Berlin ist mit Israel über sanitätsdienstliche Unterstützung im Gespräch. Zahl ziviler Opfer im Gazastreifen steigt. US-Außenminister warnt, bei weiterer Eskalation fehlten künftig „Partner für den Frieden“. Die Bundesregierung ist mit Israel über medizinische Hilfen für die in Gaza kämpfenden israelischen…
EU-Kommission empfiehlt Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine
Die EU-Kommission hat am Mittwoch Beitrittsgespräche mit der Ukraine und Moldawien empfohlen. Von den sieben von der Kommission an die Ukraine gestellten Voraussetzungen sollen laut einem EU-Bericht vier vollständig erfüllt worden sein. In Bezug auf die Ukraine begrüßte die Kommission…
Eine gemeinsame jüdisch-arabische Erklärung für den Frieden
Wir – Bewegungen, Organisationen, AktivistInnen, JüdInnen und AraberInnen – schreiben diese Worte aus tiefer Trauer um die Tausenden von Menschen, die in den letzten Wochen getötet wurden, und aus schrecklicher Sorge um die Sicherheit der Entführten und derer, die in…
Hinrichtungen in den USA: Stickstoff statt Giftspritze
Gibt es eine »humane« Hinrichtungsmethode? Gegner der Todesstrafe halten die Formulierung für paradox. Jetzt soll im US-Bundestaat Alabama erstmals ein Delinquent durch das Einatmen von Stickstoff „auf sanfte Art“ exekutiert werden. Von Helmut Ortner Der Oberste Gerichtshof in Alabama hatte…
‚Kriegstüchtig‘ müsse das Land werden, forderte Verteidigungsminister Boris Pistorius zu Beginn der Woche und meinte damit explizit nicht nur die Bundeswehr, sondern auch die gesamte Gesellschaft. Er begründet das damit, dass auch Deutschland sich bei einem ganz Europa betreffenden Krieg…
Tomaso Montanari: „Frieden wird durch Frieden verteidigt, nicht durch Gewalt“
Wir teilen die Überlegungen von Tomaso Montanari auf x (früher twitter). Wir Westler, die von einem Großteil der übrigen Menschheit zu Recht für die Arroganz unserer angeblichen kulturellen Vormachtstellung gehasst werden, sollten endlich die Kleidung des Kolonialismus ablegen und diejenige…
Kanzler Scholz dringt in Nigeria auf die Belieferung Deutschlands mit Flüssiggas und die beschleunigte Rücknahme von Flüchtlingen. Austeritätsmaßnahmen drohen Nigeria schwer in Armut zu stürzen. Bundeskanzler Olaf Scholz wünscht von Nigeria eine stärkere Belieferung Deutschlands mit Flüssiggas und verlangt die…
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unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
10.11.2023
Chris Hedges: Brief an die Kinder in Gaza
seniora.org, 09. November 2023, Von Chris Hedges, 8.11.2023 - übernommen von chrishedges.substack.com
Du wirst erwachsen werden und Kinder haben. Du wirst alt werden. Du wirst Dich an dieses Leid erinnern, aber Du wirst wissen, dass es bedeutet, anderen zu helfen, die leiden. Das ist meine Hoffnung.
Liebes Kind, es ist nach Mitternacht. Ich fliege mit einer Geschwindigkeit von Hunderten Meilen pro Stunde durch die Nacht.Tausende Meter über dem Atlantischen Ozean. Ich reise nach Ägypten. Ich will dort zur Grenze nach Gaza, bei Rafah. Wegen Dir.
Du warst nie in einem Flugzeug. Du hast Gaza nie verlassen. Du kennst nur das dichte Gedränge in den Straßen und Gassen. Die Betonverschläge. Du kennst nur die Sicherheitsbarrieren und Zäune, die Gaza umgeben und an denen Soldaten entlang patrouillieren. Flugzeuge machen Dir Angst. Kampfjets. Kampfhubschrauber. Drohnen. Sie kreisen über Dir. Sie schießen Raketen ab, werfen Bomben. Ohrenbetäubende Explosionen. Die Erde bebt. Gebäude fallen zusammen. Die Toten. Die Schreie. Die dumpfen Hilferufe aus den Trümmern. Es hört nicht auf. Nacht und Tag. Gefangen unter Bergen von zertrümmertem Beton. Deine Spielkameraden. Deine Schulkameraden. Deine Nachbarn. In Sekunden verschwunden. Du siehst die kreideweißen Gesichter und Körperteile, die ausgegraben werden. Ich bin Reporter. Es gehört zu meinem Beruf, das zu sehen. Du bist ein Kind. Du solltest das nie sehen.
Der Geruch des Todes. Verwesende Körper unter zerbrochenem Beton. Du hältst den Atem an. Du bedeckst Deinen Mund mit einem Tuch. Du gehst schneller. Dein Viertel ist ein Friedhof geworden. Alles was so vertraut war gibt es nicht mehr. Du blickst ungläubig um Dich. Du fragst Dich, wo Du bist.
Du hast Angst. Eine Explosion nach der anderen. Du weinst. Du klammerst Dich an Deine Mutter oder an Deinen Vater. Du hältst Dir die Ohren zu. Du siehst das weiße Licht der Rakete und wartest auf die Explosion. Warum töten sie Kinder? Was haben sie getan? Warum kann Dich niemand beschützen? Wirst Du verletzt werden? Wirst Du ein Bein oder einen Arm verlieren? Wirst Du blind werden oder in einem Rollstuhl sitzen? Warum wurdest Du geboren? War es, um Schönes zu erleben? Oder war es um das hier zu erleben? Wirst Du groß werden? Wirst Du glücklich? Wie wird es sein, ohne Deine Freunde? Wer wird als nächstes sterben? Deine Mutter? Dein Vater? Deine Brüder und Schwestern? Irgendjemand den Du kennst wird verletzt. Bald. Jemand den Du kennst wird sterben. Bald.
Nachts liegst Du im Dunkel auf dem kalten Zementboden. Die Telefone sind unterbrochen. Das Internet ist abgeschaltet. Du weißt nicht, was passiert. Es gibt Lichtblitze. Es gibt Wellen von Erschütterungen durch Explosionen. Es gibt Schreie. Es hört nicht auf.
Du wartest, wenn Dein Vater oder Deine Mutter auf der Suche nach Essen oder Wasser sind. Das schreckliche Gefühl im Magen. Werden sie zurückkommen? Wirst Du sie wiedersehen? Wird Dein kleines Zuhause das nächste sein? Werden die Bomben Dich finden. Sind dieses Deine letzten Momente auf dieser Welt?
Du trinkst salziges, schmutziges Wasser. Es macht Dich sehr krank. Dein Magen tut weh. Du hast Hunger. Die Bäckereien sind zerstört. Es gibt kein Brot. Du ißt einmal am Tag. Nudeln. Eine Gurke. Bald wird es wie ein Festmahl sein.
Du spielst nicht mit Deinem Fußball aus Lumpen. Du läßt Deinen Drachen nicht fliegen, der aus altem Zeitungspapier gebaut ist.
Du hast ausländische Reporter gesehen. Wir tragen Schutzwesten auf denen das Wort „Presse“ steht. Wir haben Helme. Wir haben Kameras. Wir fahren in Jeeps. Wir tauchen immer nach der Bombardierung auf oder nach einer Schießerei. Wir sitzen lange bei Kaffee und reden mit den Erwachsenen. Dann verschwinden wir. Normalerweise interviewen wir keine Kinder. Aber ich habe Interviews mit Euch gemacht, als Ihr uns umringt habt. Es wurde gelacht. Gestikuliert. Ihr habt uns gebeten, Fotos von Euch zu machen.
Ich bin in Gaza von Kampfjets bombardiert worden. Ich wurde in anderen Kriegen bombardiert. Das war, bevor Du geboren wurdest. Ich hatte sehr große Angst. Ich träume immer noch davon. Wenn ich heute die Bilder aus Gaza sehe, kehren die Kriege mit großer Wucht wie Donner und Blitze zu mir zurück. Ich denke an Euch.
Alle von uns, die im Krieg waren, hassen den Krieg vor allem wegen dem, was er Kindern antut.
Ich habe versucht Deine Geschichte zu schreiben. Ich habe versucht der Welt zu sagen, wenn man grausam zu Menschen ist, jede Woche, jeden Monat, jedes Jahr, Jahrzehnte lang, wenn man den Menschen ihre Freiheit und ihre Würde nimmt, wenn man sie erniedrigt und in einem Gefängnis unter freiem Himmel einsperrt, wenn man sie tötet als seien sie wilde Tiere, dann werden sie zornig. Sie tun anderen das an, was man ihnen angetan hat. Ich habe das immer wieder gesagt. Ich habe das sieben Jahre lang gesagt. Kaum jemand hat zugehört. Und jetzt dies.
Es gibt sehr mutige palästinensische Journalisten. 39 von ihnen wurden getötet, seit dieses Bombardement begann. Sie sind Helden. Auch die Ärzte und Krankenpfleger in Euren Krankenhäusern sind Helden. Auch die UN-Mitarbeiter. 89 von ihnen wurden getötet. Auch die Fahrer von Rettungswagen und das medizinische Personal. Auch Eure Mütter und Väter, die Euch vor den Bomben beschützen.
Aber wir sind nicht dort. Nicht dieses Mal. Man läßt uns nicht hinein, man sperrt uns aus.
Reporter aus aller Welt werden zum Grenzübergang Rafah gehen, weil wir diesem Abschlachten nicht zuschauen können, ohne etwas zu tun. Wir gehen, weil Hunderte Menschen jeden Tag sterben, darunter 160 Kinder. Wir gehen, weil dieser Völkermord aufhören muss. Wir gehen, weil wir Kinder haben. Kinder wie Du. Kostbar. Geliebt. Wir gehen, weil wir wollen, daß Du lebst.
Ich hoffe, dass wir uns eines Tages treffen können. Du wirst erwachsen sein. Ich werde ein alter Mann sein. Obwohl, ich bin für Dich schon heute sehr alt. In meinen Traum über Dich wirst Du frei und sicher und glücklich sein. Niemand wird versuchen, Dich zu töten. Du wirst in Flugzeugen reisen, die mit Menschen gefüllt sind, nicht mit Bomben. (…)* Du wirst die Welt sehen. Du wirst erwachsen werden und Kinder haben. Du wirst alt werden. Du wirst Dich an dieses Leid erinnern, aber Du wirst wissen, dass es bedeutet, anderen zu helfen, die leiden. Das ist meine Hoffnung. Dafür bete ich.
Wir haben dich im Stich gelassen. Das ist unsere furchtbare Schuld. Wir haben es versucht, aber wir haben nicht genug getan. Wir werden nach Rafah gehen. Viele von uns. Reporter. Wir werden vor der Grenze mit Gaza stehen und protestieren. Wir werden schreiben und filmen. Das ist, was wir tun. Nicht viel, aber etwas. Wir werden Deine Geschichte neu aufschreiben.
Vielleicht reicht es, um das Recht zu verdienen, Dich um Vergebung zu bitten.
Die Übersetzung besorgte Karin Leukefeld (leicht gekürzt). Die Kürzung betrifft diesen Satz:
You will not be trapped in a concentration camp. *Du wirst nicht in einem Konzentrationslager gefangen sein.
Die Übersetzerin schrieb uns: Auf redaktionellen Wunsch wegen des deutschen Kontexts wurde der Satz mit dem Begriff „concentration camp“ (s. Original in Englisch) ausgelassen. Die Auslassung ist so (…) markiert. Ich wollte es nicht umformulieren in „Freiluftgefängnis“.
Mit Dank an Frau Leukefeld für die Übersetzung
Diesen Brief finden Sie auch auf www.globalbridge.ch (mit der Übersetzung "Freiluftgefängnis".)
Vielleicht nehmen sich Germanisten der Frage an, ob es im deutschen Sprachraum angebracht ist, das Wort concentration camp im Text im Zusammenhang mit Gaza wortgetreu mit Konzentrationslager zu übersetzen, es ganz wegzulassen oder durch Freiluftgefängnis zu ersetzen.
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10.11.2023
Der OberlehrerEU-Freihandelsabkommen mit Australien ist gescheitert; Gespräche über Abkommen mit dem Mercosur, Indien und Indonesien stecken fest. Die deutsche Industrie protestiert, wirft der EU „Werteimperialismus“ vor.
german-foreign-policy.com, 10. November 2023
BRÜSSEL/CANBERRA/BRASÍLIA (Eigener Bericht) – Deutsche Wirtschaftskreise üben scharfe Kritik am Scheitern des EU-Freihandelsabkommens mit Australien und an der fortdauernden Verschleppung weiterer EU-Freihandelsgespräche. Canberra hatte die Verhandlungen mit der EU Anfang vergangener Woche abgebrochen – für Brüssel ein schwerer Schlag: Die EU will mit Hilfe australischer Ressourcen von China unabhängiger werden. Auch das Freihandelsabkommen mit dem Mercosur ist vom Scheitern bedroht: Die Mitgliedstaaten des südamerikanischen Bündnisses sind nicht bereit, sich den klar als Schikane empfundenen Brüsseler Forderungen zum Schutz des Regenwaldes ohne weiteres zu beugen. Ob eine Annäherung möglich ist, gilt als ungewiss. Die Verhandlungen über Freihandelsabkommen mit Indien und Indonesien stecken ebenfalls fest. Ursache für das Scheitern sind zum einen offenbar unüberbrückbare Interessensdivergenzen zwischen der deutschen Industrie und der französischen Landwirtschaft; zum anderen wird das Beharren der EU auf Umweltforderungen, wie Kommentatoren urteilen, als „Werteimperialismus“ wahrgenommen. Die Union, heißt es, führe sich gegenüber anderen Staaten „wie ein Oberlehrer“ auf.
Zitat: Gescheitert
Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit Australien hatte die EU schon im Juni 2018 begonnen. Anlass war zum einen das Interesse der Industrie, einen neuen Absatzmarkt zu öffnen. Darauf gedrängt hatten vor allem deutsche Exporteure, auch wenn Australien mit nur knapp 27 Millionen Einwohnern begrenzte Abnahmekapazitäten hat. Wichtigstes Ziel war auf Seiten der EU allerdings, besseren Zugriff auf Australiens Ressourcen zu erlangen. Das Land verfügt unter anderem über riesige Lithiumvorkommen, über die zweitgrößten Vorräte an Kobalt und über umfangreiche Lagerstätten etwa von seltenen Erden, Nickel und Graphit. Dabei handelt es sich um Rohstoffe, die eine zentrale Bedeutung für wichtige Technologien der Energiewende besitzen. Zur Zeit sind die EU-Staaten bei ihrem Erwerb in hohem Maß auf China angewiesen. Ein Freihandelsabkommen mit Australien sollte helfen, die Abhängigkeit zu lindern. Als Gegenleistung forderte Canberra besseren Zugang für Australiens Landwirte in den Markt der EU. Daran sind die Verhandlungen jetzt gescheitert. Australiens Landwirtschaftsminister erklärte am Montag vergangener Woche, Brüssel sei nicht zu ernsthaften Zugeständnissen bereit gewesen; Canberra brach die Verhandlungen ab. Wegen der EU-Wahl 2024 und der Wahl in Australien 2025 werden weiteren Gesprächen keine Chance eingeräumt.[1]
Vom Scheitern bedroht
Vom Scheitern bedroht sind zudem die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen der EU mit dem südamerikanischen Staatenbündnis Mercosur (Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay). Diese wurden bereits im Juni 1999 gestartet und konnten – nach mehreren Unterbrechungen – erst im Juni 2019 abgeschlossen werden. Allerdings steht bislang noch die Ratifizierung aus. Attraktiv ist das Abkommen vor allem für die EU-Industrie, der es den riesigen Mercosur-Absatzmarkt mit 260 Millionen Einwohnern öffnen würde. Sehr für das Abkommen stark gemacht hat sich die deutsche Industrie. Die Ratifizierung stockt, weil Länder mit starken Agrarinteressen – Frankreich, Irland, Österreich – sie unter dem Vorwand blockieren, eine Zusatzvereinbarung zum Schutz des Regenwaldes schließen zu wollen. Im Mercosur wird dies als willkürliche Schikane zurückgewiesen. Stattdessen verlangen Brasilien und Argentinien neue Schutzvorschriften für ihre von der EU-Konkurrenz bedrohte Industrie.[2] Zur Zeit stecken die Verhandlungen wieder einmal fest. Dabei ist inzwischen unklar, wie lange der Mercosur überhaupt noch zur Verfügung steht. In Argentinien droht der ultrarechte Präsidentschaftskandidat Javier Milei mit dem Austritt aus dem Bündnis. In Uruguay wird, da das EU-Abkommen ausbleibt, über ein Freihandelsabkommen mit China auf nationaler Ebene diskutiert; dies würde den Mercosur sprengen.
Nicht erreichbar
Allenfalls schleppende Fortschritte verzeichnet die EU in den Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit Indien. Auch diese wurden bereits im Jahr 2007 aufgenommen und mussten 2013 wegen unzureichender Fortschritte abgebrochen werden; seit Juni 2022 wird nun weiterverhandelt. Eine besondere Bedeutung wird dem Abkommen beigemessen, weil die EU Indien als alternativen Produktionsstandort und als alternativen Absatzmarkt zu China nutzen will; ein Abbau von Handelsbarrieren würde dies erleichtern. Allerdings gilt Indien, ähnlich wie die EU, als schwieriger Verhandlungspartner. Im Februar hatte sich Bundeskanzler Olaf Scholz bei einem Besuch in New Delhi energisch für Fortschritte in den Verhandlungen stark gemacht [3]; im Juli hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ebenfalls während eines Aufenthalts in der indischen Hauptstadt versucht, die Gespräche zu beschleunigen [4]. Der ursprüngliche Plan, das Freihandelsabkommen noch in diesem Jahr unter Dach und Fach zu bringen, gilt inzwischen allerdings als nicht realisierbar. „Jeder, der einigermaßen bei Verstand ist und die Komplexität dieser Verhandlungen kennt, wird nicht für eine Sekunde daran glauben, dass dies ein erreichbares Ziel war“, erklärte Ende Oktober der EU-Botschafter in Indien, Hervé Delphin; die Verhandlungen über das Abkommen würden noch erheblich mehr Zeit verschlingen.[5]
Feststeckend
Schwierigkeiten gibt es auch bei den Bemühungen, Freihandelsabkommen mit den Staaten Südostasiens zu schließen. Das 2007 gestartete ehrgeizige Vorhaben, sich auf ein Abkommen mit dem Staatenbund ASEAN zu einigen, musste bereits 2009 abgebrochen werden. Seitdem ist die EU bemüht, ersatzweise Freihandelsvereinbarungen mit einzelnen ASEAN-Ländern zu schließen. Erfolgreich war das bisher lediglich bei der – strategisch freilich bedeutenden – Handelsdrehscheibe Singapur sowie bei Vietnam, das sich als Alternativstandort zu China zu profilieren sucht; Freihandelsabkommen mit den beiden Staaten traten im November 2019 bzw. im August 2020 in Kraft. Die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit Indonesien, die bereits im Juli 2016 aufgenommen wurden, stecken fest. Von Bedeutung sind sie, weil Indonesien zum einen mit seinen 280 Millionen Einwohnern der größte Markt des ASEAN-Bündnisses ist und zum anderen als aufstrebendes Schwellenland mit schnell steigendem Einfluss gilt, das die EU enger an sich zu binden sucht. Die Gespräche stocken nun vor allem, weil die EU die Palmölherstellung in Indonesien zurückdrängen will, die dort zur Reduzierung der Regenwaldbestände führt. Jakarta begreift dies als Diskriminierung indonesischer Produzenten zugunsten der Konkurrenz aus der EU; es setzt sich also entschlossen dagegen zur Wehr.[6]
Werteimperialismus
Aus der deutschen Wirtschaft kommt inzwischen scharfe Kritik. Für Exporteure wiegen die Fehlschläge in den Freihandelsbemühungen schwer. Zum einen suchen sie verzweifelt nach Auswegen aus der sich zuspitzenden Wirtschaftskrise. Zum anderen ziehen konkurrierende Staaten an Deutschland und der EU vorbei. So ist etwa seit dem 31. Mai 2023 ein Freihandelsabkommen zwischen Großbritannien und Australien in Kraft; zudem ist es dem Vereinigten Königreich gelungen, dem asiatisch-pazifischen Freihandelsbündnis CPTPP (Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership) beizutreten, das der britischen Industrie nun Absatzmärkte unter anderem in Südostasien öffnet. Das wiederholte Scheitern der EU wiederum wird einerseits darauf zurückgeführt, dass sich die divergierenden Interessen der Mitgliedstaaten nicht vereinen lassen: Die deutsche Industrie und die französische Landwirtschaft stehen sich regelmäßig im Weg. Zum anderen sind Drittstaaten immer weniger bereit, sich den immer umfassenderen Forderungen der EU vor allem in Klima- und Umweltbelangen zu beugen. Dies gelte als „Werteimperialismus“, konstatieren wirtschaftsnahe Kommentatoren [7]; die EU trete immer öfter „wie ein Oberlehrer auf“ [8]. Dabei müsse – spätestens seit der BRICS-Erweiterung [9] – „allen klar sein: Die Zeiten, in denen sich Europa dank seiner Wirtschaftsmacht hofieren lassen konnte, sind vorbei.“[10] Diese Erkenntnis aber sei in Brüssel offenbar noch nicht angekommen.
[1] Mathias Peer, Olga Scheer: Australien lässt Freihandelsdeal mit der EU platzen. handelsblatt.com 30.10.2023.
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10.11.2023
Der 7. Oktober – ein vorläufiges Resumée
freedert.online, 9 Nov. 2023 19:01 Uhr, Von Dagmar Henn
Unter den Bomben, die täglich auf Gaza fallen, sind die Ereignisse des 7. Oktober inzwischen für die einen völlig verschwunden, während die anderen selbst Tausende toter Kinder in Gaza nicht einmal wahrnehmen wollen. Aber nach wie vor liegen die ursprünglichen Ereignisse im Nebel.
Verletztes Kind in Gaza, 31. Oktober 2023
So einfach, wie das in Deutschland erzählt wird, mit der bösen Terrororganisation Hamas gegen das gute Israel, ist die Geschichte nicht. Im Gegenteil, der erste Blick führt völlig in die Irre. Zumindest Teile der Geschichte werden in anderen Ländern durchaus benannt. In India Todaybeispielsweise, oder selbst im kanadischen Sender CBC, beide mit einer ganzen Fülle von Zitaten und Belegen. Allerdings kann man die Geschichte durchaus noch ein Stück weiter zurückverfolgen, wenn man die Ursprünge der Muslimbruderschaft betrachtet.
Eine Berliner Erfindung
Die Muslimbruderschaft ist der Ursprung einer ganzen Reihe politischer Organisationen in verschiedenen Ländern. Sie stellte in Ägypten nach dem "arabischen Frühling" die Regierung, bis sie vom Militär gestürzt wurde. Sie ist der Ursprung der türkischen AKP, der Partei des türkischen Regierungschefs Erdoğan. Eine der einflussreichsten Organisationen im Nahen Osten, aber keine Organisation, die ganz von alleine entstand.
Tatsächlich war die Muslimbruderschaft ebenso sehr das Instrument des Auswärtigen Amtes in Berlin, wie die Wahabiten und das Haus Al-Saud das der Briten waren. Wenn beispielsweise gerne der Großmufti von Jerusalem aus den 1940ern zitiert wird, um arabischen Antisemitismus zu belegen, handelt es sich um einen Vertreter der Muslimbruderschaft mit engen Verbindungen nach Berlin, und nicht um einen durch und durch authentischen Vertreter seiner Glaubensgemeinschaft.
Wer die unterschiedlichen Legenden kennt, weiß, dass sich vielfach solche Strukturen mit authentischen Bewegungen vermischt haben. Dazu genügt es, den Film "Lawrence von Arabien" anzusehen, der Anfang des 20. Jahrhunderts spielt. Die Aufstände, die er im britischen Auftrag anführte, hatten vor allem den Zweck, den Franzosen ihre Kolonien abzunehmen – und in britische zu verwandeln. Auf die gleiche Art und Weise nutzte das Auswärtige Amt die Muslimbrüder, um die britische Macht zu unterminieren. Nicht mit der Absicht, eine wirkliche Souveränität zu ermöglichen, sondern, sich die Herrschaft über diese Gebiete selbst anzueignen.
Der Übergang der auswärtigen Kontrolle über die Muslimbrüder an die Vereinigten Staaten erfolgte erst nach dem Zweiten Weltkrieg, und nicht vollständig. In der alten Bundesrepublik setzte Gerhard von Mende die Betreuung dieser Organisation fort, für die er bereits im Amt Rosenberg der Nazis zuständig gewesen war.
Interessanterweise spielt bei der Internationalisierung dieser Organisation ausgerechnet eine Moschee in München-Freimann eine zentrale Rolle. Es gibt ein Buch eines US-amerikanischen Journalisten zu diesem Thema, "Die vierte Moschee" von Ian Johnson, das diese Geschichte nachzeichnet; auch wenn man, ähnlich wie bei den Bandera-Nazis, annehmen sollte, dass die deutsche Verbindung trotz der starken Beteiligung der CIA nie abgerissen ist.
Netanjahus Spaltungsmanöver
Als Teil der Muslimbruderschaft ist natürlich auch die Hamas Teil dieser Geschichte, auch wenn die neueren Details, die etwa India Today anführt, noch etwas bizarrer sind als die Verquickung mit Berliner Machtpolitik. Die indische Tageszeitung fragt:
"Warum Netanjahu geholfen hat, die Hamas zu finanzieren, und wie das gegen Israel zurückschlug."
Ja, es war der heutige israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu persönlich, der im Vorlauf zu den Wahlen im Westjordanland und im Gazastreifen im Jahr 2006 alles dafür tat, die Hamas zu stärken. Erst vor einigen Monaten zitierte ihn die Jerusalem Post mit einer Aussage, die er damals in einer geschlossenen Sitzung eines israelischen Parlamentsausschusses machte:
"Die palästinensischen Hoffnungen, einen souveränen Staat zu errichten, müssen ausgelöscht werden."
Das Mittel der Wahl, um eine Umsetzung der Oslo-Abkommen, die Netanjahu immer abgelehnt hat, zu verhindern, war die Zerstörung der politischen Einheit der Palästinenser, indem in Gaza die Hamas als "Gegengewicht" zur PLO aufgebaut wurde. Hamas und Netanjahu, so schrieb selbst die New York Timesnoch im Mai 2021, "sind jeweils des anderen wertvollster Partner (…) seit Netanjahu 1996 zum ersten Mal gewählt wurde – im Gefolge einer Welle von Selbstmordanschlägen der Hamas."
Der ehemalige Chef des saudi-arabischen Geheimdienstes, Prinz Turki-al-Faisal, erklärte Ende Oktober, selbst die heutige Finanzierung der Hamas aus Katar erfolge nicht nur mit Billigung, sondern unter aktiver Mitwirkung israelischer Behörden:
"Die Gelder werden elektronisch nach Israel überwiesen, woraufhin israelische und UN-Beschäftigte sie zu Fuß über die Grenze nach Gaza tragen."
Nun sollte man dabei nicht vergessen, dass es eine Rivalität zwischen Katar und Saudi-Arabien gibt, die letztlich auf die alte Konkurrenz zwischen den Wahabiten und den Muslimbrüdern zurückgeht, seine Aussage also nicht unbeinflusst von eigenem Interesse ist. Aber es hat sich bis heute nichts daran geändert, dass Netanjahu und seine Bündnispartner ein aktives Interesse daran haben, zwar irgendwie eine Art politischer Vertretung der Palästinenser sowohl im Westjordanland als auch in Gaza aufrechtzuerhalten, weil ihr Verschwinden die ganze Frage eines Endes der Besatzung neu aufwerfen würde, aber gleichzeitig dafür zu sorgen, dass diese Vertretung möglichst schwach bleibt.
Ähnlich berichtet das aber auch die Times of Israel:
"Israel hat es seit 2018 erlaubt, das Koffer mit Millionen aus Katar die Grenze nach Gaza überqueren, um seinen fragilen Waffenstillstand mit der Hamas, die dort regiert, zu bewahren."
Und zieht dann ein Fazit, bezogen auf den 7. Oktober:
"Eines ist klar: das Konzept, die Hamas indirekt zu stärken – während man gelegentliche Angriffe und kleinere Militäreinsätze alle paar Jahre hinnimmt – ging am Samstag in Rauch auf."
Die Grenzen politischer Einflussnahme
Niemanden dürfte es mehr wundern, dass sich gerade im Nahen Osten, mit seiner Bedeutung als Ölquelle, die Fäden politischer Einflussnahme vielfach kreuzen und verknoten, und dass sich dort genau das gleiche Phänomen externer politischer Kontrolle findet, das man auch in Deutschland in Gestalt von Astroturfing und dutzenden Stiftungen beobachten kann, nur in anderer Gestalt. Aber es gibt noch einen weiteren Punkt, den man berücksichtigen muss, der den Bemühungen, auf diese Weise politische Entwicklungen zu kontrollieren und zu instrumentalisieren, entgegensteht.
Es gibt eine ganze Reihe historischer Beispiele, wie solche Versuche scheitern oder manchmal sogar das Gegenteil bewirken können. Khomeinis Exil in Frankreich war auch ein französischer Schachzug gegen die damals den Iran kontrollierenden US-Amerikaner, aber es entstand dennoch eine reale Bewegung der iranischen Bevölkerung und am Ende eine Staatsgewalt, auf die die ursprünglichen Förderer keinen Einfluss mehr hatten. Ähnlich scheiterten 1917 die deutschen Versuche, den Briten ihre russische Beute abzujagen – am Ende von Oktoberrevolution und Bürgerkrieg stand ein tatsächlich souveräner Staat, und beide Räuber hatten verloren.
Die Wahrscheinlichkeit, dass Bemühungen, die der Absicht folgen, ein Land zu kontrollieren oder von der Konkurrenz zu übernehmen, scheitern und, gewissermaßen versehentlich, das Entstehen einer realen Bewegung der Bevölkerung fördern, steigt in Zeiten großer Krisen deutlich. Die Strategie, nach der vor dreizehn Jahren der "arabische Frühling" angezettelt wurde, ist heute um ein Vielfaches riskanter, als sie es damals war, weil die globalen Machtverhältnisse im Umbruch sind.
Das, und nicht die Liste tatsächlicher oder vermeintlicher Sponsoren, macht es so schwierig, tatsächlich zu definieren, welche Rolle die Hamas derzeit einnimmt. Rechtlich und diplomatisch ist sie für jene, die den Staat Palästina anerkennen, die legitime Vertretung der Bevölkerung von Gaza, schlicht, weil sie 2006 die Wahlen gewonnen hat.
Aber politisch kann sie sich durchaus im Übergang von einem israelischen Instrument zu einer echten Bewegung palästinensischen Widerstands befinden. Veränderungen verlaufen nicht nur in der Richtung, dass politische Bewegungen saturiert werden und ihre Ziele verraten; sie können auch so verlaufen, dass sich, aufgrund der Wucht, die die gesellschaftlichen Widersprüche angenommen haben, eine ursprünglich leere Hülle mit Inhalt füllt.
Die Wahrheit ist unbekannt
Augenblicklich sagt jedenfalls die Verwicklung von Benjamin Netanjahu in den Aufstieg der Hamas mehr über die israelische Politik aus als über die Hamas. Und so gut wie alle Fragen, wie und warum der 7. Oktober möglich war und was dabei wirklich geschehen ist, sind nach wie vor unklar. Die politische Führung der Hamas hat mittlerweile eine internationale Untersuchung gefordert.
Es finden sich deutliche Hinweise, dass die israelische Führung nicht halb so ahnungslos gewesen sein konnte, wie sie es dargestellt hat. Dazu gehören sowohl die ägyptische Meldung, Netanjahu sei persönlich vom ägyptischen Geheimdienst gewarnt worden, als auch Berichte, dass die israelischen Stellungen an der Grenze des Gazastreifens ungewöhnliche Aktivitäten gemeldet hatten, aber keine Reaktion darauf erfolgte. Und darüber hinaus gibt es auch Zweifel daran, wie weit die Darstellung der Ereignisse durch die israelische Regierung zutrifft.
Der Journalist Max Blumenthal hat Ende Oktober einen sehr ausführlichen Artikel auf The Grayzone veröffentlicht, in dem er unzählige Zeugenaussagen und Berichte bündelte, die aus der israelischen Presse stammen. Aussagen, wonach vielfach die israelische Armee für den Tod von Zivilisten verantwortlich war, für die die Hamas verantwortlich gemacht wurde.
"Die zunehmenden Belege für freundliches Feuer, die von Kommandeuren der israelischen Armee weitergegeben werden, machen es sehr wahrscheinlich, dass die erschütterndsten Bilder verkohlter israelischer Leichen, israelische Häuser, die in Schutthaufen verwandelt wurden, und ausgebrannter Fahrzeuge, die den westlichen Medien präsentiert wurden, tatsächlich das Werk von Panzerbesatzungen und Hubschrauberpiloten waren, die israelisches Gebiet mit Granaten, Kanonenbeschuss und Hellfire-Raketen eindeckten.
Tatsächlich entsteht der Eindruck, dass am 7.Oktober das israelische Militär mit der gleichen Taktik reagierte, die es gegen die Zivilbevölkerung von Gaza einsetzt, und durch den unterschiedslosen Einsatz schwerer Waffen den Blutzoll unter den eigenen Bürgern in die Höhe trieb."
Nachdem es keine internationale Untersuchung geben wird, zumindest nicht, solange die Regierung Netanjahu in Israel im Amt ist, gibt es keinen Weg, derzeit die vielen Zweifel zu klären. Vielleicht gibt es irgendwann einmal einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der dieses Dickicht durchdringen kann. Nicht nur die Bewertung der Organisation Hamas ist unklar, auch die tatsächlichen Ereignisse, die als Begründung für den Angriff auf Gaza dienen. Nur ein einziger Punkt ist sicher – das Bestreben, israelische Bürger als Geiseln zu nehmen, ist eine Reaktion auf tausende Palästinenser, darunter Kinder, die in israelischen Gefängnissen sitzen und oftmals auch nichts anderes sind als Druckmittel, um ihre Familien zu Gehorsam zu zwingen, also ebenfalls Geiseln.
Ein Weg durch den Nebel
Nun ist klar, dass man unter solchen Umständen nicht sagen kann: "Wir warten einfach so lange, bis in allen Punkten die Wahrheit klar ist." Gerade, wenn Handlungen stattfinden, die man zu Recht als Genozid bezeichnen kann. Klar ist aber ebenfalls, dass jede emotionale Reaktion in die Irre führen kann, weil sie notwendigerweise auf unvollständiger Information beruht.
Die mögliche Handlung besteht tatsächlich darin, auf die Einhaltung des Völkerrechts und humanitärer Grundsätze zu drängen. Dabei würde ein Waffenstillstand (nicht die kleine Kampfpause, die sich die Führung der Vereinigten Staaten so vorstellt) auch, und das ist nicht unwichtig, die Möglichkeit schaffen, dass die israelische Öffentlichkeit die Gelegenheit erhält, sich mit den aufgelaufenen Zweifeln auseinanderzusetzen und von der Regierung Netanjahu Rechenschaft zu fordern; was allerdings einen weiteren Grund liefert, warum der bereits durch ein Korruptionsverfahren bedrängte Netanjahu genau daran kein Interesse hat.
Was, wenn sich letztlich erweist, dass die Regierung Netanjahu die Ereignisse des 7. Oktober wissentlich gebilligt hat? Was, wenn sich herausstellen sollte, dass die zivilen Opfer in Israel weitgehend auf das Konto der israelischen Armee gehen? Was, wenn am Ende als Vorwurf gegen Hamas nur die Gefangennahme israelischer Bürger zum Zwecke des Austauschs übrig bleibt? Oder anders herum, wenn die alten Beziehungen zwischen Hamas und Netanjahu der Auslöser der ganzen Kette von Ereignissen waren, sie also gewissermaßen im Auftrag erfolgten? Oder es, über welche Verbindung auch immer, schlicht den Vereinigten Staaten darum ging, wieder einmal eine Runde Unruhe zu stiften? In jedem dieser Fälle führt eine Parteinahme für die politischen Strukturen, gleich auf welcher Seite, in die Irre.
Aber übrig bleiben die Anforderungen der Humanität, und eine Unterstützung jedes Bestrebens, Klarheit zu schaffen. Wenn man diesen Regeln verpflichtet bleibt, kann man selbst in langen Phasen der Unklarheit so handeln, dass für die Zukunft kein Schaden angerichtet wird. Eine Haltung, die zwar Russland und China einzunehmen vermögen, für die dem Westen aber sowohl Wille als auch Einsicht abgehen.
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09.11.2023
Krieg in Nahost: Israel startet massive Luftangriffe im nördlichen Gazastreifen
freedert.online, 9 Nov. 2023 17:59 Uhr
Die Bilder und Videos aus dem Grenzgebiet des Gazastreifens und Israel schockieren die Welt. Mit dem Angriff der Hamas auf Israel kam es nun zu einer neuen Eskalation der Gewalt. Die israelische Armee startete am 9. Oktober eine unbarmherzige Militäroperation gegen den Gazastreifen.
Dieses Bild, aufgenommen von der israelischen Seite der Grenze zum Gazastreifen am 9. November 2023, zeigt einen Feuerball, der während eines israelischen Bombardements im Gazastreifen ausbricht.
9.11.2023 21:55 Uhr
21:55 Uhr
Huthi bekennen sich zu Angriff auf Gebäude in Eilat
Vertreter der jemenitischen Huthi haben sich mittlerweile zu dem Angriff in der südisraelischen Stadt Eilat bekannt. Ein Sprecher der Organisation erklärte, die Huthi hätten am heutigen Tag mehrere Ziele in Israel mit ballistischen Raketen beschossen, darunter auch "militärische Ziele" in Eilat.
Die israelische Armee hatte zuvor von einer Drohne unbekannter Herkunft gesprochen, die ein ziviles Gebäude in Eilat getroffen habe. Diese habe lediglich Sachschäden verursacht, hieß es weiter. Israelische Medien meldeten unter Berufung auf das Militär, eine Schule sei beschädigt worden. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
21:39 Uhr
Israelischer Abgeordneter: Fotojournalisten aus Gaza, die den Angriff vom 7. Oktober aufgenommen haben, werden eliminiert
Der Likud-Politiker Danny Dannon, Mitglied der Knesset und Ständiger Vertreter Israels bei den Vereinten Nationen, sagte, dass alle Fotojournalisten, die Fotos oder Videos von dem Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober gemacht haben, auf eine israelische Eliminierungsliste gesetzt werden, da sie als Teilnehmer des Angriffs gelten.
Hintergrund seiner Aussage ist ein Medienbericht, in dem die Anwesenheit von Fotojournalisten am Grenzzaun zwischen Israel und dem Gazastreifen am 7. Oktober infrage gestellt wurde. Dies warf die Frage auf, ob Journalisten im Vorfeld von dem Angriff der Hamas wussten. Mehrere israelische Politiker haben die Behauptungen aufgegriffen und den Journalisten eine Beteiligung unterstellt (RT DE berichtete).
Die beschuldigten Journalisten und auch die betroffenen Zeitungen und Nachrichtenagenturen bestreiten dies teils vehement. Einige Journalisten erklärten, sie hätten nur ihre Arbeit gemacht. Die Nachrichtenorganisationen AP,Reuters und CNN haben die Zusammenarbeit mit den beschuldigten freiberuflichen Fotografen mittlerweile beendet. Die New York Times verteidigte unterdessen einen ihrer freiberuflichen Fotografen nachdrücklich und erklärte laut Al Jazeera, es seien "vage Anschuldigungen" gegen Yousef Masoud erhoben worden, für die es "keine Beweise" gebe.
"Unsere Überprüfung seiner Arbeit zeigt, dass er das getan hat, was Fotojournalisten bei großen Nachrichtenereignissen immer tun, nämlich die Tragödie zu dokumentieren, während sie sich entfaltet", heißt es in einer Erklärung der New York Times. "Wir sind sehr besorgt darüber, dass unbegründete Anschuldigungen und Drohungen gegenüber freien Mitarbeitern diese gefährden und die Arbeit, die dem öffentlichen Interesse dient, untergraben."
21:20 Uhr
Menschen in Gaza-Stadt suchen während des schweren israelischen Bombardements Schutz im Krankenhaus
20:53 Uhr
Palästinensische Gesundheitsbehörde: Mindestens 15 Tote bei israelischen Razzien im Westjordanland
Bei israelischen Razzien im besetzten Westjordanland sind nach Angaben der palästinensischen Gesundheitsbehörde mindestens 15 Palästinenser getötet und mindestens 20 weitere verletzt worden. Die Razzien hatten unter anderem in der Stadt Dschenin und dem angrenzenden Flüchtlingslager sowie in anderen Ortschaften stattgefunden.
Die israelische Armee bestätigte zunächst einen Einsatz in Dschenin, gab jedoch keine Details bekannt. Später erklärte sie, Ziel sei es, die "Sicherheit aller Bewohner der Region" zu schützen und "Terrorismus sowie Aktivitäten vorzubeugen, welche die Bürger Israels gefährden."
Die Palästinensische Rothalbmondgesellschaft gab an, dass israelische Streitkräfte auf einen ihrer Krankenwagen geschossen hätten, als dieser versucht habe, einen Verletzten zu erreichen. Die Besatzung des Krankenwagens wurde am Eingang des Flüchtlingslagers Dschenin blockiert und daran gehindert, den Ort des Geschehens zu erreichen, hieß es.
Seit Beginn des Gaza-Krieges eskaliert auch die Gewalt im besetzten Westjordanland. Ein Journalist der Nachrichtenagentur AFP berichtet, dass die Kämpfe dort auch am Nachmittag andauerten. Schwarzer Rauch sei über der Stadt Nablus und dem angrenzenden Flüchtlingslager aufgestiegen, Explosionen und Salven von Kleinwaffen zu hören gewesen.
20:11 Uhr
US-Präsident Biden: Keine Chance für Waffenstillstand
US-Präsident Joe Biden stellte klar, dass er keine Chance für einen baldigen Waffenstillstand im Gazakrieg sehe. Auf die Frage, ob es entsprechende Aussichten gebe, sagte Biden:
"Keine. Keine Möglichkeit."
In Bezug auf die von der Hamas festgehaltenen Geiseln sagte Biden, dass er noch optimistisch sei. Die US-Regierung lehnt mit Blick auf die Situation im Gazastreifen einen generellen Waffenstillstand ab und behauptet, dies würde nur der Hamas "in die Hände spielen".
19:54 Uhr
Israels Militär: Kein Waffenstillstand, lediglich "humanitäre Pausen"
Ein Sprecher der israelischen Armee stellte nun klar, dass Israel keinem Waffenstillstand (englisch: "ceasefire") im Gazastreifen zugestimmt habe, sondern lediglich zeitlich und lokal begrenzten Pausen. Laut der Nachrichtenagentur Reuters sagte Richard Hecht:
"Was wir tun, dieses Vier-Stunden-Fenster, das sind taktische, lokale Pausen für humanitäre Hilfe."
Die USA hatten zuvor mitgeteilt, dass im Norden des Gazastreifens jeden Tag vier Stunden lang keine Einsätze ausgeführt werden sollen, um Palästinensern zu ermöglichen, sich in Sicherheit zu bringen.
Die israelische Regierung beharrt auf ihrer Forderung, dass es einen Waffenstillstand mit der Hamas nur gegen die Freilassung der von ihnen festgehaltenen Geiseln geben wird. Netanjahus Büro verwies zudem auf einen Fluchtkorridor für Zivilisten im Gazastreifen vom Norden in den Süden, für dessen Nutzung Israel den Menschen zurzeit täglich für einige Stunden eine "sichere Passage" zusagt.
Auf die Frage, ob es sich bei der Stellungnahme des Büros des Ministerpräsidenten um ein Dementi der US-Ankündigung handele, ging der Sprecher Netanjahus nicht ein.
19:27 Uhr
Netanjahu wirft Pressefotografen vor, "Komplizen" des Hamas-Angriffs am 7. Oktober gewesen zu sein
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu wirft Fotografen internationaler Medien vor, beim Angriff der Hamas am 7. Oktober dabei gewesen zu sein und Bilder gemacht zu haben. Dies habe sie zu "Komplizen" der Hamas gemacht. Netanjahus Büros schreibt auf X/Twitter:
"Diese Journalisten waren Komplizen bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit, ihr Handeln verstieß gegen die Berufsethik."
Zunächst hat die Webseite HonestReporting den Verdacht geäußert, dass freie Fotografen des US-Senders CNN, der New York Times sowie der Nachrichtenagenturen AP und Reuters bei den Massakern am 7. Oktober direkt dabei gewesen seien (RT DE berichtete). Die Nachrichtenagentur AP erklärte diesbezüglich:
"AP nutzt Bilder von freien Mitarbeitern überall auf der Welt, auch in Gaza. Die Associated Press hatte keine Kenntnis von dem Angriff am 7. Oktober, bevor dieser passiert ist."
Auch Reuters dementierte, im Vorfeld vom Angriff der Hamas gewusst zu haben. Der israelischen Nachrichtenseite ynet teilte CNN mit, angesichts des Berichts habe der Sender seine Zusammenarbeit mit einem der genannten Fotografen beendet. Wenig später folgte AP dem Beispiel.
19:04 Uhr
Israels rechtsextremer Sicherheitsminister Ben-Gvir lehnt Feuerpausen ab
Israels rechtsextremer Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir verurteilte die von den USA angekündigten Feuerpausen und bezeichnete sie als "schweren Fehler", wenn sie nicht mit der Freilassung der Gefangenen verbunden werden. Er bezweifelte auch, dass das israelische Kriegskabinett die Befugnis hat, diese Entscheidung zu treffen, und forderte, dass diese Entscheidung dem Sicherheitskabinett vorgelegt wird.
Die Notstandsregierung war in den Tagen nach dem Überfall der Hamas auf Israel eingesetzt worden, nachdem Regierungschef Benjamin Netanjahu der Opposition eine vorläufige Zusammenarbeit angeboten hatte. Ben-Gvir gehört jedoch nicht zu den Politikern, die unter der Notstandsregierung als Minister vereidigt wurden.
18:52 Uhr
Drohne trifft Zivilgebäude im südisraelischen Eilat
Nach Angaben der israelischen Armee hat eine Drohne in der südisraelischen Stadt Eilat ein ziviles Gebäude getroffen. Die Herkunft der Drohne sowie der Vorfall insgesamt würden überprüft, teilte das Militär mit. Israelische Medien meldeten unter Berufung auf das Militär, eine Schule sei beschädigt worden. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
Bisher hat sich noch niemand für den Vorfall verantwortlich erklärt. In der vergangenen Woche hatten jemenitische Huthi allerdings bereits einen Angriff auf Eilat für sich beansprucht und warnten, dass weitere Attacken folgen würden, "bis die israelische Aggression aufhört" und die Palästinenser "siegreich" seien.
18:04 Uhr
Israel startet massive Luftangriffe im nördlichen Gazastreifen
Nach Angaben des palästinensischen Innenministeriums habe Israel eine "Serie von gewaltsamen Angriffen" im östlichen Teil des nördlichen Gazastreifens begonnen, die als "Feuergürtel" bezeichnet werden. Zuvor hatte das Ministerium erklärt, Israel habe auch im Nordwesten des Gazastreifens "gewaltsame Angriffe" durchgeführt.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
09.11.2023
Die arabisch-iranische Freundschaft ist eine geopolitische Realität
seniora.org, 09. November 2023, M. K. Bhadrakumar 9. November 2023 - übernommen von indianpunchline.com
Palästinenser arbeiten in den Trümmern von Gebäuden, die von israelischen Luftangriffen getroffen wurden, im Flüchtlingslager Jabalia im Norden des Gazastreifens, 1. November 2023
Der bevorstehende erste Besuch des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi in Saudi-Arabien am 13. November ist ein Meilenstein in der Annäherung zwischen den beiden Ländern, die im März von China vermittelt wurde. Im Zusammenhang mit dem palästinensisch-israelischen Konflikt erlangen die Beziehungen rasch eine qualitativ neue Ebene der Solidarität.
Damit verschieben sich die tektonischen Platten in der Regionalpolitik, die lange Zeit von den Vereinigten Staaten dominiert wurde, was nun nicht mehr der Fall ist. Die jüngste Initiative Chinas und der Vereinigten Arabischen Emirate zur Förderung eines Waffenstillstands im Gazastreifen wurde am Montag mit einem außergewöhnlichen diplomatischen Spektakel im UN-Hauptquartier in New York abgerundet, als die Gesandten der beiden Länder den Medien eine gemeinsame Erklärung vorlasen. Die USA waren nirgends zu sehen.
China und die Vereinigten Arabischen Emirate zu Gaza | Mediengespräch im Sicherheitsrat | Vereinte Nationen, 6. November 2023
Die Ereignisse seit dem 7. Oktober machen überdeutlich, dass die Versuche der USA, Israel in ihre muslimische Nachbarschaft zu integrieren, ein Wunschtraum sind – solange Israel nicht bereit ist, sein Schwert in eine Pflugschar zu verwandeln. Die Grausamkeit der israelischen Racheangriffe auf die Menschen im Gazastreifen – "Tiere" – hat den Beigeschmack von Rassismus und Völkermord.
Der Iran wusste die ganze Zeit über von der Bestialität des zionistischen Regimes. Auch Saudi-Arabien muss sich nach dem Weckruf, dass es in erster Linie lernen muss, in seiner Region zu leben, in einer gedämpften Stimmung befinden.
Raisi reist nach Saudi-Arabien vor dem Hintergrund einer historischen Verschiebung der Machtverhältnisse. König Salman hat Raisi eingeladen, auf einem Sondergipfel der arabischen Staaten, den er in Riad ausrichtet, über Israels Verbrechen gegen die Palästinenser im Gazastreifen zu sprechen. Dies ist ein Zeichen für die tiefe saudische Einsicht, dass es trotz der Bereitschaft, sich unter amerikanischem Zureden an den Abraham-Abkommen zu beteiligen, die arabische Öffentlichkeit verprellt hat.
Der westliche Diskurs über eine Achse Russland-China-Iran in Westasien ist ein Trugschluss. Dies ist eine unsinnige Fehlinterpretation. Der Iran verfolgte seit der islamischen Revolution von 1979 konsequent drei außenpolitische Grundsätze: Erstens, seine strategische Autonomie ist ihm heilig; zweitens, die Länder der Region müssen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und regionale Probleme selbst lösen, ohne außerregionale Mächte einzubeziehen, und drittens, die muslimische Einheit zu fördern, wie lang und kurvenreich dieser Weg auch immer erscheinen mag.
Die Möglichkeit dazu wurde durch die Umstände stark eingeschränkt – vor allem durch die Bedingungen, die durch die koloniale Politik des "Teile und Herrsche" der USA geschaffen wurden. Die Umstände wurden sogar absichtlich herbeigeführt, wie etwa der Irak-Iran-Krieg, in dem die USA die Staaten der Region dazu ermutigten, mit Saddam Hussein zu kollaborieren und einen Angriff auf den Iran zu starten, um die islamische Revolution in ihren Anfängen zu ersticken.
Eine weitere schmerzhafte Episode war der Syrien-Konflikt. Auch hier warben die USA aktiv bei den regionalen Staaten für einen Regimewechsel in Damaskus mit dem Ziel, den Iran mit Hilfe der von Washington im besetzten Irak gezüchteten Terrorgruppen ins Visier zu nehmen.
In Syrien war es den USA auf brillante Weise gelungen, die regionalen Staaten gegeneinander auszuspielen, und das Ergebnis ist in den Ruinen dessen, was einmal das pulsierende Herz der islamischen Zivilisation war, deutlich zu sehen. Auf dem Höhepunkt des Konflikts operierten mehrere westliche Geheimdienste ungehindert in Syrien und unterstützten die Terrorgruppen dabei, in dem Land zu wüten, dessen Kardinalsünde darin bestand, dass es ebenso wie der Iran im Kalten Krieg und in der Zeit nach dem Kalten Krieg konsequent auf seine strategische Autonomie und seine unabhängige Außenpolitik setzte.
Es genügt zu sagen, dass die USA und Israel bei der Zersplitterung des muslimischen Nahen Ostens großen Erfolg hatten, indem sie die Bedrohungswahrnehmung übertrieben und mehrere arabische Golfstaaten davon überzeugten, dass sie direkten Bedrohungen oder sogar Angriffen durch iranische Stellvertreter ausgesetzt seien, sowie von der angeblichen iranischen Unterstützung für Dissidentenbewegungen.
Natürlich haben die USA daraus Kapital geschlagen, indem sie riesige Mengen an Waffen verkauften und, was noch wichtiger ist, den Petrodollar als Schlüsselpfeiler des westlichen Bankensystems in Schwung brachten. Israel profitierte direkt von der Dämonisierung des Irans, um die Aufmerksamkeit von der Palästina-Frage abzulenken, die seit jeher das Kernproblem der Nahostkrise ist.
Es genügt zu sagen, dass die Umsetzung des iranisch-saudisch-chinesischen Abkommens die Feindseligkeit, die in den letzten Jahrzehnten zwischen Riad und Teheran bestand, verringert hat. Beide Länder versuchten, auf dem Schwung aufzubauen, der durch den Erfolg der Geheimgespräche in Peking im Hinblick auf ihre Verpflichtung zur Nichteinmischung entstanden war. Es ist jedoch anzumerken, dass sich die Beziehungen zwischen den arabischen Golfstaaten und dem Iran in den letzten zwei Jahren bereits deutlich verbessert hatten.
Was westliche Analysten übersehen, ist, dass die wohlhabenden Golfstaaten ihr subalternes Leben als Handlanger der USA satt haben. Sie wollen ihr nationales Leben in eine Richtung lenken, die sie selbst bestimmen, und mit Partnern zusammenarbeiten, die sie respektieren. Dabei wollen sie, anders als in der Ära des Kalten Krieges, kein Nullsummen-Denken aus ideologischen oder machtpolitischen Gründen.
Deshalb kann die Biden-Administration nicht akzeptieren, dass die Saudis heute mit Russland auf der OPEC+-Plattform zusammenarbeiten und ihre Verpflichtung zu zusätzlichen freiwilligen Öl-Lieferkürzungen erfüllen, während sie gleichzeitig mit den USA über Nukleartechnologie verhandeln und auf diplomatischem Weg gemeinsam mit Peking versuchen, das Feuer, das vor einem Monat in der Levante entfacht wurde, nicht auf den Rest der westasiatischen Region übergreifen zu lassen.
Offensichtlich freuen sich die Saudis nicht mehr über die Aussicht auf eine Konfrontation zwischen den USA und dem Iran. Andererseits teilen die Saudis und die Iraner die Sorge, dass ihr neues Denken, bei dem die Entwicklung im Vordergrund steht, sich in Luft auflösen wird, wenn es keine regionale Stabilität und Sicherheit gibt.
Es ist daher reine Naivität Washingtons, die Hisbollah, die Hamas und den Iran zu einer Gruppierung zusammenzufassen – wie es Blinken bei seinem jüngsten Besuch in Tel Aviv am Montag tat – und sie dem Rest der Region gegenüberzustellen. Die Behauptung, die Hisbollah und die Hamas seien "terroristische" Bewegungen, wird nun entlarvt. Um ehrlich zu sein, wie unterscheiden sie sich von Sinn Féin, die historisch mit der IRA verbunden war?
Eine solche Naivität unterstreicht das absurde amerikanisch-israelisch-indische Vorhaben, einen westasiatischen QUAD 2 ("I2U2") zu schaffen, das heute lächerlich wirkt – oder den quixotischen Plan, der kürzlich in Neu-Delhi während des G20-Gipfels ausgebrütet wurde, um die Saudis in das Projekt des Korridors Indien-Mittlerer Osten-Europa zu holen, in der Hoffnung, Israel zu "integrieren" und den Hafen von Haifa zu beleben, den Iran und die Türkei zu isolieren, den von Russland geführten internationalen Nord-Süd-Korridor in den Schmutz zu ziehen und Pekings "Belt and Road" den Mittelfinger zu zeigen. Das Leben hingegen ist real.
Alles in allem ist die regionale Reise des US-Außenministers Antony Blinken nach Israel und sein Gipfeltreffen mit einer ausgewählten Gruppe arabischer Staaten in Amman am vergangenen Wochenende zu einem entscheidenden Moment in der Gaza-Krise geworden.
Die arabischen Außenminister weigerten sich rundheraus, auf die unlauteren Vorschläge einzugehen, die Blinken in der böswilligen Absicht unterbreitet hatte, jüdische Interessen zu wahren – "humanitäre Pause" statt Waffenstillstand; Flüchtlingslager für die Menschen aus Gaza, die vor Israels schrecklichen, brutalen Angriffen fliehen, die mit arabischem Geld finanziert würden, aber letztlich zu jüdischen Siedlungen in Gaza führen würden; Konturen einer Nachkriegsregelung für den Gazastreifen, bei der die palästinensische Autonomiebehörde mit den Trümmern fertig wird und der Wiederaufbau von den Golfstaaten finanziert wird, während Israel in der so wichtigen Sicherheitssphäre weiterhin die Vorherrschaft behält; Verhinderung, dass der Iran der Hisbollah und der Hamas zu Hilfe kommt, während diese in den israelischen Fleischwolf amerikanischer Bauart gesteckt werden.
Das war pure Scheinheiligkeit. Die arabischen Außenminister sprachen mit einer Stimme, um ihren Gegenvorschlag zu Blinkens Vorschlag zu formulieren – sofortiger Waffenstillstand. Präsident Biden scheint endlich die Zeichen der Zeit zu erkennen – auch wenn er im Grunde immer noch die Nummer eins der Zionisten der Welt ist, wie ihn jemand einmal genannt hat, und seine Beweggründe größtenteils von seinem eigenen politischen Überleben getragen werden, da die Wahl 2024 näher rückt.
Wie dem auch sei, es ist sehr wahrscheinlich, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis die Weltgemeinschaft darauf besteht, den israelischen Apartheidstaat in seinem Lauf zu stoppen. Denn wenn sich die muslimischen Länder zusammenschließen, haben sie in der entstehenden multipolaren Weltordnung das Sagen. Ihre Forderung, dass eine Lösung des Palästina-Problems keinen weiteren Aufschub duldet, hat auch in der westlichen Hemisphäre Anklang gefunden.
Gemeinsame Pressekonferenz von Botschafter Zhang Jun, Ständiger Vertreter Chinas bei den Vereinten Nationen, und Lana Zaki Nusseibeh, Ständige Vertreterin der Vereinigten Arabischen Emirate bei den Vereinten Nationen, zur humanitären Lage im Gazastreifen.
China und die Vereinigten Arabischen Emirate zu Gaza | Mediengespräch im Sicherheitsrat | Vereinte Nationen, 6. November 2023
Transkript (Auszug)
Zhang Jun:
Guten Abend, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Vereinigten Arabischen Emirate und China haben diese Sitzung einberufen, um ihre tiefe Besorgnis über die anhaltenden Angriffe Israels auf Krankenhäuser, Flüchtlingslager, Schulen, UN-Gebäude, Gebetsstätten und andere zivile Einrichtungen im Gazastreifen zum Ausdruck zu bringen, darunter in jüngster Zeit auf die Flüchtlingslager Dschabaliya und Al-Maghazi, die Al-Fakhura Schole im Flüchtlingslager Dschabaliya und das Al-Shifa Krankenhaus in Gaza-Stadt.
Wie der Generalsekretär heute Morgen erklärt hat, handelt es sich um eine Krise der Menschlichkeit. In weniger als einem Monat sind mehr als 10.000 Palästinenser im Gazastreifen getötet worden, und während wir hier sprechen, werden weiterhin palästinensische Zivilisten getötet. Kinder sind (unverständlich). Wie mehrere UN-Beamte bereits festgestellt haben, wird der Gazastreifen zu einem Friedhof für Kinder. Keiner ist mehr sicher. Niemand ist sicher. In vier Wochen sind mehr UN-Helfer und Journalisten getötet worden als in jedem anderen Monat eines Konflikts seit Jahrzehnten. Die palästinensische Zivilbevölkerung wird auch der für ihr Überleben notwendigen Dinge beraubt.
Inmitten dieser katastrophalen Situation betonen wir die Notwendigkeit, dass der Sicherheitsrat dringend handelt und eine sinnvolle und umsetzbare Resolution verabschiedet. In den letzten Wochen haben die Mitglieder des Sicherheitsrates unermüdlich auf dieses Ziel hingearbeitet. Wir fordern einen dringenden humanitären Waffenstillstand.
Der Generalsekretär hat gerade heute Morgen den gleichen Aufruf gemacht: Eine humanitäre Feuerpause jetzt!
Dies ist dringend notwendig, um einen vollständigen, schnellen, sicheren und ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe zu ermöglichen, auch für UN- und humanitäres Personal. Im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht fordern wir alle Parteien auf, dringend Schritte zur Einstellung der Feindseligkeiten zu unternehmen, um den Schutz der Zivilbevölkerung zu gewährleisten. Wir fordern, dass die Konfliktparteien die kontinuierliche, ausreichende und ungehinderte Versorgung der Zivilbevölkerung im gesamten Gazastreifen mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen sicherstellen. Dazu gehören Strom, Wasser, Treibstoff, Lebensmittel und medizinische Versorgung in ausreichendem Umfang und auf Dauer.
Nun wird Botschafterin Nusseibeh fortfahren.
Lana Zaki Nusseibeh:
Wie wir heute in unseren Briefings gehört haben, können die Zivilisten in Gaza nicht einmal in UN-Einrichtungen, Schulen, Krankenhäusern und Flüchtlingslagern Schutz finden. Diese zivilen Einrichtungen wurden unter Verstoß gegen das Völkerrecht angegriffen. Ihr Schutzstatus muss unbedingt aufrechterhalten werden. Wir verurteilen alle Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, alle Gewalt gegen Zivilisten, einschließlich aller terroristischen Akte und wahllosen Angriffe. Wir verurteilen die Angriffe der Hamas auf Israel am 7. Oktober. Wir verurteilen auch die wahllosen Angriffe Israels auf den Gaza-Streifen.
Wir sind zutiefst besorgt über die anhaltende Geiselnahme und fordern die sofortige und bedingungslose Freilassung aller Geiseln sowie deren Sicherheit und menschenwürdige Behandlung im Einklang mit dem Völkerrecht. Aber auch die Tötung und Verstümmelung von Kindern, die Angriffe auf Schulen und Krankenhäuser im Gazastreifen und die Verweigerung des Zugangs von Kindern zu humanitärer Hilfe sind schwerwiegende Verstöße gegen Kinder.
Wir rufen alle Parteien auf, ihren Verpflichtungen aus dem humanitären Völkerrecht, einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung und der zivilen Infrastruktur, uneingeschränkt nachzukommen. Wir bekräftigen, dass die Parteien Maßnahmen ergreifen müssen, um die Sicherheit und das Wohlergehen der Zivilbevölkerung und ihren Schutz sowie den Schutz des humanitären und medizinischen Personals, des UN-Personals und der Journalisten zu gewährleisten.
Kriege haben Regeln und diese müssen eingehalten werden. Wir danken Ihnen.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
09.11.2023
Biden und westliche Medien erzählen ungeheuerliche Lügen … Das ist Völkermord mit US-Atomwaffendrohung
Die angebliche Sorge der Regierung Biden, einen regionalen Krieg zu verhindern, ist eine weitere zynische List, schreibt Finian Cunningham.
In den westlichen Medien wird uns erzählt, dass das israelische Regime die Aufrufe der Biden-Administration zu “humanitären Pausen” in seinem “Krieg gegen die Hamas” – der in Wirklichkeit kein Krieg, sondern ein Massenschlachten von Palästinensern ist – zu kurz kommen lässt.
Amerikanische und westliche Medien berichten, dass der amerikanische Präsident Joe Biden “besorgt” ist über die steigende Zahl der Todesopfer unter der Zivilbevölkerung nach mehr als vier Wochen israelischer Belagerung und ununterbrochenem Luftangriff auf den Gazastreifen, eine Küstenenklave, die der Fläche von Detroit entspricht.
Biden schickte seinen Spitzendiplomaten Antony Blinken auf eine Rundreise durch den Nahen Osten, offenbar in dem Versuch, Israel zu einer “humanitären Pause” bei seiner Offensive gegen die überwiegend zivile Bevölkerung zu bewegen. Israels Premierminister Benjamin Netanjahu lässt sich davon nicht beeindrucken und setzt die Bodeninvasion seiner Streitkräfte fort.
Die Scharade, die hier von den westlichen Medien präsentiert wird, besteht darin, dass Washington in gewisser Weise als Bremser auftritt. Und das nicht sehr erfolgreich. Eine wohlmeinende, unglückliche ausländische Macht, die versucht, einem Verbündeten zu helfen, aber auch um humanitäres Leid besorgt ist.
Das ist völliger Blödsinn. Erstens führt Israel einen Völkermord an einer Bevölkerung von 2,3 Millionen Menschen durch, in der eine militante Gruppe, die Hamas, lebt, die 1 Prozent dieser Bevölkerung ausmacht. Das ist so, als würde man einen See in die Luft jagen, um die Fische zu töten.
Die mörderischen Angriffe der Hamas am 7. Oktober gegen Israel, die 1.400 tote Israelis zur Folge hatten (von denen viele offenbar von israelischen Sicherheitskräften unter Anwendung übermäßiger Gewalt getötet wurden), sind keinerlei Rechtfertigung für die anschließende Vernichtung von mehr als 10.000 Palästinensern im Gazastreifen sowie von über 130 Palästinensern im Westjordanland. Nahezu 70 Prozent der Opfer sind Frauen und Kinder.
Es handelt sich hier nicht um ein Recht auf Selbstverteidigung, wie die Regierung Biden und andere westliche Regierungen immer wieder behaupten und Israel damit einen Anschein von politischer Deckung verschaffen. Es ist eine Lizenz zum Massenmord.
Dies ist Völkermord.
Die Vorstellung, die Vereinigten Staaten seien irgendwie besorgt über den Tod von Palästinensern unter der Zivilbevölkerung und würden handeln, um Israel zurückzuhalten, wird durch Folgendes widerlegt:
Die Regierung Biden hat die Lieferung von präzisionsgelenkten Bomben im Wert von 320 Mio. Dollar für Israel genehmigt. Dies ist zusätzlich zu dem größeren Militärhilfepaket von 14 Milliarden Dollar, über das der US-Kongress derzeit abstimmt.
Mehr noch als dieses grüne Licht ist jedoch die atomare militärische Unterstützung, die die Vereinigten Staaten in der Region eilig zusammengezogen haben. Die Positionierung dieser furchterregenden Macht, die nur wenige Meilen von dem Küstengebiet entfernt geparkt ist, in dem Israel einen mörderischen Blitzkrieg führt, spricht Bände. Nur die westlichen Medien verzerren die offensichtliche monströse Kriminalität dessen, was wirklich vor sich geht.
Das US-Zentralkommando, das für die Region des Nahen Ostens zuständig ist, hat die Ankunft eines atomgetriebenen U-Boots angekündigt. Das Schiff wird sich zwei nuklearfähigen Flugzeugträger-Kampfgruppen anschließen, die bereits in das östliche Mittelmeer entsandt wurden.
Das Pentagon veröffentlichte auch ein Foto von nuklearfähigen B-1 Lancer-Bombern, die neu in den Nahen Osten entsandt wurden.
Die sehr öffentlichen Ankündigungen dieser “strategischen Waffen” durch die Vereinigten Staaten – normalerweise werden die Standorte solcher Anlagen nicht bekannt gegeben – werden als kalkulierte, provokative und unheilvolle Drohung an den Iran und andere Parteien im Nahen Osten, wie Syrien und die Hisbollah im Libanon, angesehen.
US-Verteidigungsminister Lloyd Austin äußerte diese Drohung am Wochenende in einem Telefonat mit seinem israelischen Amtskollegen Yoav “Palästinenser sind menschliche Tiere” Gallant. Austin “bekräftigte die Verpflichtung der USA, jeden staatlichen oder nichtstaatlichen Akteur abzuschrecken, der versucht, diesen Konflikt zu eskalieren”.
CIA-Direktor William Burns besucht diese Woche ebenfalls Israel, um Tel Aviv zu unterstützen und andere Staaten und Parteien zu warnen, nicht einzugreifen, um die mörderische Offensive in Gaza zu stoppen.
Antony Blinken, der US-Außenminister, hat auf seiner jüngsten Nahost-Reise eine ähnlich deutliche Warnung an den Iran und andere Staaten gerichtet, während er sich angeblich um “humanitäre Pausen” bemüht. Blinken sagte: “Denkt nicht einmal daran”, amerikanische Streitkräfte in der Region anzugreifen, sonst droht eine überwältigende Vergeltung.
Als Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah letzte Woche eine mit Spannung erwartete Rede hielt, überraschte er viele Beobachter, indem er davon absah, Israel zur Unterstützung der Palästinenser den offenen Krieg zu erklären. Es scheint, dass Nasrallah die Drohungen Israels und seines US-Schirmherrn beherzigt. (Und wer könnte ihm das verdenken!)
Israels Netanjahu warnte die Hisbollah, dass jede Ausweitung des Krieges zu einer militärischen Antwort führen würde, die man sich “nicht vorstellen kann”. Diese Formulierung kann nur eine Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen bedeuten.
Solch verrücktes Gerede über den Einsatz von Atomwaffen wurde von einem der Minister des Kabinetts Netanjahu, Amichai Eliyahu, am Wochenende in einem Radiointerview offen geäußert. Netanjahu wies seinen Minister später zurecht, aber die Zurechtweisung schien nur der Öffentlichkeitsarbeit zu dienen, sonst nichts.
Die drastische Positionierung von US-Atomwaffen im östlichen Mittelmeerraum und das Aussprechen von beispiellosen Drohungen an den Iran, die Hisbollah und andere hat nichts mit der amerikanischen Sorge zu tun, eine Eskalation des Krieges in der Region zu verhindern. So wird es von der Regierung Biden und den westlichen Medien dargestellt.
Wie absurd, diese Vorstellung auch nur in Erwägung zu ziehen. Nein, die unverblümte Wahrheit ist, dass die USA das faschistische israelische Regime mit Waffen ausstatten, damit es seinen Völkermord an den Palästinensern mit so wenig Widerstand wie möglich durchführen kann. Die Drohungen – einschließlich des Einsatzes von Atomwaffen – sollen sicherstellen, dass der Völkermord in keiner Weise von Nationen und Parteien behindert wird, die die Palästinenser legal unterstützen könnten.
Wie die Rhetorik über Selbstverteidigung, humanitäre Pausen usw. ist auch die angebliche Sorge der Regierung Biden, einen regionalen Krieg zu verhindern, eine weitere zynische List. Es geht nicht darum, einen größeren Konflikt zu stoppen. Es ist ein grotesker verbaler Deckmantel für einen Völkermord unter dem Schutz von Atomwaffen.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
09.11.2023
Offener Brief von Oliver Ginsberg: Schluss mit der Anmaßung für Juden zu sprechen
seniora.org, 09. November 2023, Oliver Ginsberg 02.11.2023
Oliver Ginsberg entgegnete mit seinem Protestschreiben dem unsäglichen "Offenen Brief der mehr als 1000 Autoren für Solidarität mit den in Deutschland, Österreich und der Schweiz lebenden Jüdinnen und Juden und dem Staat Israel"
An die Unterzeichnenden des Offenen Briefes,
als Nachkomme einer jüdischen Familie, die unter dem Faschismus bis auf eine Person ausgelöscht wurde melde ich hiermit meinen schärfsten Protest an gegenüber ihrer Anmaßung für Jüdinnen und Juden in diesem Land sprechen zu wollen. Noch leben Menschen in diesem Land, die selbst oder deren Eltern und Großeltern Opfer der Shoah wurden. Diese haben eine eigene Stimme und benötigen ihre bevormundende, geschichtsvergessene und eurozentristische Fürsprache nicht.
Im Übrigen hat auch der Staat Israel nicht das Recht für uns zu sprechen. Dieser Staat ist selbst das Ergebnis einer Kolonialisierungsideologie, die in ihrem völkisch-chauvinistischen Gepräge den rassistischen Kolonialisierungs- und Missionierungsbemühungen früherer Jahrhunderte in nichts nachsteht. Wenn ihnen angesichts der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, welche die israelischen Streitkräfte schon zum wiederholten Mal an der palästinensischen Zivilbevölkerung verübt haben, angesichts des seit Jahrzehnten andauernden, illegalen und gewaltsamen Siedlerkolonialismus, angesichts der tausendfachen Schikanen, Verhaftungen und Folterungen in israelischen Gefängnissen nichts anderes einfällt als eine apologetische Bestätigung israelischer Selbstverteidigungsdoktrin, die nichts anderes ist als eine Legitimierung von Massenmord, dann wäre es besser ganz zu schweigen. Hören Sie auf in moralischer Überheblichkeit zu schwelgen. Sie haben nichts, rein gar nichts aus der Geschichte der Shoah gelernt.
Wer Israel jetzt noch unterstützt, setzt sich nicht für Jüdinnen und Juden und deren Nachkommen ein, sondern für ein militaristisch-koloniales Staatsprojekt, welches kein Existenzrecht für sich beanspruchen kann. Es sind MENSCHEN, die ein Existenzrecht und Recht auf ein Leben in Würde und Freiheit haben. Staaten, welche dieses Recht systematisch und mit derartiger Grausamkeit mit Füßen treten, haben jedes Existenzrecht verwirkt, auch wenn sie sich ein fassadendemokratisches Mäntelchen umhängen.
Was am 7. Oktober tatsächlich geschehen ist wird vielleicht die Zukunft zeigen. Was wir bereits jetzt wissen ist, dass die weit verbreiteten Narrative von geköpften Babys und Vergewaltigungen durch nichts belegt sind und dass viele Israelis im "friendly fire" ihrer eigenen Armee ums Leben kamen. Ein großer Teil der Getöteten auf israelischer Seite waren laut Ha'aretz Soldaten und Polizeikräfte. Es ist richtig, religiösen und nationalen Fanatismus und den Tod von Zivilisten zu verurteilen. Das gilt jedoch für beide Seiten und schon wegen des Umfangs noch viel mehr für die zionistische. Sie jedoch ziehen es vor, einer bequemen Staatsraison zu folgen, der zufolge die palästinensische Bevölkerung kein Recht auf bewaffneten Widerstand gegen die israelische Besatzungs- und Vertreibungspolitik hat, Israel aber jedes noch so grauenhafte Kriegsverbrechen begehen darf und ungeschoren davonkommt.
Hören Sie endlich einmal den Jüdinnen und Juden zu, die sich konsequent auf die Seite der palästinensischen Seite gestellt haben. Folgen Sie Abigail Martin, Miko Peled, Norman Finkelstein, Gabor Maté, Noam Chomsky u.a. welche zu der Minderheit derjenigen gehören, welche diesen Konflikt in seinen wahren historischen und moralischen Kontext stellen. Und bitte, bitte verschonen Sie uns mit Ihren jämmerlichen Krokodilstränen. Wir werden nicht von Kritik an Israel bedroht, sondern von einem Mangel an Empathie politischer Entscheidungsträger in Deutschland selbst, welche - indem sie ihre völlige Kritiklosigkeit an Israel äußern - diejenigen verhöhnen, die am meisten unter Faschismus und Rassismus gelitten haben.
Solange von Ihnen keine Besinnung und kein Bedauern bezüglich ihrer einseitigen und inakzeptablen Stellungnahme wahrzunehmen ist, werde ich die Unterschriftenliste nunmehr als literarischen Leitfaden verwenden, zu Autorinnen und Autoren, deren Werke keinen wesentlichen kulturellen Beitrag mehr versprechen.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
09.11.2023
Geldbrief #52: Wo die Regeln der Klima- und Finanzpolitik nicht zusammenpassen
Diese Woche freuen wir uns sehr über einen Gastbeitrag unserer niederländischen Partner des Institute for Public Economics (https://en.instituut-pe.nl) (IPE). IPE hat sich angesehen, inwieweit die europäischen Regeln zu Klima- und Finanzpolitik zusammenpassen. Dabei stoßen Jasper J. Van Dijk und Vinzenz Ziesemer auf eine fundamentale Inkohärenz.
Zentrale Aussagen
Wir zeigen, dass es eine grundlegende Diskrepanz zwischen Fiskalrahmen und Klimazielen gibt. Die Verpflichtung zu Netto-Null-Emissionen und die Auswirkungen dieser Verpflichtung auf das Wirtschaftswachstum wurden nicht in die Fiskalregeln aufgenommen. Die EU hat versucht, zwei unterschiedliche und sehr komplexe Probleme - Klimaneutralität und Schuldentragfähigkeit - in relativ einfache und prägnante, aber völlig getrennten politischen Regeln zu erfassen. Dies war (bzw. ist) für sich genommen schon eine Herausforderung, vernachlässigt aber die Komplexität der Wechselwirkungen zwischen den beiden Problemen.
Schlechte Fiskalregeln können zu politischen Fehlern führen. Wir beleuchten, wie fiskalische Zwänge dazu führen können, dass klimapolitische Entscheidungsträger:innen zu lange zögern, gegen die Förderung von Innovationen voreingenommen sind oder die wirtschaftlichen Kosten von Regulierungen nicht berücksichtigen. Infolgedessen könnten fiskalische Zwänge die Risiken bei der Schuldentragfähigkeit erhöhen, anstatt sie zu verringern. All diese Fälle sind mit Wohlfahrtskosten verbunden.
Ein weiteres mögliches Ergebnis ist, dass die Klimaziele nicht erreicht werden. Dies kann aus zwei Gründen geschehen. Wenn Entscheidungsträger:innen zögern, dann steigen die Kosten für die Erreichung der Klimaziele und es wird schwieriger Klimaschutzmaßnahmen politisch zu verkaufen. Zweitens können falsche politische Entscheidungen (zwischen verschiedenen Instrumenten wie Steuern, Subventionen und Vorschriften) unnötige Kosten verursachen, wodurch die notwendige Transformation ebenfalls schwieriger wird.
Hintergrund
Die Europäische Union hat sich verpflichtet, bis 2050 der erste "klimaneutrale Block" der Welt zu werden.[1] (#1) Um dieses Ziel zu erreichen, ist in den kommenden 25 Jahren ein struktureller Umbau der Wirtschaft erforderlich. Dafür müssen die EU und ihre Mitgliedstaaten ein ausgeklügeltes Bündel politischer Maßnahmen aus Subventionen, Vorschriften und Steuern entwickeln, um den erforderlichen Wandel herbeizuführen. Der europäische Green Deal ist ein wichtiger Teil dieser Bemühungen.
Derzeit reichen die klimapolitischen Maßnahmen nicht aus, um das Versprechen, bis 2050 klimaneutral zu sein, einzulösen. Die Europäische Kommission schätzt, dass in der gesamten EU zusätzliche 950 bis 1.200 Milliarden Euro jährlich an grünen Investitionen erforderlich sind, um die erklärten Klimaziele zu erreichen.[2] (#2) Ein erheblicher Teil der erforderlichen grünen Investitionen wird wahrscheinlich öffentlich finanziert werden.
Damit kommen wir zu den Fiskalregeln: Mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) haben sich die EU-Mitgliedstaaten verpflichtet, die Stabilität der Wirtschafts- und Währungsunion zu wahren, indem sie Defizit und Schulden begrenzen.[3] (#3) Ein wichtiger Faktor bei der Bestimmung dieser Stabilität ist die Schuldentragfähigkeitsanalyse (DSA), welche die zukünftige Schuldenquote für ein Land prognostiziert. Das meiste von dem, was wir beschreiben, gilt auch für die einzelnen Mitgliedstaaten (und sogar für Länder außerhalb der EU), da viele von ihnen eine Art "Fiskalrahmen" verwenden, um zu bestimmen, welche Höhe des staatlichen Überschusses oder Defizits als akzeptabel gilt. DSAs sind das häufigste Analyseinstrument dafür.
Sowohl Staatsausgaben als auch Wirtschaftswachstum können durch klimapolitische Maßnahmen stark beeinflusst werden, sodass eine enge Verbindung zwischen der Schuldenquote und den Klimazielen besteht. Klimapolitik kann teuer sein und gleichzeitig kann eine CO[2]-Bepreisung auch Staatseinnahmen generieren. Klimapolitik kann dazu führen, dass einige Sektoren schrumpfen und andere wachsen, was auch die Gesamtleistung der Wirtschaft beeinflusst.
Fiskalregeln verzögern Klimamaßnahmen
Politiker:innen könnten geneigt sein, Klimaschutzmaßnahmen zu verzögern. Die Vorteile einer Netto-Null-Emissionswelt sind weit entfernt und abstrakt, während die Kosten der Klimapolitik greifbar und konkret sind. Die Menschen machen sich Sorgen, dass ihr Leben teurer wird, dass sie den Zugang zu erworbenen Luxusgütern oder ihren Arbeitsplatz verlieren. Politiker:innen sind für diese Sorgen sensibilisiert, sodass sie einen Anreiz haben, das Problem an ihre:n Nachfolger:in weiterzureichen.
Derzeit werden die Klimaziele in den Haushaltsplänen nicht berücksichtigt. So wie die EU-Fiskalregeln heute aufgebaut sind, können die Mitgliedstaaten Finanzpläne vorlegen, die zwar die fiskalpolitischen Regeln einhalten, aber nicht die zur Erreichung der Klimaziele erforderlichen Maßnahmen enthalten. Das Gleiche gilt für die Haushaltspläne der einzelnen Länder innerhalb und außerhalb der EU. Kohärent zusammengedachte fiskal- und klimapolitische Ziele in der politischen Entscheidungsfindung wären eine enorme Verbesserung, da die beiden Bereiche von Natur aus miteinander verbunden sind. Das würde aber nicht ausreichen.
Selbst wenn die Finanzpläne die Klimaziele berücksichtigen, werden Effizienzverluste durch eine ungeordnete Transformation in DSAs nicht angezeigt. Jeder Zeitverlust, der durch verzögerte Klimaschutzmaßnahmen entsteht, muss in späteren Jahren aufgeholt werden, um die Klimaziele noch zu erreichen. Aber die Auswirkungen, die eine verzögerte Transformation auf die Wirtschaft haben kann, werden in einer DSA nicht berücksichtigt. Die Kosten der Verzögerung werden allerdings irgendwann auftauchen und die Transformation zu Klimaneutralität erschweren. Folglich kann diese Verzerrung nicht nur zu ineffizienter Klimapolitik führen, sondern auch dazu, dass die Klimaziele überhaupt nicht erreicht werden.
Aufgeschobene Klimaschutzmaßnahmen sind teurer
Die Forschung zeigt, dass klimapolitische Maßnahmen idealerweise möglichst früh eingeführt und im Laufe der Zeit schrittweise verschärft werden sollten.
[4] (#4) Das Netzwerk der Zentralbanken und Aufsichtsbehörden für die Ökologisierung des Finanzsystems (NGFS) nennt dies eine geordnete Transformation. Demgegenüber steht eine ungeordnete Transformation, die höhere Übergangsrisiken birgt, weil weitreichende Klimamaßnahmen erst ab 2030 umgesetzt werden, dann aber einschneidender sein müssen, um die Klimaziele noch zu erreichen.
Eine verzögerte Klimapolitik zwingt die EU zu einer ungeordneten Transformation. Dies wäre kostspieliger und würde sich wahrscheinlich insgesamt stärker negativ auf das Wirtschaftswachstum auswirken. Die Bundesbank hat kürzlich die unterschiedlichen Auswirkungen einer geordneten und ungeordneten Transformation auf die EU-Wirtschaft miteinander verglichen.[5] (#5) Verzögerte Klimaschutzmaßnahmen führen kurzfristig zu einem höheren Wirtschaftswachstum, langfristig aber zu einem Rückgang der Wirtschaft (siehe Abbildung 1).
Abbildung 1
Der Fiskalrahmen ist einseitig auf Steuerfinanzierung ausgerichtet
Der fiskalische Rahmen ist voreingenommen gegen Wachstum und Investitionen.
Das ist ein bekanntes Problem. Nehmen wir an, eine Regierung gibt Geld für die Bildungspolitik in einer Weise aus, von der man erwartet, dass sie die Wirtschaft produktiver macht. Diese Maßnahme wirkt sich negativ auf den fiskalischen Spielraum der Regierung aus, da der Fiskalrahmen zwar die Kosten, aber nicht den Nutzen (ein langfristig höheres BIP) berücksichtigt. Das liegt daran, dass in DSAs angenommen wird, dass politische Maßnahmen sich nicht auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit auswirken. Das Ergebnis ist eine Tendenz zur Begrenzung der öffentlichen Verbindlichkeiten und weg von einer wachstumsfördernden Politik.
Im aktuellen Ansatz sind Steuern zwangsläufig die beste Art der Klimapolitik. Klimaausgaben sind in den derzeitigen fiskalischen Rahmenbedingungen ein unattraktives politisches Instrument, da sie die Schuldenquote erhöhen. Ordnungsrechtliche Klimamaßnahmen hingegen haben keine Auswirkungen auf die Staatsausgaben und Steuern erhöhen sogar die Staatseinnahmen, wodurch die Schuldenquote sinkt. Unter dem Blickwinkel des derzeitigen Regelwerks werden daher Steuern, gefolgt von Regulierungen, aus fiskalischer Sicht grundsätzlich überlegen sein, wenn politische Entscheidungsträger nach Instrumenten zur Erreichung von Klimazielen suchen.
Wenn wir die Auswirkungen der Klimaziele auf das BIP betrachten, ändert sich dieses Bild. DSAs gehen in der Regel davon aus, dass die Größe der Wirtschaft gegeben ist (zumindest in Bezug auf die Klimapolitik). Das ist unplausibel. Die Politik diskutiert tagein, tagaus, wie wir es schaffen, trotz CO[2]-Einsparungen Wachstum zu erhalten. Kluge Ausgaben können helfen, das Wachstum zu erhalten und führen so möglicherweise zu einer niedrigeren Schuldenquote, als wenn die Ausgabe unterlassen wird. Nehmen wir zum Beispiel eine Subvention für eine neue grüne Technologie. Dies könnte die Innovation innerhalb des Sektors steigern, insbesondere wenn es externe Effekte, wie z. B. Wissens-Spillovers, gibt, die dazu beitragen, die Kosten für neue Technologien zu senken. Diese externen Effekte können das BIP langfristig erhöhen und somit die künftige Schuldenquote senken. Dieser positive Aspekt wird in der DSA jedoch nicht berücksichtigt. Folglich werden die realen fiskalischen Auswirkungen einer solchen
Subvention positiver sein als im aktuellen fiskalischen Rahmenwerk angenommen.
Ebenso könnte beispielsweise ein Verbot der Nutzung fossiler Brennstoffe zur Stromerzeugung negative Auswirkungen auf das BIP haben. Dies kann der Fall sein, wenn Unternehmen ihre Produktion verringern, schließen oder ins Ausland verschieben. Diese negative Auswirkung auf das BIP und letztlich die Schuldenquote wird ebenfalls nicht in der DSA berücksichtigt. Infolgedessen werden die fiskalischen Auswirkungen einer solchen Regelung schwerwiegender sein, als im aktuellen Rahmen prognostiziert.
Kohärente Politik erfordert die Schizophrenie zwischen Klima- und Finanzpolitik zu überwinden
Das fehlende Bindeglied zwischen fiskalpolitischem Steuerungs- und Klimarahmen ist bisher kaum beachtet worden. Stattdessen hat man sich auf die wirtschaftlichen und steuerlichen Kosten des Klimawandels konzentriert.[6] (#6) Hier befindet sich Europa jedoch in einer relativ privilegierten Position. Die Auswirkungen innerhalb der EU werden im Vergleich zu vielen afrikanischen und südostasiatischen Ländern wahrscheinlich begrenzt sein, zumindest in Szenarien, in denen die globalen Klimaabkommen eingehalten werden.[7] (#7)
Um klimapolitische Maßnahmen in vollem Umfang einschätzen und bewerten zu können, müssen wir nicht nur ihre öffentlichen Kosten und ihre Auswirkungen auf die Treibhausgasemissionen, sondern auch ihre Auswirkungen auf die Wirtschaft berücksichtigen. Es gibt zwei zentrale Ursachen für die Diskrepanz zwischen Fiskalrahmen und Klimazielen. Erstens verlangen die fiskalischen Regeln keine politischen Maßnahmen, welche die klimapolitischen Verpflichtungen einhalten. Aktuell können die politischen Entscheidungsträger ein Maßnahmenbündel vorschlagen, die zwar aus fiskalischer Sicht akzeptabel sind, aber nicht ausreichen, um ihre Klimaverpflichtungen zu erfüllen. Zweitens werden die Auswirkungen der Klimapolitik auf das BIP nicht berücksichtigt.
In zukünftigen Arbeiten werden wir Wege zu einem Fiskalrahmen aufzeigen, der die klimatischen Beschränkungen respektiert. Dazu müssen die beiden Hauptursachen beseitigt werden. Das bedeutet, dass der Ausgangspunkt bei der Erstellung von DSAs sein muss, dass die Klimaziele durchgesetzt werden. Es bedeutet auch, dass die Auswirkungen auf das BIP berücksichtigt werden müssen, damit die Politik (wirtschaftliche) Schäden, die durch die klimatischen Einschränkungen verursacht werden, abmildern kann. Die Berücksichtigung der BIP-Effekte stellt hohe Anforderungen an die Wirtschafts- und Klimamodellierung. Doch ohne diese Schritte wird die grundsätzliche Diskrepanz zwischen dem Fiskalrahmen und den Klimazielen bestehen bleiben, was zu ineffizienten klimapolitischen Entscheidungen führt - und vielleicht sogar die Transformation insgesamt gefährdet.
+ Am 7.11. hat Max die Buchvorstellung von Branko Milanovićs neuem Buch „Visions of Inequality (https://www.hup.harvard.edu/catalog.php?isbn=9780674264144) “ moderiert. Branko Milanović stellte zuerst das Buch vor und anschließend gab es eine Q&A.
+ Heute am 9.11. hat Philippa beim 3. Bundesweiten Wirtschaftslehrer:innentag der Joachim Herz Stiftung (https://www.joachim-herz-stiftung.de/) eine Keynote zu „Steigende Staatsverschuldung – sind wir auf dem Weg in eine neue Finanzkrise?“ gehalten.
+ Ebenfalls heute am 9.11. war Max bei der Fraktion Die Linke im Europäischen Parlament und diskutierte dort zum Thema „Green Industrial Plan and the Left: A window of opportunity for people and climate?“.
* Veranstaltungen
+ Am 22. und 23.11. wird die zweite Konferenz unseres European Macro Policy Netzwerks (EMPN) in Wien stattfinden. Der erste Tag wird den Mitgliedern des EMPN vorbehalten sein. Der zweite Tag ist öffentlich zugänglich und steht thematisch unter dem Motto „Fiscal policy for the 21st century: meeting economic, social and climate challenges“. Sprechen werden u.a. Jakob von Weizsäcker, Jeromin Zettelmeyer, Philippa Sigl-Glöckner und Helene Schuberth. Zur Anmeldung vor Ort geht es hier (https://wiiw.ac.at/e-640.html) , die Konferenz wird außerdem per Livestream auf unserem Youtube-Kanal (https://www.youtube.com/@dezernatzukunft) übertragen.
Der Geldbrief ist unser Newsletter zu aktuellen Fragen der Wirtschafts- Fiskal- und Geldpolitik. Über Feedback und Anregungen freuen wir uns. Zusendung an ** philippa.sigl-gloeckner (mailto:philippa.sigl-gloeckner@dezernatzukunft.org)
09.11.2023
09.11.2023
Über 4000 getötete Kinder in Gaza fallen für Bundesregierung unter „Recht auf Selbstverteidigung“
nachdenkseiten.de, 09. November 2023 um 12:00
Ein Artikel von: Florian Warweg
Zahlreiche, darunter auch westlich orientierte, Regierungen haben in scharfen Worten („inakzeptabler Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht“) die massiven Bombardements der israelischen Armee kritisiert, denen aktuellen UN-Angaben zufolge bis zum 7. November 4.324 Kinder und 2.823 Frauen zum Opfer fielen, das entspricht 67 Prozent aller Todesopfer. Doch auf Nachfrage der NachDenkSeiten auf der aktuellen Bundespressekonferenz erklärte die Bundesregierung, dass sie sich „ganz ausdrücklich“ von der Einschätzung distanziere, dass Israel mit seinem Vorgehen humanitäres Völkerrecht breche. Vielmehr hätte Tel Aviv das „dauerhafte Recht“, sich entsprechend zu „verteidigen“.
Seit einem Monat bombardiert die israelische Armee zu Land, zu Luft und zu Wasser den Gazastreifen. OCHA, das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten, hat am 8. November neue Zahlen vorgelegt: Bis Stand 7. November wurden mit Verweis auf Daten des Gesundheitsministeriums in Gaza 10.569 Menschen durch die israelischen Bombenangriffe getötet, davon sind laut UN-OCHA 67 Prozent Frauen und Kinder. Auch über 80 UN-Mitarbeiter und mindestens 47 Journalisten fielen innerhalb von nur einem Monat dem militärischen Vorgehen Israels zum Opfer. Ebenso wurden bisher laut UN-Angaben 278 Schulen, 68 Moscheen, 3 Kirchen, 120 Krankenstationen sowie 220.000 Wohngebäude von der israelischen Armee angegriffen und dabei teilweise oder ganz zerstört:
Vor diesem skizzierten Hintergrund haben wichtige internationale Partnerländer Deutschlands im Globalen Süden wie unter anderem Südafrika, Chile und Kolumbien aus Protest gegen das Vorgehen Israels im Gazastreifen ihre Botschafter abgezogen. Südafrika spricht offiziell von einem „Genozid“, Kolumbien von einem „Massaker an der palästinensischen Zivilbevölkerung“ und Chile von einem „inakzeptablen Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht“. Doch die Bundesregierung lässt sich von dieser Kritik und diesen Zahlen in ihrer Einschätzung bezüglich der angeblichen Völkerrechtskonformität der Massenbombardements auf zivile Ziele nicht beirren, ganz im Gegenteil:
Protokollauszug von der Bundespressekonferenz am 8. November 2023:
Frage Warweg Wichtige internationale Partnerländer der Bundesrepublik Deutschland im globalen Süden wie Chile, Kolumbien und Südafrika haben aus Protest gegen das israelische Vorgehen im Gazastreifen ihre Botschafter abgezogen. Südafrika spricht offiziell von einem Genozid, Kolumbien von einem Massaker an der palästinensischen Zivilbevölkerung und Chile von einem inakzeptablen Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht. Teilt die Bundesregierung angesichts der aktuellen Zahlen von über 10 000 Toten, laut UN-Angaben davon 67 Prozent Frauen und Kinder, diese Einschätzung der deutschen Partnerländer im globalen Süden? Falls ja: Plant sie ähnliche Maßnahmen? Falls nein: Was spricht aus Sicht der Bundesregierung gegen diese Einschätzung der genannten Partnerländer?
Stellvertretende Regierungssprecherin Hoffmann Das ist ganz ausdrücklich nicht die Position der Bundesregierung. Wir sind der Ansicht, dass Israel nach dem brutalen und menschenverachtenden Angriff der Hamas, dem 1400 Israelis zum Opfer gefallen sind, das Recht hat, sich zu verteidigen, und dieses Recht auch dauerhaft hat, da die Angriffe auf Israel und die Bedrohung Israels andauern. Insofern sind wir der Meinung, dass Israel das Recht hat, sich da zu verteidigen.
Zusatzfrage Warweg Kann das Auswärtige Amt sich noch dazu äußern?
Deschauer (AA) Das Auswärtige Amt schließt sich den Äußerungen der stellvertretenden Regierungssprecherin an, und das haben wir hier in den vergangenen Tagen und Wochen ebenfalls regelmäßig deutlich gemacht.
Frage Towfigh Nia Frau Hoffmann, UN-Generalsekretär António Guterres spricht von einem „Kinderfriedhof“ in Gaza. Würde die deutsche Regierung dem zustimmen?
Eine zweite Frage an Frau Deschauer: Die israelische Regierung hat angekündigt, auf unbefristete Zeit die Sicherheitskontrolle in Gaza zu übernehmen. Wie ist die Reaktion dazu?
Hoffmann Wir sind, wie gesagt, der Meinung, dass Israel das Recht hat, sich selbst zu verteidigen. Wir gehen aber davon aus, das hat ja auch der Bundeskanzler mehrfach gesagt, dass Israel als ein demokratisch verfasstes Land sich des Völkerrechts bewusst ist und sich an das Völkerrecht hält. Das ist das, wovon wir ausgehen.
Wir sehen natürlich das, was in Gaza passiert, und wir sind vor allen Dingen sehr besorgt über die humanitäre Situation und sind der Meinung, dass humanitäre Hilfe geleistet werden könnte. Wir haben ja auch selbst die humanitäre Hilfe für die Menschen in Gaza erhöht und haben uns für humanitäre Feuerpausen dort ausgesprochen, um diese Hilfe leisten zu können und die Bevölkerung dort versorgen zu können.
Deschauer (AA) Zu Ihrer zweiten Frage: Wir haben die Äußerung zur Kenntnis genommen, aber ich kann darauf verweisen, dass Außenministerin Baerbock, die ja derzeit beim G7-Außenministertreffen in Tokio ist, sich am heutigen späten Vormittag deutscher Zeit in einer Pressekonferenz geäußert hat und auch klare Orientierungspunkte zu der Diskussion, die im G7-Rahmen stattgefunden hat, gegeben hat. Die Diskussion ging in verschiedene Richtungen, aber eine große Frage war sicherlich auch, mit Blick auf die palästinensischen Gebiete über den Tag hinaus zu denken. Ein enger und intensiver Austausch fand in diesem Kreise statt.
Wir haben dieses Pressestatement der Ministerin verteilt. Sollte das noch nicht an Sie herangekommen sein, dann kann ich hier sehr kurz die Referenzpunkte erwähnen. Die Ministerin hat als Orientierungspunkte gegeben: Von Gaza darf in Zukunft keine terroristische Gefahr mehr ausgehen; Palästinenserinnen und Palästinenser dürfen nicht vertrieben werden; keine Besetzung von Gaza, sondern bestmöglich internationaler Schutz; keine territoriale Reduzierung von Gaza; keine Lösung über die Köpfe der Palästinenserinnen und Palästinenser hinweg. Ich glaube, mit diesen Orientierungspunkten, die ein Beitrag zu der Diskussion sind, die gerade in Tokio stattgefunden hat, beantworte ich Ihre Frage.
Frage Jung Da Frau Hoffmann gerade die Sorge über die humanitäre Lage in Gaza angesprochen hatte: Ist die Bundesregierung besorgt über die zivilen Opfer in Gaza? Haben Sie einen Überblick über die zivilen Opferzahlen?
Hoffmann Es geht natürlich darum und das ist auch immer wieder ausgedrückt worden, zivile Opfer, so das irgend möglich ist, in diesem Konflikt zu vermeiden. Das ist ein wichtiges Anliegen, und wir sehen, dass das gewährleistet werden soll, so gut es eben möglich ist.
Konkrete Zahlen kann ich Ihnen hier jetzt nicht nennen. Es ist ja so, das hat Kollege Hebestreit hier, glaube ich, in der letzten Regierungspressekonferenz noch einmal sehr deutlich ausgeführt, dass wir keine glaubwürdigen Angaben haben; denn die Hamas ist für uns keine glaubwürdige Quelle, und schon gar nicht, was Opferzahlen angeht. Insofern kann ich hier jetzt nicht mit exakten Zahlen dienen.
Zusatzfrage Jung Das Thema mit Opferzahlen hatten wir ja schon, nämlich dass die UN in Bezug auf die bisherigen Kriege in Gaza die Opferzahlen der Gesundheitsbehörde vor Ort als glaubwürdig eingestuft hat, weil sie im Nachhinein diese Zahlen überprüft hat. Man geht auch von einer Mindestzahl von Opfern aus, die aktuell berichtet wird. Ich hatte aber konkret gefragt, ob Sie besorgt sind über die bisherigen zivilen Opfer durch Luftangriffe.
Frau Deschauer, haben Sie vielleicht einen Überblick über Opferzahlen? Bei den Zahlen der UN geht es jetzt offenbar schon in die fünfstelligen Zahlen.
Hoffmann Ich weiß nicht, ob Frau Deschauer da mehr sagen kann, aber wir sind grundsätzlich sehr vorsichtig, was Zahlen angeht. Wir haben aber auch gesagt: Natürlich ist jedes Opfer ein Opfer zu viel. Es geht darum, zivile Opfer, so irgend möglich, zu vermeiden.
Deschauer (AA) Ich habe den Ausführungen der stellvertretenden Regierungssprecherin in der Sache nichts hinzuzufügen.
Zusatzfrage Jung Das Auswärtige Amt hat keine Zahlen?
Deschauer (AA) Ich habe den Ausführungen der stellvertretenden Regierungssprecherin, sie hat sich hier ja ausführlich geäußert und auch hergeleitet, nichts hinzuzufügen.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
Liebes Kind, es ist nach Mitternacht. Ich fliege mit einer Geschwindigkeit von Hunderten Meilen pro Stunde durch die Nacht. Tausende Meter über dem Atlantischen Ozean. Ich reise nach Ägypten. Ich will dort zur Grenze nach Gaza, bei Rafah. Wegen Dir.
Du warst nie in einem Flugzeug. Du hast Gaza nie verlassen. Du kennst nur das dichte Gedränge in den Straßen und Gassen. Die Betonverschläge. Du kennst nur die Sicherheitsbarrieren und Zäune, die Gaza umgeben und an denen Soldaten entlang patrouillieren. Flugzeuge machen Dir Angst. Kampfjets. Kampfhubschrauber. Drohnen. Sie kreisen über Dir. Sie schießen Raketen ab, werfen Bomben. Ohrenbetäubende Explosionen. Die Erde bebt. Gebäude fallen zusammen. Die Toten. Die Schreie. Die dumpfen Hilferufe aus den Trümmern. Es hört nicht auf. Nacht und Tag. Gefangen unter Bergen von zertrümmertem Beton. Deine Spielkameraden. Deine Schulkameraden. Deine Nachbarn. In Sekunden verschwunden. Du siehst die kreideweißen Gesichter und Körperteile, die ausgegraben werden. Ich bin Reporter. Es gehört zu meinem Beruf, das zu sehen. Du bist ein Kind. Du solltest das nie sehen.
Der Geruch des Todes. Verwesende Körper unter zerbrochenem Beton. Du hältst den Atem an. Du bedeckst Deinen Mund mit einem Tuch. Du gehst schneller. Dein Viertel ist ein Friedhof geworden. Alles was so vertraut war gibt es nicht mehr. Du blickst ungläubig um Dich. Du fragst Dich, wo Du bist.
Du hast Angst. Eine Explosion nach der anderen. Du weinst. Du klammerst Dich an Deine Mutter oder an Deinen Vater. Du hältst Dir die Ohren zu. Du siehst das weiße Licht der Rakete und wartest auf die Explosion. Warum töten sie Kinder? Was haben sie getan? Warum kann Dich niemand beschützen? Wirst Du verletzt werden? Wirst Du ein Bein oder einen Arm verlieren? Wirst Du blind werden oder in einem Rollstuhl sitzen? Warum wurdest Du geboren? War es, um Schönes zu erleben? Oder war es, um das hier zu erleben? Wirst Du groß werden? Wirst Du glücklich? Wie wird es sein, ohne Deine Freunde? Wer wird als nächstes sterben? Deine Mutter? Dein Vater? Deine Brüder und Schwestern? Irgendjemand den Du kennst wird verletzt. Bald. Jemand den Du kennst wird sterben. Bald.
Nachts liegst Du im Dunkel auf dem kalten Zementboden. Die Telefone sind unterbrochen. Das Internet ist abgeschaltet. Du weißt nicht, was passiert. Es gibt Lichtblitze. Es gibt Wellen von Erschütterungen durch Explosionen. Es gibt Schreie. Es hört nicht auf.
Du wartest, wenn Dein Vater oder Deine Mutter auf der Suche nach Essen oder Wasser sind. Das schreckliche Gefühl im Magen. Werden sie zurückkommen? Wirst Du sie wiedersehen? Wird Dein kleines Zuhause das nächste sein? Werden die Bomben Dich finden. Sind dieses Deine letzten Momente auf dieser Welt?
Du trinkst salziges, schmutziges Wasser. Es macht Dich sehr krank. Dein Magen tut weh. Du hast Hunger. Die Bäckereien sind zerstört. Es gibt kein Brot. Du ißt einmal am Tag. Nudeln. Eine Gurke. Bald wird es wie ein Festmahl sein.
Du spielst nicht mit Deinem Fußball aus Lumpen. Du läßt Deinen Drachen nicht fliegen, der aus altem Zeitungspapier gebaut ist.
Du hast ausländische Reporter gesehen. Wir tragen Schutzwesten, auf denen das Wort „Presse“ steht. Wir haben Helme. Wir haben Kameras. Wir fahren in Jeeps. Wir tauchen immer nach der Bombardierung auf oder nach einer Schießerei. Wir sitzen lange bei Kaffee und reden mit den Erwachsenen. Dann verschwinden wir. Normalerweise interviewen wir keine Kinder. Aber ich habe Interviews mit Euch gemacht, als Ihr uns umringt habt. Es wurde gelacht. Gestikuliert. Ihr habt uns gebeten, Fotos von Euch zu machen.
Ich bin in Gaza von Kampfjets bombardiert worden. Ich wurde in anderen Kriegen bombardiert. Das war, bevor Du geboren wurdest. Ich hatte sehr große Angst. Ich träume immer noch davon. Wenn ich heute die Bilder aus Gaza sehe, kehren die Kriege mit großer Wucht wie Donner und Blitze zu mir zurück. Ich denke an Euch.
Alle von uns, die im Krieg waren, hassen den Krieg vor allem wegen dem, was er Kindern antut.
Ich habe versucht, Deine Geschichte zu schreiben. Ich habe versucht der Welt zu sagen, wenn man grausam zu Menschen ist, jede Woche, jeden Monat, jedes Jahr, Jahrzehnte lang, wenn man den Menschen ihre Freiheit und ihre Würde nimmt, wenn man sie erniedrigt und in einem Gefängnis unter freiem Himmel einsperrt, wenn man sie tötet als seien sie wilde Tiere, dann werden sie zornig. Sie tun anderen das an, was man ihnen angetan hat. Ich habe das immer wieder gesagt. Ich habe das sieben Jahre lang gesagt. Kaum jemand hat zugehört. Und jetzt dies.
Es gibt sehr mutige palästinensische Journalisten. 39 von ihnen wurden getötet, seit dieses Bombardement begann. Sie sind Helden. Auch die Ärzte und Krankenpfleger in Euren Krankenhäusern sind Helden. Auch die UN-Mitarbeiter. 89 von ihnen wurden getötet (*). Auch die Fahrer von Rettungswagen und das medizinische Personal. Auch Eure Mütter und Väter, die Euch vor den Bomben beschützen.
Aber wir sind nicht dort. Nicht dieses Mal. Man läßt uns nicht hinein, man sperrt uns aus.
Reporter aus aller Welt werden zum Grenzübergang Rafah gehen, weil wir diesem Abschlachten nicht zuschauen können, ohne etwas zu tun. Wir gehen, weil Hunderte Menschen jeden Tag sterben, darunter 160 Kinder. Wir gehen, weil dieser Völkermord aufhören muss. Wir gehen, weil wir Kinder haben. Kinder wie Du. Kostbar. Geliebt. Wir gehen, weil wir wollen, daß Du lebst.
Ich hoffe, dass wir uns eines Tages treffen können. Du wirst erwachsen sein. Ich werde ein alter Mann sein. Obwohl, ich bin für Dich schon heute sehr alt. In meinen Traum über Dich wirst Du frei und sicher und glücklich sein. Niemand wird versuchen, Dich zu töten. Du wirst in Flugzeugen reisen, die mit Menschen gefüllt sind, nicht mit Bomben. Du wirst nicht in einem Freiluftgefängnis gefangen sein. Du wirst die Welt sehen. Du wirst erwachsen werden und Kinder haben. Du wirst alt werden. Du wirst Dich an dieses Leid erinnern, aber Du wirst wissen, dass es bedeutet, anderen zu helfen, die leiden. Das ist meine Hoffnung. Dafür bete ich.
Wir haben dich im Stich gelassen. Das ist unsere furchtbare Schuld. Wir haben es versucht, aber wir haben nicht genug getan. Wir werden nach Rafah gehen. Viele von uns. Reporter. Wir werden vor der Grenze mit Gaza stehen und protestieren. Wir werden schreiben und filmen. Das ist, was wir tun. Nicht viel, aber etwas. Wir werden Deine Geschichte neu aufschreiben.
Vielleicht reicht es, um das Recht zu verdienen, Dich um Vergebung zu bitten.
*Am 9.11.2023 geben die Vereinten Nationen an, dass die Zahl der getöteten UN-Mitarbeiter in Gaza auf 92 gestiegen ist.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
09.11.2023
PALÄSTINAINITIATIVE REGIONHANNOVER
Gaza-Krieg:
Wie soll es weitergehen?
Seit
dem Massaker der Hamas am 7.10. führt Israel einen Krieg gegen den
militärischen Arm der Hamas und die Bevölkerung in Gaza.
Die
Bundesregierung sagt, Deutschland stehe an der Seite Israels. Was
bedeutet das in der gegenwärtigen Situation?
Die
israelische Regierung verrennt sich immer mehr in die Sackgasse militärischer
Gewalt. Damit lässt sich aber das Problem
von 56 JahrenBesatzung
der Palästinensergebiete und 16 Jahre Abschnürung des Gazastreifens nicht lösen! Das ist das Kernproblem in der Region des Nahen Ostens,
eine politische
Lösung für
ein Ende der Besatzung muss
her!
Dafür
muss sich die Bundesregierung gegenüber der israelischen Regierung
einsetzen. Grundlage muss die Gewährleistung gleicher Rechte und
Selbstbestimmung aller Menschen zwischen Mittelmeer und Jordan sein. Die Umsetzung wird Gegenstand von Verhandlungen sein müssen.
In
der jetzigen Situation heißt das für
deutsche Politik im Einklang mit der großen Mehrheit der Staaten weltweit:
Einsatz
für einen sofortigen Waffenstillstand, für die Versorgung der
Zivilbevölkerung und die Freilassung der Geiseln. Auch die
Übergriffe der Siedler und der Armee gegen die palästinensische
Bevölkerung im Westjordanland müssen sofort aufhören.
Eine
Fortsetzung der Politik militärischer Logik und Gewalt bedeutet nicht nur viele weitere Tote sondern ein
Leben in ständiger Unsicherheit,
nicht nur für die palästinensische sondern auch für die
israelische Zivilbevölkerung, und eine enorme Steigerung von
Traumatisierungen und Hass, auch gegen die Länder, die das Vorgehen
der israelischen Regierung billigen und unterstützen.
Dagegen
sollte die Bundesregierungeinen
eigenständig konzipiertenBeitrag leisten, damit auf Gerechtigkeit beruhende Abkommen und Verträge
geschlossen werden.
Jetzt
heißt das:
-
Sofortiger Waffenstillstand und Verhandlungen
-
ungehinderte Versorgung der Bevölkerung
-
Freilassung der Geiseln
-
keine Vertreibung der Bevölkerung aus Gaza
-
Stopp der Siedlerattacken im Westjordanland
-
Gleiche Rechte für alle Menschen zwischen Jordan und Mittelmeer
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
Grundrecht wahrnehmen Auch wenn die Wehrpflicht seit 2011 ausgesetzt ist, könnte sie jederzeit wieder eingeführt werden. Das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung (KDV) gilt unabhängig von der Wehrpflicht. Den Kriegsdienst mit der Waffe aus Gewissensgründen gemäß Artikel 4 Absatz 3 des Grundgesetzes zu verweigern, ist unveräußerliches Grundrecht.
KDV für Ungediente Die Kriegsdienstverweigerung ist für Ungediente nur ganz bestimmten Bedingungen möglich, die unter “weiterlesen” zu finden sind.
KDV als Soldat Für aktive Soldat*innen ist es am schwierigsten zu verweigern, denn sie müssen eine Gewissensänderung vermitteln und es geht eventuell auch um die Rückzahlung von Ausbildungskosten.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
09.11.2023
Buch: Kein Frieden für Palästina
aus e-mail von Ingrid Rumpf, 9. November 2023, 10:05 Uhr
*Buch: Kein Frieden für Palästina*
Liebe Nahost-Interessierte,
angesichts des Krieges um Gaza möchte ich Euch für die historischen
Hintergründe noch einmal das aktuelle Buch von Helga Baumgarten
empfehlen. Die Leute wissen einfach zu wenig, weshalb es wichtig ist,
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
09.11.2023
Chr. Meier in FAZ vom 8.11.2023 über die Vertreibung und Attacken auf die Beduinen
WESTJORDANLAND
Vertrieben aus dem gottgegebenen Land
Radikale Siedler im Westjordanland greifen seit Kriegsausbruch vermehrt Beduinen in deren Dörfern an. Die Gewalt folgt einem Muster. Von Christian Meier, Quynh Tran Die Wolken hängen tief über dem Jordantal. Sie sind die Vorboten der Erntesaison, die anbricht, wenn der Herbstregen die Früchte noch einmal anschwellen lässt. Ende Oktober begann die Olivenernte. Sie ist für Palästinenser traditionell nicht nur Arbeit, die manchen das Einkommen für das ganze Jahr einbringt, sondern auch ein Familienfest. In den vergangenen Jahren hat sich das jedoch geändert: Bricht die Erntezeit an, kommen auch radikale Siedler. Israelische Menschenrechtsorganisationen sprechen von systematischen Angriffen auf palästinensische Bauern und Hirten. Siedler hielten Palästinenser von deren Feldern und Weidegründen fern, entwurzelten Bäume, steckten Felder in Brand und griffen nicht nur Palästinenser, sondern auch israelische und ausländische Helfer an. Ziel sei es, den Menschen das Leben so unerträglich zu machen, dass sie von allein gehen. Das funktioniert: An mehreren Orten haben die Bewohner ihre Häuser inzwischen aus Angst verlassen. Palästinensische Dorfgemeinschaften haben sich unter dem Druck der Übergriffe praktisch selbst aufgelöst. Diese Entwicklung hat vor mehr als einem Jahr eingesetzt, in den vergangenen vier Wochen hat sie sich jedoch dramatisch beschleunigt. Denn im Schatten des derzeitigen Kriegs eskaliert die Gewalt auch im Westjordanland. Während die Blicke vor allem auf den Gazastreifen gerichtet sind, sind in dem Gebiet mehr als 150 Menschen getötet und zahlreiche weitere verwundet worden, sowohl bei Auseinandersetzungen zwischen militanten Palästinensern und der israelischen Armee als auch bei Siedlerangriffen.
Die Einschüchterungen der Siedler werden immer offener So wurden die Bewohner des Dorfs Deir Istiya nördlich der Siedlung Ariel vor zwei Wochen erst bei der Ernte mit Steinen beworfen. Als sie von ihren Feldern zurückkehrten, entdeckten sie Flugblätter an ihren Autos: „Ihr wolltet Krieg, wartet auf die große Nakba“, stand darauf – ein Verweis auf die Vertreibungen von Palästinensern im Nahostkrieg von 1948. Weiter hieß es, dies sei die letzte Chance, nach Jordanien zu fliehen, bevor sie mit Gewalt vertrieben würden vom „gottgegebenen Heiligen Land“. Abu Baschar, ein Hirte und Bauer aus Wadi al-Siq, hat es nicht zur Olivenernte auf seine Felder geschafft. Seine Familie wurde in der Woche nach dem Großangriff der Hamas aus ihrem Dorf vertrieben. Einige Bewohner waren angesichts der zunehmenden Gewalt schon in den vergangenen Jahren gegangen. Die etwa 250 Verbliebenen flohen überstürzt, als mehrere Dutzend Autos mit bewaffneten Siedlern, darunter Militärfahrzeuge, anrückten. Seit dem 7. Oktober seien mehr als zwanzig Dörfer aufgrund von Siedlergewalt teilweise oder vollständig geräumt worden, schätzen israelische Menschenrechtsgruppen. Meist wohnten dort Beduinen, die ihren Lebensunterhalt als Hirten oder Bauern verdienten. Sie leben in kleinen Weilern, die überwiegend aus Wellblechhütten bestehen – dieser Teil der palästinensischen Gesellschaft ist sehr arm. „Die Beduinen sind die verwundbarste Minderheit“, sagt Guy Hirschfeld, Gründer der Organisation Looking the Occupation in the Eye. Die Übergriffe der Siedler gegen Beduinen bezeichnet er als „Landnahme-Krieg“. Dabei gehe es vor allem um das sogenannte C-Gebiet. Das macht 61 Prozent des Westjordanlands aus, gemäß den Oslo-Abkommen wird es vollständig von Israel kontrolliert. Hier befinden sich der Großteil der israelischen Siedlungen sowie Außenposten mit etwa 450.000 Siedlern. Während die Siedlungen wachsen, bekommen die schätzungsweise 180.000 bis 300.000 palästinensischen Bewohner des C-Gebiets so gut wie keine Baugenehmigungen; viele der Beduinendörfer werden von den Besatzungsbehörden als illegal angesehen. In „Protective presence“-Aktionen versuchen Hirschfeld und andere israelische und ausländische Freiwillige, palästinensische Zivilisten durch ihre Präsenz zu schützen. Auch in Wadi al-Siq sind sie aktiv und versuchen, mit dem Militär zu koordinieren, dass die Bewohner zumindest ihr Hab und Gut aus ihren Hütten holen können – bislang erfolglos. „Aber nach dem Krieg wollen wir zurück in unser Dorf“, sagt Abu Baschar. Er ist Nachkomme eines Beduinenstamms aus der Negev-Wüste, der 1948 infolge der Staatsgründung Israels geflohen ist und sich vor einem halben Jahrhundert in diesem Gebiet niedergelassen hat. Sein Vater und er sind im Westjordanland geboren, nun musste seine Familie wieder fliehen. Statt seine eigenen Früchte zu ernten, steht er mit seiner Familie in einem Olivenhain des palästinensischen Dorfs Taibe im B-Gebiet. Hier fühlt er sich zumindest vorübergehend sicherer. Über die Allon-Straße geht es in Richtung des Ortes Wadi al-Siq. An der Einfahrt zu dem verlassenen palästinensischen Dorf hängt eine große Israel-Flagge. Im Dorf: ein Bild der Verwüstung. Schon im Sommer brachen Siedler in die mit internationalen Geldern finanzierte Schule ein und stahlen technische Geräte. Inzwischen sind auch die Häuser geplündert. Die von der Europäischen Union finanzierten Solarpaneele sind zerbrochen, Wände eingerissen, Möbel verwüstet; überall liegen Scherben von Kochgeschirr, Kinderspielzeug, einzelne Schuhe. Die Bewohner durften bisher nicht zurückkehren, um ihre Habseligkeiten einzusammeln, aber viel ist ohnehin nicht übrig geblieben. Noch vor zwei, drei Jahren, erzählt Guy Hirschfeld, sei das Gebiet voll von Hirten gewesen. Von ihnen geblieben sind nur ein paar Gemeinschaften ganz im Süden und im Norden der Allon-Straße. In Ain al-Raschasch etwa versucht noch ein halbes Dutzend Männer, die Stellung zu halten. Siedler aus dem Außenposten Malachei Haschalom, zu Deutsch „Engel des Friedens“, haben vor fünf Monaten begonnen, den kleinen Weiler immer wieder anzugreifen. „Sie haben Häuser angezündet, aber die Armee hat uns verboten zu filmen“, erzählt Hagar Gefen. Die 71 Jahre alte Israelin wurde vor einem Jahr bei der Olivenernte von Siedlern angegriffen und mit vier gebrochenen Rippen ins Krankenhaus eingeliefert. Einen Monat später stand die pensionierte Anthropologin wieder mit Palästinensern auf den Feldern.
Schikanen, Belästigungen und Brand-Attacken Die Polizei in den Siedlungen und die Armee würden nicht eingreifen, manchmal sogar die Siedler unterstützen, sagt sie. Trotz der Schockstarre in der israelischen Gesellschaft nach den Massakern der Hamas sieht Gefen sich dazu verpflichtet, weiter zu helfen. Sie und Hirschfeld gehörten zu den Aktivisten, die in Ain al- Raschasch in den vergangenen drei Monaten 24 Stunden am Tag „protective presence“ geleistet haben – bis sie vor Kurzem aufgegeben haben. „Es hat schon vor Jahren mit kleinen Schikanen angefangen, mit Belästigungen an der Straße, aber es ist immer schlimmer geworden“, erzählt Sliman al-Zawahri, ein 52 Jahre alter Hirte aus dem Dorf. Am 9. Oktober riegelten Siedler die einzige Zufahrtsstraße ab. Nachdem zwei Dutzend teils bewaffnete Siedler eine Woche später ein weiteres Mal Häuser in Brand gesteckt und einen 85 Jahre alten Mann verprügelt hatten, hat die Dorfgemeinschaft beschlossen, die Frauen und Kinder in das benachbarte Duma zu bringen. Auch die freiwilligen Helfer sowie ein Teil der Männer verließen Ain al-Raschasch. Der Wind hämmert gegen die Wände der Wellblechhütten, die Wolken ziehen sich zu. Al-Zawahri breitet seine Matte zum Nachmittagsgebet aus, auch wenn am Hügel in der Ferne wieder Siedler zu sehen sind. „Sie lassen uns keine Luft zum Atmen. Aber wir bleiben. Und nach dem Krieg kommen hoffentlich auch unsere Frauen und Kinder wieder“, sagt al-Zawahri. Auch er gehört zu den Negev- Flüchtlingen von 1948 und will nicht noch einmal vertrieben werden. Die Attacken der Siedler auf die palästinensischen Dörfer erfolgen nicht willkürlich. Dass ein Muster hinter den Angriffen steckt, erweist sich beim Blick auf die Landkarte: Wie auf einer Schnur aufgereiht, ziehen sich die betroffenen Orte vom äußersten Nordosten des Westjordanlands bis an das südliche Ende des Gebiets. Die Topographie spielt dabei eine Rolle: Fast alle dieser Dörfer liegen genau dort, wo das Judäische Bergland zur Ebene des Jordantals abfällt.
Wenige, aber sehr gewaltbereite Siedler Noch vor zehn Jahren konzentrierte sich die Gewalt durch radikale Siedler vor allem auf Gebiete im Bergland, etwa um Nablus oder südlich von Hebron. Schritt für Schritt hat sie sich seither nach Osten verlagert: zu den Berghängen, an denen palästinensische Beduinen Olivenbäume bewirtschaften und ihre Herden grasen lassen. Der erste Schritt war die Errichtung sogenannter Farmaußenposten: kleiner, illegal errichteter Siedlungen, in denen oft nur wenige Siedler leben, die jedoch sehr gewaltbereit sind. Sie führen ihre Herden auf die umliegenden Gebiete und vertreiben die Palästinenser, die dort bislang präsent waren. Das Ziel ist, das ganze östliche Westjordanland für palästinensische Hirten unzugänglich zu machen und einen möglichst großen Teil des C-Gebiets zu kontrollieren. Seit etwa eineinhalb Jahren beobachten Aktivisten und Fachleute eine neue Stufe: Die Siedler attackieren nicht mehr nur umherziehende palästinensische Hirten – sie greifen die Beduinen auch in deren eigenen Dörfern an. Im nördlichen Westjordanland stellt in der Praxis die Allon-Straße die Grenze dar – alles Land östlich davon ist für Palästinenser immer unsicherer geworden. Wie sehr dieses Phänomen mit dem Kriegsausbruch zugenommen hat, wird aus den Zahlen der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem ersichtlich: Zwischen 2020 und Anfang Oktober 2023 wurden demnach sieben palästinensische Dörfer aufgrund von Siedlergewalt aufgegeben – seit dem 7. Oktober waren es fünfzehn. Sechs weitere Orte wurden teilweise verlassen, und etwa zwanzig weitere Orte sind davon bedroht. Wöchentlich berichten Aktivisten derzeit von weiteren Gemeinschaften, die vertrieben wurden. In einer gemeinsamen Stellungnahme mehrerer Menschenrechtsorganisationen wird darauf hingewiesen, dass die Siedler zuletzt immer öfter Militäruniformen und Armeewaffen trugen.
Hilflos gegen die Angreifer Fast tausend Menschen haben in den vergangenen vier Wochen ihr Zuhause verloren. Die Bewohner ziehen meist nach Westen, in die von der Palästinensischen Autonomiebehörde verwalteten A- und B-Gebiete. Dort leben sie dann wie Ali und Hassan Abu l-Qbash, die im Niemandsland zwischen den Orten Kafr Malik und Mughayir etwas Land gepachtet haben. Die 60 und 65 Jahre alten Brüder haben wie alle acht übrigen Familien ihren Wohnort Al-Qabun verlassen, nachdem sie immer wieder von bewaffneten Siedlern schikaniert worden waren. „Wenn jemand in dein Haus kommt, Sachen aus dem Kühlschrank nimmt, das Telefon deiner Frau durchsucht, in Schränke guckt und in die Wohnung pinkelt, was würdest du dann machen!?“, sagt Hassan Abu l-Qbash emotional. Auch Schafe seien gestohlen worden. Als Siedler im Juli vor ihren Augen alles Trinkwasser aus dem Speicher abließen, beschlossen die Bewohner, zu gehen. Unweit des verlassenen Weilers haben Siedler jetzt einen Weinberg angelegt. Die beiden Brüder leben nun wenige Kilometer weiter westlich mit ihren Familien in Zelten. Ihre Schafe zu ernähren sei schwierig, sagen sie. Am liebsten gingen sie zurück nach Al-Qaboun, der Ort ist „wie meine Augen“, sagt Hassan Abu l-Qbash. Aber alles C-Gebiet sei für die Palästinenser verloren. Die beiden gegerbten Männer sehen zupackend aus, aber sie wirken auch schwach und hilflos. Hassan Abu l-Qbash vergräbt sein Gesicht in den Händen, wenn er von dem Terror durch die Siedler erzählt. Er fühlt sich ihnen gegenüber machtlos. „Mein Blut ist rot, ihr Blut ist rot, aber wir sind trotzdem nicht gleich“, sagt er. Fragt man den Mann, ob er jemals daran gedacht habe, sich dem bewaffneten Kampf anzuschließen, lacht er nur. „Wenn ich versuche, mich selbst zu verteidigen“, sagt er, „lande ich sofort im Krankenhaus oder im Gefängnis – oder unter der Erde.“
Info: faz.de
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
Es kommt nicht alle Tage vor, dass sich Ursula von der Leyen der Presse stellt. Noch seltener kommt es vor, dass ich eine Frage stellen darf. Gestern war es so weit. Ihr Amtsvorgänger, Herr Juncker, hält die Ukraine wegen der Korruption für nicht beitrittsfähig. Haben Sie sich mit ihm darüber unterhalten, und halten Sie einen Status unterhalb der Vollmitgliedschaft für möglich?
Das war die erste Frage. Keine Antwort. Dann kam die zweite: Sie empfehlen den Start von Verhandlungen mitten im Krieg, was eine Premiere in der EU ist. Welchen Sinn machen Gespräche mit einem umkämpften Land – halten sie einen Beitritt unter diesen Umständen für möglich?
Auch darauf kam keine direkte Antwort. Die geplanten Verhandlungen seien „ein klares Signal der Unterstützung“ bei der Abwehr des „russischen Angriffskriegs“, so die EU-Chefin. Damit machte sie klar, dass Geopolitik wichtiger ist als die lästigen Details der Erweiterung.
Die Beitritts-Gespräche sollen die Ukrainer motivieren, die Zähne zusammen zu beißen und weiterzukämpfen. Und sie sollen Russland zeigen, dass die EU das Land nicht mehr losläßt und die „europäische Perspektive“, für die der Maidan vor zehn Jahren stand, Schritt für Schritt umgesetzt wird.
Erweiterung als Teil des Krieges
Doch damit wird die Erweiterung, die eigentlich den Frieden sichern soll, zu einem Teil des Krieges. Und ausgerechnet die Ukraine, die nicht nur Juncker für alles andere als beitrittsfähig hält, wird zur Nummer eins bei der geplanten großen Beitrittswelle. Es ist eine Ukraine-First-Politik.
Dabei werden nicht nur die Länder des Westbalkans betrogen, die im Gegensatz zur Ukraine einen Krieg beendet und den Frieden gefunden haben. Auch die Länder und Bürger der „alten“ EU werden übervorteilt: Sie müssen den Preis für dieses riskante Experiment zahlen. Gefragt hat sie niemand…
Der Westbalkan muss weiter warten. Die Ukraine, Moldau und Georgien rücken je ein Feld vor, doch der Westbalkan muß weiter auf den EU-Beitritt warten: In der Erweiterungspolitik herrschen doppelte Standards. Zum Trost hat die EU-Kommission einen „Wachstumsplan“ mit 6 Mrd. Euro bis 2027 entworfen. So viel bekommt die Ukraine in einem halben Jahr… – Mehr im Blog
Die Uno wirft Israel Kriegsverbrechen vor. Die Attacken der Hamas am 7. Oktober waren Kriegsverbrechen, genauso wie die andauernde Geiselnahme, sagt der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Volker Türk. „Die kollektive Bestrafung Israels von palästinensischen Zivilisten ist auch ein Kriegsverbrechen, genauso wie die rechtswidrige gewaltsame Evakuierung von Zivilisten.“
Belgien fordert Sanktionen gegen Israel.„Es ist Zeit für Sanktionen gegen Israel. Der Bombenregen ist unmenschlich“, sagt Vize-Ministerpräsidentin Petra De Sutter. Die EU müsse das Assoziations-Abkommen mit Israel sofort aussetzen. Doch die macht das Gegenteil – und deckt das israelische Vorgehen, nun auch in der G-7. Siehe auch „Die G-7 machen sich unglaubwürdig.“
Das Letzte
Die digitale Brieftasche kommt – oder der gläserne Bürger?Bürger sollen sich künftig in der gesamten EU digital ausweisen können. Unterhändler von Europaparlament und EU-Staaten haben sich auf letzte Details zu einer digitalen Brieftasche für Smartphones verständigt. Die User sollen damit etwa Bankkonten eröffnen, aber auch Führerscheine oder Arztrezepte speichern können. Auch eine kostenlose elektronische Signatur soll möglich sein. Datenschützer warnen indes vor dem gläsernen Bürger. Die Pläne würden es staatlichen Behörden ermöglichen, die Kommunikation auszuspähen.
Ob die Länder des Westbalkans „einen Krieg beendet und den Frieden gefunden“ haben, kann man sich fragen (Stichwort: neuere Entwicklungen zwischen Serbien und Kosovo; und ich erinnere daran, dass der fragile Zustand zwischen diesen Ländern nicht ohne einen massiven NATO-Eingriff zustandegekommen ist und die EU bis heute keine einheitliche Haltung zu der Frage vertritt, ob das Kosovo ein Staat ist). Dass die Quasi-Zusage an die Ukraine eine Parteinahme im Krieg ist, sehe ich auch so (bewerte es nur anders, nämlich positiv); es ist nicht möglich, hier neutral zu bleiben, denn eine „Neutralität“ wäre mit einer Parteinahme für den brutalen Angreifer gleichzusetzen. Sie sind offenbar der Meinung, die EU solle nur Länder als Mitglieder aufnahmen, bei denen nicht eine Großmacht diese als „Interessengebiet“ beansprucht. Eine solche Position ist mit der üblicherweise vertretenen Vorstellung der EU von sich selbst unvereinbar. Und Sie sehen anscheinend die Maidan-Proteste von 2014 als seine sinistre, illegitime Intrige des Westens, der hier eine Wirtschaftskolonie gewinnen wollte. Warum sollen die Ukrainer nicht für sich die Entscheidung treffen können, dass ihnen die Verbindung zu Mittel- und Westeuropa wichtiger ist als eine exklusive Verbindung mit Russland?
Der Maidan war sicher ein Ruf nach EUropa – aber er hat das Land auch tief gespalten. Es ist falsch, zu behaupten, alle Ukrainer hätten den Beitritt in die EU und/oder die Nato gewünscht, und als gäbe es einen direkten Weg zu den Beitrittsverhandlungen.
Im übrigen teile ich das Urteil von Juncker – das Land war und ist nicht beitrittsfähig. Und die EU war und ist nicht aufnahmefähig. Diesen Weg noch dazu mitten in einem Krieg zu gehen, der offenbar nicht mehr gewonnen werden kann, ist ein gefährlicher Bluff.
Um es noch einmal zu wiederholen: Es war ein Fehler, dem Land im Krieg den Kandidatenstatus zu geben. Man hätte diesen Status zumindest mit der Bedingung verknüpfen müssen, dass die Ukraine eine Friedenslösung sucht und über stabile Grenzen verfügt.
Mitten im Krieg zu verhandeln, eröffnet eine „dritte Front“ (neben der militärischen und der wirtschaftlichen), bei der die EU nur verlieren kann. Denn jede Blockade in Brüssel wird als „Verrat“ an Kiew gewertet werden. Wie das läuft, sehen wir ja jetzt schon…
Letzte Anmerkung: Es ist ein Fehler, die Politik nur noch mit Blick auf Putin zu beurteilen. Das gibt dem Mann viel mehr Macht, als er in Wahrheit hat! Wer Putin hinter jeder Straßenecke vermutet, leidet an Paranoia und kann nicht mehr nüchtern analysieren.
Ihr Kriterium der „stabilen Grenzen“ ist wieder ein gefährliches, weil es Aggression (solange sie nicht militärisch zurückgeschlagen ist) prämiert. Es ist ja nicht die Ukraine, die Russland Territorien streitig macht, sondern umgekehrt. Auch kann man der Ukraine die Weigerung, zu kapitulieren, nicht vorwerfen. Ein „Kompromiss“ mit Russland wäre nur dann überhaupt in Erwägung zu ziehen, wenn dessen Interessen irgendwie vernünftig begründbar und begrenzbar wären; andernfalls wäre es ein Kompromiss wie der der Westmächte mit Hitler 1938 in München, der allenfalls als Atempause für die Aufrüstung Großbritanniens nachträglich gerechtfertigt werden kann. Dass „alle Ukrainer“ hinter dem Maidan gestanden wären, behauptet in dieser extremen Fassung m.W. niemand. Allerdings war er eindeutig ein sehr populärer Protest gegen die offenkundig aus Moskau befohlene Ablehnung des Assoziierungsabkommens durch Janukovic. Und was eine „Spaltung“ der Ukraine betrifft, dürfte der russische Angriff zu ihrer Überwindung und der Vereinigung in der Gegnerschaft zu Russland stark beigetragen haben. Nicht Partei zu ergreifen, wie Sie es empfehlen, ist – zumal in so eindeutig gelagerten Fällen – immer auch eine Parteinahme, und zwar für den jeweils stärkeren und brutaleren.
Das ist nicht „mein“ Kriterium. Das ist die Basis der EU-Erweiterung, übrigens auch in der Nato. Was passiert, wenn dieses Kriterium ignoriert wird, sehen wir aktuell im Kosovo. Das Land hat nicht einmal einen Kandidatenstatus, weil mehrere EU-Länder es nicht anerkennen!
Im übrigen habe ich nicht gesagt, dass man keine Partei ergreifen solle. Ich habe gesagt, dass die EU mit den Verhandlungen im Krieg einen gefährlichen Präzedenzfall schafft. Die sauberste Lösung wäre, die Verhandlungen nach dem Ende des Krieges zu beginnen.
Mit einem Land über den Beitritt zu verhandeln, das das größte Land Europas „auf dem Schlachtfeld“ besiegen will, ist schon verwegen. Mit einem Land zu verhandeln, das man selbst in jeder Hinsicht stützen muss – mit Geld, Waffen und Munition – ist absurd.
Von der Leyen verhandelt sozusagen mit sich selbst – die eine Hand gibt Überlebens-Hilfe, die andere verspricht eine goldene Zukunft…
european 9. November 2023 @ 09:52
@ebo
„Es ist ein Fehler, die Politik nur noch mit Blick auf Putin zu beurteilen. Das gibt dem Mann viel mehr Macht, als er in Wahrheit hat!“
So ist es. Wer ein ca. 144 Mio Volk auf einen einzigen Mann reduziert, muss in seiner Beurteilung falsch liegen. Es gibt ein kleines Buch, das ueber die Funktionsweise der russischen Politik sehr gut informiert und sowohl Nachteile als auch Vorteile fuer meine Begriffe sehr gut herausarbeitet. „Putin ist nicht Russland’s Zar“ von Roland Bathon. Ein lesenswertes Buch, das zumindest in relativ kurzen Abschnitten einen so ausreichenden Einblick verschafft, dass die Leser verstehen, dass unsere medialen Verkuerzungen ins Nichts fuehren muessen. Putin ist naemlich keineswegs so maechtig, wie immer behauptet. Ebenso wenig ist er DER Diktator. Viel maechtiger ist hingegen die Administration bzw. der durchaus sehr korrupte Apparat dahinter oder darunter – je nachdem, wie man es sehen moechte, der vom Regime / Praesidenten profitiert. Sobald das naemlich nicht mehr der Fall ist, ist der Praesident schneller Geschichte, als man glauben mag.
Wir geben uns zu wenig Muehe, Kulturen zu in ihrer Funktionsweise zu verstehen, was nicht heisst, Verstaendnis dafuer zu haben. Dadurch liegen wir in unseren Beurteilungen immer falsch was zu noch falscheren Reaktionen fuehrt.
Mir geht es mehr darum, dass mittlerweile jeder Sack Reis, der irgendwo umfällt, auf eine bewußte, böswillige Manipulation durch „Putin“ zurückgeführt wird. Putin ist zur Chiffre (und zur Entschuldigung) für alles geworden, was nicht gut läuft. In der deutschen Debate ist das sehr „schön“ zu beobachten – immer war „Putin“ schuld. Sogar dann, wenn es um die Auswirkungen von Sanktionen gilt, die man selbst beschlossen hat!
Karl 9. November 2023 @ 10:03
@ Kleopatra: Es waren NICHT „die“ Ukrainer „für“ den Maidan. Das ist ein Märchen. Die Folge des Maidan waren 14.000 Tote und 2 Millionen Vertriebene im Jahr 2014.
In Jugoslawien, das Sie ebenfalls ansprechen, wäre eine derart massive Vertreibung der Zivilbevölkerung durch ukrainisches Militär & Asow-„Freischärler“ als Völkermord bezeichnet worden. Ein Kriegsverbrechen in Folge des Maidan war es auf jeden Fall.
Kaiserin Ursula die Erste forciert jetzt den Beitritt der Ukraine und niemand, weder in der Kommission noch im Parlament, widerspricht? Wer war denn nochmal Herr Juncker? Die Kaiserin arbeitet offenbar zielstrebig am Bankrott der EU.
In einer Pressekonferenz Fragen stellen zu „dürfen“, ist mittlerweile als echten Erfolg und Privileg zu bewerten, auch wenn die Antworten auf sich warten lassen. Aber von Frau von der Leyen darf man eh nicht viel erwarten. Auch ihre Antwort zum Maidan ist nicht nur dünn, sondern falsch, denn bis heute ist nicht abschließend geklärt, wer eigentlich auf dem Maidan geschossen hat. Der Putsch von Janukowitsch wird ebenso unter den Tisch fallen gelassen, wie der Beschluss von Nuland, wer in der Ukraine Präsident wird. Wir verstehen das, denn schließlich geht es hier um nichts anderes als die Demokratie ????
Und selbige blüht in der Ukraine, wie der aktuelle Hilferuf eines ukrainischen Oppositionellen zeigt, den die Nachdenkseiten vor drei Tagen veröffentlicht haben. Sehr aufschlussreich und lesenswert beschreibt der Autor, was eigentlich alle, die sich näher damit befassen, schon geahnt haben, aber wir sind ja schließlich alle der Russenpropaganda unterlegen.
Fazit: Wer über die Wahrheit schreibt, muss mindestens mit Repressalien rechnen, in diesem Fall Strafverfolgung in Abwesenheit und vieles mehr.
Und dann noch der digitale Euro. Ich habe gerade das Buch „Freiheitsgeld“ von Andreas Eschbach gelesen und kann das nur jedem empfehlen, denn, obwohl eine Fiktion, befasst sich dieser Roman mit den Auswirkungen nicht nur dieser Entwicklung, sondern auch mit dem „bedingungslosen Grundeinkommen“, wer es bezahlt und wem es nützt, mit dem oberen einen Prozent, dem das Weltvermögen gehört usw. Er greift so ziemlich alle aktuellen Trends auf, wie diese ineinander verwoben sind und letztlich nur sehr wenigen dienen. Wie gesagt, Fiktion, aber mit vielen unausgesprochenen Fragen gespickt. Es wäre unrealistisch zu glauben, dass der digitale Euro nicht programmiert wird. Aktuell soll das nur die Kritiker beruhigen, aber alles, was man technisch kann, wird bei Bedarf umgesetzt werden. Da sollte man sich keiner Illusion hingeben.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
Die Ukraine, Moldau und Georgien rücken je ein Feld vor, doch der Westbalkan muß weiter auf den EU-Beitritt warten: In der Erweiterungspolitik herrschen doppelte Standards.
Doppelte Standards: Diesen Vorwurf muß sich die EU nicht nur in der Außenpolitik anhören. Auch bei der Erweiterung wird er laut – zu Recht, wie sich nun zeigt.
Denn während die Ukraine, Moldau und Georgien je ein Feld vorrücken – Beitrittsverhandlungen für die ersten beiden, Kandidatenstatus für Nummer drei – muß der Westbalkan weiter warten.
Nur Bosnien-Herzegowina darf vielleicht auf Beitrittsgespräche hoffen – wenn es die Bedingungen aus Brüssel umsetzt. Alle anderen Kandidaten müssen weiter im Wartesaal schmoren.
Dabei mühen sie sich bereits seit 20 Jahren. Und schlechter als in Moldau sind die Bedingungen in Albanien oder Kosovo auch nicht. Eher im Gegenteil!
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
Die G7-Staaten haben sich für „humanitäre Pausen“ im Krieg zwischen Israel und der islamistischen Hamas ausgesprochen. Damit folgen sie der Sprachregelung, die Deutschland in der EU durchgesetzt hatte – und machen sich unglaubwürdig.
Humanitäre „Pausen und Korridore“ seien nötig, um die Lieferung von Hilfsgütern und die Freilassung von Geiseln zu ermöglichen, hieß es im Abschlussdokument eines zweitägigen G7-Außenministertreffens in Tokio.
Die G7-Staaten riefen „alle Parteien“ auf, humanitären Helfern Zugang zu gewähren und die Versorgung der Zivilbevölkerung mit Lebensmitteln, Wasser und Medizin zuzulassen.
Damit folgen sie wortwörtlich den deutschen Formulierungen, die beim letzten EU-Gipfel beschlossen wurden. Außenministerin Baerbock dürfte zufrieden sein.
Doch der Appell bleibt weiter hinter den Beschlüssen der Uno und den humanitären Erfordernissen zurück. Nöitg wäre eine sofortiger Waffenstillstand und ein Ende der israelischen Blockade.
Der Westen müsste Israel zudem auffordern, eigene Grenzübergänge zu Gaza zu öffnen – denn der Übergang zu Ägypten ist völlig überlastet. Zudem müsste er Druck auf Netanjahu machen – so wie viele Israelis.
Stattdessen decken und unterstützen die USA die Massaker, die Israel in Gaza anrichtet. Und die EU lässt sich von Netanjahu vorführen – der denkt nicht an „Pausen“. Der Westen macht sich unglaubwürdig…
„Der Westen macht sich völlig unglaubwürdig“ aber die kontrollierten Medien( ich verfolge die deutsche Tagesschau und das niederländische NOS journaal) versuchen in den letzten Tagen eine glaubwürdige Darstellung des Kriegsgeschehens zu geben, die den Eindruck wecken könnte, es ereignet sich eine neue Art Naturkatastrophe, auf Grund wovon die Menschen in Gaza auf der Flucht sind, assistiert von der Regierung und dem Militär Israels, die ja Fluchtkorridore schaffen und dafür sorgen daß es ab und zu zwei „ruhige“ Stunden gibt, damit die Leute sich geordnet und sicher auf dem Wege machen können, ein von z.B. Deutschland bereitgestelltes nettes Zeltlager zu erreichen. Die Reihenfolge der Nachrichten scheint mir manchmal so zu sein, daß das Nicht-anders-Können’s Israels und den guten Willen der „internationalen Gemeinschaft“ immer den Hiobsbotschaften aus der Wirklichkeit Gaza’s vorangestellt wird. (Und diese wo möglich flankiert von Berichten über empörende Ausschreitungen gewisser Kreise in Deutschland.). Versucht man vielleicht so etwas wie eine Normalisierung dieser Krise der Menschheit herbei zu führen? Wobei die vom Westen geäußerten „Sorgen“ die Gemüter beruhigen sollen und den Nachdruck auf die Hilfeleistungen liegt. „Bloß nicht eskalieren, die militärischen Über- und Angriffe fein nuancieren, und voranstellen daß Israel für sein Vorgehen gegen die Terroristen genügend Unterstützung aus aller Welt bekommt, und seine Regierung ja alles mögliche tut keinen einzigen Zivilisten zu schaden“, derartiges muß die Anleitung für „gerechte Informationen“ wohl beinhalten. Und, denke daran, pausenlos muß gemeldet werden: Der und Der, und Die und Die fordert humanitäre Pausen! Da wird herumgereist und telefoniert, um den Eindruck zu wecken: die zivilisierte Welt bemüht sich hier außerordentlichst. Hinter dieser Bühne wird die tatsächliche Politik betrieben, eine die diese Menschen gemachte Katastrophe fortdauern läßt und daran grandios verdient, – siehe die enorme Zunahme der Waffenlieferungen durch Deutschland, USA, aber z.B. auch die Niederlande, an Israel.
Leider wahr. In Belgien bekommt man schon mehr von der grausamen Realität mit, in Frankreich auch. Ich empfehle den britischen Guardian, dort gibt es die besten Updates, auch über die Uno wird fair berichtet.
Der Westen IST unglaubwürdig. Und will man einen Gradmesser dafür sehen, dann schaue man sich die demütigende Tour des US-Außenministers durch die Krisenregion an. So viel offene Ablehnung und demonstrative Missachtung aus so vielen unterschiedlichen Staaten dürfte keinem US-Außenminister seit fünfzig Jahren in der Nahostregion zuteil geworden sein. Er hat in einigen Staaten sogar seinen Besuch nicht angekündigt, vermutlich um keine Protestkundgebungen am Flughafen zu provozieren.
Dass vdL und Baerbock Herrn Blinken noch die Vasallentreue halten, kann nur mit ihren höchstpersönlichen Ambitionen erklärt werden. Ansonsten wäre bei diesem Maß an Ablehnung eher Abstand anzuraten.
Ob wir damit rechnen können, dass sich die G7 auch mal neu orientieren aufgrund zunehmender Erfolgslosigkeit auf dem internationalen Parkett? Imerhin sind in 2024 Europawahlen und Präsidentschaftswahlen in den USA. Dann könnte vdL weg und Trump da sein. Baerbock hätte dann ein noch massiveres Problem als schon jetzt bei der Erklärung ihrer Standpunkte. Denn sie wären dann nicht mehr einfach von den US-Vorgaben ableitbar, schon weil sie Trump nicht ehren will. Womöglich könnte die Einigkeit unter den G7 schneller kollabieren, als vielen lieb und recht ist.
„Ob wir damit rechnen können, dass sich die G7 auch mal neu orientieren aufgrund zunehmender Erfolgslosigkeit auf dem internationalen Parkett? “ Vielleicht erleben wir auch gerade den Anfang vom Ende der G7. Jedenfalls der G7, die noch eine geopolitische Bedeutung entfalten kann. Künftige G7-Treffen sind dann vielleicht eher sowas wie Klassentreffen, wo man der alten Zeiten gedenkt.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
09.11.2023
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Foodwatch lobt die Migros – wegen pestizidfreien Getreides
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Pressenza - ist eine internationale Presseagentur, die sich auf Nachrichten zu den Themen Frieden und Gewaltfreiheit spezialisiert hat, mit Vertretungen in Athen, Barcelona, Berlin, Bordeaux, Brüssel, Budapest, Buenos Aires, Florenz, Lima, London, Madrid, Mailand, Manila, Mar del Plata, Montreal, München, New York, Paris, Porto, Quito, Rom, Santiago, Sao Paulo, Turin, Valencia und Wien.
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09.11.2023
Wahrheit gegen Wahrheit 101 neue Thesen
uri-avnery.de, Artikel heruntergeladen am 9. November 2023, 08:00 Uhr
Wahrheit gegen Wahrheit(Ein Gush Shalom-Dokument von Uri Avnery)
Die Tyrannei der Mythen
1. Die gewalttätige Konfrontation, die im Oktober 2000 ausbrach und die „Al-Aqsa-Intifada genannt wurde, ist nur ein weiteres Stadium des historischen Konfliktes, der mit der Gründung der zionistischen Bewegung Ende des 19. Jahrhunderts begann. 2. Eine fünfte Generation von Israelis und Palästinensern sind schon in diesen Konflikt hineingeboren worden. Die gesamte psychische und physische Welt dieser Generation wird von diesem Konflikt bestimmt, der alle Bereiche ihres Lebens beherrscht. 3. Im Laufe dieses langen Konfliktes hat sich wie in jedem Krieg eine ungeheure Menge von Mythen, Geschichtsfälschungen, Propagandaslogans und Vorurteile auf beiden Seiten entwickelt. 4. Das Verhalten von jeder der beiden Konfliktseiten wird durch ihr historisches Narrativ, die Art und Weise, wie sie die 120 jährige Geschichte des Konfliktes wahrnehmen, bestimmt. Die zionistische historische Version und die palästinensische Version widersprechen einander völlig – sowohl allgemein, als auch in fast jeder Einzelheit. 5. Seit Beginn des Konfliktes bis zum heutigen Tag hat die zionistische/ israelische Führung in totaler Nichtbeachtung des palästinensischen Narrativ gehandelt. Selbst dann, wenn sie eine Lösung erreichen wollte, waren solche Bemühungen zum Misslingen verurteilt, weil die nationalen Aspirationen, Traumas, Ängste und Hoffnungen des palästinensischen Volkes ignoriert wurden. Etwas Ähnliches geschah auch auf der anderen Seite, auch wenn es keine Symmetrie zwischen beiden Seiten gibt. 6. Die Schlichtung eines solch langen historischen Konfliktes ist nur dann möglich, wenn jede Seite in der Lage ist, die psychisch-politische Welt der anderen Seite zu verstehen und bereit ist, mit der anderen Seite auf gleicher Augenhöhe – ebenbürtig - zu sprechen. Geringschätzige, macht-orientierte, anmaßende, unsensible und ignorante Haltung verhindern eine übereinstimmende Lösung. 7. „Linke“ israelische Regierungen, die zuweilen große Hoffnungen weckten, litten an solch einer Haltung genau so wie „rechte“ und verursachten so eine breite Kluft zwischen ihrem anfänglichen Versprechen und seiner verheerenden Erfüllung. ( Z.B. Ehud Baraks Amtsperiode). 8. Ein großer Teil der alten Friedensbewegung (auch als „ die zionistische Linke“ oder das „vernünftige Lager“ bekannt), so wie Peace Now, ist auch von solcher Haltung betroffen. Darum stürzt sie in Krisenzeiten in sich zusammen. 9. Deshalb wäre es die erste Aufgabe einer neuen Friedensbewegung, sich selbst von falschen und einseitigen Ansichten zu befreien. 10. Das heißt nicht, dass das israelische Narrativ automatisch beiseite geschoben und das palästinensische Narrativ fraglos akzeptiert werden sollte oder umgekehrt. Stattdessen fordert es eine Bereitschaft, die Position der anderen Seite dieses historischen Konfliktes zu hören und zu verstehen, um die beiden nationalen Erfahrungen zu überbrücken und sie in einem gemeinsamen Narrativ zu vereinigen. 11. Jeder andere Weg wird zu einer Verewigung des Konfliktes führen mit Perioden scheinbarer Ruhe und Versöhnung, die häufig von gewalttätigen Feindseligkeiten zwischen den beiden Völkern und zwischen Israel und der arabischen Welt unterbrochen werden. Angesichts des Tempos der Entwicklung von Massenvernichtungswaffen können weitere Runden der Feindseligkeit zur Vernichtung beider Seiten des Konfliktes führen.
Die Wurzel des Konfliktes
12. Der Kern des Konfliktes ist die Konfrontation zwischen der israelisch-jüdischen und der palästinensisch-arabischen Nation. Es ist ein nationaler Konflikt, auch wenn er religiöse, soziale und andere Aspekte hat. 13. Die zionistische Bewegung war im Wesentlichen eine jüdische Reaktion auf das Auftauchen nationaler Bewegungen in Europa, von denen alle mehr oder weniger antisemitisch waren. Nachdem Juden von den europäischen Nationen zurückgewiesen wurden, haben einige von ihnen sich entschieden, dem neuen europäischen Modell folgend, eine Nation für sich zu bilden und einen eigenen nationalen Staat, in dem sie Herr ihres eigenen Schicksals sein können, zu gründen. 14. Traditionelle und religiöse Motive zogen die zionistische Bewegung nach Palästina (Eretz Israel auf Hebräisch) und es wurde entschieden, einen jüdischen Staat in diesem Land zu errichten. Die Maxime lautete: „Ein Land ohne Volk - für ein Volk ohne Land.“ Diese Maxime wurde nicht nur aus Ignoranz ausgedacht, sondern spiegelte auch die allgemeine Arroganz gegenüber den nicht europäischen Völkern wieder, die damals in Europa vorherrschte. 15. Palästina war kein leeres Land – nicht Ende des 19. Jahrhunderts und zu keiner anderen Zeit. Zu jener Zeit lebte eine halbe Million in Palästina, 90% waren Araber. Die Bevölkerung widersetzte sich natürlich dem Einfall ausländischer Siedler in ihrem Land. 16. Die arabische Nationalbewegung tauchte fast gleichzeitig mit der zionistischen Bewegung auf, anfangs um gegen das Osmanisch-türkische Reich zu kämpfen und später gegen die kolonialen Regime, die nach dem 1. Weltkrieg auf seinen Trümmern errichtet wurden. Eine eigene arabisch-palästinensische Nationalbewegung entwickelte sich im Land, nachdem die Briten einen Staat Palästina geschaffen hatten, und später während des Kampfes gegen die zionistische Infiltration. 17. Nach dem Ende des 1. Weltkrieges ging der Kampf zwischen den beiden National-Bewegungen, der jüdisch-zionistischen und der palästinensisch-arabischen, weiter. Beide hofften, ihre Ziele innerhalb desselben Territoriums zu erreichen, obwohl sie unvereinbar waren. Diese Situation ist bis heute unverändert geblieben. 18. Als die Verfolgung der Juden in Europa zunahm und als die Länder der Welt ihre Tore für die aus dem Inferno fliehenden Juden schlossen, gewann die zionistische Bewegung an Stärke. Der Antisemitismus der Nazis machte die zionistische Utopie zu einem realisierbaren modernen Unternehmen, indem er eine Massenimmigration ausgebildeter Arbeitskräfte, Intellektueller, Technologie und Kapital nach Palästina brachte. Der Holocaust, dem sechs Millionen Juden zum Opfer fielen, gab der zionistischen Forderung, die zur Errichtung des Staates Israel führte, ungeheure moralische und politische Kraft. 19. Die palästinensische Nation, die Zeuge vom Wachsen der jüdischen Bevölkerung in ihrem Land wurde, konnte nicht begreifen, warum man von ihr erwartet, dass sie den Preis für die von Europäern gegen Juden begangenen Verbrechen bezahlen sollte. Sie wehrte sich mit Gewalt gegen weitere jüdische Einwanderung und die Erwerbung von Land durch Juden. 20. Der Kampf zwischen den beiden Nationen im Land war auch ein „Krieg der Traumas“. Die israelisch-hebräische Nation trug mit sich das alte Trauma der Verfolgung der Juden in Europa – Massaker, Massenvertreibung, die Inquisition, Pogrome und den Holocaust. Sie lebte mit dem Bewusstsein, das ewige Opfer zu sein. Der Zusammenstoß mit der arabisch-palästinensischen Nation erschien ihnen nur wie eine Fortsetzung der antisemitischen Verfolgung. 21. Die arabisch-palästinensische Nation trug die Erinnerungen einer lang andauernden kolonialen Unterdrückung mit sich: Beleidigungen und Demütigungen, besonders auf dem Hintergrund der historischen Erinnerung an die ruhmreichen Tage des Kalifats. Auch sie lebten mit dem Bewusstsein, Opfer zu sein, und die Nakba (Katastrophe) von 1948 erschien ihnen wie die Fortsetzung von Unterdrückung und Erniedrigung durch westliche Kolonisten. 22. Die völlige Blindheit jeder der beiden Nationen gegenüber der nationalen Existenz der anderen führte zu falschen und verdrehten Wahrnehmungen, die sich tief in ihr kollektives Bewusstsein eingrub. Diese Wahrnehmungen bestimmen ihre Haltung zu einander bis auf den heutigen Tag. 23. Die Araber glaubten, dass die Juden durch den westlichen Imperialismus in Palästina eingepflanzt worden sind, um die arabische Welt zu unterwerfen und ihre natürlichen Ressourcen zu kontrollieren. Diese Überzeugung war durch die Tatsache unterstützt, dass die zionistische Bewegung von Anfang an sich darum bemühte, mit wenigstens einer westlichen Macht ein Bündnis einzugehen, um den arabischen Widerstand zu überwältigen (Deutschland in den Tagen von Herzl, England im Zusammenhang mit dem Uganda-Plan, der Balfour-Erklärung und bis zum Ende des Mandates, die Sowjet-Union 1948, Frankreich von 1950 bis zum Krieg von 1967, von da an die USA). Das hatte eine praktische Kooperation und Interessengemeinschaft zwischen dem zionistischen Unternehmen und den imperialistischen und kolonialistischen Mächten zur Folge, die gegen die arabische Nationalbewegung gerichtet war. 24. Die Zionisten waren andrerseits davon überzeugt, dass der arabische Widerstand gegenüber dem zionistischen Unternehmen – das die Juden aus den Flammen Europas retten wollte – einfach die Konsequenz der mörderischen Natur der Araber und des Islam wäre. In ihren Augen waren die arabischen Kämpfer „ eine Bande“ und die jeweiligen Aufstände waren „Krawalle“. 25. Tatsächlich war es der extremste zionistische Führer Wladimir (Zeev) Jabotinsky, der fast allein in den 1920er Jahren erkannte, dass der arabische Widerstand gegen die zionistische Besiedlung unvermeidlich und natürlich war - nach seinem Gesichtspunkt sogar gerecht - eine Reaktion des „einheimischen“ Volkes, das sein Land gegen fremde Eindringlinge verteidigt. Jabotinsky erkannte auch, dass die Araber im Land eine nationale Entität für sich waren und verspottete die Versuche, die Führer anderer arabischer Länder zu bestechen, um dem palästinensisch arabischen Widerstand ein Ende zu setzen. Jabotinskys Lösung war jedoch, einen „eisernen Wall“ gegen die Araber zu errichten und ihren Widerstand mit Gewalt zu brechen. 26. Diese vollkommen widersprüchlichen Auffassungen der Fakten durchdringen jeden einzelnen Aspekt des Konfliktes. Z.B. interpretierten die Juden ihren Kampf um „jüdische Arbeit“ als eine fortschrittliche soziale Leistung, um ein Volk von Intellektuellen, Kaufleuten, Zwischenhändlern und Spekulanten in ein Volk von Arbeitern und Landwirten zu verwandeln. Die Araber sahen dies andrerseits als eine rassistische Bemühung der Zionisten an, die sie enteigneten und vom Arbeitsmarkt verdrängten, um auf ihrem Land eine araberfreie, separate jüdische Wirtschaft zu schaffen. 27. Die Zionisten waren stolz auf ihre „Erlösung des Landes“ . Sie kauften es zum vollen Preis mit Geld, das von Juden aus aller Welt gesammelt wurde. „Olim“ (neue Einwanderer, eigentlich Pilger), von denen viele in ihrem früheren Leben Intellektuelle und Kaufleute waren, verdienten nun ihren Lebensunterhalt durch schwere körperliche Arbeit. Sie glaubten, dies alles mit friedlichen Mitteln erreicht und ohne einen einzigen Araber enteignet zu haben. Für die Araber aber war dies ein grausames Narrativ der Enteignung und Vertreibung. Die Juden erwarben das Land von arabischen, abwesenden Landbesitzern, die in den Städten Palästinas oder im Ausland lebten, und vertrieben mit Gewalt die Bauern, die seit Generationen dieses Land bearbeiteten. Zu diesem Zweck engagierten die Zionisten die türkische und später die britische Polizei. Die arabische Bevölkerung sah mit Verzweiflung, wie ihnen das Land weggenommen wurde. 28. Gegen die zionistische Behauptung „erfolgreich die Wüste zum Blühen gebracht“ zu haben, zitierten die Araber aus Zeugnissen europäischer Reisenden, die seit mehreren Jahrhunderten Palästina als ein verhältnismäßig bevölkertes und blühendes Land beschrieben, das seinen regionalen Nachbarländern gleich kam.
Unabhängigkeit und Katastrophe
29. Der Kontrast zwischen den beiden nationalen Darstellungen erreichte seinen Höhepunkt im Krieg 1948, der von den Juden „Unabhängigkeitskrieg“ oder sogar „Befreiungskrieg“ genannt wurde und von den Arabern „ die Nakbe“, die Katastrophe. 30. Als der Konflikt in der Region sich verstärkte, entschieden die Vereinten Nationen auch auf Grund der gewaltigen Auswirkung des Holocaust, das Land in zwei Staaten zu teilen, in einen jüdischen und einen arabischen. Jerusalem und seine Umgebung sollte einen Sonderstatus unter internationaler Jurisdiktion erhalten. Den Juden waren 55% des Landes einschließlich des wenig bevölkerten Negev zugewiesen worden. 31. Der größte Teil der zionistischen Bewegung akzeptierte den Teilungsplan, auch davon überzeugt, dass es entscheidend war, für die jüdische Souveränität ein festes Fundament zu errichten. In geheimen Treffen verbarg Ben Gurion jedoch nie seine Absicht, bei der ersten Gelegenheit, das den Juden zugewiesene Land zu erweitern. Deshalb hat Israels Unabhängigkeitserklärung keine Staatsgrenzen definiert und diese Grenzen bis heute nicht festgelegt. 32. Die arabische Welt akzeptierte den Teilungsplan nicht und betrachtete ihn als einen gemeinen Versuch der Vereinten Nationen, die damals im wesentlichen ein Klub westlicher und kommunistischer Staaten waren, ein Land zu teilen, das ihnen nicht gehörte. Mehr als die Hälfte des Landes der jüdischen Minderheit zu geben, die nur ein Drittel der Bevölkerung darstellte, machte es in ihren Augen unverzeihlich. 33. Der von den Arabern nach dem Teilungsplan initiierte Krieg war unvermeidlich ein „ethnischer Krieg“; ein Krieg, in dem jede Seite so viel Land wie möglich zu erobern trachtete und die Bevölkerung der anderen Seite zu vertreiben versuchte. Solch eine Kampagne ( die später unter „ethnische Säuberung“ bekannt wurde) schließt immer Vertreibungen und Gräueltaten in sich. 34. Der Krieg von 1948 war die direkte Fortsetzung des zionistisch-arabischen Konfliktes, und jede Seite versuchte, ihr historisches Ziel zu erreichen. Die Juden wollten einen homogenen nationalen Staat, der so groß wie möglich ist, errichten. Die Araber wollten die zionistische jüdische Entität, die in Palästina errichtet worden ist, vernichten. 35. Beide Seiten praktizierten ethnische Reinigung als einen integralen Teil ihres Kampfes. Fast keine Araber blieben in den von den Juden eroberten Gebieten und überhaupt keine Juden in den von Arabern eroberten Gebieten. Weil jedoch die von den Juden eroberten Teile sehr groß waren und die von den Arabern eroberten Teile nur sehr klein waren ( wie der Etzion Block und das jüdische Stadtviertel in der Altstadt von Jerusalem), war das Ergebnis einseitig. (Die Idee des „Bevölkerungsaustauschs“ und des „Transfers“ waren von zionistischen Organisationen schon in den Dreißigerjahren aufgekommen) Tatsächlich bedeutete dies die Vertreibung der arabischen Bevölkerung aus dem Land. Andrerseits dachten viele unter den Arabern, dass die Zionisten dorthin zurückgehen sollten, wo sie hergekommen waren). 36. Der Mythos der „wenigen gegen die vielen“ wurde von jüdischer Seite geschaffen, um den Stand der jüdischen Gemeinschaft von 650 000 gegen die ganze arabische Welt von über 100 Millionen zu beschreiben. Die jüdische Gemeinschaft verlor 1% seiner Bevölkerung in diesem Krieg. Die arabische Seite sah ein völlig anderes Bild: eine zersplitterte arabische Bevölkerung, ohne nennenswerte nationale Führung ohne ein gemeinsames Kommando über sehr dürftige militärische Kräfte, spärlich mit meist veralteten Waffen ausgerüstet, stand einer außerordentlich gut organisierten jüdischen Gemeinschaft gegenüber, die sehr gut im Gebrauch von den Waffen ausgebildet war, die aus aller Welt ( besonders aus dem Sowjet-Block) kamen. Die benachbarten arabischen Länder verrieten die Palästinenser, und als sie schließlich ihre Armeen nach Palästina sandten, konkurrierten sie hauptsächlich unter einander, ohne Koordination und ohne gemeinsamen Plan. Vom sozialen und militärischen Standpunkt aus war die Kampffähigkeit auf israelischer Seite der arabischen Seite, die sich kaum von der kolonialen Ära erholt hatte, weit überlegen. 37. Nach dem UN- Plan sollte der jüdische Staat 55 % von Palästina erhalten, in dem die Araber fast die Hälfte der Bevölkerung ausgemacht hätte. Während des Krieges erweiterte der jüdische Staat sein Gebiet und hatte schließlich 78 % der Fläche Palästinas, die fast von Arabern frei war. Die arabische Bevölkerung von Nazareth und einigen Dörfern in Galiläa blieb fast zufällig; die Dörfer im Dreieck wurden Israel als Teil eines Deals mit König Abdallah gegeben – deshalb konnten ihre arabischen Einwohner nicht einfach vertrieben werden. 38. Im Krieg wurden etwa 750 000 Palästinenser entwurzelt. Ein Teil befand sich in der Kampfzone und floh, wie es Zivilisten in jedem Krieg tun. Ein Teil wurde durch Terrorakte, wie das Deir-Yassin-Massaker vertrieben. Andere wurden systematisch im Laufe der ethnischen Säuberung vertrieben. 39. Nicht weniger bedeutsam als die Vertreibung selbst, ist die Tatsache, dass es den Flüchtlingen nicht erlaubt wurde, nach den Kämpfen zu ihren Häusern zurückzukehren, wie es nach einem konventionellen Krieg üblich ist. Ganz im Gegenteil, der neue Staat Israel sah die Beseitigung der Araber als großen Segen an und fuhr fort, etwa 450 arabische Dörfer dem Erdboden gleich zu machen. Neue jüdische Dörfer wurden auf den Ruinen erbaut und übernahmen eine hebräische Version des alten Namens. Die verlassenen Stadtteile der Städte wurden mit Massen neuer Einwanderer gefüllt. In den israelischen Schulbüchern kamen die früheren Bewohner nicht vor..
„Ein jüdischer Staat“
40. Die Unterzeichnung der Waffenstillstandsabkommen zu Beginn von 1949 setzte dem historischen Konflikt kein Ende. Im Gegenteil, sie versetzte ihn auf eine neue und intensivere Stufe. 41. Der neue Staat Israel widmete seine frühen Jahre der Konsolidierung seines Charakters als einem homogenen „jüdischen Staat“. Weite Flächen des Landes wurden von den „Abwesenden“ (Flüchtlingen, denen die Rückkehr untersagt war) enteignet, auch von den „anwesend Abwesenden“ ( Arabern, die in Israel blieben, die aber nicht die israelische Staatsangehörigkeit erhielten) und sogar von arabischen Bürgern Israels wurde das meiste Land genommen. Auf diesem Land wurde ein dichtes Netzwerk von jüdischen Gemeinschaften geschaffen. Jüdische Immigranten wurden eingeladen und dazu überredet, in Massen zu kommen. Dies ließ die Bevölkerung in nur wenigen Jahren um ein Vielfaches anwachsen. 42. Zur selben Zeit verfolgte der Staat eine energische Politik der Zerstörung der palästinensischen nationalen Entität. Mit israelischer Hilfe übernahm König Abdullah von Trans-Jordanien die Kontrolle über die Westbank, und seitdem gibt es in der Tat eine israelische Garantie für die Existenz des haschemitischen Königreichs von Jordanien. 43. Der Hauptgrund für die seit drei Generationen existierende Allianz zwischen Israel und der haschemitischen Dynastie ist, die Errichtung eines unabhängigen und lebensfähigen palästinensischen Staates zu verhindern, der von der israelischen Führung als ein potentielles Hindernis für die Verwirklichung des zionistischen Ziels betrachtet wurde und noch wird. 44. Eine historische Veränderung geschah Ende der Fünfzigerjahre auf palästinensischer Seite, als Yassir Arafat und seine Anhänger die palästinensische Befreiungsbewegung (Fatah) gründeten, nicht nur um den Kampf gegen Israel zu führen, sondern um die palästinensische Sache aus der Vormundschaft der arabischen Regierungen zu befreien. Es war kein Zufall, dass diese Bewegung nach dem Fehlschlag der großen pan-arabischen Welle auftauchte, deren bekanntester Vertreter Gamal Abd-el-Nasser war. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten viele Palästinenser gehofft, in eine vereinigte pan-arabische Nation aufgenommen zu werden. Als diese Hoffnung dahinschwand, setzte sich die eigene nationale palästinensische Identität wieder durch. 45. In den frühen 60ern gründete Gamal Abd-el-Nasser die Palästinensische Befreiungs-organisation (PLO) hauptsächlich deshalb, um unabhängige palästinensische Aktionen, die ihn unerwünscht in einen Krieg mit Israel reißen könnten, zu vereiteln. Die Organisation war dafür gedacht, dass Ägypten die Kontrolle über die Palästinenser hat. Doch nach dem arabischen Zusammenbruch im Juni 1967 übernahm die Fatah unter Yassir Arafat die Kontrolle über die PLO, die seitdem die repräsentative nationale Adresse des palästinensischen Volkes ist.
Der Sechs-Tage-Krieg
46. Wie alles andere, das sich in den vergangenen 120 Jahren ereignete, wird der Juni –Krieg von 1967 auf sehr verschiedene Weise von beiden Seiten gesehen. Nach dem israelischen Mythos war er ein verzweifelter Verteidigungskrieg, der wunderbarerweise eine Menge Land in israelischer Hand zurückließ. Nach dem palästinensischen Mythos zog Israel die Führer Ägyptens, Syriens und Jordanien in einen Krieg, an dem Israel interessiert war und der von Anfang an dahin zielte, sich das zu nehmen, was von Palästina übrig geblieben war. 47. Viele Israeli glauben, dass der Sechs-Tage-Krieg die Wurzel alles Übels ist und dass erst dann aus dem friedliebenden und fortschrittlichen Israel ein Eroberer und Besatzer wurde. Diese Überzeugung erlaubt ihnen, die absolute Reinheit des Zionismus und des Staates Israel bis zu diesem Zeitpunkt der Geschichte aufrecht zu erhalten und ihre alten Mythen zu bewahren. In dieser Legende steckt keine Wahrheit. 48. Auch der Krieg von 1967 war nur eine Phase des alten Kampfes zwischen den beiden Nationalbewegungen. Im Wesentlichen änderte sich nichts; es änderten sich nur die Umstände. Das wichtigste Ziel der zionistischen Bewegung – ein jüdischer Staat, Ausdehnung und Besiedlung – wurde durch die Eroberung von noch mehr Land gefördert. Die besonderen Umstände dieses Krieges machten eine komplette ethnische Säuberung unmöglich, aber mehrere hunderttausend Palästinenser waren trotzdem vertrieben worden. 49. Der Teilungsplan von 1947 gestand Israel 55% von Palästina zu, zusätzliche 23 % wurden im Krieg von 1948 erobert, und nun waren auch die restlichen 22% jenseits der Grünen Linie (Waffenstillstandslinie von 1949) dazu erobert worden. 1967 vereinigte Israel unabsichtlich alle Teile des palästinensischen Volkes, die im Land geblieben waren ( einschließlich einem Teil der Flüchtlinge) 50. Sobald der Krieg beendet war, begann die Siedlungsbewegung in den besetzten Gebieten. Fast alle israelischen politischen Faktionen beteiligten sich an dieser Bewegung – von der messianisch-nationalistischen „Gush Emunin“ bis zur „linken“ Vereinigten Kibbuzbewegung. Die ersten Siedler wurden von den meisten Politikern, linken wie rechten, unterstützt, von Yigal Alon (jüdische Siedlung in Hebron) bis Shimon Peres (Kedumim Siedlung). 51. Die Tatsache, dass alle Regierungen Israels die Siedlungen unterstützten, wenn auch in verschiedenem Ausmaß, beweist, dass der Wunsch neue Siedlungen zu bauen, nicht speziell an ein ideologisches Lager geknüpft war. Es betraf die ganze zionistische Bewegung. Der Eindruck, dass nur eine kleine Minderheit den Siedlungsbau vorangetrieben hat, ist eine Illusion. Nur eine intensive Bemühung aller Teile der Regierung, einschließlich aller Ministerien konnten ab 1967 die gesetzgebende, strategische und finanzielle Infrastruktur für solch ein lang andauerndes und teures Unternehmen schaffen. 52. Die gesetzgebende Infrastruktur operierte auf der irreführenden Behauptung, dass die Besatzungsbehörde der Besitzer des „Regierungslandes“ sei, obwohl dies die wesentlichen Landreserven des palästinensischen Volkes sind. Es versteht sich von selbst, dass die Siedlungsaktivitäten im Widerspruch zum internationalen Gesetz stehen. 53. Der Streit zwischen den Vertretern von „Groß-Israel“ und denen eines „territorialen Kompromisses“ ist im Wesentlichen ein Streit über den Weg, das gleiche grundlegende zionistische Ziel zu erreichen: einen homogenen jüdischen Staat in einem größtmöglichen Territorium – aber ohne eine „tickende demographische Bombe“. Die Vertreter des „Kompromisses“ betonen das demographische Problem und wollen den Einschluss der palästinensischen Bevölkerung verhindern. Die Anhänger von „Groß-Israel“ setzen die Betonung auf den geographischen Punkt und glauben – privat oder öffentlich – dass es möglich sei, die nicht-jüdische Bevölkerung aus diesem Land zu vertreiben (Code-Name: „Transfer“) 54. Der Generalstab der israelischen Armee spielte beim Planen und Bauen der Siedlungen eine wichtige Rolle. Er schuf die Planung für die Siedlungsblocks (identifiziert mit Ariel Sharon) und die Umgehungsstraßen mit Längs- und Querachsen, die die Westbank und den Gazastreifen in Stücke teilen und die Palästinenser in isolierte Enklaven sperren, die alle von Siedlungen und Besatzungssoldaten umzingelt sind. 55. Die Palästinenser wandten verschiedene Methoden des Widerstandes an: hauptsächlich Angriffe über die jordanische und libanesische Grenzen und Angriffe innerhalb Israels oder überall in der Welt. Diese Aktionen werden von Israelis als Terror betrachtet, während die Palästinenser sie als legitimen Widerstand eines besetzten Volkes sehen. Während die Israelis die PLO-Führung, von Yassir Arafat geleitet, als ein Terroristenhauptquartier betrachten, wurde sie nach und nach international als die „einzige legitime Vertretung“ des palästinensischen Volkes anerkannt. 56. Ende 1987, als den Palästinensern klar war, dass diese Aktionen nicht halfen, den Siedlungsbau zu beenden, der ihnen nach und nach das Land unter den Füßen wegzog, begannen sie mit der Intifada – ein spontaner Aufstand von unten aus allen Teilen der Bevölkerung . In dieser „ersten“ Intifada wurden 1500 Palästinenser getötet, unter ihnen Hunderte von Kindern; ein vielfaches der Anzahl der israelischen Opfer, aber es brachte das „palästinensische Problem“ zurück auf die israelische und internationale Agenda.
Der Friedensprozess
57. Der Oktoberkrieg 1973, der mit überraschenden Anfangserfolgen der ägyptischen und syrischen Kräfte begann und mit ihrer Niederlage endete, überzeugte Yassir Arafat und seine nächsten Mitarbeiter davon, dass die Verwirklichung von national palästinensischen Bestrebungen mit militärischen Mitteln unmöglich war. Er entschied sich, eine politische Option zu schaffen, die zu einem Abkommen mit Israel führen und es den Palästinensern durch Verhandlungen mit Israel ermöglichen würde, einen unabhängigen Staat wenigstens auf einem Teil des Landes zu errichten. 58. Um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, initiierte Arafat den Kontakt mit israelischen Persönlichkeiten, die die öffentliche Meinung und die Regierungspolitik beeinflussen könnten. Seine Emissäre (Said Hamami und Issam Sartawi) trafen sich mit israelischen Friedenspionieren, die Ende 1975 den „Israelischen Rat für israelisch-palästinensischen Frieden“ gründeten. 59. Diese Kontakte, die nach und nach immer umfassender wurden, als auch die wachsende israelische Erschöpfung durch die Intifada, die offizielle jordanische Trennung von der Westbank, die veränderte internationale Situation (Kollaps des kommunistischen Blocks, der Golfkrieg) führte zur Madrider Konferenz und später zum Oslo-Abkommen.
Das Oslo-Abkommen (1993)
60. Das Oslo-Abkommen hatte positive wie negative Züge. 61. Auf positiver Seite brachte das Abkommen Israel zu seiner ersten offiziellen Anerkennung des palästinensischen Volkes und seiner nationalen Führung und brachte die palästinensische Nationalbewegung dazu, die Existenz Israels anzuerkennen. In dieser Hinsicht war das Abkommen – und dem vorausgehenden Austausch der Briefe - von überragender historischer Bedeutung. 62. Tatsächlich gab das Abkommen der palästinensischen Nationalbewegung eine territoriale Basis auf palästinensischem Boden, die Struktur eines „werdenden Staates“ und bewaffneter Kräfte – Fakten, die eine bedeutende Rolle beim andauernden palästinensischen Kampf spielten. Für die Israelis öffnete das Abkommen die Tore zur arabischen Welt und setzte den palästinensischen Angriffen ein Ende – zumindest so lange, wie das Abkommen effektiv war. 63. Der größte, wirkliche Fehler des Abkommens war, dass das Endziel nicht klar definiert wurde. Das erlaubte beiden Seiten, völlig verschiedene Ziele anzupeilen. Die Palästinenser sahen das Interim-Abkommen als eine Schnellstraße, die zur Beendigung der Besatzung und zur Errichtung eines palästinensischen Staates in allen besetzten Gebieten führt. ( Zusammen sind das 22% des Gebietes des früheren Palästina zwischen Mittelmeer und dem Jordan). Auf der anderen Seite sahen die auf einander folgenden israelischen Regierungen das Abkommen als einen Weg, die Besatzung über große Teile der Westbank und des Gazastreifens aufrecht zu erhalten - mit der palästinensischen „Selbstregierung“, die die Rolle einer Sicherheitsagentur mit Hilfstruppen spielen würde, um Israel und die Siedlungen zu schützen. 64. Da das Ziel nicht festgelegt wurde, markiert das Oslo-Abkommen nicht den Beginn des Prozesses, um den Konflikt zu beenden, sondern vielmehr eine neue Phase des Konfliktes. 65. Weil die Erwartungen beider Seiten so sehr von einander abwichen und jede Seite völlig an ihr eigenes nationales „Narrativ“ gebunden blieb, wurde jeder Teil des Abkommens anders ausgelegt. Schließlich wurden viele Teile des Abkommens nicht erfüllt, hauptsächlich durch Israel (z.B. der 3. Rückzug; die vier sicheren Passagen zwischen der Westbank und dem Gazastreifen) 66. Während der Periode des „Oslo-Prozesses“ setzte Israel seine intensive Expansion der Siedlungen fort, vor allem durch das Bauen neuer Siedlungen unter verschiedenen Vorwänden, Erweiterung bestehender, Ausbau eines sorgfältig ausgearbeiteten Netzwerkes von „Umgehungsstraßen“, Enteignung von Land, Zerstörung von Häusern, Entwurzelung von Plantagen usw. Die Palästinenser ihrerseits nützten die Zeit, um ihre bewaffneten Kräfte auszubauen - innerhalb des Rahmens des Abkommens als auch außerhalb desselben. Tatsächlich setzte sich die historische Konfrontation unvermindert fort – unter dem Deckmantel der Verhandlungen und des „Friedensprozesses“, der ein Ersatz für den Frieden selbst wurde. 67. Im Gegensatz zu seinem Image, das nach seiner Ermordung umfassend gepflegt wurde, fuhr Yitzak Rabin fort, die Erweiterung des Bodensbesitzes zu fördern, während er gleichzeitig bemüht war, den politischen Prozess für die Vollendung eines Friedens nach israelischen Vorstellungen fortzuführen. Als Anhänger des zionistischen Narrativs und seiner Mythologie litt er an kognitiver Dissonanz, wenn sein ernsthafter Wunsch nach Frieden mit der Welt seiner Vorstellung zusammenstieß. Das wurde deutlich, als er nach dem Goldstein- Massaker die Auflösung der Siedlung in Hebron unterließ. Es scheint, dass er erst zum Ende seines Lebens einige Teile des palästinensischen Narrativs zu verinnerlichen begann. 68. Der Fall Shimon Peres ist noch unheilvoller. Er schuf für sich selbst das internationale Image des Friedensstifters und glich sogar seine Redeweise diesem Image an, indem er vom „Neuen Nahen Osten“ sprach, während er ein im wesentlichen traditionell zionistischer Falke blieb. Dies wurde nach Rabins Ermordung (1995) in seiner kurzen, blutigen Amtszeit als Ministerpräsident besonders deutlich und dann noch einmal, als er sich 2001 der Sharonregierung anschloss und die Rolle des Sprechers und Verteidigers Sharons übernahm. 69. Am deutlichsten wurde das israelische Dilemma durch Ehud Barak, der zur Macht kam, weil er von seiner Fähigkeit, den Gordischen Knoten des historischen Konfliktes nach Art Alexanders des Großen lösen zu können, überzeugt war – und zwar mit einem dramatischen Schlag. Aber Barak ging an das Problem in völliger Ignoranz des palästinensischen Narrativs heran, dem er keinerlei Beachtung schenkte. Er brachte seine Vorschläge vor, ohne Rücksicht auf die palästinensische Seite und stellte sie als Ultimatum hin. Er war geschockt und wütend, als die Palästinenser sie zurückwiesen. 70. In seinen eigenen Augen und in den Augen der ganzen israelischen Öffentlichkeit hatte Barak „jeden Stein umgedreht“ und hatte den Palästinensern „so großzügige Angebote gemacht, wie sie noch kein früherer Ministerpräsident gemacht hatte“. Im Austausch verlangte er, dass die Palästinenser eine Erklärung unterschreiben, dass diese Angebote „das Ende des Konfliktes“ darstellen. Die Palästinenser fanden dies absurd, da Barak von ihnen verlangte, die grundsätzlichen nationalen Vorstellungen, wie das Recht auf Rückkehr und die Souveränität über Ost-Jerusalem, einschließlich des Tempelberges, aufzugeben. Außerdem betrug das, was Barak als geringfügige Prozente von annektiertem Land erklärte ( wie die Siedlungsblöcke), nach palästinensischen Berechnungen eine tatsächliche Annexion von 20% der Westbank an Israel. 71. Nach palästinensischer Ansicht haben sie schon ihre entscheidende Konzession gemacht, indem sie darin übereinstimmten, ihren Staat jenseits der Grünen Linie zu machen, in nur 22% ihrer historischen Heimat. Deshalb würden sie im Zusammenhang mit einem Landaustausch nur kleinere Grenzveränderungen akzeptieren. Die übliche israelische Position ist die, dass die während des Krieges 1948 erworbenen Gebiete außer Diskussion stehen und dass der geforderte Kompromiss nur die verbliebenen 22% betrifft. 72. Somit hat das Wort „Konzession“ – wie die meisten Begriffe und Vorstellungen – für beide Seiten verschiedene Bedeutungen. Die Palästinenser glauben, dass sie schon auf 78% ihres Landes verzichtet haben, als sie mit nur 22% desselben dem Abkommen von Oslo zugestimmt hatten. Die Israelis glauben, dass sie Konzessionen machen, wenn sie einwilligen, den Palästinensern Teile dieser 22% Prozent „abzutreten“. 73. Die Dinge spitzten sich im Sommer 2000 beim Camp David Gipfel zu, der Arafat gegen seinen Willen und ohne Vorbereitungszeit aufgedrängt wurde. Baraks Forderungen, die auf dem Gipfel als Clintons Forderungen präsentiert wurden, bestanden darin, dass die Palästinenser dem Ende des Konfliktes zustimmen, indem sie auf das Rückkehrrecht und jede Rückkehr von Flüchtlingen nach Israel verzichten; komplizierte Arrangements für Ost-Jerusalem und den Tempelberg akzeptieren ohne die Herrschaft über sie zu haben; der Annexion großer Siedlungsblöcke auf der Westbank und dem Gazastreifen zustimmen; israelische militärische Präsenz in weiten Teilen ( wie dem Jordantal) zustimmen; der israelischen Kontrolle über die Grenzen zwischen dem palästinensischen Staat und dem Rest der Welt zustimmen. Es war einfach unmöglich, dass ein palästinensischer Führer solch ein Abkommen unterzeichnen konnte – und so endete der Gipfel ohne Ergebnis. Bald danach waren auch die Karrieren von Clinton und Barak zu ende, während Arafat von den Palästinensern als Held empfangen wurde, der dem Druck Clintons und Baraks stand gehalten und nicht nachgegeben hat.
Die Al-Aqsa-Intifada
74. Der Zusammenbruch des Gipfels, das Verschwinden jeder Hoffnung auf ein Abkommen zwischen den beiden Seiten und die bedingungslose Pro-Israel-Haltung der USA führte unvermeidlich zu einer neuen Runde gewalttätiger Konfrontationen, die als die Al-Aqsa-Intifada bekannt wurde. Für die Palästinenser ist es ein gerechtfertigter nationaler Aufstand gegen eine demütigende, nicht enden wollende Besatzung, die es sich erlaubt, ihnen den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Für die Israelis ist es ein Ausbruch von mörderischem Terrorismus. Die Ausführenden dieser Gewaltakte sind für die Palästinenser nationale Helden – für die Israelis bösartige Verbrecher, die liquidiert werden müssen. 75. Die offiziellen Medien Israels ließen häufig den Ausdruck „Siedler“ fallen und auf Befehl von oben begannen sie damit, sie als „Bewohner“ zu erwähnen, so dass jeder Angriff auf sie so aussieht, als wäre es ein Verbrechen gegen Zivilisten. Die Palästinenser sehen die Siedler als die Speerspitze eines gefährlichen Feindes, der ihr Land enteignet, dem man widerstehen und den man angreifen muss. 76. Im Laufe der Al-Aqsa-Intifada stürzte ein großer Teil des „Friedenslager“ in sich zusammen und zeigte so die Oberflächlichkeit von vielen seiner Überzeugungen. Da es niemals eine echte Revision seines zionistischen Narrativs unternommen und niemals die Tatsache verinnerlicht hat, dass es auch ein palästinensisches Narrativ gibt, erschien das palästinensische Verhalten völlig unerklärlich, besonders nachdem Barak „jeden Stein umgedreht“ und „großzügigere Angebote gemacht hatte als jeder vorausgehende Ministerpräsident“. Die einzig verbliebene Erklärung war die, dass die Palästinenser das israelische Friedenslager getäuscht haben, dass sie niemals beabsichtigten, Frieden zu machen und dass ihr wahres Ziel sei, die Juden ins Meer zu werfen, wie die zionistische Rechte schon immer behauptet hat. Die Folgerung: „ Wir haben keinen Partner“. 77. Die Folge davon war, dass die trennende Linie zwischen der zionistischen „Rechten“ und „Linken“ fast verschwand. Die Führer der Arbeitspartei schlossen sich der Sharonregierung an und wurden ihre wirksamsten Verteidiger ( z.B. Shimon Peres), und selbst die formelle linke Opposition wurde unwirksam. Dies bewies noch einmal, dass das ursprüngliche zionistische Narrativ der entscheidende Faktor war, alle Teile des israelischen Systems zu vereinigen, indem während Krisenzeiten die Unterschiede zwischen ihnen ihre Bedeutung verlieren. 78. Die Al-Aqsa-Intifada (auch die 2.Intifada genannt) brachte die Intensität des Konfliktes auf eine neue Ebene. In den ersten drei Jahren wurden etwa 2600 Palästinenser und 800 Israelis getötet. Die israelischen Militäroperationen machten das Leben der Palästinenser zur Hölle, schnitten Städte und Dörfer von einander ab, zerstörten ihre Wirtschaft und brachten viele an der Rand einer Hungersnot. Außergerichtliche Hinrichtungen von palästinensischen Militanten („Gezielte Liquidationen“), bei denen oft auch zufällig in der Nähe stehende Zivilisten getötet wurden, wurden zur Routine. Überfälle auf palästinensische Städte und Dörfer, um Verdächtige zu töten oder zu verhaften, wurden tägliche Ereignisse. Yassir Arafat, der Führer des Palästinensischen Befreiungskampfes, der effektiv in seinem Ramallahsitz (der Mukata’ah) unter ständiger Bedrohung seines Lebens gefangen sitzt, ist zum größten Symbol des Widerstandes gegen die Besatzung geworden. 79. Im Gegensatz zu den Erwartungen der israelischen militärischen und politischen Führung, hat der extreme und wirtschaftliche Druck die palästinensische Führung nicht gebrochen. Selbst unter den extremsten Umständen bringen die Palästinenser es fertig, ein scheinbar normales Leben aufrecht zu erhalten und Mittel zu finden, zurückzuschlagen. Das wirksamste und entsetzlichste Mittel war das Selbstmordattentat, das die blutige Konfrontation ins Zentrum der israelischen Städte brachte. Die Intifada verursachte für Israel auch noch andere Schäden, indem sie den Tourismus lähmte, die ausländischen Investoren abhielt, die Wirtschaftsflaute verstärkte, die nationale Wirtschaft beschränkte und soziale Dienste zusammenbrechen ließ, durch die die soziale Kluft größer wird und so innere Spannungen in Israel wachsen. 80. Als Antwort auf die Anschläge, besonders auf die Selbstmordanschläge, die einen großen Einfluss auf die öffentliche Moral hat, verlangte die „zionistische Linke“ eine physische Barriere zwischen Israel und den palästinensischen Gebieten. Zunächst war die „zionistische Rechte“ gegen diesen „Trennungszaun“, da sie fürchtete, dies würde eine politische Grenze in der Nähe der Grünen Linie schaffen. Aber Ariel Sharon erkannte bald, dass er die Idee des Zaunes für seine Zwecke ausnützen könnte. Er begann, eine Barriere bauen zu lassen, die mit seinen Zielen übereinstimmte und die tief in die palästinensischen Gebiete hineinschneidet und so die großen Siedlungsblöcke an Israel anschließt und die Palästinenser unter wirksamer israelischer Kontrolle in isolierte Enklaven einsperrt. 81. Am Ende des dritten Jahres der Al-Aqsa-Intifada konnten in der israelischen Öffentlichkeit deutliche Zeichen von Kriegsmüdigkeit und auch Opposition gegen die wachsende Brutalität der Besatzung entdeckt werden. Sichtbare Zeichen sind die Verweigerungsbewegung unter den Jüngeren, die zum Militärdienst einberufen werden; die Revolte der 27 Luftwaffenpiloten; die Verweigerung der Elite- Generalstabskommandoeinheit, sich an „illegalen und unmoralischen“ Operationen zu beteiligen; das gemeinsame Statement, das vier frühere Chefs des Sicherheitsdienstes gegen die anhaltende Besatzung abgaben; die Veröffentlichung der Friedensgrundsätze von Sari Nusseibeh und Ami Ayalon; die Genfer Initiative von Yossi Beilin und Yasser Abdel-Rabbo; die Änderung von Positionen und dem Stil von Politikern und Kommentatoren, die in engem Kontakt mit den Stimmungen des Volkes sind usw. 82. Nach der amerikanischen Invasion im Irak zu Beginn des Jahres 2003 wurden die USA sensibler gegenüber den negativen Folgen des israelisch- palästinensischen Konfliktes. Infolge des innenpolitischen Druckes, der durch die mächtige jüdische und die fundamentalistisch christliche Lobby in den USA ausgeübt wird und die einen großen Einfluss auf George W. Bush’s Weißes Haus hat, ist die Fähigkeit der amerikanischen Regierung, für eine Friedenslösung zu arbeiten, begrenzt. Trotzdem gelang es einem „Quartett“, das aus den USA, der EU, Russland und der UN besteht, eine sog. „Road Map des Friedens“ anzubieten. 83. Die Road Map von 2003 ist mit denselben grundsätzlichen Fehlern behaftet wie die Osloer Prinzipienerklärung von 1993. Obgleich sie, anders als in Oslo, ein Ziel bestimmt hat ( „Zwei Staaten für zwei Völker“), bestimmte sie nicht, wo die Grenzen des zukünftigen palästinensischen Staates verlaufen sollen – so fehlte in der Road Map das wichtigste. Ariel Sharon war so in der Lage, die Road Map anzunehmen (mit 14 Vorbehalten, die sie ihres Hauptinhaltes beraubte ) da er bereit war, die Bezeichnung „Palästinensischer Staat“ auf die palästinensischen Enklaven, die er auf 10% des Landes setzen will, zu übertragen. 84. Die Oslo-Erfahrungen und natürlich die neuen Experimente mit der Road Map bestätigen überzeugend, dass ein Dokument, das auf Zwischenlösungen aufgebaut ist, wertlos ist, so lange nicht von Anfang an die Details des endgültigen Friedensabkommens klar schriftlich festlegt sind. Solange dies fehlt, gibt es keinerlei Möglichkeit, dass die Interimstadien umgesetzt werden. Wenn jede Seite für ein anderes Ziel kämpft, dann wird in jedem Interimstadium wieder eine Konfrontation aufflammen. 85. Wohl wissend, dass es keine Chance für die aktuelle Realisation der Road Map gibt, kündete Sharon Ende 2003 seinen Plan der „einseitigen Schritte“ an. Dies ist ein Code für die Annexion von etwa der Hälfte der Westbank an Israel und das Einsperren der Palästinenser in isolierte Enklaven, die nur durch Straßen, Tunnel und Brücken mit einander verbunden sind und die man jederzeit absperren kann. Der Plan ist so konstruiert, dass keine palästinensische Bevölkerung Israel hinzugefügt wird und für die palästinensischen Enklaven keine Landreserven bleiben. Da der Plan keine Verhandlungen mit den Palästinensern erfordert, aber behauptet, dass er den israelischen Bürgern „Frieden und Sicherheit“ bringt, kann er für das wachsende israelische Verlangen nach einer Lösung ausgenützt werden, ohne Israels Vorurteile und den Hass gegen die Palästinenser zu stören. 86. Der allgemeine Angriff der Sharon-Regierung und der Militärführung auf die Bevölkerung in den besetzten Gebieten (Erweiterung der Siedlungen, Errichtung neuer Siedlungen, die „Außenposten“ genannt werden; der Bau des „Trennungszaumes“ und die „Umgehungsstraßen“ nur für Siedler; die Überfälle der Armee auf die palästinensischen Städte und die „gezielten Tötungen“, die Zerstörung der Häuser, das Entwurzeln der Fruchtbaumplantagen) auf der einen Seite und die palästinensischen tödlichen Angriffe innerhalb Israels auf der anderen Seite, bringen die palästinensischen Einwohner Israels in eine unerträgliche Situation. 87. Die natürliche Neigung der arabischen Bürger Israels, ihren Brüdern auf der anderen Seite der Grünen Linie zu helfen, steht im Kontrast zu ihrem Wunsch, als gleichberechtigte Bürger Israels akzeptiert zu werden. Gleichzeitig wächst in der jüdischen Bevölkerung Israels die Angst und der Hass gegen alle „Araber“ und bedroht die Grundlage der Gleichheit und der Bürgerrechte. Dieser Prozess hatte seinen Höhepunkt in den Ereignissen vom Oktober 2000, unmittelbar nach dem Ausbruch der Al-Aqsa-Intifada, als die israelische Polizei auf arabische Bürger tödliche Schüsse abfeuerte. 88. Dieser Prozess brachte, zusammen mit dem Wiederauftauchen des „demographischen Problems“ in der israelischen Agenda, neue Zweifel über die Doktrin des „jüdisch demokratischen Staates“. Der innere Widerspruch zwischen diesen beiden Attributen, der seit der Gründung des Staates Israel weder theoretisch noch praktisch gelöst worden ist, ist deutlicher denn je. Die genaue Bedeutung des Terminus „jüdischer Staat“ ist niemals genau definiert worden, auch nicht der Status der arabisch-palästinensischen Minderheit in einem Staat, der sich offiziell als „jüdisch“ versteht. Die Forderung, Israel zu einem „Staat aller seiner Bürger“ zu machen und /oder der arabisch-palästinensischen Minderheit bestimmte nationale Rechte zu geben, wird immer öfter gehört und zwar nicht nur von arabischen Bürgern. 89. Als Folge all dieser Prozesse, wird der Konflikt immer weniger eine israelisch-palästinensische, sondern immer mehr eine jüdisch-arabische Konfrontation. Die gewaltige Unterstützung Israels und seiner Aktionen durch eine große Mehrheit der jüdischen Diaspora – und die Unterstützung der arabischen und muslimischen Massen gegenüber der palästinensischen Sache, im Gegensatz zur Haltung ihrer Führer, haben dieses Phänomen konsolidiert. Die Ermordung des Hamasführers Sheich Ahmed Yassin im März 2004 und Abd-al-Aziz al Rantisi drei Wochen später entfachten die Flammen um so mehr.
Das neue Friedenslager
90. Eine neue Friedensbewegung muss sich auf das Verständnis gründen , dass der Konflikt ein Zusammenstoß zwischen der zionistisch-israelischen Bewegung ist, deren „genetischer Code“ dahingehend ausgerichtet ist, das ganze Land zu besitzen und die nicht-jüdische Bevölkerung auszutreiben - und der palästinensischen Nationalbewegung, deren „genetischer Code“ dahingehend ausgerichtet ist, diesen Kurs aufzuhalten und einen palästinensischen Staat im ganzen Land aufzubauen. Dies kann als ein Zusammenstoß zwischen einer „unwiderstehlichen Kraft“ und einem „unbeweglichen Objekt“ gesehen werden. 91. Die Aufgabe der israelischen Friedensbewegung ist es, diesen historischen Zusammenprall zu stoppen, den zionistischen „genetischen Code“ zu überwinden und mit den palästinensischen Friedenskräften zusammen zu arbeiten, um zu einem Frieden durch historische Kompromisse zu gelangen, die zur Versöhnung zwischen den beiden Völkern führen. Die palästinensischen Friedenskräfte haben eine ähnliche Aufgabe. 92. Dafür sind diplomatische Formulierungen eines zukünftigen Friedensabkommens nicht ausreichend. Die israelische Friedensbewegung muss von einem neuen Geist inspiriert werden, der die Herzen des anderen Volkes anrührt, der Glauben an die Möglichkeit des Friedens schafft und die Herzen des Teils der israelischen Bevölkerung gewinnt, der von alten Mythen und Vorurteilen befangen ist. 93. Die kleinen und konsequenten israelischen Friedensbewegungen, die durchhielten und den Kampf fortsetzten, als das Friedenslager infolge des Camp David Debakels und dem Ausbruch der Al-Aqsa-Intifada in sich zusammenbrach, müssen eine entscheidende Rolle in diesem Prozess führen. 94. Diese Bewegungen können mit einem kleinen Rad mit eigenen Antrieb verglichen werden, das ein größeres Rad antreibt, das wiederum ein noch größeres Rad in Bewegung setzt und so weiter, bis die ganze Maschine in Aktion gerät. Alle früheren Errungenschaften der israelischen Friedenskräfte waren auf diese Weise erreicht worden wie z.B. die israelische Anerkennung der Existenz des palästinensischen Volkes, die weite öffentliche Akzeptanz der Idee eines palästinensischen Staates, die Bereitschaft, mit Verhandlungen mit der PLO zu beginnen, einen Kompromiss über Jerusalem einzugehen und so weiter 95. Das neue Friedenslager muss die öffentliche Meinung in Richtung einer neuen mutigen Revision des nationalen Narrativs führen und dieses von seinen falschen Mythen frei machen. Es muss ernsthaft darum ringen, die historischen Versionen beider Völker in ein einziges Narrativ zu bringen, frei von historischen Fälschungen und für beide Seiten annehmbar. 96. Während es dies tut, muss es der israelischen Öffentlichkeit zur Erkenntnis verhelfen, dass außer den großen und positiven Aspekten des zionistischen Unternehmens dem palästinensischen Volk eine schreckliche Ungerechtigkeit zugefügt wurde. Diese Ungerechtigkeit, die während der Nakbe am schlimmsten war, verpflichtet uns Verantwortung zu übernehmen und so viel wie möglich wieder gut zu machen. 97. Ein Friedensabkommen ist wertlos, solange nicht beide Seiten in der Lage sind, dieses im Geist und in der Praxis anzunehmen - so weit wie es die grundsätzlichen nationalen Bestrebungen befriedigt und nicht die nationale Würde und Ehre verletzt.. 98. In der augenblicklichen Situation gibt es keine andere Lösung außer der einen, die sich auf dem Prinzip von „Zwei Staaten für zwei Völker“ gründet, was friedliche Koexistenz in zwei unabhängigen Staaten, Israel und Palästina, bedeutet. 99. Die zuweilen ausgesprochene Idee, dass es möglich und wünschenswert sei, die Zwei-Staaten-Lösung durch eine Ein-Staat-Lösung im ganzen Land zwischen Mittelmeer und dem Jordan als einen bi-nationalen oder nicht-nationalen Staat zu ersetzen, ist unrealistisch. Der größte Teil der Israelis wird nicht damit einverstanden sein, den israelischen Staat aufzulösen – genau so wenig, wie der größte Teil des palästinensischen Volkes die Errichtung eines eigenen Nationalstaates nicht aufgeben wird. Diese Illusion ist auch gefährlich, da es den Kampf für eine Zwei-Staaten-Lösung untergräbt, die in absehbarer Zeit realisiert werden kann, zu Gunsten einer Idee, die in den nächsten Jahrzehnten keine Chance der Realisierung hat. Diese Illusion kann auch unter dem Vorwand für die Existenz der Siedlungen und für deren Ausdehnung missbraucht werden. Wenn ein gemeinsamer Staat errichtet wird, würde er ein Schlachtfeld werden, bei der die eine Seite durch Vertreibung der anderen darum kämpft, die Majorität zu behalten.
100. Das neue Friedenslager muss einen Friedensplan formulieren, der auf den folgenden Prinzipien beruht: a) Die Besatzung muss aufhören. Ein unabhängiger und lebensfähiger palästinensischer Staat wird neben Israel errichtet. b) Die Grüne Linie wird die Grenze zwischen dem Staat Israel und dem Staat Palästina sein. Begrenzter Landaustausch wird nur durch gegenseitiges Einvernehmen möglich sein, der durch freie Verhandlungen im Verhältnis von 1:1 erreicht wird. c) Alle israelischen Siedler werden aus dem Gebiet des Staates Palästina evakuiert, und die Siedlungen werden den Flüchtlingen zur Verfügung gestellt. d) Die Grenze der beiden Staaten wird nach Übereinkunft durch gemeinsame Abkommen für Waren und Menschen offen sein. e) Jerusalem wird die Hauptstadt beider Staaten sein. West-Jerusalem wird die Hauptstadt Israels und Ost-Jerusalem die Hauptstadt Palästinas sein. Der Staat Palästina wird die vollständige Souveränität über Ost-Jerusalem, einschließlich des Haram Al-Sharif (Tempelberg) haben. Der Staat Israel wird die volle Souveränität über West-Jerusalem haben, einschließlich der Klagemauer und dem jüdischen Viertel in der Altstadt. Die beiden Staaten werden ein Abkommen über die Einheit der Stadt auf Verwaltungsebene erreichen. f) Israel wird im Prinzip das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge als ein unveräußerliches Menschenrecht anerkennen und moralische Verantwortung für seinen Teil bei der Schaffung des Problems übernehmen. Ein Wahrheitsfindungs- und Versöhnungskomitee wird die historischen Fakten in objektiver Weise nachweisen. Die Lösung des Problems wird durch ein Abkommen erreicht, das sich nach gerechten, fairen und praktischen Erwägungen ausrichtet und auch Rückkehr auf das Gebiet des palästinensischen Staates, Rückkehr einer begrenzten und abgestimmten Zahl auf das Gebiet von Israel, Zahlungen von Kompensation und Ansiedlung in anderen Ländern einschließt. g) Die Wasserressourcen werden gemeinsam kontrolliert und durch ein Abkommen gleich und fair geteilt. h) Ein Sicherheitspakt zwischen den beiden Staaten wird die Sicherheit von beiden garantieren und die besonderen Sicherheitsbedürfnisse von beiden berücksichtigen. Das Abkommen wird durch die internationale Gemeinschaft unterstützt und durch internationale Garantien bestätigt. i) Israel und Palästina werden mit anderen Staaten der Region zusammenarbeiten, um eine regionale Gemeinschaft nach dem Vorbild der Europäischen Union zu errichten. j) Die ganze Region wird von Massenvernichtungswaffen frei gemacht.
101. Das Unterzeichnen des Friedensabkommens und seine ehrliche Erfüllung und in gutem Glauben, wird zum Ende des historischen Konfliktes führen und zur Versöhnung zwischen den beiden Völkern, wenn sie sich auf Gleichheit, gegenseitiger Achtung und der Bemühung um größtmögliche Zusammenarbeit gründet.
(Aus dem Englischen übersetzt: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
Erschienen im AphorismA Verlag Berlin ( Reihe: kleine Texte) info@aphorisma-verlag.de
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
09.11.2023
Von der Leyen empfiehlt Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine. Tritt diese bei, erhielte sie rund ein Achtel aller Mittel aus dem EU-Haushalt; zentrifugale Kräfte nähmen in der Union zu.
german-foreign-policy.com, 8. November 2023
KIEW/BRÜSSEL (Eigener Bericht) – EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen empfiehlt den EU-Mitgliedstaaten die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine. Wie von der Leyen am gestrigen Mittwoch erklärte, habe Kiew die Voraussetzungen dafür zu „mehr als neunzig Prozent“ erfüllt; nachgebessert werden müsse nur noch beim Kampf gegen die Korruption und bei Minderheitenrechten. Letztere müssten allerdings, so heißt es in Brüssel, nicht für den russischsprachigen Bevölkerungsteil gelten. Zwar ist der Beitritt der Ukraine auch dann, wenn die Staats- und Regierungschefs den Verhandlungen darüber Mitte Dezember zustimmen, nicht sicher. Doch wäre er mit gravierenden Umbrüchen in der Union verbunden. So müssten alle heutigen Mitgliedstaaten, bleibt der aktuelle Finanzrahmen erhalten, ihre Zahlungen in den EU-Haushalt deutlich erhöhen; zugleich würden die Mittel aus der Gemeinsamen Agrarpolitik für die jetzigen EU-Staaten um ein Fünftel gesenkt, während ein Achtel des gesamten EU-Budgets – rund 186 Milliarden Euro – an Kiew gingen. Experten warnen zudem, die zentrifugalen Kräfte in der EU nähmen weiter zu. Auch werde sich das Gravitationszentrum der Union noch weiter nach Osten verschieben.
Zitat: Gravierende Umbrüche
Die Konsequenzen eines etwaigen EU-Beitritts der Ukraine wurden auf der Ebene der EU-Staats- und Regierungschefs laut einem Bericht der Financial Times zum ersten Mal Ende Juni ernsthaft diskutiert. Der Gedanke, das Land könne in die EU aufgenommen werden, sei noch vor nicht allzu langer Zeit als „absurd“ eingestuft worden, hielt die Zeitung fest. Nun allerdings werde er detailliert erörtert.[1] Eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine werde gravierende Umbrüche bringen. Gemessen an der Vorkriegsbevölkerung wäre das Land das fünftgrößte der Union – nach Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien –, während es zugleich das mit Abstand ärmste wäre. Man müsse daher mit weitreichenden Folgen für den EU-Haushalt rechnen. Das gelte insbesondere für die Gemeinsame Agrarpolitik und für den EU-Kohäsionsfonds, die zusammen rund 62 Prozent des für einen Siebenjahreszeitraum geltenden EU-Etats ausmachten – im aktuellen Budget (2021 bis 2027) rund 370 Milliarden Euro. Einen Eindruck davon, worum es geht, vermittelte die Financial Times mit dem Hinweis, die landwirtschaftlich genutzten Flächen in der Ukraine überträfen das Territorium Italiens; in der Landwirtschaft seien annähernd 14 Prozent der ukrainischen Bevölkerung tätig. In der heutigen EU liegt der Anteil der Beschäftigten in der Landwirtschaft bei unter 2 Prozent.[2]
Ein Achtel für Kiew
Anfang Oktober legte die Financial Times unter Berufung auf interne Berechnungen der EU-Kommission konkrete Zahlen vor. Brüssel ging von der Annahme aus, man könne die Ukraine nicht integrieren, ohne gleichzeitig die sechs Staaten und Territorien Südosteuropas aufzunehmen, denen schon seit Jahrzehnten die Mitgliedschaft in Aussicht gestellt worden sei: Bosnien-Herzegowina, Serbien, Montenegro, Nordmazedonien, Albanien sowie das Kosovo. Rechne man auch eine – nur wenig ins Gewicht fallende – Aufnahme Moldaus und Georgiens ein, dann müsse der EU-Siebenjahreshaushalt von zur Zeit 1,211 Billionen Euro um 21 Prozent auf 1,465 Billionen Euro aufgestockt werden – gut 256,8 Milliarden Euro mehr als bei einem Fortbestand der EU-27. Davon gingen 186 Milliarden Euro, rund ein Achtel des gesamten EU-Budgets, allein an die Ukraine, während vor allem Deutschland, Frankreich und die Niederlande erheblich höhere Summen in den EU-Haushalt einzahlen müssten; gleich mehrere heutige Nettoempfänger würden zu Nettozahlern.[3] Insbesondere würden die Mittel aus dem EU-Agrarhaushalt, die an die heutigen Mitgliedstaaten überwiesen würden, um ein Fünftel gekürzt, besagen die Berechnungen der EU-Kommission. Das wären Einbrüche jenseits dessen, was die Mitgliedstaaten womöglich noch hinzunehmen bereit sind.
Umbau der Agrarpolitik
Kiew dringt zusätzlich bereits auf umfassende Kurskorrekturen in der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU. So erklärt der stellvertretende Wirtschaftsminister der Ukraine, Taras Katschka, der in Handels- und Wirtschaftsfragen für Verhandlungen mit Brüssel zuständig ist, die EU-Erweiterung werde „eine komplexe Neubewertung der Gemeinsamen Agrarpolitik erforderlich machen“.[4] Gegenwärtig werden die Agrarzuschüsse für Betriebe mit sehr großen Nutzflächen gedeckelt, um kleinere, weniger finanzkräftige Betriebe zu fördern. Nach Angaben von Eurostat besitzen nun allerdings Agrarkonzerne in der Ukraine besonders große Nutzflächen – im Durchschnitt 485 Hektar, während sich die Durchschnittsgrößen etwa in Frankreich auf 30, in Polen auf 8 Hektar belaufen. Katschka erklärt, er gehe davon aus, dass sich derlei Mechanismen, die für die Ukraine ungünstig seien, ändern ließen.[5] Ob derlei Korrekturen zum Nachteil der heutigen EU-Mitgliedstaaten durchsetzbar sind, muss freilich bezweifelt werden. Bereits ukrainische Getreidelieferungen in die EU hatten in mehreren östlichen Mitgliedstaaten, insbesondere in Polen, massive Proteste ausgelöst; Polen, Ungarn und die Slowakei untersagten zuletzt im September in nationalen Alleingängen den Import von Getreide aus der Ukraine.[6] Ein EU-Beitritt des Landes brächte ihnen viel größere Einbußen ein.
Zentrifugale Kräfte
Darüber hinaus warnen Experten vor der weiteren Verstärkung zentrifugaler Kräfte in der Union. Die Washingtoner Brookings Institution etwa stellte in einer im Juli veröffentlichten Analyse fest, derlei Kräfte nähmen seit mindestens einem Jahrzehnt deutlich zu. So seien in der Eurokrise in den Jahren ab 2010 die Beziehungen zwischen den reicheren und den ärmeren Mitgliedstaaten „weniger kooperativ“ geworden und hätten „einen antagonistischen Charakter angenommen“, der nicht wieder verschwunden sei.[7] In der „Flüchtlingskrise“ in den Jahren ab 2015 sei das Prinzip der „fairen Umverteilung“ der Flüchtlinge von den östlichen Mitgliedstaaten missachtet worden. Auch dies habe dem Zusammenhalt in der EU geschadet. Im Jahr 2015 hätten sich die östlichen und südöstlichen Mitgliedstaaten zu der Gruppierung der Bucharest Nine zusammengeschlossen, die sich unter starkem US-Einfluss befinde und mit Ausnahmen – Ungarn, seit kurzem auch wieder die Slowakei – besonders leicht für US-Interessen mobilisierbar sei.[8] Insgesamt hätten „die Länder Westeuropas die klare Auffassung“, dass sich „das Gravitationszentrum der EU-Prioritäten nach Osten verschoben“ habe, urteilt die Brookings Institution. Mit einem Beitritt der Ukraine nehme diese Tendenz voraussichtlich noch weiter zu.
Der Verhandlungsfahrplan
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat den Mitgliedstaaten am gestrigen Mittwoch empfohlen, Beitrittsgespräche mit der Ukraine aufzunehmen; die Voraussetzungen dafür habe Kiew zu „mehr als neunzig Prozent“ erfüllt.[9] Mängel gebe es noch im Kampf gegen Korruption; so müssten etwa die Lobbygesetzgebung an EU-Standards angepasst und die Vermögenserklärungen von Beamten überprüft werden. Auch beim Minderheitenschutz müsse die Ukraine weiter nachbessern. Vor allem Ungarn streitet sich seit Jahren mit der ukrainischen Regierung um allerlei Sonderrechte für die ungarischsprachige Minderheit. In Brüssel hieß es gestern, man lege Wert darauf, dass die ungarisch-, die polnisch- und die bulgarischsprachige Minderheit Sonderrechte erhielten; für russischsprachige Ukrainer – die mit großem Abstand wichtigste Sprachgruppe im Land – gelte dies jedoch nicht.[10] Über den Stand der Dinge und die tatsächliche Aufnahme der Beitrittsgespräche sollen die Staats- und Regierungschefs Mitte Dezember entscheiden. Stimmen sie zu, wird die Kommission einen Verhandlungsrahmen erstellen, den wiederum die Staats- und Regierungschefs im Frühjahr billigen könnten. Grundsätzlich ist damit der Weg für die Ukraine in die EU offen – allerdings besteht keine Beitrittsgarantie. Bezeugen kann dies die Türkei: Die EU nahm im Oktober 2005 Beitrittsverhandlungen mit ihr auf, kam damit allerdings nicht weit. Ein türkischer Beitritt gilt heute als ausgeschlossen.
[1] Sam Fleming, Henry Foy: The ‘monumental consequences’ of Ukraine joining the EU. ft.com 06.08.2023.
[2] Farmers and the agricultural labour force – statistics. ec.europa.eu November 2022.
[3] Henry Foy: EU estimates Ukraine entitled to €186bn after accession. ft.com 04.10.2023.
[4], [5] Gerardo Fortuna: Ukraine’s EU membership will trigger a rewriting of CAP, says Kyiv official. euractiv.com 06.10.2023.
[6] Camille Gijs: Poland, Hungary, Slovakia impose own Ukraine grain bans as EU measure expires. politico.eu 16.09.2023.
[7] Carlo Bastasin: Want Ukraine in the EU? You’ll have to reform the EU, too. brookings.edu July 2023.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.