47] Dieses habe die Geltung des Verbots erweitert.[48]
Von 1946 bis 1993 verurteilte die UN-Generalversammlung Apartheid mindestens 14 mal, der UN-Sicherheitsrat zweimal als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Schon 1972 verurteilten die meisten UN-Mitgliedsstaaten Apartheid als Affront gegen die Menschenwürde. Zwar waren diese Resolutionen nur gegen Südafrika gerichtet, blieben aber relevant für die Rechtsdefinition des Verbrechens und das UN-Ziel, es auszumerzen. Diese jahrzehntelange Rechtsüberzeugung (opinio juris) gilt als weiterer starker Hinweis, dass das Apartheidverbrechen den Status des Völkergewohnheitsrechts erreicht hat. Bis 2015 haben 176 Staaten die ICERD, 109 die AAK, 173 das Zusatzprotokoll zur Genfer Konvention und 122 das Römische Statut ratifiziert.[49]
Zudem sind die Verbote von rassistischer Diskriminierung und Apartheid laut der Völkerrechtskommission zwingende Normen, die aus breiter Anerkennung der gesamten Weltgemeinschaft hervorgingen. Sie haben demnach den Status des Jus cogens.[50]
Da im Römischen Statut jeder Hinweis auf Südafrika fehlt, kann und muss die historische Apartheid nicht mehr zum Feststellen des Verbrechens herangezogen werden. Das Statut kann auf jeden Staat angewandt werden, der den IStGH akzeptiert oder für dessen Gebiet der UN-Sicherheitsrat Ermittlungen autorisiert. Da viele Staaten systematische Unterdrückung praktizieren, erwartete Christopher Keith Hall eine Zunahme von Anklagen beim IStGH, auch für das Apartheidverbrechen.[51]
Apartheidvorwürfe
Der Ausdruck „Apartheid“ wird seit 1990 auf viele verschiedene Sachverhalte bezogen. Oft dient das Wort als Metapher zur moralischen Beschreibung, Warnung oder zum Vergleich mit dem Fall Südafrika, und wird nicht in irgendeinem rechtlichen Wortsinn verwendet. In einigen Fällen haben Wissenschaftler, Menschenrechtsorganisationen oder UN-Gremien zu zeigen versucht, dass die Tatbestandsmerkmale des Verbrechens erfüllt sind, um Anklagen vor dem IStGH anzuregen oder vorzubereiten.[52]
Myanmar
Seit 1982 entzog die damalige Militärregierung von Myanmar den Rohingya, einer ethnisch-religiösen Minderheit von Muslimen, ihre Staatsbürgerschaft. Damit begannen die Staatsmacht und die übrige Bevölkerung sie schubweise zu diskriminieren, zu verfolgen und zu unterdrücken. 2012 konzentrierte die Regierung mehr als 130.000 Rohingya willkürlich und unbefristet in Lagern und versorgte sie mangelhaft, entzog ihnen Bildung, Mobilität und Selbstbestimmungsrechte. Ab 2016 verschärfte die Regierung diese Politik nochmals drastisch. Human Rights Watch (HRW) beschrieb Myanmars Regime in einem Bericht vom Oktober 2020 als „System diskriminierender Gesetze und Politiken, die die Rohingya wegen ihrer Ethnizität und Religion zur dauernden Unterklasse macht“. Dieses System laufe auf Apartheid im Sinne eines Völkerrechtsbruchs hinaus. Die verantwortlichen Regierungsvertreter müssten dafür angemessen strafverfolgt werden.[53]
Nordkorea
2004 setzte die UN-Menschenrechtskommission einen Sonderberichterstatter für die Menschenrechtslage in Nordkorea ein und erneuerte dessen Mandat jedes Jahr. Im April 2013 setzte der UN-Menschenrechtsrat eine Untersuchungskommission ein, die systematische, verbreitete und schwere Menschenrechtsverletzungen in Nordkorea ermitteln sollte. Im März 2014 gab der Kommissionsvorsitzende Michael Kirby seinen Bericht dazu bekannt und erklärte dabei vor dem UN-Menschenrechtsrat, Nordkoreas Regierung habe ein System der Apartheid geschaffen. Das Klassensystem des Songbun sei eine diskriminierende Apartheid, die sofort und gänzlich abzuschaffen sei.[54] Kirbys Bericht enthielt keinen Apartheidvorwurf an Nordkorea und keine rechtsverbindliche Analyse der beobachteten Verbrechen, drängte den Rat aber, Nordkoreas Regierung zur Verantwortung dafür zu ziehen und den Bericht dem IStGH vorzulegen.[55] Medien berichteten vor allem über Kirbys Vergleich des Songbun mit Südafrikas Apartheid, dem Nazismus und dem Regime der Roten Khmer.[56]
Im Oktober 2015 forderte die UN-Generalversammlung den UN-Sicherheitsrat auf, die Lage in Nordkorea dem IStGH vorzulegen. Dabei bezeichnete auch die frühere Hochkommissarin Navi Pillay das nordkoreanische Kastensystem des Songbun als neues Beispiel der Apartheid.[57] Zwar wurde ein Verfahren des IStGH zu Nordkorea damit wahrscheinlicher, doch da dort keine „rassischen“ Gruppen einander gegenüberstehen, gilt eine Anklage des IStGH auf ein Apartheidverbrechen als unwahrscheinlich.[58]
10.11.2023
Apartheid (Recht) ( wiki II von II)
Israel/Palästina
Im Sechstagekrieg von 1967 besetzte Israel das Westjordanland und den Gazastreifen. Die UN-Resolution 3379 vom 10. November 1975 bezeichnete Zionismus als Form des Rassismus und stellte Israel explizit in eine Reihe mit Südafrikas Apartheidsystem. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks nahm die UN-Generalversammlung diese Resolution 1991 mit Resolution 46/86 zurück. Die NGO-Erklärung bei der dritten Weltkonferenz gegen Rassismus 2001 nannte Israel einen „rassistischen Apartheidstaat“ und als solchen ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Damit eröffnete ein organisiertes Netzwerk anti-israelischer NGOs die Kampagne Boycott, Divestment and Sanctions (BDS). Deren Zentralbegriff „Apartheidstaat“ soll Israel delegitimieren, sein Existenzrecht bestreiten und wie das frühere Südafrika international als „Paria“ brandmarken und isolieren.[59] Dazu benutzt BDS bewusst eine legalistische Terminologie und spricht etwa von Israels „andauernden Verletzungen des Völkerrechts“.[60]
Der 2006 gegründete UN-Menschenrechtsrat verurteilte Israel bis Ende 2015 mit 62 von 107 Resolutionen öfter als alle anderen Staaten zusammen. Strukturelle Gründe dafür sind die geografisch-proportionale Sitzverteilung, das gemeinsame Abstimmen der arabischen, islamischen und blockfreien Staaten und der festgelegte eigene Tagesordnungspunkt nur für die Menschenrechtslage in Palästina. Dies bewirkte, dass sich die Staaten, die selbst schwerste Menschenrechtsverletzungen begehen, absprechen und Israel bei jeder Sitzung mit stereotypen Anklagen von „Apartheid“, „Kolonialismus“, „ethnischen Säuberungen“, „Staatsterrorismus“ und „Judaisierung“ der besetzten Gebiete überziehen.[61]
Um derartige Vorwürfe zu prüfen, setzte der UN-Generalsekretär den südafrikanischen Völkerrechtler John Dugard zum Sonderberichterstatter für israelische Menschenrechtsverstöße in den besetzten Gebieten Palästinas ein. Sein Bericht vom Februar 2007 verglich Israels Militärverwaltung mit Südafrikas Apartheid: Sie sei darauf angelegt, die besetzte Bevölkerung zu dominieren und systematisch zu unterdrücken. In der Westbank würden jüdische Siedler mit eigenen Straßen, Hausbau, Schutz durch die Armee und Familienzusammenführung durchweg gesetzlich bevorzugt. Häuserabrisse in der Westbank und Ostjerusalem würden auf diskriminierende Weise gegen Palästinenser ausgeführt. Viele Gesetze und Praktiken Israels ähnelten „Aspekten der Apartheid“ und verstießen gegen die ICERD von 1966[62] sowie die AAK von 1973.[63]
2010 hatte Human Rights Watch (HRW) einen Bericht über Diskriminierungen der Palästinenser in den von Israel besetzten Gebieten und den Umgang der Justiz Israels mit Klagen dazu veröffentlicht. Zum Apartheidvorwurf zitierte der Bericht eine Richterin am Obersten Gericht Israels: Die Darstellung von Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von Straßenbenutzern als Segregation aus rassischen und ethnischen Gründen und von Blockaden einer Straße als Apartheidverbrechen sei derart extrem und radikal, dass für diese Anklage keinerlei Basis gegeben sei. HRW resumierte, insgesamt hätten israelische Gerichte das Diskriminierungsverbot der ICERD von 1966 noch kaum strafverfolgt.[64]
2008 berief der UN-Menschenrechtsrat den emeritierten Rechtsprofessor Richard A. Falk für sechs Jahre zum Sonderberichterstatter für Palästina.[65] Bis 2011 verglich Falk Israels Politik mehrmals öffentlich mit der des NS-Regimes, verharmloste das Regime des Iran, veröffentlichte eine antisemitische Karikatur[66] und unterstützte Verschwörungstheorien zum 11. September 2001[66][67]. Wegen letzterem wurde er von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon gerügt, blieb aber im Amt.[67] In seinem Bericht vom Januar 2014 führte Falk aus: Da der IStGH die Vorwürfe von „Kolonialismus“, „Apartheid“ und „ethnischer Säuberung“ in Israel/Palästina bisher nicht überprüft habe, habe er selbst diese legale Analyse möglicher Verstöße gegen das Völkerrecht übernommen.[68] Er führte eine Reihe von Verstößen auf und resumierte: Gemessen an der Definition der AAK habe Israels verlängerte Besatzung „Praktiken und Politiken eingeführt, die Apartheid und Segregation herzustellen scheinen.“ Eine künftige Untersuchung durch den IStGH sei erforderlich.[69]
Um diese zu ermöglichen, trat die PA als „Staat Palästina“ am 2. April 2014 der AAK bei.[70] Am 1. Januar 2015 akzeptierte die PA die Rechtsprechung des IStGH nach dem Römischen Statut für mutmaßliche Verbrechen, die in den besetzten Palästinensergebieten einschließlich Ostjerusalems seit 13. Juni 2014 begangen worden seien. Am 16. Januar 2015 eröffnete die Chefermittlerin des IStGH Fatou Bensouda eine „vorläufige Prüfung der Situation in Palästina“. Diese sollte vor allem Klagen über israelische Kriegsverbrechen im Gazakonflikt von 2014 nachgehen. Daher unterstützte auch die Hamas den Beitritt zum Römischen Statut, obwohl ihre Raketenangriffe gegen israelische Zivilisten den Gazakonflikt ausgelöst hatten.[71] Die Prüfung sollte auch mögliche Verbrechen nach Art. 7 des Römischen Statuts umfassen, darunter Apartheid.[72] Im Ergebnisbericht der vorläufigen Prüfung vom 3. März 2021 taucht Apartheid zwar nicht auf, allerdings wird ausdrücklich darauf hingewiesen, „dass die bei einer vorläufigen Prüfung festgestellten Straftaten als Beispiele für relevante Straftaten […] betrachtet werden sollten“, um den „Schwellenwert für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens“ zu erreichen. Laut Bericht sind alle Kriterien für die Eröffnung des Ermittlungsverfahrens erfüllt.[73]
Im März 2017 verfassten Richard Falk und Virginia Tilley[74] einen Bericht, der „die Frage der Apartheid“ im Titel trug, auch die Lage der arabischen Israelis umfasste und als Ergebnis behauptete: „Auf der Basis einer wissenschaftlichen Ermittlung und überwältigender Beweise“ komme man zu dem Schluss, dass „Israel des Verbrechens der Apartheid schuldig“ sei. Der Bericht nannte vor allem zwei diskriminierende Gesetze (Ehegattennachzug nur für jüdische Israelis; Rückkehrverbot für Palästinenser der besetzten Gebiete) als Beleg dafür. Die Gesetze waren jedoch mit Sicherheitsinteressen Israels begründet und unter bestimmten historischen Kriegsumständen eingeführt worden.[75] Die Exekutivsekretärin Rima Chalaf aus Jordanien veröffentlichte den Bericht als Gutachten der Wirtschafts- und Sozialkommission für Westasien (ESCWA). Dem UN-Gremium gehören 18 arabische Staaten an, darunter Palästina als Vollmitglied. UN-Generalsekretär Antonio Guterres ließ den Bericht zurückziehen, weil dieser unter dem UN-Logo, aber ohne Absprache mit den zuständigen UN-Gremien und ihm selbst erschienen war. Daraufhin trat Chalaf von ihrem Amt zurück.[76]
Nach dem Beitritt der PA zum Römischen Statut reichten vier palästinensische NGOs 2017 einen umfangreichen Text beim Internationalen Strafgerichtshof ein, der Israel anklagte, „die Palästinenser zu verfolgen und den Verbrechen von Verfolgung und Apartheid zu unterwerfen“. Von November 2019 bis April 2021 warfen mindestens 18 NGOs Israel eine Apartheidpolitik vor und stellten es als Apartheidregime oder Apartheidstaat dar, darunter auch israelische NGOs wie Schovrim Schtika, Jesch Din und B’Tselem.[77]
Am 27. April 2021 warf ein HRW-Bericht Israel Apartheidverbrechen gegen die Palästinenser vor.[78] Er forderte internationale Ermittlungen und Strafverfolgung israelischer Regierungsbeamter, den Abbruch von ökonomischen Investitionen, staatliche Sanktionen, Reiseverbote nach Israel, das Einfrieren von Auslandskonten von an Apartheidverbrechen beteiligten Israelis. Er unterstützte damit die BDS-Kampagne, ohne diese zu nennen.[79] Autor des Berichts war der langjährige BDS-Aktivist Omar Shakir. Israel hatte sein Arbeitsvisum Ende 2018 nicht verlängert; bis April 2019 verlor er einen Rechtsstreit darum in letzter Instanz.[80][81] Der deutsche HRW-Pressereferent Wolfgang Büttner erklärte, man wolle „eine Rechtsdiskussion eröffnen“, den stockenden Friedensprozess und die Menschenrechtslage in Israel und den besetzten Gebieten wieder stärker ins öffentliche Bewusstsein rücken. Dabei sei HRW der Missbrauch des Apartheidbegriffs bewusst. HRW distanziere sich „eindeutig von denjenigen, die sich gegen das Existenzrecht Israels ausdrücken, die deutsche Vergangenheit leugnen oder antisemitische Ziele verfolgen.“[82]
Laut Gerald M. Steinberg gleichen die Argumentationsfiguren dieser Texte denen der NGO-Erklärung in Durban 2001, folgen deren Strategie und stützen sich aufeinander.[83] Emily Budick, Cary Nelson (beide Scholars for Peace in the Middle East), Alan Johnson (Britain Israel Communications and Research Centre), Benjamin Pogrund (Schriftsteller aus Südafrika) und andere weisen den Apartheidvorwurf gegen Israel mit folgenden Hauptargumenten zurück: Israel sei eine rechtsstaatlich verfasste, multi-ethnische Demokratie mit garantierten gleichen Staatsbürgerrechten für Nichtjuden. Es gebe dort keine Rassentrennung oder Segregation von Juden und Nichtjuden, sichtbar etwa an Arabern in der Knesset, im Obersten Gericht, in Leitungsämtern von Universitäten, Armeeeinheiten, Krankenhäusern und anderem. Bestehende Diskriminierungen seien nicht schwerer als in anderen Demokratien. Die rechtlich verschiedene Behandlung von Palästinensern und Israelis in der Westbank sei Teil der Militärbesatzung. Israels Sicherheitsmaßnahmen seien Folge der wiederholt gescheiterten Friedensverhandlungen und des täglichen Terrors gegen Israelis, keine systematisch institutionalisierte Apartheid zum Aufrechterhalten eines Unterdrückungsregimes. Das Apartheid-Label für Israel stamme aus der sowjetischen Diffamierungskampagne der 1970er Jahre, die seit 2001 von der „Durban-Strategie“ vieler NGOs wiederbelebt wurde. Weil es faktisch unzutreffend und diffamierend sei, erschwere es das politische Beenden der Besatzung zusätzlich.[59]
Mit ähnlichen Argumenten wiesen der israelische Thinktank Kohelet Policy Forum und Clifford D. May, Gründer der Foundation for Defense of Democracies, den HRW-Bericht vom April 2021 zurück. HRW maße sich mit dem Urteil, Israel sei nach Völkerrecht ein Apartheidregime, die Autorität von Strafverfolgern, Richtern und Jury an und liefere allen eine Rechtfertigung, die den einzigen mehrheitlich jüdischen Staat der Welt und damit den Fluchtort aller verfolgten Juden zerstören wollten. Der Bericht verdrehe die Definition von Apartheid ins Unkenntliche, indem er Bürgerrechte, Mehrheitswahlrecht und Minderheitenschutz in Israel ignoriere, die kein anderer Staat im Mittleren Osten seinen ethnischen und religiösen Minderheiten gebe. Somit wende HRW auf Israel einen anderen Standard als auf andere Staaten der Region an: Das sei Antisemitismus. Der Gazastreifen werde nicht von Apartheid, sondern von der Hamas regiert, die jede friedliche Koexistenz mit Israel ausschließe und mit täglichem Terror letztlich alle Juden aus Palästina vertreiben oder ermorden wolle. Die Westbank werde von der PA regiert. Diese habe reihenweise Angebote abgelehnt, die Palästinensern einen eigenen Staat gebracht hätten, und sei derzeit nicht einmal verhandlungsbereit. Nirgends könnten Gruppen, die einen Staat zu zerstören anstreben, von diesem Staatsbürgerrechte fordern. Für Israel wäre es selbstmörderisch, den Palästinensern des Gazastreifens und der Westbank diese Rechte zu gewähren. Israelische Gesetze enthielten keinerlei rassische Unterscheidungen, noch seien Juden und Palästinenser rassische Gruppen. Damit fehle das Tatbestandsmerkmal einer gesetzlichen rassischen Hierarchie. Weil es Diskriminierung von Minderheiten vielerorts gebe, sei seit 1994 kein anderer Staat als Apartheidregime bezeichnet worden. Das Nationalstaatsgesetz sei kritikwürdig, aber nicht entfernt ein Apartheidgesetz, sondern angelehnt an Verfassungsbestimmungen europäischer Demokratien. Es garantiere Arabern ihre Sprache. Andere Staaten der Region proklamierten sich stolz als arabisch oder muslimisch; doch nur beim jüdischen Staat sehe HRW darin ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Dies setze HRWs jahrzehntelange anti-israelische Haltung fort.[84] Auch Israels Außenministerium warf HRW eine „Anti-Israel-Agenda“ vor.[85]
Anfang 2022 erklärte ein Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI), in Israel sei seit seiner Gründung ein Apartheidsystem entstanden. Es begehe im Umgang mit den Palästinensern das Verbrechen der Apartheid. Die deutsche Sektion von AI schloss sich erst mit Verzögerung an.[86] Israels Außenminister Jair Lapid wies den Vorwurf zurück und kritisierte, dass AI nur den demokratischen Rechtsstaat Israel beschuldige, aber weder Syrien noch den Iran oder „mörderische Regime“ in Lateinamerika und Afrika als Apartheidstaaten bezeichne. Josef Schuster, der den Zentralrat der Juden in Deutschland leitet, nannte den AI-Bericht antisemitisch und forderte die deutsche AI-Sektion auf, sich davon zu distanzieren.[87] Laut dem britischen Politikwissenschaftler Alan Johnson bestreitet der Bericht das Selbstbestimmungsrecht für Juden und ist damit gemäß der IHRA-Antisemitismusdefinition antisemitisch.[88]
Literatur
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Die EU will Beitrittsgespräche mit der Ukraine führen – mitten im Krieg. Dafür hat sie alle möglichen Kriterien geprüft – nur nicht die Frage, wie es um den Krieg steht. Dieser Test würde negativ ausgehen.
Kein einziges der zentralen Kopenhagener Kriterien wurde erfüllt, nur vier von sieben spezifischen Länder-Vorgaben hat die Ukraine bisher erreicht. Dennoch will die EU-Kommission nun Beitrittsgespräche führen.
Ein hehres Motiv, sogar die Linke hat die nun geplanten Verhandlungen begrüßt. Doch wie steht es eigentlich um diesen Krieg? Kann die Ukraine siegen, kann sie alle Gebiete zurückerobern?
Nein, das kann sie nicht. Nicht mit Hilfe der USA, die wichtige Waffen zurückhalten und sich nach und nach zurückziehen. Und erst recht nicht mit der EU, die ihre eigenen Zusagen nicht erfüllt.
Sowohl bei den Waffen als auch bei der Munition liegt Brüssel hinter dem Plan. Eine militärische Strategie hat man auch nicht. Es gibt noch nicht einmal eine Debatte über den Stillstand an der Front.
Die jüngsten Aussagen des ukrainischen Generalsstabschefs sind ebenso wenig in die Bewertung der EU-Kommission eingegangen wie die Warnungen aus der Nato vor leeren Arsenalen.
Die EU-Behörde schweigt auch zu den Gerüchten, dass hinter den Kulissen längst Verhandlungen mit Russland vorbereitet werden. Ihr Assessment ist nicht nur unvollständig, sondern wohl auch unehrlich…
P.S. Der frühere Chef des Nato-Militärkommitees, Tschechiens Präsident Pavel, soll nicht mehr an den Sieg der Ukraine glauben. Die Zeit spiele für Russland, deshalb müsse man nun Verhandlungen einleiten…
P. S. Das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ warnt vor einem EU-Beitritt der Ukraine. Die EU solle sich lieber für ein Ende des Krieges einsetzen, schreibt der „Tagesspiegel“
Kiesewetter wird vom Moderator groß als Militär-Experte angekündigt (hat jädient, war sogar Bundeswehr-Offizier). Was dann kommt, hätte auch vom Wehrdienstverweigerer Habeck kommen können: – keinerlei Einschätzung der militärischen Lage, lediglich die Behauptung, dass die Ukraine ihre eigenen Soldaten schone, während Russland die seinen verheize – die wie immer vage Andeutung, mehr Waffen und neue Waffensysteme könnten … – die Forderung, die Waffen, die Bundeswehr an die Ukraine geliefert hat, schleunigst nachzubestellen – das Zögern des Westens, das Putin immer wieder ermutige – die Ukraine als Leuchtturm-Projekte, das am Ende sogar Russland und Belarus die Vorzüge der Demokratie vor Augen führen werde – die Ukraine als Präzedenzfall: Wenn die Ukraine nicht gewinne, werde Putin sich ermutigt fühlen, . Und China werde die durch eine Niederlage der Ukraine demonstrierte Schwäche des Westens als Ermutigung für einen Angriff auf Taiwan sehen. – die Bedeutung der EU-Beitrittsperspektive für die Ukraine – weil sonst die UkrainerInnen in Richtung EU auswandern würden (ein Moment der Erkenntnis in diesem Interview) – aus all diesen Gründen kämen Friedensverhandlungen nicht Frage – Augen zu und durch.
Es geht beim Thema Ukraine (zumindest in Deutschland) nicht um eine Analyse der militärischen Lage, sondern um Glaubensbekenntnisse. Und der Glaube versetzt ja bekanntlich Berge – auch wenn es nur Geldberge sind, die auf den Konten der Rüstungsindustrie landen.
Das ist das einzige Argument, das man ernst nehmen kann. Allerdings ist aus grundsätzlichen Erwägungen ein Frieden mit Russland nicht denkbar, nur ein mit einem kalten Krieg verbundener Waffenstillstand. Für Rechtspositionen würde das zum Beispiel bedeuten, dass man mit den von Russland völkerrechtswidrig annektierten Gebieten ebenso umgeht wie z.B. mit Nordzypern: dieses ist nach EU-Auffassung Teil der Republik Zypern, was unter anderem bedeutet, dass Gerichte der Republik Zypern Urteile fällen können, die Grundstücke in Nordzypern betreffen, und diese können dann zivilrechtlich in den übrigen EU-Staaten vollstreckt werden (siehe das EuGH-Urteil von 2009 in der Rechtssache C-420/07, Apostolidis/Orams, ECLI:EU:C:2009:271); mit der absehbaren Folge dass kein in von Russland annektierten Gebieten ansässiges Unternehmen/keine dort ansässige Einzelperson mit der EU Handel treiben könnte. Damit ist gleichzeitig gesagt, dass alle Vorstellungen von einer „Brückenfunktion“ der Ukraine zwischen der EU und Russland Spinnereien sind. Wenn es je eine Chance darauf gegeben haben sollte, hat Russland sie durch seine Aggressionspolitik gegen die Ukraine zerstört; und ohnehin ist es eine Anmaßung, anderen Völkern eine „Brückenfunktion“ vorschreiben zu wollen.
… nur nicht die Frage, wie es um den Krieg steht. Dieser Test würde negativ ausgehen. Aber, aber wenn doch bald die V-Waffen eingesetzt werden, dann ist doch der unkrainische Endsieg® nicht mehr weit.
Mir drängt sich bei diesem ganzen „Beitrittsaktionismus“ schon länger der Eindruck auf, dass es politisch, rhetorisch und symbolisch darum geht, den ungünstigen Kriegsverlauf zu kaschieren. Auch wenn der Osten des Landes de-facto russisch wird, kann man immer noch behaupten, dass die „regelbasierte Ordnung“ sich irgendwie durchgesetzt habe, denn dafür steht die EU doch nach eigener Auffassung. Ob das glaubwürdig ist, ist eine andere Frage.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
Während sich Frankreich für eine Waffenruhe in Gaza einsetzt und Belgien über Sanktionen gegen Israel nachdenkt, sagt Wirtschafts-Minister Habeck eine Reise nach Portugal ab. Der Grund: Kritik an Israel!
Die Nahost-Debatte läuft in Deutschland völlig anders als im Rest der EU. „Deutschland isoliert sich“,schrieben wir in diesem Blog, nachdem Berlin beim EU-Gipfel in Brüssel alle Rufe nach einer Waffenruhe in Gaza abgeblockt hatte.
Nun erreicht die Isolierung ein neues Level – den Austausch auf Regierungsebene. Wirtschaftsminister Habeck hat eine Reise zu einer Konferenz in Portugal gestrichen, weil dort angeblich antisemitische Umtriebe drohen.
Cosgrave hatte auf X (vormals Twitter) den Kurs der israelischen Regierung kritisiert und unter anderem geschrieben: „Kriegsverbrechen sind Kriegsverbrechen, selbst wenn sie von Verbündeten begangen werden.„
In Belgien denkt man deshalb sogar über Sanktionen nach. Derweil fordert Frankreichs Staatschef Macron auf einer Gaza-Hilfskonferenz in Paris eine humanitäre Pause und Waffenruhe in Gaza.
Muß Habeck als Nächstes auch eine Reise nach Paris canceln?
Es gibt keine Wagenknechtpartei. Über den Anteil von Wählerstimmen zu spekulieren hat was von Scholastik. Und politisch links im Sinne von Karl Marx ist in Deutschland niemand. Und das ist auch gut so.
In schönen Sälen von Versailles (?) kommt die politische Elite zusammen für eine Geberkonferenz für Gaza…Teuflisch ist die Gewalt von jeder Seite, teuflisch ist der Zynismus der Wohltätigkeit während zu gleicher Zeit eine Wust von Bomben Menschenleben völlig zerstört. „Wir halten Geberkonferenz, vorzüglich bewirtet übrigens, den Krieg möchten wir nicht wirklich beenden, wie könnten wir auch? Das forderte ja Grundsätzliches von uns, Taten, unmissverständliche konsequente Politik, die Israel zwingt das Morden und Zerstören zu beenden! Undenkbar! Aber stattdessen werden wir wiederum die Milliönchen versprechen!“ Hilfe für Gaza! Geld! Vollkommener Bankrott der Politik.
Aber Frau Baerbock reist, und zwar nach Israël, und das könnte sie gleich unterlassen, denn, hätte sie etwas Ernsthaftes, Dringliches, politisch Bedeutendes zu vermitteln, dann könnte sie daß sofort vom Auswärtigen Amt in Berlin aus vermitteln, dazu gibt es ja „die modernen Kommunikationsmittel“. Aber diese Reisen dienen statt echter Politik; man führt etwas vor, daß auf Tatkraft schließen sollte, wußten wir nicht daß es dazu dient Zeit zu gewinnen, um Israels Militär gewähren zu lassen. Ebenso die Reise, gestern, des niederländischen Herrn Rutte, um mit Freund Netanyahu reden zu können und ihn um „proportionalen Gewalt“ in Gaza bitten. Ich hasse diese verhüllenden, verlogenen Redeweisen, und dann: angesichts dessen was schon von Israel „ mit größtem Sorgfalt keine Zivilisten zu schädigen“ angerichtet worden ist! Aber unsere „Politiker“ kommen in den Medien damit ganz gut weg: sieht doch wie sie sich bemühen, wie sie reisen und reden. Ach, und nun hat der Stoltenberg auch humanitäre Pausen gefordert, Gütesiegel der NATO! Und Frankreich! Während die Menschen in Gaza gnadenlos bombardiert werden einen Friedenskonferenz halten. Nicht politisch maximalen Druck auf Israels Regierung ausüben, nein, konferieren! Mit dem Geldbeutel rasseln! Ich erblicke nur schlimme Darsteller einer Art „Humanität“, wie sie von der VS und der NATO auf den Flügeln der F-16 und F-35 weltweit verbreitet wird. Rutte leistet Vorarbeit für seinen nächsten „Job“.
„Aber Frau Baerbock reist…“ Ja, sie will im Nahen Osten „diplomatisch vermitteln“. Ausgerechnet! Die Frau nimmt doch da unten (im „globalen Süden“, also den Resten vom Westen der Welt) sowieso keiner mehr ernst. Da kann man auch einen Elefant Inventur im Porzellanladen machen lassen.
Es wird wirklich Zeit, dass diese Regierung abgesetzt und diese Politik ohne Sinn und Verstand, dafuer aber nach Gutduenken beendet wird. Eigentlich sollte man nicht einmal mehr warten, bis diese Legislaturperiode zu ende ist. Es ist das nackte Grauen zu beobachten.
Interessant ist die aktuelle Sonntagsfrage fuer Brandenburg.
Demnach kaeme die Wagenknecht-Partei aus dem Stand auf 21.5 Prozent, gleichauf mit der SPD, die AfD wuerde 10% verlieren, Gruene raus, Gelbe raus, Linke so gerade noch drin.
„Demnach kaeme die Wagenknecht-Partei aus dem Stand auf 21.5 Prozent, gleichauf mit der SPD, die AfD wuerde 10% verlieren, Gruene raus, Gelbe raus, Linke so gerade noch drin.“ Wenn GRÜN und GELB raus wären, könnten die 43% von SPD und BSW für eine Sitz-Mehrheit reichen (ich fürchte, die LINKE würde aus Prinzip eher eine rote Regierung platzen lassen als ausgerechnet dem BSW eine stärkere Rolle in einer Regierung zuzubilligen als ihr selbst); vielleicht würde so die SPD wieder raus aus der neoliberalen und rein in die soziale Spur kommen.
Kann es sein, dass politische Diskurse nur noch unter Gleichgesinnten geführt werden und andere Meinungen noch nicht mal mehr gehört werden wollen? Wie soll so Demokratie funktionieren?
Solche Minister sollten selbst aus der Regierung gecancelt werden, denn sie stehen offenbar nicht mehr auf dem Boden unserer FDGO!
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
10.11.2023
Nachrichten von Pressenza: „Nicht die Zeit, über Frieden zu reden“
Berlin ist mit Israel über sanitätsdienstliche Unterstützung im Gespräch. Zahl ziviler Opfer im Gazastreifen steigt. US-Außenminister warnt, bei weiterer Eskalation fehlten künftig „Partner für den Frieden“. Die Bundesregierung ist mit Israel über medizinische Hilfen für die in Gaza kämpfenden israelischen…
EU-Kommission empfiehlt Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine
Die EU-Kommission hat am Mittwoch Beitrittsgespräche mit der Ukraine und Moldawien empfohlen. Von den sieben von der Kommission an die Ukraine gestellten Voraussetzungen sollen laut einem EU-Bericht vier vollständig erfüllt worden sein. In Bezug auf die Ukraine begrüßte die Kommission…
Eine gemeinsame jüdisch-arabische Erklärung für den Frieden
Wir – Bewegungen, Organisationen, AktivistInnen, JüdInnen und AraberInnen – schreiben diese Worte aus tiefer Trauer um die Tausenden von Menschen, die in den letzten Wochen getötet wurden, und aus schrecklicher Sorge um die Sicherheit der Entführten und derer, die in…
Hinrichtungen in den USA: Stickstoff statt Giftspritze
Gibt es eine »humane« Hinrichtungsmethode? Gegner der Todesstrafe halten die Formulierung für paradox. Jetzt soll im US-Bundestaat Alabama erstmals ein Delinquent durch das Einatmen von Stickstoff „auf sanfte Art“ exekutiert werden. Von Helmut Ortner Der Oberste Gerichtshof in Alabama hatte…
‚Kriegstüchtig‘ müsse das Land werden, forderte Verteidigungsminister Boris Pistorius zu Beginn der Woche und meinte damit explizit nicht nur die Bundeswehr, sondern auch die gesamte Gesellschaft. Er begründet das damit, dass auch Deutschland sich bei einem ganz Europa betreffenden Krieg…
Tomaso Montanari: „Frieden wird durch Frieden verteidigt, nicht durch Gewalt“
Wir teilen die Überlegungen von Tomaso Montanari auf x (früher twitter). Wir Westler, die von einem Großteil der übrigen Menschheit zu Recht für die Arroganz unserer angeblichen kulturellen Vormachtstellung gehasst werden, sollten endlich die Kleidung des Kolonialismus ablegen und diejenige…
Kanzler Scholz dringt in Nigeria auf die Belieferung Deutschlands mit Flüssiggas und die beschleunigte Rücknahme von Flüchtlingen. Austeritätsmaßnahmen drohen Nigeria schwer in Armut zu stürzen. Bundeskanzler Olaf Scholz wünscht von Nigeria eine stärkere Belieferung Deutschlands mit Flüssiggas und verlangt die…
Pressenza - ist eine internationale Presseagentur, die sich auf Nachrichten zu den Themen Frieden und Gewaltfreiheit spezialisiert hat, mit Vertretungen in Athen, Barcelona, Berlin, Bordeaux, Brüssel, Budapest, Buenos Aires, Florenz, Lima, London, Madrid, Mailand, Manila, Mar del Plata, Montreal, München, New York, Paris, Porto, Quito, Rom, Santiago, Sao Paulo, Turin, Valencia und Wien.
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10.11.2023
Chris Hedges: Brief an die Kinder in Gaza
seniora.org, 09. November 2023, Von Chris Hedges, 8.11.2023 - übernommen von chrishedges.substack.com
Du wirst erwachsen werden und Kinder haben. Du wirst alt werden. Du wirst Dich an dieses Leid erinnern, aber Du wirst wissen, dass es bedeutet, anderen zu helfen, die leiden. Das ist meine Hoffnung.
Liebes Kind, es ist nach Mitternacht. Ich fliege mit einer Geschwindigkeit von Hunderten Meilen pro Stunde durch die Nacht.Tausende Meter über dem Atlantischen Ozean. Ich reise nach Ägypten. Ich will dort zur Grenze nach Gaza, bei Rafah. Wegen Dir.
Du warst nie in einem Flugzeug. Du hast Gaza nie verlassen. Du kennst nur das dichte Gedränge in den Straßen und Gassen. Die Betonverschläge. Du kennst nur die Sicherheitsbarrieren und Zäune, die Gaza umgeben und an denen Soldaten entlang patrouillieren. Flugzeuge machen Dir Angst. Kampfjets. Kampfhubschrauber. Drohnen. Sie kreisen über Dir. Sie schießen Raketen ab, werfen Bomben. Ohrenbetäubende Explosionen. Die Erde bebt. Gebäude fallen zusammen. Die Toten. Die Schreie. Die dumpfen Hilferufe aus den Trümmern. Es hört nicht auf. Nacht und Tag. Gefangen unter Bergen von zertrümmertem Beton. Deine Spielkameraden. Deine Schulkameraden. Deine Nachbarn. In Sekunden verschwunden. Du siehst die kreideweißen Gesichter und Körperteile, die ausgegraben werden. Ich bin Reporter. Es gehört zu meinem Beruf, das zu sehen. Du bist ein Kind. Du solltest das nie sehen.
Der Geruch des Todes. Verwesende Körper unter zerbrochenem Beton. Du hältst den Atem an. Du bedeckst Deinen Mund mit einem Tuch. Du gehst schneller. Dein Viertel ist ein Friedhof geworden. Alles was so vertraut war gibt es nicht mehr. Du blickst ungläubig um Dich. Du fragst Dich, wo Du bist.
Du hast Angst. Eine Explosion nach der anderen. Du weinst. Du klammerst Dich an Deine Mutter oder an Deinen Vater. Du hältst Dir die Ohren zu. Du siehst das weiße Licht der Rakete und wartest auf die Explosion. Warum töten sie Kinder? Was haben sie getan? Warum kann Dich niemand beschützen? Wirst Du verletzt werden? Wirst Du ein Bein oder einen Arm verlieren? Wirst Du blind werden oder in einem Rollstuhl sitzen? Warum wurdest Du geboren? War es, um Schönes zu erleben? Oder war es um das hier zu erleben? Wirst Du groß werden? Wirst Du glücklich? Wie wird es sein, ohne Deine Freunde? Wer wird als nächstes sterben? Deine Mutter? Dein Vater? Deine Brüder und Schwestern? Irgendjemand den Du kennst wird verletzt. Bald. Jemand den Du kennst wird sterben. Bald.
Nachts liegst Du im Dunkel auf dem kalten Zementboden. Die Telefone sind unterbrochen. Das Internet ist abgeschaltet. Du weißt nicht, was passiert. Es gibt Lichtblitze. Es gibt Wellen von Erschütterungen durch Explosionen. Es gibt Schreie. Es hört nicht auf.
Du wartest, wenn Dein Vater oder Deine Mutter auf der Suche nach Essen oder Wasser sind. Das schreckliche Gefühl im Magen. Werden sie zurückkommen? Wirst Du sie wiedersehen? Wird Dein kleines Zuhause das nächste sein? Werden die Bomben Dich finden. Sind dieses Deine letzten Momente auf dieser Welt?
Du trinkst salziges, schmutziges Wasser. Es macht Dich sehr krank. Dein Magen tut weh. Du hast Hunger. Die Bäckereien sind zerstört. Es gibt kein Brot. Du ißt einmal am Tag. Nudeln. Eine Gurke. Bald wird es wie ein Festmahl sein.
Du spielst nicht mit Deinem Fußball aus Lumpen. Du läßt Deinen Drachen nicht fliegen, der aus altem Zeitungspapier gebaut ist.
Du hast ausländische Reporter gesehen. Wir tragen Schutzwesten auf denen das Wort „Presse“ steht. Wir haben Helme. Wir haben Kameras. Wir fahren in Jeeps. Wir tauchen immer nach der Bombardierung auf oder nach einer Schießerei. Wir sitzen lange bei Kaffee und reden mit den Erwachsenen. Dann verschwinden wir. Normalerweise interviewen wir keine Kinder. Aber ich habe Interviews mit Euch gemacht, als Ihr uns umringt habt. Es wurde gelacht. Gestikuliert. Ihr habt uns gebeten, Fotos von Euch zu machen.
Ich bin in Gaza von Kampfjets bombardiert worden. Ich wurde in anderen Kriegen bombardiert. Das war, bevor Du geboren wurdest. Ich hatte sehr große Angst. Ich träume immer noch davon. Wenn ich heute die Bilder aus Gaza sehe, kehren die Kriege mit großer Wucht wie Donner und Blitze zu mir zurück. Ich denke an Euch.
Alle von uns, die im Krieg waren, hassen den Krieg vor allem wegen dem, was er Kindern antut.
Ich habe versucht Deine Geschichte zu schreiben. Ich habe versucht der Welt zu sagen, wenn man grausam zu Menschen ist, jede Woche, jeden Monat, jedes Jahr, Jahrzehnte lang, wenn man den Menschen ihre Freiheit und ihre Würde nimmt, wenn man sie erniedrigt und in einem Gefängnis unter freiem Himmel einsperrt, wenn man sie tötet als seien sie wilde Tiere, dann werden sie zornig. Sie tun anderen das an, was man ihnen angetan hat. Ich habe das immer wieder gesagt. Ich habe das sieben Jahre lang gesagt. Kaum jemand hat zugehört. Und jetzt dies.
Es gibt sehr mutige palästinensische Journalisten. 39 von ihnen wurden getötet, seit dieses Bombardement begann. Sie sind Helden. Auch die Ärzte und Krankenpfleger in Euren Krankenhäusern sind Helden. Auch die UN-Mitarbeiter. 89 von ihnen wurden getötet. Auch die Fahrer von Rettungswagen und das medizinische Personal. Auch Eure Mütter und Väter, die Euch vor den Bomben beschützen.
Aber wir sind nicht dort. Nicht dieses Mal. Man läßt uns nicht hinein, man sperrt uns aus.
Reporter aus aller Welt werden zum Grenzübergang Rafah gehen, weil wir diesem Abschlachten nicht zuschauen können, ohne etwas zu tun. Wir gehen, weil Hunderte Menschen jeden Tag sterben, darunter 160 Kinder. Wir gehen, weil dieser Völkermord aufhören muss. Wir gehen, weil wir Kinder haben. Kinder wie Du. Kostbar. Geliebt. Wir gehen, weil wir wollen, daß Du lebst.
Ich hoffe, dass wir uns eines Tages treffen können. Du wirst erwachsen sein. Ich werde ein alter Mann sein. Obwohl, ich bin für Dich schon heute sehr alt. In meinen Traum über Dich wirst Du frei und sicher und glücklich sein. Niemand wird versuchen, Dich zu töten. Du wirst in Flugzeugen reisen, die mit Menschen gefüllt sind, nicht mit Bomben. (…)* Du wirst die Welt sehen. Du wirst erwachsen werden und Kinder haben. Du wirst alt werden. Du wirst Dich an dieses Leid erinnern, aber Du wirst wissen, dass es bedeutet, anderen zu helfen, die leiden. Das ist meine Hoffnung. Dafür bete ich.
Wir haben dich im Stich gelassen. Das ist unsere furchtbare Schuld. Wir haben es versucht, aber wir haben nicht genug getan. Wir werden nach Rafah gehen. Viele von uns. Reporter. Wir werden vor der Grenze mit Gaza stehen und protestieren. Wir werden schreiben und filmen. Das ist, was wir tun. Nicht viel, aber etwas. Wir werden Deine Geschichte neu aufschreiben.
Vielleicht reicht es, um das Recht zu verdienen, Dich um Vergebung zu bitten.
Die Übersetzung besorgte Karin Leukefeld (leicht gekürzt). Die Kürzung betrifft diesen Satz:
You will not be trapped in a concentration camp. *Du wirst nicht in einem Konzentrationslager gefangen sein.
Die Übersetzerin schrieb uns: Auf redaktionellen Wunsch wegen des deutschen Kontexts wurde der Satz mit dem Begriff „concentration camp“ (s. Original in Englisch) ausgelassen. Die Auslassung ist so (…) markiert. Ich wollte es nicht umformulieren in „Freiluftgefängnis“.
Mit Dank an Frau Leukefeld für die Übersetzung
Diesen Brief finden Sie auch auf www.globalbridge.ch (mit der Übersetzung "Freiluftgefängnis".)
Vielleicht nehmen sich Germanisten der Frage an, ob es im deutschen Sprachraum angebracht ist, das Wort concentration camp im Text im Zusammenhang mit Gaza wortgetreu mit Konzentrationslager zu übersetzen, es ganz wegzulassen oder durch Freiluftgefängnis zu ersetzen.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
10.11.2023
Der OberlehrerEU-Freihandelsabkommen mit Australien ist gescheitert; Gespräche über Abkommen mit dem Mercosur, Indien und Indonesien stecken fest. Die deutsche Industrie protestiert, wirft der EU „Werteimperialismus“ vor.
german-foreign-policy.com, 10. November 2023
BRÜSSEL/CANBERRA/BRASÍLIA (Eigener Bericht) – Deutsche Wirtschaftskreise üben scharfe Kritik am Scheitern des EU-Freihandelsabkommens mit Australien und an der fortdauernden Verschleppung weiterer EU-Freihandelsgespräche. Canberra hatte die Verhandlungen mit der EU Anfang vergangener Woche abgebrochen – für Brüssel ein schwerer Schlag: Die EU will mit Hilfe australischer Ressourcen von China unabhängiger werden. Auch das Freihandelsabkommen mit dem Mercosur ist vom Scheitern bedroht: Die Mitgliedstaaten des südamerikanischen Bündnisses sind nicht bereit, sich den klar als Schikane empfundenen Brüsseler Forderungen zum Schutz des Regenwaldes ohne weiteres zu beugen. Ob eine Annäherung möglich ist, gilt als ungewiss. Die Verhandlungen über Freihandelsabkommen mit Indien und Indonesien stecken ebenfalls fest. Ursache für das Scheitern sind zum einen offenbar unüberbrückbare Interessensdivergenzen zwischen der deutschen Industrie und der französischen Landwirtschaft; zum anderen wird das Beharren der EU auf Umweltforderungen, wie Kommentatoren urteilen, als „Werteimperialismus“ wahrgenommen. Die Union, heißt es, führe sich gegenüber anderen Staaten „wie ein Oberlehrer“ auf.
Zitat: Gescheitert
Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit Australien hatte die EU schon im Juni 2018 begonnen. Anlass war zum einen das Interesse der Industrie, einen neuen Absatzmarkt zu öffnen. Darauf gedrängt hatten vor allem deutsche Exporteure, auch wenn Australien mit nur knapp 27 Millionen Einwohnern begrenzte Abnahmekapazitäten hat. Wichtigstes Ziel war auf Seiten der EU allerdings, besseren Zugriff auf Australiens Ressourcen zu erlangen. Das Land verfügt unter anderem über riesige Lithiumvorkommen, über die zweitgrößten Vorräte an Kobalt und über umfangreiche Lagerstätten etwa von seltenen Erden, Nickel und Graphit. Dabei handelt es sich um Rohstoffe, die eine zentrale Bedeutung für wichtige Technologien der Energiewende besitzen. Zur Zeit sind die EU-Staaten bei ihrem Erwerb in hohem Maß auf China angewiesen. Ein Freihandelsabkommen mit Australien sollte helfen, die Abhängigkeit zu lindern. Als Gegenleistung forderte Canberra besseren Zugang für Australiens Landwirte in den Markt der EU. Daran sind die Verhandlungen jetzt gescheitert. Australiens Landwirtschaftsminister erklärte am Montag vergangener Woche, Brüssel sei nicht zu ernsthaften Zugeständnissen bereit gewesen; Canberra brach die Verhandlungen ab. Wegen der EU-Wahl 2024 und der Wahl in Australien 2025 werden weiteren Gesprächen keine Chance eingeräumt.[1]
Vom Scheitern bedroht
Vom Scheitern bedroht sind zudem die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen der EU mit dem südamerikanischen Staatenbündnis Mercosur (Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay). Diese wurden bereits im Juni 1999 gestartet und konnten – nach mehreren Unterbrechungen – erst im Juni 2019 abgeschlossen werden. Allerdings steht bislang noch die Ratifizierung aus. Attraktiv ist das Abkommen vor allem für die EU-Industrie, der es den riesigen Mercosur-Absatzmarkt mit 260 Millionen Einwohnern öffnen würde. Sehr für das Abkommen stark gemacht hat sich die deutsche Industrie. Die Ratifizierung stockt, weil Länder mit starken Agrarinteressen – Frankreich, Irland, Österreich – sie unter dem Vorwand blockieren, eine Zusatzvereinbarung zum Schutz des Regenwaldes schließen zu wollen. Im Mercosur wird dies als willkürliche Schikane zurückgewiesen. Stattdessen verlangen Brasilien und Argentinien neue Schutzvorschriften für ihre von der EU-Konkurrenz bedrohte Industrie.[2] Zur Zeit stecken die Verhandlungen wieder einmal fest. Dabei ist inzwischen unklar, wie lange der Mercosur überhaupt noch zur Verfügung steht. In Argentinien droht der ultrarechte Präsidentschaftskandidat Javier Milei mit dem Austritt aus dem Bündnis. In Uruguay wird, da das EU-Abkommen ausbleibt, über ein Freihandelsabkommen mit China auf nationaler Ebene diskutiert; dies würde den Mercosur sprengen.
Nicht erreichbar
Allenfalls schleppende Fortschritte verzeichnet die EU in den Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit Indien. Auch diese wurden bereits im Jahr 2007 aufgenommen und mussten 2013 wegen unzureichender Fortschritte abgebrochen werden; seit Juni 2022 wird nun weiterverhandelt. Eine besondere Bedeutung wird dem Abkommen beigemessen, weil die EU Indien als alternativen Produktionsstandort und als alternativen Absatzmarkt zu China nutzen will; ein Abbau von Handelsbarrieren würde dies erleichtern. Allerdings gilt Indien, ähnlich wie die EU, als schwieriger Verhandlungspartner. Im Februar hatte sich Bundeskanzler Olaf Scholz bei einem Besuch in New Delhi energisch für Fortschritte in den Verhandlungen stark gemacht [3]; im Juli hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ebenfalls während eines Aufenthalts in der indischen Hauptstadt versucht, die Gespräche zu beschleunigen [4]. Der ursprüngliche Plan, das Freihandelsabkommen noch in diesem Jahr unter Dach und Fach zu bringen, gilt inzwischen allerdings als nicht realisierbar. „Jeder, der einigermaßen bei Verstand ist und die Komplexität dieser Verhandlungen kennt, wird nicht für eine Sekunde daran glauben, dass dies ein erreichbares Ziel war“, erklärte Ende Oktober der EU-Botschafter in Indien, Hervé Delphin; die Verhandlungen über das Abkommen würden noch erheblich mehr Zeit verschlingen.[5]
Feststeckend
Schwierigkeiten gibt es auch bei den Bemühungen, Freihandelsabkommen mit den Staaten Südostasiens zu schließen. Das 2007 gestartete ehrgeizige Vorhaben, sich auf ein Abkommen mit dem Staatenbund ASEAN zu einigen, musste bereits 2009 abgebrochen werden. Seitdem ist die EU bemüht, ersatzweise Freihandelsvereinbarungen mit einzelnen ASEAN-Ländern zu schließen. Erfolgreich war das bisher lediglich bei der – strategisch freilich bedeutenden – Handelsdrehscheibe Singapur sowie bei Vietnam, das sich als Alternativstandort zu China zu profilieren sucht; Freihandelsabkommen mit den beiden Staaten traten im November 2019 bzw. im August 2020 in Kraft. Die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit Indonesien, die bereits im Juli 2016 aufgenommen wurden, stecken fest. Von Bedeutung sind sie, weil Indonesien zum einen mit seinen 280 Millionen Einwohnern der größte Markt des ASEAN-Bündnisses ist und zum anderen als aufstrebendes Schwellenland mit schnell steigendem Einfluss gilt, das die EU enger an sich zu binden sucht. Die Gespräche stocken nun vor allem, weil die EU die Palmölherstellung in Indonesien zurückdrängen will, die dort zur Reduzierung der Regenwaldbestände führt. Jakarta begreift dies als Diskriminierung indonesischer Produzenten zugunsten der Konkurrenz aus der EU; es setzt sich also entschlossen dagegen zur Wehr.[6]
Werteimperialismus
Aus der deutschen Wirtschaft kommt inzwischen scharfe Kritik. Für Exporteure wiegen die Fehlschläge in den Freihandelsbemühungen schwer. Zum einen suchen sie verzweifelt nach Auswegen aus der sich zuspitzenden Wirtschaftskrise. Zum anderen ziehen konkurrierende Staaten an Deutschland und der EU vorbei. So ist etwa seit dem 31. Mai 2023 ein Freihandelsabkommen zwischen Großbritannien und Australien in Kraft; zudem ist es dem Vereinigten Königreich gelungen, dem asiatisch-pazifischen Freihandelsbündnis CPTPP (Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership) beizutreten, das der britischen Industrie nun Absatzmärkte unter anderem in Südostasien öffnet. Das wiederholte Scheitern der EU wiederum wird einerseits darauf zurückgeführt, dass sich die divergierenden Interessen der Mitgliedstaaten nicht vereinen lassen: Die deutsche Industrie und die französische Landwirtschaft stehen sich regelmäßig im Weg. Zum anderen sind Drittstaaten immer weniger bereit, sich den immer umfassenderen Forderungen der EU vor allem in Klima- und Umweltbelangen zu beugen. Dies gelte als „Werteimperialismus“, konstatieren wirtschaftsnahe Kommentatoren [7]; die EU trete immer öfter „wie ein Oberlehrer auf“ [8]. Dabei müsse – spätestens seit der BRICS-Erweiterung [9] – „allen klar sein: Die Zeiten, in denen sich Europa dank seiner Wirtschaftsmacht hofieren lassen konnte, sind vorbei.“[10] Diese Erkenntnis aber sei in Brüssel offenbar noch nicht angekommen.
[1] Mathias Peer, Olga Scheer: Australien lässt Freihandelsdeal mit der EU platzen. handelsblatt.com 30.10.2023.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
10.11.2023
Der 7. Oktober – ein vorläufiges Resumée
freedert.online, 9 Nov. 2023 19:01 Uhr, Von Dagmar Henn
Unter den Bomben, die täglich auf Gaza fallen, sind die Ereignisse des 7. Oktober inzwischen für die einen völlig verschwunden, während die anderen selbst Tausende toter Kinder in Gaza nicht einmal wahrnehmen wollen. Aber nach wie vor liegen die ursprünglichen Ereignisse im Nebel.
So einfach, wie das in Deutschland erzählt wird, mit der bösen Terrororganisation Hamas gegen das gute Israel, ist die Geschichte nicht. Im Gegenteil, der erste Blick führt völlig in die Irre. Zumindest Teile der Geschichte werden in anderen Ländern durchaus benannt. In India Todaybeispielsweise, oder selbst im kanadischen Sender CBC, beide mit einer ganzen Fülle von Zitaten und Belegen. Allerdings kann man die Geschichte durchaus noch ein Stück weiter zurückverfolgen, wenn man die Ursprünge der Muslimbruderschaft betrachtet.
Eine Berliner Erfindung
Die Muslimbruderschaft ist der Ursprung einer ganzen Reihe politischer Organisationen in verschiedenen Ländern. Sie stellte in Ägypten nach dem "arabischen Frühling" die Regierung, bis sie vom Militär gestürzt wurde. Sie ist der Ursprung der türkischen AKP, der Partei des türkischen Regierungschefs Erdoğan. Eine der einflussreichsten Organisationen im Nahen Osten, aber keine Organisation, die ganz von alleine entstand.
Tatsächlich war die Muslimbruderschaft ebenso sehr das Instrument des Auswärtigen Amtes in Berlin, wie die Wahabiten und das Haus Al-Saud das der Briten waren. Wenn beispielsweise gerne der Großmufti von Jerusalem aus den 1940ern zitiert wird, um arabischen Antisemitismus zu belegen, handelt es sich um einen Vertreter der Muslimbruderschaft mit engen Verbindungen nach Berlin, und nicht um einen durch und durch authentischen Vertreter seiner Glaubensgemeinschaft.
Wer die unterschiedlichen Legenden kennt, weiß, dass sich vielfach solche Strukturen mit authentischen Bewegungen vermischt haben. Dazu genügt es, den Film "Lawrence von Arabien" anzusehen, der Anfang des 20. Jahrhunderts spielt. Die Aufstände, die er im britischen Auftrag anführte, hatten vor allem den Zweck, den Franzosen ihre Kolonien abzunehmen – und in britische zu verwandeln. Auf die gleiche Art und Weise nutzte das Auswärtige Amt die Muslimbrüder, um die britische Macht zu unterminieren. Nicht mit der Absicht, eine wirkliche Souveränität zu ermöglichen, sondern, sich die Herrschaft über diese Gebiete selbst anzueignen.
Der Übergang der auswärtigen Kontrolle über die Muslimbrüder an die Vereinigten Staaten erfolgte erst nach dem Zweiten Weltkrieg, und nicht vollständig. In der alten Bundesrepublik setzte Gerhard von Mende die Betreuung dieser Organisation fort, für die er bereits im Amt Rosenberg der Nazis zuständig gewesen war.
Interessanterweise spielt bei der Internationalisierung dieser Organisation ausgerechnet eine Moschee in München-Freimann eine zentrale Rolle. Es gibt ein Buch eines US-amerikanischen Journalisten zu diesem Thema, "Die vierte Moschee" von Ian Johnson, das diese Geschichte nachzeichnet; auch wenn man, ähnlich wie bei den Bandera-Nazis, annehmen sollte, dass die deutsche Verbindung trotz der starken Beteiligung der CIA nie abgerissen ist.
Netanjahus Spaltungsmanöver
Als Teil der Muslimbruderschaft ist natürlich auch die Hamas Teil dieser Geschichte, auch wenn die neueren Details, die etwa India Today anführt, noch etwas bizarrer sind als die Verquickung mit Berliner Machtpolitik. Die indische Tageszeitung fragt:
"Warum Netanjahu geholfen hat, die Hamas zu finanzieren, und wie das gegen Israel zurückschlug."
Ja, es war der heutige israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu persönlich, der im Vorlauf zu den Wahlen im Westjordanland und im Gazastreifen im Jahr 2006 alles dafür tat, die Hamas zu stärken. Erst vor einigen Monaten zitierte ihn die Jerusalem Post mit einer Aussage, die er damals in einer geschlossenen Sitzung eines israelischen Parlamentsausschusses machte:
"Die palästinensischen Hoffnungen, einen souveränen Staat zu errichten, müssen ausgelöscht werden."
Das Mittel der Wahl, um eine Umsetzung der Oslo-Abkommen, die Netanjahu immer abgelehnt hat, zu verhindern, war die Zerstörung der politischen Einheit der Palästinenser, indem in Gaza die Hamas als "Gegengewicht" zur PLO aufgebaut wurde. Hamas und Netanjahu, so schrieb selbst die New York Timesnoch im Mai 2021, "sind jeweils des anderen wertvollster Partner (…) seit Netanjahu 1996 zum ersten Mal gewählt wurde – im Gefolge einer Welle von Selbstmordanschlägen der Hamas."
Der ehemalige Chef des saudi-arabischen Geheimdienstes, Prinz Turki-al-Faisal, erklärte Ende Oktober, selbst die heutige Finanzierung der Hamas aus Katar erfolge nicht nur mit Billigung, sondern unter aktiver Mitwirkung israelischer Behörden:
"Die Gelder werden elektronisch nach Israel überwiesen, woraufhin israelische und UN-Beschäftigte sie zu Fuß über die Grenze nach Gaza tragen."
Nun sollte man dabei nicht vergessen, dass es eine Rivalität zwischen Katar und Saudi-Arabien gibt, die letztlich auf die alte Konkurrenz zwischen den Wahabiten und den Muslimbrüdern zurückgeht, seine Aussage also nicht unbeinflusst von eigenem Interesse ist. Aber es hat sich bis heute nichts daran geändert, dass Netanjahu und seine Bündnispartner ein aktives Interesse daran haben, zwar irgendwie eine Art politischer Vertretung der Palästinenser sowohl im Westjordanland als auch in Gaza aufrechtzuerhalten, weil ihr Verschwinden die ganze Frage eines Endes der Besatzung neu aufwerfen würde, aber gleichzeitig dafür zu sorgen, dass diese Vertretung möglichst schwach bleibt.
Ähnlich berichtet das aber auch die Times of Israel:
"Israel hat es seit 2018 erlaubt, das Koffer mit Millionen aus Katar die Grenze nach Gaza überqueren, um seinen fragilen Waffenstillstand mit der Hamas, die dort regiert, zu bewahren."
Und zieht dann ein Fazit, bezogen auf den 7. Oktober:
"Eines ist klar: das Konzept, die Hamas indirekt zu stärken – während man gelegentliche Angriffe und kleinere Militäreinsätze alle paar Jahre hinnimmt – ging am Samstag in Rauch auf."
Die Grenzen politischer Einflussnahme
Niemanden dürfte es mehr wundern, dass sich gerade im Nahen Osten, mit seiner Bedeutung als Ölquelle, die Fäden politischer Einflussnahme vielfach kreuzen und verknoten, und dass sich dort genau das gleiche Phänomen externer politischer Kontrolle findet, das man auch in Deutschland in Gestalt von Astroturfing und dutzenden Stiftungen beobachten kann, nur in anderer Gestalt. Aber es gibt noch einen weiteren Punkt, den man berücksichtigen muss, der den Bemühungen, auf diese Weise politische Entwicklungen zu kontrollieren und zu instrumentalisieren, entgegensteht.
Es gibt eine ganze Reihe historischer Beispiele, wie solche Versuche scheitern oder manchmal sogar das Gegenteil bewirken können. Khomeinis Exil in Frankreich war auch ein französischer Schachzug gegen die damals den Iran kontrollierenden US-Amerikaner, aber es entstand dennoch eine reale Bewegung der iranischen Bevölkerung und am Ende eine Staatsgewalt, auf die die ursprünglichen Förderer keinen Einfluss mehr hatten. Ähnlich scheiterten 1917 die deutschen Versuche, den Briten ihre russische Beute abzujagen – am Ende von Oktoberrevolution und Bürgerkrieg stand ein tatsächlich souveräner Staat, und beide Räuber hatten verloren.
Die Wahrscheinlichkeit, dass Bemühungen, die der Absicht folgen, ein Land zu kontrollieren oder von der Konkurrenz zu übernehmen, scheitern und, gewissermaßen versehentlich, das Entstehen einer realen Bewegung der Bevölkerung fördern, steigt in Zeiten großer Krisen deutlich. Die Strategie, nach der vor dreizehn Jahren der "arabische Frühling" angezettelt wurde, ist heute um ein Vielfaches riskanter, als sie es damals war, weil die globalen Machtverhältnisse im Umbruch sind.
Das, und nicht die Liste tatsächlicher oder vermeintlicher Sponsoren, macht es so schwierig, tatsächlich zu definieren, welche Rolle die Hamas derzeit einnimmt. Rechtlich und diplomatisch ist sie für jene, die den Staat Palästina anerkennen, die legitime Vertretung der Bevölkerung von Gaza, schlicht, weil sie 2006 die Wahlen gewonnen hat.
Aber politisch kann sie sich durchaus im Übergang von einem israelischen Instrument zu einer echten Bewegung palästinensischen Widerstands befinden. Veränderungen verlaufen nicht nur in der Richtung, dass politische Bewegungen saturiert werden und ihre Ziele verraten; sie können auch so verlaufen, dass sich, aufgrund der Wucht, die die gesellschaftlichen Widersprüche angenommen haben, eine ursprünglich leere Hülle mit Inhalt füllt.
Die Wahrheit ist unbekannt
Augenblicklich sagt jedenfalls die Verwicklung von Benjamin Netanjahu in den Aufstieg der Hamas mehr über die israelische Politik aus als über die Hamas. Und so gut wie alle Fragen, wie und warum der 7. Oktober möglich war und was dabei wirklich geschehen ist, sind nach wie vor unklar. Die politische Führung der Hamas hat mittlerweile eine internationale Untersuchung gefordert.
Es finden sich deutliche Hinweise, dass die israelische Führung nicht halb so ahnungslos gewesen sein konnte, wie sie es dargestellt hat. Dazu gehören sowohl die ägyptische Meldung, Netanjahu sei persönlich vom ägyptischen Geheimdienst gewarnt worden, als auch Berichte, dass die israelischen Stellungen an der Grenze des Gazastreifens ungewöhnliche Aktivitäten gemeldet hatten, aber keine Reaktion darauf erfolgte. Und darüber hinaus gibt es auch Zweifel daran, wie weit die Darstellung der Ereignisse durch die israelische Regierung zutrifft.
Der Journalist Max Blumenthal hat Ende Oktober einen sehr ausführlichen Artikel auf The Grayzone veröffentlicht, in dem er unzählige Zeugenaussagen und Berichte bündelte, die aus der israelischen Presse stammen. Aussagen, wonach vielfach die israelische Armee für den Tod von Zivilisten verantwortlich war, für die die Hamas verantwortlich gemacht wurde.
"Die zunehmenden Belege für freundliches Feuer, die von Kommandeuren der israelischen Armee weitergegeben werden, machen es sehr wahrscheinlich, dass die erschütterndsten Bilder verkohlter israelischer Leichen, israelische Häuser, die in Schutthaufen verwandelt wurden, und ausgebrannter Fahrzeuge, die den westlichen Medien präsentiert wurden, tatsächlich das Werk von Panzerbesatzungen und Hubschrauberpiloten waren, die israelisches Gebiet mit Granaten, Kanonenbeschuss und Hellfire-Raketen eindeckten.
Tatsächlich entsteht der Eindruck, dass am 7.Oktober das israelische Militär mit der gleichen Taktik reagierte, die es gegen die Zivilbevölkerung von Gaza einsetzt, und durch den unterschiedslosen Einsatz schwerer Waffen den Blutzoll unter den eigenen Bürgern in die Höhe trieb."
Nachdem es keine internationale Untersuchung geben wird, zumindest nicht, solange die Regierung Netanjahu in Israel im Amt ist, gibt es keinen Weg, derzeit die vielen Zweifel zu klären. Vielleicht gibt es irgendwann einmal einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der dieses Dickicht durchdringen kann. Nicht nur die Bewertung der Organisation Hamas ist unklar, auch die tatsächlichen Ereignisse, die als Begründung für den Angriff auf Gaza dienen. Nur ein einziger Punkt ist sicher – das Bestreben, israelische Bürger als Geiseln zu nehmen, ist eine Reaktion auf tausende Palästinenser, darunter Kinder, die in israelischen Gefängnissen sitzen und oftmals auch nichts anderes sind als Druckmittel, um ihre Familien zu Gehorsam zu zwingen, also ebenfalls Geiseln.
Ein Weg durch den Nebel
Nun ist klar, dass man unter solchen Umständen nicht sagen kann: "Wir warten einfach so lange, bis in allen Punkten die Wahrheit klar ist." Gerade, wenn Handlungen stattfinden, die man zu Recht als Genozid bezeichnen kann. Klar ist aber ebenfalls, dass jede emotionale Reaktion in die Irre führen kann, weil sie notwendigerweise auf unvollständiger Information beruht.
Die mögliche Handlung besteht tatsächlich darin, auf die Einhaltung des Völkerrechts und humanitärer Grundsätze zu drängen. Dabei würde ein Waffenstillstand (nicht die kleine Kampfpause, die sich die Führung der Vereinigten Staaten so vorstellt) auch, und das ist nicht unwichtig, die Möglichkeit schaffen, dass die israelische Öffentlichkeit die Gelegenheit erhält, sich mit den aufgelaufenen Zweifeln auseinanderzusetzen und von der Regierung Netanjahu Rechenschaft zu fordern; was allerdings einen weiteren Grund liefert, warum der bereits durch ein Korruptionsverfahren bedrängte Netanjahu genau daran kein Interesse hat.
Was, wenn sich letztlich erweist, dass die Regierung Netanjahu die Ereignisse des 7. Oktober wissentlich gebilligt hat? Was, wenn sich herausstellen sollte, dass die zivilen Opfer in Israel weitgehend auf das Konto der israelischen Armee gehen? Was, wenn am Ende als Vorwurf gegen Hamas nur die Gefangennahme israelischer Bürger zum Zwecke des Austauschs übrig bleibt? Oder anders herum, wenn die alten Beziehungen zwischen Hamas und Netanjahu der Auslöser der ganzen Kette von Ereignissen waren, sie also gewissermaßen im Auftrag erfolgten? Oder es, über welche Verbindung auch immer, schlicht den Vereinigten Staaten darum ging, wieder einmal eine Runde Unruhe zu stiften? In jedem dieser Fälle führt eine Parteinahme für die politischen Strukturen, gleich auf welcher Seite, in die Irre.
Aber übrig bleiben die Anforderungen der Humanität, und eine Unterstützung jedes Bestrebens, Klarheit zu schaffen. Wenn man diesen Regeln verpflichtet bleibt, kann man selbst in langen Phasen der Unklarheit so handeln, dass für die Zukunft kein Schaden angerichtet wird. Eine Haltung, die zwar Russland und China einzunehmen vermögen, für die dem Westen aber sowohl Wille als auch Einsicht abgehen.
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unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
09.11.2023
Krieg in Nahost: Israel startet massive Luftangriffe im nördlichen Gazastreifen
freedert.online, 9 Nov. 2023 17:59 Uhr
Die Bilder und Videos aus dem Grenzgebiet des Gazastreifens und Israel schockieren die Welt. Mit dem Angriff der Hamas auf Israel kam es nun zu einer neuen Eskalation der Gewalt. Die israelische Armee startete am 9. Oktober eine unbarmherzige Militäroperation gegen den Gazastreifen.
Dieses Bild, aufgenommen von der israelischen Seite der Grenze zum Gazastreifen am 9. November 2023, zeigt einen Feuerball, der während eines israelischen Bombardements im Gazastreifen ausbricht.
Huthi bekennen sich zu Angriff auf Gebäude in Eilat
Vertreter der jemenitischen Huthi haben sich mittlerweile zu dem Angriff in der südisraelischen Stadt Eilat bekannt. Ein Sprecher der Organisation erklärte, die Huthi hätten am heutigen Tag mehrere Ziele in Israel mit ballistischen Raketen beschossen, darunter auch "militärische Ziele" in Eilat.
Die israelische Armee hatte zuvor von einer Drohne unbekannter Herkunft gesprochen, die ein ziviles Gebäude in Eilat getroffen habe. Diese habe lediglich Sachschäden verursacht, hieß es weiter. Israelische Medien meldeten unter Berufung auf das Militär, eine Schule sei beschädigt worden. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
21:39 Uhr
Israelischer Abgeordneter: Fotojournalisten aus Gaza, die den Angriff vom 7. Oktober aufgenommen haben, werden eliminiert
Der Likud-Politiker Danny Dannon, Mitglied der Knesset und Ständiger Vertreter Israels bei den Vereinten Nationen, sagte, dass alle Fotojournalisten, die Fotos oder Videos von dem Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober gemacht haben, auf eine israelische Eliminierungsliste gesetzt werden, da sie als Teilnehmer des Angriffs gelten.
Hintergrund seiner Aussage ist ein Medienbericht, in dem die Anwesenheit von Fotojournalisten am Grenzzaun zwischen Israel und dem Gazastreifen am 7. Oktober infrage gestellt wurde. Dies warf die Frage auf, ob Journalisten im Vorfeld von dem Angriff der Hamas wussten. Mehrere israelische Politiker haben die Behauptungen aufgegriffen und den Journalisten eine Beteiligung unterstellt (RT DE berichtete).
Die beschuldigten Journalisten und auch die betroffenen Zeitungen und Nachrichtenagenturen bestreiten dies teils vehement. Einige Journalisten erklärten, sie hätten nur ihre Arbeit gemacht. Die Nachrichtenorganisationen AP,Reuters und CNN haben die Zusammenarbeit mit den beschuldigten freiberuflichen Fotografen mittlerweile beendet. Die New York Times verteidigte unterdessen einen ihrer freiberuflichen Fotografen nachdrücklich und erklärte laut Al Jazeera, es seien "vage Anschuldigungen" gegen Yousef Masoud erhoben worden, für die es "keine Beweise" gebe.
"Unsere Überprüfung seiner Arbeit zeigt, dass er das getan hat, was Fotojournalisten bei großen Nachrichtenereignissen immer tun, nämlich die Tragödie zu dokumentieren, während sie sich entfaltet", heißt es in einer Erklärung der New York Times. "Wir sind sehr besorgt darüber, dass unbegründete Anschuldigungen und Drohungen gegenüber freien Mitarbeitern diese gefährden und die Arbeit, die dem öffentlichen Interesse dient, untergraben."
21:20 Uhr
Menschen in Gaza-Stadt suchen während des schweren israelischen Bombardements Schutz im Krankenhaus
20:53 Uhr
Palästinensische Gesundheitsbehörde: Mindestens 15 Tote bei israelischen Razzien im Westjordanland
Bei israelischen Razzien im besetzten Westjordanland sind nach Angaben der palästinensischen Gesundheitsbehörde mindestens 15 Palästinenser getötet und mindestens 20 weitere verletzt worden. Die Razzien hatten unter anderem in der Stadt Dschenin und dem angrenzenden Flüchtlingslager sowie in anderen Ortschaften stattgefunden.
Die israelische Armee bestätigte zunächst einen Einsatz in Dschenin, gab jedoch keine Details bekannt. Später erklärte sie, Ziel sei es, die "Sicherheit aller Bewohner der Region" zu schützen und "Terrorismus sowie Aktivitäten vorzubeugen, welche die Bürger Israels gefährden."
Die Palästinensische Rothalbmondgesellschaft gab an, dass israelische Streitkräfte auf einen ihrer Krankenwagen geschossen hätten, als dieser versucht habe, einen Verletzten zu erreichen. Die Besatzung des Krankenwagens wurde am Eingang des Flüchtlingslagers Dschenin blockiert und daran gehindert, den Ort des Geschehens zu erreichen, hieß es.
Seit Beginn des Gaza-Krieges eskaliert auch die Gewalt im besetzten Westjordanland. Ein Journalist der Nachrichtenagentur AFP berichtet, dass die Kämpfe dort auch am Nachmittag andauerten. Schwarzer Rauch sei über der Stadt Nablus und dem angrenzenden Flüchtlingslager aufgestiegen, Explosionen und Salven von Kleinwaffen zu hören gewesen.
20:11 Uhr
US-Präsident Biden: Keine Chance für Waffenstillstand
US-Präsident Joe Biden stellte klar, dass er keine Chance für einen baldigen Waffenstillstand im Gazakrieg sehe. Auf die Frage, ob es entsprechende Aussichten gebe, sagte Biden:
"Keine. Keine Möglichkeit."
In Bezug auf die von der Hamas festgehaltenen Geiseln sagte Biden, dass er noch optimistisch sei. Die US-Regierung lehnt mit Blick auf die Situation im Gazastreifen einen generellen Waffenstillstand ab und behauptet, dies würde nur der Hamas "in die Hände spielen".
19:54 Uhr
Israels Militär: Kein Waffenstillstand, lediglich "humanitäre Pausen"
Ein Sprecher der israelischen Armee stellte nun klar, dass Israel keinem Waffenstillstand (englisch: "ceasefire") im Gazastreifen zugestimmt habe, sondern lediglich zeitlich und lokal begrenzten Pausen. Laut der Nachrichtenagentur Reuters sagte Richard Hecht:
"Was wir tun, dieses Vier-Stunden-Fenster, das sind taktische, lokale Pausen für humanitäre Hilfe."
Die USA hatten zuvor mitgeteilt, dass im Norden des Gazastreifens jeden Tag vier Stunden lang keine Einsätze ausgeführt werden sollen, um Palästinensern zu ermöglichen, sich in Sicherheit zu bringen.
Die israelische Regierung beharrt auf ihrer Forderung, dass es einen Waffenstillstand mit der Hamas nur gegen die Freilassung der von ihnen festgehaltenen Geiseln geben wird. Netanjahus Büro verwies zudem auf einen Fluchtkorridor für Zivilisten im Gazastreifen vom Norden in den Süden, für dessen Nutzung Israel den Menschen zurzeit täglich für einige Stunden eine "sichere Passage" zusagt.
Auf die Frage, ob es sich bei der Stellungnahme des Büros des Ministerpräsidenten um ein Dementi der US-Ankündigung handele, ging der Sprecher Netanjahus nicht ein.
19:27 Uhr
Netanjahu wirft Pressefotografen vor, "Komplizen" des Hamas-Angriffs am 7. Oktober gewesen zu sein
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu wirft Fotografen internationaler Medien vor, beim Angriff der Hamas am 7. Oktober dabei gewesen zu sein und Bilder gemacht zu haben. Dies habe sie zu "Komplizen" der Hamas gemacht. Netanjahus Büros schreibt auf X/Twitter:
"Diese Journalisten waren Komplizen bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit, ihr Handeln verstieß gegen die Berufsethik."
Zunächst hat die Webseite HonestReporting den Verdacht geäußert, dass freie Fotografen des US-Senders CNN, der New York Times sowie der Nachrichtenagenturen AP und Reuters bei den Massakern am 7. Oktober direkt dabei gewesen seien (RT DE berichtete). Die Nachrichtenagentur AP erklärte diesbezüglich:
"AP nutzt Bilder von freien Mitarbeitern überall auf der Welt, auch in Gaza. Die Associated Press hatte keine Kenntnis von dem Angriff am 7. Oktober, bevor dieser passiert ist."
Auch Reuters dementierte, im Vorfeld vom Angriff der Hamas gewusst zu haben. Der israelischen Nachrichtenseite ynet teilte CNN mit, angesichts des Berichts habe der Sender seine Zusammenarbeit mit einem der genannten Fotografen beendet. Wenig später folgte AP dem Beispiel.
19:04 Uhr
Israels rechtsextremer Sicherheitsminister Ben-Gvir lehnt Feuerpausen ab
Israels rechtsextremer Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir verurteilte die von den USA angekündigten Feuerpausen und bezeichnete sie als "schweren Fehler", wenn sie nicht mit der Freilassung der Gefangenen verbunden werden. Er bezweifelte auch, dass das israelische Kriegskabinett die Befugnis hat, diese Entscheidung zu treffen, und forderte, dass diese Entscheidung dem Sicherheitskabinett vorgelegt wird.
Die Notstandsregierung war in den Tagen nach dem Überfall der Hamas auf Israel eingesetzt worden, nachdem Regierungschef Benjamin Netanjahu der Opposition eine vorläufige Zusammenarbeit angeboten hatte. Ben-Gvir gehört jedoch nicht zu den Politikern, die unter der Notstandsregierung als Minister vereidigt wurden.
18:52 Uhr
Drohne trifft Zivilgebäude im südisraelischen Eilat
Nach Angaben der israelischen Armee hat eine Drohne in der südisraelischen Stadt Eilat ein ziviles Gebäude getroffen. Die Herkunft der Drohne sowie der Vorfall insgesamt würden überprüft, teilte das Militär mit. Israelische Medien meldeten unter Berufung auf das Militär, eine Schule sei beschädigt worden. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
Bisher hat sich noch niemand für den Vorfall verantwortlich erklärt. In der vergangenen Woche hatten jemenitische Huthi allerdings bereits einen Angriff auf Eilat für sich beansprucht und warnten, dass weitere Attacken folgen würden, "bis die israelische Aggression aufhört" und die Palästinenser "siegreich" seien.
18:04 Uhr
Israel startet massive Luftangriffe im nördlichen Gazastreifen
Nach Angaben des palästinensischen Innenministeriums habe Israel eine "Serie von gewaltsamen Angriffen" im östlichen Teil des nördlichen Gazastreifens begonnen, die als "Feuergürtel" bezeichnet werden. Zuvor hatte das Ministerium erklärt, Israel habe auch im Nordwesten des Gazastreifens "gewaltsame Angriffe" durchgeführt.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
09.11.2023
Die arabisch-iranische Freundschaft ist eine geopolitische Realität
seniora.org, 09. November 2023, M. K. Bhadrakumar 9. November 2023 - übernommen von indianpunchline.com
Palästinenser arbeiten in den Trümmern von Gebäuden, die von israelischen Luftangriffen getroffen wurden, im Flüchtlingslager Jabalia im Norden des Gazastreifens, 1. November 2023
Der bevorstehende erste Besuch des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi in Saudi-Arabien am 13. November ist ein Meilenstein in der Annäherung zwischen den beiden Ländern, die im März von China vermittelt wurde. Im Zusammenhang mit dem palästinensisch-israelischen Konflikt erlangen die Beziehungen rasch eine qualitativ neue Ebene der Solidarität.
Damit verschieben sich die tektonischen Platten in der Regionalpolitik, die lange Zeit von den Vereinigten Staaten dominiert wurde, was nun nicht mehr der Fall ist. Die jüngste Initiative Chinas und der Vereinigten Arabischen Emirate zur Förderung eines Waffenstillstands im Gazastreifen wurde am Montag mit einem außergewöhnlichen diplomatischen Spektakel im UN-Hauptquartier in New York abgerundet, als die Gesandten der beiden Länder den Medien eine gemeinsame Erklärung vorlasen. Die USA waren nirgends zu sehen.
China und die Vereinigten Arabischen Emirate zu Gaza | Mediengespräch im Sicherheitsrat | Vereinte Nationen, 6. November 2023
Die Ereignisse seit dem 7. Oktober machen überdeutlich, dass die Versuche der USA, Israel in ihre muslimische Nachbarschaft zu integrieren, ein Wunschtraum sind – solange Israel nicht bereit ist, sein Schwert in eine Pflugschar zu verwandeln. Die Grausamkeit der israelischen Racheangriffe auf die Menschen im Gazastreifen – "Tiere" – hat den Beigeschmack von Rassismus und Völkermord.
Der Iran wusste die ganze Zeit über von der Bestialität des zionistischen Regimes. Auch Saudi-Arabien muss sich nach dem Weckruf, dass es in erster Linie lernen muss, in seiner Region zu leben, in einer gedämpften Stimmung befinden.
Raisi reist nach Saudi-Arabien vor dem Hintergrund einer historischen Verschiebung der Machtverhältnisse. König Salman hat Raisi eingeladen, auf einem Sondergipfel der arabischen Staaten, den er in Riad ausrichtet, über Israels Verbrechen gegen die Palästinenser im Gazastreifen zu sprechen. Dies ist ein Zeichen für die tiefe saudische Einsicht, dass es trotz der Bereitschaft, sich unter amerikanischem Zureden an den Abraham-Abkommen zu beteiligen, die arabische Öffentlichkeit verprellt hat.
Der westliche Diskurs über eine Achse Russland-China-Iran in Westasien ist ein Trugschluss. Dies ist eine unsinnige Fehlinterpretation. Der Iran verfolgte seit der islamischen Revolution von 1979 konsequent drei außenpolitische Grundsätze: Erstens, seine strategische Autonomie ist ihm heilig; zweitens, die Länder der Region müssen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und regionale Probleme selbst lösen, ohne außerregionale Mächte einzubeziehen, und drittens, die muslimische Einheit zu fördern, wie lang und kurvenreich dieser Weg auch immer erscheinen mag.
Die Möglichkeit dazu wurde durch die Umstände stark eingeschränkt – vor allem durch die Bedingungen, die durch die koloniale Politik des "Teile und Herrsche" der USA geschaffen wurden. Die Umstände wurden sogar absichtlich herbeigeführt, wie etwa der Irak-Iran-Krieg, in dem die USA die Staaten der Region dazu ermutigten, mit Saddam Hussein zu kollaborieren und einen Angriff auf den Iran zu starten, um die islamische Revolution in ihren Anfängen zu ersticken.
Eine weitere schmerzhafte Episode war der Syrien-Konflikt. Auch hier warben die USA aktiv bei den regionalen Staaten für einen Regimewechsel in Damaskus mit dem Ziel, den Iran mit Hilfe der von Washington im besetzten Irak gezüchteten Terrorgruppen ins Visier zu nehmen.
In Syrien war es den USA auf brillante Weise gelungen, die regionalen Staaten gegeneinander auszuspielen, und das Ergebnis ist in den Ruinen dessen, was einmal das pulsierende Herz der islamischen Zivilisation war, deutlich zu sehen. Auf dem Höhepunkt des Konflikts operierten mehrere westliche Geheimdienste ungehindert in Syrien und unterstützten die Terrorgruppen dabei, in dem Land zu wüten, dessen Kardinalsünde darin bestand, dass es ebenso wie der Iran im Kalten Krieg und in der Zeit nach dem Kalten Krieg konsequent auf seine strategische Autonomie und seine unabhängige Außenpolitik setzte.
Es genügt zu sagen, dass die USA und Israel bei der Zersplitterung des muslimischen Nahen Ostens großen Erfolg hatten, indem sie die Bedrohungswahrnehmung übertrieben und mehrere arabische Golfstaaten davon überzeugten, dass sie direkten Bedrohungen oder sogar Angriffen durch iranische Stellvertreter ausgesetzt seien, sowie von der angeblichen iranischen Unterstützung für Dissidentenbewegungen.
Natürlich haben die USA daraus Kapital geschlagen, indem sie riesige Mengen an Waffen verkauften und, was noch wichtiger ist, den Petrodollar als Schlüsselpfeiler des westlichen Bankensystems in Schwung brachten. Israel profitierte direkt von der Dämonisierung des Irans, um die Aufmerksamkeit von der Palästina-Frage abzulenken, die seit jeher das Kernproblem der Nahostkrise ist.
Es genügt zu sagen, dass die Umsetzung des iranisch-saudisch-chinesischen Abkommens die Feindseligkeit, die in den letzten Jahrzehnten zwischen Riad und Teheran bestand, verringert hat. Beide Länder versuchten, auf dem Schwung aufzubauen, der durch den Erfolg der Geheimgespräche in Peking im Hinblick auf ihre Verpflichtung zur Nichteinmischung entstanden war. Es ist jedoch anzumerken, dass sich die Beziehungen zwischen den arabischen Golfstaaten und dem Iran in den letzten zwei Jahren bereits deutlich verbessert hatten.
Was westliche Analysten übersehen, ist, dass die wohlhabenden Golfstaaten ihr subalternes Leben als Handlanger der USA satt haben. Sie wollen ihr nationales Leben in eine Richtung lenken, die sie selbst bestimmen, und mit Partnern zusammenarbeiten, die sie respektieren. Dabei wollen sie, anders als in der Ära des Kalten Krieges, kein Nullsummen-Denken aus ideologischen oder machtpolitischen Gründen.
Deshalb kann die Biden-Administration nicht akzeptieren, dass die Saudis heute mit Russland auf der OPEC+-Plattform zusammenarbeiten und ihre Verpflichtung zu zusätzlichen freiwilligen Öl-Lieferkürzungen erfüllen, während sie gleichzeitig mit den USA über Nukleartechnologie verhandeln und auf diplomatischem Weg gemeinsam mit Peking versuchen, das Feuer, das vor einem Monat in der Levante entfacht wurde, nicht auf den Rest der westasiatischen Region übergreifen zu lassen.
Offensichtlich freuen sich die Saudis nicht mehr über die Aussicht auf eine Konfrontation zwischen den USA und dem Iran. Andererseits teilen die Saudis und die Iraner die Sorge, dass ihr neues Denken, bei dem die Entwicklung im Vordergrund steht, sich in Luft auflösen wird, wenn es keine regionale Stabilität und Sicherheit gibt.
Es ist daher reine Naivität Washingtons, die Hisbollah, die Hamas und den Iran zu einer Gruppierung zusammenzufassen – wie es Blinken bei seinem jüngsten Besuch in Tel Aviv am Montag tat – und sie dem Rest der Region gegenüberzustellen. Die Behauptung, die Hisbollah und die Hamas seien "terroristische" Bewegungen, wird nun entlarvt. Um ehrlich zu sein, wie unterscheiden sie sich von Sinn Féin, die historisch mit der IRA verbunden war?
Eine solche Naivität unterstreicht das absurde amerikanisch-israelisch-indische Vorhaben, einen westasiatischen QUAD 2 ("I2U2") zu schaffen, das heute lächerlich wirkt – oder den quixotischen Plan, der kürzlich in Neu-Delhi während des G20-Gipfels ausgebrütet wurde, um die Saudis in das Projekt des Korridors Indien-Mittlerer Osten-Europa zu holen, in der Hoffnung, Israel zu "integrieren" und den Hafen von Haifa zu beleben, den Iran und die Türkei zu isolieren, den von Russland geführten internationalen Nord-Süd-Korridor in den Schmutz zu ziehen und Pekings "Belt and Road" den Mittelfinger zu zeigen. Das Leben hingegen ist real.
Alles in allem ist die regionale Reise des US-Außenministers Antony Blinken nach Israel und sein Gipfeltreffen mit einer ausgewählten Gruppe arabischer Staaten in Amman am vergangenen Wochenende zu einem entscheidenden Moment in der Gaza-Krise geworden.
Die arabischen Außenminister weigerten sich rundheraus, auf die unlauteren Vorschläge einzugehen, die Blinken in der böswilligen Absicht unterbreitet hatte, jüdische Interessen zu wahren – "humanitäre Pause" statt Waffenstillstand; Flüchtlingslager für die Menschen aus Gaza, die vor Israels schrecklichen, brutalen Angriffen fliehen, die mit arabischem Geld finanziert würden, aber letztlich zu jüdischen Siedlungen in Gaza führen würden; Konturen einer Nachkriegsregelung für den Gazastreifen, bei der die palästinensische Autonomiebehörde mit den Trümmern fertig wird und der Wiederaufbau von den Golfstaaten finanziert wird, während Israel in der so wichtigen Sicherheitssphäre weiterhin die Vorherrschaft behält; Verhinderung, dass der Iran der Hisbollah und der Hamas zu Hilfe kommt, während diese in den israelischen Fleischwolf amerikanischer Bauart gesteckt werden.
Das war pure Scheinheiligkeit. Die arabischen Außenminister sprachen mit einer Stimme, um ihren Gegenvorschlag zu Blinkens Vorschlag zu formulieren – sofortiger Waffenstillstand. Präsident Biden scheint endlich die Zeichen der Zeit zu erkennen – auch wenn er im Grunde immer noch die Nummer eins der Zionisten der Welt ist, wie ihn jemand einmal genannt hat, und seine Beweggründe größtenteils von seinem eigenen politischen Überleben getragen werden, da die Wahl 2024 näher rückt.
Wie dem auch sei, es ist sehr wahrscheinlich, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis die Weltgemeinschaft darauf besteht, den israelischen Apartheidstaat in seinem Lauf zu stoppen. Denn wenn sich die muslimischen Länder zusammenschließen, haben sie in der entstehenden multipolaren Weltordnung das Sagen. Ihre Forderung, dass eine Lösung des Palästina-Problems keinen weiteren Aufschub duldet, hat auch in der westlichen Hemisphäre Anklang gefunden.
Gemeinsame Pressekonferenz von Botschafter Zhang Jun, Ständiger Vertreter Chinas bei den Vereinten Nationen, und Lana Zaki Nusseibeh, Ständige Vertreterin der Vereinigten Arabischen Emirate bei den Vereinten Nationen, zur humanitären Lage im Gazastreifen.
China und die Vereinigten Arabischen Emirate zu Gaza | Mediengespräch im Sicherheitsrat | Vereinte Nationen, 6. November 2023
Transkript (Auszug)
Zhang Jun:
Guten Abend, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Vereinigten Arabischen Emirate und China haben diese Sitzung einberufen, um ihre tiefe Besorgnis über die anhaltenden Angriffe Israels auf Krankenhäuser, Flüchtlingslager, Schulen, UN-Gebäude, Gebetsstätten und andere zivile Einrichtungen im Gazastreifen zum Ausdruck zu bringen, darunter in jüngster Zeit auf die Flüchtlingslager Dschabaliya und Al-Maghazi, die Al-Fakhura Schole im Flüchtlingslager Dschabaliya und das Al-Shifa Krankenhaus in Gaza-Stadt.
Wie der Generalsekretär heute Morgen erklärt hat, handelt es sich um eine Krise der Menschlichkeit. In weniger als einem Monat sind mehr als 10.000 Palästinenser im Gazastreifen getötet worden, und während wir hier sprechen, werden weiterhin palästinensische Zivilisten getötet. Kinder sind (unverständlich). Wie mehrere UN-Beamte bereits festgestellt haben, wird der Gazastreifen zu einem Friedhof für Kinder. Keiner ist mehr sicher. Niemand ist sicher. In vier Wochen sind mehr UN-Helfer und Journalisten getötet worden als in jedem anderen Monat eines Konflikts seit Jahrzehnten. Die palästinensische Zivilbevölkerung wird auch der für ihr Überleben notwendigen Dinge beraubt.
Inmitten dieser katastrophalen Situation betonen wir die Notwendigkeit, dass der Sicherheitsrat dringend handelt und eine sinnvolle und umsetzbare Resolution verabschiedet. In den letzten Wochen haben die Mitglieder des Sicherheitsrates unermüdlich auf dieses Ziel hingearbeitet. Wir fordern einen dringenden humanitären Waffenstillstand.
Der Generalsekretär hat gerade heute Morgen den gleichen Aufruf gemacht: Eine humanitäre Feuerpause jetzt!
Dies ist dringend notwendig, um einen vollständigen, schnellen, sicheren und ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe zu ermöglichen, auch für UN- und humanitäres Personal. Im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht fordern wir alle Parteien auf, dringend Schritte zur Einstellung der Feindseligkeiten zu unternehmen, um den Schutz der Zivilbevölkerung zu gewährleisten. Wir fordern, dass die Konfliktparteien die kontinuierliche, ausreichende und ungehinderte Versorgung der Zivilbevölkerung im gesamten Gazastreifen mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen sicherstellen. Dazu gehören Strom, Wasser, Treibstoff, Lebensmittel und medizinische Versorgung in ausreichendem Umfang und auf Dauer.
Nun wird Botschafterin Nusseibeh fortfahren.
Lana Zaki Nusseibeh:
Wie wir heute in unseren Briefings gehört haben, können die Zivilisten in Gaza nicht einmal in UN-Einrichtungen, Schulen, Krankenhäusern und Flüchtlingslagern Schutz finden. Diese zivilen Einrichtungen wurden unter Verstoß gegen das Völkerrecht angegriffen. Ihr Schutzstatus muss unbedingt aufrechterhalten werden. Wir verurteilen alle Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, alle Gewalt gegen Zivilisten, einschließlich aller terroristischen Akte und wahllosen Angriffe. Wir verurteilen die Angriffe der Hamas auf Israel am 7. Oktober. Wir verurteilen auch die wahllosen Angriffe Israels auf den Gaza-Streifen.
Wir sind zutiefst besorgt über die anhaltende Geiselnahme und fordern die sofortige und bedingungslose Freilassung aller Geiseln sowie deren Sicherheit und menschenwürdige Behandlung im Einklang mit dem Völkerrecht. Aber auch die Tötung und Verstümmelung von Kindern, die Angriffe auf Schulen und Krankenhäuser im Gazastreifen und die Verweigerung des Zugangs von Kindern zu humanitärer Hilfe sind schwerwiegende Verstöße gegen Kinder.
Wir rufen alle Parteien auf, ihren Verpflichtungen aus dem humanitären Völkerrecht, einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung und der zivilen Infrastruktur, uneingeschränkt nachzukommen. Wir bekräftigen, dass die Parteien Maßnahmen ergreifen müssen, um die Sicherheit und das Wohlergehen der Zivilbevölkerung und ihren Schutz sowie den Schutz des humanitären und medizinischen Personals, des UN-Personals und der Journalisten zu gewährleisten.
Kriege haben Regeln und diese müssen eingehalten werden. Wir danken Ihnen.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
09.11.2023
Biden und westliche Medien erzählen ungeheuerliche Lügen … Das ist Völkermord mit US-Atomwaffendrohung
Die angebliche Sorge der Regierung Biden, einen regionalen Krieg zu verhindern, ist eine weitere zynische List, schreibt Finian Cunningham.
In den westlichen Medien wird uns erzählt, dass das israelische Regime die Aufrufe der Biden-Administration zu “humanitären Pausen” in seinem “Krieg gegen die Hamas” – der in Wirklichkeit kein Krieg, sondern ein Massenschlachten von Palästinensern ist – zu kurz kommen lässt.
Amerikanische und westliche Medien berichten, dass der amerikanische Präsident Joe Biden “besorgt” ist über die steigende Zahl der Todesopfer unter der Zivilbevölkerung nach mehr als vier Wochen israelischer Belagerung und ununterbrochenem Luftangriff auf den Gazastreifen, eine Küstenenklave, die der Fläche von Detroit entspricht.
Biden schickte seinen Spitzendiplomaten Antony Blinken auf eine Rundreise durch den Nahen Osten, offenbar in dem Versuch, Israel zu einer “humanitären Pause” bei seiner Offensive gegen die überwiegend zivile Bevölkerung zu bewegen. Israels Premierminister Benjamin Netanjahu lässt sich davon nicht beeindrucken und setzt die Bodeninvasion seiner Streitkräfte fort.
Die Scharade, die hier von den westlichen Medien präsentiert wird, besteht darin, dass Washington in gewisser Weise als Bremser auftritt. Und das nicht sehr erfolgreich. Eine wohlmeinende, unglückliche ausländische Macht, die versucht, einem Verbündeten zu helfen, aber auch um humanitäres Leid besorgt ist.
Das ist völliger Blödsinn. Erstens führt Israel einen Völkermord an einer Bevölkerung von 2,3 Millionen Menschen durch, in der eine militante Gruppe, die Hamas, lebt, die 1 Prozent dieser Bevölkerung ausmacht. Das ist so, als würde man einen See in die Luft jagen, um die Fische zu töten.
Die mörderischen Angriffe der Hamas am 7. Oktober gegen Israel, die 1.400 tote Israelis zur Folge hatten (von denen viele offenbar von israelischen Sicherheitskräften unter Anwendung übermäßiger Gewalt getötet wurden), sind keinerlei Rechtfertigung für die anschließende Vernichtung von mehr als 10.000 Palästinensern im Gazastreifen sowie von über 130 Palästinensern im Westjordanland. Nahezu 70 Prozent der Opfer sind Frauen und Kinder.
Es handelt sich hier nicht um ein Recht auf Selbstverteidigung, wie die Regierung Biden und andere westliche Regierungen immer wieder behaupten und Israel damit einen Anschein von politischer Deckung verschaffen. Es ist eine Lizenz zum Massenmord.
Dies ist Völkermord.
Die Vorstellung, die Vereinigten Staaten seien irgendwie besorgt über den Tod von Palästinensern unter der Zivilbevölkerung und würden handeln, um Israel zurückzuhalten, wird durch Folgendes widerlegt:
Die Regierung Biden hat die Lieferung von präzisionsgelenkten Bomben im Wert von 320 Mio. Dollar für Israel genehmigt. Dies ist zusätzlich zu dem größeren Militärhilfepaket von 14 Milliarden Dollar, über das der US-Kongress derzeit abstimmt.
Mehr noch als dieses grüne Licht ist jedoch die atomare militärische Unterstützung, die die Vereinigten Staaten in der Region eilig zusammengezogen haben. Die Positionierung dieser furchterregenden Macht, die nur wenige Meilen von dem Küstengebiet entfernt geparkt ist, in dem Israel einen mörderischen Blitzkrieg führt, spricht Bände. Nur die westlichen Medien verzerren die offensichtliche monströse Kriminalität dessen, was wirklich vor sich geht.
Das US-Zentralkommando, das für die Region des Nahen Ostens zuständig ist, hat die Ankunft eines atomgetriebenen U-Boots angekündigt. Das Schiff wird sich zwei nuklearfähigen Flugzeugträger-Kampfgruppen anschließen, die bereits in das östliche Mittelmeer entsandt wurden.
Das Pentagon veröffentlichte auch ein Foto von nuklearfähigen B-1 Lancer-Bombern, die neu in den Nahen Osten entsandt wurden.
Die sehr öffentlichen Ankündigungen dieser “strategischen Waffen” durch die Vereinigten Staaten – normalerweise werden die Standorte solcher Anlagen nicht bekannt gegeben – werden als kalkulierte, provokative und unheilvolle Drohung an den Iran und andere Parteien im Nahen Osten, wie Syrien und die Hisbollah im Libanon, angesehen.
US-Verteidigungsminister Lloyd Austin äußerte diese Drohung am Wochenende in einem Telefonat mit seinem israelischen Amtskollegen Yoav “Palästinenser sind menschliche Tiere” Gallant. Austin “bekräftigte die Verpflichtung der USA, jeden staatlichen oder nichtstaatlichen Akteur abzuschrecken, der versucht, diesen Konflikt zu eskalieren”.
CIA-Direktor William Burns besucht diese Woche ebenfalls Israel, um Tel Aviv zu unterstützen und andere Staaten und Parteien zu warnen, nicht einzugreifen, um die mörderische Offensive in Gaza zu stoppen.
Antony Blinken, der US-Außenminister, hat auf seiner jüngsten Nahost-Reise eine ähnlich deutliche Warnung an den Iran und andere Staaten gerichtet, während er sich angeblich um “humanitäre Pausen” bemüht. Blinken sagte: “Denkt nicht einmal daran”, amerikanische Streitkräfte in der Region anzugreifen, sonst droht eine überwältigende Vergeltung.
Als Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah letzte Woche eine mit Spannung erwartete Rede hielt, überraschte er viele Beobachter, indem er davon absah, Israel zur Unterstützung der Palästinenser den offenen Krieg zu erklären. Es scheint, dass Nasrallah die Drohungen Israels und seines US-Schirmherrn beherzigt. (Und wer könnte ihm das verdenken!)
Israels Netanjahu warnte die Hisbollah, dass jede Ausweitung des Krieges zu einer militärischen Antwort führen würde, die man sich “nicht vorstellen kann”. Diese Formulierung kann nur eine Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen bedeuten.
Solch verrücktes Gerede über den Einsatz von Atomwaffen wurde von einem der Minister des Kabinetts Netanjahu, Amichai Eliyahu, am Wochenende in einem Radiointerview offen geäußert. Netanjahu wies seinen Minister später zurecht, aber die Zurechtweisung schien nur der Öffentlichkeitsarbeit zu dienen, sonst nichts.
Die drastische Positionierung von US-Atomwaffen im östlichen Mittelmeerraum und das Aussprechen von beispiellosen Drohungen an den Iran, die Hisbollah und andere hat nichts mit der amerikanischen Sorge zu tun, eine Eskalation des Krieges in der Region zu verhindern. So wird es von der Regierung Biden und den westlichen Medien dargestellt.
Wie absurd, diese Vorstellung auch nur in Erwägung zu ziehen. Nein, die unverblümte Wahrheit ist, dass die USA das faschistische israelische Regime mit Waffen ausstatten, damit es seinen Völkermord an den Palästinensern mit so wenig Widerstand wie möglich durchführen kann. Die Drohungen – einschließlich des Einsatzes von Atomwaffen – sollen sicherstellen, dass der Völkermord in keiner Weise von Nationen und Parteien behindert wird, die die Palästinenser legal unterstützen könnten.
Wie die Rhetorik über Selbstverteidigung, humanitäre Pausen usw. ist auch die angebliche Sorge der Regierung Biden, einen regionalen Krieg zu verhindern, eine weitere zynische List. Es geht nicht darum, einen größeren Konflikt zu stoppen. Es ist ein grotesker verbaler Deckmantel für einen Völkermord unter dem Schutz von Atomwaffen.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
09.11.2023
Offener Brief von Oliver Ginsberg: Schluss mit der Anmaßung für Juden zu sprechen
seniora.org, 09. November 2023, Oliver Ginsberg 02.11.2023
Oliver Ginsberg entgegnete mit seinem Protestschreiben dem unsäglichen "Offenen Brief der mehr als 1000 Autoren für Solidarität mit den in Deutschland, Österreich und der Schweiz lebenden Jüdinnen und Juden und dem Staat Israel"
An die Unterzeichnenden des Offenen Briefes,
als Nachkomme einer jüdischen Familie, die unter dem Faschismus bis auf eine Person ausgelöscht wurde melde ich hiermit meinen schärfsten Protest an gegenüber ihrer Anmaßung für Jüdinnen und Juden in diesem Land sprechen zu wollen. Noch leben Menschen in diesem Land, die selbst oder deren Eltern und Großeltern Opfer der Shoah wurden. Diese haben eine eigene Stimme und benötigen ihre bevormundende, geschichtsvergessene und eurozentristische Fürsprache nicht.
Im Übrigen hat auch der Staat Israel nicht das Recht für uns zu sprechen. Dieser Staat ist selbst das Ergebnis einer Kolonialisierungsideologie, die in ihrem völkisch-chauvinistischen Gepräge den rassistischen Kolonialisierungs- und Missionierungsbemühungen früherer Jahrhunderte in nichts nachsteht. Wenn ihnen angesichts der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, welche die israelischen Streitkräfte schon zum wiederholten Mal an der palästinensischen Zivilbevölkerung verübt haben, angesichts des seit Jahrzehnten andauernden, illegalen und gewaltsamen Siedlerkolonialismus, angesichts der tausendfachen Schikanen, Verhaftungen und Folterungen in israelischen Gefängnissen nichts anderes einfällt als eine apologetische Bestätigung israelischer Selbstverteidigungsdoktrin, die nichts anderes ist als eine Legitimierung von Massenmord, dann wäre es besser ganz zu schweigen. Hören Sie auf in moralischer Überheblichkeit zu schwelgen. Sie haben nichts, rein gar nichts aus der Geschichte der Shoah gelernt.
Wer Israel jetzt noch unterstützt, setzt sich nicht für Jüdinnen und Juden und deren Nachkommen ein, sondern für ein militaristisch-koloniales Staatsprojekt, welches kein Existenzrecht für sich beanspruchen kann. Es sind MENSCHEN, die ein Existenzrecht und Recht auf ein Leben in Würde und Freiheit haben. Staaten, welche dieses Recht systematisch und mit derartiger Grausamkeit mit Füßen treten, haben jedes Existenzrecht verwirkt, auch wenn sie sich ein fassadendemokratisches Mäntelchen umhängen.
Was am 7. Oktober tatsächlich geschehen ist wird vielleicht die Zukunft zeigen. Was wir bereits jetzt wissen ist, dass die weit verbreiteten Narrative von geköpften Babys und Vergewaltigungen durch nichts belegt sind und dass viele Israelis im "friendly fire" ihrer eigenen Armee ums Leben kamen. Ein großer Teil der Getöteten auf israelischer Seite waren laut Ha'aretz Soldaten und Polizeikräfte. Es ist richtig, religiösen und nationalen Fanatismus und den Tod von Zivilisten zu verurteilen. Das gilt jedoch für beide Seiten und schon wegen des Umfangs noch viel mehr für die zionistische. Sie jedoch ziehen es vor, einer bequemen Staatsraison zu folgen, der zufolge die palästinensische Bevölkerung kein Recht auf bewaffneten Widerstand gegen die israelische Besatzungs- und Vertreibungspolitik hat, Israel aber jedes noch so grauenhafte Kriegsverbrechen begehen darf und ungeschoren davonkommt.
Hören Sie endlich einmal den Jüdinnen und Juden zu, die sich konsequent auf die Seite der palästinensischen Seite gestellt haben. Folgen Sie Abigail Martin, Miko Peled, Norman Finkelstein, Gabor Maté, Noam Chomsky u.a. welche zu der Minderheit derjenigen gehören, welche diesen Konflikt in seinen wahren historischen und moralischen Kontext stellen. Und bitte, bitte verschonen Sie uns mit Ihren jämmerlichen Krokodilstränen. Wir werden nicht von Kritik an Israel bedroht, sondern von einem Mangel an Empathie politischer Entscheidungsträger in Deutschland selbst, welche - indem sie ihre völlige Kritiklosigkeit an Israel äußern - diejenigen verhöhnen, die am meisten unter Faschismus und Rassismus gelitten haben.
Solange von Ihnen keine Besinnung und kein Bedauern bezüglich ihrer einseitigen und inakzeptablen Stellungnahme wahrzunehmen ist, werde ich die Unterschriftenliste nunmehr als literarischen Leitfaden verwenden, zu Autorinnen und Autoren, deren Werke keinen wesentlichen kulturellen Beitrag mehr versprechen.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
09.11.2023
Geldbrief #52: Wo die Regeln der Klima- und Finanzpolitik nicht zusammenpassen
Diese Woche freuen wir uns sehr über einen Gastbeitrag unserer niederländischen Partner des Institute for Public Economics (https://en.instituut-pe.nl) (IPE). IPE hat sich angesehen, inwieweit die europäischen Regeln zu Klima- und Finanzpolitik zusammenpassen. Dabei stoßen Jasper J. Van Dijk und Vinzenz Ziesemer auf eine fundamentale Inkohärenz.
Zentrale Aussagen
Wir zeigen, dass es eine grundlegende Diskrepanz zwischen Fiskalrahmen und Klimazielen gibt. Die Verpflichtung zu Netto-Null-Emissionen und die Auswirkungen dieser Verpflichtung auf das Wirtschaftswachstum wurden nicht in die Fiskalregeln aufgenommen. Die EU hat versucht, zwei unterschiedliche und sehr komplexe Probleme - Klimaneutralität und Schuldentragfähigkeit - in relativ einfache und prägnante, aber völlig getrennten politischen Regeln zu erfassen. Dies war (bzw. ist) für sich genommen schon eine Herausforderung, vernachlässigt aber die Komplexität der Wechselwirkungen zwischen den beiden Problemen.
Schlechte Fiskalregeln können zu politischen Fehlern führen. Wir beleuchten, wie fiskalische Zwänge dazu führen können, dass klimapolitische Entscheidungsträger:innen zu lange zögern, gegen die Förderung von Innovationen voreingenommen sind oder die wirtschaftlichen Kosten von Regulierungen nicht berücksichtigen. Infolgedessen könnten fiskalische Zwänge die Risiken bei der Schuldentragfähigkeit erhöhen, anstatt sie zu verringern. All diese Fälle sind mit Wohlfahrtskosten verbunden.
Ein weiteres mögliches Ergebnis ist, dass die Klimaziele nicht erreicht werden. Dies kann aus zwei Gründen geschehen. Wenn Entscheidungsträger:innen zögern, dann steigen die Kosten für die Erreichung der Klimaziele und es wird schwieriger Klimaschutzmaßnahmen politisch zu verkaufen. Zweitens können falsche politische Entscheidungen (zwischen verschiedenen Instrumenten wie Steuern, Subventionen und Vorschriften) unnötige Kosten verursachen, wodurch die notwendige Transformation ebenfalls schwieriger wird.
Hintergrund
Die Europäische Union hat sich verpflichtet, bis 2050 der erste "klimaneutrale Block" der Welt zu werden.[1] (#1) Um dieses Ziel zu erreichen, ist in den kommenden 25 Jahren ein struktureller Umbau der Wirtschaft erforderlich. Dafür müssen die EU und ihre Mitgliedstaaten ein ausgeklügeltes Bündel politischer Maßnahmen aus Subventionen, Vorschriften und Steuern entwickeln, um den erforderlichen Wandel herbeizuführen. Der europäische Green Deal ist ein wichtiger Teil dieser Bemühungen.
Derzeit reichen die klimapolitischen Maßnahmen nicht aus, um das Versprechen, bis 2050 klimaneutral zu sein, einzulösen. Die Europäische Kommission schätzt, dass in der gesamten EU zusätzliche 950 bis 1.200 Milliarden Euro jährlich an grünen Investitionen erforderlich sind, um die erklärten Klimaziele zu erreichen.[2] (#2) Ein erheblicher Teil der erforderlichen grünen Investitionen wird wahrscheinlich öffentlich finanziert werden.
Damit kommen wir zu den Fiskalregeln: Mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) haben sich die EU-Mitgliedstaaten verpflichtet, die Stabilität der Wirtschafts- und Währungsunion zu wahren, indem sie Defizit und Schulden begrenzen.[3] (#3) Ein wichtiger Faktor bei der Bestimmung dieser Stabilität ist die Schuldentragfähigkeitsanalyse (DSA), welche die zukünftige Schuldenquote für ein Land prognostiziert. Das meiste von dem, was wir beschreiben, gilt auch für die einzelnen Mitgliedstaaten (und sogar für Länder außerhalb der EU), da viele von ihnen eine Art "Fiskalrahmen" verwenden, um zu bestimmen, welche Höhe des staatlichen Überschusses oder Defizits als akzeptabel gilt. DSAs sind das häufigste Analyseinstrument dafür.
Sowohl Staatsausgaben als auch Wirtschaftswachstum können durch klimapolitische Maßnahmen stark beeinflusst werden, sodass eine enge Verbindung zwischen der Schuldenquote und den Klimazielen besteht. Klimapolitik kann teuer sein und gleichzeitig kann eine CO[2]-Bepreisung auch Staatseinnahmen generieren. Klimapolitik kann dazu führen, dass einige Sektoren schrumpfen und andere wachsen, was auch die Gesamtleistung der Wirtschaft beeinflusst.
Fiskalregeln verzögern Klimamaßnahmen
Politiker:innen könnten geneigt sein, Klimaschutzmaßnahmen zu verzögern. Die Vorteile einer Netto-Null-Emissionswelt sind weit entfernt und abstrakt, während die Kosten der Klimapolitik greifbar und konkret sind. Die Menschen machen sich Sorgen, dass ihr Leben teurer wird, dass sie den Zugang zu erworbenen Luxusgütern oder ihren Arbeitsplatz verlieren. Politiker:innen sind für diese Sorgen sensibilisiert, sodass sie einen Anreiz haben, das Problem an ihre:n Nachfolger:in weiterzureichen.
Derzeit werden die Klimaziele in den Haushaltsplänen nicht berücksichtigt. So wie die EU-Fiskalregeln heute aufgebaut sind, können die Mitgliedstaaten Finanzpläne vorlegen, die zwar die fiskalpolitischen Regeln einhalten, aber nicht die zur Erreichung der Klimaziele erforderlichen Maßnahmen enthalten. Das Gleiche gilt für die Haushaltspläne der einzelnen Länder innerhalb und außerhalb der EU. Kohärent zusammengedachte fiskal- und klimapolitische Ziele in der politischen Entscheidungsfindung wären eine enorme Verbesserung, da die beiden Bereiche von Natur aus miteinander verbunden sind. Das würde aber nicht ausreichen.
Selbst wenn die Finanzpläne die Klimaziele berücksichtigen, werden Effizienzverluste durch eine ungeordnete Transformation in DSAs nicht angezeigt. Jeder Zeitverlust, der durch verzögerte Klimaschutzmaßnahmen entsteht, muss in späteren Jahren aufgeholt werden, um die Klimaziele noch zu erreichen. Aber die Auswirkungen, die eine verzögerte Transformation auf die Wirtschaft haben kann, werden in einer DSA nicht berücksichtigt. Die Kosten der Verzögerung werden allerdings irgendwann auftauchen und die Transformation zu Klimaneutralität erschweren. Folglich kann diese Verzerrung nicht nur zu ineffizienter Klimapolitik führen, sondern auch dazu, dass die Klimaziele überhaupt nicht erreicht werden.
Aufgeschobene Klimaschutzmaßnahmen sind teurer
Die Forschung zeigt, dass klimapolitische Maßnahmen idealerweise möglichst früh eingeführt und im Laufe der Zeit schrittweise verschärft werden sollten.
[4] (#4) Das Netzwerk der Zentralbanken und Aufsichtsbehörden für die Ökologisierung des Finanzsystems (NGFS) nennt dies eine geordnete Transformation. Demgegenüber steht eine ungeordnete Transformation, die höhere Übergangsrisiken birgt, weil weitreichende Klimamaßnahmen erst ab 2030 umgesetzt werden, dann aber einschneidender sein müssen, um die Klimaziele noch zu erreichen.
Eine verzögerte Klimapolitik zwingt die EU zu einer ungeordneten Transformation. Dies wäre kostspieliger und würde sich wahrscheinlich insgesamt stärker negativ auf das Wirtschaftswachstum auswirken. Die Bundesbank hat kürzlich die unterschiedlichen Auswirkungen einer geordneten und ungeordneten Transformation auf die EU-Wirtschaft miteinander verglichen.[5] (#5) Verzögerte Klimaschutzmaßnahmen führen kurzfristig zu einem höheren Wirtschaftswachstum, langfristig aber zu einem Rückgang der Wirtschaft (siehe Abbildung 1).
Abbildung 1
Der Fiskalrahmen ist einseitig auf Steuerfinanzierung ausgerichtet
Der fiskalische Rahmen ist voreingenommen gegen Wachstum und Investitionen.
Das ist ein bekanntes Problem. Nehmen wir an, eine Regierung gibt Geld für die Bildungspolitik in einer Weise aus, von der man erwartet, dass sie die Wirtschaft produktiver macht. Diese Maßnahme wirkt sich negativ auf den fiskalischen Spielraum der Regierung aus, da der Fiskalrahmen zwar die Kosten, aber nicht den Nutzen (ein langfristig höheres BIP) berücksichtigt. Das liegt daran, dass in DSAs angenommen wird, dass politische Maßnahmen sich nicht auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit auswirken. Das Ergebnis ist eine Tendenz zur Begrenzung der öffentlichen Verbindlichkeiten und weg von einer wachstumsfördernden Politik.
Im aktuellen Ansatz sind Steuern zwangsläufig die beste Art der Klimapolitik. Klimaausgaben sind in den derzeitigen fiskalischen Rahmenbedingungen ein unattraktives politisches Instrument, da sie die Schuldenquote erhöhen. Ordnungsrechtliche Klimamaßnahmen hingegen haben keine Auswirkungen auf die Staatsausgaben und Steuern erhöhen sogar die Staatseinnahmen, wodurch die Schuldenquote sinkt. Unter dem Blickwinkel des derzeitigen Regelwerks werden daher Steuern, gefolgt von Regulierungen, aus fiskalischer Sicht grundsätzlich überlegen sein, wenn politische Entscheidungsträger nach Instrumenten zur Erreichung von Klimazielen suchen.
Wenn wir die Auswirkungen der Klimaziele auf das BIP betrachten, ändert sich dieses Bild. DSAs gehen in der Regel davon aus, dass die Größe der Wirtschaft gegeben ist (zumindest in Bezug auf die Klimapolitik). Das ist unplausibel. Die Politik diskutiert tagein, tagaus, wie wir es schaffen, trotz CO[2]-Einsparungen Wachstum zu erhalten. Kluge Ausgaben können helfen, das Wachstum zu erhalten und führen so möglicherweise zu einer niedrigeren Schuldenquote, als wenn die Ausgabe unterlassen wird. Nehmen wir zum Beispiel eine Subvention für eine neue grüne Technologie. Dies könnte die Innovation innerhalb des Sektors steigern, insbesondere wenn es externe Effekte, wie z. B. Wissens-Spillovers, gibt, die dazu beitragen, die Kosten für neue Technologien zu senken. Diese externen Effekte können das BIP langfristig erhöhen und somit die künftige Schuldenquote senken. Dieser positive Aspekt wird in der DSA jedoch nicht berücksichtigt. Folglich werden die realen fiskalischen Auswirkungen einer solchen
Subvention positiver sein als im aktuellen fiskalischen Rahmenwerk angenommen.
Ebenso könnte beispielsweise ein Verbot der Nutzung fossiler Brennstoffe zur Stromerzeugung negative Auswirkungen auf das BIP haben. Dies kann der Fall sein, wenn Unternehmen ihre Produktion verringern, schließen oder ins Ausland verschieben. Diese negative Auswirkung auf das BIP und letztlich die Schuldenquote wird ebenfalls nicht in der DSA berücksichtigt. Infolgedessen werden die fiskalischen Auswirkungen einer solchen Regelung schwerwiegender sein, als im aktuellen Rahmen prognostiziert.
Kohärente Politik erfordert die Schizophrenie zwischen Klima- und Finanzpolitik zu überwinden
Das fehlende Bindeglied zwischen fiskalpolitischem Steuerungs- und Klimarahmen ist bisher kaum beachtet worden. Stattdessen hat man sich auf die wirtschaftlichen und steuerlichen Kosten des Klimawandels konzentriert.[6] (#6) Hier befindet sich Europa jedoch in einer relativ privilegierten Position. Die Auswirkungen innerhalb der EU werden im Vergleich zu vielen afrikanischen und südostasiatischen Ländern wahrscheinlich begrenzt sein, zumindest in Szenarien, in denen die globalen Klimaabkommen eingehalten werden.[7] (#7)
Um klimapolitische Maßnahmen in vollem Umfang einschätzen und bewerten zu können, müssen wir nicht nur ihre öffentlichen Kosten und ihre Auswirkungen auf die Treibhausgasemissionen, sondern auch ihre Auswirkungen auf die Wirtschaft berücksichtigen. Es gibt zwei zentrale Ursachen für die Diskrepanz zwischen Fiskalrahmen und Klimazielen. Erstens verlangen die fiskalischen Regeln keine politischen Maßnahmen, welche die klimapolitischen Verpflichtungen einhalten. Aktuell können die politischen Entscheidungsträger ein Maßnahmenbündel vorschlagen, die zwar aus fiskalischer Sicht akzeptabel sind, aber nicht ausreichen, um ihre Klimaverpflichtungen zu erfüllen. Zweitens werden die Auswirkungen der Klimapolitik auf das BIP nicht berücksichtigt.
In zukünftigen Arbeiten werden wir Wege zu einem Fiskalrahmen aufzeigen, der die klimatischen Beschränkungen respektiert. Dazu müssen die beiden Hauptursachen beseitigt werden. Das bedeutet, dass der Ausgangspunkt bei der Erstellung von DSAs sein muss, dass die Klimaziele durchgesetzt werden. Es bedeutet auch, dass die Auswirkungen auf das BIP berücksichtigt werden müssen, damit die Politik (wirtschaftliche) Schäden, die durch die klimatischen Einschränkungen verursacht werden, abmildern kann. Die Berücksichtigung der BIP-Effekte stellt hohe Anforderungen an die Wirtschafts- und Klimamodellierung. Doch ohne diese Schritte wird die grundsätzliche Diskrepanz zwischen dem Fiskalrahmen und den Klimazielen bestehen bleiben, was zu ineffizienten klimapolitischen Entscheidungen führt - und vielleicht sogar die Transformation insgesamt gefährdet.
+ Am 7.11. hat Max die Buchvorstellung von Branko Milanovićs neuem Buch „Visions of Inequality (https://www.hup.harvard.edu/catalog.php?isbn=9780674264144) “ moderiert. Branko Milanović stellte zuerst das Buch vor und anschließend gab es eine Q&A.
+ Heute am 9.11. hat Philippa beim 3. Bundesweiten Wirtschaftslehrer:innentag der Joachim Herz Stiftung (https://www.joachim-herz-stiftung.de/) eine Keynote zu „Steigende Staatsverschuldung – sind wir auf dem Weg in eine neue Finanzkrise?“ gehalten.
+ Ebenfalls heute am 9.11. war Max bei der Fraktion Die Linke im Europäischen Parlament und diskutierte dort zum Thema „Green Industrial Plan and the Left: A window of opportunity for people and climate?“.
* Veranstaltungen
+ Am 22. und 23.11. wird die zweite Konferenz unseres European Macro Policy Netzwerks (EMPN) in Wien stattfinden. Der erste Tag wird den Mitgliedern des EMPN vorbehalten sein. Der zweite Tag ist öffentlich zugänglich und steht thematisch unter dem Motto „Fiscal policy for the 21st century: meeting economic, social and climate challenges“. Sprechen werden u.a. Jakob von Weizsäcker, Jeromin Zettelmeyer, Philippa Sigl-Glöckner und Helene Schuberth. Zur Anmeldung vor Ort geht es hier (https://wiiw.ac.at/e-640.html) , die Konferenz wird außerdem per Livestream auf unserem Youtube-Kanal (https://www.youtube.com/@dezernatzukunft) übertragen.
Der Geldbrief ist unser Newsletter zu aktuellen Fragen der Wirtschafts- Fiskal- und Geldpolitik. Über Feedback und Anregungen freuen wir uns. Zusendung an ** philippa.sigl-gloeckner (mailto:philippa.sigl-gloeckner@dezernatzukunft.org)
09.11.2023
09.11.2023
Über 4000 getötete Kinder in Gaza fallen für Bundesregierung unter „Recht auf Selbstverteidigung“
nachdenkseiten.de, 09. November 2023 um 12:00
Ein Artikel von: Florian Warweg
Zahlreiche, darunter auch westlich orientierte, Regierungen haben in scharfen Worten („inakzeptabler Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht“) die massiven Bombardements der israelischen Armee kritisiert, denen aktuellen UN-Angaben zufolge bis zum 7. November 4.324 Kinder und 2.823 Frauen zum Opfer fielen, das entspricht 67 Prozent aller Todesopfer. Doch auf Nachfrage der NachDenkSeiten auf der aktuellen Bundespressekonferenz erklärte die Bundesregierung, dass sie sich „ganz ausdrücklich“ von der Einschätzung distanziere, dass Israel mit seinem Vorgehen humanitäres Völkerrecht breche. Vielmehr hätte Tel Aviv das „dauerhafte Recht“, sich entsprechend zu „verteidigen“.
Seit einem Monat bombardiert die israelische Armee zu Land, zu Luft und zu Wasser den Gazastreifen. OCHA, das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten, hat am 8. November neue Zahlen vorgelegt: Bis Stand 7. November wurden mit Verweis auf Daten des Gesundheitsministeriums in Gaza 10.569 Menschen durch die israelischen Bombenangriffe getötet, davon sind laut UN-OCHA 67 Prozent Frauen und Kinder. Auch über 80 UN-Mitarbeiter und mindestens 47 Journalisten fielen innerhalb von nur einem Monat dem militärischen Vorgehen Israels zum Opfer. Ebenso wurden bisher laut UN-Angaben 278 Schulen, 68 Moscheen, 3 Kirchen, 120 Krankenstationen sowie 220.000 Wohngebäude von der israelischen Armee angegriffen und dabei teilweise oder ganz zerstört:
Vor diesem skizzierten Hintergrund haben wichtige internationale Partnerländer Deutschlands im Globalen Süden wie unter anderem Südafrika, Chile und Kolumbien aus Protest gegen das Vorgehen Israels im Gazastreifen ihre Botschafter abgezogen. Südafrika spricht offiziell von einem „Genozid“, Kolumbien von einem „Massaker an der palästinensischen Zivilbevölkerung“ und Chile von einem „inakzeptablen Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht“. Doch die Bundesregierung lässt sich von dieser Kritik und diesen Zahlen in ihrer Einschätzung bezüglich der angeblichen Völkerrechtskonformität der Massenbombardements auf zivile Ziele nicht beirren, ganz im Gegenteil:
Protokollauszug von der Bundespressekonferenz am 8. November 2023:
Frage Warweg Wichtige internationale Partnerländer der Bundesrepublik Deutschland im globalen Süden wie Chile, Kolumbien und Südafrika haben aus Protest gegen das israelische Vorgehen im Gazastreifen ihre Botschafter abgezogen. Südafrika spricht offiziell von einem Genozid, Kolumbien von einem Massaker an der palästinensischen Zivilbevölkerung und Chile von einem inakzeptablen Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht. Teilt die Bundesregierung angesichts der aktuellen Zahlen von über 10 000 Toten, laut UN-Angaben davon 67 Prozent Frauen und Kinder, diese Einschätzung der deutschen Partnerländer im globalen Süden? Falls ja: Plant sie ähnliche Maßnahmen? Falls nein: Was spricht aus Sicht der Bundesregierung gegen diese Einschätzung der genannten Partnerländer?
Stellvertretende Regierungssprecherin Hoffmann Das ist ganz ausdrücklich nicht die Position der Bundesregierung. Wir sind der Ansicht, dass Israel nach dem brutalen und menschenverachtenden Angriff der Hamas, dem 1400 Israelis zum Opfer gefallen sind, das Recht hat, sich zu verteidigen, und dieses Recht auch dauerhaft hat, da die Angriffe auf Israel und die Bedrohung Israels andauern. Insofern sind wir der Meinung, dass Israel das Recht hat, sich da zu verteidigen.
Zusatzfrage Warweg Kann das Auswärtige Amt sich noch dazu äußern?
Deschauer (AA) Das Auswärtige Amt schließt sich den Äußerungen der stellvertretenden Regierungssprecherin an, und das haben wir hier in den vergangenen Tagen und Wochen ebenfalls regelmäßig deutlich gemacht.
Frage Towfigh Nia Frau Hoffmann, UN-Generalsekretär António Guterres spricht von einem „Kinderfriedhof“ in Gaza. Würde die deutsche Regierung dem zustimmen?
Eine zweite Frage an Frau Deschauer: Die israelische Regierung hat angekündigt, auf unbefristete Zeit die Sicherheitskontrolle in Gaza zu übernehmen. Wie ist die Reaktion dazu?
Hoffmann Wir sind, wie gesagt, der Meinung, dass Israel das Recht hat, sich selbst zu verteidigen. Wir gehen aber davon aus, das hat ja auch der Bundeskanzler mehrfach gesagt, dass Israel als ein demokratisch verfasstes Land sich des Völkerrechts bewusst ist und sich an das Völkerrecht hält. Das ist das, wovon wir ausgehen.
Wir sehen natürlich das, was in Gaza passiert, und wir sind vor allen Dingen sehr besorgt über die humanitäre Situation und sind der Meinung, dass humanitäre Hilfe geleistet werden könnte. Wir haben ja auch selbst die humanitäre Hilfe für die Menschen in Gaza erhöht und haben uns für humanitäre Feuerpausen dort ausgesprochen, um diese Hilfe leisten zu können und die Bevölkerung dort versorgen zu können.
Deschauer (AA) Zu Ihrer zweiten Frage: Wir haben die Äußerung zur Kenntnis genommen, aber ich kann darauf verweisen, dass Außenministerin Baerbock, die ja derzeit beim G7-Außenministertreffen in Tokio ist, sich am heutigen späten Vormittag deutscher Zeit in einer Pressekonferenz geäußert hat und auch klare Orientierungspunkte zu der Diskussion, die im G7-Rahmen stattgefunden hat, gegeben hat. Die Diskussion ging in verschiedene Richtungen, aber eine große Frage war sicherlich auch, mit Blick auf die palästinensischen Gebiete über den Tag hinaus zu denken. Ein enger und intensiver Austausch fand in diesem Kreise statt.
Wir haben dieses Pressestatement der Ministerin verteilt. Sollte das noch nicht an Sie herangekommen sein, dann kann ich hier sehr kurz die Referenzpunkte erwähnen. Die Ministerin hat als Orientierungspunkte gegeben: Von Gaza darf in Zukunft keine terroristische Gefahr mehr ausgehen; Palästinenserinnen und Palästinenser dürfen nicht vertrieben werden; keine Besetzung von Gaza, sondern bestmöglich internationaler Schutz; keine territoriale Reduzierung von Gaza; keine Lösung über die Köpfe der Palästinenserinnen und Palästinenser hinweg. Ich glaube, mit diesen Orientierungspunkten, die ein Beitrag zu der Diskussion sind, die gerade in Tokio stattgefunden hat, beantworte ich Ihre Frage.
Frage Jung Da Frau Hoffmann gerade die Sorge über die humanitäre Lage in Gaza angesprochen hatte: Ist die Bundesregierung besorgt über die zivilen Opfer in Gaza? Haben Sie einen Überblick über die zivilen Opferzahlen?
Hoffmann Es geht natürlich darum und das ist auch immer wieder ausgedrückt worden, zivile Opfer, so das irgend möglich ist, in diesem Konflikt zu vermeiden. Das ist ein wichtiges Anliegen, und wir sehen, dass das gewährleistet werden soll, so gut es eben möglich ist.
Konkrete Zahlen kann ich Ihnen hier jetzt nicht nennen. Es ist ja so, das hat Kollege Hebestreit hier, glaube ich, in der letzten Regierungspressekonferenz noch einmal sehr deutlich ausgeführt, dass wir keine glaubwürdigen Angaben haben; denn die Hamas ist für uns keine glaubwürdige Quelle, und schon gar nicht, was Opferzahlen angeht. Insofern kann ich hier jetzt nicht mit exakten Zahlen dienen.
Zusatzfrage Jung Das Thema mit Opferzahlen hatten wir ja schon, nämlich dass die UN in Bezug auf die bisherigen Kriege in Gaza die Opferzahlen der Gesundheitsbehörde vor Ort als glaubwürdig eingestuft hat, weil sie im Nachhinein diese Zahlen überprüft hat. Man geht auch von einer Mindestzahl von Opfern aus, die aktuell berichtet wird. Ich hatte aber konkret gefragt, ob Sie besorgt sind über die bisherigen zivilen Opfer durch Luftangriffe.
Frau Deschauer, haben Sie vielleicht einen Überblick über Opferzahlen? Bei den Zahlen der UN geht es jetzt offenbar schon in die fünfstelligen Zahlen.
Hoffmann Ich weiß nicht, ob Frau Deschauer da mehr sagen kann, aber wir sind grundsätzlich sehr vorsichtig, was Zahlen angeht. Wir haben aber auch gesagt: Natürlich ist jedes Opfer ein Opfer zu viel. Es geht darum, zivile Opfer, so irgend möglich, zu vermeiden.
Deschauer (AA) Ich habe den Ausführungen der stellvertretenden Regierungssprecherin in der Sache nichts hinzuzufügen.
Zusatzfrage Jung Das Auswärtige Amt hat keine Zahlen?
Deschauer (AA) Ich habe den Ausführungen der stellvertretenden Regierungssprecherin, sie hat sich hier ja ausführlich geäußert und auch hergeleitet, nichts hinzuzufügen.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
Liebes Kind, es ist nach Mitternacht. Ich fliege mit einer Geschwindigkeit von Hunderten Meilen pro Stunde durch die Nacht. Tausende Meter über dem Atlantischen Ozean. Ich reise nach Ägypten. Ich will dort zur Grenze nach Gaza, bei Rafah. Wegen Dir.
Du warst nie in einem Flugzeug. Du hast Gaza nie verlassen. Du kennst nur das dichte Gedränge in den Straßen und Gassen. Die Betonverschläge. Du kennst nur die Sicherheitsbarrieren und Zäune, die Gaza umgeben und an denen Soldaten entlang patrouillieren. Flugzeuge machen Dir Angst. Kampfjets. Kampfhubschrauber. Drohnen. Sie kreisen über Dir. Sie schießen Raketen ab, werfen Bomben. Ohrenbetäubende Explosionen. Die Erde bebt. Gebäude fallen zusammen. Die Toten. Die Schreie. Die dumpfen Hilferufe aus den Trümmern. Es hört nicht auf. Nacht und Tag. Gefangen unter Bergen von zertrümmertem Beton. Deine Spielkameraden. Deine Schulkameraden. Deine Nachbarn. In Sekunden verschwunden. Du siehst die kreideweißen Gesichter und Körperteile, die ausgegraben werden. Ich bin Reporter. Es gehört zu meinem Beruf, das zu sehen. Du bist ein Kind. Du solltest das nie sehen.
Der Geruch des Todes. Verwesende Körper unter zerbrochenem Beton. Du hältst den Atem an. Du bedeckst Deinen Mund mit einem Tuch. Du gehst schneller. Dein Viertel ist ein Friedhof geworden. Alles was so vertraut war gibt es nicht mehr. Du blickst ungläubig um Dich. Du fragst Dich, wo Du bist.
Du hast Angst. Eine Explosion nach der anderen. Du weinst. Du klammerst Dich an Deine Mutter oder an Deinen Vater. Du hältst Dir die Ohren zu. Du siehst das weiße Licht der Rakete und wartest auf die Explosion. Warum töten sie Kinder? Was haben sie getan? Warum kann Dich niemand beschützen? Wirst Du verletzt werden? Wirst Du ein Bein oder einen Arm verlieren? Wirst Du blind werden oder in einem Rollstuhl sitzen? Warum wurdest Du geboren? War es, um Schönes zu erleben? Oder war es, um das hier zu erleben? Wirst Du groß werden? Wirst Du glücklich? Wie wird es sein, ohne Deine Freunde? Wer wird als nächstes sterben? Deine Mutter? Dein Vater? Deine Brüder und Schwestern? Irgendjemand den Du kennst wird verletzt. Bald. Jemand den Du kennst wird sterben. Bald.
Nachts liegst Du im Dunkel auf dem kalten Zementboden. Die Telefone sind unterbrochen. Das Internet ist abgeschaltet. Du weißt nicht, was passiert. Es gibt Lichtblitze. Es gibt Wellen von Erschütterungen durch Explosionen. Es gibt Schreie. Es hört nicht auf.
Du wartest, wenn Dein Vater oder Deine Mutter auf der Suche nach Essen oder Wasser sind. Das schreckliche Gefühl im Magen. Werden sie zurückkommen? Wirst Du sie wiedersehen? Wird Dein kleines Zuhause das nächste sein? Werden die Bomben Dich finden. Sind dieses Deine letzten Momente auf dieser Welt?
Du trinkst salziges, schmutziges Wasser. Es macht Dich sehr krank. Dein Magen tut weh. Du hast Hunger. Die Bäckereien sind zerstört. Es gibt kein Brot. Du ißt einmal am Tag. Nudeln. Eine Gurke. Bald wird es wie ein Festmahl sein.
Du spielst nicht mit Deinem Fußball aus Lumpen. Du läßt Deinen Drachen nicht fliegen, der aus altem Zeitungspapier gebaut ist.
Du hast ausländische Reporter gesehen. Wir tragen Schutzwesten, auf denen das Wort „Presse“ steht. Wir haben Helme. Wir haben Kameras. Wir fahren in Jeeps. Wir tauchen immer nach der Bombardierung auf oder nach einer Schießerei. Wir sitzen lange bei Kaffee und reden mit den Erwachsenen. Dann verschwinden wir. Normalerweise interviewen wir keine Kinder. Aber ich habe Interviews mit Euch gemacht, als Ihr uns umringt habt. Es wurde gelacht. Gestikuliert. Ihr habt uns gebeten, Fotos von Euch zu machen.
Ich bin in Gaza von Kampfjets bombardiert worden. Ich wurde in anderen Kriegen bombardiert. Das war, bevor Du geboren wurdest. Ich hatte sehr große Angst. Ich träume immer noch davon. Wenn ich heute die Bilder aus Gaza sehe, kehren die Kriege mit großer Wucht wie Donner und Blitze zu mir zurück. Ich denke an Euch.
Alle von uns, die im Krieg waren, hassen den Krieg vor allem wegen dem, was er Kindern antut.
Ich habe versucht, Deine Geschichte zu schreiben. Ich habe versucht der Welt zu sagen, wenn man grausam zu Menschen ist, jede Woche, jeden Monat, jedes Jahr, Jahrzehnte lang, wenn man den Menschen ihre Freiheit und ihre Würde nimmt, wenn man sie erniedrigt und in einem Gefängnis unter freiem Himmel einsperrt, wenn man sie tötet als seien sie wilde Tiere, dann werden sie zornig. Sie tun anderen das an, was man ihnen angetan hat. Ich habe das immer wieder gesagt. Ich habe das sieben Jahre lang gesagt. Kaum jemand hat zugehört. Und jetzt dies.
Es gibt sehr mutige palästinensische Journalisten. 39 von ihnen wurden getötet, seit dieses Bombardement begann. Sie sind Helden. Auch die Ärzte und Krankenpfleger in Euren Krankenhäusern sind Helden. Auch die UN-Mitarbeiter. 89 von ihnen wurden getötet (*). Auch die Fahrer von Rettungswagen und das medizinische Personal. Auch Eure Mütter und Väter, die Euch vor den Bomben beschützen.
Aber wir sind nicht dort. Nicht dieses Mal. Man läßt uns nicht hinein, man sperrt uns aus.
Reporter aus aller Welt werden zum Grenzübergang Rafah gehen, weil wir diesem Abschlachten nicht zuschauen können, ohne etwas zu tun. Wir gehen, weil Hunderte Menschen jeden Tag sterben, darunter 160 Kinder. Wir gehen, weil dieser Völkermord aufhören muss. Wir gehen, weil wir Kinder haben. Kinder wie Du. Kostbar. Geliebt. Wir gehen, weil wir wollen, daß Du lebst.
Ich hoffe, dass wir uns eines Tages treffen können. Du wirst erwachsen sein. Ich werde ein alter Mann sein. Obwohl, ich bin für Dich schon heute sehr alt. In meinen Traum über Dich wirst Du frei und sicher und glücklich sein. Niemand wird versuchen, Dich zu töten. Du wirst in Flugzeugen reisen, die mit Menschen gefüllt sind, nicht mit Bomben. Du wirst nicht in einem Freiluftgefängnis gefangen sein. Du wirst die Welt sehen. Du wirst erwachsen werden und Kinder haben. Du wirst alt werden. Du wirst Dich an dieses Leid erinnern, aber Du wirst wissen, dass es bedeutet, anderen zu helfen, die leiden. Das ist meine Hoffnung. Dafür bete ich.
Wir haben dich im Stich gelassen. Das ist unsere furchtbare Schuld. Wir haben es versucht, aber wir haben nicht genug getan. Wir werden nach Rafah gehen. Viele von uns. Reporter. Wir werden vor der Grenze mit Gaza stehen und protestieren. Wir werden schreiben und filmen. Das ist, was wir tun. Nicht viel, aber etwas. Wir werden Deine Geschichte neu aufschreiben.
Vielleicht reicht es, um das Recht zu verdienen, Dich um Vergebung zu bitten.
*Am 9.11.2023 geben die Vereinten Nationen an, dass die Zahl der getöteten UN-Mitarbeiter in Gaza auf 92 gestiegen ist.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
09.11.2023
PALÄSTINAINITIATIVE REGIONHANNOVER
Gaza-Krieg:
Wie soll es weitergehen?
Seit
dem Massaker der Hamas am 7.10. führt Israel einen Krieg gegen den
militärischen Arm der Hamas und die Bevölkerung in Gaza.
Die
Bundesregierung sagt, Deutschland stehe an der Seite Israels. Was
bedeutet das in der gegenwärtigen Situation?
Die
israelische Regierung verrennt sich immer mehr in die Sackgasse militärischer
Gewalt. Damit lässt sich aber das Problem
von 56 JahrenBesatzung
der Palästinensergebiete und 16 Jahre Abschnürung des Gazastreifens nicht lösen! Das ist das Kernproblem in der Region des Nahen Ostens,
eine politische
Lösung für
ein Ende der Besatzung muss
her!
Dafür
muss sich die Bundesregierung gegenüber der israelischen Regierung
einsetzen. Grundlage muss die Gewährleistung gleicher Rechte und
Selbstbestimmung aller Menschen zwischen Mittelmeer und Jordan sein. Die Umsetzung wird Gegenstand von Verhandlungen sein müssen.
In
der jetzigen Situation heißt das für
deutsche Politik im Einklang mit der großen Mehrheit der Staaten weltweit:
Einsatz
für einen sofortigen Waffenstillstand, für die Versorgung der
Zivilbevölkerung und die Freilassung der Geiseln. Auch die
Übergriffe der Siedler und der Armee gegen die palästinensische
Bevölkerung im Westjordanland müssen sofort aufhören.
Eine
Fortsetzung der Politik militärischer Logik und Gewalt bedeutet nicht nur viele weitere Tote sondern ein
Leben in ständiger Unsicherheit,
nicht nur für die palästinensische sondern auch für die
israelische Zivilbevölkerung, und eine enorme Steigerung von
Traumatisierungen und Hass, auch gegen die Länder, die das Vorgehen
der israelischen Regierung billigen und unterstützen.
Dagegen
sollte die Bundesregierungeinen
eigenständig konzipiertenBeitrag leisten, damit auf Gerechtigkeit beruhende Abkommen und Verträge
geschlossen werden.
Jetzt
heißt das:
-
Sofortiger Waffenstillstand und Verhandlungen
-
ungehinderte Versorgung der Bevölkerung
-
Freilassung der Geiseln
-
keine Vertreibung der Bevölkerung aus Gaza
-
Stopp der Siedlerattacken im Westjordanland
-
Gleiche Rechte für alle Menschen zwischen Jordan und Mittelmeer
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
Grundrecht wahrnehmen Auch wenn die Wehrpflicht seit 2011 ausgesetzt ist, könnte sie jederzeit wieder eingeführt werden. Das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung (KDV) gilt unabhängig von der Wehrpflicht. Den Kriegsdienst mit der Waffe aus Gewissensgründen gemäß Artikel 4 Absatz 3 des Grundgesetzes zu verweigern, ist unveräußerliches Grundrecht.
KDV für Ungediente Die Kriegsdienstverweigerung ist für Ungediente nur ganz bestimmten Bedingungen möglich, die unter “weiterlesen” zu finden sind.
KDV als Soldat Für aktive Soldat*innen ist es am schwierigsten zu verweigern, denn sie müssen eine Gewissensänderung vermitteln und es geht eventuell auch um die Rückzahlung von Ausbildungskosten.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
09.11.2023
Buch: Kein Frieden für Palästina
aus e-mail von Ingrid Rumpf, 9. November 2023, 10:05 Uhr
*Buch: Kein Frieden für Palästina*
Liebe Nahost-Interessierte,
angesichts des Krieges um Gaza möchte ich Euch für die historischen
Hintergründe noch einmal das aktuelle Buch von Helga Baumgarten
empfehlen. Die Leute wissen einfach zu wenig, weshalb es wichtig ist,
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
09.11.2023
Chr. Meier in FAZ vom 8.11.2023 über die Vertreibung und Attacken auf die Beduinen
WESTJORDANLAND
Vertrieben aus dem gottgegebenen Land
Radikale Siedler im Westjordanland greifen seit Kriegsausbruch vermehrt Beduinen in deren Dörfern an. Die Gewalt folgt einem Muster. Von Christian Meier, Quynh Tran Die Wolken hängen tief über dem Jordantal. Sie sind die Vorboten der Erntesaison, die anbricht, wenn der Herbstregen die Früchte noch einmal anschwellen lässt. Ende Oktober begann die Olivenernte. Sie ist für Palästinenser traditionell nicht nur Arbeit, die manchen das Einkommen für das ganze Jahr einbringt, sondern auch ein Familienfest. In den vergangenen Jahren hat sich das jedoch geändert: Bricht die Erntezeit an, kommen auch radikale Siedler. Israelische Menschenrechtsorganisationen sprechen von systematischen Angriffen auf palästinensische Bauern und Hirten. Siedler hielten Palästinenser von deren Feldern und Weidegründen fern, entwurzelten Bäume, steckten Felder in Brand und griffen nicht nur Palästinenser, sondern auch israelische und ausländische Helfer an. Ziel sei es, den Menschen das Leben so unerträglich zu machen, dass sie von allein gehen. Das funktioniert: An mehreren Orten haben die Bewohner ihre Häuser inzwischen aus Angst verlassen. Palästinensische Dorfgemeinschaften haben sich unter dem Druck der Übergriffe praktisch selbst aufgelöst. Diese Entwicklung hat vor mehr als einem Jahr eingesetzt, in den vergangenen vier Wochen hat sie sich jedoch dramatisch beschleunigt. Denn im Schatten des derzeitigen Kriegs eskaliert die Gewalt auch im Westjordanland. Während die Blicke vor allem auf den Gazastreifen gerichtet sind, sind in dem Gebiet mehr als 150 Menschen getötet und zahlreiche weitere verwundet worden, sowohl bei Auseinandersetzungen zwischen militanten Palästinensern und der israelischen Armee als auch bei Siedlerangriffen.
Die Einschüchterungen der Siedler werden immer offener So wurden die Bewohner des Dorfs Deir Istiya nördlich der Siedlung Ariel vor zwei Wochen erst bei der Ernte mit Steinen beworfen. Als sie von ihren Feldern zurückkehrten, entdeckten sie Flugblätter an ihren Autos: „Ihr wolltet Krieg, wartet auf die große Nakba“, stand darauf – ein Verweis auf die Vertreibungen von Palästinensern im Nahostkrieg von 1948. Weiter hieß es, dies sei die letzte Chance, nach Jordanien zu fliehen, bevor sie mit Gewalt vertrieben würden vom „gottgegebenen Heiligen Land“. Abu Baschar, ein Hirte und Bauer aus Wadi al-Siq, hat es nicht zur Olivenernte auf seine Felder geschafft. Seine Familie wurde in der Woche nach dem Großangriff der Hamas aus ihrem Dorf vertrieben. Einige Bewohner waren angesichts der zunehmenden Gewalt schon in den vergangenen Jahren gegangen. Die etwa 250 Verbliebenen flohen überstürzt, als mehrere Dutzend Autos mit bewaffneten Siedlern, darunter Militärfahrzeuge, anrückten. Seit dem 7. Oktober seien mehr als zwanzig Dörfer aufgrund von Siedlergewalt teilweise oder vollständig geräumt worden, schätzen israelische Menschenrechtsgruppen. Meist wohnten dort Beduinen, die ihren Lebensunterhalt als Hirten oder Bauern verdienten. Sie leben in kleinen Weilern, die überwiegend aus Wellblechhütten bestehen – dieser Teil der palästinensischen Gesellschaft ist sehr arm. „Die Beduinen sind die verwundbarste Minderheit“, sagt Guy Hirschfeld, Gründer der Organisation Looking the Occupation in the Eye. Die Übergriffe der Siedler gegen Beduinen bezeichnet er als „Landnahme-Krieg“. Dabei gehe es vor allem um das sogenannte C-Gebiet. Das macht 61 Prozent des Westjordanlands aus, gemäß den Oslo-Abkommen wird es vollständig von Israel kontrolliert. Hier befinden sich der Großteil der israelischen Siedlungen sowie Außenposten mit etwa 450.000 Siedlern. Während die Siedlungen wachsen, bekommen die schätzungsweise 180.000 bis 300.000 palästinensischen Bewohner des C-Gebiets so gut wie keine Baugenehmigungen; viele der Beduinendörfer werden von den Besatzungsbehörden als illegal angesehen. In „Protective presence“-Aktionen versuchen Hirschfeld und andere israelische und ausländische Freiwillige, palästinensische Zivilisten durch ihre Präsenz zu schützen. Auch in Wadi al-Siq sind sie aktiv und versuchen, mit dem Militär zu koordinieren, dass die Bewohner zumindest ihr Hab und Gut aus ihren Hütten holen können – bislang erfolglos. „Aber nach dem Krieg wollen wir zurück in unser Dorf“, sagt Abu Baschar. Er ist Nachkomme eines Beduinenstamms aus der Negev-Wüste, der 1948 infolge der Staatsgründung Israels geflohen ist und sich vor einem halben Jahrhundert in diesem Gebiet niedergelassen hat. Sein Vater und er sind im Westjordanland geboren, nun musste seine Familie wieder fliehen. Statt seine eigenen Früchte zu ernten, steht er mit seiner Familie in einem Olivenhain des palästinensischen Dorfs Taibe im B-Gebiet. Hier fühlt er sich zumindest vorübergehend sicherer. Über die Allon-Straße geht es in Richtung des Ortes Wadi al-Siq. An der Einfahrt zu dem verlassenen palästinensischen Dorf hängt eine große Israel-Flagge. Im Dorf: ein Bild der Verwüstung. Schon im Sommer brachen Siedler in die mit internationalen Geldern finanzierte Schule ein und stahlen technische Geräte. Inzwischen sind auch die Häuser geplündert. Die von der Europäischen Union finanzierten Solarpaneele sind zerbrochen, Wände eingerissen, Möbel verwüstet; überall liegen Scherben von Kochgeschirr, Kinderspielzeug, einzelne Schuhe. Die Bewohner durften bisher nicht zurückkehren, um ihre Habseligkeiten einzusammeln, aber viel ist ohnehin nicht übrig geblieben. Noch vor zwei, drei Jahren, erzählt Guy Hirschfeld, sei das Gebiet voll von Hirten gewesen. Von ihnen geblieben sind nur ein paar Gemeinschaften ganz im Süden und im Norden der Allon-Straße. In Ain al-Raschasch etwa versucht noch ein halbes Dutzend Männer, die Stellung zu halten. Siedler aus dem Außenposten Malachei Haschalom, zu Deutsch „Engel des Friedens“, haben vor fünf Monaten begonnen, den kleinen Weiler immer wieder anzugreifen. „Sie haben Häuser angezündet, aber die Armee hat uns verboten zu filmen“, erzählt Hagar Gefen. Die 71 Jahre alte Israelin wurde vor einem Jahr bei der Olivenernte von Siedlern angegriffen und mit vier gebrochenen Rippen ins Krankenhaus eingeliefert. Einen Monat später stand die pensionierte Anthropologin wieder mit Palästinensern auf den Feldern.
Schikanen, Belästigungen und Brand-Attacken Die Polizei in den Siedlungen und die Armee würden nicht eingreifen, manchmal sogar die Siedler unterstützen, sagt sie. Trotz der Schockstarre in der israelischen Gesellschaft nach den Massakern der Hamas sieht Gefen sich dazu verpflichtet, weiter zu helfen. Sie und Hirschfeld gehörten zu den Aktivisten, die in Ain al- Raschasch in den vergangenen drei Monaten 24 Stunden am Tag „protective presence“ geleistet haben – bis sie vor Kurzem aufgegeben haben. „Es hat schon vor Jahren mit kleinen Schikanen angefangen, mit Belästigungen an der Straße, aber es ist immer schlimmer geworden“, erzählt Sliman al-Zawahri, ein 52 Jahre alter Hirte aus dem Dorf. Am 9. Oktober riegelten Siedler die einzige Zufahrtsstraße ab. Nachdem zwei Dutzend teils bewaffnete Siedler eine Woche später ein weiteres Mal Häuser in Brand gesteckt und einen 85 Jahre alten Mann verprügelt hatten, hat die Dorfgemeinschaft beschlossen, die Frauen und Kinder in das benachbarte Duma zu bringen. Auch die freiwilligen Helfer sowie ein Teil der Männer verließen Ain al-Raschasch. Der Wind hämmert gegen die Wände der Wellblechhütten, die Wolken ziehen sich zu. Al-Zawahri breitet seine Matte zum Nachmittagsgebet aus, auch wenn am Hügel in der Ferne wieder Siedler zu sehen sind. „Sie lassen uns keine Luft zum Atmen. Aber wir bleiben. Und nach dem Krieg kommen hoffentlich auch unsere Frauen und Kinder wieder“, sagt al-Zawahri. Auch er gehört zu den Negev- Flüchtlingen von 1948 und will nicht noch einmal vertrieben werden. Die Attacken der Siedler auf die palästinensischen Dörfer erfolgen nicht willkürlich. Dass ein Muster hinter den Angriffen steckt, erweist sich beim Blick auf die Landkarte: Wie auf einer Schnur aufgereiht, ziehen sich die betroffenen Orte vom äußersten Nordosten des Westjordanlands bis an das südliche Ende des Gebiets. Die Topographie spielt dabei eine Rolle: Fast alle dieser Dörfer liegen genau dort, wo das Judäische Bergland zur Ebene des Jordantals abfällt.
Wenige, aber sehr gewaltbereite Siedler Noch vor zehn Jahren konzentrierte sich die Gewalt durch radikale Siedler vor allem auf Gebiete im Bergland, etwa um Nablus oder südlich von Hebron. Schritt für Schritt hat sie sich seither nach Osten verlagert: zu den Berghängen, an denen palästinensische Beduinen Olivenbäume bewirtschaften und ihre Herden grasen lassen. Der erste Schritt war die Errichtung sogenannter Farmaußenposten: kleiner, illegal errichteter Siedlungen, in denen oft nur wenige Siedler leben, die jedoch sehr gewaltbereit sind. Sie führen ihre Herden auf die umliegenden Gebiete und vertreiben die Palästinenser, die dort bislang präsent waren. Das Ziel ist, das ganze östliche Westjordanland für palästinensische Hirten unzugänglich zu machen und einen möglichst großen Teil des C-Gebiets zu kontrollieren. Seit etwa eineinhalb Jahren beobachten Aktivisten und Fachleute eine neue Stufe: Die Siedler attackieren nicht mehr nur umherziehende palästinensische Hirten – sie greifen die Beduinen auch in deren eigenen Dörfern an. Im nördlichen Westjordanland stellt in der Praxis die Allon-Straße die Grenze dar – alles Land östlich davon ist für Palästinenser immer unsicherer geworden. Wie sehr dieses Phänomen mit dem Kriegsausbruch zugenommen hat, wird aus den Zahlen der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem ersichtlich: Zwischen 2020 und Anfang Oktober 2023 wurden demnach sieben palästinensische Dörfer aufgrund von Siedlergewalt aufgegeben – seit dem 7. Oktober waren es fünfzehn. Sechs weitere Orte wurden teilweise verlassen, und etwa zwanzig weitere Orte sind davon bedroht. Wöchentlich berichten Aktivisten derzeit von weiteren Gemeinschaften, die vertrieben wurden. In einer gemeinsamen Stellungnahme mehrerer Menschenrechtsorganisationen wird darauf hingewiesen, dass die Siedler zuletzt immer öfter Militäruniformen und Armeewaffen trugen.
Hilflos gegen die Angreifer Fast tausend Menschen haben in den vergangenen vier Wochen ihr Zuhause verloren. Die Bewohner ziehen meist nach Westen, in die von der Palästinensischen Autonomiebehörde verwalteten A- und B-Gebiete. Dort leben sie dann wie Ali und Hassan Abu l-Qbash, die im Niemandsland zwischen den Orten Kafr Malik und Mughayir etwas Land gepachtet haben. Die 60 und 65 Jahre alten Brüder haben wie alle acht übrigen Familien ihren Wohnort Al-Qabun verlassen, nachdem sie immer wieder von bewaffneten Siedlern schikaniert worden waren. „Wenn jemand in dein Haus kommt, Sachen aus dem Kühlschrank nimmt, das Telefon deiner Frau durchsucht, in Schränke guckt und in die Wohnung pinkelt, was würdest du dann machen!?“, sagt Hassan Abu l-Qbash emotional. Auch Schafe seien gestohlen worden. Als Siedler im Juli vor ihren Augen alles Trinkwasser aus dem Speicher abließen, beschlossen die Bewohner, zu gehen. Unweit des verlassenen Weilers haben Siedler jetzt einen Weinberg angelegt. Die beiden Brüder leben nun wenige Kilometer weiter westlich mit ihren Familien in Zelten. Ihre Schafe zu ernähren sei schwierig, sagen sie. Am liebsten gingen sie zurück nach Al-Qaboun, der Ort ist „wie meine Augen“, sagt Hassan Abu l-Qbash. Aber alles C-Gebiet sei für die Palästinenser verloren. Die beiden gegerbten Männer sehen zupackend aus, aber sie wirken auch schwach und hilflos. Hassan Abu l-Qbash vergräbt sein Gesicht in den Händen, wenn er von dem Terror durch die Siedler erzählt. Er fühlt sich ihnen gegenüber machtlos. „Mein Blut ist rot, ihr Blut ist rot, aber wir sind trotzdem nicht gleich“, sagt er. Fragt man den Mann, ob er jemals daran gedacht habe, sich dem bewaffneten Kampf anzuschließen, lacht er nur. „Wenn ich versuche, mich selbst zu verteidigen“, sagt er, „lande ich sofort im Krankenhaus oder im Gefängnis – oder unter der Erde.“
Info: faz.de
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.