13.12.2023

Israels skandalöser Umgang mit palästinensischen Gefangenen – Folter inbegriffen

nachdenkseiten.de, 13. Dezember 2023 um 9:25 Ein Artikel von Gabi Weber

Die NachDenkSeiten veröffentlichen hiermit ein Interview, das die promovierte Fachärztin und Palästinakennerin Gabi Weber mit Dr. Siba Irsheid, LL.M., Rechtsanwältin und Syndikus-Abogada (EuRAG), geführt hat. Dieses Interview unterscheidet sich grundlegend von den meisten in Deutschland publizierten Texten zur Situation in Palästina und Israel. Im Interview werden Vorgänge angesprochen, die in den meisten deutschen Medien tabu sind. Albrecht Müller.

Unsere Medien berichten nicht deutlich genug davon, dass palästinensische Jugendliche und sogar Kinder gefoltert werden. Sie berichten ungenügend über die rechtliche Lage und auch nicht darüber, dass für Palästinenser und Siedler im gleichen Gebiet verschiedenes Recht gilt. Palästinenser sind oft rechtlos. Wird darüber für die deutsche Öffentlichkeit gewissenhaft berichtet?

Das Interview ist lang, es erscheint aber wegen vier Seiten wichtiger Quellenangaben länger, als es tatsächlich ist. Nehmen Sie sich ein bisschen Zeit dafür.

Gabi Weber (GW): Frau Irsheid, Sie haben sich im Rahmen Ihrer Doktorarbeit „Verhaftungen durch die Besatzungsmacht im Zuge einer militärischen Besetzung: der palästinensische Fall. Motivation und Legitimität“ an der juristischen Fakultät der Universidad Nacional de Educación a Distancia (UNED) in Madrid, Spanien über mehrere Jahre mit Rechtsbrüchen des israelischen Staates auseinandergesetzt. Könnten Sie die Ergebnisse grob für die Leserinnen und Leser der NDS zusammenfassen?

Dr. Siba Irsheid (SI): Meine Forschungsarbeit ging von Anfang Oktober 2018 bis Ende Oktober 2022. Als eines der wichtigsten Ergebnisse hat sich herauskristallisiert, dass die israelische Besatzung der palästinensischen Gebiete Westjordanland, Ost-Jerusalem und Gaza nicht im Einklang mit dem Völkerrecht steht und daher rechtswidrig ist.

Aus völkerrechtlicher Sicht [1] kann eine militärische Besatzung gerechtfertigt sein, wenn der besetzende Staat zur Abwehr einer Gefahr das Gebiet des besetzten Staates so lange besetzt hält, bis diese Gefahr beseitigt ist. Folglich ist die militärische Präsenz von vornherein als vorübergehend zu betrachten. Seit Beginn der Besatzung 1967 verfolgt Israel eine Politik, die den Bau von Siedlungen in den besetzten palästinensischen Gebieten, die Übersiedlung israelischer Bürger in diese Siedlungsgebiete und den Bau von Straßen, die nur für Israelis bestimmt sind und diese Siedlungen nicht nur untereinander, sondern auch mit dem israelischen Staatsgebiet verbinden, umfasst. Dies stellt die offiziell vertretene Absicht Israels, die palästinensischen Gebiete nur vorübergehend zu besetzen, in Frage. Die lange Dauer der Besatzung seit 1967, die Siedlungspolitik mit der stetig zunehmenden, schrittweisen Annexion palästinensischer Gebiete durch Israel und die Aneignung natürlicher Ressourcen, wie zum Beispiel Wasser, schwächen Israels angebliche „Sicherheitsgründe“, weil sie eher kolonialistische Merkmale sind. [2]

Israel führt Verhaftungen von Palästinensern als „Selbstschutz“ und damit Rechtfertigung zur Aufrechterhaltung des Status quo der militärischen Besatzung durch. [3] Die Bestrafung in Form von Verhaftungen dient ausschließlich dem Schutz israelischer politischer Interessen, z.B. der Siedlungspolitik, und folgt dem Ziel, den Wunsch des palästinensischen Volkes nach Selbstbestimmung zu unterdrücken.

Bei den Handlungen, die Israel als „Verbrechen gegen die Sicherheit“ betrachtet und die in israelischen Militärverordnungen aufgeführt sind, handelt es sich zumeist um Proteste und Aktionen von Palästinensern gegen die militärische Besatzung, gegen die Politik der Annexion der palästinensischen Gebiete und die diskriminierende Behandlung der palästinensischen Bevölkerung. Um palästinensische Proteste zu unterdrücken, setzt Israel eine aggressive und menschenrechtsverletzende Inhaftierungspolitik ein.

GW: Für die besetzten palästinensischen Gebiete gelten also andere Gesetze als für den Staat Israel selbst? Wie ist das dann mit den israelischen Siedlern, die offensichtlich „illegal“ auf palästinensischem, jedoch von Israel besetztem Land leben – welches Recht gilt für sie?

SI: Palästinenser im besetzten Westjordanland unterstehen dem Militärrecht, während für dort lebende jüdische Siedler Zivilrecht angewandt wird. Offiziell sind die israelischen Militärgerichte befugt, jeden zu verurteilen, der im Westjordanland eine Straftat begeht, einschließlich der dort lebenden israelischen Siedler, der in Israel lebenden israelischen Bürger und der Ausländer. Anfang der 1980er-Jahre beschloss der israelische Generalstaatsanwalt jedoch, dass israelische Staatsbürger von den ordentlichen israelischen Gerichten nach israelischem Strafrecht verurteilt werden, auch wenn sie im Westjordanland leben und selbst wenn die Straftat in den besetzten Gebieten Palästinas oder gegen palästinensische Bewohner der besetzten Gebiete begangen wurde. Diese Politik ist nach wie vor in Kraft. [4] Die Angeklagten vor den israelischen Militärgerichten sind daher ausschließlich palästinensische Staatsbürger. Die Zuständigkeit des israelischen Militärgerichts gilt niemals für israelische Siedler, die ebenfalls im Westjordanland leben; diese unterliegen, wie bereits erwähnt, der normalen israelischen Gerichtsbarkeit.

GW: Welche Rolle spielt die PA, die Palästinensische Autonomiebehörde, bezüglich der Rechtsprechung?

SI: Das allgemeine palästinensische Recht gilt nur für das Westjordanland und den Gazastreifen, jedoch lediglich in sehr begrenztem Umfang. Dieses Rechtssystem befasst sich nur mit Angelegenheiten, die Palästinenser betreffen, und ist nicht zuständig für Angelegenheiten, die direkt oder indirekt mit israelischen Sicherheits- oder Militärkräften oder israelischen Siedlern im Westjordanland zu tun haben. Sie gilt auch nicht für Palästinenser, die im Gebiet von Ost-Jerusalem leben.

Die Gründung der Palästinensischen Autonomiebehörde im Anschluss an die Osloer Abkommen (in den 1990er-Jahren) bedeutete theoretisch die schrittweise Übertragung von Befugnissen und Zuständigkeiten der israelischen Besatzungsmacht auf die palästinensischen Behörden. Infolge dieser Abkommen wurden die OPT (Occupied Palestinian Territories – besetzte palästinensische Gebiete) in drei verschiedene Gebiete aufgeteilt, die als A, B und C bezeichnet werden. Gemäß der Oslo-Abkommen würde die Palästinensische Autonomiebehörde die volle Kontrolle über das Gebiet A ausüben, während das Gebiet C vollständig unter israelischer Kontrolle stehen würde; das Gebiet B wurde als „autonome“ Region bezeichnet, die in der Praxis eine palästinensische Verwaltung der Dörfer unter israelischer Sicherheitskontrolle darstellen würde.

Während die Zonen A und C hinsichtlich ihrer Bevölkerung klar definiert sind, d. h. Zone A (zwei Prozent) wird ausschließlich von Palästinensern und Zone C (rund 68 Prozent) von israelischen illegalen Siedlern bewohnt, die in den illegalen Siedlungen leben, ist Zone B (30 Prozent) eine undefinierte Gruppierung zwischen den beiden Zonen, mit palästinensischen Dörfern in der Nähe von Autobahnen oder Straßen, die ausschließlich von israelischen Bürgern genutzt werden dürfen, oder in der Nähe von Gebieten, die von Israel als militärische Sperrzonen definiert sind.

Ost-Jerusalem nimmt eine Sonderposition ein, da es in den Abkommen als Teil der abschließenden Verhandlungen belassen wurde. Allerdings wurde Ost-Jerusalem in den Karten, die die Zonen aufteilen, de facto an Israel angegliedert und unterliegt nun der vollständigen israelischen Kontrolle.

Dies bedeutet, dass Israel faktisch die Sicherheitskontrolle über fast das gesamte Gebiet des Westjordanlandes ausübt und die Palästinensische Autonomiebehörde lediglich eine Verwaltungsfunktion innehat, mit Ausnahme eines kleinen Teils des Gebiets A, wo sie für die Sicherheit zuständig ist, solange keine israelische Person beteiligt ist oder keine Gefahr für den Staat Israel besteht. Im Vertrag von Oslo II wurde 1995 festgelegt, dass diese Aufteilung des Westjordanlandes in drei Zonen für fünf Jahre vorläufig ist, aber die Aufteilung besteht bis heute.

GW: Welche Funktion haben das israelische Militärgerichtssystem und die dazugehörigen israelischen Militärgerichte?

SI: Das Militärgerichtssystem gibt den Beamten der Israelischen Sicherheitsbehörde (ISA, Israeli Security Agency) größere Flexibilität bei der Durchführung von Verhören palästinensischer Gefangener und reduziert die rechtlichen Garantien für die Palästinenser auf das absolute Minimum, das weit unter den Garantien des israelischen Zivilrechts liegt. Gemäß OM 1651, Kapitel C, Artikel 38, kann ein Palästinenser ohne Anklage für einen Gesamtzeitraum von 90 Tagen ausschließlich zum Zweck des Verhörs festgehalten werden, während ein israelischer Staatsbürger, der eines Sicherheitsdelikts beschuldigt wird, ohne Anklage für einen Zeitraum von 64 Tagen festgehalten werden kann. Gerichtsverfahren gegen Palästinenser vor Militärgerichten müssen 18 Monate nach der Inhaftierung abgeschlossen sein, während die Frist für israelische Häftlinge vor israelischen Strafgerichten neun Monate beträgt.

Nach dem Völkerrecht ist es nicht zulässig, dass Israel sein Zivilrecht auf die Palästinenser im Westjordanland anwendet, da dies einer illegalen Annexion gleichkäme. [5] Außerdem müssen die auf die Palästinenser angewandten Gesetze Rechte und Schutzmaßnahmen enthalten, die nicht nachteiliger sind als die, die für die in den Siedlungen lebenden Israelis gelten; andernfalls würde der Grundsatz der Nichtdiskriminierung verletzt werden. Israel wendet, wie schon gesagt, im Westjordanland weiterhin zwei Rechtssysteme an, deren Anwendungskriterien auf der Rasse oder der nationalen Identität der betroffenen Personen beruhen.

Laut Art. 64 Abs. 2 des Vierten Genfer Abkommens kann die Besatzungsmacht der Bevölkerung des besetzten Gebietes die Vorschriften/Bestimmungen/Gesetze (in unserem Fall military orders: Militärverordnungen) auferlegen, die unerlässlich sind, um dieser Besatzungsmacht die Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus dem Genfer Abkommen zu ermöglichen und so die normale Verwaltung des Gebietes und die Sicherheit sowohl des Besatzers selbst als auch seiner Angehörigen und des Vermögens der Besatzungstruppen oder der Verwaltung der Besatzung sowie der von ihr benutzten Einrichtungen und Verkehrswege zu gewährleisten. Artikel 66 des Vierten Genfer Abkommens erlaubt es der Besatzungsmacht, die Angeklagten im Falle der Verletzung der von ihr erlassenen Strafbestimmungen ihren Militärgerichten zu unterstellen.

Israel hat die Militärgerichte für die Verfolgung und Verurteilung von Palästinensern eingerichtet. Diese verstoßen jedoch gegen die allgemein anerkannten Rechte und Grundsätze eines fairen Verfahrens in allen Phasen des Prozesses. Auch in Bezug auf Minderjährige werden diese prinzipiellen theoretischen Garantien nicht von Israel eingehalten, wobei erschwerend hinzukommt, dass viele Minderjährige inhaftiert werden und die Verurteilung bis zu ihrer Volljährigkeit aufgeschoben wird, damit sie wie Erwachsene vor Gericht gestellt werden können – ungeachtet ihres Alters zum Zeitpunkt der mutmaßlichen Straftat. [6] Bei den Rechten auf ein faires Verfahren könnte man für die Notwendigkeit bestimmter Ausnahmen in bestimmten Situationen plädieren, wenn sie nicht in diskriminierender Weise angewandt würden: Von den Rechten der Palästinenser wird abgewichen, von den Rechten der Israelis, die in demselben Gebiet leben, nicht. [7] Eine solche Abweichung darf nicht auf der Grundlage von Rasse, Sprache, Religion oder sozialer Herkunft diskriminierend sein. [8]

Was die Inhaftierung palästinensischer Minderjähriger betrifft, die Israel sogar mitten in der COVID-19-Pandemie weiterhin praktizierte, legt dies den bestehenden antipalästinensischen Rassismus noch deutlicher offen, insbesondere wenn man bestimmte Verhaltensweisen analysiert, die keine andere nachvollziehbare Rechtfertigung haben als den Wunsch, Minderjährige und deren Eltern zu demütigen oder ihnen unnötiges Leid zuzufügen. [9] Die Häufigkeit, mit der solche Handlungen vorkommen, sowie die Tatsache, dass sie straffrei bleiben, zeigen, dass solche Verhaltensweisen stillschweigend von Israel akzeptiert werden. [10]

Israel, das jedes Jahr zwischen 500 und 700 palästinensische Kinder inhaftiert und strafrechtlich verfolgt, scheint, nach Defense for Children International Palestine, das einzige Land der Welt zu sein, das Kinder automatisch und systematisch von Militärgerichten inhaftieren und strafrechtlich verfolgen lässt, da die Militärgerichte weniger Garantien in Bezug auf die Grundrechte und den Schutz eines fairen Verfahrens bieten. [11] Bedauerlicherweise werden palästinensische Minderjährige von israelischen Militär- und Polizeikräften mit alarmierender Häufigkeit verhaftet, und es ist sehr besorgniserregend, dass die verhafteten Minderjährigen immer jünger werden. [12]

Nach Angaben der israelischen Organisation Yesh Din werden mehr als 90 Prozent der Akten über Gewalttaten von israelischen Siedlern gegen Palästinenser ohne Anklage geschlossen. Im Falle der Palästinenser hingegen sind sich die Anwälte einig, dass die überwiegende Mehrheit der Verfahren mit Verurteilungen endet. [13]

Kurz gesagt: Die jüdischen Siedler und die palästinensische Bevölkerung in den besetzten palästinensischen Gebieten leben gemeinsam unter einem Regime, das bei der Anerkennung von Rechten auf der Grundlage der nationalen und ethnischen Identität Unterschiede macht [14] und damit gegen den Grundsatz verstößt, dass kein Staat zwischen denjenigen, über die er die Strafgerichtsbarkeit ausübt, auf der Grundlage der Rasse oder der nationalen Identität diskriminieren darf.

GW: Könnten Sie Beispiele für diese unterschiedliche Behandlung nennen?

SI: Ja natürlich – leider gibt es mehr als genug davon! Beispielsweise werden Palästinenser, die von einem Militärgericht wegen Mordes verurteilt werden, effektiv zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt, während ein Israeli, der von einem Strafgericht wegen desselben Verbrechens zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wird, höchstens 20 Jahre ins Gefängnis muss. Außerdem können nach dem israelischen Strafgesetzbuch nicht-palästinensische Verurteilte nach Verbüßung der Hälfte ihrer Strafe freigelassen werden, während Palästinenser, die unter dem Militärregime verurteilt wurden, erst nach Verbüßung von zwei Dritteln ihrer Strafe einen Antrag auf Bewährung stellen können. Im Allgemeinen werden palästinensische Häftlinge nur selten vorzeitig auf Bewährung entlassen. [15]

Die Strafmündigkeit beginnt sowohl für Palästinenser als auch für Israelis im Alter von zwölf Jahren. Palästinenser werden jedoch im Rahmen des Militärgerichtssystems mit 16 Jahren als Erwachsene verurteilt, während das israelische Justizsystem die Volljährigkeit auf 18 Jahre festlegt. Diese Militärverordnung wurde am 27. September 2011 geändert und das Volljährigkeitsalter auch für Palästinenser auf 18 Jahre festgesetzt. Es wurde jedoch bis heute nicht umgesetzt. [16] Während israelische Gesetze und polizeiliche Anordnungen besagen, dass in Israel inhaftierte Minderjährige nur von speziell für diese Aufgabe ausgebildeten Polizeibeamten verhört werden dürfen, werden palästinensische Kinder von Polizei- oder ISA-Beamten verhört, und zwar in Situationen, die einschüchternd sind, in denen es keine wirkliche Form der Aufsicht gibt und die von Missbrauch geprägt sind.

Auch die Sprache ist ein grundlegendes Problem in den Militärgerichten. Die israelische Rechtsprechung legt fest, dass ein Gefangener in seiner eigenen Sprache verhört werden und dass seine Aussage auch in dieser Sprache verfasst werden muss. In der Praxis wird das Geständnis oder die Aussage des palästinensischen Gefangenen jedoch häufig von einem Mitglied der Polizeikräfte auf Hebräisch verfasst, wodurch der Gefangene gezwungen wird, eine Aussage oder ein Geständnis zu unterschreiben, das er nicht versteht. Diese „Geständnisse“ sind wiederum das Hauptbeweismittel gegen palästinensische Gefangene vor israelischen Militärgerichten. [17]

Selbst denjenigen, die eines Verbrechens angeklagt sind, wird vor Militärgerichten routinemäßig das Recht auf ein ordentliches Verfahren vorenthalten. [18] Viele der Palästinenser, die wegen „Sicherheitsvergehen“ verurteilt wurden und eine Haftstrafe verbüßen (2.331 Personen, Stand 1. November 2023), haben sich auf einen Vergleich (plea bargain) mit der israelischen Militärstaatsanwaltschaft eingelassen, um eine lange Untersuchungshaft und Schein-Militärprozesse zu vermeiden, bei denen die Verurteilungsquote gegen Palästinenser nahezu 95 Prozent beträgt. [19]

Wie Human Rights Watch und andere israelische, palästinensische und internationale Menschenrechtsorganisationen festgestellt haben, ist die Diskriminierung bei Festnahme und Inhaftierung nur ein Aspekt der systematischen Unterdrückung, die den Verbrechen der israelischen Behörden gegen die Menschlichkeit, der Apartheid [20] und der Verfolgung der Palästinenser zugrunde liegt.

GW: Was konnten Sie im Rahmen Ihrer Forschungsarbeit über die Behandlung der palästinensischen Gefangenen in israelischen Gefängnissen herausfinden?

SI: Unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung verstößt Israel gegen die Menschenrechte und lässt u. a. Folter zu. Auch palästinensische Kinder werden gefoltert, um Informationen, Geständnisse oder Bekenntnisse zu erzwingen. Wenn es moralisch inakzeptabel ist, Folter an sich überhaupt als „probates“ Mittel anzuwenden, so ist die Folterung von Minderjährigen auf keinen Fall hinnehmbar. Die Folterung sowohl von Minderjährigen als auch von erwachsenen palästinensischen Gefangenen mit geistigen/körperlichen Behinderungen dient dazu, deren Verhalten mit umfassenderen Sicherheitsbelangen in Verbindung zu bringen.

Die Tatsache, dass Soldaten, Polizisten und Bedienstete des israelischen Sicherheitsdienstes palästinensische Gefangene, darunter auch Minderjährige [21], weiterhin ungestraft foltern und anderweitig misshandeln, zeigt, dass der Staat Israel diese diskriminierende Politik stillschweigend akzeptiert. [22]

GW: Das sind schwere Anschuldigungen, Frau Irsheid. Können Sie etwas über die Foltermethoden berichten und auch, welche Quellen Sie zu diesem Thema finden konnten?

SI: Ja, Sie haben recht, das sind in der Tat schwerwiegende Schlussfolgerungen. Dennoch ist dies das Ergebnis meiner vierjährigen Forschungs- und Promotionsarbeit, die ich auf 344 Seiten niedergeschrieben habe und die 1667 Fußnoten mit Quellenangaben beinhaltet. Diese Quellen sind wissenschaftlich belegt in meiner Doktorarbeit, die mit Summa Cum Laude ausgezeichnet wurde. Natürlich wäre es gut, zuerst die Dissertation, die aktuell nur auf Spanisch vorliegt, selbst zu lesen, um zu wissen, wie ich zu diesen Ergebnissen gekommen bin. Allerdings geht es hier in diesem Interview in erster Linie um eine grobe Zusammenfassung meiner Ergebnisse.

Tatsächlich war meine Befürchtung anfangs, dass es nicht genug wissenschaftliche Literatur über dieses Thema geben würde, und meine Empörung war groß, als ich feststellte, dass alle Menschenrechtsverletzungen durch die verschiedenen israelischen Regierungen auf höchstem Niveau dokumentiert sind. [23]

Folter von palästinensischen Inhaftierten hat sogar in manchen Fällen der Oberste Gerichtshof Israels erlaubt (siehe Israeli Supreme Court, STC HCJ 769/02 The Public Committee Against Torture in Israel et. al. v. The Government of Israel et. al. (2006)).

Leider durchleben die meisten erwachsenen und mehr als 60 Prozent der minderjährigen palästinensischen Gefangenen verschiedene Foltermethoden, die von den Vernehmungsbeamten meist eingesetzt werden, um ein Geständnis zu erzwingen. [24]

Zu den eingesetzten Foltermethoden gehören Bedrohung mit Schusswaffen, Todesandrohungen, Unterbringung in Isolierhaft, Fixieren in einer bestimmten Position über mehrere Stunden, Schlafentzug, Androhung von Übergriffen gegen oder Inhaftierung von Familienmitgliedern, Verweigerung des Zugangs zu Toiletten während des Verhörs, Schläge und andere Formen körperlicher Gewalt. In zunehmendem Maße setzen israelische Soldaten und ISA-Beamte sexuelle Drohungen ein, um Kinder in Angst und Schrecken zu versetzen und sie zu zwingen, ein bestimmtes Vergehen zu gestehen. Die sexuellen Übergriffe israelischer Vernehmungsbeamter gegenüber Minderjährigen nehmen viele Formen an, darunter das Anfassen im Genitalbereich, die Androhung von Vergewaltigung oder Sodomie mit einem Gegenstand. Die Betroffenen werden hierdurch in so große Angst und Furcht versetzt, dass sie in vielen Fällen Dinge gestehen, die nie passiert sind oder die sie nie getan haben. [25]

Eine andere Technik, die von militärischen Vernehmungsbeamten angewandt wird, besteht darin, die Minderjährigen unter Druck zu setzen, damit sie andere in ihrem Dorf verraten. Es wird auch versucht, sie als regelmäßige Informanten für die Armee zu rekrutieren [26], eine Praxis, die unter anderem durch Artikel 44 der Haager Bestimmungen verboten ist.

46 Prozent der Minderjährigen geben an, dass sie während der Verhaftung, des Transfers in ein israelisches Gefängnis und/oder während des Verhörs beschimpft wurden. Die Beschimpfungen richten sich direkt gegen den Minderjährigen, gegen seine Mutter oder Schwester(n) oder gegen seine Religion. 66 Prozent der betroffenen Minderjährigen berichten, dass sie sich bei ihrer Ankunft in der Haftanstalt einer Leibesvisitation unterziehen, sich dabei nackt ausziehen und bücken mussten.

Viele internationale (z.B. Amnesty International, Human Rights Watch, Defense Children International-Palestine), palästinensische (z.B. Addameer, Military Court Watch) und israelische (z.B. B‘Tselem, Yesh Din, HaMoked) NGOs dokumentieren diese Fälle. Auf den Websites dieser Organisationen findet man eine Vielzahl an Informationen und Statistiken. Die von mir verwendeten Statistiken stammen aus den Jahren 2018 bis 2022, aber sicherlich könnte man dort noch aktuellere Zahlen finden.

Neben dem Fehlen eines ordnungsgemäßen Verfahrens haben die israelischen Behörden jahrzehntelang palästinensische Gefangene misshandelt und gefoltert. [27] Seit 2001 wurden beim israelischen Justizministerium mehr als 1.400 Beschwerden über Folterungen durch den Shin Bet, Israels internen Sicherheitsdienst, eingereicht, darunter schmerzhafte Fesselungen, Schlafentzug und Erleiden von extremen Temperaturen. [28]

Nach Angaben des Öffentlichen Komitees gegen Folter, einer israelischen Menschenrechtsgruppe, haben diese Beschwerden zu insgesamt drei strafrechtlichen Ermittlungen und keiner Anklage geführt. [29] Die Gruppe Military Court Watch berichtete, dass in 22 Fällen von Inhaftierungen palästinensischer Minderjähriger, die sie im Jahr 2023 dokumentierte, 64 Prozent angaben, körperlich misshandelt worden zu sein, und 73 Prozent durch die israelischen Streitkräfte während der Inhaftierung einer Leibesvisitation unterzogen worden seien. [30]

Palästinensische Menschenrechtsgruppen berichteten über einen Anstieg der Verhaftungen und eine Verschlechterung der Bedingungen für palästinensische Gefangene vor dem 7. Oktober 2023, einschließlich gewaltsamer Razzien, Verlegungen und Isolation von Gefangenen, vermindertem Zugang zu fließendem Wasser und Brot sowie weniger Familienbesuchen. Diese Tendenzen haben sich seit dem Beginn des drakonischen Kriegs gegen den Gazastreifen verschärft. [31]

GW: Wie muss man sich die Inhaftierungen von Palästinenserinnen und Palästinensern vorstellen? Im Rahmen des in der vorletzten Woche in allen Medien berichteten Gefangenenaustauschs zwischen der Hamas und Israel hat man wenig bzw. nichts über die Gründe der Inhaftierungen erfahren. Viele gehen vielleicht davon aus, dass es sich hierbei um „echte“ Kriminelle handelt, die kleinere und größere Verbrechen, die auch hier in Deutschland geahndet würden, begangen haben. Ist das im Falle der palästinensischen Gefangenen so?

SI: Natürlich handelt es sich in manchen Fällen auch um „echte“ Kriminelle, die kleinere und größere Verbrechen begangen haben. Aber laut Angaben der oben genannten Menschenrechtsorganisationen werden die meisten Verhaftungen aus politischen Motiven angeordnet. Es stellt sich die Frage, warum Israel so viele Palästinenser in Haft und zum Austausch bereithält und aus welchem Grund sie inhaftiert wurden.

Mit Stand vom 1. November 2023 hielten die israelischen Behörden fast 7.000 Palästinenser aus den besetzten Gebieten (Westbank und Jerusalem) wegen angeblicher Sicherheitsverstöße in Haft, so die israelische Menschenrechtsorganisation HaMoked. Seit den Anschlägen vom 7. Oktober 2023 in Israel wurden bis jetzt Tausende Palästinenser festgenommen und ca. 240 freigelassen. Unter den Festgenommenen befinden sich Dutzende von Frauen und zahlreiche Kinder. [32]

Die meisten der palästinensischen Gefangenen wurden noch nie wegen eines Verbrechens verurteilt, darunter mehr als 2.000, die sich in Verwaltungshaft befinden, bei der das israelische Militär eine Person ohne Anklage oder Gerichtsverfahren festhält. Eine solche Inhaftierung kann auf der Grundlage geheimer Informationen, die der Inhaftierte nicht einsehen darf, auf unbestimmte Zeit verlängert werden. Verwaltungshäftlinge werden unter der Annahme festgehalten, dass sie irgendwann in der Zukunft eine Straftat begehen könnten. Die israelischen Behörden haben u. a. Minderjährige, Menschenrechtsaktivisten und palästinensische politische Aktivisten in Verwaltungshaft genommen, und dies oft über viele Jahre hinweg. [33]

Eine Untersuchung der Militärverordnungen 101 und 1651, die die Grundlage für die Verhaftungen bilden, sowie verschiedene UN-Berichte und Menschenrechtsorganisationen stützen meine Behauptung, dass Verhaftungen durch die israelischen Behörden als Abschreckungsmittel eingesetzt werden, um den Widerstand zu beenden. Die Inhaftierung palästinensischer Minderjähriger und Erwachsener wird so zu einer Methode der Unterdrückung und Rassendiskriminierung. [34]

Die in den Militärgerichten durchgeführten Prozesse und Verurteilungen werden als Instrument zur politischen oder rassistischen Verfolgung eingesetzt. So werden Straftaten wie die Mitgliedschaft in illegalen Vereinigungen kriminalisiert – wobei die Festlegung, dass eine Vereinigung als illegal deklariert wird, von der Entscheidung eines israelischen Militärkommandanten abhängt. Ein weiteres „Verbrechen“ seitens der Palästinenser, das häufig als Grund für drakonische Maßnahmen angeführt wird, ist die „Störung der öffentlichen Ordnung“, insbesondere das Werfen von Steinen.

Palästinenser können inhaftiert werden, wenn sie ohne Genehmigung an einer Versammlung von nur zehn Personen zu einem Thema teilnehmen, das als „politisch“ ausgelegt werden könnte, während Siedler ohne Genehmigung demonstrieren können, es sei denn, die Versammlung umfasst mehr als 50 Personen, findet im Freien statt und beinhaltet „politische Reden und Erklärungen“.

Diese Militärverordnungen sind sehr zweideutig formuliert und bieten einen großen Interpretationsspielraum, was einen Verstoß gegen den Legalitätsgrundsatz darstellt.

Auch die Militärverordnungen genügen nicht den Anforderungen des Art. 65 des Vierten Genfer Abkommens, das festlegt, dass die von der Besatzungsmacht erlassenen Militärverordnungen erst dann in Kraft treten, wenn sie veröffentlicht und der Bevölkerung in ihrer Sprache bekannt gemacht wurden – Anforderungen, die bis heute nicht erfüllt wurden.

Die erwähnte Militärverordnung 101 kriminalisiert unter dem Begriff „politische Anstiftung“ zivile Aktivitäten im Zusammenhang mit der Ausübung bürgerlicher und politischer Rechte, darunter: die Teilnahme an Versammlungen oder Mahnwachen, insbesondere zum Gedenken an die Nakba (auf Arabisch bedeutet dies die Katastrophe, die mit der Vertreibung und Ermordung Hunderttausender Palästinenser im Rahmen der israelischen Staatsgründung 1948 einherging, also den palästinensischen Exodus); Handlungen, die der öffentlichen Meinungsbildung dienen, wie zum Beispiel das Drucken und Verteilen von politischem Material sowie die Organisation und Teilnahme an Protesten, (zum Beispiel gegen die durch Israel illegal errichtete Trennungsmauer), auch wenn diese friedlich verlaufen.

In der Militärverordnung 1651 wurden die sogenannten „Sicherheitsbestimmungen“, die die Zugehörigkeit zu oder die Unterstützung feindseliger Organisationen unter Strafe stellen, festgelegt.

Ich möchte darauf hinweisen, dass es im Hinblick auf den Vorwurf der „Mitgliedschaft oder Unterstützung einer feindlichen Organisation“ in den meisten Fällen nicht möglich ist, ausreichende Beweise gegen die Festgenommenen vorzulegen, weshalb diese auf der Grundlage von Verwaltungshaftanordnungen inhaftiert werden. Dies führt dazu, dass hierdurch keine Notwendigkeit besteht, diese Beweise vorzulegen oder den Häftling über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu informieren.

Israel setzt die Verwaltungshaft routinemäßig und als Kollektivstrafe mit der Behauptung ein, dies sei als Präventionsmaßnahme zur Abwehr zukünftiger Bedrohungen zu sehen. Berichten des Menschenrechtsausschusses, des CAT (Committee Against Torture) sowie palästinensischer und israelischer Menschenrechtsorganisationen zufolge wird jedoch die Verwaltungshaft nach erfolglosen Ermittlungen oder dem Versäumnis, während des Verhörs ein Geständnis zu erlangen, angewendet.

Die Militärverordnungen, die die Inhaftierung von Palästinensern regeln, verlangen von den israelischen Behörden nicht, die Inhaftierten über die Gründe ihrer Inhaftierung zu informieren. [35]

Wenn der Militärkommandant behauptet, dass eine Gefahr für die nationale Sicherheit bestehe, sind die israelischen Behörden davon befreit, dem Häftling oder seinem Anwalt weitere Informationen zur Verfügung zu stellen, und schwerwiegende Verstöße gegen das Recht auf ein faires Verfahren sind gerechtfertigt (z.B. das Hinzuziehen eines Anwalts wird verweigert oder verzögert, Familienbesuche werden verboten, der Häftling wird von einer Einrichtung in eine andere verlegt, ohne seinen Anwalt oder seine Familie zu benachrichtigen, er kann in Einzelhaft festgehalten werden usw.).

Zusammengefasst heißt dies: Israelische Siedler und Palästinenser leben auf demselben Gebiet, werden aber vor unterschiedlichen Gerichten nach unterschiedlichen Gesetzen mit unterschiedlichen Rechten auf ein ordnungsgemäßes Verfahren verurteilt und müssen für dasselbe Vergehen unterschiedliche Strafen verbüßen. Das Ergebnis ist eine große und wachsende Zahl von Palästinensern, die ohne ein ordentliches Verfahren inhaftiert sind. Die Palästinenser haben weniger Rechte und Garantien im Gerichtsverfahren und werden für dieselben Straftaten mit höheren Strafen belegt.

Diskriminierung herrscht auch bei der Behandlung palästinensischer Minderjähriger. Das israelische Zivilrecht schützt diese vor nächtlichen Verhaftungen, sieht das Recht auf Anwesenheit eines Elternteils bei Verhören vor und begrenzt die Zeit, die Minderjährige festgehalten werden dürfen, bevor sie einen Anwalt konsultieren und einem Richter vorgeführt werden können.

Die israelischen Behörden nehmen jedoch regelmäßig palästinensische Kinder bei nächtlichen Razzien fest, verhören sie ohne die Anwesenheit eines Erziehungsberechtigten, halten sie über längere Zeit fest, bevor sie einem Richter vorgeführt werden, und halten Kinder ab zwölf Jahren in langwieriger Untersuchungshaft. Die Association for Civil Rights in Israel stellte 2017 fest, dass die Behörden 72 Prozent der palästinensischen Minderjährigen aus dem Westjordanland bis zum Ende des Verfahrens in Gewahrsam hielten, aber nur 17,9 Prozent der israelischen Minderjährigen. [36]

Während das Besatzungsrecht Verwaltungshaft nur als vorübergehende und außergewöhnliche Maßnahme zulässt, geht Israels umfassende Anwendung von Verwaltungshaft gegenüber der palästinensischen Bevölkerung in der jahrzehntelangen Besatzung ohne absehbares Ende weit über das hinaus, was das Gesetz zulässt.

GW: In welche Gefängnisse werden die palästinensischen Gefangenen gebracht?

SI: Was die Gefängnisse betrifft, so liegt nur das vom israelischen Gefängnisdienst betriebene Ofer-Gefängnis im besetzten Westjordanland. Die anderen 19 Gefängnisse befinden sich auf israelischem Staatsgebiet. Nach Angaben des israelischen Strafvollzugsdienstes aus dem Jahr 2017 werden durchschnittlich 83 Prozent der palästinensischen Gefangenen nach Israel verlegt und dort inhaftiert, darunter 61 Prozent der inhaftierten Minderjährigen. Diese Verbringung palästinensischer Gefangener außerhalb der OPT ist, wie bereits erwähnt, nach Artikel 76 des Vierten Genfer Abkommens verboten und wird nach Artikel 8 Absatz 2 Buchstabe a Ziffer vii des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs als Kriegsverbrechen eingestuft. Darüber hinaus zieht jede Verletzung von Artikel 76 des Vierten Genfer Abkommens die persönliche strafrechtliche Verantwortung jeder Person nach sich, die direkt oder indirekt an der Verbringung beteiligt ist – gemäß Artikel 146 und 147 desselben Abkommens.

Palästinenser, die ihre in israelischen Gefängnissen inhaftierten Familienangehörigen besuchen möchten, müssen bei den israelischen Sicherheitsdiensten eine Genehmigung beantragen. Dabei handelt es sich um eine Erlaubnis zum Betreten des Besatzungsstaates. Diese Genehmigung ist schwer zu bekommen. Das heißt, dass die palästinensischen Gefangenen, die rechtswidrig in Gefängnisse innerhalb Israels verlegt sind, fast keine Familienbesuche bekommen können, auch wenn die Gefangenen Kinder sind.

GW: Können die im Rahmen von Gefangenenaustauschen freigelassenen Palästinenserinnen und Palästinenser gefahrlos ihr „altes Leben“ wieder aufnehmen, oder droht ihnen eine Re-Inhaftierung innerhalb kurzer Zeit? Weiß man zum Beispiel, welches Schicksal die ca. 1.000 Palästinenser, die im Austausch gegen den israelischen Soldaten Gilad Shalit freigelassen wurden, erwartet hat?

SI: Leider ist es so, dass Palästinenser, die schon ein- oder womöglich mehrmals inhaftiert waren, von Zeit zu Zeit wieder ins Gefängnis gehen müssen, insbesondere in Fällen von Verwaltungshaft. Dies sind allerdings Informationen, die ich aus persönlichen Erzählungen erfahren habe. Ich kenne keine spezifische Forschung oder wissenschaftliche Literatur dazu. Es wäre sicher wichtig, zu diesem Thema Nachforschungen anzustellen.

In Interviews, die der Nachrichtensender Al-Jazeera nach dem Gefangenenaustausch vergangene Woche mit freigelassenen Palästinensern gemacht hat, hat eine große Mehrheit berichtet, dass man ihnen vor der Entlassung angedroht habe, wieder inhaftiert zu werden, falls sie die Entlassung mit ihrer Familie feiern oder wenn sie Handlungen, die als ein Akt des Widerstands eingestuft werden könnten, durchführen würden. Sie mussten Unterlagen, die in hebräischer Sprache geschrieben waren, unterschreiben. Ein paar haben berichtet, dass sie nicht unterschrieben hätten und deswegen geschlagen worden seien. Gravierend finde ich auch die Aussage eines freigelassenen palästinensischen Gefangenen, der behauptet hat, dass seit dem Beginn des israelischen Militärschlags gegen den Gazastreifen Folter in den Gefängnissen stark zugenommen habe und dass die Gefangenen schon seit langem keinen Besuch durch das Internationale Rote Kreuz bekommen hätten.

In Ermangelung wissenschaftlicher Literatur kann ich jedoch nur wiedergeben, was ich in verschiedenen Nachrichten gesehen, gehört oder gelesen habe.

GW: Stimmt es, dass eine Bevölkerung, die sich seit Jahrzehnten unter Besatzung befindet, deren basale Grundrechte tagaus tagein durch die Besatzungsmacht missachtet werden, das Recht hat, sich zu wehren? Wenn ja, wie darf dieser Widerstand aussehen? Gibt es Regeln, die eingehalten werden müssen?

SI: Ich bin keine Völkerrechtlerin, kann aber sagen, dass dies eine Frage ist, die sich nicht in ein paar Sätzen beantworten lässt. Wie bereits erwähnt, erlaubt das Völkerrecht einem Staat, einen anderen zu besetzen, wenn seine Sicherheit gefährdet ist. Aber diese Besetzung muss bestimmte Regeln erfüllen: Sie muss vorübergehend sein, die Besatzungsmacht darf kein Gebiet aus dem besetzten Gebiet annektieren und Siedlungen bauen, um einen Teil ihrer Bevölkerung dorthin zu verlagern. Nach dem humanitären Völkerrecht dürfen Militärverordnungen und/oder Militärgerichte niemals als Mittel zur Unterdrückung der besetzten Bevölkerung oder als Instrument zur politischen oder rassischen Verfolgung eingesetzt werden. Dies alles tut Israel aber. Aufgrund der kolonialen Merkmale der israelischen Besatzung hat das palästinensische Volk das Recht auf Selbstbestimmung, das als ius cogens gilt. Das ius cogens (dt. zwingendes Recht) bezeichnet das unabdingbare, zwingend einzuhaltende Recht.

Das Recht auf Selbstbestimmung der Palästinenser findet sich in vielen Resolutionen wieder, z.B. UN Generalversammlung A/RES/77/208, 28. Dezember 2022, um nur eine der jüngsten zu nennen. Sie „bekräftigt das Recht des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung, einschließlich des Rechts auf einen unabhängigen Staat Palästina“.

Sie besagt, dass ein Volk das Recht hat, frei über seinen politischen Status, seine Staats- und Regierungsform sowie seine wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung zu entscheiden. Dazu gehört auch die Freiheit von Fremdherrschaft. Aus diesen Aussagen ergeben sich besondere Konsequenzen im Hinblick auf die Frage der Legitimität der Gewaltanwendung zur Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts.

Der Völkerrechtler Antonio Cassese schreibt hierzu: „Diese Regel bestimmt, dass, wenn Völkern, die kolonialer Herrschaft oder fremder Besetzung unterliegen, ebenso wie Bevölkerungsgruppen, die wegen ihrer Rasse nicht in der Regierung vertreten sind, gewaltsam das Recht auf Selbstbestimmung verweigert wird, solche Völker und Gruppen rechtlich befugt sind, zu bewaffneter Gewalt zu greifen, um ihr Recht auf Selbstbestimmung zu verwirklichen.“ [37] Der deutsche Völkerrechtler Karl Doehring zieht aus dem Selbstbestimmungsrecht als zwingendem Recht die Schlussfolgerung, dass der Kampf um dieses Recht eine „Ausnahme von dem allgemeinen Gewaltverbot“ ist. [38]

Es bleibt eine wesentliche Frage: Wer ist das Subjekt des bewaffneten Befreiungskampfes? Die Resolutionen der Generalversammlung besagen: Das Subjekt ist das jeweilige Volk; der bewaffnete Kampf der Völker wird für legitim erklärt. [39] Wer ist das Volk? Wer vertritt das Volk? Wer ist berechtigt, im Namen des Volkes einen bewaffneten Befreiungskampf zu führen?

Die Widerstandskämpfer müssen ihre bewaffneten Angriffe gegen die bewaffneten Kräfte der Besatzer und deren einheimische bewaffnete Gefolgsleute in den besetzten Gebieten richten, aber nicht gegen Zivilisten in Israel.

GW: Für Ihre Forschungsarbeit haben Sie einige palästinensische Menschenrechtsorganisationen als Quelle benutzt. Sind darunter auch Organisationen, die von Israel als „Terror-Organisationen“ eingestuft wurden?

Ja, das hat sich in meiner vierjährigen Forschungszeit tatsächlich als Problem herauskristallisiert, denn kurz nachdem ich das vierte und letzte Jahr begann, stufte Israel sechs Menschenrechtsorganisationen als terroristische Organisationen ein. [40] Zwei von ihnen hatte ich bereits als Literatur in meiner Arbeit verwendet: Addameer und Defense for Children International Palestine.

Die sechs von Israel verbotenen NGOs weisen die gegen sie erhobenen Vorwürfe scharf zurück. Sie behaupten, dass diese Einstufung lediglich dazu diene, Kritiker der seit 50 Jahren andauernden israelischen militärischen Besatzung zum Schweigen zu bringen. Associated Press behauptet hingegen, dass die Anschuldigungen gegen solche Organisationen Teil einer politischen Strategie Israels sind, um die Ächtung von Menschenrechtsorganisationen zu rechtfertigen. Der Anwalt Avigdor Feldman wies darauf hin, dass dies ein Versuch Israels sei, Gruppen zu verfolgen, die sich für eine Anklage wegen Kriegsverbrechen gegen Israel vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (IStGH) einsetzten. [41] Der IStGH hat eine Voruntersuchung zu den israelischen Praktiken im besetzten Westjordanland und im Gazastreifen eingeleitet.

Sowohl mein Doktorvater als auch ich beschlossen, diese Quellen dennoch zu verwenden, da ich weder Mitglied noch Angestellte einer dieser Organisationen bin. Ich habe mich lediglich der Aufdeckung von Informationen gewidmet, die sie anbieten. Dies haben auch verschiedene UN-Ausschüsse in ihren Berichten getan und tun dies auch weiterhin.

GW: Vielen Dank für das Interview, Frau Irsheid!


Titelbild: ChameleonsEye / Shutterstock


[«1] Siehe die Bestimmungen des Vierten Haager Abkommens vom 18. Oktober 1907 (die Haager Landkriegsordnung), das Vierte Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten und das Zusatzprotokoll I zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte vom 8. Juni 1977.

[«2] Bar-Tal, Daniel y Eldar, Akiva, Why Israel Does Not Want to Negotiate, Palestine – Israel Journal of Politics, Economics, and Culture, No. 13 (2), 2006, p. 11

[«3] Human Rights Council, A/HRC/53/59, 9. Juni 2023, paras. 10, 17, 39-43.

[«4] Baumgarten-Sharon, Naama y Stein, Yael, Presumed Guilty: Remand in Custody by Military Courts in the West Bank, B’Tselem, Juni 2015, p. 12.

[«5] Artikel 43 der Haager Landkriegsordnung und Artikel 64 des Vierten Genfer Abkommens sehen vor, dass die Zivilbevölkerung, die unter militärischer Besatzung lebt, weiterhin ihren eigenen Gesetzen unterliegt und vor ihren eigenen Gerichten verhandelt wird. Dies entspricht dem grundlegenden Prinzip, dass militärische Besetzungen vorübergehender Natur sein müssen und dass keine Souveränität auf die „Besatzungsmacht“ gemäß der im Genfer Abkommen verwendeten Terminologie übergeht. Nach den Artikeln 43, 64 und 66 des Vierten Genfer Abkommens kann der Besatzungsstaat jedoch die örtlichen Strafgesetze aussetzen oder aufheben, wenn sie eine Bedrohung für seine Sicherheit darstellen, und sie durch Militärgesetze ersetzen, die von ordnungsgemäß eingerichteten, unpolitischen Militärgerichten angewandt werden, sofern diese im besetzten Land tätig sind. Artikel 75 des Zusatzprotokolls I zu den Genfer Konventionen enthält eine Reihe von Bestimmungen zum Verbot der Diskriminierung. Er enthält auch eine Reihe von Mindeststandards für die Behandlung von Personen, die sich in der Gewalt einer an einem internationalen Konflikt beteiligten Partei befinden und die nicht aufgrund einer anderen Bestimmung eine günstigere Behandlung erfahren.

[«6] Al-Waara, Akram, Middle East Eye, A 35-year prison term at 17: Palestinian children and Israeli justice. Palestinian families are accusing Israeli courts of deliberately delaying hearings so their children will receive heavier sentences, 9. Januar 2019, ; Reliefweb, New Israeli law allows children as young as 12 to be jailed, August 2016

[«7] Menschenrechtsausschuss: Allgemeine Bemerkung 29, paras. 3-4.

[«8] PIDCP, art. 4.1; Menschenrechtsausschuss: Allgemeine Bemerkung 29, para. 8.

[«9] UN Press Release, ‘Unchilded’ from birth: UN expert calls for decisive protection of Palestinian children under Israeli rule, 24. Oktober 2023

[«10] Yesh Din, A Semblance of Law: Law Enforcement upon Israeli Citizens in the West Bank, (Juni 2006)

[«11] Defense for Children International Palestine (DCIP), Ramallah, 21. April 2020

[«12] Addameer, B´Selem, MCW y DCI.

[«13] Yesh Din, A Semblance of Law: Law Enforcement upon Israeli Citizens in the West Bank, (Juni 2006)

[«14] A/HRC/53/59, ; U.S. State Department: Jährliche Länderberichte zur Menschenrechtslage 2019, März 2020 ; Amnesty International, Israel und die besetzten palästinensischen Gebiete: Israel begeht Apartheid, sagt der UN-Sonderberichterstatter, 23.03.2022 ; Amnesty International, Israel’s apartheid against Palestinians: Cruel system of domination and crime against humanity, 02. 2022

[«15] Consejo de Derechos Humanos: A/HRC/22/63, 07. Februar 2013, paras. 39-49 ; Addameer, The Israeli Military Court System, Juli 2017

[«16] Addameer, The Israeli Military Court System, Juli 2017

[«17] Idem.

[«18] Human Rights Council: A/HRC/22/63, 07. Februar 2013, paras. 39-49

[«19] Human Rights Council: A/HRC/22/63, 07. Februar 2013, paras. 39-49 ; Nach Human Rights Watch sind es 100 Prozent und nicht 95, Human Rights Watch, Why Does Israel Have So Many Palestinians in Detention and Available to Swap?, 29 November 2023

[«20] Human Rights Watch sind es 100 Prozent und nicht 95, Human Rights Watch, Why Does Israel Have So Many Palestinians in Detention and Available to Swap?, 29. November 2023 ; Auch Human Rights Council, A/HRC/49/87, 12. August 2022, paras. 52-56. Z.B. para. 52: “[…] the Special Rapporteur has concluded that the political system of entrenched rule in the Occupied Palestinian Territory that endows one racial-national-ethnic group with substantial rights, benefits and privileges while intentionally subjecting another group to live behind walls and checkpoints and under a permanent military rule sans droits, sans égalité, sans dignité et sans liberté (without rights, without equality, without dignity and without freedom) satisfies the prevailing evidentiary standard for the existence of apartheid”.

[«21] U.S. State Department: Jährliche Länderberichte zur Menschenrechtslage 2019, März 2020

[«22] Human Rights Council, A/HRC/49/87, 12. August 2022, para. 50 (e).

[«23] Human Rights Council: A/HRC/22/63, 07.02.2013, paras. 39-49 ; CERD: Israel, Doc. ONU: CERD/C/ISR/CO/17-19, 27.01.2020, paras. 10-16, 21-25, 42-47 ; CERD: Observaciones Finales: Israel, DOC. ONU: CERD/C/ISR/CO/13 (2007), para. 35; CAT: Final Observations: Israel, Docs. ONU: CAT/C/SR.297/Add.1 (1997), paras. 5, 8.a; CAT/C/ ISR/CO/4 (2009), para. 14.

[«24] Report of the UN General Assembly, Human Rights Council, A/HRC/37/38, 05.04.2018, para. 30; Human Rights Council, 12.06.2017, A/HRC/35/19, paras. 17 y 18 ; UNICEF: Children in Israeli Military Detention- Observations and Recommendations, 02. 2013.

[«25] Addameer, Imprisonment of Children, Dezember 2017

[«26] Convention on the Rights of the Child: CRC/C/PSE/1, 25. März 2019, para. 208.

[«27] Conclusions and recommendations of the Committee against Torture: Israel, CAT/C /XXVII/Concl.5, 23.11.2001, paras. 47-53; Report of the Committee against Torture: 10 /09 /97. A/52 /44. (Sessional/Annual Report of the Committee) Israel. A/52 /44, 09.05.1997, paras. 253-260; UN General Assembly Report of the Special Committee to Investigate Israeli Practices Affecting the human rights of the Palestinian people and other Arabs of the occupied territories, A/65/44, 09.05.1997, paras. 253-260 and A/65/327, 27.08.2010; Human Rights Council, A/HRC/40/39, 15.03.2019.

[«28] Human Rights Watch, Why Does Israel Have So Many Palestinians in Detention and Available to Swap?, 29. November 2023

[«29] Idem.

[«30] Idem.

[«31] Idem.

[«32] Idem.

[«33] Idem.

[«34] A/HRC/53/59

[«35] Human Rights Council, Special Rapporteur Says Israel’s Unlawful Carceral Practices in the Occupied Palestinian Territory Are Tantamount to International Crimes and Have Turned it into an Open-Air Prison, 10. Juli 2023. Siehe den vollständigen Bericht A/HRC/53/59

[«36] Human Rights Watch, Why Does Israel Have So Many Palestinians in Detention and Available to Swap?, 29. November 2023

[«37] Cassese, Antonio, International Law, Oxford 2001, S. 322.

[«38] Doehring, Karl, Völkerrecht, Heidelberg 2004, S. 348.

[«39] A/Res/ 31/34 Ziffer 1: Die Generalversammlung „Reaffirms the legitimacy of the peoples’ struggle […] including armed struggle”.

[«40] Europäisches Parlament, Parlamentarische Anfragen, 04. November 2021, „Am 22. Oktober erließ das israelische Verteidigungsministerium einen Militärverordnung, in dem sechs palästinensische NGOs (Addameer Prisoner Support and Human Rights Association, Al-Haq, Bisan Center for Research and Development, Defense for Children International-Palestine, Union of Agricultural Work Committees und Union of Palestinian Women’s Committees) beschuldigt wurden, mit der Volksfront für die Befreiung Palästinas in Verbindung zu stehen, und bezeichnete sie als <terroristische Organisationen>

[«41] Federman, Josef AP News, 17. November 2021


Info: https://www.nachdenkseiten.de/?p=108135


unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

13.12.2023

China-Sozialkreditsystem  (s. auch folgenden Artikel)

aus e-mail von Irene Eckert, 13. Dezember 2023, 10:55 Uhr


Wichtig!!!!

Gestern Abend  stimmten 153 Mitglieder (2/3) der UN Sondervollversammlung

zu GAZA für einen sofortigen humanitären Waffenastillstand ohne Wenn

und Aber. Annähernd 200 Staaten waren vertreten. PeinlichsteStimme Israel

und die schwarze Vertreterin der USA. Deutschland enthielt sich wieder.

China hatte letzten Monat den Vorsitz des UNSC! In der UNGV führte Pres.

Ramaposa (SA), der derzeit den Vorsitz hat. BRICS lässt grüßen. Herzlich

Irene Eckert



ein sehr interessanter Artikel zu obigem Thema  (s. auch folgenden Artikel)


https://www.technologyreview.com/2022/11/22/1063605/china-announced-a-new-social-credit-law-what-does-it-mean/



heute 12 Uhr vor der Humboldt-Uni



*                                Stoppt den Genozid in Gaza!

                           Keine Zensur von Kriegsgegnern!*

*Am Mittwoch, den 13. Dezember findet ab 12 Uhr vor dem Hauptgebäude

der Humboldt-Universität* eine öffentliche Kundgebung unter dem

Titel*„Stoppt den Genozid in Gaza! Keine Zensur von Kriegsgegnern!“*

statt.

Zu der Demonstration rufen die HU-Fachschaftsinitiative Islamische

Theologie, die Black Student Union (BSU) an der HU, die Student Union

des Bard College Berlin und die HU-Hochschulgruppe der International

Youth and Students for Social Equality (IYSSE) auf.


Das Massaker muss sofort gestoppt werden! Allein am vergangenen Samstag

wurden im Gazastreifen mehr als 1.000 Menschen durch israelische

Luftschläge getötet. Das Gesundheitsministerium von Gaza gibt an, dass

in den vergangenen zwei Monaten mindestens 15.523 Menschen getötet und

über 36.000 verletzt wurden. 70 Prozent der Toten sind Frauen und

Kinder.


Vor diesem Hintergrund soll die Demonstration vor der

Humboldt-Universität – die ein Zentrum des deutschen Militarismus ist

und sich uneingeschränkt mit Israel solidarisiert hat – ein

internationales Signal senden. *Die wachsende Opposition gegen das

Massaker in Gaza muss ausgeweitet und politisch entwickelt werden!*


unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

13.12.2023

China just announced a new social credit law. Here’s what it means.

technologyreview.com, vom 22. November 2022, By Zeyi Yangarchive page

The West has largely gotten China’s social credit system wrong. But draft legislation introduced in November offers a more accurate picture of the reality.


Tech Review Explains: Let our writers untangle the complex, messy world of technology to help you understand what's coming next. You can read more here. It’s easier to talk about what China’s social credit system isn’t than what it is. Ever since 2014, when China announced a six-year plan to build a system to reward actions that build trust in society and penalize the opposite, it has been one of the most misunderstood things about China in Western discourse. Now, with new documents released in mid-November, there’s an opportunity to correct the record.

For most people outside China, the words “social credit system” conjure up an instant image: a Black Mirror–esque web of technologies that automatically score all Chinese citizens according to what they did right and wrong. But the reality is, that terrifying system doesn’t exist, and the central government doesn’t seem to have much appetite to build it, either. 

Instead, the system that the central government has been slowly working on is a mix of attempts to regulate the financial credit industry, enable government agencies to share data with each other, and promote state-sanctioned moral values—however vague that last goal in particular sounds. There’s no evidence yet that this system has been abused for widespread social control (though it remains possible that it could be wielded to restrict individual rights). 

While local governments have been much more ambitious with their innovative regulations, causing more controversies and public pushback, the countrywide social credit system will still take a long time to materialize. And China is now closer than ever to defining what that system will look like. On November 14, several top government agencies collectively released a draft law on the Establishment of the Social Credit System, the first attempt to systematically codify past experiments on social credit and, theoretically, guide future implementation. 

Yet the draft law still left observers with more questions than answers. 

“This draft doesn’t reflect a major sea change at all,” says Jeremy Daum, a senior fellow of the Yale Law School Paul Tsai China Center who has been tracking China’s social credit experiment for years. It’s not a meaningful shift in strategy or objective, he says. 

Rather, the law stays close to local rules that Chinese cities like Shanghai have released and enforced in recent years on things like data collection and punishment methods—just giving them a stamp of central approval. It also doesn’t answer lingering questions that scholars have about the limitations of local rules. “This is largely incorporating what has been out there, to the point where it doesn’t really add a whole lot of value,” Daum adds. 

So what is China’s current system actually like? Do people really have social credit scores? Is there any truth to the image of artificial-intelligence-powered social control that dominates Western imagination?


Tech Review erklärt: Lassen Sie unsere Autoren die komplexe, chaotische Welt der Technologie entwirren, damit Sie besser verstehen, was als nächstes kommt. Mehr können Sie hier lesen. Es ist einfacher, darüber zu sprechen, was Chinas Sozialkreditsystem nicht ist, als darüber, was es ist. Seit China im Jahr 2014 einen Sechsjahresplan zum Aufbau eines Systems ankündigte, um Handlungen zu belohnen, die Vertrauen in die Gesellschaft aufbauen und das Gegenteil bestrafen, ist dies eines der am meisten missverstandenen Dinge über China im westlichen Diskurs. Jetzt, da Mitte November neue Dokumente veröffentlicht werden, besteht die Möglichkeit, den Rekord zu korrigieren. Für die meisten Menschen außerhalb Chinas rufen die Worte „Sozialkreditsystem“ sofort ein Bild hervor: ein Black Mirror-artiges Netz von Technologien, das automatisch alle chinesischen Bürger danach bewertet, was sie richtig und falsch gemacht haben. Aber die Realität ist, dass dieses schreckliche System nicht existiert, und die Zentralregierung scheint auch nicht viel Lust zu haben, es aufzubauen. Stattdessen ist das System, an dem die Zentralregierung langsam arbeitet, eine Mischung aus Versuchen, die Finanzkreditbranche zu regulieren, Regierungsbehörden den Austausch von Daten untereinander zu ermöglichen und staatlich sanktionierte moralische Werte zu fördern – wie vage insbesondere das letzte Ziel auch sein mag Geräusche. Es gibt noch keine Beweise dafür, dass dieses System zur weitreichenden sozialen Kontrolle missbraucht wurde (obwohl es weiterhin möglich ist, dass es zur Einschränkung individueller Rechte eingesetzt werden könnte). Während die Kommunalverwaltungen mit ihren innovativen Vorschriften viel ehrgeiziger vorgegangen sind, was zu mehr Kontroversen und öffentlichem Widerstand geführt hat, wird es noch lange dauern, bis das landesweite Sozialkreditsystem umgesetzt wird. Und China ist nun näher denn je daran, zu definieren, wie dieses System aussehen wird. Am 14. November veröffentlichten mehrere führende Regierungsbehörden gemeinsam einen Gesetzesentwurf zur Einrichtung des Sozialkreditsystems, der erste Versuch, frühere Experimente zum Sozialkredit systematisch zu kodifizieren und theoretisch als Leitfaden für die zukünftige Umsetzung zu dienen. Dennoch hinterließ der Gesetzesentwurf bei Beobachtern mehr Fragen als Antworten. „Dieser Entwurf spiegelt überhaupt keine große grundlegende Veränderung wider“, sagt Jeremy Daum, Senior Fellow am Paul Tsai China Center der Yale Law School, der Chinas Sozialkredit-Experiment seit Jahren verfolgt. Es sei kein bedeutsamer Strategie- oder Zielwechsel, sagt er. Vielmehr orientiert sich das Gesetz an den örtlichen Vorschriften, die chinesische Städte wie Shanghai in den letzten Jahren erlassen und durchgesetzt haben, beispielsweise zu Datenerfassung und Bestrafungsmethoden – und verleiht ihnen lediglich den Stempel zentraler Zustimmung. Es beantwortet auch nicht die offenen Fragen der Wissenschaftler zu den Grenzen lokaler Vorschriften. „Dabei wird größtenteils das bisherige übernommen, bis zu dem Punkt, an dem es keinen großen Mehrwert mehr bringt“, fügt Daum hinzu. Wie sieht also Chinas aktuelles System eigentlich aus? Haben Menschen wirklich soziale Kreditwürdigkeit? Ist das Bild einer durch künstliche Intelligenz betriebenen sozialen Kontrolle, das die westliche Vorstellungswelt dominiert, wahr?


First of all, what is “social credit”?

When the Chinese government talks about social credit, the term covers two different things: traditional financial creditworthiness and “social creditworthiness,” which draws data from a larger variety of sectors.


Was ist zunächst einmal „Sozialkredit“?

Wenn die chinesische Regierung über Sozialkredite spricht, deckt der Begriff zwei verschiedene Dinge ab: die traditionelle finanzielle Kreditwürdigkeit und die „soziale Kreditwürdigkeit“, die Daten aus einer größeren Vielfalt von Sektoren bezieht.



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The former is a familiar concept in the West: it documents individuals’ or businesses’ financial history and predicts their ability to pay back future loans. Because the market economy in modern China is much younger, the country lacks a reliable system to look up other people’s and companies’ financial records. Building such a system, aimed to help banks and other market players make business decisions, is an essential and not very controversial mission. Most Chinese policy documents refer to this type of credit with a specific word: “征信” (zhengxin, which some scholars have translated to “credit reporting”).

The latter—“social creditworthiness”—is what raises more eyebrows. Basically, the Chinese government is saying there needs to be a higher level of trust in society, and to nurture that trust, the government is fighting corruption, telecom scams, tax evasion, false advertising, academic plagiarism, product counterfeiting, pollution …almost everything. And not only will individuals and companies be held accountable, but legal institutions and government agencies will as well.

This is where things start to get confusing. The government seems to believe that all these problems are loosely tied to a lack of trust, and that building trust requires a one-size-fits-all solution. So just as financial credit scoring helps assess a person’s creditworthiness, it thinks, some form of “social credit” can help people assess others’ trustworthiness in other respects. 

As a result, so-called “social” credit scoring is often lumped together with financial credit scoring in policy discussions, even though it’s a much younger field with little precedent in other societies. 

What makes it extra confusing is that in practice, local governments have sometimes mixed up these two. So you may see a regulation talking about how non-financial activities will hurt your financial credit, or vice versa. (In just one example, the province of Liaoning said in August that it’s exploring how to reward blood donation in the financial credit system.) 

But on a national level, the country seems to want to keep the two mostly separate, and in fact, the new draft law addresses them with two different sets of rules.


Verwandte Geschichte Voreingenommenheit ist nicht das einzige Problem bei der Kreditwürdigkeit – und nein, KI kann nicht helfen Die bisher größte Studie zu Hypothekendaten realer Menschen zeigt, dass Prognosetools zur Genehmigung oder Ablehnung von Krediten für Minderheiten weniger genau sind. Ersteres ist im Westen ein bekanntes Konzept: Es dokumentiert die Finanzgeschichte von Einzelpersonen oder Unternehmen und prognostiziert deren Fähigkeit, künftige Kredite zurückzuzahlen. Da die Marktwirtschaft im modernen China viel jünger ist, fehlt dem Land ein zuverlässiges System, um die Finanzunterlagen anderer Menschen und Unternehmen einzusehen. Der Aufbau eines solchen Systems, das Banken und anderen Marktteilnehmern dabei helfen soll, Geschäftsentscheidungen zu treffen, ist eine wesentliche und wenig umstrittene Aufgabe. Die meisten chinesischen Richtliniendokumente beziehen sich auf diese Art von Kredit mit einem bestimmten Wort: „征信“ (zhengxin, was einige Wissenschaftler mit „Kreditauskunft“ übersetzt haben). Letzteres – „soziale Kreditwürdigkeit“ – sorgt für mehr Stirnrunzeln. Grundsätzlich sagt die chinesische Regierung, dass es ein höheres Maß an Vertrauen in die Gesellschaft geben muss, und um dieses Vertrauen zu fördern, bekämpft die Regierung Korruption, Telekommunikationsbetrug, Steuerhinterziehung, falsche Werbung, akademisches Plagiat, Produktfälschung, Umweltverschmutzung … fast alles . Und nicht nur Einzelpersonen und Unternehmen werden zur Rechenschaft gezogen, sondern auch juristische Institutionen und Regierungsbehörden. Hier beginnt die Sache verwirrend zu werden. Die Regierung scheint zu glauben, dass all diese Probleme lose mit einem Mangel an Vertrauen zusammenhängen und dass der Aufbau von Vertrauen eine einheitliche Lösung erfordert. So wie die Bewertung der finanziellen Kreditwürdigkeit dabei hilft, die Kreditwürdigkeit einer Person zu beurteilen, kann eine Form der „sozialen Kreditwürdigkeit“ Menschen dabei helfen, die Vertrauenswürdigkeit anderer in anderer Hinsicht einzuschätzen. Daher wird das sogenannte „soziale“ Kreditscoring in politischen Diskussionen oft mit dem finanziellen Kreditscoring in einen Topf geworfen, obwohl es sich um ein viel jüngeres Feld handelt, für das es in anderen Gesellschaften kaum Präzedenzfälle gibt. Was es noch verwirrender macht, ist, dass die Kommunalverwaltungen in der Praxis diese beiden Aspekte manchmal verwechselt haben. Möglicherweise sehen Sie also eine Verordnung, in der es darum geht, wie sich nichtfinanzielle Aktivitäten auf Ihre Kreditwürdigkeit auswirken oder umgekehrt. (Um nur ein Beispiel zu nennen: Die Provinz Liaoning sagte im August, sie prüfe, wie Blutspenden im Finanzkreditsystem belohnt werden könnten.) Doch auf nationaler Ebene scheint das Land die beiden weitgehend getrennt halten zu wollen, und tatsächlich geht der neue Gesetzentwurf mit zwei unterschiedlichen Regelwerken darauf ein.


Has the government built a system that is actively regulating these two types of credit?

The short answer is no. Initially, back in 2014, the plan was to have a national system tracking all “social credit” ready by 2020. Now it’s almost 2023, and the long-anticipated legal framework for the system was just released in the November 2022 draft law. 

That said, the government has mostly figured out the financial part. The zhengxin system—first released to the public in 2006 and significantly updated in 2020—is essentially the Chinese equivalent of American credit bureaus’ scoring and is maintained by the country’s central bank. It records the financial history of 1.14 billion Chinese individuals (and gives them credit scores), as well as almost 100 million companies (though it doesn’t give them scores). 

On the social side, however, regulations have been patchy and vague. To date, the national government has built only a system focused on companies, not individuals, which aggregates data on corporate regulation compliance from different government agencies. Kendra Schaefer, head of tech policy research at the Beijing-based consultancy Trivium China, has described it in a report for the US government’s US-China Economic and Security Review Commission as “roughly equivalent to the IRS, FBI, EPA, USDA, FDA, HHS, HUD, Department of Energy, Department of Education, and every courthouse, police station, and major utility company in the US sharing regulatory records across a single platform.” The result is openly searchable by any Chinese citizen on a recently built website called Credit China.

But there is some data on people and other types of organizations there, too. The same website also serves as a central portal for over three dozen (sometimes very specific) databases, including lists of individuals who have defaulted on a court judgment, Chinese universities that are legitimate, companies that are approved to build robots, and hospitals found to have conducted insurance fraud. Nevertheless, the curation seems so random that it’s hard to see how people could use the portal as a consistent or comprehensive source of data.


Hat die Regierung ein System aufgebaut, das diese beiden Kreditarten aktiv reguliert?

Die kurze Antwort ist nein. Ursprünglich, im Jahr 2014, war geplant, bis 2020 ein nationales System zur Verfolgung aller „Sozialkredite“ bereitzustellen. Jetzt ist es fast 2023, und der lang erwartete Rechtsrahmen für das System wurde gerade im Gesetzesentwurf vom November 2022 veröffentlicht. Allerdings hat die Regierung den finanziellen Teil größtenteils geklärt. Das Zhengxin-System – erstmals 2006 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und 2020 erheblich aktualisiert – ist im Wesentlichen das chinesische Äquivalent zum Scoring amerikanischer Kreditauskunfteien und wird von der Zentralbank des Landes verwaltet. Es erfasst die Finanzgeschichte von 1,14 Milliarden Chinesen (und gibt ihnen Kredit-Scores) sowie von fast 100 Millionen Unternehmen (obwohl es ihnen keine Scores gibt). Auf der sozialen Seite waren die Vorschriften jedoch lückenhaft und vage. Bisher hat die nationale Regierung nur ein System aufgebaut, das sich auf Unternehmen und nicht auf Einzelpersonen konzentriert und Daten über die Einhaltung von Unternehmensvorschriften verschiedener Regierungsbehörden zusammenfasst. Kendra Schaefer, Leiterin der Technologiepolitikforschung beim in Peking ansässigen Beratungsunternehmen Trivium China, hat es in einem Bericht für die US-China Economic and Security Review Commission der US-Regierung als „ungefähr gleichwertig mit dem IRS, dem FBI, der EPA, dem USDA und der FDA“ beschrieben , HHS, HUD, Energieministerium, Bildungsministerium und jedes Gerichtsgebäude, jede Polizeistation und jedes große Versorgungsunternehmen in den USA teilen behördliche Aufzeichnungen über eine einzige Plattform.“ Das Ergebnis ist für jeden chinesischen Bürger auf einer kürzlich erstellten Website namens Credit China offen einsehbar. Aber es gibt dort auch einige Daten über Personen und andere Arten von Organisationen. Dieselbe Website dient auch als zentrales Portal für über drei Dutzend (manchmal sehr spezifische) Datenbanken, darunter Listen von Personen, die einem Gerichtsurteil nicht nachgekommen sind, chinesischen Universitäten, die legitim sind, Unternehmen, die zum Bau von Robotern zugelassen sind, und Krankenhäusern, die dazu befunden wurden Versicherungsbetrug begangen haben. Dennoch scheint die Kuration so zufällig zu sein, dass es schwer vorstellbar ist, wie Menschen das Portal als konsistente oder umfassende Datenquelle nutzen könnten.


How will a social credit system affect Chinese people’s everyday lives?

The idea is to be both a carrot and a stick. So an individual or company with a good credit record in all regulatory areas should receive preferential treatment when dealing with the government—like being put on a priority list for subsidies. At the same time, individuals or companies with bad credit records will be punished by having their information publicly displayed, and they will be banned from participating in government procurement bids, consuming luxury goods, and leaving the country.

The government published a comprehensive list detailing the permissible punishment measures last year. Some measures are more controversial; for example, individuals who have failed to pay compensation decided by the court are restricted from traveling by plane or sending their children to costly private schools, on the grounds that these constitute luxury consumption. The new draft law upholds a commitment that this list will be updated regularly.


Wie wird sich ein Sozialkreditsystem auf den Alltag der Chinesen auswirken?

Die Idee ist, sowohl eine Karotte als auch eine Peitsche zu sein. Daher sollte eine Einzelperson oder ein Unternehmen mit einer guten Kreditwürdigkeit in allen Regulierungsbereichen im Umgang mit der Regierung eine Vorzugsbehandlung erhalten – etwa so, als würde sie auf eine Prioritätenliste für Subventionen gesetzt. Gleichzeitig werden Einzelpersonen oder Unternehmen mit schlechter Bonität bestraft, indem ihre Informationen öffentlich angezeigt werden, und es wird ihnen verboten, an öffentlichen Ausschreibungen teilzunehmen, Luxusgüter zu konsumieren und das Land zu verlassen. Die Regierung veröffentlichte im vergangenen Jahr eine umfassende Liste mit den zulässigen Strafmaßnahmen. Einige Maßnahmen sind umstrittener; Beispielsweise ist es Personen, die es versäumt haben, eine vom Gericht entschiedene Entschädigung zu zahlen, untersagt, mit dem Flugzeug zu reisen oder ihre Kinder auf teure Privatschulen zu schicken, mit der Begründung, dass dies Luxuskonsum darstellt. Der neue Gesetzesentwurf sieht die Verpflichtung vor, diese Liste regelmäßig zu aktualisieren.


So is there a centralized social credit score computed for every Chinese citizen?

No. Contrary to popular belief, there’s no central social credit score for individuals. And frankly, the Chinese central government has never talked about wanting one.


Gibt es also einen zentralisierten Sozialkredit-Score, der für jeden chinesischen Bürger berechnet wird? Nein. Entgegen der landläufigen Meinung gibt es keinen zentralen sozialen Kredit-Score für Einzelpersonen. Und ehrlich gesagt hat die chinesische Zentralregierung nie darüber gesprochen, eines zu wollen.


So why do people, particularly in the West, think there is? 

Well, since the central government has given little guidance on how to build a social credit system that works in non-financial areas, even in the latest draft law, it has opened the door for cities and even small towns to experiment with their own solutions. 

As a result, many local governments are introducing pilot programs that seek to define what social credit regulation looks like, and some have become very contentious.

The best example is Rongcheng, a small city with only half a million in population that has implemented probably the most famous social credit scoring system in the world. In 2013, the city started giving every resident a base personal credit score of 1,000 that can be influenced by their good and bad deeds. For example, in a 2016 rule that has since been overhauled, the city decided that “spreading harmful information on WeChat, forums, and blogs” meant subtracting 50 points, while “winning a national-level sports or cultural competition” meant adding 40 points. In one extreme case, one resident lost 950 points in the span of three weeks for repeatedly distributing letters online about a medical dispute.

Such scoring systems have had very limited impact in China, since they have never been elevated to provincial or national levels. But when news of pilot programs like Rongcheng’s spread to the West, it understandably rang an alarm for activist groups and media outlets—some of which mistook it as applicable to the whole population. Prominent figures like George Soros and Mike Pence further amplified that false idea.


Warum glauben die Menschen, insbesondere im Westen, dass dies der Fall ist? 

Nun, da die Zentralregierung selbst im jüngsten Gesetzesentwurf kaum Hinweise zum Aufbau eines Sozialkreditsystems gegeben hat, das in nichtfinanziellen Bereichen funktioniert, hat sie Städten und sogar Kleinstädten die Tür geöffnet, mit ihren eigenen Lösungen zu experimentieren . Aus diesem Grund führen viele Kommunalverwaltungen Pilotprogramme ein, um zu definieren, wie die Regulierung von Sozialkrediten aussehen soll, und einige sind sehr umstritten. Das beste Beispiel ist Rongcheng, eine kleine Stadt mit nur einer halben Million Einwohnern, die das wahrscheinlich berühmteste soziale Kreditbewertungssystem der Welt eingeführt hat. Im Jahr 2013 hat die Stadt damit begonnen, jedem Einwohner eine persönliche Basis-Kreditwürdigkeit von 1.000 zu geben, die durch seine guten und schlechten Taten beeinflusst werden kann. Beispielsweise entschied die Stadt in einer Regel aus dem Jahr 2016, die inzwischen überarbeitet wurde, dass „die Verbreitung schädlicher Informationen auf WeChat, Foren und Blogs“ einen Abzug von 50 Punkten bedeutete, während „der Gewinn eines Sport- oder Kulturwettbewerbs auf nationaler Ebene“ einen Abzug von 40 Punkten bedeutete . In einem Extremfall verlor ein Bewohner innerhalb von drei Wochen 950 Punkte, weil er wiederholt Briefe über einen medizinischen Streit im Internet verteilte. Solche Bewertungssysteme hatten in China nur sehr begrenzte Auswirkungen, da sie nie auf Provinz- oder Landesebene erhoben wurden. Aber als sich die Nachricht von Pilotprogrammen wie dem von Rongcheng im Westen verbreitete, löste das verständlicherweise bei Aktivistengruppen und Medien einen Alarm aus – einige von ihnen hielten es fälschlicherweise für anwendbar auf die gesamte Bevölkerung. Prominente Persönlichkeiten wie George Soros und Mike Pence verstärkten diese falsche Idee noch weiter.


How do we know those pilot programs won’t become official rules for the whole country? No one can be 100% sure of that, but it’s worth remembering that the Chinese central government has actually been pushing back on local governments’ rogue actions when it comes to social credit regulations. 

In December 2020, China’s state council published a policy guidance responding to reports that local governments were using the social credit system as justification for punishing even trivial actions like jaywalking, recycling incorrectly, and not wearing masks. The guidance asks local governments to punish only behaviors that are already illegal under China’s current legislative system and not expand beyond that. 

“When [many local governments] encountered issues that are hard to regulate through business regulations, they hoped to draw support from solutions involving credits,” said Lian Weiliang, an official at China’s top economic planning authority, at a press conference on December 25, 2020. “These measures are not only incompatible with the rule of law, but also incompatible with the need of building creditworthiness in the long run.” 

And the central government’s pushback seems to have worked. In Rongcheng’s case, the city updated its local regulation on social credit scores and allowed residents to opt out of the scoring program; it also removed some controversial criteria for score changes.


Woher wissen wir, dass diese Pilotprogramme nicht zu offiziellen Regeln für das ganze Land werden?

Da kann sich niemand zu 100 % sicher sein, aber man sollte nicht vergessen, dass die chinesische Zentralregierung tatsächlich gegen die unlauteren Aktionen der Kommunalverwaltungen vorgegangen ist, wenn es um die Regulierung von Sozialkrediten geht. Im Dezember 2020 veröffentlichte der chinesische Staatsrat einen politischen Leitfaden als Reaktion auf Berichte, wonach Kommunalverwaltungen das Sozialkreditsystem als Rechtfertigung für die Bestrafung selbst trivialer Handlungen wie Fußgängerüberweg, falsches Recycling und das Nichttragen von Masken nutzten. In den Leitlinien werden die Kommunalverwaltungen dazu aufgefordert, nur Verhaltensweisen zu bestrafen, die im aktuellen chinesischen Gesetzgebungssystem bereits illegal sind, und nicht darüber hinauszugehen. „Als [viele Kommunalverwaltungen] auf Probleme stießen, die durch Geschäftsvorschriften schwer zu regulieren waren, hofften sie, durch Lösungen mit Krediten Unterstützung zu erhalten“, sagte Lian Weiliang, ein Beamter der obersten Wirtschaftsplanungsbehörde Chinas, auf einer Pressekonferenz am 25. Dezember. 2020. „Diese Maßnahmen sind nicht nur unvereinbar mit dem Rechtsstaat, sondern auch unvereinbar mit der Notwendigkeit, die Kreditwürdigkeit langfristig aufzubauen.“ Und der Widerstand der Zentralregierung scheint funktioniert zu haben. Im Fall von Rongcheng aktualisierte die Stadt ihre lokalen Vorschriften zum Sozialkredit-Score und erlaubte den Bewohnern, sich vom Scoring-Programm abzumelden; Außerdem wurden einige umstrittene Kriterien für Ergebnisänderungen entfernt.


Is there any advanced technology, like artificial intelligence, involved in the system?

For the most part, no. This is another common myth about China’s social credit system: people imagine that to keep track of over a billion people’s social behaviors, there must be a mighty central algorithm that can collect and process the data.

But that’s not true. Since there is no central system scoring everyone, there’s not even a need for that kind of powerful algorithm. Experts on China’s social credit system say that the entire infrastructure is surprisingly low-tech. While Chinese officials sometimes name-drop technologies like blockchain and artificial intelligence when talking about the system, they never talk in detail about how these technologies might be utilized. If you check out the Credit China website, it’s no more than a digitized library of separate databases. 

“There is no known instance in which automated data collection leads to the automated application of sanctions without the intervention of human regulators,” wrote Schaefer in the report. Sometimes the human intervention can be particularly primitive, like the “information gatherers” in Rongcheng, who walk around the village and write down fellow villagers’ good deeds by pen.


Ist in dem System eine fortschrittliche Technologie wie künstliche Intelligenz involviert? 

Größtenteils nein. Dies ist ein weiterer weit verbreiteter Mythos über Chinas Sozialkreditsystem: Die Menschen gehen davon aus, dass es einen mächtigen zentralen Algorithmus geben muss, der die Daten sammeln und verarbeiten kann, um das Sozialverhalten von über einer Milliarde Menschen im Auge zu behalten. Das stimmt aber nicht. Da es kein zentrales System gibt, das jeden bewertet, besteht nicht einmal Bedarf für einen derart leistungsstarken Algorithmus. Experten für Chinas Sozialkreditsystem sagen, dass die gesamte Infrastruktur überraschend Low-Tech sei. Während chinesische Beamte manchmal Technologien wie Blockchain und künstliche Intelligenz erwähnen, wenn sie über das System sprechen, sprechen sie nie im Detail darüber, wie diese Technologien genutzt werden könnten. Wenn Sie sich die Website von Credit China ansehen, handelt es sich dabei lediglich um eine digitalisierte Bibliothek separater Datenbanken. „Es ist kein Fall bekannt, in dem die automatisierte Datenerfassung zur automatisierten Verhängung von Sanktionen ohne das Eingreifen menschlicher Regulierungsbehörden führt“, schrieb Schaefer in dem Bericht. Manchmal kann der menschliche Eingriff besonders primitiv sein, wie bei den „Informationssammlern“ in Rongcheng, die durch das Dorf laufen und die guten Taten der Dorfbewohner mit einem Stift niederschreiben.


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However, as the national system is being built, it does appear there’s the need for some technological element, mostly to pool data among government agencies. If Beijing wants to enable every government agency to make enforcement decisions based on records collected by other government agencies, that requires building a massive infrastructure for storing, exchanging, and processing the data. 

To this end, the latest draft law talks about the need to use “diverse methods such as statistical methods, modeling, and field certification” to conduct credit assessments and combine data from different government agencies. “It gives only the vaguest hint that it’s a little more tech-y,” says Daum.


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Wer braucht Demokratie, wenn es Daten gibt? So regiert China mithilfe von Daten, KI und Internetüberwachung. Beim Aufbau des nationalen Systems scheint jedoch ein Bedarf an einem technologischen Element zu bestehen, vor allem um Daten zwischen Regierungsbehörden zu bündeln. Wenn Peking es jeder Regierungsbehörde ermöglichen möchte, Durchsetzungsentscheidungen auf der Grundlage der von anderen Regierungsbehörden gesammelten Aufzeichnungen zu treffen, ist der Aufbau einer riesigen Infrastruktur für die Speicherung, den Austausch und die Verarbeitung der Daten erforderlich. Zu diesem Zweck spricht der jüngste Gesetzesentwurf von der Notwendigkeit, „verschiedene Methoden wie statistische Methoden, Modellierung und Feldzertifizierung“ einzusetzen, um Bonitätsprüfungen durchzuführen und Daten verschiedener Regierungsbehörden zu kombinieren. „Es gibt nur den vagesten Hinweis darauf, dass es etwas technischer ist“, sagt Daum.



How are Chinese tech companies involved in this system?

Because the system is so low-tech, the involvement of Chinese tech companies has been peripheral. “Big tech companies and small tech companies … play very different roles, and they take very different strategies,” says Shazeda Ahmed, a postdoctoral researcher at Princeton University, who spent several years in China studying how tech companies are involved in the social credit system.

Smaller companies, contracted by city or provincial governments, largely built the system’s tech infrastructure, like databases and data centers. On the other hand, large tech companies, particularly social platforms, have helped the system spread its message. Alibaba, for instance, helps the courts deliver judgment decisions through the delivery addresses it collects via its massive e-commerce platform. And Douyin, the Chinese version of TikTok, partnered with a local court in China to publicly shame individuals who defaulted on court judgments. But these tech behemoths aren’t really involved in core functions, like contributing data or compiling credit appraisals.

“They saw it as almost like a civic responsibility or corporate social responsibility: if you broke the law in this way, we will take this data from the Supreme People’s Court, and we will punish you on our platform," says Ahmed.

There are also Chinese companies, like Alibaba’s fintech arm Ant Group, that have built private financial credit scoring products. But the result, like Alibaba’s Sesame Credit, is more like a loyalty rewards program, according to several scholars. Since the Sesame Credit score is mostly calculated on the basis of users’ purchase history and lending activities on Alibaba’s own platforms, the score is not reliable enough to be used by external financial institutions and has very limited effect on individuals.


Wie sind chinesische Technologieunternehmen in dieses System eingebunden? 

Da das System so technologiearm ist, war die Beteiligung chinesischer Technologieunternehmen bisher nur von untergeordneter Bedeutung. „Große Technologieunternehmen und kleine Technologieunternehmen … spielen sehr unterschiedliche Rollen und verfolgen sehr unterschiedliche Strategien“, sagt Shazeda Ahmed, Postdoktorandin an der Princeton University, die mehrere Jahre in China verbrachte und untersuchte, wie Technologieunternehmen am Sozialkreditsystem beteiligt sind . Kleinere Unternehmen, die von Stadt- oder Provinzregierungen beauftragt wurden, bauten größtenteils die technische Infrastruktur des Systems auf, etwa Datenbanken und Rechenzentren. Andererseits haben große Technologieunternehmen, insbesondere soziale Plattformen, dem System geholfen, seine Botschaft zu verbreiten. Alibaba unterstützt beispielsweise die Gerichte dabei, Urteile zu fällen, indem es die Lieferadressen verwendet, die das Unternehmen über seine riesige E-Commerce-Plattform sammelt. Und Douyin, die chinesische Version von TikTok, hat sich mit einem örtlichen Gericht in China zusammengetan, um Personen, die Gerichtsurteile nicht eingehalten haben, öffentlich zu beschämen. Diese Technologieriesen sind jedoch nicht wirklich an Kernfunktionen wie der Bereitstellung von Daten oder der Erstellung von Kreditbewertungen beteiligt. „Sie betrachteten es fast als eine Art Bürgerverantwortung oder soziale Verantwortung von Unternehmen: Wenn Sie auf diese Weise gegen das Gesetz verstoßen, werden wir diese Daten vom Obersten Volksgerichtshof übernehmen und Sie auf unserer Plattform bestrafen“, sagt Ahmed. Es gibt auch chinesische Unternehmen wie Alibabas Fintech-Arm Ant Group, die private Finanzkreditbewertungsprodukte entwickelt haben. Laut mehreren Wissenschaftlern ähnelt das Ergebnis jedoch, ähnlich wie Alibabas Sesame Credit, eher einem Treueprämienprogramm. Da der Sesame Credit Score größtenteils auf der Grundlage der Kaufhistorie und Kreditaktivitäten der Benutzer auf Alibabas eigenen Plattformen berechnet wird, ist der Score nicht zuverlässig genug, um von externen Finanzinstituten verwendet zu werden, und hat nur eine sehr begrenzte Wirkung auf Einzelpersonen.



Given all this, should we still be concerned about the implications of building a social credit system in China?

Yes. Even if there isn’t a scary algorithm that scores every citizen, the social credit system can still be problematic.

The Chinese government did emphasize that all social-credit-related punishment has to adhere to existing laws, but laws themselves can be unjust in the first place. “Saying that the system is an extension of the law only means that it is no better or worse than the laws it enforces. As China turns its focus increasingly to people’s social and cultural lives, further regulating the content of entertainment, education, and speech, those rules will also become subject to credit enforcement,” Daum wrote in a 2021 article.

Moreover, “this was always about making people honest to the government, and not necessarily to each other,” says Ahmed. When moral issues like honesty are turned into legal issues, the state ends up having the sole authority in deciding who’s trustworthy. One tactic Chinese courts have used in holding “discredited individuals” accountable is encouraging their friends and family to report their assets in exchange for rewards. “Are you making society more trustworthy by ratting out your neighbor? Or are you building distrust in your very local community?” she asks.

But at the end of the day, the social credit system does not (yet) exemplify abuse of advanced technologies like artificial intelligence, and it’s important to evaluate it on the facts. The government is currently seeking public feedback on the November draft document for one month, though there’s no expected date on when it will pass and become law. It could still take years to see the final product of a nationwide social credit system.


Müssen wir uns angesichts all dessen immer noch Sorgen über die Auswirkungen des Aufbaus eines Sozialkreditsystems in China machen? 

Ja. Auch wenn es keinen gruseligen Algorithmus gibt, der jeden Bürger bewertet, kann das Sozialkreditsystem dennoch problematisch sein. Die chinesische Regierung betonte zwar, dass alle Strafen im Zusammenhang mit Sozialkrediten den bestehenden Gesetzen entsprechen müssen, Gesetze selbst jedoch von vornherein ungerecht sein können. „Zu sagen, dass das System eine Erweiterung des Gesetzes ist, bedeutet nur, dass es nicht besser oder schlechter ist als die Gesetze, die es durchsetzt. Da China seinen Fokus zunehmend auf das soziale und kulturelle Leben der Menschen richtet und den Inhalt von Unterhaltung, Bildung und Sprache weiter reguliert, werden diese Regeln auch der Strafverfolgung unterliegen“, schrieb Daum in einem Artikel aus dem Jahr 2021. Darüber hinaus „ging es immer darum, die Menschen gegenüber der Regierung ehrlich zu machen und nicht unbedingt untereinander“, sagt Ahmed. Wenn moralische Fragen wie Ehrlichkeit zu rechtlichen Fragen werden, hat letztendlich der Staat die alleinige Entscheidungsgewalt darüber, wer vertrauenswürdig ist. Eine Taktik, die chinesische Gerichte anwenden, um „diskreditierte Personen“ zur Rechenschaft zu ziehen, besteht darin, ihre Freunde und Familienangehörigen dazu zu ermutigen, ihr Vermögen im Austausch für Belohnungen zu melden. „Machen Sie die Gesellschaft vertrauenswürdiger, indem Sie Ihren Nachbarn verpfeifen? Oder bauen Sie Misstrauen gegenüber Ihrer lokalen Gemeinschaft auf?“ Sie fragt. Letztendlich ist das Sozialkreditsystem jedoch (noch) kein Beispiel für den Missbrauch fortschrittlicher Technologien wie künstlicher Intelligenz, und es ist wichtig, es anhand der Fakten zu bewerten. Die Regierung sucht derzeit einen Monat lang nach öffentlichem Feedback zum Entwurf des Dokuments vom November, es gibt jedoch keinen voraussichtlichen Termin, wann dieser verabschiedet und in Kraft treten wird. Es könnte noch Jahre dauern, bis das Endprodukt eines landesweiten Sozialkreditsystems vorliegt.


(übersetzt mit translate.google.de)


Info: https://www.technologyreview.com/2022/11/22/1063605/china-announced-a-new-social-credit-law-what-does-it-mean


unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

13.12.2023

Schlagzeile




Info:


unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

13.12.2023

Ein gekürzter Dialogausschnitt aus der Friedensbewegung vom 11.12.2023 08:42 und vom 09.12.2023 02:42 Uhr

Am 11.12.2023 um 08:24

Hallo Klaus,


mein Opa gehörte auch zu den "Rechtsoffenen".


Mein Opa ging, wie viele, in den 2. Weltkrieg als überzeugter Jungnazi

und kam als entschiedener Kriegsgegner und Nazigegner wieder. In den

letzten Kriegstagen sollte er noch das "letzte Aufgebot" / "Volkssturm"

(in seinem Wohnort Oldenburg) anführen, aber er setzte sich in einen der

letzten Züge zurück an die Front, um dort in Kriegsgefangenschaft zu

gehen - und war zeitlebens froh über dieses Ende.


Fortan war er missionarischer Antikommunist (mit Oswald Spengler und

Goethe). Seine 3 Kinder beteiligten sich an der großen 1968er

Jugendbewegung, für ihn brach eine Welt zusammen. Er blieb strikt

anti-DDR, war treuer Anhänger von Helmut Kohl, aber wenn es um Fragen

von Krieg und Frieden ging, hörte er genau zu, was die Friedensbewegung

und die Linken sagten und prüfte, ob die CDU für ihn wählbar war. Er

befürwortete die Ostpolitik und hielt mir einen beeindruckenden Vortrag,

da ich mir als kleiner Junge einmal Kriegsspielzeug von ihm zu

Weihnachten wünschte (das ich von meinen Eltern ja nicht bekam).


Sein Pazifismus war nicht links, aber es war Pazifismus!



Schlussfolgerung:


--> Eine Linke, die die Gesellschaft und die Welt verändert, muss

rechtsoffen sein!

--> Eine Linke, die fähig ist, um die Hegemonie zu kämpfen (einst war

sie das!), muss offen sein - und damit auch rechtsoffen.


Zu dieser Offenheit muss der Schwur von Buchenwald gehören, als

Grundlage der gesellschaftlichen Linken und des Staats der

Bundesrepublik Deutschland:


https://dasjahr1945.de/wp-content/uploads/2015/02/640px-Schwurvonbuchenwald.gif

https://liberation.buchenwald.de/otd1945/der-schwur-von-buchenwald


640px_Schwurvonbuchenwald


Die Antideutschen - um wieder auf den Ausgangspunkt unserer Diskussion

zu kommen - lassen den Antifaschismus weg, wenn sie über "rechtsoffen"

moralisieren. Und auch die Papierschreiber von "Kampfbegriff oder reales

Problem?" haben den Antifaschismus vergessen. Wie ich schon sagte, geht

es den Antideutschen darum, den Antifaschismus abzuschaffen und durch

eine jämmerliche Form des 'Kampfs gegen den Antisemitismus' zu ersetzen

- wie er uns gerade im Gaza-Krieg als Staatsräson des verlogenen "Wir

sind wieder Wer Militär-Deutschlands" täglich um die Ohren gehauen wird:

mit Blut befleckt.



Der Stand heute:


"Deutsche sind in ihrer Israelsolidarität nicht zurechnungsfähig"


Zitat aus berliner-zeitung.de, vom 3. Dezember 2023, 6:20 Uhr (https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/zukunft-fuer-juden-deutsche-sind-in-ihrer-israelsolidaritaet-nicht-zurechnungsfaehig-li.2163771?id=e096aefdfa304ac4ba426ce02ebd1f88)

. . .

Screenshot_2023_12_13_at_18_03_24_Charlotte_Misselwitz_Zukunft_f_r_Juden_Deutsche_sind_in_ihrer_Israelsolidarit_t_nicht_zurechnungsf_hig_20231203_BerlZtg.pdf

Screenshot_2023_12_13_at_18_04_19_Charlotte_Misselwitz_Zukunft_f_r_Juden_Deutsche_sind_in_ihrer_Israelsolidarit_t_nicht_zurechnungsf_hig_20231203_BerlZtg.pdf


Screenshot_2023_12_13_at_18_05_38_Charlotte_Misselwitz_Zukunft_f_r_Juden_Deutsche_sind_in_ihrer_Israelsolidarit_t_nicht_zurechnungsf_hig_20231203_BerlZtg.pdf

Screenshot_2023_12_13_at_18_06_19_Charlotte_Misselwitz_Zukunft_f_r_Juden_Deutsche_sind_in_ihrer_Israelsolidarit_t_nicht_zurechnungsf_hig_20231203_BerlZtg.pdf

In diesem Artikel durchdringt Charlotte Misselwitz, die aus einem

berühmten Elternhaus der ostdeutschen Friedensbewegung kommt, heute, um

was es in Deutschland geht.


Mit bestem Gruß von Felix



P. S.  Klaus, verrate uns bitte, was es mit den "engen Verbindungen zu

Antideutschen und zur AMAB", von denen Du sprichst, der OTPOR

Jugoslawiens auf sich hat. Im Register von Gerhard Hanloser ("Andere

Querfront") und im Internet findet sich dazu nichts. 

                                                                             Anm.: ist noch unbeantwortet



                                                 *  *  *



Am 09.12.2023 um 02:42 schrieb Klaus Schramm via Friedens-Initiativen:

Hallo Leute!



Am 08.12.23 um 10:46 schrieb Felix Weiland via Friedens-Initiativen:

Der Frieden und die Friedensbewegung sind nicht links!


Hallo Leute!

Lieber Felix!


An einer entscheidenden Stelle muß ich

Dir widersprechen.


Nein, Pazifismus ist links und:

links impliziert Pazifismus!


Es war schon immer dummes Gerede von

orthodoxen, dogmatischen Linken, zu

behaupten, Pazifismus sei "bürgerlich".


Im Kern haben und hatten diese Leute

nie tiefgreifend verstanden, was 'links'

bedeutet, sondern der Begriff 'links'

bestand und besteht für sie in der

Identifikation mit einem der Machtblöcke

  - sei es die Sowjetunion (DKP,

"StalinistInnen",...) oder "Rotchina"

(MaoistInnen...).


Gehen wir doch mal - meinetwegen zunächst

nur hypothetisch - von dieser Definition

aus:


Auf der Grundlage der Erkenntnis, daß in Gesellschaften im Kapitalismus

ein soziales Oben und Unten existiert, ist 'links' das, was den

Interessen derer dient, die unten sind und 'rechts' ist das, was den

Interessen derer dient, die oben sind.


Ebenso unbestreitbar ist es m.E., daß

Krieg immer nur den Interessen derer

dient, die oben in der Gesellschaft

stehen (auch in staatskapitalistischen

Staaten wie es die Sowjetunion war und

das heutige Festlands-China immer noch

ist).


Schon der "bürgerliche" Hermann Hesse

hatte erkannt:

"Ein Krieg kommt nicht aus dem blauen Himmel herab, er muß gleich jeder

anderen menschlichen Unternehmung vorbereitet werden, er bedarf der

Pflege und Mitwirkung vieler, um möglich und wirklich zu werden.

Gewünscht aber, vorbereitet und suggeriert wird er durch die Menschen

und Mächte, denen er Vorteil bringt."


Das zeigt auch ein Blick in die

Geschichtsbücher, denn eine Analyse

der "Vorkriegszeiten" legt in vielen

Fällen offen, welche gesellschaftlichen

Kräfte den Krieg vorbereitet und die

Kriegshysterie in der Bevölkerung

geschürt haben.


Nehmen wir beispielsweise die Zeit vor

dem Ersten Weltkrieg. Viele HistorikerInnen

verbreiten nach wie vor den offenkundigen

Unsinn, die "Völker" Europas seien "schlafwandlerisch"

in diesen Krieg "gestolpert". Als "Auslöser"

wird das Attentat von Sarajevo kolportiert...


Hier ein Auszug aus einem längeren Text von mir:


+++

(...) Noch im selben Jahr 1890, dem Jahr der Entlassung Bismarcks, wurde

der Vertrag mit Rußland nicht verlängert. Das stellte sich später als

schwerer Fehler heraus.


Statt dessen kamen in Deutschland Gelüste nach Kolonien auf. Das

Schlagwort war damals: "Ein Platz an der Sonne!" Tatsächlich ging es bei

der Konkurrenz der europäischen Staaten um Kolonien in Afrika aber um

billig auszubeutende Rohstoffe.


Bismarck hatte noch dem Kolonial-Propagandisten Eugen Wolf trotzig

gesagt: "Ihre Karte von Afrika ist ja sehr schön, aber meine Karte von

Afrika liegt in Europa. Frankreich liegt links, Rußland liegt rechts, in

der Mitte liegen wir. Das ist meine Karte von Afrika."


Nur wenige Jahre später begann Deutschland einen Rüstungswettlauf um die

größte Flotte gegen England. Mit dem im Juni 1900 verabschiedeten

Zweiten Flottengesetz forderte die deutsche Regierung unter Kaiser

Wilhelm II. England dazu heraus, die Finanzmittel für den Flottenausbau

ebenfalls massiv zu erhöhen. Der Bau des HMS Dreadnought im Jahr 1905

läutete den Bau einer ganzen Generation neuer Großkampfschiffe ein.


In den Jahren zwischen 1900 und 1914 bestimmten immer deutlicher die

Kohle- und Stahl-"Barone" Krupp, Kirdorf und Stinnes die Politik. An

ihrer Seite standen die ostelbischen Junker, die ihren

landwirtschaftlichen Großgrundbesitz auf Kosten Rußlands ausdehnen wollten.


Auf der anderen Seite stand damals die SPD. Diese war in den gut 50

Jahren zwischen 1863 und 1914 zu einer Partei mit über einer Million

Mitgliedern mit der zahlenmäßig stärksten Fraktion im Reichstag

aufgestiegen. Sie gehörte zur 'Sozialistischen Internationale', die sich

auf starke Arbeiterparteien in vielen europäischen Ländern stützen

konnte. Auf den Internationalen Sozialisten-Kongressen 1907 in Stuttgart

und 1912 in Basel hatte die SPD eine führende Rolle gespielt und die

europäischen Arbeiter zum Widerstand gegen den nahenden Krieg aufgerufen.


Bis in den Juli 1914 gab es in Deutschland und in ganz Europa

Massendemonstrationen gegen den von den Herrschenden gewollten und

sowohl per Aufrüstung als auch per Propaganda vorbereiteten Krieg. Der

'Vorwärts', die große Parteizeitung der SPD, druckte noch am 25. Juli

1914 einen Appell, der mit den Worten schloß: "Der Weltkrieg droht! Die

herrschenden Klassen, die Euch im Frieden knebeln, verachten, ausnutzen,

wollen euch als Kanonenfutter mißbrauchen. Überall muß den Gewalthabern

in den Ohren klingen: Wir wollen keinen Krieg! Nieder mit dem Kriege!

Hoch die internationale Völkerverbrüderung!"


(...)

Verschwiegen werden darf allerdings nicht die Rolle, die die SPD Mitte

des Jahres 1914 spielte - genauer gesagt: eine Minderheit in der Partei,

die jedoch entscheidende Führungspositionen ergattert hatte:


Am 4. August 1914 ermöglichte sie die letzte entscheidende

Weichenstellung in den Ersten Weltkrieg.


Die Gruppe um Friedrich Ebert - seit 1913 einer der beiden

SPD-Vorsitzenden - konnte durchsetzen, daß die SPD-Fraktion am 4. August

1914 im Reichstag den Kriegskrediten zustimmte. Die Pseudo-Begründung:

"Wir lassen in der Stunde der Gefahr das eigene Vaterland nicht im Stich."


1914 hatte die SPD auch in den Gewerkschaften die Schalthebel in der

Hand: Hätte die SPD-Führung - statt den Kriegskrediten zuzustimmen -

einen Generalstreik ausgerufen, hätte der Erste Weltkrieg verhindert

werden können. Auch in anderen europäischen Staaten wären die

Gewerkschaften dem deutschen Beispiel gefolgt.

+++


Auch im Falle der Jugoslawien-Kriege

bis hin zum Kosovo-Krieg im Jahr 1999

läßt sich klar analysieren, welchen

Interessen die Zerschlagung Jugoslawiens

diente und wie dies ab 1990 vorbereitet wurde.

Es ist auch eindeutig falsch, die Ursache

in ethnischen Konflikten suchen zu wollen.

Die verschiedenen Ethnien hatten in der

Zeit Titos (der unbestreitbar ein Diktator

war, aber im Vergleich zur Sowjetunion

sehr viel mehr Freiheiten "gewährte")

über Jahrzehnte hin friedlich zusammengelebt.

Die ethnischen Konflikte wurden nach 1990

gezielt geschürt. Bruchlinien aufgrund

regionaler Unterschiede zwischen

industrialisierten und daher wohlhabenden

Regionen einerseits und agrarischen,

"unterentwickelten" Regionen andererseits,

die in der Ära Titos durch massive

staatliche Ausgleichszahlungen überdeckt

worden waren, wurden ausgenutzt, um

Separatismus hochzuzüchten. Und daß beispielsweise

OTPOR (nicht zufällig mit engen Verbindungen

zu Antideutschen und zur AMAB!) mit Millionen

US-Dollar nicht nur durch den Pseudo-Philanthropen

George Soros hochgepäppelt wurde, ist hinreichend

bewiesen.


Auf der anderen Seite:

Wem schadet Krieg und wer leidet vor allem

unter Krieg? Das sind die unteren Schichten

in den kriegsführenden Staaten. Ihr objektives

Interesse ist daher gegen jeden Krieg

gerichtet.


Gerade die Entwicklung, die bei den Kriegen

seit dem WK I zu beobachten ist, nämlich

daß der Anteil der Zivilbevölkerung an den

Getöteten im Laufe der Jahre und von Krieg

zu Krieg prozentual drastisch zugenommen

hat, zeigt das objektive Interesse der unteren

Schichten jeder Gesellschaft an der Verhinderung

von Krieg und daher am Pazifismus. Nach gut belegten

Schätzungen ist die Wahrscheinlichkeit für Menschen

aus der Zivilbevölkerung, im Laufe eines Kriegs

getötet zu werden, heute neunmal höher ist als für

Angehörige der kämpfenden Armeen. Das Internationale

Komitees vom Roten Kreuz gibt an, daß ist der Anteil

an Zivilpersonen in der Gesamtzahl der Opfer von

Kriegen im Laufe des 20. Jahrhunderts von 5 Prozent

im WK I auf 90–95 Prozent in den Kriegen, die gegen

Ende des 20. Jahrhunderts stattgefunden haben,

gestiegen ist. Besonders krass ist dies beim

US-amerikanischen Drohnen-Krieg, mit dem auch

die (formale) Unterscheidung zwischen Krieg und

Terror immer mehr eingeebnet wurde.


Wichtig beim Verständnis der gesellschaftlichen

Ursachen von Krieg ist auch eine

Auseinandersetzung mit der falschen und

biologistischen Theorie vom "Aggressionstrieb",

die auf Konrad Lorenz zurückgeht. Sehr

lesenswert ist in dieser Hinsicht das Buch von

Erich Fromm, "Anatomie der menschlichen

Destruktivität", eines von dessen Hauptwerken.


Wichtig ist es hierbei auch, die menschheitsgeschichtliche

Dimension ins Blickfeld zu nehmen und zu realisieren,

daß Krieg in den rund 150.000 Jahren seit Beginn

unserer Existenz als Spezies eine ganz junge

Erscheinung ist. Erst vor rund 12.000 Jahren,

in der Zeit des Neolithikums (Jungsteinzeit)

und mit der Seßhaftwerdung, dem Übergang von Jäger- und

Sammlerkulturen zu sesshaften Bauern mit domestizierten

Tieren und Pflanzen bildeten sich Hierarchien und eine

Spaltung in ein soziales Oben und Unten heraus.


Das hatten auch schon Karl Marx und Friedrich Engels

erkannt - allerdings nicht im Zusammenhang mit der

"kulturellen Errungenschaft" des Kriegs gesehen.


Und erst auf der Grundlage dieser einschneidenden

menschheitsgeschichtlichen Fehlentwicklung, der Entstehung

eines gesellschaftlichen Oben und Unten in der

Zeit zwischen 10.000 und 5.000 v.u.Z. konnten

HerrscherInnen die Kriegführung entwickeln.


Ältere Jäger- und Sammler-Gesellschaften (Beispiele: !Kung,

australische Aborigines) sind hingegen noch weitgehend

egalitär. Ethnologische Untersuchungen matrilinearer (nicht

hierarchisch) formierter Gesellschaften - heute immerhin

noch 13 Prozent aller 1998 weltweit erfaßten indigenen

Völker und Ethnien (1998: 160 von 1267) - im Vergleich zu

feudal oder industriell geprägten Gesellschaften zeigen

deutlich, daß diese friedlicher leben und nach innen wie

auch nach außen weniger Destruktivität aufweisen.


In diesem Zusammenhang nenne ich noch zwei bahnbrechende

BÜcher: Das von Lewis Mumford über die Entstehung

der Megamaschine (leider unter dem verunglückten

Titel "Der Mythos der Maschine" erschienen),

auf das auch Erich Fromm vielfach positiv Bezug

nimmt und das Buch von Gerd Dieckvoß, "Wie kam der Krieg

in die Welt?" (2002).


Es ist m.E. sehr wichtig, zu erkennen, daß die

Entstehung des Phänomens Krieg in der Zeit zwischen

10.000 und 5.000 v.u.Z. sehr eng mit der Herausbildung

von Hierarchien, von Herrschaft, von Stadtstaaten,

von der Entstehung des "Berufsbildes" Soldat und mit

der auch gesellschaftlich nach innen (Polizei)

entstehenden Unterdrückung derer, die sich unten

in der Gesellschaft befinden, zusammenhängt.


Die ist zugleich der Boden für die wohlbegründete

Hoffnung, daß Krieg von der Menschheit auch wieder

abgeschafft werden kann - vermutlich jedoch erst

dann, wenn auch die gesellschaftliche Spaltung

in Oben und Unten beseitigt sein wird.


Ciao

    Klaus


    Klaus Schramm


   (Friedensforum Lahr)


unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

13.12.2023

Neues vom Wirtschaftskrieg (219): EU will russisches Vermögen anzapfen

lostineu.eu, 13. Dezember 2023

Die USA setzen Hunderte auf schwarze Liste – wegen angeblicher Umgehung von Russland-Sanktionen. Die westlichen Sanktionen vergrößern die Not im Niger. Und die EU will eingefrorene Russland-Gelder anzapfen, damit sie der Ukraine helfen. Nun gibt es einen ersten Plan.

  • Eingefrorene Russland-Gelder sollen Ukraine helfen. Die EU könnte im kommenden Jahr erstmals mit Erträgen aus der Verwahrung eingefrorener russischer Zentralbank-Gelder die Ukraine unterstützen. Die EU-Kommission legte nun Vorschläge für Rechtstexte vor. Sie sollen im ersten Schritt dafür sorgen, dass die Erträge gesondert aufbewahrt werden. In einem zweiten Schritt ist dann geplant, einen Teil der Gelder an die Ukraine weiterzuleiten. Vermutlich würde jährlich eine Milliardensumme anfallen, da in der EU nach Kommissionsangaben mehr als 200 Milliarden der russischen Zentralbank eingefroren wurden und die Erträge aus der Verwahrung des Kapitals laufend steigen. (dpa) – Diese Pläne werden seit Monaten diskutiert. Doch sogar die EZB warnt vor der Umsetzung – denn das würde das Vertrauen ausländischer Anleger in die EU und den Euro untergraben!
  • Sanktionen vergrößern Not im Niger. Hilfsorganisationen haben vor verheerenden Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung durch die nach dem Militärputsch im Niger verhängten Wirtschaftssanktionen gewarnt. Viele Nigrer hätten kaum noch Zugang zu Lebensmitteln und medizinischer Versorgung, teilten unter anderem die Welthungerhilfe, Oxfam, Save the Children, der Norwegische Flüchtlingsrat sowie das International Rescue Committee am Dienstag mit. Die Zahl der Nigrer, die auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, steige täglich. Das Land mit rund 27 Millionen Einwohnern gehört zu den ärmsten der Welt. Die vom westafrikanischen Staatenbund Ecowas verhängten Sanktionen hätten „Ausnahmen für humanitäre Zwecke“ beinhalten sollen, die das Leid von mehr als 4,3 Millionen Menschen lindern könnten, kritisierten die Organisationen. (dpa)
  • USA setzen Hunderte auf schwarze Liste. Die USA haben über 250 Einzelpersonen und Unternehmen aus mehreren Ländern auf ihre schwarze Liste gesetzt, um gegen Russland verhängte Sanktionen wegen des Ukraine-Kriegs besser durchzusetzen. Es gehe darum, Russland für seine Verbrechen in der Ukraine und „diejenigen, die Russlands Kriegsmaschinerie finanzieren und unterstützen“ zur Rechenschaft zu ziehen, erklärte US-Außenminister Antony Blinken. Die Betroffenen kommen unter anderem aus China, der Türkei und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Ihnen wurde eine Umgehung von Russland-Sanktionen vorgeworfen. (Reuters)

Mehr zum Wirtschaftskrieg hier

P.S. Nun räumt es auch Springers EU-Portal „Politico“ ein: Die Sanktionen funktionieren nicht. Es kommt aber auch gleich mit einer Schuldzuweisung bzw. Verschwörungstheorie: Es seien westliche Unternehmen, die die Strafen unterlaufen und Russland helfen. Gestern waren es noch die Chinesen…


Info: https://lostineu.eu/neues-vom-wirtschaftskrieg-219-eu-will-nun-doch-russisches-vermoegen-anzapfen


unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.




Weiteres:




Ukraine: Die EU hat ähnliche Budget-Probleme wie die USA


Wegen des Budgetstreits in den USA ist Ukraines Präsident Selenskyj eigens nach Washington gereist, um Hilfsgelder freizumachen. Dabei tobt ein ganz ähnlicher Streit in der EU. Deutschland geht dabei besonders einseitig vor – für Selenskyj will Berlin alles geben.

In den USA sträuben sich die Republikaner gegen neue Ukraine-Hilfen. Es könne nicht angehen, dass US-Präsident Biden dem osteuropäischen Land immer mehr Geld und Waffen zukommen lassen will, sich beim Grenzschutz zu Mexiko aber sträubt. Sie fordern eine härtere Migrationspolitik.

Verrückt, diese Republikaner, heißt es in Deutschland und in der EU. Dabei tobt ein ganz ähnlicher Streit in EUropa. Die EU-Kommission will 50 Mrd. Euro für die Ukraine einsammeln – doch für die Migrationspolitik und andere EU-Aufgaben soll nur rund die Hälfte des Geldes fließen.

Dies sorgt vor dem EU-Gipfel für dicke Luft. Länder wie Italien und Griechenland, die die neue Flüchtlingskrise besonders hart trifft, sehen nicht ein, dass für die Ukraine frisches Geld da sein soll, für sie aber nicht. Deshalb drohen sie mit Widerstand, der Gipfel könnte daran scheitern.

Und was macht Deutschland? Es sorgt nicht etwa für Ausfgleich, sondern geht besonders einseitig vor. Für die Ukraine sei man bereit, frisches Geld nachzuschießen, heißt es in Berliner Regierungskreisen. Für das EU-Budget hingegen empfehlen die Experten aus Berlin Umschichtungen und Kürzungen!

„Die Ukraine braucht jetzt Planbarkeit und eine nachhaltige Unterstützung“, sagten Regierungsvertreter mit Blick auf den bevorstehenden EU-Gipfel. „Insofern ist die Bundesregierung hier bereit, zusätzliches Geld in die Hand zu nehmen, um diese Fazilität entsprechend zu füllen“

Auf Nachfrage, ob die Ukraine trotz der hausgemachten deutschen Haushaltskrise mit neuen Zuschüssen rechnen dürfe, hieß es: JA! Die Hilfe sei auch nicht durch die laufenden Verhandlungen über den Bundeshaushalt 2024 gefährdet.

Offenbar eifert Kanzler Scholz auch im deutsch-europäischen Budgetstreit seinem Übervater Biden nach. Für Selenskyj würde er auch sein letztes Hemd geben – schließlich lässt sich damit der „Notstand“ für 2024 begründen…

P.S. Mehr als 100 Parlamentsabgeordnete europäischer Staaten haben die USA zur Freigabe dringend benötigter Finanzhilfen für die von Russland angegriffene Ukraine aufgefordert. Die Ukraine brauche die gemeinsame Hilfe von Europäern und Amerikanern, schrieben die Parlamentarier in einem offenen Brief an ihre Kollegen im Kongress in Washington. „Unsere gemeinsame Verpflichtung zu Freiheit und Demokratie steht heute auf dem Spiel.“ Zu den Unterzeichnern gehören natürlich auch Roderich Kiesewetter (CDU) und Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP)

10 Comments

  1. Kleopatra
    13. Dezember 2023 @ 08:13

    Scholz ist bei der (notwendigen) Unterstützung der Ukraine mit Waffen keineswegs besonders forsch, sondern so zögerlich, dass ich hier manchmal unterschwellige Sentimentalität des Sozialdemokraten für Russland vermute. Er hat nicht umsonst Anlass zu der scherzhaften Wortbildung „to scholz“ (popularisiert von T.G.Ash) gegeben. Man muss bei Scholz die Differenz zwischen dem Maul und den Taten im Blick behalten.

Reply

  • ebo
    13. Dezember 2023 @ 08:26

    Es geht in diesem Beitrag um Finanzhilfen. Da ist Scholz sehr forsch – für die Ukraine ist frisches Geld da, für EU-Länder wie Italien nicht.
    Auch für Waffen ist immer Geld da, für ein vernünftiges Kindergeld nicht. HIER liegt das Problem der Sozialdemokraten – und nicht in Russland

    Reply

    • Kleopatra
      13. Dezember 2023 @ 08:30

      Alles Geld, das Scholz heute ausgibt, sind Kredite, die unter den kommenden Regierungen abbezahlt werden. Und realistischerweise braucht er nicht davon auszugehen, dass Sozialdemokraten an diesen Regierungen beteiligt sein werden.

  • Stef
    13. Dezember 2023 @ 09:42

    Ich würde sagen, Scholz ist bezüglich der Militärhilfen und Geldzahlungen an die Ukraine sowohl dumm als auch nicht sozialdemokratisch. Letzteres würde mehr Dilpomatie und weniger Waffen bedeuten. Ersteres folgere ich aus dem Desaster, dass er zur Rettung der Ampel für ein einziges weiteres Jahr gerade vorbereitet.

    Wenn die Ampel den Ukrainekrieg zur Begründung einer Notlage als Ausnahme von der Schuldenbremse heranzieht, kann sie sich weder auf vertragliche noch bündnispolitische Verpflichtungen berufen. Sie muss also zwingend die Gefahr für die EU durch Folgekriege überbetonen, die von Russland angeblich ausgeht. Mal abgesehen davon, dass dies weder mit den Worten noch mit den Taten der russischen Regierung in Einklang zu bringen ist, verengt es auch dauerhaft die außenpolitischen Spielräume der Bundesregierung und legt diese aus einer selbst geschaffenen innenpolitischen Zwangslage auf nicht-diplomatische und teure Rüstungspolitik fest. Gut für das Großkapital, schlecht für den Bürger und Steuerzahler. Die Alimentierung der Ukraine, dem korruptesten Staat auf europäischem Boden, wird bis auf weiteres festgeschrieben und mit dem eigenen politischen Schicksal verwoben. Die Ukraine ist ein Fass ohne Boden, ihre Mitverantwortung an dieser Eskalation wird mit Hingabe ausgeblendet und das Interesse der Ampel wird umseo mehr, dass ihre Mitverantwortung auch weiterhin ausgeblendet bleiben wird. Dabei liegt auf der Hand, dass Trump diesen Mxthos erschüttern wird, für Deutschland die Ampel wird damit der transatlantische Graben wieder tiefer, ohne dass man darauf wirklich reagieren könnte. Und dies angekettet an eine ukrainische Regierung, die sich schone seit vor dem Krieg in Sachen extremen Nationalismus weder hinter der russischen noch hinter der israelischen Regierung zu verstecken braucht.

    Hier wird nach einer Serie von deutschen Eigentoren auch noch jede Möglichkeit zur Verbesserung des eigenen Ergebnisses zugenagelt. Oder kann mir jemand den handfesten Benefit dieser Politik für die Bundesrepublik Deutschland (jenseits der Großkapitalisten) erklären?

    Reply

  • Arthur Dent
    12. Dezember 2023 @ 23:42

    „Unsere gemeinsame Verpflichtung zu Freiheit und Demokratie steht heute auf dem Spiel.“ – in der Geopolitik geht es immer um Interessen, Egon Bahr wusste das und die Amerikaner sicher auch. Schließlich kam Egon Bahr ja von RIAS Berlin ????
    Die Amerikaner haben auch ein Ziel formuliert – Russland zu schwächen. Schließlich geht es um die Weltherrschaft. Welches Ziel haben die EU oder Deutschland formuliert?
    „Die Ukraine braucht jetzt Planbarkeit“ – Hat die Ukraine denn einen Plan? Sie dürfte gut 100.000 Soldaten verloren haben wenn nicht mehr und von den gelieferten Waffen dürfte auch nicht mehr viel übrig sein.
    Haben EU und Nato einen Plan – die kratzen nämlich gerade alles zusammen, was sie noch haben?
    Russland (und China) wissen jetzt, das sie die Nato nicht fürchten müssen. Die USA liegen gerade auf dem 3. Platz, die EU unter ferner liefen.

    Reply

  • KK
    12. Dezember 2023 @ 23:20

    „Offenbar eifert Kanzler Scholz auch im deutsch-europäischen Budgetstreit seinem Übervater Biden nach. Für Selenskyj würde er auch sein letztes Hemd geben“

    Weder Scholz noch Biden möchte ich ehrlich gesagt ohne Hemd sehen – selbst wenn man so Selenskyj mal in was anderes als in seinem ewig grünen Militär-T-Shirt sähe, denn den will ich eigentlich gar nicht mehr sehen müssen.

    Reply

  • Stef
    12. Dezember 2023 @ 20:21

    „ Offenbar eifert Kanzler Scholz auch im deutsch-europäischen Budgetstreit seinem Übervater Biden nach. Für Selenskyj würde er auch sein letztes Hemd geben – schließlich lässt sich damit der „Notstand“ für 2024 begründen…“

    Unsere Bundesregierung schafft es mal wieder, ihre zum Scheitern verurteilte Politik aufs engste mit dem eigenen Untergang zu verbinden. Damit beerdigt die Ampel jede Möglichkeit politisch zu manövrieren und nagelt den eigenen Sarg noch fest zu. Das Überleben der Ampel wird von der Fortsetzung ihrer größten Fehler abhängig gemacht. Das ist Selbstmord aus Angst vor dem Tod.

    Der Wähler wird es den Ampelparteien sicherlich danken…

    Hat denn niemand im politischen System Deutschlands einen Funken Selbsterhaltungstrieb?

    Reply

    • KK
      12. Dezember 2023 @ 23:22

      „Hat denn niemand im politischen System Deutschlands einen Funken Selbsterhaltungstrieb?“

      Kubicki – der war sich immerhin schon mal Inseln in der Karikik anschauen!

      Reply

  • european
    12. Dezember 2023 @ 20:00

    Es wird eng für Biden. Der Hintergrund hatte schon vor einigen Monaten darüber berichtet, aber jetzt hat das Committee on Oversight and Accountability der US Regierung veröffentlicht, dass Biden ca. 20 Scheinfirmen unterhielt als er Vizepräsident der Vereinigten Staaten war.

    Eine Kurzform mit Namen befindet sich hier auf der Twitterseite des Kommittees
    https://twitter.com/GOPoversight/status/1734394331442659711

    Die Langform ist auf der Website des Kommittees nachzulesen, Der Artikel stammt aus dem September diesen Jahres und benennt nicht nur den Umfang der Korruption, sondern auch internationale Verstrickungen und vieles mehr.
    https://oversight.house.gov/release/comer-mountain-of-evidence-reveals-joe-biden-abused-his-public-office-for-his-familys-financial-gain%ef%bf%bc/
    In Umfragen liegt Trump deutlich in Führung. Klingt nicht so gemütlich für die Europäer.

    Reply

  • Bogie
    12. Dezember 2023 @ 18:39

    „Für Selenskyj würde er auch sein letztes Hemd geben“
    Wenn es denn seins wäre, sollte es mir Recht sein. Dummerweise ist es aber „unser“ letztes Hemd, das nun leider für (Kinder-) Armutsbekämpfung, Infrastruktur und ähnlichen Firlefanz nicht zur Verfügung steht.

    Reply

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    Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffen


    Info: https://lostineu.eu/budgetstreit-um-die-ukraine-die-eu-hat-aehnliche-probleme-wie-die-usa


    unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.




    Weitreres:




    Neue EU-Schuldenregeln: „Wiederholt nicht die Fehler der Vergangenheit!

    12. Dezember 2023

    Rund 10.000 Gewerkschafter aus Belgien, Frankreich und Italien haben im Brüsseler Europaviertel gegen die geplanten neuen EU-Schuldenregeln protestiert. Es ist Gefahr im Verzuge.

    Noch vor Weihnachten wollen die EU-Finanzminister neue Schuldenregeln erlassen. Offiziell wird damit der überkommene Stabilitäts- und Wachstumspakt reformiert.

    De facto geht es jedoch um eine europäische Schuldenbremse, die fast alle EU-Staaten zu harten Sparmaßnahmen verpflichten würde. Die Aufsicht soll in Brüssel liegen.

    „Wiederholt nicht die Fehler der Vergangenheit“, forderten die Demonstranten. Die Pläne liefen auf eine Austeritätspolitik hinaus, das „soziale Europa“ bliebe auf der Strecke.

    So müsste Belgien sein Budget um 0,7 Prozent des BIP korrigieren, hieß es. Das wären 28,8 Mrd. Euro Kürzungen – über vier bis sieben Jahre. Nur so ließen sich die Vorgaben erreichen.

    Für Deutschland wäre es eine „doppelte Schuldenbremse“ – oder ein neuer „Doppel-Wumms“, nur diesmal unter negativen Vorzeichen. Wie zu erwarten macht Finanzminister Lindner am meisten Druck…

    Siehe auch Rückkehr zur Austerität? – Auch die EU plant eine Schuldenbremse

    3 Comments

    1. Helmut Höft
      13. Dezember 2023 @ 09:27

      Was hilft gegen Unvernunft und Ahnungslosigkeit? Noch mehr Unvernunft und Ahnungslosigkeit! Der Schwachsinn: „Politik fesselt sich selbst aus Angst vor sich selbst!“ ist nicht mit Worten zu beschreiben. Dieter Grimm hat das, bezügluch der deutschen …bremse versucht. Zitat:

      „… Der Staatsrechtler und ehemalige Verfassungsrichter Dieter Grimm hat schon vor langem festgestellt, dass die ausschweifenden Grundgesetzänderungen einen Verstoß gegen demokratische Spielregeln darstellen: Wer in das Grundgesetz Dinge schreibt, die eigentlich in einfache Gesetze oder sogar nur in deren Durchführungsbestimmungen gehören, der macht neuen politischen Mehrheiten das Leben schwer; … Je mehr also durch die Verfassung festgeschrieben wird, umso schmaler ist der Raum für neue Mehrheitsentscheidungen. Das rächt sich nun bei der Schuldenbremse ganz bitterlich.“ (siehe hier, unten: https://www.hhoeft.de/mythos/index.php/2023/11/23/die-schuldenbremse-zeigt-ihren-wert-und-ihre-zaehne-teil-4714/ )

      Das wird jetzt in die EU exportiert.

      Was passiert wenn der Staat Schulden abbaut hat Stephanie Kelton beschrieben: Rezession! (hier zitiert, unten https://www.hhoeft.de/mythos/index.php/2023/11/28/vorlaeufige-zusammenfassung-bremse-teil-4716/ )

    Reply

  • Arthur Dent
    12. Dezember 2023 @ 15:34

    „Die Aufsicht soll in Brüssel liegen“ – ein Rattenrennen um die asozialsten Lebensbdingungen beginnt und eine weitere Entmachtung der nationalen Parlamente. Da kann man nur hoffen, dass nicht nur das „soziale Europa“ auf der Strecke bleibt!
    Wer sagte noch, Karthago muss zerstört werden?

    Reply

  • KK
    12. Dezember 2023 @ 14:55

    „…die fast alle EU-Staaten zu harten Sparmaßnahmen verpflichten würde.“

    Da schlage ich den sofortigen Stop von Kriegsbeihilfen an Drittstaaten vor. Stattdessen könnte man es ja mal mit diplomatischen Bemühungen um Frieden versuchen, dann geht auch nicht noch mehr kaputt, was man wieder aufzubauen sich verpflichtet fühlen könnte.


  • Info: https://lostineu.eu/wiederholt-nicht-die-fehler-der-vergangenheit


    unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

    13.12.2023

    Nachrichten von Pressenza:

    Unruhen nach umstrittener Wiederwahl in Sierra Leone

    aus e-mail von <newsletter@pressenza.com>, 13. Dezember 2023, 7:17 Uhr


    Nachrichten von Pressenza - 13.12.2023


    Unruhen nach umstrittener Wiederwahl in Sierra Leone


    Nach dem elfjährigen sinnlosen Bürgerkrieg in meinem Land Sierra Leone bemühte sich die wichtigste Oppositionspartei APC (All People&#8217;s Congress) sehr um die Stabilität des Landes. Sie versuchte, bestimmte Modalitäten zu schaffen, indem sie die grundlegenden Annehmlichkeiten wie eine angemessene Wasserversorgung,&hellip;

    http://www.pressenza.net/?l=de&track=2023/12/unruhen-nach-umstrittener-wiederwahl-in-sierra-leone/


     -----------------------


    Atomwaffen für Europa


    Berlin: Forderung nach atomarer Bewaffnung der EU im Wettrüsten mit Moskau wird lauter. Ex-Außenminister Josef Fischer verlangt Aufbau einer „atomaren Abschreckung“. Paris erklärt nuklearen Erstschlag für möglich. In Deutschland erstarkt die Forderung nach einer atomaren Bewaffnung der EU. Einem Plädoyer&hellip;

    http://www.pressenza.net/?l=de&track=2023/12/atomwaffen-fuer-europa/


     -----------------------


    Pressenza - ist eine internationale Presseagentur, die sich auf Nachrichten zu den Themen Frieden und Gewaltfreiheit spezialisiert hat, mit Vertretungen in Athen, Barcelona, Berlin, Bordeaux, Brüssel, Budapest, Buenos Aires, Florenz, Lima, London, Madrid, Mailand, Manila, Mar del Plata, Montreal, München, New York, Paris, Porto, Quito, Rom, Santiago, Sao Paulo, Turin, Valencia und Wien.


    unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

    13.12.2023

    Fremde Federn   Arbeiterparadies, AI Act, Klimaanpassung

    makronom.de, vom 12. Dezember 2023

    In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.



    Die Welt, ein einziges Arbeiterparadies


    piqer: Jannis Brühl

    Ein guter Beitrag aus dem Economist, der etwas schafft, was mir immer wichtiger wird: Zu einem hochrelevanten Thema den großen Bogen über die Tagesaktualität hinaus zu spannen. Es geht um die Situation der Arbeiter beziehungsweise Angestellten. Die Diagnose: Arbeiter gelten weiterhin als die geprügelte Schicht, in der niemand sein möchte. Aber mehrere Faktoren machen unsere Zeit zum „goldenen Zeitalter für Arbeiter“.

    Alles läuft demnach auf höhere Löhne zu:

    • Die Alterung der Gesellschaften macht Arbeit rarer und damit besser bezahlt. Deutschland wird als Beispiel mit besonders wenig Arbeitslosen genannt.
    • Damit einhergehend: Die Offshoring-Drohung wird weniger wirksam, denn auch China altert rapide. Das senkt den Spielraum für Unternehmen, Arbeiter im Westen schlecht zu behandeln.
    • Regierungen von den USA bis Deutschland pumpen viel Geld in ihre Wirtschaften, zum Beispiel in die Energiewende (Schuldenbremsen hin oder her).
    • Künstliche Intelligenz macht auch niedrigqualifizerte Menschen produktiver. Produkte werden billiger, Wohlstand steigt.
    • Immigration in die reichen Länder findet nicht in dem Ausmaß statt, in dem sie nötig wäre, um die Lücken zu füllen.

    Ich bin skeptisch, wie das alles in Zeiten hoher Inflation gelingen soll. Oft vergessen wird zudem: Die Konsumansprüche sind in allen Schichten gestiegen. Das macht vergleichsweise gute Bezahlung im unteren Teil der Gesellschaft weniger befriedigend.

    Manche mögen den Economist verdächtigen, neoliberale Propaganda zu verdächtigen, nach dem Motto: „Die Arbeiter sollen sich nicht beschweren, denen geht’s doch gut!“

    Das alles liest sich auch stellenweise etwas blauäugig, zum Beispiel bei der Annahme, die Arbeitsmärkte würden sich schon toll an die KI-Revolution anpassen. Als könne es nun keine Verwerfungen mehr geben. Doch in seiner Zusammenfassung der Makrotrends überzeugt mich der Artikel. Ein gutes Gegengift gegen Panik bei den Themen Wirtschaft, Arbeit und Migration.

    economistWelcome to a golden age for workers




    Der Green New Deal ist Opium für das Volk


    piqer: Ole Wintermann

    Diese These vertritt der Degrowth-Vordenker Kohei Saito nicht zuletzt in seinem Buch und in seinem aktuellen Debattenbeitrag für die progressive „The Nation“-Plattform.

    Das Konzept des Green New Deal, das sowohl in der Politik der EU als auch der der USA umgesetzt wird, dient aus seiner Sicht nur der Beruhigung des Gewissens und der Gesellschaft im globalen Norden. Einen tatsächlichen Klimaschutz kann es aber mit der ökonomischen Flucht nach vorn nicht geben. Er nennt hierfür zwei simple Gründe. Wirtschaftswachstum, was ja auch durch den Green New Deals ausgelöst wird, zieht auch neues, vorher nicht existierendes Wachstum nach sich. Und zudem werden die Produktivitätsgewinne nicht dazu genutzt, um mehr Freizeit oder Einkommen für Beschäftigte zu generieren, sondern um neue Geschäftsfelder für die – relativ gesehen – freigewordenen Ressourcen zu generieren. Der moderne Kapitalismus befindet sich seiner Meinung nach daher in der Wachstumsfalle. Der Kapitalismus ist nicht fähig, eine Antwort auf die Notwendigkeit einer Umverteilung des weltweiten Konsums in den Süden zu geben, geschweige denn, mit einem reduziertem Konsum umzugehen.

    Reduzierter und umverteilter Konsum ist seiner Meinung nach aber unabdingbar, um die mit dem Konsumwachstum einhergehenden Treibhausemissionen absolut – und nicht nur relativ – vom Wachstum zu entkoppeln. Es steht faktisch einfach keine Technologie bereit (und wird dies auch absehbar nicht), die eine relevante Menge an CO2 aus der Atmosphäre zu realistischen Preisen entfernen kann. Daher bleibt, so Saito, ganz einfach nur der Verzicht auf weitere materiellen Anhäufung im globalen Norden.

    Ich bin mir ziemlich sicher, dass Gesellschaft, Wirtschaft und Politik im globalen Norden für diese Option des Klimaschutzes nicht bereit sind. Lässt dieser Fakt die These von Saito aber deshalb ungültig werden? Wohl kaum. Die Natur lässt nicht mit sich verhandeln.

    the nationThe Green New Deal Is the Opiate of the MassesAutor: Kohei Saito





    Stephen Fry: Griechische Mythologie, Singularität und der EU AI Act


    piqer: René Walter

    Gestern hat die EU sich nach einer Marathon-Sitzung auf Grundzüge des „AI Act“ geeinigt und das Regelwerk für Künstliche Intelligenz beschlossen. Der AI Act schreibt, zusammengefasst, Transparenz der Trainingsdaten und Schutz von Urheberrechten vor, sowie strenge Auflagen für den risikoreiche Anwendingen von AI in kritischer Infrastruktur, Sicherheitsbehörden und beim Einsatz von Biometrie-Daten. Es ist nicht das weltweit erste AI-Gesetz, wie Ursula von der Leyen auf TwiX behauptet (China hat seine AI-Regeln im August erlassen) – aber sicherlich das umfassendste. Details zum AI Act findet man auf der Website des European Council.

    In dem von mir gepiqten Video geht es nicht um den AI Act. In seinem nur halbstündigen Vortrag beim CogX-Festival in London ging Stephen Fry vor wenigen Wochen ein paar Schritte zurück und nimmt das große Bild ins Visier: Wie kann die kommende Flut an technologischem Fortschritt, denn dieser wird nicht bei aktuellen Entwicklungen wie den Big Data-basierten und algorithmisch erzeugten statistischen Modellen mit ihren erstaunlichen Fähigkeiten und Fehlleistungen – also aktuellen AI-Systeme –stehenbleiben, sondern mit zunehmender technologischer Leistungsfähigkeit in Computing zu einer weiteren Innovationsbeschleunigung führen: Heute denken wir über eine epistemische Krise der Welterkenntnis in Zeiten von Deepfakes, Überwachung und Biowaffen durch AI nach, während am Horizont heute bereits Brain-Computer-Interfaces und Quantencomputer auftauchen. Gleichzeitig steht mit dem Klimawandel die wohl herausragendste aller Krisen bevor, die bereits seit einigen Jahren erste Auswirkungen zeigt und die stetig steigenden Emissionen neue Rekorde aufstellt. Wie können wir, kurz gesagt, sicherstellen, dass die kommende Real Life Version von dem, was allgemein als „Singularity“ bezeichnet wird, zum Wohl der Menschheit ausfällt?

    Eine abschließende Antwort bietet Fry nicht, sondern er erzählt die bekannte Sage von Prometheus aus der griechischen Mythologie, in der der griechische Gott das segensreiche Feuer von Zeus stahl und den Menschen schenkte, nur um dafür an einen Felsen gekettet zu werden, wo Geier für alle Ewigkeit von seiner Leber fraßen. Und Zeus schickte zur Strafe die Büchse der Pandora auf die Erde, die alles Schlechte unter die Menschen brachte, bis nur noch die Hoffnung zurückblieb.

    Fry stellt uns vor die Wahl, ob wir der feuerschenkende Gott Prometheus sein wollen, der den Menschen den Funken künstlicher Intelligenz schenkt, oder der Göttervater Zeus, mit strengen Regulationen angesichts der kommenden, vor allem AI-basierten Technologiesprünge, die sich abzeichnen: Deep Learning Algorithmen haben jüngst 2,2 Millionen neuer Kristallstrukturen ausgerechnet, „800 years’ worth of knowledge“, die für neuartige Technologien und Innovationen etwa in der Herstellung von Solaranlagen eingesetzt werden können. Eine weitere Studie bestätigt die Fähigkeit von Large Language Models in der Entdeckung neuer Moleküle für die Pharmaforschung, mit dem Versprechen neuer und (möglicherweise) billigerer Medikamente, und eine Studie vom Juli über die Beschleunigung wissenschaftlicher Forschung mit AI fand heraus, dass Systeme Künstlicher Intelligenz, die explizit auf menschliche Interferenzen im Forschungsprozess trainiert werden – also all die Einsteins, die völlig neuartige Theorien aufstellen – und so den Konsens des akademischen Betriebs vermeiden, die Vorhersage dieser KI-Systeme zukünftiger Entdeckungen um 400 % steigert. Diese Dinge sind heute möglich.

    Ich selbst bin Anhänger einer Entschleunigung der Entwicklung (vor allem aus psychologischen Gründen) und einer starken KI-Regulierung, wie sie sich im EU-Act abzeichnet. In meinem Newsletter Against open sourcing Automatized Knowledge Interpolators habe ich vor einigen Wochen gegen Open Source AI argumentiert: KI-Systeme sind in der Lage, die oben aufgezählten wissenschaftlichen Sprünge zu verursachen, weil sie ihre Trainingsdaten umfassend und in nie gekannter Geschwindigkeit interpolieren können. Man trainiert eine AI auf bekannte Kristallstrukturen und erhält in wenigen Stunden ein paar Millionen neue Kristalle. Man ändert den Algorithmus und erhält 40.000 neue Chemiewaffen. Diese grundlegend neue, nicht-menschliche Macht der Interpolation bekannten Wissens ist gleichzusetzen mit epistemologischer Kernfusion. Eine strenge Regulation dieser epistemologischen Macht erscheint mir zwingend notwendig und die althergebrachten, techno-traditionellen Ansätze freier Open Source-Entwicklung erscheint mir hier durchaus gefährlich.

    Ich denke auch nicht, dass wir nur die Wahl haben zwischen Prometheus und Zeus. Prometheus AI-Funke, über den Stephen Fry in seinem Vortrag spricht, ist tatsächlich und zuvorderst Big Data, denn alle AI-Modelle basieren auf exzessiven Datenbanken voller Trainingsdaten. Und genau die wurden nun von einer EU reguliert, die auf Daten-Transparenz und Qualität besteht. In Stephen Frys Worten insistiert die EU also darauf, dass Prometheus Feuer-Geschenk ein tatsächlich ordentliches Feuer darstellt, und nicht einen umherflackernden, unkontrollierbaren Brandherd.

    Der AI Act der EU ist ein Update der griechischen Sage von Prometheus: In der aktualisierten Version gibt Zeus seine Flamme selbst an Prometheus und besteht auf kontrolliertem Funkenschlag, sodass es nicht die Dörfer der Menschen abfackelt, und auf transparenter Beschaffung des Brennmaterials, die nicht hemmungslos das Feuerholz der Menschen ausbeutet. Ich kann mit dieser neuen, frei adaptierten Fry’schen AI-Mythologie der EU vorerst gut leben.

    youtubeStephen Fry on How to use AI as a force for good




    Künstliche Intelligenz im Dienste der Nachhaltigkeit


    piqer: Ole Wintermann

    Nach wie vor wird Künstliche Intelligenz (KI) eher thematisiert, wenn es wie in den letzten Tagen auch um die Regulierung von KI geht, um Gefahren für die Menschheit oder massenhafte Überwachung im öffentlichen Raum in Demokratien auszuschließen. Dass aber KI einer der entscheidenden Stellhebel für mehr Klimaschutz ist, wird fataler Weise zu oft übersehen. Dieser Beitrag bei CNN bietet einen umfassenden Einblick in die gegenwärtige Nutzung von KI für mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz.

    So kann KI eingesetzt werden, um in Regionen, die von Dürre und Überschwemmungen geplagt sind, 20 Jahre im voraus zu berechnen, wie sich die Ernten bei bestimmten Pflanzen verändern werden und ob es sich noch lohnt, die analysierte Pflanze in der Region zu kultivieren.

    Das Anpflanzen von CO2-speicherndem Seegras kann mit Hilfe von KI optimiert werden, die die zahlreichen Wechselwirkungen der Meeresströmungen, der Auswirkungen von Tourismus an der Küsten, der Verteilung von Toxinen mit den Standortbedingungen des Seegrases berücksichtigen kann.

    KI ermöglichst erstmals die saisonale Betrachtung der Veränderung des Permafrostes infolge der Klimaveränderung. Sie kann zudem seit neuestem präzisere Wetterprognosen erstellen als die etablierten Wettermodelle und damit die Wechselwirkung des Wetters mit dem Smart Grid und der Bereitstellung von erneuerbaren Energien vorausberechnen; dies ist eine der wichtigsten Voraussetzungen der effizienten Nutzung von PV- und Windenergien. In naher Zukunft werden erste KI-Anwendungen Marktreife erlangen, die als Nachhaltigkeits-Coach den Konsumentinnen Hinweise geben, wie der eigene Alltag nachhaltiger gestaltet werden kann.

    Wenngleich es gegenteilige Effekte dadurch geben kann, dass die KI den Strombedarf wird steigen lassen, überwiegen doch per Saldo eindeutig die positiven Wirkungen der Technik, da in den unterschiedlichsten Kontexten die Relation von Ressourceninput und Outcome verbessert werden wird. Der entscheidende Vorteil gegenüber menschlichen Entscheidungen besteht in der Prognosefähigkeit der KI, die kein Mensch durch subjektive Einzelfallbetrachtungen und zeitintensive Versuch-und-Irrtum-Testreihen übertreffen kann.

    Lasst uns das positive Potenzial dieser Technik intensiv nutzen.

    cnn How AI could power the climate breakthrough the world needs Autorinnen: Clare Duffy & Rachel Ramirez




    Wie sich Deutschland an den Klimawandel anpassen kann


    piqer: IE9 Magazin

    Deutschland ist schon jetzt stärker vom Klimawandel und seinen Folgen betroffen als andere Länder und Regionen. Die Temperatur liegt im Jahresdurchschnitt 1,7 Grad über der vorindustriellen Zeit. Außerdem häufen sich Hitzewellen und Dürren, Starkregen und Überflutungen. Nicht ausgelöst, aber begünstigt durch das veränderte Klima ist auch das Risiko schwerer Waldbrände gestiegen.

    Doch während auf internationaler Ebene Klimaschutz (mitigation) und Klimaanpassung (adaptation) schon lange gemeinsam gedacht werden, hat Deutschland hier Nachholbedarf. Erst diesen November verabschiedete der Bundestag das „Klimaanpassungsgesetz“. Doch immerhin: An Ideen, wie sich das Land für die Folgen des Klimawandels rüsten kann, mangelt es nicht. Sie reichen von mehr Natur bis Zukunftstechnologien.

    Der Artikel stellt verschiedenste Ansätze vor, fokussiert sich dabei auf die Bereiche Starkregen und Hochwasser, Dürren und Waldbrände sowie städtische Hitzeinseln. Diskutiert werden also Maßnahmen wie die Renaturierung von Auen, die Installation KI-gestützter Frühwarnsysteme für Extremwetter oder sogar Pläne aus Japan, Starkregen technisch ganz zu unterbinden. High-Tech-Landwirtschaft und gentechnisch geschaffene Pflanzen werden genauso vorgestellt wie regenerative Farmen oder Schwammstädte.

    1e9Wie Klimaanpassung in Deutschland gelingen kannAutor: Wolfgang Kerler




    Rankings und „Studien“: Viele Klicks, wenig Substanz


    piqer: Simon Hurtz

    Die lebenswertesten Städte, elitärsten Universitäten, glücklichsten Länder und besten Bahnhöfe – Menschen lieben Rankings und Superlative, Medien lieben es, in Superlativen über Rankings zu berichten. So weit, so unproblematisch. Ärgerlich wird es, wenn Medien vor lauter Ranglistenliebe vergessen zu hinterfragen, worüber sie da eigentlich schreiben.

    Einen besonders offensichtlichen Fall von blinder Begeisterung für absurde Rankings beschreibt Sebastian Wilken für Übermedien. Der „European Railway Station Index 2023“ bewertet große Bahnhöfe in Europa und sortiert sie nach ihrer Passagierfreundlichkeit. Die Schlagzeilen lauteten:

    • „Der schlechteste Bahnhof Europas ist …“ (Bild)
    • „Das ist der schlechteste Bahnhof Europas“ (Spiegel)
    • „Deutschland belegt (mal wieder) den ersten Platz: Das sind die schlechtesten Bahnhöfe Europas“ (Stern)
    • „Die letzten sechs Plätze gehen alle an deutsche Bahnhöfe“ (Welt)


    Das garantiert Klicks, hat aber einen Haken:

    Medien, die über die Rangliste und die schlimmen deutschen Bahnhöfe berichten, sind einer fragwürdigen Studie auf den Leim gegangen, die von einer umstrittenen US-amerikanischen Lobby-Organisation stammt.

    Warum die Studie Murks ist, beschreibt Wilke in den folgenden Absätzen. Allein ein Blick auf den Absender hätte gereicht. Lobbycontrol schreibt über das „Consumer Choice Center“:

    Die Organisation selbst gibt an, ‚Verbraucher in über 100 Ländern auf der ganzen Welt‘ zu vertreten, lobbyiert aber in erster Linie gegen jegliche Art von staatlicher Regulierung. Insbesondere staatliche Maßnahmen im Bereich des Klima-, Umwelt- und Gesundheitsschutzes versucht das CCC durch Lobbyarbeit auf EU-Ebene und öffentliche Kampagnen zu untergraben.

    Ich piqe diesen Text nicht nur wegen des plastischen Beispiels, sondern auch, weil es eben kein Einzelfall ist. Ich stoße ständig auf angebliche „Studien“ oder Datenerhebungen, die bei genauerem Hinsehen vieles sind, aber ganz sicher nicht aussagekräftig oder repräsentativ.

    Leider hält das manche Medien nicht davon ab, darüber zu berichten. Am Ende bleibt mir als Leser nichts übrig, als das (oft nicht verlinkte) Original zu suchen, Datengrundlage und Methodik anzusehen – und mich dann zu ärgern, mit so einem Quatsch meine Zeit vergeudet zu haben.

    Übermedien„European Railway Station Index“: Medien verstehen nur BahnhofAutor: Sebastian Wilken


    Info: https://makronom.de/arbeiterparadies-ai-act-klimaanpassung-45541?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=arbeiterparadies-ai-act-klimaanpassung


    unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

    13.12.2023

    Dr. Ganser: USA - Deutschland - eine schwierige Beziehung - Gespräch mit Oskar Lafontaine (6.11.23)

    Info: https://www.youtube.com/watch?v=5YArdl0xru4


    unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

    13.12.2023

    Auf dem Weg zur Eigenständigkeit (II) Der Einsatz der Bundeswehr in Mali ist zu Ende. Den europäischen Truppen ist es nicht gelungen, die Jihadisten im Sahel zu besiegen. Mali, Burkina Faso und Niger versuchen dies nun mit Unterstützung Russlands.

    german-foreign-policy.com, 13. Dezember 2023

    BAMAKO/BERLIN (Eigener Bericht) – Der Einsatz der Bundeswehr in Mali ist zu Ende. Am gestrigen Dienstag zogen die letzten 142 deutschen Soldaten aus ihrem nun ehemaligen Stützpunkt im nordmalischen Gao ab und machten sich auf den Rückweg nach Deutschland, wo sie am Freitag erwartet werden. Die Bundeswehr war zehn Jahre lang in dem Land stationiert, die meiste Zeit an der Seite französischer Kampftruppen sowie im Rahmen eines EU- (EUTM Mali) und eines UN-Einsatzes (MINUSMA). Sollten damit jihadistische Milizen im Sahel besiegt werden, so konnten diese letztlich ihr Operationsgebiet ausweiten und nach Nordmali auch das Zentrum des Landes zum Bürgerkriegsschauplatz machen. Während in der Bevölkerung Proteste gegen die europäischen Truppen erstarkten, wandten sich ab 2020 auch Malis Putschregierungen gegen deren Präsenz, darunter die Bundeswehr, und zwangen sie schließlich zum Abzug. Seitdem setzt Mali seinen Kampf um Eigenständigkeit und um eine Neuorganisation des Landes jenseits des Einflusses der früheren Kolonialmächte, darunter Deutschland, fort und arbeitet dabei in wachsendem Umfang mit seinen Nachbarstaaten Burkina Faso und Niger zusammen, zusätzlich gestützt auf Russland.


    Zitat: Das Einsatzdispositiv

    Der UN-Blauhelmeinsatz MINUSMA (Mission Multidimensionelle Intégrée des Nations Unies pour la Stabilisation au Mali), in dessen Rahmen die deutschen Truppen in Gao stationiert waren, war bereits am Montag mit einer Abschlusszeremonie in Malis Hauptstadt Bamako offiziell zu Ende gegangen. Initiiert worden war er am 25. April 2013 als Teil eines größeren Einsatzdispositivs, das auch die von französischen Truppen durchgeführten Operationen Serval (11. Januar 2013 bis 1. August 2014) und Barkhane (1. August 2014 bis 9. November 2022) sowie den am 17. Januar 2013 beschlossenen EU-Ausbildungseinsatz EUTM Mali umfasste. Führten Serval bzw. Barkhane Kampfhandlungen gegen jihadistische Milizen durch, während EUTM Mali malische Soldaten trainierte, so hatte MINUSMA vorwiegend Stabilisierungsfunktionen im Norden des Landes inne. Hinzu kam der Versuch, die nationalen Streitkräfte der gesamten Sahelregion in den Krieg gegen die Jihadisten zu integrieren; dazu wurde am 16. Februar 2014 das unter massivem Einfluss der europäischen Staaten stehende Bündnis G5 Sahel gegründet, dem neben Mali Mauretanien, Burkina Faso, Niger und Tschad angehörten. Zwei weitere EU-Einsätze zur Stärkung der Polizei und der Gendarmerie in Mali und in Niger (EUCAP Sahel Mali, EUCAP Sahel Niger) kamen hinzu.


    Eigenmächtigkeiten

    Die Einsätze riefen spätestens seit 2016 in wachsendem Ausmaß Protest in der malischen Bevölkerung hervor. Die Hauptursache war, dass die auswärtigen Truppen nicht nur unfähig waren, die Jihadisten zu besiegen; deren Aufstände gewannen sogar an Fahrt und blieben schon bald nicht mehr auf Malis Norden beschränkt, sondern erfassten auch das Zentrum des Landes und griffen dann sogar auch noch auf die Nachbarstaaten Burkina Faso und Niger über. Schon nach wenigen Jahren europäischer Militärintervention hatten die Aufstände fast den gesamten zentralen Sahel erfasst.[1] Hinzu kam, dass die europäischen Streitkräfte in vielen Fällen vollkommen eigenmächtig operierten. „Frankreich führte seinen eigenen Krieg parallel zu dem was die malischen Streitkräfte taten“, urteilte im Rückblick der frühere CIA-Mitarbeiter Michael Shurkin.[2] Ein eigenmächtiges Vorgehen warfen malische Stellen auch anderen Streitkräften vor, darunter der Bundeswehr (german-foreign-policy.com berichtete [3]). Tolerierte der eng mit dem Westen kooperierende Präsident Ibrahim Boubacar Keïta die Eigenmächtigkeiten umstandslos, so nahmen die Putschisten, die 2020 bzw. 2021 an die Macht kamen, sie nicht mehr hin und gingen schließlich systematisch gegen sie vor (german-foreign-policy.com berichtete [4]).


    Europas Abzug

    Die Bevölkerung begleitete dies mit zunehmendem Protest vor allem gegen die ehemalige Kolonialmacht Frankreich. Hatten im Februar 2013 einer Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung zufolge noch 97 Prozent aller Malier die französische Militärintervention gelobt, so waren es 2014 nur noch 56 Prozent; Ende 2019 äußerten rund 80 Prozent, sie hätten „kein Vertrauen“ in die Operationen der französischen Streitkräfte.[5] Bamako verstärkte den Druck auf Paris, bis Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am 10. Juni 2021 ankündigte, die Opération Barkhane komplett aus Mali abzuziehen.[6] Ende 2021 begann Bamako, als alternative Kooperationspartner für den Krieg gegen die Jihadisten Militärausbilder und Söldner aus Russland ins Land zu holen. Eine erneut von der Friedrich-Ebert-Stiftung durchgeführte Umfrage ergab im Mai 2023, dass 22 Prozent der Malier „Vertrauen“ in die russischen Militärs hatten, 69 weitere Prozent „großes Vertrauen“.[7] Am 15. Mai 2022 gab die malische Übergangsregierung bekannt, sie steige nun aus den G5 Sahel aus.[8] Ein Jahr später setzte sie den Abzug der MINUSMA durch.[9] Damit erzwang Bamako nicht zuletzt den Abzug der deutschen Truppen. Insgesamt waren im Verlauf des mehr als zehn Jahre währenden Einsatzes 27.500 deutsche Militärs in Mali im Einsatz gewesen.[10]


    Strategischer Erfolg

    Mali setzt den Kampf um seine Eigenständigkeit und um eine Neuorganisation des Landes fort. Im Kampf gegen die Jihadisten stützt es sich neben den russischen Militärausbildern und Söldnern auf Waffen aus Russland, China und der Türkei; Letztere liefert insbesondere die heute weit verbreiteten Bayraktar TB2-Drohnen. Im Sommer 2023 wurde eine neue Verfassung erst per Referendum angenommen, sodann per Beschluss des Verfassungsgerichts bestätigt. Sie stuft die französische Sprache von der offiziellen Landes- zur Arbeitssprache herab und sieht für Mali ein Präsidialsystem vor. Von Übergangspräsident Assimi Goïta sagen laut der erwähnten Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung 14 Prozent der Bevölkerung, sie seien mit ihm „zufrieden“; weitere 84 Prozent teilen mit, sie seien sogar „sehr zufrieden“.[11] Während der Krieg gegen die Jihadisten weiterhin tobt und allein vom 1. Januar bis zum 21. September dieses Jahres laut Schätzungen mehr als 6.000 Todesopfer forderte [12], ist es Goïta andererseits Mitte November gelungen, mit der Rückeroberung der Stadt Kidal weit im Norden des Landes einen strategisch wichtigen Erfolg zu erzielen. Kidal war seit 2012 von Touareg-Milizen kontrolliert worden – dies mit Billigung der europäischen Staaten.[13]


    Ein Dreierbündnis

    Jenseits seiner Grenzen arbeitet Mali, seit der Abzug der europäischen Staaten eingeleitet wurde, immer enger mit seinen Nachbarstaaten Burkina Faso und Niger zusammen. Letztere haben den Abzug der französischen Streitkräfte genauso durchgesetzt wie Mali; Niger ist dabei, auch den Abzug anderer europäischer Truppen zu erzwingen. Alle drei leiden unverändert unter den brutalen Angriffen jihadistischer Milizen, die sich ausbreiten konnten, während europäische Truppen im Sahel operierten. Beim Versuch, sich jetzt eigenständig gegen die Jihadisten zur Wehr zu setzen, stützen sie sich, statt auf die einstigen europäischen Kolonialmächte – darunter auch Deutschland –, in gewissem Maße auf Russland, und sie streben darüber hinaus besonders eine regionale Kooperation an. german-foreign-policy.com berichtet in Kürze.

     

    [1] S. dazu Wie in Afghanistan (II).

    [2] Le Niger, „laboratoire“ de la France pour sa nouvelle approche militaire en Afrique. lemonde.fr 23.05.2023.

    [3] S. dazu Kampf um Mali (I).

    [4] S. dazu Kampf um Mali (II).

    [5] Mali: Poll highlights confidence in Assimi Goïta and Russia. theafricareport.com 08.05.2023.

    [6] Emmanuel Macron annonce la fin de l’opération Barkhane au Sahel. france24.com 10.06.2021.

    [7] Mali-Mètre. Enquête d’opinion: “Que pensent les Malien(ne)s?” Bamako, Mai 2023.

    [8] Le Mali annonce son retrait de l‘organisation régionale G5 Sahel. lemonde.fr 16.05.2022.

    [9] S. dazu Auf dem Weg zur Eigenständigkeit.

    [10] Timo Kather: Bundeswehr übergibt Feldlager Camp Castor. bundeswehr.de 12.12.2023.

    [11] Mali-Mètre. Enquête d’opinion: “Que pensent les Malien(ne)s?” Bamako, Mai 2023.

    [12] Fact Sheet: Attacks on Civilians Spike in Mali as Security Deteriorates Across the Sahel. acleddata.com 21.09.2023.

    [13] Manon Laplace: Assimi Goïta, l’homme qui a reconquis Kidal. jeuneafrique.com 21.11.2023.


    Info: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9435


    unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

    12.12.2023

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    12.12.2023

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    12.12.2023

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    12.12.2023

    Verunglimpfung der ostdeutschen Identität: Ein Gespenst geht um

    berliner-zeitung.de, vom 10. Dezember 2023, 10:54 Uhr, Reinhard Bartz

    Der Autor kritisiert eine Verunglimpfung ostdeutscher Identität – sowohl vonseiten der Politik als auch der Medien.


    Blick auf das Karl-Marx-Monument in Chemnitz.

    Blick auf das Karl-Marx-Monument in Chemnitz.imagebroker/imago


    Bei einer Recherche zum medialen Echo auf das Buch „Der Osten: eine westdeutsche Erfindung“ des Leipziger Literaturprofessors Dirk Oschmann fiel mir als besonders heftige Reaktion die der frisch gekürten „Tagesthemen“-Moderatorin Jessy Wellmer ins Auge, die das Buch – im Stile einer sich offenbar dem Mainstream verpflichteten Journalistin – als „Hassbibel“ abkanzelt.

    Vielleicht fiel es mir auch nur deshalb ins Auge, weil ich selbst bereits in den fragwürdigen Genuss ihres ideologiegeleiteten Aburteilens „abweichender“ Meinungen kam, als sie mich im Rahmen ihrer Dokumentation „Russland, Putin und wir Ostdeutsche“ interviewte.

    Ähnlich wie Professor Oschmann „bekam“ auch ich – wie es ein Journalist anschließend so treffend formulierte – „mehrmals“ mein „Fett weg“, beispielsweise, weil ich – auf ihre Frage hin – die Demokratie in Deutschland als keine echte mehr im Sinne der alten Griechen kritisierte, weil sich danach der Wille der Mehrheit durchsetzen müsse, um als solche noch gelten zu dürfen.


    Der Wille der Elite

    Ich bezog mich in dem Zusammenhang auf eine Allensbach-Umfrage, der zufolge über 45 Prozent der Ostdeutschen angaben, nur noch in einer Scheindemokratie zu leben. Vielleicht auch deshalb, weil sich in Deutschland eben gerade nicht der Wille der Mehrheit, sondern eher der der Elite durchsetzt.

    Solche Äußerungen seien für sie „schwer zu ertragen“ oder sogar „unerträglich“, war seinerzeit ihr vernichtendes Urteil, obwohl sie laut ihrer eigenen Anmoderation nur zuhören und nicht urteilen und schon gar nicht verurteilen wolle. Deshalb vermutete ich schon damals hinter ihrer vorgegebenen edlen Absicht, mit ihrer Interviewreise durch Ostdeutschland lediglich ein Verständnis dafür gewinnen zu wollen, warum im Osten ein anderes Russlandbild vorherrsche als im Westen, pure Heuchelei.

    Vielmehr bezweckte sie wohl eher, dem Publikum gegenüber ihre eigene Systemtreue zu manifestieren, um sich so bei ihren Arbeitgebern zu empfehlen. Denn als regierungskritische Rebellin, was man ihr hätte vorwerfen können, so sie sich nicht ausreichend von der ostdeutschen Weltanschauung distanziert oder für sie vielleicht sogar noch Verständnis gezeigt hätte, wäre man seitens ihrer Vorgesetzten wohl kaum auf die Idee gekommen, ihr anschließend die Moderation einer solch meinungsmachenden Sendung wie die der „Tagesthemen“ anzuvertrauen.

    Die Kritik insbesondere durch Ostdeutsche am Status quo des real existierenden Kapitalismus, und in jüngster Zeit auch an der aktuellen Politik der deutschen Bundesregierung, trifft nicht nur im Kreise des öffentlich-rechtlichen Journalismus auf erbitterte Intoleranz, nein, auch die Mandatsträger selbst lassen sich diesbezüglich nicht lumpen.

    Was mich dabei sehr erstaunt, ist deren offenbar durch nichts zu erschütternde Unfähigkeit zur Selbstreflexion, die eher dazu beiträgt, ihre Kritiker noch mehr zu provozieren, anstatt sie zu beruhigen. Aber dies hat Tradition. Ich erinnere mich an einen Beitrag des zu der Zeit noch amtierenden Bundestagspräsidenten Herrn Schäuble in der taz, der an Heuchelei und Verhöhnung der Ostdeutschen kaum zu überbieten war.


    Dirk Oschmann hat mit seinem Buch über Ostdeutschland einen Bestseller geschrieben, der die Diskussion über die Wiedervereinigung erneut anregt.Emmanuele Contini


    Identitätsgefühl und Anpassung

    Er bemängelte ein aus seiner Sicht zu Unrecht immer noch vorhandenes Identitätsgefühl der Ostdeutschen und wünschte sich bei ihnen mehr Selbstbewusstsein und ließ verlauten, mancher pflege geradezu seinen Opferstatus, „statt selbstbewusst darauf zu verweisen, den Menschen im Westen eine wertvolle Erfahrung vorauszuhaben: die Anpassung an massive gesellschaftliche Umwälzungen“.

    Soweit mich meine Erinnerungen nicht täuschen, war es Herr Schäuble selbst, der den in seiner beabsichtigten Wirkung wohl bedachten Begriff „Unrechtsstaat“ in die politische Diskussion einbrachte, mit dem er Millionen von Ostdeutschen, die sich in und mit ihrem Staat engagiert hatten, ein Schuldgefühl implantierte und sie damit nicht nur diffamierte, sondern beabsichtigt auch ihres Stolzes und Selbstwertgefühls beraubte.

    Denn damit war quasi jeder DDR-Bürger, der nicht für sich in Anspruch nehmen konnte, gegen dieses Unrecht aufbegehrt zu haben, politisch verfolgt gewesen zu sein oder gar den Ritterschlag einer Republikflucht geltend machen zu können, zumindest der Duldung eines imaginären Unrechts mitschuldig oder sogar mitverantwortlich.


    Welch eine Verunglimpfung all derer, die nicht einfach abgehauen waren, sondern sich einen Rest an Verantwortungsbewusstsein zur Vermeidung eines totalen Chaos bewahrt hatten und das gesellschaftliche Leben in der DDR aufrechterhielten wie Lehrer, Ärzte, Polizisten, Soldaten und Offiziere, Handwerker, Kindergärtnerinnen und Krankenschwestern, Busfahrer oder all die vielen Menschen, die die Energiewirtschaft, Landwirtschaft oder sonstige Versorgung der Bevölkerung sicherstellten. Oder derjenigen, die einfach nur gerne in der DDR gelebt haben, weil es ihre Heimat war.

    Der Zweck, die DDR als Unrechtsstaat zu diffamieren, war leicht zu durchschauen: Die Annexion Ostdeutschlands durch die westdeutsche Elite – als nichts anderes mussten viele Ostdeutsche die Angliederung an den Westen wahrnehmen – sollte politisch und moralisch gerechtfertigt und die unrechtmäßige Aneignung des ostdeutschen Volksvermögens legitimiert und gleichzeitig jeglicher Widerstand gebrochen werden.

    Denn dieser Widerstand war durchaus zu erwarten, da man davon ausgehen musste, dass den Ostdeutschen zumindest potenziell bewusst war, was das Überstülpen kapitalistischer Produktionsverhältnisse bedeuten würde. Dieses Wissen haben sie schließlich schon in der Schule oder während des Studiums im Rahmen solcher Lehrfächer wie Dialektischer Materialismus oder Politische Ökonomie des Kapitalismus erworben.

    Und zumindest all diejenigen, die eine akademische Ausbildung genossen hatten, verfügten über profunde Kenntnisse zu den Prinzipien des Determinismus und konnten kausale Zusammenhänge kapitalistischer Produktionsverhältnisse und ihre katastrophalen sozialen und gesellschaftspolitischen Konsequenzen bewerten. Also musste man – und macht man nach wie vor – den DDR-Bürgern pauschal ein diffuses Schuld- und Minderwertigkeitsgefühl suggerieren und ihre Lebensleistungen entweder völlig infrage stellen oder zumindest als minderwertig diffamieren oder sogar der Lächerlichkeit preisgeben.


    Sitzung des Treuhand-Untersuchungsausschusses im Thüringer Landtag, 24.10.2023Funke Foto Services/imago

    Wenn man ein ganzes Staatswesen des Unrechts bezichtigen darf, unterstellt man, die überwiegende Mehrheit aller Rechtsakte hätte den Tatbestand des Unrechts erfüllt. Und wer dies als vermeintlich Betroffener akzeptierte und sich nicht dagegen wehrte, machte sich entweder der Mitschuld verdächtig oder als Dummkopf, der dies nicht durchschaute. Nicht nur juristisch und politisch, sondern auch völkerrechtlich ein zum Himmel schreiender Unsinn, denn die DDR war ein völkerrechtlich anerkannter Staat – im Übrigen auch von der BRD – und anerkanntes Mitglied der Uno.


    Entschädigungslose Enteignung

    Aber wie wollten Herr Schäuble & Co. anders rechtfertigen, den Ostdeutschen einfach ihr Eigentum zu stehlen. Soweit ich weiß, war er auch derjenige, der in den Verhandlungen mit der ostdeutschen Seite den Grundsatz Rückgabe vor Entschädigung durchdrückte und damit viele Ostdeutsche quasi entschädigungslos enteignete. Und sehr geschickt legte Herr Schäuble in seinem Beitrag den Ostdeutschen auch eine angeblich ungerechtfertigte Verteufelung der Treuhand in den Mund, obwohl ihm sehr wohl bewusst gewesen sein muss, dass die DDR-Bürger die Praktiken dieser Institution – die bezeichnenderweise auch nicht etwa von einem Ostdeutschen geleitet wurde, denn immerhin ging es um ihr Volkseigentum – als ein Verhökern ihres Eigentums an westdeutsche Profithaie wahrnehmen mussten.

    Einschlägig dokumentiert ist in diesem Zusammenhang auch das künstliche Armrechnen vieler ostdeutscher Unternehmen, die durchaus über ausreichend Wettbewerbsfähigkeit verfügt hätten, aber eine unangenehme Konkurrenz für ihre westdeutschen Wettbewerber darstellten und deshalb beseitigt werden mussten.


    Und wenn Herr Schäuble dann scheinheilig den Ostdeutschen ein nicht gerechtfertigtes Opferempfinden unterstellt, ist das nicht nur eine widerwärtige Verhöhnung, sondern lenkt sehr geschickt nach dem altbewährten Prinzip „Haltet den Dieb“ von den tatsächlichen und von ihm mitzuverantwortenden Gründen dieser nicht nur empfundenen, sondern ganz real erlebten Benachteiligung vieler Ostdeutscher ab.

    Der letzte DDR-Innenminister, also sein damaliger ostdeutscher Amtskollege, Dr. Peter-Michael Diestel, nennt in seinem Buch „In der DDR war ich glücklich, trotzdem kämpfe ich für die Einheit“ etliche bezeichnende Beispiele: So seien alle Medien im Osten zu hundert Prozent in Westhand. In den meisten ostdeutschen Staatskanzleien sehe es ähnlich aus wie in Magdeburg. Hier treffe man nur Niedersachsen an und in Potsdam nur Leute aus Nordrhein-Westfalen.


    Systematische Diskriminierung?

    80 Prozent der höheren Verwaltungsbeamten kämen aus dem Westen, alle Rektoren von Universitäten und Hochschulen desgleichen. Nicht ein einziger Ostdeutscher dürfe die Bundesrepublik als Botschafter im Ausland vertreten. Er kenne auch keinen ostdeutschen General. Eine Studie von 2016 spreche von weniger als zwei Prozent Ostdeutscher in der gesamtdeutschen Elite, und der Osten werde vom Westen verwaltet und beherrscht.

    Und dass sich an dieser systematischen Diskriminierung ostdeutscher Menschen seitdem nichts geändert hat, kann man in dem Buch des Leipziger Literaturprofessors Oschmann nachlesen.


    Slogan auf einem Hochhaus in Dresden zu DDR-Zeiten.Bernd Friedel/imago

    Und damit ja kein Ostdeutscher auf dumme Gedanken des Aufbegehrens oder Kritisierens des Status quo kommt – denn der Kapitalismus ist für sie immer noch eine Gesellschaftsform, die auf der menschenverachtenden Ausbeutung des Menschen durch den Menschen basiert, die einigen wenigen unvorstellbare Reichtümer beschert und die, die diese Reichtümer erwirtschaften, in relativer Armut vegetieren –, muss ihnen ständig suggeriert werden, sie sollten demütig und dankbar sein für eine Befreiung vom Joch des Sozialismus.


    Und die Medien spielen unisono dieses miese Spiel der Verunglimpfung ostdeutscher Lebensleistungen mit. Wen wundert’s, sie sind halt im Besitz der Eliten. Es fällt auf, dass mit Zunahme der Kritik an der Regierungspolitik und dem real existierenden Kapitalismus mit der ihm systemimmanenten Ungerechtigkeit, Ungleichheit und Gefahr für den Weltfrieden simultan eine Zunahme der Verunglimpfung und Verteufelung des DDR-Regimes einhergeht. Und das selbst noch nach über 30 Jahren einer angeblichen Wiedervereinigung.


    Privatisierung nach der Wende: Wirtschaftskrimis, von der Treuhand geschrieben

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    Ostdeutschland 19.09.2023

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    Wirtschaft 29.11.2023


    Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht in irgendeiner Weise das System DDR in den Medien im negativen Kontext dargestellt wird. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Offensichtlich ist die Angst vor dem Gespenst, das schon Marx und Engels zum Schreiben ihres Manifestes motivierte, doch real: Ein Gespenst, dass Millionen Ostdeutsche über eine Alternative zum Kapitalismus nachdenken lässt, weil sie von ihr entweder gehört oder sie zumindest im Ansatz schon erlebt haben.

    Eine Alternative, die gerechter ist als der Kapitalismus, eine Alternative, die für alle die gleichen Chancen bietet und nicht die Kapitalverwertungsbedingungen über die Menschenrechte stellt und mit seinen Nachbarn insbesondere mit Russland in Frieden leben will. Eine Alternative, die nicht die Missionierung anderer Völker und die eigene Kriegsertüchtigung in den Mittelpunkt der Diplomatie und Politik stellt, sondern die Abrüstung und friedliche Koexistenz.

    Ein Gespenst, das offensichtlich Millionen Ostdeutsche erkennen lässt, dass acht Milliarden Euro Militärhilfe für die Ukraine in Wirklichkeit ein verschleiertes Konjunkturpaket für amerikanische Rüstungskonzerne sind. 

    Das ist ein Beitrag, der im Rahmen unserer Open-Source-Initiative eingereicht wurde. Mit Open Source gibt der Berliner Verlag freien Autorinnen und Autoren sowie jedem Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten. Ausgewählte Beiträge werden veröffentlicht und honoriert.

    Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz (CC BY-NC-ND 4.0). Er darf für nichtkommerzielle Zwecke unter Nennung des Autors und der Berliner Zeitung und unter Ausschluss jeglicher Bearbeitung von der Allgemeinheit frei weiterverwendet werden.


    Der Ostdeutsche: Jetzt spricht er nicht nur Russisch, jetzt ist er auch noch wütend

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    Verunglückter Versuch: Warum die DDR-Aufarbeitung Ostdeutsche so wütend macht

    Debatte 17.11.2023


    Info: https://www.berliner-zeitung.de/open-source/dd-verunglimpfung-der-ostdeutschen-identitaet-ein-gespenst-geht-um-li.2164302


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    12.12.2023

    Staatsräson ist keine juristische, sondern eine demagogische Floskel – Im Gespräch mit Hans Decruppe

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    diefreiheitsliebe.de, vom 10. Dezember 2023, Ulrike Eifler

    Die Bilder, die uns seit dem 7. Oktober aus Gaza, aber auch aus dem Westjordanland erreichen, sind kaum zu ertragen. Mehr als 15.000 Menschen sind durch die anhaltenden Bombardements der ultrarechten Netanyahu-Regierung gestorben, darunter viele Kinder. Die Versorgungslage ist erschreckend. Sowohl beim Massaker der Hamas als auch bei den israelischen Bombardements traf und trifft es Zivilisten. Beides ist zu verurteilen. Wir sprechen mit Hans Decruppe über die rechtlichen Aspekte des Gaza-Krieges und fragen nach der rechtlichen Grundlage für den von der Bundesregierung erhobenen Begriff der „deutschen Staatsräson“. Hans Decruppe ist Gewerkschafter und Jurist, er war viele Jahre Stellvertretender Landessprecher der LINKEN. NRW.

    Die Freiheitsliebe: Hans, die israelische Regierung begründet ihre Bombardements auf Gaza und den Einmarsch von Bodentruppen in den Gaza-Streifen mit dem Recht auf Selbstverteidigung. Wie beurteilst du das?

    Hans Decruppe: Es gibt ein allgemein anerkanntes Recht auf Selbstverteidigung und Notwehr – im Zivilrecht wie im Völkerrecht. Aber es gibt kein Recht auf Notwehrexzess. Diese Grundsätze gelten auch im Gaza-Krieg. Der Staat Israel darf erforderliche Maßnahmen militärischer Art ergreifen, um die evident bestehende terroristische und militärische Bedrohung der Bevölkerung durch die militärischen Einheiten der Hamas abzuwehren und zu beseitigen. Allerdings ist bereits fraglich, ob bei derart asymmetrischen Konflikten die ergriffenen Maßnahmen, wie die Bombardements ganzer Stadtteile, die Kämpfer der Hamas überhaupt getroffen und ausgeschaltet werden. Wenn dagegen in erster Linie die Zivilbevölkerung zu Tausenden getroffen wird und zivile Einrichtungen, wie Strom- und Trinkwasserversorgung bis zu Schulen und Krankenhäusern, zerstört werden, dann sind die Verteidigungshandlungen unverhältnismäßig und man muss von einem Exzess der Notwehrhandlung sprechen.

    Die Freiheitsliebe: Ist der Krieg im Gazastreifen ein Bruch des Völkerrechts und wenn ja, warum?

    Hans Decruppe: Ich meine in doppelter Hinsicht ja. Wenn der vorliegenden Nachrichtenlage zu trauen ist. Und zwar sowohl von Seiten der Hamas, die die Zivilbevölkerung als Schutzschild nutzt, wie von Seiten des Staates Israel, deren Kriegführung die völkerrechtlichen Grenzen der Verhältnismäßigkeit überschreiten dürfte. Dies muss im Nachgang durch ein entsprechendes völkerrechtliches Tribunal und den Internationalen Strafgerichtshof konsequent aufgearbeitet und bewertet werden. Auch die deutsche Bundesanwaltschaft ist von Amts wegen verpflichtet, nach dem Völkerstrafgesetzbuch gegen Täter der Hamas und Israels zu ermitteln, wenn sie sie sich an Kriegsverbrechen und völkerrechtswidrigen Handlungen beteiligt haben.

    Die Freiheitsliebe: Auffallend ist, dass die israelische Regierung das Völkerrecht bricht, ohne dass es Konsequenzen gibt. Welche Gründe würdest du für diese westlichen Doppelstandards sehen?

    Hans Decruppe: Doppelstandards entstehen regelmäßig bei einseitiger Parteinahme zugunsten einer Kriegspartei und wenn nicht nach den Ursachen der Kriege gefragt wird. Dies geschieht aus geopolitischem Interesse und basierend auf einer Haltung der gesellschaftlichen und damit einer moralischen wie kulturellen Überlegenheit des Westens gegenüber Völkern und Staaten des Südens. Das zieht sich vom Vietnamkrieg, den ich als ersten Krieg bewusst wahrgenommen habe, bis heute.

    Die Freiheitsliebe: Führt der Bruch des Völkerrechts nicht auch zu einer Schwächung der völkerrechtlichen Organisationen wie der UNO, die prägend waren für die Nachkriegsordnung?

    Hans Decruppe: Jeder Krieg, der geführt wird, und jeder gewaltsam ausgetragene Konflikt ist eine Niederlage des Völkerrechts und führt notgedrungen zu einer Schwächung der UN. Es ist auf die Verpflichtung der Staaten aus Artikel 1 Ziffer 1 der UN-Charta zu verweisen, nach der „internationale Streitigkeiten oder Situationen, die zu einem Friedensbruch führen könnten, durch friedliche Mittel nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts zu bereinigen oder beizulegen“ sind. Und an Artikel 2 Ziffer 4 der Charta: „Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.“ Und an Artikel 33 der UN-Charta, der vorschreibt: „Die Parteien einer Streitigkeit, deren Fortdauer geeignet ist, die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu gefährden, bemühen sich zunächst um eine Beilegung durch Verhandlung, Untersuchung, Vermittlung, Vergleich, Schiedsspruch, gerichtliche Entscheidung, Inanspruchnahme regionaler Einrichtungen oder Abmachungen oder durch andere friedliche Mittel eigener Wahl.“ Es wäre Aufgabe der deutschen Außenpolitik, auf die konsequente Umsetzung dieser Prinzipien zu dringen.

    Die Freiheitsliebe: In der öffentlichen Diskussion taucht immer wieder der Begriff der „deutschen Staatsräson“ auf. Kannst du uns als Jurist diesen Begriff erklären?

    Hans Decruppe: Juristisch erklären kann man den Begriff „Staatsräson“ nicht, denn er ist völlig substanzlos. Auch wenn er von Juristen in höchsten Staatsämtern – wie Steinmeier und Scholz – verwendet wird. Wie Prof. Ralf Michaels klargestellt hat, steht der Begriff seit seinem Aufkommen in der politischen Theorie der italienischen Renaissance für ein Nützlichkeitsdenken ohne Rücksicht auf Recht und Moral, was mit Rechtsstaatlichkeit und Völkerrecht schwer in Einklang zu bringen ist.

    Die Freiheitsliebe: Das heißt, der Begriff der „Staatsräson“ ist gar kein juristischer Begriff?

    Hans Decruppe: So ist es. „Staatsräson“ ist keine juristische, sondern eine rhetorische und vor allem demagogische Floskel. Vergleichbar mit der Floskel „alternativlos“, die Merkel in ihrer Amtszeit politisch geschickt nutzte. Auch dieser Begriff ist inhaltsleer, diente bzw. dient aber der gezielten Einschränkung des politischen Diskurses. Wenn etwas alternativlos ist, dann stellt sich jeder, der trotzdem alternative Vorstellungen formuliert, außerhalb der von höchster staatlicher Stelle vorgegebenen Positionierung. Unter „Räson“ versteht man Vernunft oder Einsicht. Und wer sich gegen die „Staatsräson“ stellt, ist folglich unvernünftig und politisch uneinsichtig. Er stellt sich quasi gegen die Staatsvernunft. Im Interesse des Staates muss daher jeder, der sich dieser proklamierten Staatsvernunft nicht beugt, bekämpft und gecancelt werden. Der Begriff ist damit nichts anderes als ein manipulatives politisches Instrument, mit dem höchste staatliche Stellen – unter Beifall und mit Unterstützung einer sich selbst zunehmend gleichschaltenden Presse – versuchen, kritische Debatten zu unterdrücken. Mit anderen Worten: Der Gebrauch des Begriffs „Staatsräson“ ist in rechtlicher Bewertung ein perfider Versuch, die durch Artikel 5 Abs. 1 des Grundgesetzes geschützte Meinungsfreiheit im Interesse einer „Quasi-Staatsmeinung“ einzuhegen.

    Die Freiheitsliebe: Die „deutsche Staatsräson“ wird ja vor allem in Verbindung mit der Sicherung des „Existenzrechtes Israels“ gebraucht, das mit der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands begründet wird.

    Hans Decruppe: Richtig. Die „deutsche Staatsräson“ steht im Zusammenhang mit der Gewährleistung eines „Existenzrechts des Staates Israel“, das in der Tat nicht in Frage gestellt werden darf. Aber hier würde es rechtlich wie politisch völlig ausreichen, auf die Verpflichtungen des deutschen Staates aus dem Völkerrecht zu verweisen, das ich oben zitiert habe. Und das entspräche auch einem aus der Verfassung unseres Staates abgeleiteten Verständnis von „Staatsräson“. Es wäre vernünftig, als Maßstab die Präambel des Grundgesetzes mit seiner Verpflichtung, „dem Frieden der Welt zu dienen“, und auch Artikel 25 heranzuziehen, der ja nicht nur die Staatsorgane bindet, sondern alle in Deutschland wohnenden Menschen erfasst, wenn es heißt: „Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.“ Dieser Dimension scheinen sich Scholz und Steinmeier – und zugleich alle, die das Gerede von der „Staatsräson“ unkritisch nachplappern – nicht hinreichend bewusst zu sein.

    Die Freiheitsliebe: Gleichzeitig verändert sich auch der innenpolitische Kurs der Bundesregierung. In Berlin wird das Tragen der Kufiye an Schulen untersagt. Pro-palästinensische Demonstrationen werden verboten mit der Begründung, es könnte zu antisemitischen Handlungen kommen. Ist diese Vorgehensweise – die Einschränkung des Demonstrationsrechtes in Erwartung einer Straftat – rechtsstaatlich belastbar?

    Hans Decruppe: Im Kern geht es, wie von mir schon angesprochen, um das Grundrecht, seine Meinung frei zu äußern. Dieses Recht findet seine Grenze ausschließlich in den allgemeinen Gesetzen, insbesondere im Strafrecht. Auch unsinnige, abstruse und auch völlig einseitige oder parteiergreifende Meinungen sind damit vom Grundgesetz geschützt. Also auch eine Position, für die in Gaza und im Westjordanland lebenden Palästinenser politisch Partei zu ergreifen oder Kritik an der israelischen Kriegführung zu üben. Wer diese Meinungen untersagen und von staatlicher Seite durch die Vorgabe zulässiger Meinungsäußerungen ersetzen will, vertritt ein totalitäres Staatsverständnis, konträr zum Grundgesetz. Er offenbart eine verfassungsfeindliche Grundhaltung. Eine irgendwie geartete „Staatsräson“ ist in rechtlicher Betrachtung schlicht irrelevant. Damit einher geht das Recht, seine Meinung auch nonverbal – z.B. durch Tragen des Palästinenser-Kopftuchs – oder gemeinsam mit anderen – in Versammlungen oder Demonstrationen – zu äußern.

    Die Freiheitsliebe: Und wann ist die Grenze der geschützten Meinung- und Versammlungsfreiheit überschritten?

    Hans Decruppe: Die Grenze der geschützten Meinungs- und Versammlungsfreiheit wird erst überschritten, wenn bestimmte Straftaten wie u.a. Mord, Totschlag, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen öffentlich und in einer Weise gebilligt werden, dass der öffentliche Frieden gestört oder gefährdet wird. Also: Wer die Terrormorde der Hamas und ihre Geiselnahmen vom 07. Oktober öffentlich billigt, kann sich zu Recht nicht auf den Schutz der Meinungs- und Demonstrationsfreiheit berufen; wohl aber derjenige, der die Situation im Westjordanland mit dem völkerrechtswidrigen Siedlungsbau als Besatzung und die unterschiedliche rechtliche Behandlung von Juden und Palästinensern durch Behörden Israels als Apartheid bezeichnet oder wer die Bombardements des Gaza kritisiert.

    Die Freiheitsliebe: Das heißt, als Grund für ein Versammlungsverbot reicht die bloße Erwartung nicht aus?

    Hans Decruppe: Juristisch ist eindeutig: Der pauschale Vorwurf, es könnte zu „antisemitischen Handlungen“ kommen, reicht nie aus, ein Versammlungsverbot rechtswirksam auszusprechen. Bei einem Verbot muss es um die Verhinderung strafrechtlich relevanten Handelns gehen. Das muss aufgrund konkreter Fakten nachweislich drohen und das muss gerichtlich überprüfbar sein.

    Die Freiheitsliebe: Vor allem der Vorwurf des „Antisemitismus von links“ wirkt für das Vorhaben, die Richtigkeit der Politik der israelischen wie der deutschen Regierung zu hinterfragen, einschüchternd. Ist die Kritik an den israelischen Bombardements und an der „deutschen Staatsräson“ antisemitisch?

    Hans Decruppe: Links sein bedeutet, auf der Seite der Humanität zu stehen, der Achtung der Menschenrechte und der effektiven Durchsetzung von Völkerrecht. Diese Prinzipien, Werte und Normen gelten universell. Das bedeutet: Kein Mensch, keine Menschengruppe und kein Staat genießen Vor- oder Sonderrechte. Allerdings stehen diese Prinzipien heute unter ideologischen Gegendruck. Wer im geopolitischen Interesse globaler Vormachtstellung die Konfrontation und Kriegsbereitschaft fördern will, der muss diese Prinzipien und insbesondere ihre universelle Geltung natürlich in Frage stellen. Daher wird – gerade in Deutschland vor dem Hintergrund der Verantwortung für Weltkriege und der faschistischen Verbrechen und dem Holocaust an den Juden – der Vorwurf des Antisemitismus gezielt gegen Stimmen instrumentalisiert, die sich begründet kritisch zu Kriegshandlungen der Regierung des Staates Israel äußern. Mit Erschrecken nehme ich gleichzeitig zur Kenntnis, das im politischen Raum die große Losung der Friedensbewegung „Nie wieder Krieg! – Nie wieder Faschismus!“ auf ein inhaltsleeres „Nie wieder!“ amputiert wird. Es geht wohl darum, die Lehren der deutschen Geschichte im Interesse der geforderten „Kriegstüchtigkeit“ zu entsorgen.

    Das Gespräch führte Ulrike Eifler.

    Ulrike Eifler

    Ulrike Eifler

    Bundessprecherin der AG Betrieb und Gewerkschaft Sie war zuvor zehn Jahre Gewerkschaftssekretärin beim DGB.


    Info: https://diefreiheitsliebe.de/politik/staatsraeson-ist-keine-juristische-sondern-eine-demagogische-floskel-im-gespraech-mit-hans-decruppe


    unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

    12.12.2023

    (Zu viel) Hoffen auf Tusk, Streik gegen Austerität – und Eklat bei COP28

    lostineu.eu, 12. Dezember 2023

    Die Watchlist EUropa vom 12. Dezember 2023

    Das Warten hat ein Ende: Fast zwei Monate nach der Wahl Mitte Oktober hat Polen den Machtwechsel vollzogen. Das Parlament in Warschau votierte mit 248 zu 201 Stimmen für den ehemaligen EU-Ratspräsidenten Tusk vom liberal-konservativen Wahlbündnis Bürgerkoalition (KO) als neuen Regierungschef.

    Mit dem Machtwechsel könnte der jahrelange Streit zwischen der EU und Polen über die Justizreform und die Zuteilung von eingefrorenen EU-Mitteln in Milliarden-Höhe enden.

    Zudem dürfte die jahrelange Eiszeit zwischen Polen und Deutschland einem Tauwetter weichen. Die nun entmachtete PiS hatte den Wahlkampf vor allem mit antideutschen Parolen bestritten.

    In Brüssel hofft man, dass Tusk sein Land zu einer neuen Führungsnation in der EU macht und entscheidend dazu beiträgt, Ungarns rechtspopulistischen Regierungschef Orban zu isolieren.

    Doch die Hoffnung könnte trügen – zumindest in der Asyl- und Flüchtlingspolitik, wo Tusks Koalition einen ähnlich restriktiven Kurs fahren dürfte wie bisher.

    Auch im Streit um den Rechtsstaat sind keine schnellen Fortschritte zu erwarten. Tusks Regierung dürfte Jahre brauchen, um das Erbe der PiS-Regierung abzuräumen.

    Ärger droht sogar mit der Ukraine: Den Aufstand der polnischen Bauern und Lkw-Fahrer kann Tusk nicht einfach übergehen. Und die Kosten der geplanten Erweiterung kann er nicht ignorieren.

    Experten des Instituts der deutschen Wirtschaft schätzen die finanziellen Folgen einer Vollmitgliedschaft der Ukraine in der EU auf das mehrjährige Budget der EU auf rund 130 bis 190 Milliarden Euro.

    Polen würde damit vom größten Netto-Empfänger zum Nettozahler. Kaum vorstellbar, dass der „leidenschaftliche Pro-EUropäer“ Tusk das einfach so schluckt…

    Siehe auch „Nein, Tusk ist noch längst nicht am Ziel“

    News & Updates

    • Streik gegen Austeritätspolitik. In Brüssel gehen am Dienstag Gewerkschafter und Politiker aus mehreren EU-Ländern auf die Straße, um gegen die geplante Reform der europäischen Schuldenregeln zu protestieren. Die Polizei rechnet mit mehreren tausend Teilnehmern und großen Behinderungen. Hintergrund sind die laufenden Beratungen der Finanzminister. Sie werden mit Hochdruck vorangetrieben und könnten zu neuen Sozialkürzungen führen. – Mehr dazu hier.
    • Zweifel an neuem KI-Gesetz. Der europäische „AI Act“ bleibt hinter den Erwartungen der Medienbranche und vieler Künstler zurück: „Allem Anschein nach wurde nicht sichergestellt, dass Medien und Urheber ausreichende Informationen über die Nutzung ihrer Inhalte durch KI-Systeme erhalten“, heißt es in einer Stellungnahme mehrerer Verbände. Systeme wie Chat-GPT werden mit Inhalten „gefüttert“, doch die Urheber werden nicht bezahlt… – Mehr hier (Blog)
    • Kritik an Israel, Sanktionen gegen Hamas. Die EU verschärft die Gangart gegenüber Israel. Bei einem Treffen der EU-Außenminister in Brüssel warf der Außenbeauftragte Josep Borrell der rechten Regierung vor, sich über europäische und internationale Appelle hinwegzusetzen. Folgen dürfte dies allerdings nicht haben, denn mehrere Staaten – darunter Deutschland – stelln sich schützend hinter Israel. Derweil verhängte die EU neue Sanktionen gegen die Hamas. – Mehr hier (Artikel für die taz)

    Das Letzte

    Eklat um fossile Energien. Empörung bei der Weltklimakonferenz COP28: Die emiratische Präsidentschaft hat einen neuen Entwurf des zentralen Beschlusstextes vorgelegt. Darin ist kein Bekenntnis zum weltweiten Ausstieg aus allen fossilen Energien enthalten. Die neue Version sieht lediglich eine „Verringerung sowohl der Nutzung als auch der Förderung von fossilen Energieträgern“ vor. Deutschland und die EU haben den Entwurf prompt zurückgewiesen. Der Text sei „nicht akzeptabel“, sagte Außenministerin Baerbock in Dubai. Eigentlich erstaunlich: Setzt nicht auch Deutschland wieder vermehrt auf Braunkohle und das klimaschädliche Flüssiggas LNG?

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    3 Comments

    1. Monika
      12. Dezember 2023 @ 12:15

      …Folgen dürfte dies allerdings nicht haben, denn mehrere Staaten – darunter Deutschland – stelln sich schützend hinter Israel. …
      Ist das ein Freudscher Verschreiber? Seit wann kann man sich schützend hinter jemanden stellen? Oder soll damit ausgedrückt werden, dass wir hier mit unserer „Staatsräson“ Israel schützend VOR unsere „Erinnerungskultur“ und „vorbildliche Nazizeitaufarbeitung“ stellen….

    Reply

  • Helmut Höft
    12. Dezember 2023 @ 08:53

    Der Text sei „nicht akzeptabel“, sagte Außenministerin Baerbock in Dubai. Eigentlich erstaunlich: Setzt nicht auch Deutschland wieder vermehrt auf Braunkohle und das klimaschädliche Flüssiggas LNG? Was ist daran erstaunlich? Das ist „Real“Politik. Fromme Wünsche vorbeten und dann die Sau rauslassen.

    Was wir hatten: Relativ sauber und günstig. Das war nicht genug, wir wollen lieber: Dreckig und richtig teuer!

    Wer wählt eigentlich solches Pack?

    Reply


  • Info: https://lostineu.eu/warten-auf-tusk-streik-gegen-austeritaet-und-streit-um-fossile-energien


    unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.




    Weiteres:




    Der Krieg soll den Haushalt retten


    lostineu.eu, vom 11. Dezember 2023

    Die Ampel wird nicht darum herumkommen, auch in 2024 eine Notlage zu erklären, um die Schuldenbremse aussetzen zu können. Wahrscheinlich wird man sich auf den Krieg in der Ukraine als Grund einigen. Ein Gastbeitrag.

    Von André Tautenhahn

    Der Krieg in der Ukraine muss weitergehen, damit Deutschland seine Haushaltskrise in den Griff bekommt.

    Darauf könnte es hinauslaufen, nachdem Bundeskanzler Olaf Scholz auf dem SPD Parteitag am Wochenende erklärte, „Wir wollen, dass kleine Länder sich nicht vor ihren großen Nachbarn fürchten müssen – das ist Frieden und Sicherheit in Europa.“ 

    Und der Parteitag beschloss später einen Leitantrag, in dem es heißt, dass die Sicherheit nun vor Russland organisiert werden müsse. („Solange sich in Russland nichts fundamental ändert, wird die Sicherheit Europas vor Russland organisiert werden müssen.“)

    Der FDP-Parteichef Christian Lindner twitterte oder x-te: 

    Bei allem, was wir noch lösen müssen und auch können, kann ich Olaf Scholz vor allem bei einem nur Recht geben: Die Unterstützung der #Ukraine ist eine Investition auch in unsere Sicherheit. Wir stehen zu dieser gemeinsame Verantwortung in schwierigen Zeiten. CL #spdbpt2023 

    Bei allem, was wir noch lösen müssen und auch können, kann ich Olaf Scholz vor allem bei einem nur Recht geben: Die Unterstützung der #Ukraine ist eine Investition auch in unsere Sicherheit. Wir stehen zu dieser gemeinsame Verantwortung in schwierigen Zeiten. CL #spdbpt2023

    — Christian Lindner (@c_lindner) December 9, 2023

    Und schließlich ist in der FAZ ein Gastbeitrag der Außenministerin Annalena Baerbock erschienen, in dem sie mit ihrer gewohnt dümmlichen Art vor einem Einfrieren des Krieges warnt. 

    Gegen Putins Weltordnung der Gewalt, ist der Text überschrieben, um gleich zu Beginn klarzumachen, was auf dem Spiel steht. „Wladimir Putin kämpft nicht nur gegen die Ukraine. Er kämpft auch für eine Weltordnung, in der internationales Recht nichts gilt. Dagegen müssen wir uns wehren.“ 

    Den Rest kann man sich schenken. Entscheidend ist: die Bundesregierung, das heißt, SPD, FDP und Grüne haben in unmittelbarer zeitlicher Nähe gleichlautende Äußerungen in Umlauf gebracht, um eine gemeinsame Position zu formulieren, mit der sich das Haushaltsproblem im nächsten Jahr lösen lässt. 

    Die Fortsetzung des Krieges in der Ukraine könnte als Begründung für eine Notlage dienen, die es ermöglicht, die Schuldenregel ein weiteres Mal auszusetzen. Das dürfte dann auch die Basis der FDP schlucken, die immerhin mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann eine der lautesten Ukraine-Unterstützerin in ihren Reihen duldet und mit der Haltung sicherlich ihre Spitzenkandidatur für die Europawahl bestreiten will.

    Dazu passt letztlich auch, dass die Militärhilfen des Westens an die Ukraine gerade weniger werden oder, wie im Fall der USA, sogar ganz zur Disposition stehen und sich die Lage für die Ukraine folglich weiter verschlechtert. Damit ließe sich das Aussetzen der Schuldenbremse erst recht begründen.

    Der Union, die mit ihrer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht die Haushaltspolitik der Ampel erfolgreich angreifen konnte, dürfte es schwer fallen, es gegen eine Notlage mit Ukraine-Bezug noch einmal zu tun.

    So könnte am Ende der Krieg den Haushalt der Ampel retten, die politisch bereits auf ganzer Linie gescheitert ist.

    Crosspost vom Taublog. Das Original steht hier Siehe auch Scholz nennt Ukraine-Hilfe existenziell

    6 Comments

    1. KK
      12. Dezember 2023 @ 11:34

      „So könnte am Ende der Krieg den Haushalt der Ampel retten, die politisch bereits auf ganzer Linie gescheitert ist.“

      Wäre ja nicht das erste Mal, dass Kriege Regierungen den Arsch im Innern retten. Viele Kriege wurden genau deswegen angezettelt bzw. provoziert.

    Reply

  • Thomas Damrau
    12. Dezember 2023 @ 08:32

    Die SPD rennt im Augenblick sehend Auges auf den Abgrund zu. (Vielleicht hat die SPD den Schritt über Kante schon getan und wie eine Comic-Figur noch nicht gemerkt, dass ihre Füsse nur noch Luft treten.)
    Eine Politik, die sich als Reparatur-Betrieb für die abenteuerliche US-Außenpolitk sieht und die eh schon fette Rüstungs-Industrie weiter mästen möchte, kann sicherlich die WählerInnen von CDU und FDP begeistern. Und auch die Muster-Transatlantiker, die bei den Grünen das Sagen haben, werden zustimmend nicken.
    Aber diese Politk schreckt die WählerInnen ab, die die SPD braucht, um nach 2025 (falls die Koalition solange hält) noch einmal in den nächsten Jahrzehnten Politik machen zu dürfen. Momentan droht der SPD das Schicksal so vieler sozialdemokratischen Parteien in Europa: Solange Politik gegen die Interessen der Stammkundschaft machen, bis die Stammkundschaft unter das Existenz-Minimum geschrumpft ist.

    Reply

    • ebo
      12. Dezember 2023 @ 08:36

      Die Politik der SPD erinnert an die Zeit vor dem 1. Weltkrieg. Im Juli 1914 organisierte die SPD noch Massendemos gegen den drohenden Waffengang – wenige Tage später stimmte die Partei den Krediten für den Ersten Weltkrieg zu. Über Kriegskredite wir ja auch schon diskutiert…

      Reply

      • Thomas Damrau
        12. Dezember 2023 @ 09:13

        In Krisen gilt noch immer die Aussage „In Gefahr und höchster Not, bringt der Mittelweg den Tod.“

        Wer sich die Pressekommentare in den letzten Tagen anhört, wird feststellen: Die SPD ist den bürgerlichen Medien immer noch nicht genügend in der CDU/FDP/Grün-Logik angekommen. Wenn ich Bekannten zuhöre oder unterwegs Gespräche unter Fremden mitbekomme, registriere ich Grummeln über die Politik der SPD, die schon zu sehr in der CDU/FDP/Grün-Logik angekommen sei. Vor allem wegen des „Theaters um die Ukraine“ …

        Willkommen zwischen allen Stühlen.

  • Arthur Dent
    11. Dezember 2023 @ 23:52

    Hilfe, wir brauchen eine Notlage!
    „Wahrscheinlich wird man sich auf den Krieg in der Ukraine als Grund einigen.“ – Nun, so richtig überraschend oder unvorhergesehenerweise ist der ja nicht mehr. Wäre ich BVerfG, ich würde dies nicht als Begründung zulassen.
    Wenn aber nochmal die Schuldenbremse ausgesetzt wird, sagen die meisten Leute, die ich kenne – Germany first. Das Geld ins eigene Land stecken. Unser Geld ans Ausland verschenken, damit sind die meisten nicht einverstanden.
    „Die Unterstützung der #Ukraine ist eine Investition auch in unsere Sicherheit.“ – für Freiheit und Sicherheit in Deutschland ist nicht die Ukraine zuständig. Die Sicherheit und Freiheit der Bundesrepublik werden durch die Bundeswehr verteidigt laut Grundgesetz. Wäre unsere Sicherheit akut bedroht, müsste das Parlament Soldaten entsenden.

    Reply

  • WBD
    11. Dezember 2023 @ 16:46

    Dieser Pfad birgt einiges an Risiken – denn wenn dadurch deutlich wird, wieviele Milliarden unwiederbringlich im ukrainischen Sumpf versinken, dann ist das eine grosse Chance für die Politiker/innen, bei den nächsten Wahlkämpfen damit zu argumentieren.
    Kein Geld für Kitas, Nahverkehr, und Wohnungsbau, weil alles in Richtung Kiew abfliesst…
    In der Wirtschaft ist jede Ausgabe einer Firma, die ohne belegbaren Rechtsgrund gezahlt wird, ein Ansatz für eine Klage wegen Veruntreuung. In der Politik heissen solche Rechtsgründe ‚Verträge‘ – welcher Vertrag bürdet uns diese Millardensummen auf?
    Wagenknecht, übernehmen Sie !!


  • Info:https://lostineu.eu/der-krieg-soll-den-haushalt-retten


    unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.




    Weiteres:




    Update: Ist das Katargate ein „Belgiengate“?


    lostineu.eu, vom 11. Dezember 2023

    Ein Jahr nach dem größten Korruptionsskandal im Europaparlament kommen immer noch neue Details ans Tageslicht. Der Fokus rückt dabei zunehmend auf Fehler der belgischen Justiz.

    Mehrere Medien, darunter Libération aus Frankreich und die FT aus UK, wundern sich über die Methoden der Belgier. Sie stechen alle Infos durch, mißachten die Unschuldsvermutung und lassen dann alle Verdächtigen wieder auf freien Fuß.

    Statt um ein „Katargate“ gehe es eher um ein „Belgiumgate“, heißt es in der „FT“. Für Unmut sorgt auch, dass die belgische Justiz eine belgische Verdächtige zu schonen scheint und nicht festnimmt – anders als (fast) alle andern.

    Klagen kommen auch von der EU-Bürgerbeauftragten: Das Europaparlament habe sich als Reaktion auf den Skandal zwar neue, schärfere Regeln gegeben, doch die Umsetzung lasse zu wünschen übrig…

    Siehe auch „Ein Jahr Katargate“

    3 Comments

    1. Thomas Damrau
      12. Dezember 2023 @ 08:44

      Für die, die sich ihre Vorurteile gegen die EU mal in filmischer Inszenierung ansehen wollen, empfehle die Serie „Die Saat“ ( https://www.ardmediathek.de/serie/die-saat-toedliche-macht/staffel-1/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL2RpZS1zYWF0/1 )

      Liefert zwar einige Stereotype, aber am Anschauen habe ich mir mehrfach gedacht: „So ähnlich läuft das wohl auch im richtigen Leben.“

    Reply

  • renz
    11. Dezember 2023 @ 23:12

    Der Titel ist schon wert geändert zu werden. Er ist nicht falsch – es fehlt nur etwas: Katargate = Belgiengate = Brüsselgate = EU-Gate

    Reply

  • KK
    11. Dezember 2023 @ 14:33

    „Für Unmut sorgt auch, dass die belgische Justiz eine belgische Verdächtige zu schonen scheint und nicht festnimmt – anders als (fast) alle andern.“
    Könnte das vielleicht damit zusammenhängen, dass belgische Verdächtige sich nicht einfach in ihr Heimatland absetzen und sich so der belgischen Justiz entziehen könnten…? So ein Haftbefehl ist immerhin eine freiheitsentziehende Massnahme, die schon gute Gründe wie zB Fluchtgefahr voraussetzt.

    Reply

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    Info: https://lostineu.eu/update-ist-das-katargate-ein-belgiengate


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    12.12.2023

    Nachrichten von Pressenza: Wettern der Woche: Die Deutschland-Verräter

    aus e-mail von  <newsletter@pressenza.com>, 12. Dezember 2023, 7:17 Uhr


    Nachrichten von Pressenza - 12.12.2023


    Wettern der Woche: Die Deutschland-Verräter


    Vor dem Landgericht Chemnitz begann &#8211; mit fünf Jahren Verspätung &#8211; der Prozess gegen sechs von 122 rechtslaufenden Deutschlandverrätern und AfG-Fußgängern wegen Körperverletzung und Nazirei. Die restlichen verfolgten Kegelbrüder von Höcke und Pegida wurden vom Gericht sinnigerweise in Neuner-Gruppen aufgeteilt:&hellip;

    http://www.pressenza.net/?l=de&track=2023/12/wettern-der-woche-die-deutschland-verraeter/


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    Rüstungsexportkontrollgesetz jetzt!


    Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel! vor dem SPD-Parteitag in Berlin „Aktion Aufschrei –Stoppt den Waffenhandel!“ appellierte am 08.12.23 an die Delegierten des Bundesparteitags der SPD in Berlin, sich für die zügige Vorlage des geplanten Rüstungsexportkontrollgesetzeseinsetzen und spricht den&hellip;

    http://www.pressenza.net/?l=de&track=2023/12/ruestungsexportkontrollgesetz-jetzt/


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    „In China für China”


    Deutsche Unternehmen – Volkswagen, aber auch Mittelständler – machen ihre Werke in China unabhängig von Standorten in Europa, um gegen neue westliche Sanktionen gefeit zu sein. Deutsche China-Investitionen auf Rekordniveau. Vor dem heute beginnenden EU-China-Gipfel gewinnt die Verlagerung deutscher Konzernaktivitäten&hellip;

    http://www.pressenza.net/?l=de&track=2023/12/in-china-fuer-china/


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    Altersarmut und Obdachlosigkeit


    Erneut rezensiere ich einen Roman über Altersarmut und Obdachlosigkeit, aber diesmal spielt die Handlung nicht so wie in Homeless in den USA, sondern direkt vor unserer Haustüre mitten in Europa, in der Slowakei. Ein sehr spannendes, grandios miteinander verwobenes Beziehungsgeflecht der Figuren&hellip;

    http://www.pressenza.net/?l=de&track=2023/12/altersarmut-und-obdachlosigkeit/


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    Pressenza - ist eine internationale Presseagentur, die sich auf Nachrichten zu den Themen Frieden und Gewaltfreiheit spezialisiert hat, mit Vertretungen in Athen, Barcelona, Berlin, Bordeaux, Brüssel, Budapest, Buenos Aires, Florenz, Lima, London, Madrid, Mailand, Manila, Mar del Plata, Montreal, München, New York, Paris, Porto, Quito, Rom, Santiago, Sao Paulo, Turin, Valencia und Wien.


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    12.12.2023

    zu einer existenziellen Ökonomik

    makronom.de, vom 11. Dezember 2023, MANUEL SCHULZ, Gesellschaft

    Wo fängt ein Subjekt an – und wo hört es auf? Diese Frage ist zentral für die Art und Weise, wie wir über Wirtschaft nachdenken und sie organisieren. Ein Beitrag von Manuel Schulz.


    Screenshot_2023_12_12_at_13_36_11_Auf_dem_Weg_zu_einer_existenziellen_konomik

    Bild: Pixabay


    Unsere Gesellschaft befindet sich inmitten eines tiefgreifenden Transformationsprozesses. Mittendrin: die Wirtschaft. In den nächsten Jahren wird sich entscheiden, ob wir den Wandel by disaster oder by design schaffen.

    Diese Debattenreihe von Economists for Future e.V. widmet sich den damit verbundenen ökonomischen Herausforderungen. Zum einen werden Engführungen in den Wirtschaftswissenschaften sowie Leerstellen in der aktuellen Wirtschaftspolitik kritisch-konstruktiv beleuchtet. Zum anderen diskutieren wir Orientierungspunkte für eine zukunftsfähige Ökonomie und geben Impulse für eine plurale Ökonomik, die sozial-ökologische Notwendigkeiten angemessen berücksichtigt.

    Die erste Ausgabe der Debattenreihe startete im September 2019. Die mittlerweile fünfte Staffel stellt nun den Aspekt der Grenzen in den Mittelpunkt – seien es planetare Grenzen und soziale Grundlagen, die Grenzen der Machbarkeit und der politischen Durchsetzbarkeit, die Grenzen ökonomischer Theorie oder (ver)altete Leitbilder, die Grenzen des Subjekts, des Raums oder der Zeit. Alle bisher erschienenen Beiträge finden Sie hier.


    Wo fängt ein Subjekt eigentlich an und wo hört es auf? Diese Frage, die den meisten wohl etwas eigenartig und weit entfernt von ökonomischen Problemen erscheinen dürfte, ist jedoch grundlegend für die Art und Weise, wie wir über Wirtschaft nachdenken und sie infolgedessen organisieren. Beispielsweise zeigt sich bei näherer Betrachtung, dass die Frage nach den Grenzen des Subjektes von großer Relevanz für die Legitimitätsbemessung privater Aneignung ist. Denn dank der emanzipatorischen Errungenschaften – vor – allem der Anti-Sklaverei-Bewegung – kann ein Subjekt auch in vollends vermarktlichten Gesellschaften niemandem gehören, wohl aber alles, was ihm äußerlich ist.


    Gefragt nach der räumlichen Grenze des Subjektes, auf die sich dieser Beitrag fokussieren möchte, würden wohl die meisten Menschen antworten, dass es die Haut sei, die als Innen-Außen-Grenze zwischen menschlichem Subjekt und Objektwelt fungiert. Die damit angesprochene Vorstellung vom Menschen als einem in sich geschlossenen Behälter, einem homo clausus, ist jedoch problematisch. Sie spaltet die existenziellen Gesamtzusammenhänge unseres Daseins künstlich in eine subjektive Innenwelt und eine objektive Außenwelt.


    Eben jene Aufspaltung ist dabei maßgeblich für die ökonomische Dimension des Mensch-Natur- und des Mensch-Mensch-Verhältnisses, wie es im Zusammenspiel insbesondere von der feministischen politischen Ökologie hinterfragt wird (z. B. Gottschlich et al. 2022). Dabei lässt sich die Erfahrungswelt des Betroffenseins am eigenen Leib, so soll gezeigt werden, als empirischer Leitfaden für eine Kritik an der Vorstellung des in sich geschlossenen Einzelmenschen heranziehen.


    Die historische Entstehung des homo clausus

    In seinem 1939 erschienenen Werk „Über den Prozess der Zivilisation“ rekonstruiert Norbert Elias (1997a; 1997b) in kritischer Haltung ein für die westliche Moderne spezifisches Menschenbild, das er als homo clausus bezeichnet. Bei Letzterem handelt es sich um die Vorstellung eines in sich geschlossenen Einzelmenschen, der „in seinem Innern durch eine unsichtbare Mauer, von allem was draußen ist, auch von allen andern Menschen, abgeschlossen ist“ (Elias 1997a: 52).

    Entlang umfassender historischer Untersuchungen zeigt Elias, dass diese Vorstellung eines menschlichen „Selbst im Gehäuse“ (ebd.: 57) Ausdruck historisch gewachsener Organisationsformen des gesellschaftlichen Zusammenlebens ist. Dieses Menschenbild entfaltete sich über mehrere Jahrhunderte hinweg und wurde nicht zuletzt durch die verschiedensten Fachdiskurse verstärkt. Hinsichtlich der Haut, die heute gemeinhin als Chiffre für die Außengrenze eines Menschenbehälters verstanden wird, weisen die Studien von Michel Foucault (1988) auf eine interessante Verschiebung hin. So veränderte sich mit dem Aufkommen der pathologischen Anatomie zum Ende des 18. Jahrhunderts das Verständnis der Haut grundsätzlich. Galt sie vormals als durchlässig, begann man sie paradoxerweise gerade durch die anatomische Praxis des Öffnens zunehmend als eine geschlossene Hülle wahrzunehmen. Sie erschien fortan als die Außengrenze eines Menschenbehälters, die das Innere des Körpers vor dem ärztlichen Blick verbirgt.

    Elias stellt in diesem Zusammenhang die berechtigte Frage, inwiefern es im Sinne eines „sachgerechten Verständnisses des Menschen“ (Elias 1997a: 56) sinnvoll ist, den homo clausus unreflektiert zur Grundlage sozialwissenschaftlicher Analysen zu machen. Mit Blick auf die hier im Fokus stehenden wirtschaftstheoretischen Probleme weist er (1997a: 52) darauf hin, dass sich die Vorstellung des Einzelmenschen „im Zusammenhang mit bestimmten Arten der Interdependenzverflechtung, der gesellschaftlichen Bindungen von Menschen aneinander“ – man könnte auch sagen – mit den jeweiligen Produktionsverhältnissen herausbildet.


    Das stahlharte Gehäuse des Einzelmenschen und sein ideologischer Nutzen

    Entsprechend dieser Feststellung wird die Konstruktion einer scharfen Innen-Außen-Grenze des Subjektes schließlich dort ökonomisch relevant, wo es um die Frage nach legitimen Zugriffs- und Aneignungsrechten geht. Denn wenn das Wesen eines menschlichen Subjektes an der Haut seine Grenze findet, dann gehört das zur „Umwelt“ werdende Habitat, mit dem wir als Säugetiere existenziell verwachsen sind, nicht mehr dazu. In der Vorstellung des homo clausus reduziert sich der Mensch auf ein Einzelding, das, wie es Karl Marx (MEW 40: 512) einmal polemisch formulierte, „bis zum Hungertod entwirklicht“ wird.

    Dies hat mindestens zwei Auswirkungen auf die Organisationsformen des Ökonomischen: Einerseits wird das menschliche Selbst seines Lebensraumes beraubt und die zum Außen gemachte Umwelt für eine ungehemmte private Aneignung verfügbar gemacht. Andererseits, und als Folge dessen, wird die Verantwortung für den Umgang mit dem so erzeugten „Mangel“ individualisiert. Im Rahmen herrschender Eigentumsverhältnisse pfercht man das Subjekt in das stahlharte Gehäuse eines Einzelmenschen ein – ein Gehäuse, aus dem nur noch die Zahlungsfähigkeit herausführt. Mittels letzterer können wir dann Ausschnitte des „Äußerlichen“ käuflich erwerben, man müsste streng genommen sagen, sie zurückkaufen.

    Infolgedessen prägt die Vorstellung des homo clausus nicht nur das Mensch-Natur-Verhältnis, sondern in erheblichem Maße auch das Verhältnis der Menschen untereinander. Im Zusammenhang mit letzterem Aspekt ist hinzuzufügen, dass der Einzelmensch in der Regel als autonome erwachsene Person vorgestellt wird. Elias (1997a: 50) schreibt: „Von der Tatsache, daß [der Mensch] als Kind auf die Welt gekommen ist, von dem ganzen Prozeß seiner Entwicklung zum Erwachsenen und als Erwachsener, sieht man bei diesem Menschenbild als unwesentlich ab“. Dementsprechend gilt es bei der Kritik an der für kapitalistische Gesellschaften typischen Abwertung des Care-Sektors neben der patriarchalen Dimension (Bauhardt 2019) nicht zuletzt auch auf den entscheidenden Beitrag hinzuweisen, den der homo clausus in diesem Kontext historisch gespielt hat und bis heute spielt.

    Ideologisch ist das kritisierte Menschenbild mit seiner Verleugnung existenzieller Gesamtzusammenhänge also aus mindestens zwei Gründen: Erstens steht es in einem deutlichen Widerspruch zu empirischen Tatsachen und zweitens erzeugt es spezifische Formen der Bedürftigkeit, welche fortan warenförmig erschlossen und die resultierenden Gewinne privat angeeignet werden können.


    Das Spüren am eigenen Leib als empirische Grundlage der Kritik

    Dabei gibt es eine Wissenschaftsdisziplin, die es uns erlaubt, den Reduktionismus dieses Menschenbildes entlang empirischer Beobachtungen aufzudecken und zu kritisieren. Es handelt sich um die Leibphänomenologie, also um die Wissenschaft von den Erscheinungsformen eigenleiblicher Erfahrung.

    Ein Vertreter dieser Disziplin ist Hermann Schmitz (1928-2021), der Begründer der Neuen Phänomenologie (z. B. Schmitz 2016). Entlang der von ihm entwickelten Erkenntnistheorie wird deutlich, dass wir es beim Verhältnis von Subjekt und Umwelt keineswegs mit einer starren Innen-Außen-Grenze zu tun haben. Vielmehr sind die Grenzen zwischen dem Subjekt und den es umgebenden Gegenständen der „äußeren“ Welt fließend, was sich an einfachen Alltagsbeispielen veranschaulichen lässt; nehmen wir den geübten Umgang mit einem Werkzeug, z. B. das Fahren mit dem Fahrrad oder die Benutzung von Messer und Gabel. Blieben die Gegenstände unseres alltäglichen Umganges bloße Dinge der „äußeren“ Welt, wie es das Menschenbild des homo clausus im Einklang mit klassischen Erkenntnistheorien suggeriert, könnten wir nur sehr schwer oder gar nicht intentional mit ihnen handeln.

    Im Unterschied dazu zeigt eine neophänomenologische Betrachtung, dass die Gegenstände im Falle des vertrauten Umganges mit ihnen von uns als etwas wahrgenommen werden, das dem Selbst spürbar angehört. Eine „Subjektgrenze“, wenn es sie denn überhaupt geben sollte, ist hier vorübergehend aufgehoben oder zumindest an die Ränder des praktischen Vollzuges verschoben; ein Phänomen, für das Schmitz (2016: 184) den Begriff der „Einleibung“ entwickelt hat. Dabei wird uns zumeist erst dann bewusst, was gelingende Einleibung bedeutet, wenn sie Schwierigkeiten macht, sprich, wenn wir auf oder in ein ungewohntes Fahrzeug steigen oder anstatt Messer und Gabel Essstäbchen verwenden. Dann wird die Dingwelt widerständig, so widerständig wie die kapitalistisch eingerichtete Warenwelt in dem Moment, wo man ohne Zahlungsmittel versucht, beim Supermarkt an etwas Essbares zu kommen.

    Die leibphänomenologische Kritik an der Ausblendung existenzieller Gesamtzusammenhänge kann dabei nicht zuletzt auch auf den Care-Sektor angewendet werden. Auch in dieser Hinsicht lassen sich pathische, d. h. leiblich spürbare Erfahrungen aufzeigen, die die Vorstellung eines autonomen Menschenbehälters empirisch Lügen strafen. Ein anschauliches Beispiel der jüngeren Vergangenheit ist die Corona-Pandemie. Hier fanden sich die Menschen in eine Situation gestürzt, in der die am eigenen Leib erfahrene Sorge um das Nichtversorgtwerden grassierte. Dabei gewannen die Menschen einen empirischen Einblick in die existenzielle Notwendigkeit von Sorgearbeit und wurden sich spürbar gewahr, dass es mit der Autonomie eines Einzelmenschen nicht weit her ist (Schulz 2021).

    Was den zahlreichen Studien über die Missstände im Care-Sektor in den Jahren zuvor nicht gelungen war, namentlich ein kollektives Problembewusstsein zu erzeugen, schaffte das Betroffensein am eigenen Leib über Nacht. Schlagartig erlangte die wechselseitige Verwiesenheit der Menschen eine pathische Evidenz, welche in einer weit verbreiteten Kritik an den herrschenden Organisationsformen der Sorgearbeit mündete.


    Fazit – existenzielle Ökonomik als emanzipatorischer Prozess

    Unabhängig von der historisch gewachsenen Vorstellung von in sich geschlossenen Einzelmenschen erlaubt es uns das Spüren am eigenen Leib, die Grenzen des Subjektes entlang empirischer Einsichten neu auszuloten. Auf der Ebene des Leiblichen finden wir eine Art Basiserfahrung, die als Leitfaden für die Einschätzung der Legitimität von eigentumsrechtlichen Ein- und Ausgrenzungskriterien sowie für die Frage nach der vernünftigen Organisation der Daseinsvorsorge herangezogen werden kann (insbesondere zu letzterem siehe Schulz 2020). Wir stehen den Dingen und den anderen Menschen nicht äußerlich und unverbunden gegenüber, sondern wir befinden uns mit beiden Sphären in einen existenziellen Gesamtzusammenhang pathisch verstrickt – einen Gesamtzusammenhang, an dem sich eine am Menschenbild des homo clausus orientierte Wirtschaftswissenschaft konzeptionell die Zähne ausbeißen muss.

    Mit Blick auf eine Ökonomik, die sich dieser leiblich erfahrbaren Interdependenzverkettungen bewusst ist, sind insbesondere zwei Aspekte zu betonen: Einerseits ist analytisch streng nach subjektiver und individueller Erfahrung zu unterscheiden. Denn zwar sind die als Empirie heranzuziehenden Erfahrungen in höchstem Maße subjektiv, denn niemand kann meinen Hunger oder meine Sorge um das Nichtversorgtwerden empfinden. Sie besitzen eine spezifische Dimension, die die Neue Phänomenologie (Schmitz 2011: 73 ff.) als „subjektive Tatsächlichkeit“ bezeichnet. Dennoch sind sie eben offenkundig keineswegs individuell im Sinne des sozialen Status oder der gesellschaftlich-kulturellen Vermitteltheit.


    Des Weiteren ist es wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass eine entsprechend vorzunehmende Neuvermessung der Grenzen des Subjektes die Fortsetzung eines emanzipatorischen Projektes darstellt. Denn während die hier vorgeschlagene Perspektive eine subjekttheoretische Grenzverschiebung nach Außen nahelegt, war und ist es der umgekehrte Weg, sprich die Grenzverschiebung nach Innen, die charakteristisch für das ökonomische Ausbeutungsverhältnis der Sklaverei ist. Nicht ohne Grund versuchte man zu deren Hochzeiten die Entrechtung der betroffenen Menschen damit zu legitimieren, dass man ihnen die Fähigkeit zum subjektiv innenweltlichen Erleben absprach. Das Ziel dabei war es, die Grenze des legitimen Zugriffs von Außen so weit auszudehnen, bis man es vermeintlich bloß noch mit einem Gegenstand der äußeren Welt zu tun hat – eine Strategie, die im Übrigen mit Blick auf das Mensch-Tier-Verhältnis bis heute andauert.


    Der dringend nötige Aushandlungsprozess über die erwähnte Grenzverschiebung birgt natürlich – und hier sollte man sich keinen Illusionen hingeben – eine kaum zu überschätzende gesellschaftspolitische Sprengkraft. Allerdings scheint dies angesichts der zunehmend verheerenden Folgeerscheinungen gegenwärtiger Grenzregime, seien sie subjekttheoretischer oder geografischer Natur, dringender denn je. In dieser Hinsicht haben die beiden derzeit wohl größten Tragödien der westlichen Gesellschaften, die sozial-ökologische Krise und der unmenschliche Umgang mit Migrationsbewegungen, eine strukturverwandte Ursache: empirisch nicht begründbare Grenzziehungen, die gleichermaßen ideologisch wie existenziell verheerend sind.

     

    Zum Autor:

    Manuel Schulz studierte Soziologie und Volkswirtschaftslehre in Marburg und wurde im Herbst 2022 am Arbeitsbereich Allgemeine und Theoretische Soziologie der Universität Jena promoviert. Seine bisherigen Forschungsschwerpunkte liegen insbesondere in der Neuen Phänomenologie, in der allgemeinen Wirtschafts- und Gesellschaftstheorie sowie in zeittheoretischen Analysen auf dem Gebiet der Finanzmarktsoziologie. Ab März 2024 wird er als Postdoc an der Universität zu Köln aller Voraussicht nach ein eigenes Forschungsprojekt zu den Grundlagen einer existenzphilosophischen Wirtschaftssoziologie durchführen.


    Kommentare


    Info: https://makronom.de/auf-dem-weg-zu-einer-existenziellen-oekonomik-45528?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=auf-dem-weg-zu-einer-existenziellen-oekonomik


    unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

    12.12.2023

    Corona-Impfungen: Was die unerwünschten Proteine bei den mRNA-Impfstoffen bedeuten

    spektrum.de, vom 6. Dezember 2023

    Aktuelle Seite: Was die Nebenprodukte bei den mRNA-Impfstoffen bedeuten


    von Lars Fisch


    © selvanegra / Getty Images / iStock (Ausschnitt)


    Damit ein Protein entstehen kann, wird mRNA durch einen Proteinkomplex namens Ribosom gefädelt. Je drei mRNA-Bausteine sagen dem Komplex, welche Aminosäure ins Protein (rot) eingebaut wird


    In diesem Artikel:



    Bei einer jetzt in der Fachzeitschrift »Nature« veröffentlichten Studie hat sich gezeigt, dass mRNA-Impfstoffe kleine Mengen unerwünschter Proteine entstehen können. Das liegt, wie die Arbeitsgruppe um Anne E. Willis von der University of Cambridge berichtet, an einer chemischen Veränderung der Impf-mRNA, die dazu führt, dass das Molekül manchmal nicht korrekt ausgelesen wird: Der Vorgang produziert gelegentlich quasi molekularen Ausschuss. Doch was bedeutet das für die Impfung, und welche Folgen hat das für die mRNA-Technologie allgemein? Ein Überblick über die Hintergründe der Entdeckung.


    Warum wird die Impf-mRNA ungenau gelesen?

    Bei der mRNA des Impfstoffs ist einer der vier Bausteine der RNA durch eine chemisch veränderte Variante ersetzt worden. Neben den normalen Bausteinen Cytosin (C), Guanin (G) und Adenin (A) enthält es statt Uracil (U) den Baustein 1-Methylpseudouracil. Dadurch löst die mRNA einerseits eine weniger starke angeborene Immunreaktion aus – die sich nach der Impfung durch Symptome ähnlich wie ein Infekt äußert –, und andererseits wird aus ihr mehr Protein gebildet.

    Allerdings ist bekannt, dass ein solcher Austausch dazu führen kann, dass die künstliche mRNA nicht ganz so präzise ausgelesen wird. So hatten frühere Studien gezeigt, dass andere veränderte mRNA-Bausteine – die nicht im Impfstoff auftauchen – beim Herstellen des Proteins falsch, also als andere Bausteine, gelesen werden können und so veränderte Proteine entstehen lassen. 1-Methylpseudouracil verursacht diese Lesefehler nicht. Studien zeigten jedoch, dass der Baustein dazu führt, dass die mRNA langsamer ausgelesen wird. Wie diese Veränderung auf die Übersetzung in Proteine auswirkt, ist zum Teil noch unbekannt.


    Info: https://www.spektrum.de/news/was-die-nebenprodukte-bei-den-mrna-impfstoffen-bedeuten/2200755?utm_source=pocket-newtab-de-de




    Weiteres:




    Info: https://www.nature.com/articles/s41586-023-06800-3


    Hier anschließend

    12.12.2023

    N1-methylpseudouridylation of mRNA causes +1 ribosomal frameshifting     (I von IV)

    Download PDF https://www.nature.com/articles/s41586-023-06800-3.pdf


    N1-methylpseudouridylation of mRNA causes +1 ribosomal frameshifting Nature (2023)Cite this article

    AbstractIn vitro-transcribed (IVT) mRNAs are modalities that can combat human disease, exemplified by their use as vaccines for severe acute respiratory syndrome coronavirus 2 (SARS-CoV-2). IVT mRNAs are transfected into target cells, where they are translated into recombinant protein, and the biological activity or immunogenicity of the encoded protein exerts an intended therapeutic effect1,2. Modified ribonucleotides are commonly incorporated into therapeutic IVT mRNAs to decrease their innate immunogenicity3,4,5, but their effects on mRNA translation fidelity have not been fully explored. Here we demonstrate that incorporation of N1-methylpseudouridine into mRNA results in +1 ribosomal frameshifting in vitro and that cellular immunity in mice and humans to +1 frameshifted products from BNT162b2 vaccine mRNA translation occurs after vaccination. The +1 ribosome frameshifting observed is probably a consequence of N1-methylpseudouridine-induced ribosome stalling during IVT mRNA translation, with frameshifting occurring at ribosome slippery sequences. However, we demonstrate that synonymous targeting of such slippery sequences provides an effective strategy to reduce the production of frameshifted products. Overall, these data increase our understanding of how modified ribonucleotides affect the fidelity of mRNA translation, and although there are no adverse outcomes reported from mistranslation of mRNA-based SARS-CoV-2 vaccines in humans, these data highlight potential off-target effects for future mRNA-based therapeutics and demonstrate the requirement for sequence optimization.

    MainA key feature of therapeutic IVT mRNAs is that they contain modified ribonucleotides, which have been shown to decrease innate immunogenicity and can additionally increase mRNA stability, both of which are favourable characteristics for mRNA therapies1,2,3,4,5. For example, clinically approved SARS-CoV-2 mRNA vaccines incorporate N1-methylpseudouridine (1-methylΨ), which has been shown to decrease IVT mRNA innate immunogenicity3,4,5. Some modified ribonucleotides, such as 5-methylcytidine (5-methylC), are naturally occurring post-transcriptional mRNA modifications in eukaryotes, whereas others are not, such as 1-methylΨ (refs. 6,7,8,9,10).

    We investigated how 5-methoxyuridine (5-methoxyU), 5-methylC and 1-methylΨ affect translation of IVT mRNA. 5-methoxyU, 5-methylC and 1-methylΨ have been utilized in IVT mRNAs to attempt to increase recombinant protein synthesis in vitro, and for preclinical proof of concept for IVT mRNA-based therapies11,12. As mentioned, 1-methylΨ is a ribonucleotide incorporated in licensed IVT mRNA-based SARS-CoV-2 vaccines, but also mRNA-based human vaccines and therapies in development2,13,14.

    Despite their widespread use, surprisingly little is known about how ribonucleotide modification affects protein synthesis, particularly for translation of therapeutic IVT mRNAs. We were interested in how modified ribonucleotides affect the fidelity of mRNA translation for several reasons. Certain ribonucleotide modifications can recode mRNA sequences (for example, inosine15). 5-methylC has previously been shown to increase misreading during mRNA translation in prokaryotes, but its effect on eukaryotic mRNA translation fidelity has not been explored16. The effect of 5-methoxyU on translation fidelity has not been investigated. Pseudouridine (Ψ) is known to increase misreading of mRNA stop codons in eukaryotes, and can affect misreading during prokaryotic mRNA translation16,17,18. 1-methylΨ does not seem to affect codon misreading, but has been shown to affect protein synthesis rates and ribosome density on mRNAs, suggesting a direct effect on mRNA translation19,20.

    At present, it is unclear which modified ribonucleotides affect mRNA translation fidelity and existing studies are mostly limited to understanding misreading frequencies only at a given codon. Misreading of mRNA codons is also only one type of post-transcriptional mechanism that can alter a polypeptide sequence. So far, no study has investigated the fundamental question of whether modified ribonucleotides can affect the maintenance of the correct reading frame during translation of a synthetic transcript. Understanding these processes is critical to increase our knowledge of protein synthesis from modified mRNAs in general, but is also imperative for the robust design and evaluation of new mRNA-based therapeutics that make use of modified ribonucleotides within widely differing RNA sequences or therapeutic contexts.

    To investigate how ribonucleotide modification affects reading frame maintenance during translation of mRNA, we designed and synthesized IVT mRNAs (Fluc+1FS) that report on out-of-frame protein synthesis (Fig. 1a). Fluc+1FS mRNAs encode an amino-terminal segment of firefly luciferase (NFluc) and a complementary carboxy-terminal segment of Fluc (CFluc), directly downstream. CFluc is encoded in the +1 reading frame. Fluc+1FS mRNAs are designed to produce catalytically inactive (truncated) NFluc when translated normally. However, if ribosomes move out of frame during translation, elongated polypeptides containing residues from both in-frame NFluc and out-of-frame CFluc can be produced, which can increase catalytic activity.

    figure 1

    a, Structures of IVT mRNA transcripts used to probe protein synthesis fidelity. WT Fluc contains only (in-frame) Fluc coding sequence. For Fluc+1FS, the green segment represents in-frame N-terminal Fluc coding sequence (NFluc), and the orange segment represents +1 frameshifted C-terminal Fluc coding sequence (CFluc). Asterisk represents a premature stop codon. b, Luciferase activity produced by translation of WT Fluc mRNAs, either unmodified control (canonical nucleotides), or containing 1-methylΨ (m1Ψ), 5-methylC (m5C), 5-methoxyU (mo5U) or the combinations indicated. **P < 0.01 (1-methylΨ + 5-methylC, P = 0.0051; 5-methoxyU, P = 0.0023; 5-methoxyU + 5-methylC, P = 0.0042; one-way analysis of variance (ANOVA) with Dunnett’s test). c, Luciferase activity produced by translation of modified Fluc+1FS mRNAs and unmodified control. 1-methylΨ, P = 0.002 (one-way ANOVA with Dunnett’s test). d, Luciferase activity in lysates produced by transfection of HeLa cells with unmodified or 1-methylΨ Fluc+1FS mRNA for 8 h. P = 0.0104 (Welch’s one-tailed t-test). e, Western blot analysis (anti-Flag epitope) of polypeptides produced by translation of mRNAs in c. All data are obtained from n = 3 replicated experiments. e shows a single blot from n = 3 replicated experiments. Asterisks represent bands at higher molecular weight. For gel source data, see Supplementary Fig. 2.


    Fig. 1: Translation of 1-methylΨ-modified mRNA produces +1 frameshifted polypeptides.


    Full size image

    We synthesized unmodified Fluc+1FS mRNAs, which contain canonical ribonucleotides, and translated them in vitro. We confirmed that Fluc+1FS mRNAs produce catalytically inactive NFluc (Extended Data Fig. 1). By comparison, unmodified wild-type (WT) Fluc mRNA, containing the complete in-frame Fluc coding sequence, produced the expected active protein (Extended Data Fig. 1). Then we synthesized and translated each mRNA containing 5-methoxyU, 5-methylC, 1-methylΨ, 5-methoxyU + 5-methylC or 1-methylΨ + 5-methylC. Translation of WT Fluc mRNA was not significantly affected by either 1-methylΨ or 5-methylC modifications alone, but was decreased by incorporating both ribonucleotides into a single transcript (Fig. 1b). 5-methoxyU incorporation alone, or combined with 5-methylC, significantly decreased translation of WT Fluc mRNA (Fig. 1b). Incorporation of 1-methylΨ in Fluc+1FS mRNA significantly increased ribosomal +1 frameshifting to about 8% of the corresponding in-frame protein, which was not observed for other ribonucleotides (Fig. 1c). HeLa cells transfected with 1-methylΨ Fluc+1FS mRNA recapitulated the results from in vitro translation (Fig. 1d). On the basis of these observations, we concluded that IVT mRNA containing 1-methylΨ or 5-methylC exhibits similar translation efficiency to unmodified mRNA, but 1-methylΨ significantly increases ribosomal +1 frameshifting during mRNA translation.

    We observed a large increase in ribosomal +1 frameshifting during translation of 1-methylΨ mRNA and reasoned that gaining better understanding of the translation products would complement the reporter assay data and help to explain how +1 frameshifted products originate. To address these aspects, we probed the polypeptides produced during IVT mRNA translation by western blotting. Translation of unmodified Fluc+1FS mRNA produced the expected in-frame truncated product, which was also true for 5-methylC mRNA (Fig. 1e). Translation of 1-methylΨ mRNA produced the expected in-frame product, but also produced two additional bands at higher molecular weight (Fig. 1e). We reasoned that these products were +1 frameshifted polypeptides. We also confirmed that 1-methylΨ + 5-methylC-, 5-methoxyU- and 5-methoxyU + 5-methylC mRNAs were comparatively poor mRNA templates for protein synthesis (Fig. 1e).

    1-methylΨ is also used in clinically approved SARS-CoV-2 mRNA vaccines3,4. As 1-methylΨ increased +1 ribosome frameshifting during translation in vitro, we investigated whether this occurs in vivo for BNT162b2, a SARS-CoV-2 mRNA vaccine containing 1-methylΨ. We reasoned that +1 ribosomal frameshifting during recombinant antigen mRNA translation could lead to presentation of +1 frameshifted products to T cells, and elicit off-target cellular immune responses (Fig. 2a). Antigen presentation from mistranslation of endogenous tumour mRNA has been shown to occur in vivo (for example, ref. 21). To address this possibility, we vaccinated mice with BNT162b2 and quantified their T cell response to in-frame SARS-CoV-2 spike protein and +1 frameshifted products predicted to occur by translation of the mRNA +1 frame, as well as an unrelated control antigen (SARS-CoV-2 M protein), by interferon-γ (IFNγ) ELISpot assay. Junction peptides consisting of in-frame N-terminal residues and C-terminal +1 frameshifted residues were not included. We found that responses to +1 frameshifted spike peptides were significantly increased in vaccinated mice compared to untreated mice or those vaccinated with ChAdOx nCoV-19, which does not produce antigen from translation of N1-methylpseudouridylated mRNA22 (Fig. 2b). Both BNT162b2 and ChAdOx1 nCoV-19 vaccination produced ELISpot responses to in-frame SARS-CoV-2 spike (Fig. 2c). These data suggest that +1 frameshifted products encoded in BNT162b2 spike mRNA are T cell antigens for inbred mice, to which off-target immunity can be detected following vaccination.


    figure 2

    a, Depiction of spike and +1 frameshifted (+1FS) products produced by 1-methylΨ-modified spike mRNA translation. CDS, coding sequence. b, Splenocyte IFNγ ELISpot responses from untreated, ChAdOx1 nCoV-19-vaccinated or BNT162b2-vaccinated mice stimulated with +1FS spike peptides. IFNγ ELISpot response from BNT162b2-vaccinated mice stimulated with SARS-CoV-2 M peptides (unrelated control antigen) is included for additional comparison. SFU, spot-forming units. Each group n = 8. Untreated versus ChAdOx1 nCoV-19, P = 0.963; untreated versus BNT162b2, P = 0.0005; ChAdOx1 nCoV-19 versus BNT162b2, P = 0.001. c, Splenocyte IFNγ ELISpot responses from mice in b stimulated with spike peptides. Untreated versus ChAdOx1 nCoV-19, P = 2.05 × 10−9; untreated versus BNT162b2, P = 4.5 × 10−14; ChAdOx1 nCoV-19 versus BNT162b2, P = 1.88 × 10−13. d, Peripheral blood mononuclear cells (PBMC) IFNγ ELISpot responses from donors vaccinated with ChAdOx1 nCoV-19 (n = 20) or BNT162b2 (n = 21) stimulated with +1FS spike peptides. P = 0.0233 (Welch’s one-tailed t-test). e, PBMC IFNγ ELISpot responses from donors in c stimulated with in-frame spike peptides: total spike pool or spike S1 + S2 subpools. ChAdOx1 nCoV-19 spike versus BNT162b2 spike, P = 0.371; ChAdOx1 nCoV-19 spike versus BNT162b2 S1 + S2, P = 0.0845; BNT162b2 spike versus BNT162b2 S1 + S2, P = 0.686. f, Representative images of PBMC IFNγ ELISpot response wells for two individuals vaccinated with either BNT162b2 responder (top) or ChAdOx1 nCoV-19 (bottom). Left to right: in-frame spike response (spike peptides); +1FS spike response (+1FS spike peptides); no peptide control. P values in b,c,e were determined by one-way ANOVA and Tukey’s test.

    Source Data


    Fig. 2: +1 frameshifted products elicit off-target cellular immune responses following modified mRNA vaccination.


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    We then compared IFNγ ELISpot responses to predicted +1 frameshifted SARS-CoV-2 spike protein products in 21 individuals vaccinated with BNT162b2 and compared these responses to those of 20 individuals vaccinated with ChAdOx1 nCoV-19, none of whom reported undue effects as a result of vaccination. We detected a significantly higher IFNγ response to +1 frameshifted antigen in the BNT162b2 vaccine group, compared to ChAdOx1 nCoV-19 (Fig. 2d). There was no association between T cell responses to +1 frameshifted antigen and age, sex or HLA subtype (Supplementary Table 1 and Extended Data Figs. 2 and 3). Both ChAdOx1 nCoV-19 and BNT162b2 vaccination produced ELISpot responses to in-frame SARS-CoV-2 spike, but responses to +1 frameshifted products were observed only in individuals vaccinated with BNT162b2 (Fig. 2e,f). During SARS-CoV-2 viral replication, a programmed −1 ribosomal frameshift occurs naturally during translation of open reading frame (ORF) 1a and ORF1b (ref. 23). It is not feasible that these data are a consequence of natural SARS-CoV-2 infection for the following, non-exhaustive, reasons. First, no frameshifting activity is known to occur during SARS-CoV-2 spike subgenomic mRNA translation (which would be a major discovery in its own right). Second, −1 frameshifting (and not +1 frameshifting) is restricted to a single programmed site in ORF1a and ORF1b (ref. 23). Third, +1 frameshifted peptides are predicted from the BNT162b2 mRNA sequence, and not the S gene sequence from wild virus (Extended Data Fig. 4). Instead, these data suggest that vaccination with 1-methylΨ mRNA can elicit cellular immunity to peptide antigens produced by +1 ribosomal frameshifting in both major histocompatibility complex (MHC)-diverse people and MHC-uniform mice.

    To provide further mechanistic insight into +1 ribosome frameshifting during translation of 1-methylΨ mRNA, and identify potential frameshift sites or sequences, we translated 1-methylΨ Fluc+1FS mRNA, purified the major putative +1 frameshifted polypeptide and carried out liquid chromatography tandem mass spectrometry (LC–MS/MS) of tryptic digests. From this single polypeptide, we identified six in-frame peptides and nine peptides derived from the mRNA +1 frame (Fig. 3a and Extended Data Table 1). All in-frame peptides were mapped to the N-terminal region, whereas +1 frameshifted peptides were mapped downstream (Fig. 3a). We then repeated this analysis using a different protease and identified a junction peptide spanning the main frame and the +1 frame (Fig. 3b). These data demonstrated that the elongated polypeptide was indeed a chimeric polypeptide consisting of in-frame N-terminal residues and +1 frameshifted C-terminal residues. As expected, shorter frameshifted products were also produced from translation of 1-methylΨ mRNA encoding full-length Fluc (Extended Data Fig. 5).

    figure 3

    a, Tryptic peptide coverage plot of the purified high molecular weight polypeptide produced by translation of 1-methylΨ Fluc+1FS mRNA, showing in-frame residues (top) and +1 frameshifted residues (bottom). −log10[PEP] is the mass spectrum percolator score (only high-quality peptides are shown). IP, immunoprecipitate. The structure of Fluc+1FS mRNA from Fig. 1 is re-displayed and a western blot of the translation reaction before immunoprecipitation is displayed. For gel source data, see Supplementary Fig. 3. b, Junction peptide derived from +1 ribosomal frameshifting and the originating mRNA sequence. c, Nucleotide deletions in unmodified (top) and 1-methylΨ (bottom) Fluc+1FS mRNA, quantified by n = 3 RNA-sequencing analyses. d, Nucleotide insertions in unmodified (top) and 1-methylΨ (bottom) Fluc+1FS mRNA.


    Fig. 3: Mistranslation of 1-methylΨ mRNA is due to +1 ribosomal frameshifting and not transcriptional errors.


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    Apparent errors in protein synthesis, including frameshifting, can be consequences of DNA mutation or transcriptional errors24. Hence, faithful translation of an incorrect mRNA sequence can produce incorrect proteins. In vitro transcripts are presumed to be exact RNA copies of template DNA, the accuracy of which may be estimated by the fidelity of the used RNA polymerase. However, the substitution of canonical substrate ribonucleoside triphosphates for modified nucleotides may increase transcriptional errors. To address this possibility, we carried out high-throughput RNA sequencing of unmodified and 1-methylΨ Fluc+1FS mRNA and quantified nucleotide insertions and deletions in each population of IVT mRNA. Nucleotide deletion profiles for each mRNA were very similar (Fig. 3c), as were nucleotide insertions (Fig. 3d), suggesting few site-specific differences. The overall frequency of insertions and deletions was low, and did not differ significantly between unmodified and 1-methylΨ mRNA (Extended Data Table 2), which is supported by recent observations25. From these findings, we concluded that frameshifted products of 1-methylΨ mRNA translation were not due to transcriptional errors, but were due to bona fide ribosomal +1 frameshifting—a post-transcriptional mechanism.

    Ribosome frameshifting is a well-documented phenomenon that occurs during translation of many naturally occurring mRNAs24. As ribosome stalling is implicated in several instances of +1 frameshifting, we queried how the presence of 1-methylΨ in IVT mRNA affects translation elongation26,27,28. To do this, we assayed protein synthesis during translation of unmodified or 1-methylΨ WT Fluc mRNA using co-translational [35S]methionine labelling29. Translation elongation of 1-methylΨ mRNA was slower than for unmodified mRNA (Fig. 4a), which is supported by previous observations20. All reactions were run for 30 min and there was less full-length protein produced from the translation of 1-methylΨ-containing mRNAs, suggesting a slower elongation rate compared to that of unmodified mRNA, with a greater proportion of premature polypeptide products. These data suggested that elongating ribosomes stall during translation of mRNA containing 1-methylΨ.

    figure 4

    a, SDS–polyacrylamide gel electrophoresis autoradiograph of [35S]methionine-labelled polypeptides produced by translation of unmodified or 1-methylΨ Fluc mRNA for 30 min, including or omitting 100 μM paromomycin (+PMN and −PMN, respectively). b, Diagram showing putative mRNA slippery sequences and stop-codon-flanked windows. c, Activity of +1 frameshifted products after translation of 1-methylΨ mutant mRNAs, or 1-methylΨ Fluc+1FS2 control mRNA, for 2 h. Fluc+1FS2 versus U*187C, P = 0.024; Fluc+1FS2 versus U*208C, P = 0.0236 (one-way ANOVA with Dunnett’s test). d, Total mRNA translation over 2 h for each of Fluc+1FS2 mRNA or mutant mRNAs, quantified by [35S]methionine incorporation. CPM, counts per minute. e, Western blot analysis (anti-Flag epitope) of polypeptides produced by translation of mRNAs in c, and U*187C/U*208C double-mutant 1-methylΨ mRNA. Data are from n = 3 replicated experiments. a and e show representative images from n = 3 replicated experiments. For gel source data, see Supplementary Figs. 4 and 5.


    Fig. 4: +1 ribosomal frameshifting is dependent on mRNA slippery sequences and associated with ribosome stalling during 1-methylΨ mRNA translation.


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