03.12.2022

Fremde Federn    Wall-Street-Horrorkabinett, Bürgergeld, Amazon

makronom.de, vom 30. November 2022, Makrothek In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftpolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.



Das Wallstreet-Horrorkabinett für 2023

piqer:
Rico Grimm

Es war ein wildes Jahr an den internationalen Finanzmärkten. Gelernte Wahrheiten, die Jahrzehnte galten, müssen über den Haufen gekehrt werden, z. B. dass es Sinn macht, Aktien und Staatsanleihen in einem Portfolio zu mischen, weil sich beide Anlageklassen ausgleichen. Das nächste Jahr allerdings wird nicht unbedingt besser werden, wie diese handliche Übersicht zeigt, die ich euch heute empfehle. Darin haben Finanzprofis die Charts mitgebracht, die ihnen Kopfzerbrechen bereiten. Angefangen bei der „Geisterkurve“ im US-Staatsanleihenmarkt (der Chart sieht aus wie ein Geist), weiter bei den Lohnerwartungen im US-Arbeitsmarkt, Industrieoutput und noch einige Charts mehr.

Alle beziehen sich auf die US-Wirtschaft, dennoch ist es informativ, da die Probleme in Europa zum Teil die gleichen sind. Und alle Charts zeigen Entwicklungen, die noch immer andauern. Wer also wissen will, über welche Entwicklungen die Märkte nächstes Jahr diskutieren werden, sollte diesen Artikel lesen.

bloombergLooking for a Fright? Here Are Some Chilling Markets ChartsAutorinnen: Vildana Hajric & Katherine Greifeld



Die Würde des Menschen ist antastbar, zeigt die Bürgergeld-Debatte

piqer:
Alexandra Endres

Der politische Streit ist beigelegt. Zum kommenden Jahr wird in Deutschland das Bürgergeld eingeführt, das Hartz IV ersetzen soll. Was sich dadurch ändert, beantwortet BR24 hier im Überblick.

Ronen Steinke von der Süddeutschen Zeitung macht sich anlässlich der Reform in einem Essay Gedanken darüber, wie herablassend und gönnerhaft wir in unserem reichen Land mit armen Menschen umgehen. Sein Text ist deshalb so empfehlenswert, weil er die Debatte über Hartz-IV-Sätze und deren kommende Erhöhung um 53 Euro, dann eben unter einem neuen Namen, auf eine höhere Ebene zieht. Ich piqe ihn, obwohl er nur mit einem SZ-Abo zugänglich ist.

Steinke geht es um vom deutschen Grundgesetz garantierte und vom Bundesverfassungsgericht bestätigte grundlegende Rechte aller Menschen, die hier leben – auch der Armen. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, das steht gleich am Anfang des Grundgesetzes in Artikel 1, Absatz 1, Satz 1. Und vor zwölf Jahren hat das Bundesverfassungsgericht festgelegt, dass der Hartz-IV-Satz stets hoch genug sein muss, damit man sich das Nötigste leisten kann.

Es war deshalb eines der stärksten Urteile des Bundesverfassungsgerichts, mit dem es die Aussage „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ vor jetzt zwölf Jahren zu einem einklagbaren Versprechen konkretisiert hat. Dieses gute Versprechen lautet: Zumindest sollte niemand frieren, hungern oder ohne ein Mindestmaß an Tampons und Shampoo durchs Leben gehen müssen in diesem reichen Land. Es sind Dinge aus dem Supermarkt, die das „menschenwürdige Existenzminimum“ ausmachen, und darauf besteht – Achtung – ein Recht.

(…) Aber wie bizarr ist dann die Freihändigkeit, mit der in den vergangenen Wochen über eine Erhöhung des Hartz-IV-Satzes um 53 Euro verhandelt worden ist (unter einem künftig geschmeidigeren Namen, „Bürgergeld“). So, als sei dies eine freiwillige Geste der Großzügigkeit. Und nicht bloß ein lange überfälliger Ausgleich für einen massiven Verlust an Kaufkraft.

Denn trotz der klaren Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, trotz der hohen Inflationsraten ist der Hartz-IV-Satz im laufenden Jahr nicht erhöht worden. Auch in der Pandemie, als das Leben teurer wurde, hielt der Hartz-IV-Satz nicht Schritt. So gut wie kein Sozialgericht hat das beanstandet, kein Gericht legte die Frage, ob unter diesen Umständen noch die grundgesetzlich garantierte Menschenwürde gewahrt bleibt, dem Bundesverfassungsgericht vor, schreibt Steinke. Und fragt zu Recht:

Die Menschenwürde ist der oberste Wert der Verfassung, und das „menschenwürdige Existenzminimum“ ist ein einklagbares Grundrecht: Was sind solche Sätze wert?

Süddeutsche ZeitungArmes DeutschlandAutor: Ronen Steinke



Was die China-Proteste so besonders macht

piqer:
Rico Grimm

Die Bilder, die uns aus verschiedenen chinesischen Städten erreichen, sind erstaunlich. „Nieder mit Xi Jinping“, rufen da Hunderte Demonstranten und Demonstrantinnen. Ein so direkter Angriff auf die Regierung unter Xi, dass es verwundert, dass diese Demos nicht innerhalb von wenigen Minuten beendet wurden.

Es herrschte generell auch Verwirrung: „Sind Demos in China überhaupt erlaubt?“ Ja, sind sie. Es gibt immer wieder Proteste für und gegen alles Mögliche. Und doch sind diese neuen Proteste, die die Coronaregeln zum Anlass haben, etwas Neues und auch Überraschendes. Das wird in dieser kurzen Analyse von William Hurst klar. Hurst erforscht Proteste in China. Er schreibt: „Was in den letzten 24 Stunden geschah, ist insofern neuartig, als die Demonstranten in mehreren Städten auf die Straße gegangen sind und offensichtlich wussten, was in anderen Teilen des Landes geschieht.“

Das also macht diese Proteste so interessant: Sie sind gerade nicht lokal begrenzt. Wie es nun weitergeht, ist offen. Der Staat könnte die Proteste niederschlagen oder auf etwas setzen, was schon Tausenden anderen Bewegungen vorher passiert ist: Alles verläuft sich im Sand.

TwitterI’ve been studying various aspects of #protest & contentious #politics in #China for 25 years.Autor: William Hurst



Warum Menschen in China protestieren

piqer:
Hasnain Kazim

Zunächst einmal: Ich habe großen Respekt vor den Menschen, die in China protestieren. Gegen die extrem harten Coronamaßnahmen, aber auch gegen das repressive System. Dieser Text fasst gut zusammen, worum es geht. Wie die Proteste entstanden sind, was die Menschen machen, wie die Regierung bislang reagiert.

Leseempfehlung.

Spiegel„Wir sind Bürger, keine Sklaven“Autor: Christoph Giesen



Ausbeutungsmaschine Amazon

piqer:
Alexandra Endres

Mit einem geschätzten Vermögen von 117,5 Milliarden US-Dollar gilt Amazon-Gründer Jeff Bezos derzeit als der viertreichste Mensch der Welt. Sein Unternehmen erzielte im vergangenen Jahr einen Gewinn von mehr als 33 Milliarden US-Dollar. Bei Amazon zu bestellen, ist ja auch praktisch: Man braucht nur wenige Klicks und in kürzester Zeit wird die Ware geliefert. Deutschland ist mittlerweile der zweitgrößte Markt für den Konzern, gleich nach den USA. Gerade vor Weihnachten boomt das Geschäft.

Möglich ist das aber nur durch Ausbeutung. Wie hoch der Effizienzdruck auf die Beschäftigten in den Amazon-Warenlagern ist, wie sehr die Angestellten dort kontrolliert werden, wurde schon verschiedentlich berichtet.

Correctiv hat sich jetzt die Mühe gemacht, die Arbeitsabläufe entlang der gesamten Logistikkette von Amazon nachzuzeichnen: vom Verpacken im Warenlager über den Transport per Lkw, der die Pakete über größere Distanzen befördert, bis hin zur Kurierfahrt zum Kunden. Dafür hat die Redaktion gemeinsam mit mehreren Lokalredaktionen in ganz Deutschland über sieben Monate hinweg recherchiert.

Wir haben mit mehr als 100 Menschen gesprochen, die in der Logistikkette von Amazon arbeiten oder Einblicke in die Abläufe hatten, Logistik-Angestellte, Lkw-Fahrer und Kuriere. Wir haben Arbeitsverträge und Dienstpläne eingesehen, Chatverläufe gelesen. Und wir haben Dokumente ausgewertet, darunter Kontrollberichte von Arbeitsschutzbehörden und Antworten von Datenschutzbehörden.

Dabei ist das Bild eines Unternehmens entstanden, in dem die Beschäftigten oft nicht mehr sind als Rädchen im Getriebe und die unter allen Umständen funktionieren müssen – selbst wenn ein Kollege neben ihnen stirbt. Deren Arbeitszeit ständig vermessen und verglichen wird, die gezwungen sind, mit Robotern zu konkurrieren, von Computern überwacht, und die aus Angst, dass ihr Vertrag nicht verlängert werden könnte, die Wege im Lager im Laufschritt zurücklegen. Den Lkw-Fahrerinnen- und -Fahrern, die Amazon-Pakete transportieren, ergeht es kaum besser.

Sie berichten von knappen Zeitplänen, langen Wartezeiten an Amazon-Standorten, Druck, Übermüdung. Manche kriegen keinen Urlaub, Pausen haben sie kaum, auch sie folgen dem Takt der Maschine.

Und auch die Kurierfahrerinnen und -fahrer werden engmaschig kontrolliert und arbeiten unter Zeitvorgaben, die nicht zu erfüllen sind. Eine von ihnen war Anna, die in Wahrheit anders heißt, und die nicht mehr bei Amazon bestellt, seit sie für den Konzern gearbeitet hat.

Jeff Bezos hat übrigens vor einigen Tagen angekündigt, den größten Teil seines Vermögens für wohltätige Zwecke zu spenden. Business Insider schreibt dazu:

Bezos sagte, er wolle den größten Teil dieses Vermögens dem Kampf gegen die Klimakrise widmen sowie Menschen unterstützen, die die Menschheit vereinen könnten, zitiert ihn CNN.

Warum solche Spenden-Initiativen undemokratisch sein können, erklärt der Soziologe Frank Adloff im Interview mit ZEIT ONLINE (nur im Abo lesbar). Aber um Demokratie, Teilhabe und Mitbestimmung geht es bei Amazon ganz offensichtlich ohnehin nicht.

correctivDie Maschine AmazonAutoren: Miriam Lenz, Jonathan Sachse, Mohamed Anwar, Thore Rausch, Ole Rockrohr & Svenja Stühmeier



Senegal: Deutschlands Klima-Sündenfall

piqer:
Daniela Becker

Die Internationale Energieagentur (IEA) hat im letzten Jahr im Fahrplan „Net Zero by 2050 A Roadmap for the Global Energy Sector“ gefordert, sofort alle Investitionen in die Erschließung neuer Öl- und Gasvorkommen zu beenden. Klimaaktivisten beschwören schon seit Jahren die Formel „Keep it in the ground“, ergo Kohle, Erdöl und Erdgas im Boden zu belassen.


Deutschland hatte in der Glasgow Initiative unterschrieben, im Ausland keine Projekte mit fossilen Energien mehr mit öffentlichen Geldern zu unterstützen. Das ist gerade mal ein Jahr her. Aber viele Dinge, die zumindest auf dem Papier mal längst Klimakonsens gewesen sind, werden durch Putins Krieg und der damit einhergehenden Neuordnung der Energiemärkte offenbar als unwirksam betrachtet. So hat sich Kanzler Olaf Scholz persönlich für die Erschließung eines neuen Gasfelds im Senegal starkgemacht.


Senegal will laut der Regierung in Dakar zunächst 2,5 Millionen Tonnen Flüssigerdgas pro Jahr nach Deutschland liefern, was vier Prozent des hiesigen Verbrauchs entspricht. Bis 2030 könnten es zehn Millionen Tonnen jährlich sein. Im Gegenzug will bzw. muss Deutschland das Land beim Ausbau der Erneuerbaren unterstützen. Wäre der Deal dann halb so schlimm, weil wenigstens dem Senegal geholfen wird, auf klimafreundliche Energieversorgung umzustellen? Wohl kaum.

Auf dem Climate Action Tracker wird in diesem Text ausführlich analysiert, warum das Ausbeuten neuer fossiler Gasfelder in Afrika nicht den erwünschten Wohlstand vor Ort bringt und dass der erneuerbare Pfad auch aus wirtschaftlicher Sicht attraktiver ist.

Zudem wird in dem hier gepiqden Text beschrieben, warum der Deal nicht nur für den Klimaschutz schlecht ist, sondern auch eine Gefahr für die Natur und die lokale Fischerei darstellt.

Sarr warnte unter anderem vor den Folgen des Gasprojekts für die Küstenbevölkerung. Beinahe jede Familie dort sei auf Fischfang angewiesen. Durch die Meereserwärmung gingen die Fischbestände bereits zurück, und mit der Gasförderung drohten noch stärkere Einbußen. Aufgrund der Bohrungen seien einige Meeresregionen komplett gesperrt.

Umweltschutzorganisationen befürchten zudem, dass die geplante Erdgas-Infrastruktur – Bohrplattform, Pipelines, Terminals, Wellenbrecher – die Ökosysteme schädigt.

Die Kritik an diesem Projekt wächst – international und national. Wie glaubwürdig ist Deutschlands Klimaschutz-Engagement noch, wenn es dieses Gasprojekt fortsetzt?

klimareporterDie Senegal-ConnectionAutor: Joachim Wille



Über den Tod des politischen Interviews

piqer:
Lars Hauch

„Der Tod des politischen Interviews“ lautet der Titel des hier gepiqten Artikels. Ganz schön drastisch, andererseits erwische ich mich regelmäßig dabei, wie ich bei Formaten wie Berlin Direkt die Interviews vorspule, weil ich das choreograhierte Aufeinandertreffen von JournalistIn und InterviewpartnerIn als ermüdend empfinde. Dabei geht es nicht bloß um die chatbotartigen Antworten von PolitikerInnen, sondern auch um die teils aggressiv formulierten Fragen, die beim Gegenüber wahrscheinlich selbst dann archaische Verteidigungsreflexe auslösen würden, wenn ihm oder ihr keine PR-Abteilung im Nacken säße.


Ein Kollege des Channel 4-Journalisten Ian Katz, dem Autor,  beschreibt die Sackgasse, in der sich JournalistInnen und PolitikerInnen befinden, folgendermaßen:

I think the worst of you. You play it as defensively as you can. Your strategy of being defensive is justified by me being aggressive and, worst of all, me being aggressive is justified by the obfuscation and nonsense of you being defensive. We’re now locked into the low road. Your strategy justifies mine. My strategy justifies yours.


(deepl.com) Ich denke das Schlimmste von Ihnen. Sie spielen die Sache so defensiv wie möglich. Ihre Strategie der Defensive wird dadurch gerechtfertigt, dass ich aggressiv bin, und, was noch schlimmer ist, meine Aggressivität wird durch die Verschleierung und den Unsinn Ihrer Defensive gerechtfertigt. Wir sind jetzt auf dem Holzweg. Ihre Strategie rechtfertigt meine. Meine Strategie rechtfertigt die Ihre.


Ian Katz hatte 2013 mit einem Freund über ein Interview mit der britischen Labour-Politikerin Rachel Reeves gechattet. Versehentlich twitterte er eine Antwort öffentlich, statt sie als DM zu verschicken. Darin beschrieb er Reeves, als „boring snoring“. Diesen dezent unglücklichen Vorfall nutzt Katz, um sich grundlegend mit der Interviewkultur im Fernsehen auseinander zu setzen. Dabei blickt er einige Jahrzehnte zurück und stellt fest, dass bereits in den 1980ern der Niedergang des Interviews beschworen wurde. Psychologen der York Universität hatte damals analysiert, dass PolitikerInnen im Wahlkampf auf 31 verschiedene Arten Fragen von JournalistInnen auswichen. Margaret Thatcher habe beispielsweise gut funktionierende Techniken entwickelt, um Journalisten zu frustrieren, schrieb der britische Journalist Robin Day im Jahr 1989 in seiner Autobiographie:

Interviews have tended to become a series of statements, planned for delivery irrespective of the question which had been put. This technique has gradually brought about the decline of the major television interview. It is now rarely a dialogue which could be helpful to the viewer.


(deepl.com) Die Interviews haben sich zu einer Reihe von Aussagen entwickelt, die unabhängig von der gestellten Frage vorgetragen werden sollen. Diese Technik hat allmählich zum Niedergang des großen Fernsehinterviews geführt. Es handelt sich nur noch selten um einen Dialog, der für den Zuschauer hilfreich sein könnte.


Es lohnt sich, Katz’ Rückblick zu lesen. Zusammengefasst läuft es darauf hinaus, dass die Anzahl an gehaltvollen Interviews tendenziell stark zurück gegangen sei. Das liege an PolitikerInnen, die in immer extremer durchorganisierten PR- und Medienstrukturen agierten. Gleichzeitig aber auch an JournalistInnen, die zunehmend als Medienstars aufträten:

Journalism that puts the journalist centre stage. It judges itself by how many hits it can rack up against the subject. Any communication by the politician on his or her terms is regarded as a failure.


(deepl.com) Ein Journalismus, der den Journalisten in den Mittelpunkt stellt. Er misst sich daran, wie viele Treffer er gegen das Thema landen kann. Jede Mitteilung des Politikers zu seinen Bedingungen wird als Fehlschlag gewertet


Wie lässt sich das politische Interview retten? Katz schlägt vier Maßnahmen vor. Letztlich geht es bei allen Vorschlägen darum, dass JournalistInnen und PolitikerInnen die ungeschriebenen Regeln ihres Zusammentreffens neu und konstruktiv(er) definieren. Erstmal klingt das gut, bleibt allerdings so lange unrealistisch, wie sich an den Ursachen für derzeit vorherrschende Regeln nichts ändert. Stichwort Aufmerksamkeitsökonomie.

Katz’ Text ist von 2014, also bald eine Dekade alt. Verbessert hat sich die Kultur des politischen Interviews für meinen Eindruck seither nicht. Übereifrige Tweets von Politikerinnen, aber auch JournalistInnen, die zunehmend ihren inhärenten Bias zur Tugend machen, zählen wahrscheinlich nicht. Abseits vom Fernsehen gibt es im Internet und Podcast-Bereich diverse Experimente, Gesprächsführung neu zu gestalten. Jung&Naiv, ein prominentes Beispiel, hat früh angefangen, die etablierten Leitplanken von Interviews mehr oder weniger einzureißen. Die Resultate können sich absolut sehen lassen — andererseits hat natürlich nicht jede/r Zeit und Lust sich 3,5 Stunden Konversation mit Horst Seehofer anzusehen.


Wenn ich an meine frühere journalistische Arbeit denke, trifft Katz’ Analyse ins Schwarze. Beim Erstkontakt haben Interviewte oft die Grundannahme, man wolle ihnen ans Leder. Entsprechend vorsichtig (und boring snoring) fallen Antworten aus. Mittlerweile arbeite ich in einem anderen Bereich, wo ich aber auch viele Gespräche/Interviews mit PolitikerInnen und DiplomatInnen führe. Die Gespräche sind praktisch immer off the record und damit nicht journalistischen Mustern unterworfen. Eine Sache hat sich dennoch nicht geändert: Die gehaltvollsten Gespräche entstehen, wenn es gelingt, sowohl den Gegenstand des Gesprächs als auch den Menschen dahinter zu begreifen. Mauern die GesprächspartnerInnen aus unterschiedlichen Gründen, kommt man damit natürlich nicht unbedingt weiter. Den Versuch ist es aber (fast) immer wert. Denn wenn beide Seiten von Beginn an mauern, bekommt man sich garantiert nicht zu Gesicht.

Financial TimesThe death of the political interviewAutor: Ian Katz


Info: https://makronom.de/wall-street-horrorkabinett-buergergeld-amazon-43067?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=wall-street-horrorkabinett-buergergeld-amazon

03.12.2022

Acht Milliarden…

pressenza.com, vom 02.12.22 - CDieser Artikel ist auch auf  Spanisch verfügbar

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Die Weltbevölkerung wächst im gleichen Tempo wie die Ungleichheit.

Wie in einem System kommunizierender Gefäße schlägt sich die Zunahme der Menschen auf der Erde nicht in Wohlstand nieder, sondern in reduzierten Überlebenskapazitäten, niedrigen Wirtschaftswachstumsraten in nicht industrialisierten Ländern, erhöhten Risiken der Erschöpfung natürlicher Ressourcen und stark fallenden Entwicklungsindikatoren für die Nationen des globalen Südens. In diesem Szenario, das sich in all seinen Dimensionen nur schwer messen und erfassen lässt, sind die Menschen, die von diesem Phänomen am meisten betroffen sind, gleichzeitig die Schwächsten.


Das Erreichen dieser symbolischen Zahl zwingt uns dazu, über die äußerst ungerechte Situation nachzudenken, in der die Kinder in der Gesellschaft leben. In den letzten Jahren haben die Auswirkungen der Pandemie besonders stark dazu geführt, dass Kinder und Jugendliche auf engstem Raum und weit weg von ihrem sozialen Umfeld leben müssen. Viele von ihnen waren häuslicher Gewalt ausgesetzt und sind in der Schule zurückgefallen; sie haben in einer entscheidenden Phase ihres Lebens verheerende Auswirkungen auf ihre körperliche und psychische Entwicklung erlebt. Angesichts der Realität eines politischen und wirtschaftlichen Systems, das ihnen ihre Chancen verwehrt, weil sie nicht in der Lage sind, die Entscheidungen zu beeinflussen, die ihre Gegenwart und Zukunft betreffen – angesichts dieser Realität wurde dieses soziale Segment bezüglich der Erfüllung seiner Grundrechte auf unbestimmte Zeit im Stich gelassen.


In Ländern wie den unseren – dem großen amerikanischen Kontinent voller Reichtum – ist der Verlust des Zugangs für Kinder zu Chancen auf Bildung, Nahrung und Gesundheitsversorgung mehr als offensichtlich. Die Mittel, die unter anderem zur Linderung der chronischen Unterernährung in den ersten Lebensjahren bestimmt sind, haben keine Priorität in Ländern, die von der Konzentration des Reichtums, der Aneignung nationaler Ressourcen durch Private und der Ausbeutung der Arbeitskräfte gemäß den Prinzipien des härtesten Neoliberalismus regiert werden. Diese Faktoren führen nicht nur zu einer schwerwiegenden Marginalisierung der öffentlichen politischen Maßnahmen und sozialer Entwicklungsinitiativen, sondern wirken sich auch auf die Zukunft der Länder aus und behindern ihre Möglichkeiten, voranzukommen.


Das Erreichen der Zahl von 8 Milliarden Menschen, deren Bedürfnisse die Möglichkeiten, sie zu befriedigen, bei weitem übersteigen, führt dazu, dass Ungleichheiten verstärkt und Hass geschürt werden, was die Konsolidierung faschistischer Bewegungen ermöglicht und zu den schlimmsten Momenten der Geschichte zurückführt – mit angeblichen Plänen, die Bevölkerung zu reduzieren, indem die Bedürftigsten beseitigt werden: Migranten, indigene Völker, die von der Entwicklung ausgegrenzt und aus ihren Gebieten vertrieben wurden, und, nebenbei bemerkt, diejenigen, die nicht die Mittel oder die Fähigkeit haben, ihre Rechte zu verteidigen.


Die einzige Möglichkeit, ein gewisses Gleichgewicht zwischen den herrschenden Systemen und den an der Achtung der Menschenrechte orientierten Entwicklungsmöglichkeiten herzustellen, wäre: die Prioritäten in Richtung gerechte Umverteilung des Reichtums zu verschieben, radikale Massnahmen zur Verringerung der Umweltbelastung durchzusetzen und einen Konsens zwischen den Konzernen herzustellen – deren Dominanz sogar größer ist als die der Staaten – um die Klimakrise zu stoppen.


Alle diese Ziele wurden breit diskutiert, in Dokumenten niedergeschrieben, unterzeichnet und ratifiziert, aber nie umgesetzt.


Der Klimawandel in Verbindung mit dem Bevölkerungswachstum ist eine unmittelbare Bedrohung.


Übersetzung aus dem Spanischen von Domenica Ott vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!


Kategorien: International, Meinungen, Menschenrechte, Originalinhalt


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Carolina Vásquez Araya
Journalistin und Redakteurin mit mehr als 30 Jahren Erfahrung, deren berufliche Erfolge bei der Entwicklung äußerst erfolgreicher Projekte ihre Qualitäten in Bezug auf Führung, Kreativität und Öffentlichkeitsarbeit unterstreichen. Sie hat ihr Wissen in Projekte von Organisationen eingebracht, deren Interessen auf die soziale, kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung des Landes ausgerichtet sind, mit besonderem Schwerpunkt auf den Bereichen Kultur und Bildung, Unternehmertum, Menschenrechte, Justiz, Umwelt, Frauen und Kinder. Die Chilenin in Guatemala. elquintopatio.wordpress.com


Info: https://www.pressenza.com/de/2022/12/acht-milliarden

03.12.2022

Analyse   Linkspartei und Wagenknecht Total zerrüttet

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tagesschau.de, Stand: 03.12.2022 09:57 Uhr, Von Kerstin Palzer, ARD-Hauptstadtstudio

Spekulationen über eine Spaltung umgeben die Linkspartei schon lange. Die Blicke richten sich auf Sahra Wagenknecht - macht sie Ernst und gründet eine eigene Partei? Unter Linken wächst die Nervosität.


Zitat: "Meine Partei ist in einem fürchterlichen Zustand", sagt ein Mann, der es wissen muss, weil er die Linke seit vielen Jahren kennt und an maßgeblicher Stelle für sie arbeitet. Namentlich möchte er aber nicht genannt werden. Steht die Linke also vor einer (Ab-)Spaltung? Die Antwort ist deutlich: "Es gibt einen Riss, so tief wie noch nie, bis tief in die Basis hinein."


Kerstin Palzer ARD-Hauptstadtstudio (Foto)


Wann immer man in den vergangenen Monaten mit Politikerinnen und Politikern der Linken gesprochen hat, stieß man auf Frust und Wut. Jetzt ist da oft nur noch ein Kopfschütteln. Viele in der Partei sind in die innere Immigration gegangen.

Für einige dieser Leute ist Sahra Wagenknecht eine Hoffnungsträgerin. Sie wünschen sich, dass die derzeit populärste linke Politikerin austritt und eine eigene Partei gründet. Der Klassenkampf solle dann wieder im Vordergrund stehen, Einstehen für Arbeiter, Familien Rentnerinnen und Rentner. Dazu noch eine ausgestreckte Hand Richtung Russland und keine Waffenlieferungen an die Ukraine.


Aufmerksamkeit erzielt die Linkspartei gerade vor allem mit Meldungen über Austritte und Streit. Bild: dpa


Potenzial hätte eine Wagenknecht-Partei offenbar. Laut Meinungsforschungsinstitut INSA würden sie zehn Prozent aller Wahlberechtigten deutschlandweit wählen, weitere 30 Prozent könnten es sich zumindest vorstellen. Das wäre eine enorme politische Mobilisierung, meint die Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach von der FU Berlin: "Dabei würde man aber womöglich in Kauf nehmen, Stimmen von ganz rechts zu bekommen, denn schon jetzt wird Wagenknecht in rechtspopulistischen und rechtsextremen Kreisen und damit auch unter vielen AfD-Anhängerinnen und Anhängern gehyped."


Parteigründung ist schwierig

Wagenknecht selbst reagiert nicht ablehnend auf die Frage, ob sie eine eigene, neue Partei gründen will. "Eine vernünftige Partei für Frieden und Gerechtigkeit halte ich für dringend notwendig. Die Linke hat diesen Platz leider weitgehend geräumt. Auch deshalb ist es aktuell vor allem die AfD, die von der zunehmenden Unzufriedenheit profitiert."

Aber eine Partei gründet sich nicht so einfach. Wagenknecht hängt der Misserfolg mit ihrem Projekt "Aufstehen" noch nach. Sie selbst sagt heute, dass "Aufstehen" unvorbereitet war. Diesen Fehler will sie nicht nochmal machen. Und ihr ist auch klar: Organisation ist nicht ihre Stärke. Wer in Deutschland eine Partei gründen will, der muss eine Satzung formulieren, Unterschriften sammeln, viel Bürokratie durchdringen. Das alles gehört nicht zu Wagenknechts Kernkompetenzen. Selbst ihre Gegner sehen in ihr eine begnadete Rednerin mit einem Talent, populäre Meinungen aufzugreifen und zu fokussieren. Aber Gremien leiten, Teamarbeit, Kompromisse finden, das kann Sahra Wagenknecht nicht gut.


Wagenknecht-Partei zur Europawahl?

Politikwissenschaftlerin Reuschenbach hält eine Abspaltung bei der Linkspartei für durchaus möglich: "Das Verhältnis zwischen der Partei und Sahra Wagenknecht und ihren Anhängerinnen und Anhängern ist inzwischen total zerrüttet, daher scheint eine Spaltung tatsächlich nicht mehr ausgeschlossen. Derzeit gibt es Hinweise darauf, dass eine solche Partei erstmals zur Europawahl 2024 antreten könnte. Hat sie da Erfolg, stünden ihr Mittel zu, die für ein Antreten bei der Bundestagswahl 2025 genutzt werden könnten."

Tatsächlich hört man von denen, die eine Abspaltung herbeisehnen, dass sich eine Parteigründung erst im Laufe des nächsten Jahres anbieten würde. Im Herbst 2023 zum Beispiel. Dann wäre noch ausreichend Vorlauf für die Europawahl, bei der es keine Fünf-Prozent-Hürde gibt.


Wer ginge mit Wagenknecht?

Das mag Zukunftsmusik sein, ganz aktuell aber stellt sich die Frage, wer denn die Bundestagsfraktion gemeinsam mit Wagenknecht verließe. Denn die Linke braucht mindestens 36 Abgeordnete, um eine Fraktion im jetzigen Bundestag zu bilden. Momentan besteht sie aus 39 Abgeordneten. Wenn vier Abgeordnete ausschieden, wäre der Fraktionsstatus verloren. Mitarbeitern müsste gekündigt werden, Rederecht und Gelder wären dahin. "Das wäre dann der Anfang vom Ende", sagt Fraktionschef Dietmar Bartsch. Und fügt sofort hinzu: "Aber das wird nicht sein."

Eine Spaltung in der Mitte sei "Quatsch", meint Bartsch. Wenn überhaupt, käme es zu einer zahlenmäßig kleinen Abspaltung. "Kein Bürgermeister der Linken wird austreten und von den Ländern, in denen wir Regierungsverantwortung tragen, ist keines gefährdet", zeigt er sich überzeugt.

Die Gefahr, dass es eine neue konkurrierende Partei geben könne, sieht allerdings auch Bartsch. Er mahnt denn auch zu Geschlossenheit und erinnert daran, dass es nicht so einfach sei, eine Partei zu gründen. "Ohne Sahra Wagenknecht kann es schiefgehen. Aber eine Wagenknecht-Partei geht gesichert schief."

Bartsch kennt Wagenknecht schon sehr lange. 2017 waren sie zusammen Spitzenkandidaten der Linken und leiteten von 2015 bis 2019 gemeinsam die Fraktion. Noch immer haben sie ihre Büros im Bundestag nebeneinander.


"Ohne Sahra Wagenknecht kann es schiefgehen. Aber eine Wagenknecht-Partei geht gesichert schief": Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch mahnt zu Geschlossenheit. Bild: dpa


"Progressive Linke" gegen "Populäre Linke"

Wagenknecht ist keine, die sich einordnet und abseits des Rampenlichts Ausschuss-Arbeit macht. Sie polarisiert. Wenn man sie fragt, warum sie die Grünen auf ihrem Youtube-Kanal als "gefährlichste Partei" bezeichnet oder im Bundestag davon spricht, dass Deutschland einen "Wirtschaftskrieg gegen Russland" angefangen habe, antwortet sie: "Weil ich das so sehe. Dann muss ich das doch auch sagen."



Sarah Wagenknecht, die Linke | picture alliance/dpa/dpa-Zentral


21.10.2022

Wagenknecht über die Grünen "Die gefährlichste Partei im Bundestag"

Mit dieser Aussage hat Wagenknecht in der Linken erneut Wirbel ausgelöst - und viel Kritik geerntet.



Diejenigen in der Fraktion, die hinter Wagenknecht stehen, sehen sich aus Partei und Fraktion gedrängt. "Die wollen uns rausschmeißen", ist sich ein Abgeordneter sicher. "Die", das sind Abgeordnete und Parteimitglieder, die der Meinung sind, dass Wagenknecht nicht mehr in die Linke gehört. An diesem Wochenende will sich diese Gruppe in Berlin treffen. Man nennt sich die "Progressive Linke". Es mutet fast schon amüsant an, dass ein Aufruf der Wagenknecht-Gefolgsleute "Populäre Linke" heißt und einige schon mal mit den Bezeichnungen durcheinanderkommen.



Lagerkampf um Köpfe und Kurs

Doch der Kampf zwischen den Pro-Wagenknecht-Leuten und dem Contra-Wagenknecht-Lager wird härter. Von Aufräumen ist die Rede, von Säuberungen sogar. Dass man längst nicht mehr miteinander rede und Konsequenzen erlebe, "wenn man nicht auf Kurs ist". Und der Parteikurs ist dezidiert nicht das, was Wagenknecht denkt und sagt.

2022 scheint das Ende einer schwierigen Koexistenz der Lager innerhalb der Linken zu markieren. Die, die sich für Wagenknecht aussprechen, werfen den anderen vor, dass die den Kontakt zur Basis, zu den Leuten, die vielleicht Linke wählen würden, verloren hätten. "Die verwechseln doch ihre Twitter-Blase mit der Bevölkerung. In manchen Landkreisen gehen nicht einmal mehr die Hälfte der Menschen zur Wahl, das kann es doch nicht sein", sagt einer, der sich eine Wagenknecht-Partei gut vorstellen könnte.



Sarah Wagenknecht | HAYOUNG JEON/EPA-EFE/REX


16.09.2022

Linkspartei vor Spaltung Besser ohne Wagenknecht?

Teile der SPD werben schon um Politiker der Linkspartei. Steht die Linke vor der Spaltung?




Parteiführung ist schmallippig

Die Parteiführung spricht nicht gern über das Thema. Man sei im Gespräch mit Wagenknecht, sagt Parteichef Martin Schirdewan schmallippig. Inhaltlich wolle er sich nicht dazu äußern.

Was Wagenknecht von Schirdewan hält, ist bekannt: "Eine Fehlbesetzung" twitterte sie nach seiner Wahl im Juni zum Parteivorsitzenden. Er dagegen hält es für falsch, ihr Redezeit im Bundestag zu geben. Für ihn sprechen die Entscheidungen des Parteitages, für sie ihre große Popularität.


Sie weiß, wenn sie ginge, ginge sie nicht allein. Wer sich in der Fraktion umhört, erfährt, dass es bis zu zehn Abgeordnete sein könnten, die mit Wagenknecht gingen. Selbst wenn es nur die Hälfte ist, wäre das das sichere Ende der Fraktion.

Wagenknecht glaubt nicht daran, dass die Linke sich noch mal berappelt und Menschen begeistert. Sie spricht von einer politischen "Leerstelle." Sie will Nichtwähler mobilisieren und AfD-Wähler zurückgewinnen. Sie könnte auch noch drei Jahre im Bundestag sitzen, in Talkshows gehen und Bücher schreiben. Aber danach klingt sie nicht.



Sahra Wagenknecht | dpa


Analyse 13.09.2022

Streit in der Linkspartei Grabenkämpfe um Wagenknecht

Die Linkspartei kämpft mit schwachen Umfragewerten und sinkender Akzeptanz bei Stammwählern.



Info: https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/linkspartei-wagenknecht-105.html

03.12.2022

Lawrow: OSZE ist nicht mehr unparteiisch, sondern steht aufseiten der Ukraine

    meinungsfreiheit.rtde.life, vom 2 Dez. 2022 08:14 Uhr

    Moskau kritisiert die OSZE und insbesondere deren Beobachter im Osten der Ukraine. Die Organisation sei parteiisch. "Geist und Wortlaut der OSZE-Charta sind zerstört", sagte Russlands Außenminister Sergei Lawrow am Donnerstag bei einer Pressekonferenz.


    Lawrow: OSZE ist nicht mehr unparteiisch, sondern steht aufseiten der Ukraine

    Quelle: Sputnik © Russian Foreign Ministry/Sputnik



    Sergei Lawrow während eines Treffens mit dem Präsidenten der Nationalversammlung der Kubas, Esteban Lazo Hernande, in Moskau, 1. Dezember 2022


    Zitat: Russlands Außenminister Sergei Lawrow hat auf einer auch im Fernsehen übertragenen Pressekonferenz schwere Vorwürfe gegen die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und ihre Beobachter in der Ukraine erhoben, meldet die Nachtichtenagentur dpa.

    Moskau sagt START-Gespräche ab: "Die USA gießen überall Benzin ins Feuer – Nicht mehr hinnehmbar"





    Moskau sagt START-Gespräche ab: "Die USA gießen überall Benzin ins Feuer – Nicht mehr hinnehmbar"





    OSZE als Beobachter oder Helfer in der Ukraine?

    Lawrow machte darauf aufmerksam, dass die im Gebiet Donezk stationierten OSZE-Beobachter noch vor Beginn der russischen Sonderoperation im Februar 2022 die zunehmenden Angriffe der ukrainischen Armee auf die Volksrepubliken Lugansk und Donezk im Osten der Ukraine ignoriert und den ukrainischen Truppen teilweise sogar geholfen haben. Lawrow erklärte:

    "Es sind Fakten entdeckt worden, dass sich die OSZE an der Lenkung des Feuers auf Donezk und Lugansk beteiligt hat."

    Nach der Ausweisung der OSZE-Beobachter seien entsprechende Dokumente gefunden worden.

    Ab 2014 hatte die OSZE den Auftrag, die Konfliktparteien im Donbass voneinander zu trennen und den Waffenstillstand zu überwachen. Ende Februar, nach Beginn der russischen Invasion, beendete sie ihre Mission und zog die Beobachter aus dem Kriegsgebiet ab.

    Lawrows Kritik ging jedoch noch weiter. Der Chef des russischen Außenamtes beklagte, dass die OSZE vom Westen dominiert werde und damit ihre eigene Bedeutung als Vermittler verloren habe. Insbesondere Polen spiele eine negative Rolle:

    "Unsere polnischen Nachbarn haben das ganze Jahr über der OSZE fleißig ein Grab geschaufelt und die Reste der Konsenskultur vernichtet. Das Vorgehen Warschaus ist ein eklatanter Verstoß gegen die Geschäftsordnung und die Beschlüsse der Entscheidungsgremien der Organisation."

    Russland warnt vor möglichem Atomkrieg





    Russland warnt vor möglichem Atomkrieg







    Washingtons Dominanz

    Politiker in der EU versuchten, Sicherheit ohne Russland und Weißrussland zu schaffen, aber Moskau brauche diese Art von "Sicherheit" nicht, zitiert TASS aus der Rede des Ministers:

    "Die gesamte Sicherheit Europas ist jetzt darauf reduziert, den Vereinigten Staaten völlig untergeordnet zu sein".

    Mit Blick auf die OSZE führte Lawrow aus:

    "Ich sollte anmerken, dass eine solch unschöne Linie der OSZE ihre eigene Erklärung hat. Unter Ausnutzung der rechnerischen Überlegenheit in dieser Organisation versucht der Westen seit vielen Jahren, die OSZE zu privatisieren oder besser gesagt zu vereinnahmen, um diese letzte Plattform des überregionalen Dialogs zu unterwerfen. Es gab auch den Europarat, aber der wurde bereits vom Westen lahmgelegt und hat keine Aussicht auf Besserung. Jetzt steht die OSZE im Fadenkreuz. Ihre Befugnisse und Zuständigkeiten werden verwässert und auf enge, nicht einbeziehende Formate verteilt."

    Lawrow äußerte sich außerdem zur Rolle der NATO:

    "Wir erinnern uns, wie die NATO gegründet wurde. Der erste Generalsekretär der Allianz, H. Ismay, hatte seinerzeit eine Formel entwickelt: 'Die Russen aus Europa heraushalten, die Amerikaner in Europa halten und die Deutschen in Europa kontrollieren.' Was jetzt geschieht, ist nichts weniger als eine Rückkehr des Bündnisses zu den vor 73 Jahren entwickelten konzeptionellen Prioritäten. Es hat sich nichts geändert: Die 'Russen' sollen aus Europa herausgehalten werden, die Amerikaner wollen und haben bereits ganz Europa versklavt und kontrollieren nicht nur die Deutschen, sondern die gesamte Europäische Union. Die Philosophie der Vorherrschaft und des einseitigen Vorteils ist seit dem Ende des Kalten Krieges nicht verschwunden."

    Kiews erwartbare Position

    Der ukrainische Außenminister Dmitri Kuleba schien die Vorwürfe Lawrows bestätigen zu wollen und erneuerte die Forderung seines Landes, die OSZE ohne Russland fortzuführen. Am Donnerstag schrieb er auf Twitter:

    "Die OSZE befindet sich auf dem Weg in die Hölle, weil Russland ihre Regeln und Prinzipien missbraucht, obwohl der amtierende Vorsitzende, das Generalsekretariat und die OSZE-Institutionen bemerkenswerte Anstrengungen unternehmen, um sie über Wasser zu halten."

    In Bezug auf Russland sei angeblich alles versucht worden: "Zu gefallen, beschwichtigen, nett sein, neutral sein, sich engagieren, die Dinge nicht beim Namen nennen. Das Fazit: Es wäre besser für die OSZE, ohne Russland weiterzumachen."


    Verweigerte Einreise nach Polen für Lawrow: Russland sieht OSZE beschädigt





    Verweigerte Einreise nach Polen für Lawrow: Russland sieht OSZE beschädigt






    Peskow: OSZE zeigt russlandfeindliche Haltung

    Derweil hat auch Kremlsprecher Dmitri Peskow Russlands Kritik an der OSZE untermauert, wie TASS berichtet. Demnach verliere die OSZE aufgrund ihrer "antagonistischen Haltung gegenüber Russland" an Effektivität und an Fähigkeit, sich tatsächlich mit den Themen zu befassen, die sie behandeln sollte. Peskow resümierte:

    "Dadurch wird die Wirksamkeit dieser Struktur beeinträchtigt. Und natürlich treibt das einen tiefen Keil in die Zukunft dieser Organisation."

    Das zweitägige 29. Treffen des OSZE-Ministerrats begann am Donnerstag in Lodz. Polens Außenministerium verweigerte einer russischen Delegation unter Leitung von Außenminister Sergei Lawrow die Einreise in die Republik. Das russische Außenministerium bezeichnete die Entscheidung als beispiellos und provokativ, unvereinbar mit dem Status des Vorsitzes der Organisation. Die russische Delegation, die zur Veranstaltung in Lodz entsandt wurde, steht unter der Leitung des Ständigen Vertreters Russlands bei der OSZE, Alexander Lukaschewitsch.


    Mehr zum Thema - Bye-bye, Kiew − Hallo, Côte d'Azur: Wie die korrupten Eliten der Ukraine vom Konflikt profitieren


    Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.

    Am 24. Februar kündigte der russische Präsident Wladimir Putin an, gemeinsam mit den Streitkräften der Donbass-Republiken eine militärische Spezialoperation in der Ukraine zu starten, um die dortige Bevölkerung zu schützen. Die Ziele seien, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren. Die Ukraine spricht von einem Angriffskrieg. Noch am selben Tag rief der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij im ganzen Land den Kriegszustand aus.
    Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland.
    Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.

Info: https://meinungsfreiheit.rtde.life/international/156062-sergei-lawrow-osze-ist-nicht/


unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

03.12.2022

Desinformation  
Russland, Ukraine und Frau Krone-Schmalz  (I von II)










zeitschrift-osteuropa.de, kein Datum, heruntergeladen am 3.12.2022, Franziska Davies· Desinformationsexpertin

Der ehemaligen Moskau-Korrespondentin der ARD Gabriele Krone-Schmalz hat der Bildschirm zu Prominenz verholfen. Teilen der Öffentlichkeit gilt sie als „Russland-Expertin“. Jüngst sprach sie in Reutlingen über „Russland und die Ukraine“ sowie über den Krieg. Ihre Botschaft ist simpel: Der „Westen“ ist schuld, er habe Russlands Interessen ignoriert, die Nato erweitert und Russland zur Reaktion genötigt. Diese These kann sich nicht auf Fakten stützen. Sucht man diese Fakten in Krone-Schmalz Vortrag und Büchern, überprüft man ihre Argumente und die Beweisführung, so finden sich etliche Beispiele für Verdrehungen, Halbwahrheiten, den manipulativen Gebrauch von Quellen sowie Falschaussagen. Empirisch und methodisch sind Frau Krone-Schmalz Einlassungen unhaltbar. Sie betreibt Desinformation.


Am 14. Oktober 2022 lud die Volkshochschule Reutlingen zu einem Vortrag ein. Es sprach Gabriele Krone-Schmalz, von 1987–1991 Korrespondentin der ARD in Moskau. An diesem Abend sollte sie über „Russland und die Ukraine“ informieren. Das ist an sich eine prima Idee. Denn an Aufklärung über die Hintergründe von Russlands Krieg gegen die Ukraine herrscht in der Tat Bedarf.

Doch bereits im Vorfeld der Veranstaltung hatten Fachleute wie der Tübinger Osteuropahistoriker Klaus Gestwa Zweifel angemeldet, ob die Volkshochschule richtig beraten sei, dieser Publizistin die Bühne zu bieten.[1] Zwar wird Frau Krone-Schmalz in der Öffentlichkeit gelegentlich als „Russland-Expertin“ bezeichnet.[2] In der akademischen Osteuropa-Community gilt sie allerdings nicht als „Expertin“, sondern vielmehr als eine Verteidigerin des Putin-Regimes. Frau Krone-Schmalz kann verteidigen, wen oder was sie will. Das ist ihr gutes Recht. Und auch die Volkshochschule Reutlingen soll einladen, wen sie will. Darin besteht ihre Autonomie. Gleichwohl muss sich eine kommunale öffentliche Einrichtung, die der Aufklärung und der Mitwirkung an der politischen Bildung verpflichtet ist, fragen lassen, ob sie diesen Aufgaben gerecht wird. Und eine Referentin, die sich auf ihrer Website mit einem Professorentitel schmückt und damit implizit die Geltung des Wahrheits­gebots der Wissenschaft anerkennt, muss sich einer Kritik stellen, welche die Wahrheit und Wahrhaftigkeit, die empirische und methodische Seriosität und Solidität sowie die intersubjektive Geltung der Fakten und ihres Urteils überprüft.

In ihrem Vortrag betonte Frau Krone-Schmalz zwar, dass es ihr „in keiner Weise darum gehe, diesen Krieg zu rechtfertigen“.[3] Tatsächlich versuchte sie dann aber Russlands Führung aus der Verantwortung zu entlassen. Ihre Behauptung, dass sie kein „Verständnis“ für diesen Krieg habe, erweist sich als rhetorische Figur. Denn die Kernbotschaft ihres Vortrags lautet: Russland „reagiere“ nur, denn letztlich trage der Westen die Verantwortung. Russland habe den Krieg zwar „ausgelöst“, aber es seien andere, der „Westen“, NATO und die Ukraine, die „ihn unvermeidlich gemacht hätten“.

Diese Behauptung steht im eklatanten Widerspruch zu den Erkenntnissen der Russland- und Ukraine-Forschung der letzten Jahrzehnte. Insofern ist es nicht überraschend, dass Krone-Schmalz unseriös vorgeht, um ihre Behauptung zu unterfüttern. In dem Vortrag finden sich zahlreiche Beispiele für Verdrehungen, Halbwahrheiten, den manipulativen Gebrauch von Quellen sowie Falschaussagen. Das ist kein Einzelfall. In ihren Büchern und Vorträgen seit 2014 geht Frau Krone-Schmalz ähnlich vor. Sie trägt damit zur Desinformation der deutschen Öffentlichkeit über Russland, die Ukraine, die russländisch-ukrainischen Beziehungen sowie über die Annexion der Krim und die Eskalation des aktuellen Kriegs bei.


Halbwahrheiten und Falschaussagen

In ihrem Vortrag behauptet Krone-Schmalz, dass die Toten im Donbas seit 2014 allein von der Ukraine zu verantworten seien. Die Opfer „im Donezker und Lugansker Gebiet vor dem russischen Einmarsch durch die permanenten ukrainischen Angriffe“ seien „bei uns ja eher nicht registriert“ worden. Sie selbst habe bis zum 24. Februar 2022 geglaubt, dass Russland „doch niemals“ die Ukraine angreifen würde. Zu diesem Zeitpunkt hatte Russland die Ukraine längst angegriffen und zwar im Jahr 2014: zuerst durch die völkerrechtswidrige Annexion der Krim, dann durch die hybride militärische Intervention in der Ostukraine. Es ist zutreffend, dass auch lokale Kräfte im Donbas-Gebiet den Aufstand gegen Kiew mittrugen oder sogar initiierten. Doch ihre Einbindung in russländische ultraorthodoxe, neonazistische oder neostalinistische Netzwerke war bereits damals evident. [4] Ebenfalls war bereits 2014 bekannt, welche Rolle Angehörige russländischer Geheimdienste, russische Nationalisten und irreguläre Truppen aus Russland bei der Entfesselung des Kriege in der Ostukraine spielten.[5] Im August 2014 war es Russlands reguläre Armee, die ein Ende des militärischen Konflikts verhinderte und stattdessen den Krieg durch die Lieferung von Munition, Material und Personal befeuerte, der bis zum 24. Februar fast 15 000 Menschen das Leben gekostet hat.[6]

Diese Falschaussagen über den Donbas verbreitete Frau Krone-Schmalz auch in Reutlingen. Sie behauptete, dass die „Ostukraine“ – die 2014 besetzten Regionen sind lediglich ein kleiner Teil des Donbas – „nach Russland tendieren“ würde. Tatsächlich liegen die Gebiete, in denen prorussländische Positionen in der Ukraine am meisten Rückhalt fanden, in den Regionen Doneck und Luhansk. Mit etwa 18 Prozent im März 2014 war es aber selbst dort nicht einmal die Hälfte, geschweige denn die Mehrheit, die sich für eine Abspaltung von der Ukraine und eine Angliederung an Russland aussprach. [7] Die Forschung hat detailliert rekonstruiert, wie sich die sogenannten „Volksrepubliken“ Doneck und Luhansk zu Gewalt- und Terrorregimen entwickelten, die von Moskau gesteuert wurden.[8] Der Donbas-Experte Brian Milakovsky, der die Intervention Russlands im Jahr 2014 persönlich erlebt hatte, sagte im Sommer 2022 im Rückblich, dass selbst er die eigenständigen Handlungsmöglichkeiten der „Separatisten“ überschätzt habe. Erst mit Russlands großflächiger Invasion im Februar 2022 sei ihm klar geworden, dass es sich dabei um „Hilfstruppen“ (auxiliary forces) Moskaus gehandelt habe.[9]

In ihrem Vortrag behauptet Frau Krone-Schmalz, die Umsetzung der „Minsker Vereinbarungen“, also das Abkommen über die Lösung des Konflikts im Donbas zwischen den vermeintlichen „Separatisten“ und der Ukraine, unterzeichnet am 12. Februar 2015, sei allein an der Ukraine gescheitert: die „Umsetzung von Minsk II“ habe „sehr wohl im russischen Interesse“ gelegen, „keineswegs aber im ukrainischen“. Auch diese Aussage ist falsch. Das Abkommen krankte von Anfang an daran, dass Russland trotz seiner zentralen Rolle im Donbas nicht als Kriegspartei behandelt wurde, sondern nur die von Putin gesteuerten „Separatisten“. Diese wurden damit de facto anerkannt.[10] Es ist richtig, dass es auch in der Ukraine erheblichen Widerstand gegen Minsk II gab und nicht alle Vereinbarungen umgesetzt wurden. Es bestand nicht nur in Kreisen extremer Nationalisten die berechtigte Befürchtung, dass die Ukraine durch das Abkommen Gefahr laufen würde, ein dauerhaftes Einfallstor für Russland in der Ukraine zu schaffen, das Moskau jederzeit zur Destabilisierung des Landes nutzen könnte.[11] Wie soll man „Wahlen“ abhalten, wenn Moskau seine Kämpfer aus Russland, Geheimdienstler, reguläre Armeeangehörige „auf Urlaub“ nicht abzieht, ja, nicht einmal bereit ist einzuräumen, dass sie dort sind? Der politische Newcomer Volodymyr Zelens’kyj gewann die ukrainischen Präsidentschaftswahlen im Mai 2019 nicht zuletzt durch sein Versprechen, dass er den Krieg im Donbas beenden würde. Trotz erheblicher Widerstände im eigenen Land suchte er tatsächlich nach Kompromissen mit Russland, stieß in Moskau aber auf taube Ohren.[12] Am 21. Februar 2022 nutze Putin die sogenannten „Volksrepubliken“ als Präludium zum Totalangriff auf die Ukraine, indem er sie als unabhängige Staaten anerkannte.[13]

Komplizierter ist die Frage nach der Unterstützung des Vorgehens Russlands gegen die Ukraine auf der Krim. In ihrem Buch „Russland verstehen“, das nach der Annexion der Krim erschien, bezeichnet Krone-Schmalz die Halbinsel als „ureigenes russisches Land“.[14] Mit dieser Charakterisierung übertrifft sie die völkische Ideologie des Kremls, schließlich räumte Putin selbst nach der Annexion noch ein, dass die Krim auch ukrainisch und krimtatarisch sei.[15] Tatsächlich war die Halbinsel Krim, die erst 1783 unter der Zarin Katharina II. annektiert wurde, über Jahrhunderte weder russisch noch russländisch gewesen, sondern ein multiethnischer und multireligiöser Ort, der zunächst muslimisch geprägt war. Die Herrschaft des Zarenreichs ging mit einer fortschreitenden Zurückdrängung der Krimtataren einher, aber erst mit der gewaltsamen Massendeportation durch Stalin im Jahr 1944 wurden die Krimtataren zu einer kleinen Minderheit.[16]

Politisch betrachtet stimmten auch die nichtkrimtatarischen Bewohner der Krim, also die ethnisch russischen und ukrainischen, 1991 mehrheitlich (ca. 54 Prozent) für die Unabhängigkeit der Ukraine. Nach einer kurzen Erfolgswelle Mitte der 1990er Jahre verschwanden die politischen Gruppierungen auf der Krim, die für einen Anschluss an Russland eingetreten waren, in der politischen Bedeutungslosigkeit.[17] Nach den letzten demokratischen Wahlen zum Krim-Parlament im Jahre 2010 kam die Partei Russkoe Edinstvo (Russische Einheit) noch drei von 100 Sitzen.[18] Inwiefern Russlands massive anti-ukrainische Propaganda während des Euromajdan im Winter 2013/14 dazu führte, dieses Meinungsbild zu verändern, müssen künftige Forschungen zeigen. Die weitgehende Billigung der Annexion durch die Bevölkerung der Krim zeugt allerdings davon, dass das Vertrauen in den ukrainischen Staat bei vielen nicht gefestigt war und es ausgeprägte Sympathien für Russland gab. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung der Krim im März 2014 für den Anschluss an Russland auch bei einer demokratischen Wahl gestimmt hätte, möglicherweise die Mehrheit. Dies ändert nichts daran, dass Russland völkerrechtswidrig das Gebiet eines anderen Staates annektierte und seitdem gezielt jene Menschen verfolgt, die sich – wie der ukrainische Filmemacher Oleg Sencov oder der prominente Krimtatare Mustafa Dzhemilev – der gewaltsamen Annexion ihrer Heimat entgegenstellten. Unter Gewaltandrohung inszenierte Moskau ein Pseudoreferendum, bei dem die Option, dass die Krim Teil der Ukraine bleiben sollte, nicht einmal auf den „Stimmzetteln“ zu finden war. Die Annexion der Krim war ein Gewaltakt. In Krone-Schmalz’ Buch ist von diesen gut dokumentierten Fakten nichts zu finden. Stattdessen behauptet sie, dass Putin auf der Krim „keine Landnahme“ vorgenommen, sondern in „Notwehr unter Zeitdruck“ gehandelt habe, den Vorwurf des Völkerrechtsbruchs halte sie „nicht für berechtigt“.[19] Die „russische Militärpräsenz“ habe nur dafür gesorgt, „dass die ukrainischen Soldaten in ihren Kasernen bleiben mussten“ und das „Referendum“ so nicht verhindern konnten, aber die Mehrheit der Krim-Bevölkerung habe ohnehin „mehrheitlich in Richtung Russland tendiert“.[20] Lediglich die bewaffnete Stürmung des Krim-Parlaments erwähnt Krone-Schmalz. Das Gebäude hätten „bewaffnete Kräfte besetzt, über deren genaue Identität gestritten wird“.[21]

Tatsächlich tauchten bereits am Tag nach dem Sturm des Parlaments und der forcierten „Abstimmung“ auf der Krim die Militärs ohne Hoheitsabzeichen, die zu trauriger Berühmtheit gelangten „grünen Männchen“, auf. Insofern war schon 2014 klar, dass Russland die treibende Kraft bei der gewaltsamen Übernahme der Krim war. Statt dies zu sagen, behauptet Krone-Schmalz tatsachenwidrig, dass die Vorgänge im Krim-Parlament in Simferopol’ „analog“ zur Erstürmung des Parlaments in Kiew durch „bewaffneten Kräfte“ seien.[22] Diese Aussage ist schlicht falsch. Eine solche Erstürmung des Parlaments hatte es in Kiew gar nicht gegeben. Frau Krone-Schmalz unterschlägt eine weitere allgemein zugängliche Information. Hätte sie diese erwähnt, wäre der Vergleich zwischen dem Machtwechsel in Kiew und auf der Krim sofort in sich zusammengefallen. In Kiew gelangte eine Übergangsregierung an die Macht, nachdem Präsident Viktor Janukovyč nach monatelangen Massenprotesten gegen seine autoritäre und immer repressivere Politik nach Russland geflüchtet war. Im Mai 2014 wurde Petro Porošenko auf demokratischem Wege zum neuen Präsidenten gewählt, im Oktober 2014 folgte die Neuwahl der Verchovna Rada. Seit der Erstürmung des Krim-Parlaments finden auf der besetzten Krim keine demokratischen Wahlen mehr statt, Oppositionelle, insbesondere Krimtataren werden verfolgt.[23] Die Falschdarstellung der Ereignisse auf der Krim durch Krone-Schmalz ist ungeheuerlich, besonders gegenüber jenen Menschen, die seit 2014 unter Russlands Okkupation leiden, ihr zum Opfer gefallen sin oder fliehen mussten und ihre Heimat verloren haben.[24]

In ähnlicher Weise verfälscht Frau Krone-Schmalz in ihrem Vortrag Russlands Rolle in Syrien. Ihr zufolge habe Russland Assad von der Zerstörung chemischer Waffen überzeugt. Dass geschah tatsächlich, allerdings nur partiell. Mit Russlands Rückendeckung entzog sich das Assad-Regime unter Verweis auf Syriens Souveränität der Zerstörung des gesamten Chemiewaffenarsenals. Russland unterstützte militärisch das Assad-Regime, das systematisch Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen an der eigenen Bevölkerung beging. Zugleich waren russländische Stellen maßgeblich an der aggressiven Desinformationskampagne gegen die zivilen Weißhelme beteiligt,[25] die den Opfern des Bürgerkriegs zu helfen versuchten. James Le Mesurier, Mitgründer der Weißhelme, nahm sich im Zuge dieser Hasskampagne das Leben.[26]

Russland bombardierte – so wie heute in der Ukraine – zivile Einrichtungen wie Krankenhäuser und Wohngebiete. Krone-Schmalz aber möchte die Zerstörung von Aleppo, die zum Symbol für diese Verbrechen und zur Blaupause des Urbizids von Mariupol wurde, „nicht kommentieren“. Aleppo werde Russland noch „lange nachhängen“. Ein bemerkenswerter Satz, der nahelegt, dass sie primär den Reputationsschaden für Russland bedauert, nicht aber die tausenden ermordeten Menschen in Syrien. Damit sind wir bei einem weiteren integralen Bestandteil jeder Russland-Verteidigung: der Hinweis auf Opfer anderer Staaten oder Kriegsparteien. Dieser „Whataboutism“ hat eine Funktion: er dient zur Relativierung von Putins Verbrechen. In Reutlingen erinnert Frau Krone-Schmalz an die 40 000 Toten, die während des Sturms auf Mossul starben. Es stimmt, dass 40 000 Menschen unter grauenhaften Umständen starben, als die irakische Armee von Oktober 2016 bis Juli 2017 gemeinsam mit kurdischen Einheiten und unterstützt von amerikanischen Kampfbombern die vom Islamischen Staat beherrschte Stadt zurückeroberten. Der Kontext des Sturms bleibt unerwähnt. Anders als Krone-Schmalz suggeriert, starben diese Menschen nicht allein durch US- Bomben. Krone-Schmalz legt nahe, an diese Toten erinnere man in der deutschen Öffentlichkeit nicht, weil Russland und die USA mit zweierlei Maß gemessen würden. Selbst wenn das so wäre, hieße die Konsequenz daraus nicht, intensiver an die Opfer amerikanischer Politik zu erinnern, anstatt sie zur Relativierung oder Verteidigung der kriminellen Praxis Russlands zu nutzen?

Zuletzt sei auf die selektive, bisweilen verfälschende Darlegung der Rüstungskontrollverträge zwischen dem „Westen“ (USA/NATO) und der Sowjetunion/Russland seit 1989 verwiesen. Krone-Schmalz zeichnet das Bild, dass es ausschließlich der Westen gewesen, der diese Verträge zunichte gemacht habe und versucht diese Behauptung anhand des Vertrags über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag) und des INF-Vertrags (Intermediate Range Nuclear Forces Treaty), zu illustrieren. Es stimmt, dass der INF-Vertrag „von Donald Trump am 20. Oktober 2018 einseitig gekündigt“ wurde. Allerdings verschweigt die Referentin die Tatsache, dass Russland den Vertrag in den Jahren zuvor kontinuierlich verletzte. Der am 7. Dezember 1989 ratifizierte Vertrag verbot Raketen mit einer Reichweite zwischen 500 und 5500 km und legte ein gegenseitiges Inspektionsregime fest. Seit 2010 testete und stationierte Russland vertragswidrig Raketen mit einer Reichweite von über 1000 km.[27]

Zum KSE-Vertrag erklärt Krone-Schmalz, dass sie „es so einfach wie möglich“ machen wolle, „ohne dass es falsch wird“. Tatsächlich zeichnet sie dann ein Bild, das durch Halbwahrheiten und Falschaussagen gekennzeichnet ist. Der Vertrag wurde am 19. November 1990 zwischen der NATO und dem Warschauer Pakts unterzeichnet und diente dem Abbau schwerer konventioneller Rüstung in Europa, verpflichtete die Vertragsparteien zu Transparenz und legte ein Verifikationssystem fest. In den 1990er Jahren wurden die Vertragsbestimmungen nach der Auflösung des Warschauer Pakts und dem Ende des Ost-West-Konflikts im sogenannten „Anpassungsübereinkommen zum KSE-Vertrag“ der neuen sicherheitspolitischen Lage in Europa angeglichen. Krone-Schmalz erklärt, dass die Nachfolgestaaten der Sowjetunion diesen Vertrag ratifiziert hätten, die NATO-Staaten aber nicht. Das ist in der Sache richtig. Allerdings insinuiert sie, die westlichen Staaten seien gegenüber einem kooperationsbereiten Russland wortbrüchig geworden. Das ist falsch. Tatsächlich waren die meisten der Nato-Staaten nicht mehr bereit, den Anpassungsvertrag zu ratifizieren, da sich Russland – anders als es die Referentin darstellt – weigerte, seinen in Istanbul 1999 eingegangen vertraglichen Verpflichtungen nachzukommen, seine Truppen aus Georgien und der Republik Moldau zurückziehen und Russland gleichzeitig den zweiten Tschetschenienkrieg führte und dazu erhebliche konventionelle Truppen im Süden konzentrierte.[28] Hinzu kommt, dass Frau Krone-Schmalz darauf verweist, dass diese sogenannten Istanbul Commitments juristisch „kein Bestandteil des Vertrages“ gewesen seien und suggeriert so, dass Russland diese großmütig dennoch akzeptiert habe. Tatsächlich aber weichten die Istanbul Commitments den ursprünglichen Vertrag auf, indem sie Russland eine höhere Konzentration von Truppen an seinen Flanken zugestanden.

In diesem Zusammenhang bezeichnet Frau Krone-Schmalz Georgien und Moldova als „politisch instabile ehemalige sowjetische Landesteile“, in denen es doch nur sinnvoll sei, wenn dort vorhandene „gut ausgestattete Waffendepots“ von „russischen Militärkräften“ geschützt werden würden. Von welchen „Waffendepots“ die Rede ist, bleibt unklar. Klar aber wird, dass die Referentin allein Russland als entscheidungsberechtigten Staat im postsowjetischen Raum zu akzeptieren bereit ist und mit kolonialer Attitüde auf die anderen Nachfolgestaaten blickt.


Koloniale Arroganz und negative Stereotype

Treu bleibt sich Frau Krone-Schmalz auch darin, über die Ukraine negative Stereotype zu verbreiten, um Russlands Angriff zumindest implizit zu rechtfertigen. Es beginnt mit dem rhetorischen Trick, dass ihre Ausführungen „ja nichts damit zu tun“ hätten, „der Ukraine ihr Existenzrecht abzusprechen“ – obwohl es ganz genau darum geht. Es trifft zu, dass die Ukraine keine lange Tradition eigener Staatlichkeit hat. Das aber hängt nicht zuletzt mit dem russischen Imperialismus zusammen, der die Eigenständigkeit einer ukrainischen Nation im 19. Jahrhundert leidenschaftlich bekämpfte.[29] Nach dem Zerfall des Zarenreiches im Jahr 1917 waren es die Bolschewiki unter der Führung Lenins, die die Unabhängigkeitserklärung der Ukraine im Januar 1918 nicht akzeptierten. Die Rote Armee unterwarf im Bürgerkrieg die „Ukrainische Volksrepublik“ und inkorporierte die heutige Zentral- und Ostukraine in die Sowjetunion, deren Gründung sich am 30. Dezember 2022 zum einhundertsten Male jährt.

Das erwähnt Krone-Schmalz nicht. Stattdessen verweist sie darauf, dass die Ukraine „nie ausschließlich von Menschen bewohnt wurde, die sich als Ukrainer begriffen“, dass dort „ethnische und auch religiöse Minderheiten“ lebten und dass „die Ukraine, wie wir sie heute kennen“, erst seit 1991 existiere. All diese Aussagen sind richtig, aber was hat das mit Russlands Angriffskrieg zu tun? All diese Aussagen gelten auch für Russland: Auch hier lebten (und leben) nie ausschließlich Menschen, die sich als Russen begriffen, auch hier lebten (und leben) ethnische und religiöse Minderheiten und auch Russland, wie wir es heute kennen, existiert erst seit 1991.

Freilich ist Krone-Schmalz zu geschickt, um Putins Diktum von der Ukraine als „Anti-Russland“ zu wiederholen und sie zu einem Teil Russlands zu erklären. Aber letztlich macht sie dasselbe wie der Kreml, wenn sie mit einer problematischen Deutung der Geschichte die Intervention Russlands mindestens implizit relativiert. Sie legt damit nahe, dass es die komplexe Geschichte der Ukraine gewesen sei, die etwas mit Russlands Angriff zu tun hat. Tatsächlich müsste sie dafür die innere Entwicklung Russlands in den letzten Jahrzehnten genauer in den Blick nehmen und sich mit den anti-ukrainischen imperialen Traditionen Russlands auseinandersetzten. Die Kieler Osteuropa-Historikerin Martina Winkler wies kurz nach dem Totalangriff Russlands auf die Ukraine zu Recht darauf hin, dass zur Bewertung des russländischen Vorgehens alleine das Völkerrecht gilt.[30] Welche katastrophalen Folgen es hat, wenn Staaten Territorialansprüche durch eine Interpretation der Geschichte legitimieren, dürfte Krone-Schmalz wissen.

Frau Krone-Schmalz Blick auf die Ukraine ist ein kolonialer: Das Land figuriert bei ihr als „gespalten“, die Menschen sind keine Subjekte, sondern in ihren Handlungen durch den „Westen“, insbesondere die USA gesteuert: die Orangene Revolution (2004) sei der „Regie“ des Westens gefolgt.[31] So ist es nur folgerichtig, dass Krone-Schmalz auch die enorme Transformationskraft der ukrainischen Gesellschaft ignoriert, die während des Euromajdan 2013/14 auf die Straße ging, um gegen das kleptokratische und autoritäre Regime von Viktor Janukovyč zu protestieren.[32] Dass sich der Protest regte, nachdem Janukovyč – auf Putins massiven Druck hin – sich überraschend weigerte, das ausverhandelte Assoziationsabkommen mit der EU zu unterzeichnen, war nur der Tropfen, der das Fass der Unzufriedenheit und Wut zum Überlaufen brachte.

Frau Krone-Schmalz steht mit ihrem Zugang zum osteuropäischen Raum und ihrem Blick auf die Ukraine in einer fatalen deutschen Tradition: allein die Großmacht Russland zu respektieren. Da verwundert es nicht, wenn in ihrem Vortrag Deutschland und Russland zu „Nachbarn“ werden. Das war das letzte Mal zwischen 1939 und 1941 der Fall, als die Sowjetunion und das nationalsozialistische Deutschland Verbündete waren. Hier offenbart sich eine erschreckende Geschichtsvergessenheit. Die deutsch-russische Verständigung hatte seit dem Ende des 18. Jahrhunderts auf der Unterdrückung Ostmitteleuropas beruht, die ihren mörderischen Höhepunkt mit dem Hitler-Stalin Pakt von 1939, dem gemeinsamen Überfall auf Polen sowie der Aufteilung und Besatzung Ostmitteleuropas erreichte.

In Reutlingen stellt Frau Krone-Schmalz ihre Ignoranz über die Ukraine auch dadurch unter Beweis, dass sie behauptet, der Ukraine hätte nach 1991 eine „Dezentralisierung“ gutgetan, „die den historischen Entwicklungen Rechnung getragen hätte und dieses Land seine Rolle als Brücke zwischen und Ost und West hätte spielen“ lassen. Ironischerweise war es gerade Russlands Präsident Putin, der 2013 alles daran setzte zu unterbinden, dass die Ukraine diese Brückenfunktion ausüben sollte, indem sie das Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnete und ihre Beziehung zu Russland beibehielte.

Und was die „Dezentralisierung“ im Inneren anbelangt, war es in der Ukraine gerade die Stärke der Regionen, die – im Unterschied zu Russland – verhinderte, dass sich eine Machtvertikale mit einem starken Zentrum entwickeln konnte, was die Voraussetzung für autoritäres Herrschaftssystem ist. Und es war die Krim, die in der Ukraine weitgehende Autonomierechte genossen hatte, ehe sie von Russland annektiert wurde.


Manipulativer Gebrauch von Quellen

Frau Krone-Schmalz Nimbus als „Russland-Expertin“ basiert nicht nur darauf, dass viele Medien in Deutschland sie jahrelang als solche präsentierten, sondern auch auf ihren Büchern, die im seriösen C.H. Beck Verlag erschienen. Dieser hat die beiden Titel unterdessen aus dem Programm genommen.[33]

In ihrem Reutlinger Vortrag verweist die „Russland-Expertin“ auf diese Bücher, speziell auf das Buch „Eiszeit“, das über einen „Anmerkungsapparat“ verfüge. Damit, so Krone-Schmalz, handele es sich um eine Publikation, „die wissenschaftlichen Ansprüchen genügt“. Freilich sind Fußnoten – das sollte uns die Causa des Ex-Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg gelehrt haben – kein Ausweis von Wissenschaftlichkeit. Auch im vorliegenden Fall zeigt die Lektüre, dass jener Anmerkungsapparat vor allem dazu dient, den Anschein von Wissenschaftlichkeit und Seriosität zu vermitteln. Bei diesen Fußnoten fällt auf, dass es sich mehrheitlich um deutsch- und englischsprachigen Online-Artikel sowie einzelne Veröffentlichungen aus Wikileaks handelt, die bekanntermaßen bisher keine Dokumente aus Russland veröffentlicht haben. Gerade eine (!) russische Quelle ist im Literaturverzeichnis zu finden. Vor allem ignoriert die „Expertin“ die einschlägige internationale Literatur über Putin und den Putinismus komplett. Dazu zählen die empirisch fundierten Studien von Karen Dawisha und Masha Gessen ebenso wie grundlegende journalistische Arbeiten aus russischer Feder etwa von Michail Zygar und Anna Politkovskaja. Politkovskaja bezahlte ihre investigativen Recherchen über die Verbrechen des Putin-Regimes in Tschetschenien mit ihrem Leben: 2006 wurde sie in Moskau erschossen.

In „Eiszeit“ wurden Quellen und Literatur offensichtlich so ausgewählt, andere aber ausgeblendet, um Behauptungen rückwirkend zu stützen und ihnen so den Anschein von intersubjektiv nachprüfbarer Gültigkeit zu verleihen. Auch hier lautet die Erzählung: Die Verantwortung für Russlands Aggressionen trägt der „Westen“, vor allem auf Grund der NATO-Osterweiterung. Um diese simple Erklärung plausibel zu machen, ignoriert sie wie auch in Reutlingen alles, was gegen diese Theorie spricht. Teilweise verfälscht sie auch hier ihre Quellen, etwa wenn sie behauptet, eine Umfrage aus dem Jahr 2005 hätte gezeigt, dass „nur ein Drittel“ der ukrainischen Bevölkerung der EU beitreten wollte. Prüft man die zitierte Quelle, ist da zu lesen, dass 40 Prozent einen EU-Beitritt befürworteten.[34] Aussagen aus der von ihr zitierten Studie, die ihrer zentralen Deutung widersprechen, ignoriert sie. Das Narrativ, es seien die USA und der „Westen“, die in der Ukraine massiv Einfluss nähmen,müsset Frau Krone-Schmalz zumindest relativieren, wenn sie die russländische Politik in der Ukraine zur Kenntnis nehmen würde. Iryna Pavlenko, die Krone-Schmalz ausschließlich zitiert, um den verhältnismäßig geringen Rückhalt für den Beitritt zur EU in der Ukraine zu belegen:

Die Ukraine ist noch immer gezwungen, nach Russlands Regeln zu spielen. Tatsächlich weigert sich der Kreml komplett, den Dialog in anderer Form zu führen. Der ukrainische Wunsch, mit Russland auf der Basis allgemein anerkannter Grundlagen des Völkerrechts zu verhandeln, ist mit den Plänen des Kreml nicht in Einklang zu bringen.[35]

Pavlenko verweist in ihrer Studie auf die regionalen Unterschiede in der Ukraine, aber arbeitet die Strategie des Kremls heraus, diese regionalen Unterschiede auszunutzen, um das Land zu destabilisieren. Pavlenko vertritt in diesem Text von 2007 bereits die These, dass es die russländische Einflussnahme ist, die in der Zentral- und Ostukraine die Zustimmung zur NATO und zur EU in die Höhe treiben werden. Mit keiner dieser Feststellungen und Thesen setzt sich Krone-Schmalz auseinander. Stattdessen zitiert sie selektiv, wohl mit dem Zweck, die a priori feststehende Ansicht durch einen Literaturverweis zu beglaubigen. Dabei lernt jede Studentin im ersten Semester des Geschichtsstudium, dass die Reihenfolge anders lauten muss. Zuerst werden die relevanten Quellen gelesen, dann die Fachliteratur studiert und analysiert und schließlich auf dieser Basis eine These entwickelt. Alles andere widerspricht der guten wissenschaftlichen Praxis.

Der selektive, manipulative Gebrauch von Quellen findet sich bereits im Buch „Russland verstehen“. Hier macht Krone-Schmalz aus der Lobbyistin des Janukovyč-Regimes Ina Kirsch van de Water eine „Osteuropa-Wissenschaftlerin“, die als Kronzeugin für den zu befürchtenden politischen Einfluss extremer ukrainischer Nationalisten firmiert.[36] Ähnlich irreführend ist der Beleg für ihre Behauptung, der Krieg im Donbas sei ein „innerukrainischer Bürgerkrieg“.[37] Sie verweis auf eine SWP-Studie von Margarete Klein und Kristian Peters, bezieht sich aber nur auf die Stellen, in denen das Autorenduo die am Konflikt beteiligten irregulären ukrainischen Kampfverbände nennt und auf die Rolle des ukrainischen Innenministeriums und des Geheimdienstes verweist. Krone-Schmalz unterschlägt die in der Studie präsentierten Informationen, dass „ethnische Russen aus Russland“ die „meisten Schlüsselpositionen“ in den „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk einnehmen und es viele Hinweis darauf gebe, dass Russland „direkt militärisch involviert ist“.[38] Diese Informationen befinden sich auf derselben Seite, die Krone-Schmalz zitiert, oder auf der folgenden. Es liegt nahe, dass die Autorin der Leserschaft bewusst die Stellen vorenthält, die zeigen würden, dass ihre Darstellung und Interpretation des Krieges im Donbas unhaltbar ist.

Auch in dieser methodischen Hinsicht bleibt sich Frau Krone-Schmalz treu. In Reutlingen behauptet sie, Zelens’kyj habe im Februar 2021 „ein Dekret erlassen, in dem er die Rückeroberung der Krim quasi angeordnet“ habe. In einer gemeinsamen Erklärung der USA und der Ukraine sei dieses Ziel im November wiederholt worden. Tatsächlich rief Zelens’kyj im Februar 2021 eine „Krimplattform“ ins Leben. Das war aber eine diplomatische (!) Initiative der ukrainischen Regierung, die darauf zielte, die völkerrechtswidrig von Russland besetzte Halbinsel langfristig ins ukrainische Staatsgebiet zu reintegrieren.[39] In der gemeinsamen Erklärung der USA und der Ukraine vom November 2021 ist das Wort „Rückeroberung“ nicht zu finden.[40] Die USA bekräftigten ihr Festhalten am Prinzip der territorialen Integrität der Ukraine. Das bedeutet im Umkehrschluss natürlich, dass sie die Annexion der Krim durch Russland nicht anerkennen. Außerdem erklärten die USA ihre Unterstützung für die langfristige Integration der Ukraine in die transatlantischen Strukturen. Dass die USA der Ukraine ihre Unterstützung bei ihrem Wunsch zum NATO-Beitritt als Reaktion auf den Aufmarsch der russländischen Armee seit April 2021 an der ukrainischen Grenze versicherten, kann man für einen strategischen Fehler halten. Daraus aber eine gemeinsam von der Ukraine und der USA angekündigte „Rückeroberung“ der Krim zu machen, ist unseriös.

In ähnlicher Manier verfälscht Krone-Schmalz in ihrem Vortrag die zentrale Aussage des im Auftrag der EU erstellten Berichts der Fact Finding Mission über den Krieg zwischen Georgien und Russland im Sommer 2008.[41] Dieser Bericht, so Krone-Schmalz, stelle klar, dass Georgien Russland angriffen habe. Das ist zumindest eine Vereinfachung der über tausend Seiten umfassenden Analyse, die deutlich macht, dass Russland die Konflikte in Georgien provozierte und ausnutzte, um völkerrechtswidrig tief auf georgisches Staatsterritorium vorzudringen. Der Bericht stellt klar, dass Georgien tatsächlich Südossetien angriff – das ist allerdings nicht russländisches Staatsgebiet, sondern eine Region in Georgien, die sich von Tiflis losgesagt hat. Der Bericht schließt sich nicht der Behauptung Georgiens an, dass Georgien mit seinem Angriff auf Südossetien auf einen vorangegangenen russländischen Angriff reagiert habe, weist aber darauf hin, dass es viele Hinweise auf verdeckte militärische Interventionen Russlands in Südossetien vor dem Angriffs gegeben habe.[42]


Rosinenpicken und Ausblendung von zentralen Fakten

Krone-Schmalz beansprucht, dass sie jenseits der verbreiteten Darstellung des „Mainstreams“ eine komplexere Erklärung für die tieferen Ursachen der Totalinvasion anbieten würde. Tatsächlich ist ihre „Erklärung“ ausgesprochen simpel: der „Westen“, die USA, die NATO hätten Russland in die Defensive gedrängt und damit Russlands Angriff provoziert. So hatte sie bereits 2014 argumentiert. Der Kardinalfehler des Westens sei die NATO-Osterweiterung gewesen. Die These, dass es ein Versprechen an die sowjetische Führung gegeben habe, die Nato nicht zu erweitern, und das gebrochen worden sei, verbreitet Krone-Schmalz seit Jahren.[43] Diese These ist ein Legende. Sie ist vielfach widerlegt worden.[44] Die auch von Krone-Schmalz zitierten Zusicherungen des damaligen US-Außenminister James Baker waren mit Washington nicht abgesprochen, das angebliche „Versprechen“ wurde nirgendwo verbindlich fixiert und Michail Gorbačev versicherte 1990, dass die Staaten Ostmitteleuropas das Recht hatten, sich um Aufnahme in die NATO zu bemühen.[45] Die kürzlich erschiene umfassende Studie der Historikerin Mary Sarotte zeigt, wie kompliziert das Ringen um eine europäische Sicherheitsordnung Ende der 1980er Jahre und in den 1990er Jahren war. Weder in Washington noch in Moskau bestand in dieser Frage zu Beginn der 1990er Jahre Einigkeit. Während Gorbačev 1990 das Recht auf freie Bündniswahl auch eines wiedervereinigten Deutschlands betonte, waren seine Berater darüber entsetzt.[46] In ihrem Fazit weist Sarotte zwar darauf hin, dass in den 1990er Jahren eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur unter Einschluss Russlands scheiterte. Doch sie erinnert daran, dass es Entscheidungen in Moskau in dieser Zeit waren – der Erste Tschetschenienkrieg und die Beschießung des Parlaments 1993 –, die eine sicherheitspolitische Kooperation mit dem Westen erschwerten.

Welche Rolle aber spielte die Osterweiterung der Nato für die Radikalisierung des Putin-Regimes und vor allem für den Überfall auf die Ukraine? Mit den baltischen Staaten traten 2004 zum ersten Mal Staaten der Nato bei, die bis 1991 zur Sowjetunion gehört hatten. Putin reagierte gelassen: Auch wenn er diesen Schritt nicht ausdrücklich befürwortete, so stellte er in einem Radio-Interview von 2001 klar, dass man Staaten in Hinblick auf ihre sicherheitspolitischen Entscheidungen keine Vorschriften machen könne.[47] Das widerlegt die These, dass nach einem Aktions-Reaktions-Modell die NATO-Osterweiterung zu Russlands Angriffskrieg geführt habe. Bleibt die Frage, inwiefern die seit der Präsidentschaft von Viktor Juščenkos (2004–2010) mit wachsendem Nachdruck vorgetragene ukrainische Position, Mitglied der NATO werden zu wollen, zur politischen Radikalisierung und militärischen Eskalation Russlands beigetragen hat. Die einfache These von Krone-Schmalz lautet: Schon der Beitritt Polens, Estlands, Lettlands und Litauens sei ein Fehler gewesen, weil es, so Frau Krone-Schmalz im Vortrag in Reutlingen, „nicht gelungen ist, den historisch verständlichen Ängsten von Polen und Balten auf der einen Seite und den historisch verständlichen Ängsten Russlands“ gleichermaßen gerecht zu werden.

Das ist eine eigentümliche Gleichsetzung. Schließlich war es das Russländische Imperium, das auf dem Gebiet der heutigen Nationalstaaten Ostmitteleuropas herrschte und die baltischen, die polnische und die ukrainische Nationalbewegungen bekämpfte. Und es war die sowjetische Führung in Moskau, welche die Unabhängigkeitsbestrebungen der Balten in den späten 1980er Jahren gewaltsam unterdrückte. Insofern hatten die Ängste der Balten und Polen eine historische Grundlage. Im Falle Russlands aber ging es nicht um konkrete Bedrohungsperzeptionen vor diesen Staaten, sondern vielmehr um die Angst, den eigenen Großmachtstatus zu verlieren, den die Sowjetunion bis 1989 geltend gemacht hatte. Dass russländische Politiker die Nato-Osterweiterung ablehnten, speiste sich weniger aus „Sicherheitsinteressen“ als daraus, dass sie den Verlust imperialer Größe der Sowjetunion und den relativen Abstieg der Russländischen Föderation nicht zu akzeptieren bereit waren.[48] Hinzu kommt, so Kimberly Marten, dass die Beschwörung des Feindbilds der NATO vor allem eine innenpolitische Funktion hatte. Mit der Radikalisierung Russlands unter Präsident Putin gewann dieses Feindbild an Bedeutung im politischen „Mainstream“ und wurde zum integralen Bestandteil der Darstellung des Kremls. Das dürfte auch ein Ergebnis der Einsicht sein, dass die Lesart von der Bedrohung Russlands durch den Beitritt der Ostmitteleuropäer zur Nato in bestimmten politischen Milieus in Westeuropa und den USA auf fruchtbaren Boden fällt. Die Behauptung, der Krieg gegen die Ukraine sei eine logische Folge der NATO-Osterweiterung zeigt einmal mehr, dass Krone-Schmalz Fachliteratur und Quellen nicht berücksichtigt, sondern simple Erklärungsmodelle bedient, die ihrer Verteidigung des Putin-Regimes zupasskommen.

Tatsächlich hat der russische Journalist Michail Zygar bereits 2015 gezeigt,[49] dass Putins Ukraine-Trauma in der Orangenen Revolution vom Winter 2004 wurzelt, als eine offenkundig manipulierte Wahl nach Massenprotesten in Kiew wiederholt werden musste – ein Szenario, dessen Wiederholung das russländische Machtkartell um Putin seitdem fürchtet. Frau Krone-Schmalz verbreitet in Schrift und Ton dagegen die Mär, dass mit Putin 1999 ein offener, moderner Politiker an die Macht gekommen sei, der sich dadurch radikalisiert habe, dass ihn der „Westen“ wiederholt zurückwies. Noch nach Russlands Totalangriff am 24. Februar wiederholt Krone-Schmalz dieses Klischee: „Wir“ hätten diesen Putin „mitgeschaffen“.[50]

Schaut man sich die Forschung und die Publikationen zu diesem Thema genau an, so ist offenkundig, dass sich Putin weitgehend treu geblieben ist und der Putinismus – verstanden als Rezentralisierung, Militarisierung, personalisierte Herrschaft, Unterwerfung von Wirtschaft und Gesellschaft durch die Geheimdienste –, seit den frühen 2000er Jahren systematisch aufgebaut wurde und sowohl die Person Putin als auch der Charakter der Herrschaft eher von Kontinuität als von Wandel bestimmt ist. Bekanntermaßen war Putin als KGB-Agent in Dresden im Einsatz, als die Sowjetunion zusammenbrach. Weniger bekannt – obwohl gut erforscht – ist seine Rolle als enger Mitarbeiter von Bürgermeister Anatolij Sobčak in einem Netzwerk von (Ex-)Geheimdienstlern, Angehörigen organisierter Kriminalität und Oligarchen im St. Petersburg. Putin ermöglichte damals Vertrauten den Zugriff auf billig erworbene Rohstoffe aus dem daniederliegenden Russland und deren Export zu Weltmarktpreisen, wodurch sie sich exzessiv bereichern konnten. Die Protzsiedlung Ozero in der Nähe St. Petersburgs stammt aus dieser Zeit. Nach seinem Aufstieg zuerst an die Spitze des Geheimdienstes FSB wurde Putin dann als „Mann ohne Eigenschaften“ von E’lcin 1999 zum Ministerpräsidenten und schließlich zum Interimspräsidenten gekürt, nachdem er ihm und seiner Familie bei einer Intrige behilflich gewesen war.[51] Kurz nach seinem Amtsantritt als Ministerpräsident begann er den zweiten Tschetschenien-Krieg, den Putin mit äußerster Brutalität auch gegen die tschetschenische Zivilbevölkerung führte. Die tschetschenische Hauptstadt Groznyj war die erste Stadt, die er von Russlands Truppen in Schutt und Asche legen ließ. Vorwand für diesen Krieg waren Bombenattentate auf Moskauer Hochhäuser, bei denen mehrere hundert Menschen starben. Die Regierung machte dafür tschetschenische Terroristen verantwortlich. Schon damals wiesen russische Medien darauf hin, dass es ernstzunehmende Hinweise für eine False-Flag-Operation des FSB gab. Diese Einschätzung hat sich unterdessen erhärtet. Es steht zu vermuten, dass Putin aus der Erfahrung des Tschetschenienkriegs vor allem lernte, wie er sich erfolgreich von einem weitgehend unbekannten zu einem ziemlich beliebten Politiker mausern konnte: durch die Schaffung eines äußeren Feindes und die Inszenierung als starker Mann. Diese Strategie ging auch 2014 nach der Annexion der Krim auf

Von all diesen Fakten erfährt man bei Krone-Schmalz nichts. Im Gegenteil, in ihrem Buch „Eiszeit“ rückt sie die plausible Vermutung, dass hinter den Anschlägen auf Moskauer Hochhäuser 1999 der FSB steckte, in die Nähe von absurden Verschwörungstheorien über die Anschläge auf das World-Trade-Center am 9.11.2001. John Dunlop, den Verfasser der bisher umfangreichsten Studie zu diesem Thema, kanzelt sie ohne jeden Beleg als Vertreter der angeblichen „Verschwörungstheorie“ ab.[52]

In Reutlingen präsentiert sie Putin in zwei Rollen: als Opfer des Westens und als Politiker, der den Menschen in Russland ihren Stolz zurückgegeben habe. Tatsächlich beschwört Putin ständig die Wiederkehr der imperialen Größe Russlands. Doch dabei handelt es sich um nichts anderes als um eine Ersatzhandlung für die ausbleibende wirtschaftliche, ökonomische und soziale Modernisierung des Landes.[53] Primär ging es Putin und seinem Machtkartell darum, die eigene patrimoniale Herrschaft und den damit verbundenen immensen Reichtum zu verteidigen. Putin hat mitnichten das System oligarchischer Herrschaft in Russland bekämpft, sondern willfährige Oligarchen wie Roman Abramovič von sich abhängig gemacht und jene wie Michail Chodorkovskij, Vladimir Gusinskij oder Boris Beresovskij zerstört, die sich nicht unterordnen wollten.

In ihrem Buch „Russland verstehen“, behauptet Krone-Schmalz gar, Putin sei zu Beginn seiner Amtszeit offen auf die Zivilgesellschaft zugegangen.[54] Das ist sachlich unhaltbar. Die Verfolgung von Kritikerinnen und Kritikern prägte bereits seine Zeit in St. Petersburg.[55] Kurz nach seinem Amtsantritt als Präsident trieb er die Besitzer von Fernsehsendern aus dem Land und beendete den Meinungspluralismus der wichtigsten Medien.[56] Diese innenpolitischen Entwicklungen blendet Frau Krone-Schmalz vollkommen aus. Das ist die notwendige Voraussetzung dafür, um den Westen und die Ukraine für die Eskalation des Konflikts verantwortlich machen zu können. Richtig ist, dass Putin und sein Regime die Ukraine nicht in der Nato sehen wollten. Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass der Grund für Russlands Angriff auf die Ukraine deshalb erfolgt sei, um Russlands (legitime) „Sicherheitsinteressen“ zu wahren und eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine zu unterbinden. Dies glauben zu machen läuft auf eine unreflektierte Übernahme der Lesart des Kremls hinaus. Das lässt sich nur unter Ausblendung relevanter Fakten und Quellen aufrechthalten. Natürlich ignoriert Krone-Schmalz Putins Blick auf die Ukraine. Putin steht in der Tradition des großrussischen Imperialismus des 19. Jahrhunderts, der der ukrainischen Nation jedes Recht auf eine eigenständige Sprache, Kultur und Identität abspricht und alles Ukrainische als Teil der großrussischen Nation beanspruchte. Bekanntlich erklärte Putin dem damaligen US-Präsidenten George W. Bush 2008, dass es sich bei der Ukraine „noch nicht mal um ein richtiges Land handelt.“[57] Weder Putin noch die russländische Elite erkennen die Existenz der Ukraine als ein souveränes, selbstbestimmtes Land an.

Wenige Tage vor Russlands großflächiger Invasion in die Ukraine machte Bundeskanzler Olaf Scholz bei seinem Besuch in Moskau deutlich, dass eine Aufnahme der Ukraine in die Nato auf absehbare Zeit kein Thema sei.[58] Auch Putin war das bekannt. Spätestens seit dem 24. Februar 2022 müsste eigentlich jedem klar sein, dass Russlands Elite sich kaum von einem Land bedroht fühlen konnte, von dem Putin und seine Entourage aus Geheimdienstlern und Militärs annahmen, es in wenigen Tagen unterwerfen zu können. Aus Putins Sicht darf es keine unabhängige, demokratische und selbstbestimmte Ukraine geben. Das ist die eigentliche Ursache dieses Kriegs. Dass Putin der Ukraine ihr Existenzrecht abspricht, ist nichts Neues. In seiner Rede vor der Russländischen Föderalversammlung zur Aufnahme der Krim und Sevastopol’s in die Russländische Föderation im März 2014 erklärte er Ukrainer und Russen zu einem „Volk“ und Kiew zur „Mutter aller russischen Städte“.[59]

Für den Angriff auf die Ukraine im Jahr 2014 spielte noch ein zweiter Faktor eine wichtige Rolle. Mit dem Majdan hatte eine pluralistische zivilgesellschaftliche Bewegung, in der die von Russlands Propagandisten hervorgehobenen Rechtsextremisten eine marginale Minderheit waren, einen autoritären, kleptokratischen Herrscher ins Exil gejagt und damit Putins Ukraine-Trauma von 2004 neue Nahrung gegeben. Die massive anti-ukrainische Propaganda, die seit dem Beginn des Majdan Ende November 2013 Russlands Medien prägte, hatte nicht zuletzt hier ihren Ursprung: Russlands Bevölkerung sollte ja keine dummen Gedanken in Bezug auf ihren autoritären und kaum weniger kleptokratischen Herrscher Putin entwickeln. Durch die Krim-Annexion gelang es ihm, die eigene Herrschaft in Russland zu stabilisieren, es gelang aber nicht, die demokratische, proeuropäische und transatlantische Orientierung der Ukraine zu brechen – im Gegenteil. Durch Russlands Annexion der Krim und den Krieg im Donbas gewann in Gesellschaft und Politik der Ukraine die NATO-Mitgliedschaft an Unterstützung und Bedeutung. Die Wahl des politischen Outsiders Volodymyr Zelens’kyj im Mai 2019 zum Präsidenten zeigte zudem, dass sich ungeachtet aller Missstände wie der Korruption und informeller Herrschaft von Oligarchen und ihren Clans, die Demokratie in der Ukraine stabilisiert hatte. Anders als in Russland oder in Belarus lassen sich hier Präsidenten abwählen!

Zur gleichen Zeit war bei Putin eine ideologische Radikalisierung zu beobachten. Zunehmend trat er als „Chef-Historiker“ Russlands auf. Die Ukraine wurde zum zentralen Objekt seines russischen „Imperialnationalismus“. Höhepunkt dieser Entwicklung war der Essay „Über die historische Einheit von Russen und Ukrainern“ im Sommer 2021.[60] Putin brachte in diesem offenen revisionistischen Text zum Ausdruck, dass er die Existenz der Ukraine als Staat für einen historischen Fehler hält und dass die Ukraine eigentlich schon immer Teil Russlands gewesen sei. Nach der Publikation dieses Essays schrillten bei einigen deutschen Beobachtern die Alarmglocken.[61]

Eine Antwort auf die Frage zu finden, warum Putin sich ausgerechnet im Februar 2022 für den Totalangriff entschied, bleibt die Aufgabe künftiger historischer Forschung. Unmissverständlich formulierte Putin in diesem Text sowie in anderen Dokumenten und Reden einen völkisch russischen Neo-Imperialismus, der die ideologische Grundlage dieses Kriegs bildet. Den ignoriert und negiert Krone-Schmalz. Stattdessen fabuliert sie darüber, dass in der Ukraine ein „Stellvertreterkrieg“ geführt werde. Sie blendet die genozidale Kriegsführung Russlands in der Ukraine aus, auf die Juristen wie der deutsche Völkerrechtler Otto Luchterhandt oder Genozid-Forscher wie Eugene Finkel schon vor Monaten hinwiesen.[62] Dieser Einschätzung schließen sich immer mehr Juristinnen und Juristen an.[63] Russlands Ideologen haben die Vernichtungsabsicht offen erklärt.[64] Ukrainische Eliten, die als Rückgrat des Staats gelten, werden gezielt verfolgt, der öffentliche Raum und das Bildungssystem gewaltsam russifiziert, ukrainische Museen, Denkmäler, Archive und andere Kulturgüter ebenso gezielt vernichtet.[65] Allein die massenhafte Deportation ukrainischer Kinder nach Russland, um sie zu russifizieren, erfüllt die Genozid-Definition der Vereinten Nationen von 1948.[66]

Es ist kein Zufall, dass Frau Krone-Schmalz diese Realität in ihrem Vortrag unerwähnt lässt, würde sie doch ihre Behauptung von den „Sicherheitsinteressen“ Russlands ad absurdum führen. Ginge es nicht um einen grauenhaften Krieg, wäre es fast amüsant, dass Krone-Schmalz in Reutlingen sogar offen zugibt, dass sie sich Russlands Einmarsch in die Ukraine vom Februar 2022 nicht erklären kann. Osteuropa-Experten mit Expertise fällt das weniger schwer.


Info: https://zeitschrift-osteuropa.de/blog/desinformation/?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE


unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

03.12.2022

Desinformation  
Russland, Ukraine und Frau Krone-Schmalz  (II von II)

Täter-Opfer-Umkehr

Frau Krone-Schmalz Selbstdarstellung als unaufgeregte und sachliche Analytikerin ist ein wichtiger Teil des Erfolgs bei ihrem Publikum. Das ist umso erstaunlicher, als ihre Melange aus Auslassungen, Manipulation und Falschaussagen viel über ihren Blick auf die Opfer der russländischen Politik aussagt, die ermordet, gefoltert, unterdrückt und verschleppt werden. An ihrem Schicksal scheint Krone-Schmalz desinteressiert zu sein. Auch in ihren Büchern spielen die Opfer des Putin-Regimes keine Rolle. Wenn sie überhaupt auf Opfer zu sprechen kommt – in ihrem Vortrag auf die Toten des Donbas – , macht sie dafür andere verantwortlich und zwar ausschließlich die „die permanenten ukrainischen Angriffe“. Schon 2014 äußerte Krone-Schmalz Verständnis für die systematische Diskriminierung und Hetze gegen Homosexuelle in Russland und monierte die übertriebene Aufmerksamkeit für die Frauen von Pussy Riot,[67] die nach einem absurden Schauprozess zu mehreren Jahren Haft verurteilt wurden.[68]

Man kann nur hoffen, dass in Reutlingen keine Opfer des russländischen Regimes anwesend waren, als Krone-Schmalz gegen Ende einmal mehr eine Opfer-Täter-Umkehr vollzog, als sie die Siegesrhetorik von Präsident Zelens’kyj und anderer ukrainischer Politiker als Ausweis dafür sah, dass diese sich nicht „staatsmännisch“ verhielten. Dass Volodymyr Zelens’kyjs Rhetorik die Reaktion auf einen mörderischen Angriffskrieg ist, ließ Krone-Schmalz unter den Tisch fallen. Angesichts des Grauens von Mariupol, Buča, Irpin sind Zelens’kyjs Reden zurückhaltend und weit entfernt von den Hass- und Auslöschungsphantasien, die Politiker wie Dmitrij Medvedev oder der TV-Propagandist Vladimir Solov’ev täglich über die Ukraine von sich geben. Man möchte Frau Krone-Schmalz raten, einmal die kämpferischen Reden des britischen Premierministers Winston Churchill während des Zweiten Weltkriegs nachzulesen. Es waren u.a. diese Reden, die Churchill den Ruf eines Staatsmannes einbrachten und vielen Menschen in Großbritannien Mut und Zuversicht schenkten. Aber diese Empathie hat Krone-Schmalz offensichtlich ebenso wenig wie ein Problem mit der vulgären, aggressiven und menschenverachtenden Rhetorik von Putin und seinen willfährigen Helferinnen und Helfern, die die Propagandamaschine am Laufen halten. Anti-ukrainische Hasspropaganda ist seit 2013/14 in Russland omnipräsent. Phantasien und Aufrufe zum Genozid sind unterdessen keine Einzelfälle mehr.

Auch möchte man Krone-Schmalz an die eindrucksvolle (auf Russisch gehaltene) Ansprache des ukrainischen Präsidenten an die Bürgerinnen und Bürger Russlands am 22. Februar 2022 erinnern, in der er betonte, dass die Ukraine keinen Krieg gegen Russland wolle und die beiden Völker keine Feinde seien.[69] Wenn das keine staatsmännische Rede war, so fragt man sich, welche Vorstellung Krone-Schmalz von einem Staatsmann hegt.

Nicht minder entlarvend ist, was Frau Krone-Schmalz auf eine Frage aus dem Publikum, was es mit dem von Putin propagierten Kriegsziel der „Denazifizierung“ der Ukraine auf sich habe. In ihrer Antwort legitimierte sie diesen perfiden Kampfbegriff als Ausdruck echter Sorge Russlands vor einem Erfolg radikaler Nationalisten in der Ukraine. Dafür gibt es nicht den geringsten Anhaltspunkt. Bei den Präsidentenwahlen seit 2014 erhielten rechtsextreme Kandidaten weniger als zwei Prozent der Stimmen. Und auch bei den Wahlen zum Parlament schnitten ukrainischer Extremisten schwach ab. Präsident Zelens’kyj und die Regierung der Ukraine sind schlicht keine Nazis. Dagegen kämpfen russische Neo-Nazis in der Ukraine. Putin missbraucht das antifaschistische Erbe der Sowjetunion, um den Angriff auf ein friedliches Nachbarland zu rechtfertigen. Sein Krieg gründet auf einem aggressiven völkisch-imperialen Nationalismus, und Krone-Schmalz rechtfertigt diese Ideologie, indem sie die Propaganda des Kremls nahezu gleich wiederholt.


Scheinlösungen und falsche Gegensätze

Abgerundet wird das Ganze durch die Empfehlung, wie dieser Krieg ein Ende finden könne. Waffenlieferungen, welche die Ukraine zu ihrer Selbstverteidigung wünscht und benötigt, findet Krone-Schmalz „schlimm“. Stattdessen empfiehlt sie „Geheimdiplomatie“ und „Verhandlungen“. Die Schwächen dieser Argumentation benennen Expertinnen und Experten seit Februar 2022 immer wieder: Welche Verhandlungsgrundlage kann es geben, wenn Russland erklärtermaßen die Ukraine als Staat und Nation vernichten will und nur die totale Niederlage der Ukraine als einen Ausweg aus diesem Krieg akzeptiert? Die zahlreichen Kriegsverbrechen und die Besatzungspraxis im Südosten der Ukraine mahnen, dass ein „Kompromiss“ zur Etablierung eines russländischen Terrorregimes in weiten Teilen der Ukraine führen würde, in dem die Bürgerinnen und Bürger nicht nur ihre Freiheit und Selbstbestimmung verlieren würden, sondern auch Verfolgung, Verschleppung und Mord an der Tagesordnung wären. Der Mythos, dass mit einem Ende der Kampfhandlungen auch das Sterben vorbei wäre, hält sich hartnäckig. Die zahlreichen Verhandlungsversuche scheiterten bisher an Moskaus Maximalforderungen, die einer Auflösung ukrainischer Staatlichkeit gleichkamen, während zugleich immer klarer wurde, dass auch eine temporäre Abtretung ukrainischer Gebiete an Russland weitere Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung ermöglichen würden.[70]

Zuletzt schließen sich Waffenlieferungen und Diplomatie selbstverständlich nicht aus, sondern hängen zusammen. Nur durch Waffenlieferungen kann die Ukraine in eine Position gebracht werden, aus der heraus sie überhaupt ernsthaft verhandeln kann, ohne ihre Existenz aufzugeben. Diese Tatsache blenden die Gegnerinnen und Gegner von Waffenlieferungen mit einer erstaunlichen Beharrlichkeit aus. Viele machen sich offenbar nicht klar, wovor uns der ukrainische Widerstand mit geheimdienstlicher und militärischer Unterstützung vor allem der USA bewahrt hat: eine von einem russländischen Terrorregime besetzte Hauptstadt Kiew und die Inhaftierung, gar Ermordung einer demokratisch gewählten Regierung in Europa. Kiew blieb dieses Schicksal nicht durch Verhandlungen erspart. Dass hinter den Kulissen auf diplomatischem Wege trotzdem alles für die Beendigung dieses Kriegs versucht wird, ist zugleich wahrscheinlich. Angesichts dessen, dass Frau Krone-Schmalz einem Land, über das sie seit Jahren negative Stereotype verbreitet und das sie bis heute vom Opfer zum Täter macht, am liebsten die Unterstützung zur Selbstverteidigung verweigern würde und die jetzt geleistete Unterstützung sogar „schlimm“ findet, sind ihre unreflektierten Stellungnahmen zu Sanktionen gegen Russland fast noch harmlos. Es zeugt aber mindestens von historischer Unbildung, wenn sie Sanktionen strikt ablehnt und stattdessen den Marshall-Plan für Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg als Modell für das heutige Russland empfiehlt. Immerhin geschah die wirtschaftliche, politische und militärische Unterstützung Westdeutschlands nach der totalen Niederlage des NS-Regimes, einer Demokratisierung und einer zumindest offiziellen Entnazifizierung im Kontext der Westbindung des Kalten Kriegs. Kein Politiker bei Verstand hätte Deutschland mitten im Krieg einen solchen Plan in Aussicht gestellt.

Die Analyse des Reutlinger Vortrags und der Bücher von Frau Krone-Schmalz ist eindeutig: Mit Aufklärung und empirisch fundierter Analyse nach den Kriterien wissenschaftlichen Arbeitens hat das Wirken von Frau Krone-Schmalz nichts zu tun. Es handelt sich um Desinformation. Dass eine Bildungseinrichtung wie die Volkshochschule Reutlingen ein Forum für Desinformation bietet, ist betrüblich. Der Vortrag wurde unterdessen 1,2 Millionen Mal aufgerufen.

Manuskript abgeschlossen am 23.11.2022


[1] „Die Chance zum kritischen Diskurs hat die VHS Reutlingen leichtfertig verspielt“. Interview mit Klaus Gestwa. t-online, 3.11.2022 <www.t-online.de/region/stuttgart/id_ 100072528/-die-chance-zum-kritischen-diskurs-hat-die-vhs-reutlingen-leichtfertig-verspielt-.html>.

[2] Teresa Vena: Markus Lanz reißt bei Russland-Expertin der Geduldsfaden – „Sie verteidigen Putin“. Frankfurter Rundschau, 2.3.2022.

[3] Der Vortrag ist nachzuhören unter <www.youtube.com/watch?v=Gkozj8FWI1w>. Sofern nicht ausgewiesen, stammen alle wörtlichen Zitate in diesem Text von Frau Krone-Schmalz aus diesem Vortrag.

[4] Nikolay Mitrokhin: Transnationale Provokation. Russische Nationalisten und Geheimdienstler in der Ukraine, in: Osteuropa, 5–6/2014, S. 157–174.

[5] Paul Danieri: Ukraine and Russia. From Civilized Divorce to Uncivil War. Cambridge 2019.

[6] Ebd., S. 245–247.

[7] Separatistische Bestrebungen in der ukrainischen Bevölkerung, in: Ukraine-Analysen 132/2014, S. 17–20.

[8] Nikolay Mitrokhin: Diktatur-Transfer im Donbass, in: Osteuropa, 3–4/2017, S. 41–55. – Maksim Aljukov: Von Moskaus Gnaden. Genese und Geist der „Volksrepublik Donezk“, in : Osteuropa, 3–4/2019, S. 123–131.

[9] Life and Death in the Donbas, Sean’s Russia Podcast, 7.6.2022 <https://srbpodcast.org/2022/06/07/life-and-death-in-the-donbas/>.

[10] Sabine Fischer: Der Donbas-Konflikt. Widerstreitende Narrative und Interessen, schwieriger Friedensprozess, SWP-Studie 3/2019.

[11] Robert Golanski: One Year after Minsk II, in: European View, 1/2016, S. 67–76.

[12] Heiko Pleines: Die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen: Was ist möglich? Ukraine-Analysen 26/2022, S. 20–24.

[13] „Wir erkennen die Volksrepubliken an“. Rede von Vladimir Putin, 21.2.2022, in: Osteuropa, 1–3/2022, S. 119–135. – Online: Vladimir Putin: Rede an die Nation, 21.2.2022 <https://zeitschrift-osteuropa.de/blog/putin-rede-21.2.2022/>. – Im Original: Obraščenie Prezidenta Rossijskoj Federacii. Moskva, 21.2.2022 <http://kremlin.ru/events/president/news/67828>.

[14] Gabriele Krone-Schmalz: Russland verstehen. München 2015, S. 21.

[15] Rede von Präsident Putin zur Eingliederung der Krim in die Russländische Föderation am 18.3.2014, in: Osteuropa 5–6/2014, S. 87–99. – Original: <http://kremlin.ru/events/president/news/20603>.

[16] Kerstin Jobst: Geschichte der Krim: Iphigenie und Putin auf Tauris, Berlin 2020 – Kelly O’Neill: Claiming Crimea: a history of Catherine the Great's southern empire, New Haven 2017. – Gwendolyn Sasse: The Crimea question: identity, transition, and conflict, Crimea, Mass. 2007. – Brian Glyn Williams: The Crimean Tatars: from Soviet genocide to Putin’s conquest. London 2015.

[17] Jan Zofka: Postsowjetischer Separatismus. Die pro-russländischen Bewegungen im Dnjestr-Tal und auf der Krim (1989–1995). Göttingen 2015.

[18] <https://de.wikibrief.org/wiki/Verkhovna_Rada_of_Crimea>.

[19] Krone-Schmalz, Russland verstehen[Fn. 14], S. 21.

[20] Ebd., S. 21.

[21] Ebd., S. 20

[22] Ebd., S. 25.

[23] Uwe Halbach, Repression nach der Annexion. Russlands Umgang mit den Krimtataren, in: Osteuropa, 9–10/2014, S. 179–190. – In Russland inhaftierte Bürger der Ukraine. 88 von OVD-Info recherchierte Fälle, in: Osteuropa, 6/2018, S. 3 48. – Siehe auch: In Russlands Haft: Politische Häftlinge und weitere ukrainische Staatsbürger der Ukraine im Visier der russländischen Justiz <https://zeitschrift-osteuropa.de/ukr-haft-ru/>.

[24] Nataliya Gumenyuk: Die verlorene Insel. Geschichten von der besetzten Krim, Stuttgart 2021.

[25] The Syria Campaign, Report: Killing The Truth. How Russia is fuelling a disinformation campaign to cover up war crimes in Syria, 20.12.2017 <https://diary.thesyriacampaign.org/killing-the-truth/>.

[26] How Syria’s disinformation wars destroyed the co-founder of the White Helmets. The Guardian 27.10.2022.

[27] Gustav Gressel: Under the gun: Rearmament for arms control in Europe, Policy Brief. European Council on Foreign Affairs, 28.12.2018 <https://ecfr.eu/publication/under_the_gun_
rearmament_for_arms_control_in_europe/
>.

[28] Gustav Gressel: Russland und die Türkei als Herausforderung für die europäische Außen- und Sicherheitspolitik, in: Strategie und Sicherheit, 1/2012, S.131–152, hier 141f.

[29] Andreas Kappeler: Ungleiche Brüder. Russen und Ukrainer vom Mittelalter bis zur Gegenwart. 6. überarbeitete und erweitere Auflage. München 2022,[12017]. – Alexey Miller: The Ukrainian Question: Russian Empire and Nationalism in the 19th Century. Budapest u.a. 2003.

[30] Martina Winkler: Vom Nutzen und Nachteil der Geschichte im Krieg …, in: Zeitgeschichte-online, Februar 2022. <https://zeitgeschichte-online.de/kommentar/vom-nutzen-und-nachteil-der-geschichte-im-krieg>. – Zur völkerrechtlichen Würdigung grundlegend: Angelika Nußberger: Tabubruch mit Ansage. Putins Krieg und das Recht, in: Osteuropa, 1–3/2022, S. 51–64, <https://zeitschrift-osteuropa.de/site/assets/files/43097/oe220104.pdf>.

[31] Krone-Schmalz, Russland Verstehen [Fn. 14], S. 92.

[32] Zum Ausmaß der Korruption: Serhij Leščenko: Diagnoz Vladi. Viktora Janukovyča. Mežygirskij Syndrom. Kyjiv 2015

[33] Patrick Bahners: Putins Ramsch, in: FAZ, 8.3.2022.

[34] Gabriele Krone-Schmalz: Eiszeit: Wie Russland dämonisiert wird und warum das so gefährlich ist. München 2017, S. 81, S. 277, Fn. 18.

[35] Iryna Pavlenko, Ukrainian Foreign Policy: Orange leadership prioritiesand potential changes stemming from the country’s 2006 parliamentary elections, in: Martin Malek (Hg.): Die Ukraine: Zerrissen zwischen Ost und West. Eine Bestandsaufnahme der Außen- und Sicherheitspolitik unter Präsident Viktor Juschtschenko. Wien 2007. S. 45–61, hier S. 58.

[36] Krone-Schmalz, Russland verstehen [Fn. 14], S. 115. – Zu Ina Kirsch van de Water: Serhij Leschtschenko: Das Brüsseler Geheimnis der Partei der Regionen. Ukraine-Nachrichten, 1.6.2012 <https://ukraine-nachrichten.de/br%C3%BCsseler-geheimnis-partei-regionen_3617>.

[37] Krone-Schmalz, Russland verstehen [Fn. 14], S. 104.

[38] Margarete Klein, Christian Pester: Kiew in der Offensive: Die militärische Dimension des Ukraine-Konflikts. Zustand und Perspektiven der ukrainischen Sicherheitskräfte, SWP-Aktuell 52/2014. – Als das Buch „Russland Verstehen“ 2015 erschien, bestand an der direkten militärischen Intervention Russlands im Donbas kein Zweifel mehr.

[39] <https://crimea-platform.org/en>.

[40] U.S.-Ukraine Charter on Strategic Partnership, 10.11.2022. <www.state.gov/u-s-ukraine-charter-on-strategic-partnership/>.

[41] Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law: Independent International Fact-Finding Mission on the Conflict in German, Volume I-III, 2009 <www.mpil.de/en/pub/publications/archive/independent_international_fact.cfm>,.

[42] Ebd., S. 20.

[43] Krone-Schmalz, Russland verstehen [Fn. 14], S. 74.

[44] Stefan Creuzberger: Die Legende vom Wortbruch. Russland, der Westen und die Nato-Osterweiterung, in: Osteuropa, 3/2015 S. 95–108.

[45] Mary Sarotte: Not One Inch. America, Russia, and the Making of Post-Cold War Stalemate, New Haven 2021.

[46] Sarotte, Not One Inch [Fn. 45], S. 87.

[47] Andris Banka: The Breakaways: A Retrospective on the Baltic Road to NATO, War on the Rocks, 4.10.2019. <https://warontherocks.com/2019/10/the-breakaways-a-retrospective-on-the-baltic-road-to-nato/>.

[48] Kimberly Marten: Reconsidering NATO expansion: a counterfactual analysis of Russia and the West in the 1990s, in: European Journal of International Security, 2/2018, S. 135– 161.

[49] Michail Sygar: Endspiel. Die Metamorphosen des Wladimir Putin“, Köln 2015.

[50] Gabriele Krone-Schmalz: „Ich habe mich geirrt“, Berliner Zeitung, 27.2.2022 <www.berliner -zeitung.de/welt-nationen/putin-kennerin-gabriele-krone-schmalz-ich-habe-mich-geirrt-li.214288>.

[51] Catherine Belton: Putins Netz. Putins Netz. Wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste. Hamburg 2022, S. 148–190.

[52] Krone-Schmalz, Eiszeit [Fn. 34], S. 24, 267, FN 32.

[53] Sergej Medvedev, Park krymskogo perioda. Chronik tret’ego sroka, Moskva 2017, S. 11-13.

[54] Krone-Schmalz, Russland Verstehen [Fn. 14], S. 62-63.

[55] Masha Gessen: Der Mann ohne Gesicht: Wladimir Putin – eine Enthüllung, München 2012, bes. S. 167–183.

[56] Arkardy Ostrovsky, The Invention of Russia. The Rise of Putin and the Age of Fake news, New York 2016.

[57] Daniel Baer: Ukraine’s not a country, Putin told Bush. What’d he tell Trump about Montenegro? Washington Post 19.7.2018.

[58] Wladimir Putin bestreitet jegliche Kriegsabsicht. Manager-Magazin, 15.2.2022 <www.manager-magazin.de/politik/weltwirtschaft/olaf-scholz-bei-wladimir-putin-weder-krieg-noch-frieden-a-95c513b0-fd5c-4559-8876-c455809246e8>,

[59] Rede von Präsident Putin zur Eingliederung der Krim in die Russländische Föderation am 18.3.2014, in: Osteuropa 5–6/2014, S. 87–99. Im Original russisch: <http://kremlin.ru/events/president/news/20603>.

[60] Vladimir Putin: Über die historische Einheit der Russen und der Ukrainer, in: Osteuropa 7/2021, S. 51–66. – Stat’ja Vladimira Putina: Ob istoričeskom edinstve russkich i ukraincev, 12.7.2012 <http://www.kremlin.ru/events/president/news/66181>.

[61] Der Geist der Zeit. Kriegsreden aus Russland. Osteuropa, 7/2021.

[62] Otto Luchterhandt: Völkermord in Mariupol. Russlands Kriegsführung in der Ukraine, in: Osteuropa, 1–3/2022, S. 65–85. – Eugene Finkel: What’s happening in Ukraine is genocide. The Washington Post, 5.5.2022: <www.washingtonpost.com/opinions/2022/04/05/russia-is-committing-genocide-in-ukraine/.

[63] Franziska Kring: Völkerrechtler diskutieren über den russischen Angriffskrieg: „Russland sollte keinen Platz in den Vereinten Nationen haben“, Legal Tribune Online, 25.10.2022, <www.lto.de/recht/hintergruende/h/krieg-ukraine-tagung-voelkerrecht-gegen-voelkermord-zentrum-liberale-moderne-vereinte-nationen-russland/>.

[64] Timofej Sergejcev: Was Russland mit der Ukraine tun sollte, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 5/2022, S. 63–70 – Il’ja Venjavkin: Der De-Ukrainisator. Timofej Sergejcev: „Methodologe“, Polittechnologe, Kriegspropagandist, in: Osteuropa, 4–5/2022, S. 29–44.

[65] Dazu: Widerstand. Ukrainische Kultur in Zeiten des Krieges. Osteuropa, 6–8/2022.

[66] Definition of Genocide by the United Nations.

www.un.org/en/genocideprevention/genocide.shtml.

[67] Gabriele Krone-Schmalz im Dialog mit Alfred Schier. 4.10.2014

<www.youtube.com/watch?v=tpVXv0kOvmY>.

[68] Joachim Willems: Pussy Riots Punk-Gebet: Religion, Recht und Politik in Russland. Berlin 2013.

[69] Volodymyr Zelens’kyj: „Hören Sie auf die Stimme der Vernunft“. Rede an die Bürger Russlands, 23.2.2022, in: Osteuropa, 1–3/2022, S. 137–130. <www.youtube.com/watch?v=kaGFa9XYrxs >.

[70] Sabine Fischer: Friedensverhandlungen im Krieg zwischen Russland und der Ukraine: Mission Possible, SWP-Aktuell, 66/2022.


Info: https://zeitschrift-osteuropa.de/blog/desinformation/?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE


unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

02.12.2022

Habeck und China: Die zweite Phase der wirtschaftlichen Selbstentleibung

meinungsfreiheit.rtde.life, vom 1 Dez. 2022 20:01 Uhr, Von Dagmar Henn

Die Folgen der Sanktionen gegen Russland hätten eigentlich genügen müssen, um zu lehren, dass dergleichen keine gute Idee ist. Aber Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ließ sich erarbeiten, wie man sich von China entkoppeln könne.


Habeck und China: Die zweite Phase der wirtschaftlichen Selbstentleibung


Quelle: www.globallookpress.com © Florian Gaertner


Zitat: Das Bundeswirtschaftsministerium hat abermals Steuergelder verschwendet, um eine im günstigsten Fall unnütze, im schlimmsten Fall schädliche Studie zu erstellen. Das Thema: wie man die "Abhängigkeit" von China beenden könne. Ein Papier im Umfang von hundert Seiten soll es sein, das zusammengestellt wurde; in der Regierung noch nicht abgestimmt, aber von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck schon einmal abgesegnet.


Symbolisch wie One-Love-Binde: Gasdeal zwischen Katar und Deutschland mit geringer Liefermenge




Analyse

Symbolisch wie One-Love-Binde: Gasdeal zwischen Katar und Deutschland mit geringer Liefermenge





Habeck erweist sich wirklich als Experte des ökonomischen Seppuku. Denn wenn die Sanktionen gegen Russland das Kurzschwert waren, das der deutschen Industrie in den Bauch gerammt wurde, wären Maßnahmen, auch noch die Verbindungen nach China zu kappen, dann das Langschwert in den Händen des freundlichen Helfers (den man getrost in Washington verorten kann), mit dem dieser dann dem Selbstmordkandidaten den Kopf abschlägt, falls die bisherigen Bemühungen nicht fatal genug sind.


Das Handelsblatt müht sich in seiner Berichterstattung sogleich, eine Rechtfertigung für die aberwitzigen Pläne mitzuliefern: Im Ministerium rechne man mit "einer Annexion Taiwans durch China bis spätestens 2027". Wobei sich nicht nur die Frage stellt, wie "China" "Taiwan" annektieren könne, wo doch auch die offizielle deutsche Position Taiwan als Teil Chinas sieht und kein Land sich selbst annektieren kann und des Weiteren logisch die Frage folgt, was eine innerchinesische Entwicklung das deutsche Wirtschaftsministerium angeht. Aber nicht nur das – in den Kommunalwahlen, die in Taiwan gerade stattfanden und die von der proamerikanischen Präsidentin zum Plebiszit über das Unabhängigkeitsstreben erklärt wurden, hat die Partei ebendieser Präsidentin so katastrophal schlecht abgeschnitten, dass sie vom Parteivorsitz zurücktreten musste. Sprich, die Bevölkerung der Insel hat das Angebot des Plebiszits angenommen und deutlich erklärt, auf die Rolle einer pazifischen Ukraine keinen Wert zu legen.


Natürlich sind es vor allem die USA, die darauf drängen, die Wirtschaftsbeziehungen zu China zurückzufahren, und Habeck hat nichts Besseres zu tun, als diesem Verlangen zu willfahren. Dabei hat er eben erst wahrgenommen, dass das Gesamtpaket aus Russland-Sanktionen und US-Subventionen für den Wirtschaftsstandort Europa ausgesprochen toxisch ist (wahrscheinlich wurden unter den Mitarbeitern des Bundeswirtschaftsministeriums Streichhölzer gezogen, wer das dem Minister beibringen muss). Bei Menschen mit normaler Vernunft würde eine solche Erkenntnis dazu führen, gegenüber weiteren Wünschen eines Gegenübers, das einen gerade gewaltig über den Tisch gezogen hat, ein gewisses Misstrauen zu entwickeln und deren Bearbeitung auf die Ablage für Schaltjahre zu legen, aber wir reden hier von Robert Habeck.


Wolfgang Bittner: Steinmeier sorgt sich um die Lage  in China und der Ukraine




Meinung

Wolfgang Bittner: Steinmeier sorgt sich um die Lage in China und der Ukraine






Das Bundeswirtschaftsministerium werde künftig, so viel ist aus dem Papier bekannt, die Bürgschaften für einzelne Länder begrenzen, um, so heißt es, die Investitionen zu "diversifizieren". Das klingt nett, geht aber fälschlicherweise davon aus, dass die ganze Welt nur darauf wartet, zum Ziel einer solchen deutschen Investition zu werden. Und zwar unter Bedingungen, die künftig für dieses Land dann nicht nur Wirtschaftsbeziehungen mit Russland, sondern auch mit China ausschließen.


Selbst in Technologien, in denen Deutschland führend sein wolle, wie bei erneuerbaren Energien, sei China voraus, also ein gefährlicher Rivale, dessen Dominanz es zu bremsen gelte; das berichtet die NZZ über den Inhalt des Papiers. "Die Suche nach neuen Partnern und Märkten wird demnach empfohlen, etwa Asien-Pazifik, Lateinamerika und Afrika."


Und wovon träumt er nachts, der Bundeswirtschaftsminister? Auf welchem Kontinent will er diese Länder finden? Hat ihm jemand einmal die Liste der Länder vorgelegt, die BRICS beitreten wollen? Jedes einzelne dieser Länder hat damit ein Votum für den Fall abgelegt, dass es sich zwischen einem NATO- und einem BRICS-Wirtschaftsblock entscheiden müsse. Brasilien, der wichtigste deutsche Handelspartner in Lateinamerika, ist übrigens das B in BRICS. Nur, falls das Habeck noch niemand erklärt hat.


Die chinesische Global Times hat mit großem Genuss zeitlich passend einen Artikel veröffentlicht: "Mehr Länder und internationale Wirtschaftsorganisationen werden sich der Schädlichkeit der protektionistischen, entkoppelnden Politik der USA bewusst." Die internationale Gemeinschaft nähere sich immer weiter einem Konsens über die wirtschaftliche Schädlichkeit der protektionistischen Politik an, die von den USA und einiger ihrer Verbündeten praktiziert werde, wie über die Notwendigkeit, den freien Handel aufrechtzuerhalten, in dem China eine bedeutende Rolle spiele.


Lawrow: "Gesamte Sicherheitsarchitektur in Europa vollständig den USA unterworfen"





Lawrow: "Gesamte Sicherheitsarchitektur in Europa vollständig den USA unterworfen"






Man kann sich fast sicher sein, dass der chinesische Autor diese Formulierung mit einem breiten Grinsen im Gesicht verfasst hat. Schließlich war es der freie Handel, in diesem Falle mit Opium, den die Briten China einst mit Waffengewalt aufzwangen, in zwei Opiumkriegen, und diverse Familien der US-Ostküstenaristokratie verdanken ihren Reichtum ebendieser umstrittenen Handelsware. Dass nun die USA aus dem weltweiten Handel eine Art Privatgehege heraustrennen wollen, um ihre Schwäche zu kompensieren, kann nur zu Erheiterung führen.


Ausgerechnet die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Kristalina Georgiewa, habe diese Bestrebungen der Deglobalisierung mit der Bemerkung kommentiert, man solle das Kind nicht mit dem Bade ausschütten, und der Generaldirektor der WTO, Ngozi Okonjo-Iweala, habe einen Rückgang der globalen Wirtschaft um fünf Prozent prognostiziert, würde die Welt in zwei Handelsblöcke zerbrochen.


Die Global Times zitiert dann einen chinesischen Experten mit dem Hinweis, dass die Aussage von Georgiewa nach einem Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz gefallen sei und sich diese Kritik auch gegen den Unilateralismus und die Entkopplungsbemühungen einiger deutscher Politiker richte.


Selbst Japan und Südkorea, die engsten Verbündeten der USA in Asien, wären zurückhaltend, was die Wünsche der USA nach einer Chip-Allianz angeht, die China ausschließen soll. Die niederländische Handelsministerin Liesje Schreinemacher habe erklärt, die Niederlande träfen ihre eigenen Entscheidungen, wem sie ihre Maschinen zur Chipherstellung verkauften. Auch Bundeskanzler Scholz soll bei seinem Besuch in China zugesichert haben, dass Deutschland gegen eine ökonomische Entkopplung stehe.


Neues Strategiepapier: Bundesregierung sucht die Konfrontation mit China





Analyse

Neues Strategiepapier: Bundesregierung sucht die Konfrontation mit China





Das klingt nicht wirklich nach Harmonie in der Koalition, sondern eher nach anstehendem Streit. Entweder Scholz knickt abermals ein, vor Habeck und den "Freunden" jenseits des großen Teichs, oder im Bundeswirtschaftsministerium darf noch ein Streichholz abgebrochen werden, um zu klären, wer das jetzt dem Minister beibringt. Denn derjenige wird von Habeck dann bestimmt als chinesischer Agent gesehen.


Dabei gäbe es in diesem Ministerium viel wichtigere Arbeiten in Auftrag zu geben als Fantasien über die Abkopplung von China: herauszufinden, wie sich dieses Deutschland in eine Wirtschaft der Gleichen einfügen kann, wenn die kolonialen Machtverhältnisse beseitigt sind. Welche Zweige entwickelt werden sollten, um den Lebensstandard der Bevölkerung zu sichern, und wie man Alleinstellungsmerkmale wie den hohen Stand der beruflichen Bildung nutzen kann, um einen Platz in einer Welt zu finden, in der man nicht mehr den Herren geben kann, aber auch nicht mehr Knecht sein muss.


Mehr zum Thema - Chinesisches Verteidigungsministerium: "USA höhlen Ein-China-Prinzip aus"


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Info: https://meinungsfreiheit.rtde.life/meinung/156020-habeck-und-china-zweite-phase


unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

02.12.2022

Zeitgeschehen im Fokus
Forschen - Nachdenken - Schlüsse ziehen    (I von III)

Artikel in dieser Ausgabe


«Der Westen und die Ukraine stecken in Schwierigkeiten»

«Unsere Medien geben lediglich die ukrainische Propaganda wieder»

Fragen an Jacques Baud* zur aktuellen Lage in der Ukraine

Jacques Baud (Bild thk)

Zeitgeschehen im Fokus Warum hat sich Russland aus der Stadt Cherson zurückgezogen?

Jacques Baud Seit Mai versprach Selenskij eine grosse Offensive auf Cherson, um die Krim zurückzuerobern und den Süden des Landes zu befreien. Im Juli kündigten die Ukrainer sogar an, dass diese Initiative eine Million Mann¹ umfassen würde, doch sie fand nie statt. Natürlich erwähnt man im Westen nur die Offensiven, aber nie deren Ergebnisse! Daher spricht man auch von Russlands «schwieriger Lage». In Wirklichkeit wurden die von unseren Medien angekündigten zahlreichen ukrainischen Offensiven nicht nur alle erfolgreich zurückgeschlagen, sondern systematisch von der russischen Artillerie ohne wirkliche Kämpfe vernichtet. So erlitten die Ukrainer enorme Verluste, ohne Boden gutmachen zu können, während die russischen Verluste sehr gering waren.

Die genaue Anzahl der Toten auf beiden Seiten ist nicht bekannt, da weder die Russen noch die Ukrainer genaue Zahlen nennen. Dennoch deuten Schätzungen von US-Militärexperten darauf hin, dass insgesamt das Verhältnis der Verluste zwischen Ukrainern und Russen 20 – 11:1 betragen könnte. Die Ukraine befürchtet zu Recht, dass die westliche Öffentlichkeit, wenn sie die Zahl der Toten kennen würde, sich der Unterstützung des Krieges durch ihre Regierungen widersetzen würde. Aus diesem Grund geben unsere Medien niemals Schätzungen zu den ukrainischen Verlusten ab und behaupten weiterhin, dass Russland den Krieg verliert. Das ist auch der Grund, warum die Ukrainer, als die Russen den ihnen die Möglichkeit boten, ihre Toten einzusammeln, sich weigerten, dies zu tun – wie in der Stadt Izium.²

Für diejenigen, die den Konflikt ernsthaft analysieren (was unsere Staatsmedien ausschliesst!), haben sich die Russen also nicht unter ukrainischem Druck aus Cherson zurückgezogen.

Offenbar war dieser Abzug seit Ende September Gegenstand langer Debatten in Russland. Das Militär forderte ihn, aber die Politiker waren eher dagegen, und zwar aus zwei Gründen. Der erste war, dass das betroffene Gebiet, auch wenn es nur 40 Prozent des Oblasts Cherson ausmacht, im September formell russisch geworden war; der zweite war, dass der russische Abzug der Ukraine einen leichten Sieg bescheren würde, der von der westlichen Propaganda ausgenutzt werden würde. Bei seiner Kommandoübernahme Anfang Oktober 2022 hatte General Sergej Surowikin angekündigt, dass er schwierige Entscheidungen treffen würde. Dabei bezog er sich eindeutig auf Cherson. Letztendlich setzte sich das Militär durch und selbst «Falken» wie Ramsan Kadyrow begrüssten den Abzug.³

Im Oktober evakuierten die russischen Streitkräfte Zivilisten und brachten russische Denkmäler und Kunstwerke und die sterblichen Überreste des Fürsten Grigori Potjomkin, der Cherson gegründet hatte, und auf russischem Territorium in Sicherheit. Von einem überstürzten Rückzug, wie ihn uns unsere Medien präsentieren, sind wir also weit entfernt. Laut der in Estland ansässigen russischen Oppositionswebsite Meduza waren am 22. Oktober bereits 25 000 Zivilisten evakuiert worden.⁴

Der Grund für den Abzug ist, dass sich die Russen in Cherson im November 2022 in der gleichen Situation befinden wie auf der Schlangeninsel im Juni oder in Charkow im August: Der Aufwand, diese Gebiete zu verteidigen, ist grösser als das strategische Interesse, sie zu erhalten. Was wie eine Niederlage aussieht, ist nur das Ergebnis einer Abwägung zwischen dem strategischen Ziel und den Kosten, um es zu erreichen. Das ist die Definition von Effizienz.

Die russische Operationsführung ist äusserst effizient

Der Grund, warum der Westen und die Ukraine in Schwierigkeiten stecken, ist, dass wir nicht verstehen wollen, wie die Russen funktionieren. Wir glauben nicht nur, dass sie sich so verhalten sollten, wie wir uns in der gleichen Situation verhalten würden, sondern wir unterschätzen auch permanent ihre Fähigkeiten. Es ist interessant festzustellen, dass die «Militärexperten» in den Schweizer oder französischen Fernsehstudios uns die Situation auf der Grundlage ihrer eigenen militärischen Kultur erklären.  Deshalb haben sie sich von Anfang an geirrt!

In Wirklichkeit ist die russische Operationsführung äusserst effizient. Ich erinnere daran, dass Russland in der Ukraine mit einer Stärke intervenierte, die – zusammen mit der der Republiken Donezk und Lugansk – der der Ukrainer im Verhältnis 2 – 3:1 unterlegen war. Unter diesen Umständen erklärt sich ihr Erfolg dadurch, dass sie besser als die Ukrainer in der Lage waren, ihre Kräfte zu erhalten. 

Mitte Oktober erklärte General Surowikin: «Wir streben nicht nach einem hohen Fortschrittstempo, sondern danach, das Leben unserer Soldaten zu schützen und den vorrückenden Feind methodisch zu ‹zermalmen›».⁵

Abzug, nicht Rückzug 

Durch den Abzug ihrer Streitkräfte auf das linke Ufer des Dnepr verkürzten die Russen ihre Frontlänge, erhöhten ihre Truppendichte und gewannen eine stärkere Stellung durch den Fluss. Ausserdem hatte Russland in Cherson eine sehr starke Kampfkraft, insbesondere sehr kampferprobte Fallschirmjägertruppen, die das Militär lieber im Donbas einsetzen wollte, wo deutliche Erfolge zu beobachten sind. 

Im Westen spricht man von einer «grossen Niederlage» für die russische Armee und Putin. Teilen Sie diese Einschätzung?

Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass es sich also um einen Abzug und nicht um einen Rückzug handelt. Technisch gesehen ist ein Rückzug eine Bewegung, die unter dem Druck des Gegners und in ständigem Kontakt mit ihm durchgeführt wird. Ein Abzug ist eine Operation, die darauf abzielt, Kräfte zu bündeln, eine Frontlinie zu straffen oder sich auf eine spätere Aktion vorzubereiten. Im Fall von Cherson waren die Russen jedoch überrascht, dass die ukrainischen Streitkräfte nicht einmal versuchten, sie zu «verfolgen», sondern in ihren Stellungen blieben, bis die Russen ihre Bewegung beendet hatten! Russland zog sich also aus eigener Entscheidung und nicht unter dem Druck der ukrainischen Streitkräfte zurück. Zur Erinnerung: Russlands Ziel besteht nicht in territorialen Gewinnen, sondern in der Zerstörung der militärischen Bedrohung gegen die Bevölkerung des Donbas («Demilitarisierung»). Im Gegensatz dazu strebt die Ukraine die Rückeroberung ihrer Hoheitsgebiete an, ungeachtet der menschlichen Kosten. Das macht den russischen Abzug zu einem Sieg beider Seiten. Zumindest momentan, denn Russland hat erklärt, dass Cherson russisches Land bleibt.

Davon abgesehen bleibt die russische Entscheidung nicht ohne aussen- und innenpolitische Konsequenzen. 

Aussenpolitisch haben die Ukraine und der Westen natürlich schnell den «Sieg» der Ukraine und die Schwäche Russlands kommuniziert. Das Problem ist, dass man, wie schon seit Beginn der russischen Operation, das Risiko eingeht, die ukrainischen Fähigkeiten zu überschätzen und damit die Idee von Verhandlungen zu verwerfen. 

Putins Popularität steigt auf 79 Prozent

Innenpolitisch konnte man eine Enttäuschung erwarten, die sich in einem Misstrauen gegenüber der Regierung ausdrückte. Doch der russische Generalstab hatte aus dem Abzug aus Charkow Lehren gezogen: Anstatt im Nachhinein die Gründe für die Entscheidung zu erklären, kommunizierte General Surowikin dieses Mal im Voraus. So scheinen die russischen Staatsbehörden das Vertrauen der Öffentlichkeit nicht verloren zu haben. Laut dem Levada-Zentrum (das in Russland als «ausländischer Agent» gilt) war die Popularität Wladimir Putins im September nach der Ankündigung des Abzugs aus Charkow und der Teilmobilisierung auf 77 Prozent gesunken. Im Oktober (vor dem Abzug aus Cherson) stieg sie jedoch wieder auf 79 Prozent.⁶

Es sei hier daran erinnert, dass das Ziel der Russen ursprünglich nicht die Eroberung von Territorium war. Die Verbindung zwischen russischem Territorium und der Halbinsel Krim wurde im Zuge der Vernichtung der ukrainischen Streitkräfte hergestellt, aber die Russen haben offensichtlich nicht die Absicht, sich an Stabilisierungsmassnahmen jenseits der Sprachgrenze zu beteiligen.

Interessanterweise ist Wolodimir Selenskij zurückhaltender, während der Westen nach der Rückeroberung von Cherson jubelt. Denn in der Tat wissen die Ukrainer, was zwei Monate zuvor in Charkow passiert war: Das Gebiet wurde zu einer Feuerblase, und sie verloren Tausende von Männern, obwohl es keine Kämpfe gab. Wie das Sprichwort sagt: «Das gebrannte Kind scheut das Feuer».

Enorme Verluste und hohe Ineffizienz

Übrigens befindet sich die Ukraine heute in der gleichen Situation wie die Russen und evakuiert die Stadt bereits, nachdem sie versucht hat, Artillerieeinheiten dort zu positionieren.⁷

Wir können aus dem Abzug aus Cherson zwei Lehren ziehen. Die erste ist, dass die russische Operationsführung weniger politisch als militärisch ist und dass es das Militär ist, das die operativen und taktischen Ziele festlegt. Dies steht im Gegensatz zur Ukraine, wo die Operationsführung vollständig politisch ist, was die enormen Verluste und die hohe Ineffizienz erklärt. Diese Ineffizienz (d. h. die Menge an Ressourcen, die zur Erreichung eines bestimmten Ziels eingesetzt werden) lässt sich daran messen, wie schnell die Ukrainer die vom Westen gelieferten Materialien verlieren.

Die zweite Lehre ist, dass wir diesen Konflikt nicht verstehen können, weil wir nicht verstehen wollen, was die Russen tun. Seit Februar versuchen unsere Medien, uns davon zu überzeugen, dass Russland den Krieg verloren hat, dass ihm die Luft ausgeht, dass es enorme Verluste anhäuft, dass es keine Raketen mehr hat⁸ und dass Wladimir Putin schwer krank ist.⁹ Die Ironie ist, dass der Westen beispielsweise so sehr davon sprach, dass Russland keine Luftwaffe und keine Raketen mehr habe, dass er der Ukraine keine Luftabwehrmittel gab und sich auf offensives Material konzentrierte (um die berühmten «Gegenoffensiven» zu führen). Das Ergebnis war, dass die Ukraine im Oktober/November völlig machtlos war, sich gegen die russischen Raketenwellen zu wehren. Unsere Medien tragen daher eine erdrückende Verantwortung für die Unzulänglichkeit unserer Hilfe für die Ukraine, die auch diplomatischer Natur sein sollte.

Seit Februar wird künstlich die Vorstellung aufrechterhalten, die Ukraine befinde sich in einer Siegesdynamik, und daher sei jetzt nicht die Zeit für Verhandlungen. Dies hatten Boris Johnson im August¹⁰ und Ursula von der Leyen im September¹¹ gesagt. Diese Sichtweise resultiert aus der Tatsache, dass unsere Medien lediglich die ukrainische Propaganda wiedergeben. Sie haben beschlossen, dass nur die Ukraine die Wahrheit sagt, obwohl bekannt ist, dass in jedem Konflikt beide Seiten ein unterschiedliches Bild von der Situation haben. Wir sehen also nur eine Seite des Konflikts.

Anwendung illegaler Kriegsmethoden durch Kiew?

Selenskij behauptet trotz dem Dementi der Nato, Russland habe die Rakete auf Polen abgeschossen und nicht die Ukraine. Warum beschwichtigt hier die Nato, obwohl Selenskij nach bekanntem Muster versucht, die antirussische Kriegsstimmung anzuheizen?

Nein, ich würde nicht sagen, dass Selenskij versucht, eine antirussische Kriegsstimmung zu schüren. Ich denke, dass er seit Beginn der russischen Sonderoperation nach einem Weg sucht, die Nato dazu zu bringen, sich in den Konflikt einzumischen. Im März versuchte er, eine «Flugverbotszone» über der Ukraine zu erreichen, indem er die Vorfälle im Krankenhaus¹² und im Theater von Mariupol ausnutzte, um die Nato zum Eingreifen aufzufordern.¹³ Aus diesem Grund bezweifeln viele Experten auf der anderen Seite des Atlantiks, dass Russland für diese Vorfälle verantwortlich ist.

Im Sommer 2022 versuchte Selenskij, den Westen durch Angriffe auf das Atomkraftwerk Saporoshje (das zu diesem Zeitpunkt von russischen territorialen Sicherheitseinheiten ohne schwere Waffen besetzt war) dazu zu bringen, eine Sicherheitszone in der Ukraine einzurichten.¹⁴ Die Idee war, ein Problem zu schaffen, das den Westen so sehr beunruhigt, dass er sich direkt in den Konflikt einmischt. Deshalb behauptet der Westen weiterhin, dass die Russen auf Anlagen schiessen, die unter ihrer Kontrolle stehen, obwohl vor Ort die Wrackteile von Brimstone- und HIMARS-Raketen gefunden wurden.

In diesem Zusammenhang kommt die Affäre um die «schmutzige Bombe» auf, d. h. eine konventionelle Bombe, deren Explosion radioaktives Material verbreiten würde. Sie ist keine Atomwaffe und hat auch nicht deren zerstörerische Fähigkeit. Durch die Verbreitung von radioaktivem Staub könnte sie jedoch die gleiche Wirkung haben wie die Geschosse, die im ehemaligen Jugoslawien von den amerikanischen M-1-Panzern und den A-10-Bodenunterstützungsflugzeugen eingesetzt wurden, die Granaten mit einem Kern aus abgereichertem Uran verwendeten, deren Trümmer ganze Landstriche verseuchten. Die schmutzige Bombe ist eine Waffe, die bereits von tschetschenischen Terroristen in Russland eingesetzt worden war.¹⁵

Im September/Oktober 2022 scheiterten die Offensiven der Ukraine allesamt und waren mit enormen Verlusten verbunden. Sie könnte daher versuchen, den Konflikt eskalieren zu lassen und eine Situation zu schaffen, in der sich die Nato gezwungen sähe, einzugreifen. Ob wahrscheinlich oder nicht, aber das glauben die Russen. In einem Interview, das von der russischen Oppositionswebsite Meduza wiedergegeben wurde, erklärte der neu ernannte General Sergej Surowikin, er habe «Informationen, dass Kiew illegale Kriegsmethoden anwenden könnte».¹⁶ Was genau, wissen wir nicht. 

Am 6. Oktober tauchen in sozialen Netzwerken (auch in der Schweiz) Meldungen über den Einsatz einer in der Ukraine hergestellten Atomwaffe auf, die per Zug nach Russland transportiert und dort aktiviert werden solle. Die Beschreibung weist darauf hin, dass es sich um eine «schmutzige Bombe» handeln könnte. In der Tat sind diese Behauptungen nicht überprüfbar. Die Drohung wurde jedoch in sozialen Netzwerken verbreitet, und das Vorsorgeprinzip zwingt die russischen Behörden dazu, zumindest vor der Gefahr zu warnen und so den Ukrainern «den Wind aus den Segeln zu nehmen», falls sich die Drohung als wahr erweisen sollte.

«Keine Hinweise darauf, dass Russland den Einsatz von Atomwaffen vorbereitet»

Am 24. Oktober 2022 warnten die russischen Behörden die westlichen Länder, dass «das Regime in Kiew eine Provokation mit einer ‹schmutzigen Bombe› vorbereite».¹⁷ Die Ukraine und der Westen bezichtigten Russland der Lüge. Es braucht nicht mehr, damit Verschwörungstheoretiker die russischen Warnungen aufgreifen und die Theorie verbreiten, dass die Russen, wenn sie solche Behauptungen aufstellten, selbst eine solche Aktion unter falscher Flagge vorbereiteten, um Atomwaffen einzusetzen. Genau das tut die Sendung Geopolitis vom 20. November 2022. Das ist Verschwörungstheorie im wahrsten Sinne des Wortes: Man nimmt Ereignisse, verknüpft sie durch eine willkürliche Logik miteinander und gibt ihnen ein ebenso willkürliches Ziel. Selbst die russische Oppositionswebsite Meduza¹⁸ übernimmt den Wortlaut der «New York Times», in der es heisst, das Weisse Haus habe «auch keine Hinweise darauf, dass Russland den Einsatz von Atomwaffen vorbereite».¹⁹ Unsere Medien sind also wieder einmal «päpstlicher als der Papst» und erfinden eine völlig spekulative Geschichte, die auf absolut keinen Fakten beruht. Dies entspricht einmal mehr der Definition einer Verschwörungstheorie!

Provokation der Ukraine

Am 15. November, als Russland seine Raketenangriffe intensivierte, meldete Associated Press unter Berufung auf einen «anonymen Beamten», dass zwei russische Raketen in Polen eingeschlagen hätten. Die Tatsache, dass es zwei Raketen waren, scheint einen Unfall auszuschliessen. Wenn es sich um einen vorsätzlichen Akt handelt, ist das Ereignis schwerwiegend und könnte zur Anwendung von Artikel 5 des Nato-Vertrags und zur Möglichkeit eines dritten Weltkriegs führen. Aber unsere Medien – die immer blutrünstig sind – preschen etwas zu schnell vor. Die Nato ist nicht RTS und überprüft zuerst die Informationen, bevor sie Stellung bezieht. Die Nato-Länder überwachen den Luftraum in diesem Grenzgebiet ständig und die Flugbahnen der Raketen sind bekannt. Dank der Fotos, die ein polnischer Feuerwehrmann, der sofort vor Ort war, gemacht hat, wissen wir, dass es nicht zwei, sondern nur eine Rakete gab und dass es sich dabei um eine Boden-Luft-Rakete vom Typ S-300 handelte. Anschliessend sperrten die polnischen Behörden das Gebiet ab und verhängten über die Bilder des Ereignisses eine Nachrichtensperre. Es handelte sich also um eine ukrainische Luftabwehrrakete. Ein polnischer Politiker sprach sogar davon, dass es sich um eine Provokation der Ukraine²⁰ gehandelt haben könnte, um eine westliche Intervention auszulösen. Doch fast unmittelbar danach, am 15. November, erklärte Joe Biden, es sei «unwahrscheinlich, dass die Rakete von Russland aus abgefeuert worden sei».²¹ Tatsächlich handelte es sich höchstwahrscheinlich um eine ukrainische Rakete, die ihr Ziel verfehlte und in Polen landete, wo sie zwei Menschen tötete. 

Es ist nicht nachvollziehbar, welches Interesse die Russen daran gehabt hätten, die Nato absichtlich zu provozieren. Das Problem ist, dass Selenskij weiterhin behauptete, es habe sich um eine russische Rakete gehandelt, mit dem Ergebnis, dass er seine westlichen Verbündeten verärgerte. Seltsamerweise wird auf RTS weiterhin der Ausdruck «Rakete aus russischer Produktion» verwendet, obwohl bekannt ist, dass es sich um eine ukrainische Rakete handelt.²² Das nennt man Propaganda.

Während der Coronavirus-Krise hatte es einen ähnlichen Fall gegeben. RTS hatte weiterhin den Ausdruck «chinesisches Virus» verwendet,²³ obwohl die WHO²⁴ und die wissenschaftliche Gemeinschaft²⁵ empfohlen hatten, diese Bezeichnung nicht zu verwenden, da sie Gewalt erzeuge. Im Ukraine-Konflikt ist das Gleiche zu beobachten: eine einseitige und voreingenommene Darstellung der Fakten, die nicht versucht, die Wogen zu glätten – ganz im Gegenteil.

Die Verurteilung von drei Personen, die für den Absturz der Flugs MH-17 verantwortlich sein sollen, wirft Fragen nach der Seriosität der Untersuchung auf. Auch kommt sie zu einem Zeitpunkt, in dem der Westen sich massiv im Krieg mit Russland befindet. Haben Sie Informationen, wer dieses Flugzeug tatsächlich abgeschossen hat? Gibt es hier klare Beweise? War es am Ende die Ukraine selbst?

Der Fall der MH-17 ist äusserst komplex, hauptsächlich weil es sich um eine technische Frage handelt, die politisch ausgenutzt werden soll. Er war Gegenstand unzähliger Theorien und Erklärungen, von denen jede weniger befriedigend war als die andere. Ausserdem waren die Versionen des Ereignisses, die von den einen und den anderen gegeben wurden, unterschiedlich. 

Nichtsdestotrotz ist das von den niederländischen Richtern gewählte Szenario «abracadabrantes­que» (haarsträubend), wie der ehemalige französische Präsident Jacques Chirac gesagt hätte.

Man stellte sich vor, dass die Russen einen BUK-Flugabwehrraketenwerfer auf einem zivilen Lastwagen auf der Strasse 200km in ukrainisches Hoheitsgebiet geschickt hätten, um die MH-17 und ihre 298 Insassen abzuschiessen, um dann sofort auf einer anderen Strasse nach Russland zurückzufahren.

Der Vorfall an sich wirft viele Fragen auf, deren Antworten sehr unbefriedigend bleiben. Wenn man davon ausgeht, dass eine Abschussvorrichtung in die Ukraine gebracht wurde, bedeutet dies, dass es eine Absicht gab. Wenn die Absicht bestand, ukrainische Flugzeuge abzuschiessen, warum wurde dann nur ein Trägersystem ins Land gebracht? Tatsächlich besteht das BUK-System normalerweise aus einer mobilen Kommandozentrale, einem Zielerfassungsfahrzeug und einem mobilen Abschussgerät. Um dieses System effektiv zu nutzen, sind mindestens ein Zielerfassungssystem und ein Werfer erforderlich. Wenn nur die Abschussvorrichtung vorhanden ist, muss die Rakete ihr Ziel selbst erfassen, was zur Folge hat, dass sie das Ziel nicht identifizieren kann und das Risiko, es zu verfehlen, sehr hoch ist.

Angenommen, Russland oder die Donbas-Autonomisten hätten die Absicht gehabt, ein malaysisches Zivilflugzeug mit Europäern an Bord abzuschiessen, welches Ziel verfolgten sie dann? Russland war nicht in den Donbas-Konflikt verwickelt und sein Ziel wäre alles andere als klar. Wollte es den Konflikt eskalieren und damit eine ausländische Intervention provozieren, um die Ukraine zu unterstützen?

Russland und Malaysia nicht in Untersuchungen einbezogen

Es gab zwei Untersuchungen in diesem Fall: erstens eine vom niederländischen Amt für Sicherheit (OVV) unter der Schirmherrschaft der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (OPCW) durchgeführte Untersuchung, deren Ziel «die Verhinderung von Unfällen und ähnlichen Vorfällen» und nicht die Feststellung der Verantwortlichkeiten war;  zweitens eine weitere, vom Joint Investigation Team (JIT) unter der Schirmherrschaft von Europol und Eurojust durchgeführte Untersuchung, die strafrechtlicher Natur war und darauf abzielte, die Verantwortlichkeiten für den Vorfall zu ermitteln. In der ersten Untersuchung ist Malaysia von Rechts wegen anwesend; in der zweiten Untersuchung wurde Malaysia jedoch nur aufgefordert, einen Beobachter zu stellen, erhält aber aus unklaren Gründen weder Berichte noch Schlussfolgerungen.²⁶ Warum wurde Malaysia von einer der beiden Untersuchungen ausgeschlossen? Der malaysische Premierminister erklärte selbst, dass die Untersuchung auf Gerüchten basiere.²⁷

Warum wurde Russland nicht in die Ermittlungen einbezogen und warum wurden die von Russland vorgelegten Beweise mit der Begründung, es handele sich um Propaganda, für unzulässig erklärt? Dies gilt auch für die Dokumente, die belegten, dass die gefundenen Trümmerteile von einer BUK-Rakete stammten, die an die ukrainische Armee geliefert worden war. 

In einem Bericht vom 26.September 2016 gab der niederländische Militärgeheimdienst MIVD an, dass er am 17.Juli 2014 kein einsatzbereites BUK-Raketensystem in einem Radius entdeckt habe, der ausgereicht hätte, um die MH-17 abzuschiessen.²⁸

Es gab keine Gegengutachten zu einer Reihe von «Beweisen», insbesondere Videos, von denen einige behaupteten, dass es sich um digitale Montagen gehandelt habe. Fast 2600 Beweisstücke (Projektiltrümmer) wurden vom Gericht ohne seriöse Erklärung abgelehnt. 

Die Amerikaner hatten behauptet, über Satellitenbilder zu verfügen, die während des Raketenabschusses aufgenommen worden waren, die jedoch niemand sehen konnte. Viele Zeugen und Dokumente, die das Gericht zitierte, wurden als geheim eingestuft und waren daher nicht zugänglich.

Der ukrainische Pilot des Suchoi-25-Flugzeugs, den Russland als Schuldigen an der Katastrophe nannte, beging 2018 opportunerweise «Selbstmord».²⁹

Aus diesen Grauzonen ergibt sich, dass das Urteil in der westlichen Welt sicherlich Beifall finden wird, aber es ist nicht sicher, ob der «Rest der Welt» davon überzeugt ist. Da man einen niederländischen Akteur der Untersuchung kannte, kann man sagen, dass das Gericht unter enormem politischen Druck stand. 

Zufällige Tragödie für politische Zwecke ausgenutzt?

Ich habe keine Ahnung, was genau passiert ist. Aber die vorliegenden Erkenntnisse lassen Zweifel an dem vom Gericht angenommenen Szenario zu und lassen mich vermuten, dass der Vorfall auf einen Bedienungsfehler bei Wartungsarbeiten an der Trägerrakete zurückzuführen ist. Eine ukrainische Flugabwehreinheit befand sich tatsächlich im Bereich des Vorfalls und Einheiten wurden gewartet. Mein Eindruck ist, dass es sich um eine rein zufällige Tragödie handelt, die jedoch für politische Zwecke ausgenutzt wurde.

Es sei daran erinnert, dass dies nicht das erste Mal wäre. Die ukrainische Armee hatte bereits irrtümlich ein russisches Zivilflugzeug über dem Schwarzen Meer abgeschossen, den Flug Siberia Airlines 1812 im Oktober 2001. Ausserdem schoss der US-Kreuzer USS Vincennes am 3.Juli 1988 den Flug Iran Air 655 ab, wobei 290 Menschen, darunter 66 Kinder, ums Leben kamen. Spätere Untersuchungen der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) und der US-Marine bestätigten, dass sich der Kreuzer in iranischen Hoheitsgewässern befand und tatsächlich ein aufsteigendes Zivilflugzeug entdeckt hatte. Nachdem die US-Regierung zunächst alles abgestritten und dann gelogen hatte, indem sie behauptete, ihr Schiff habe sich in internationalen Gewässern und der Airbus habe sich im Sturzflug gegen das Schiff befunden, rechtfertigte sie den Abschuss mit einem «Fehler», was ebenfalls falsch war. Schliesslich verurteilte die internationale Justiz³⁰ die USA dazu, die Familien der Opfer zu entschädigen und sich zu entschuldigen. Präsident George H. Bush sen. erklärte jedoch: «Ich werde mich niemals für die Vereinigten Staaten von Amerika entschuldigen. Niemals. Mir sind die Fakten egal.»³¹

Trotz der politischen Komplexität des Falls von Flug MH-17 scheint das niederländische Gericht nicht unparteiisch und integer gearbeitet zu haben. Angesichts des Krieges in der Ukraine war es schwer vorstellbar, dass das Urteil unparteiisch sein würde, und ebenso unvorstellbar, dass es glaubwürdig sein würde. Wahrscheinlich hätten die Richter einen ehrenhaften Ausweg finden können, indem sie sich hinter Ziffer 5 des Minsk-II-Abkommens vom 15.Februar 2015 verschanzt hätten, die Begnadigung und Amnestie für alle «Ereignisse, die in bestimmten Gebieten der ukrainischen Regionen Donezk und Luhansk stattgefunden haben», garantierte.

Trotz allem Kriegsgeheul hat man den Eindruck, dass vermehrt Stimmen im Westen an einer Beendigung des Kriegs interessiert sind. Beobachten Sie das auch?

Wenn der Westen wirklich am Frieden interessiert gewesen wäre, hätte er alles getan, um ihn zu fördern, als er die Mittel dazu hatte. 

Unsere Diplomaten hätten sich um die zivilen Opfer sorgen müssen, die sich seit 2014, als die Regierung in Kiew auf ihre eigenen Bürger schoss, angesammelt haben. Angesichts der Erfahrungen mit Georgien ist bekannt, dass Russland bereit ist, zum Schutz der Mitglieder der Gemeinschaft der ehemaligen UdSSR einzugreifen. Es war vollkommen klar, dass der Krieg gegen die Autonomisten im Donbas zu einem Konflikt führen könnte. Aber für unsere Journalisten sind die Toten im Donbas «vernachlässigbare Mengen», «Untermenschen». Deshalb kann niemand verstehen, dass man zu ihrer Verteidigung zu den Waffen gegriffen hat. Unsere Medien haben die heilige Faser, die die «Befreier» von Charkow 1943 hatten!

Frankreich und Deutschland hätten ihre Rolle spielen und die Ukraine dazu zwingen müssen, ihre Verpflichtungen aus den Minsker Abkommen einzuhalten. Es ist jedoch bekannt, dass die Ukraine diese Abkommen nur unterzeichnet hat, um Zeit zu gewinnen und ihre Armee wieder auf Kriegskurs zu bringen,³² wie Petro Poroschenko kürzlich am Telefon bestätigte, als Journalisten ihn in eine Falle gelockt hatten. Danach versuchte der Westen, die Minsker Vereinbarungen neu zu verhandeln, anstatt die bestehenden Vereinbarungen umzusetzen. Sie wollten ein Abkommen zwischen Kiew und den autonomistischen Oblasten in ein Abkommen zwischen der Ukraine und Russland umwandeln, was der Natur der Krise nicht gerecht wurde. Im Gegensatz zu dem, was Angela Merkel dem Spiegel sagte, fügte der Westen dem inneren Problem der Ukraine also nur eine weitere Schicht hinzu.³³

Ukraine in schlechter Lage

Speziell unter den politischen und militärischen Eliten stellt man fest, dass dieser Krieg aussichtslos ist und nicht ohne eine ukrainische Niederlage beendet werden kann, egal welches Szenario zugrunde gelegt wird. Insbesondere General Milley, der Leiter des Joint Chiefs of Staff, schlug vor, dass man sich auf einen Friedensprozess einlassen und einräumen müsse, dass die Ukraine einen Teil ihres Territoriums verlieren werde. Seit mehreren Monaten erstellt das US-Militär vermehrt Analysen, aus denen hervorgeht, dass die Ukraine in einer schlechten Lage ist. Es sind die Politiker – und ganz besonders die europäischen Politiker –, die nicht zugeben wollen, dass sie die falsche Strategie gewählt haben. 

Es steht fest, dass Russland keinen längeren Krieg führen wollte. Daher war es im Februar und März sofort zu Verhandlungen bereit. Doch angesichts des westlichen Willens, den Konflikt zu verlängern mit dem Ziel, den Zusammenbruch Russlands³⁴ herbeizuführen, änderte Russland seine Strategie. Wie General Surowikin im Oktober erklärte, geht es nicht um grosse Operationen, sondern darum, den ukrainischen Militärapparat langsam und systematisch zu zerschlagen. Dies erklärt auch die Angriffe auf die Infrastruktur, deren Instandsetzung für den Westen zu einer unerträglichen Belastung werden könnte.

Der Hauptgrund für die Haltung des Westens zugunsten des Krieges ist, dass wir uns weigern, die wahren Gründe für diesen Krieg zu verstehen, der multifaktoriell ist. Ich möchte daran erinnern, dass Russland in der Ukraine nur interveniert hat, um die Übergriffe und Bombardierungen gegen die Bevölkerung des Donbas gemäss dem Prinzip der «Responsability to protect» (R2P) zu stoppen. Hintergrund dieser Intervention ist die Expansion der Nato in die Ukraine, die Russland auf diplomatischem Wege lösen wollte. Aus diesem Grund hatte es im Dezember 2021 Vorschläge kommuniziert, die der Westen nicht einmal in Erwägung ziehen wollte. Die ukrainische Offensive, die sich im Februar 2021 im Donbas anbahnte, bot Russ­land die Gelegenheit, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: die Bedrohung für die russischsprachigen Menschen im Donbas zu beseitigen und die Ukraine zu Verhandlungen über ihre Stellung gegenüber der Nato zu drängen.

Aus russischer Sicht – einschliess­lich der russischen Bevölkerung – ist das Ziel dieser Intervention legitim. Im Westen haben wir ein Narrativ entwickelt, das darauf abzielt, dieses Ziel zu delegitimieren. Es wurde behauptet, Russland wolle die Ukraine übernehmen und zerstören (was übrigens ein wenig widersprüchlich klingt!), die Regierung stürzen, ihre Reichtümer plündern und so weiter. Die Russen haben das nicht nur nie gesagt, sondern nach acht Monaten stellt man fest, dass diese Erklärungen völlig losgelöst von den Tatsachen sind. 

«Die Ukraine hat ein Problem mit rechtsextremer Gewalt»

Um dieses Narrativ durchzusetzen, musste der Westen einen Teil der Realität verschweigen. Deshalb wird nie über die Opfer im Donbas oder die Kriegsverbrechen berichtet, die seit 2014 von den ukrainischen Neonazi-Milizen begangen wurden. So nehmen unsere Medien die Position dieser Milizen ein, die ihre Übergriffe gegen die Bevölkerung im Donbas leugnen und eine «rassisch reine» Ukraine wollen.³⁵ Nie (!)  erwähnen sie diese Gewalttaten seit 2014 und behaupten sogar, dass es in der Ukraine keinen Neonazismus gebe!³⁶

Während die RTS in der Sendung Geopolitis die Präsenz von Neonazis in der Ukraine als Teil einer «Parallelwelt» beschrieb,³⁷ verhaftete die Polizei in Italien eine Neonazi-Zelle – den Hogal-Orden – unter Terrorismusverdacht, die «direkte und häufige Kontakte zu ukrainischen ultra-nationalistischen Formationen wie dem Bataillon Asow, Pravi Sector und Centuria hatte, wahrscheinlich im Hinblick auf eine mögliche Rekrutierung in die Reihen dieser Kampfgruppen».³⁸ Diese Zelle wurde mit Veröffentlichungen auf Telegram in Verbindung gebracht, die «Kampagnen zur Verherrlichung des Faschismus, Leugnung des Holocaust, Aufstachelung zu Rassenhass und Antisemitismus» betrafen.³⁹

In der Tat haben die amerikanischen Medien schon lange die Alarmglocken läuten lassen. Der Atlantic Council, ein mit der Nato und der US-Regierung verbundenes Medium, hatte schon lange davor gewarnt, dass «das Asow-Regiment sich nicht entpolitisiert hat»⁴⁰ und dass «die Ukraine ein echtes Problem mit rechtsextremer Gewalt hat (und nein, RT hat diese Schlagzeile nicht geschrieben)».⁴¹ Im März dieses Jahres schrieb NBC News, dass «das Naziproblem in der Ukraine real ist».⁴² Das zentristische US-Medium «The Hill» erklärte sogar, dass das Problem des Neonazismus in der Ukraine nichts mit der Propaganda des Kreml zu tun habe⁴³. Diese Medien hatten also Recht, im Gegensatz zu unseren Journalisten, die natürlich frei sind, ihre politischen Präferenzen zu haben. Tatsächlich ist es das Ziel unserer Medien, ein polarisiertes Bild des Konflikts aufrechtzuerhalten, mit dem jegliche Verhandlungen ausgeschlossen sind. Kann man mit dem Teufel verhandeln?

Es muss das Bild eines unverantwortlichen Wladimir Putin aufrechterhalten werden, der unfähig ist, Entscheidungen zu treffen (die übrigens automatisch falsch sind), der das Zarenreich (oder die Sowjetunion laut «Experten») wiederherstellen will, der die Existenz der Ukraine leugnet, der versucht, seine Atomwaffen einzusetzen usw., usw.

In einer kürzlich erschienenen Ausgabe der RTS-Sendung Geopolitis behauptete der Journalist Jean-Philippe Schaller, Wladimir Putin sei der erste gewesen, der mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht habe. Er ist ein Lügner. Wladimir Putin erwähnte den Einsatz von Atomwaffen,⁴⁴ nachdem (!) der französische Aussenminister Jean-Yves Le Drian⁴⁵ und die britische Aussenministerin Liz Truss⁴⁶ am 24. und 27. Februar den Einsatz von Atomwaffen durch die Nato und die Zerstörung des russischen Industriepotenzials angedeutet hatten. Unser «Journalist» von RTS verschweigt auch, dass Liz Truss am 24. August erklärt hat, sie sei bereit, Atomwaffen einzusetzen, selbst wenn dies zu einer «globalen Vernichtung» führen würde.⁴⁷ Ich weiss nicht, ob man Wladimir Putin als Diktator bezeichnen kann oder nicht, aber er scheint weniger zu lügen als unsere Journalisten, zumindest in dieser Hinsicht!

Verbreitung von
Falschinformationen

In der Schweiz sind unsere Staatsmedien zu Propagandainstrumenten geworden, die Behauptungen aufstellen, ohne jemals etwas zu belegen. So hat RTS sogar russische Kriegsverbrechen in der Ukraine angeprangert, die die Ukrainer selbst als Fälschung betrachteten. Dies gilt auch für Vergewaltigungen. Es gab sicherlich Vergewaltigungen durch russisches (und ukrainisches) Militär während des Konflikts. Doch Anfang April 2022 kam es plötzlich zu einem Anstieg dieser Anschuldigungen. Sie stammen von der ukrainischen Menschenrechtskommissarin Ljudmila Denisowa.⁴⁸ RTS berichtet über diese Vergewaltigungen und betont, dass diese Verbrechen sorgfältig überprüft wurden⁴⁹ und dass sie «zum russischen Kriegsarsenal gehören», räumt aber gleichzeitig ein, dass «Beschwerden selten seien».⁵⁰ Das Problem ist, dass alles falsch war⁵¹ und Denisova entlassen wurde, weil es für diese Anschuldigungen keine Beweise gab und ihre Behauptungen dem Ansehen der Ukraine schadeten, wie das ukrainische Medium Ukrinform berichtet.⁵²

Das Problem hier ist nicht, ob die Anschuldigung richtig oder falsch ist: Es gab sicherlich Vergewaltigungen auf beiden Seiten. Das Problem ist auch nicht einmal, dass RTS behauptet, diese Verbrechen seien bestätigt, obwohl sie es nicht sind: Der «Nebel des Krieges», wie Clausewitz es nannte, kann Fehler erklären (technisch: «Fehlinformation»). Das eigentliche Problem ist, dass RTS, um sein antirussisches Narrativ zu bewahren, obwohl es wusste, dass es falsche Informationen verbreitet hatte, nicht versuchte, seinen Fehler zu korrigieren. Während die Entlassung Denisowas den ukrainischen Parlamentariern hätte zugeschrieben werden können, zogen es die Schweizer Journalisten vor, ihre falschen Behauptungen zu schütze. «Gut geordnete Liebe beginnt bei sich selbst!»

«Wie man eine Krise versteht, davon hängt es ab, wie man sie löst»

Um ihr Narrativ zu schützen, und unfähig, mit Fakten zu argumentieren, beschränken sich unsere Medien schliesslich auf persönliche Angriffe. So erklärt der Journalist Jean-Philippe Schaller, dass Wladimir Putin über Informationsnetzwerke in Europa verfüge, zu denen ich zusammen mit Alain Juillet, einem ehemaligen Direktor des französischen Geheimdienstes, und mit Hubert Védrine, dem ehemaligen Aussenminister Frankreichs, gehören würde. Das ist nicht nur eine unbegründete Behauptung, die genau der Definition von Verschwörungstheorien entspricht,⁵³ sondern jeder ernsthafte Beobachter stellt fest, dass es sich dabei um eine Lüge handelt. Ich betone hier, dass alle Informationen, die ich verwende, aus dem Westen, der Ukraine oder von der russischen Opposition stammen. Übrigens werde ich auf dem amerikanischen Kontinent eher als «ukrainefreundlich» angesehen, während in Frankreich – abgesehen von einigen verschwörungstheoretischen Journalisten – meine Aussagen als ausgewogen gelten! Ein russischer oder intelligenter Zuschauer versteht sehr schnell, dass solche – ansonsten unbewiesene – Anschuldigungen nichts anderes als Desinformation sind. Diese Art von Informationen ist genau das, was die Meinung zugunsten Russlands stärkt. Dies geschieht auch in den afrikanischen Ländern, in denen ich ein beachtliches Publikum habe!

Wir kommen immer wieder auf denselben Punkt zurück: Wie man eine Krise versteht, davon hängt es ab, wie man sie löst.

Es ist ein bisschen einfach zu denken, dass wir uns alles erlauben könnten, nur weil Putin ein Diktator sei. Ich habe nicht gesehen, dass unsere Medien Sendungen machen, in denen sie den irakischen oder afghanischen Widerstand loben und unsere Jugendlichen ermutigen, zu ihnen zu gehen und sie zu unterstützen. 

Es ist übrigens interessant zu sehen, dass niemand den Konflikt in Frage stellte, solange wir nicht betroffen waren. Heute, da unsere Wirtschaft zusammenbricht und wir spüren, dass unser Geldbeutel betroffen ist, beginnen unsere Politiker langsam einen Rückzieher zu machen, gegen unsere Medien, die weiterhin in Richtung Unnachgiebigkeit drängen. Man muss nur die Kommentare in der Sendung Geopolitis⁵⁴ und in meinem kürzlich von Sud Radio ausgestrahlten Interview⁵⁵ vergleichen, um festzustellen, dass die Öffentlichkeit sich nicht irrt. Unserer Bevölkerung geht es nicht darum, Russland oder die Ukraine zu verurteilen, wie es unsere Politiker und Medien tun, sondern um eine Lösung für einen Konflikt, den sie auf Kosten des Lebens der Ukrainer instrumentalisiert haben. Ich erinnere daran, dass Selenskij sich auf Druck der Westler und ihrer Medien⁵⁶ von den Verhandlungen zurückgezogen hat, die er selbst Ende Februar und Ende März 2022 gefordert hatte. Die europäische Öffentlichkeit hat die Situation sehr gut verstanden: Es sind unsere sogenannten Eliten, die sich weigern, das kriegerische Narrativ, das sie seit 2014 entwickelt haben, in Frage zu stellen.

Herr Baud, vielen Dank für Ihre Antworten.

* Jacques Baud hat einen Master in Ökonometrie und ein Nachdiplomstudium in internationaler Sicherheit am Hochschul­institut für internationale Beziehungen in Genf absolviert und war Oberst der Schweizer Armee. Er arbeitete für den Schweizerischen Strategischen Nachrichtendienst und war Berater für die Sicherheit der Flüchtlingslager in Ost-Zaire während des Ruanda-Krieges, arbeitete u.a. für die Nato in der Ukraine und ist Autor mehrerer Bücher über Nachrichtendienste, asymmetrische Kriegsführung, Terrorismus und Desinformation.

 

¹ «Ukraine attacks Russian-held Kherson, plans counterattack», aljazeerah, 12 July 2022 (www.aljazeera.com/news/2022/7/12/ukraine-strikes-russian-held-kherson-as-kyiv-plans-counterattack)

² youtu.be/I6ngm-QUn4M

³ Mark Trevelyan, « Russia's war hawks rally behind decision to abandon Ukrainian city of Kherson », Reuters, 10 novembre 2022 (www.reuters.com/world/europe/russias-war-hawks-rally-behind-decision-abandon-ukrainian-city-kherson-2022-11-09/)

⁴ « Жителей Херсона призвали «незамедлительно» уехать. На левый берег Днепра вывезли уже 25 тысяч человек », Meduza, 23 octobre 2022 (meduza.io/feature/2022/10/23/zhiteley-hersona-prizvali-nezamedlitelno-uehat-na-levyy-bereg-dnepra-vyvezli-uzhe-25-tysyach-chelovek)

rg.ru/2022/10/18/surovikin-ukrainskaia-storona-teriaet-do-tysiachi-chelovek-v-sutki.html

www.levada.ru/indikatory/

⁷ Lorenzo Tondo & Peter Beaumont, « Ukraine to start evacuations in Kherson and Mykolaiv regions as winter sets in », The Guardian, 21 novembre 2022 (www.theguardian.com/world/2022/nov/21/ukraine-evacuations-kherson-mykolaiv-regions-winter-war-damage-infrastructure)

⁸ Christopher Gettel, « Russia Is Running Out of Missiles. That’s Bad News for Ukraine », The Defense Post, 1er septembre 2022 (www.thedefensepost.com/2022/09/01/russia-missiles-running-out/); Cristina Gallardo, « Russia is running short of long-range missiles, say Western officials », Politico, 18 octobre 2022 (www.politico.eu/article/russia-running-short-of-long-range-missiles-ukraine-war/)

⁹ «Selon une enquête, Vladimir Poutine aurait un cancer de la thyroïde, mais devrait en guérir », rts.ch, 13 juin 2022 (www.rts.ch/info/monde/13162992-selon-une-enquete-vladimir-poutine-aurait-un-cancer-de-la-thyroide-mais-devrait-en-guerir.html)

10 Roman Romaniuk, « Possibility of talks between Zelenskyy and Putin came to a halt after Johnson’s visit », Ukrainskaya Pravda, 5 May 2022 (www.pravda.com.ua/eng/news/2022/05/5/7344206/)

11 «Discours sur l'état de l'Union 2022 de la présidente von der Leyen », Commission Européenne,14 septembre 2022 (ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/fr/speech_22_5493)

12 Brad Dress, « Mariupol mayor calls for no-fly zone after maternity hospital bombing », The Hill, 9 mars 2022 (thehill.com/policy/international/597635-mariupol-mayor-calls-for-no-fly-zone-after-maternity-hospital-bombing/)

13 « Ukraine calls for no-fly zone to stop Russian bombardment », Reuters, 1er mars 2022 (www.reuters.com/world/europe/russias-isolation-deepens-ukraine-resists-invasion-2022-02-28/)

14 Ross Peel, « Zaporizhzhia: proposals for demilitarised zone around Europe’s biggest nuclear power plant are unprecedented – expert reveals », The Conversation, 7 septembre 2022 (theconversation.com/zaporizhzhia-proposals-for-demilitarised-zone-around-europes-biggest-nuclear-power-plant-are-unprecedented-expert-reveals-189927)

15 Jeffrey Bale, “The Chechen Resistance and Radiological Terrorism”, Center for Nonproliferation Studies, 1er avril 2004. (www.nti.org/analysis/articles/chechen-resistance-radiological-terror/)

16 «‘We may have to make some difficult decisions in Kherson’ Meduza's summary of the first interview given by Russia's new top commander in Ukraine », Meduza, 19 octobre 2022 (meduza.io/en/feature/2022/10/19/we-may-have-to-make-some-difficult-decisions-in-kherson)

17 «Шойгу позвонил министрам обороны четырех стран НАТО. И заявил, что Украина якобы готовится взорвать «грязную бомбу». Никаких доказательств он не привел», Meduza, 23 octobre 2022 (meduza.io/feature/2022/10/23/shoygu-pozvonil-ministram-oborony-chetyreh-stran-nato-i-zayavil-chto-ukraina-yakoby-gotovitsya-vzorvat-gryaznuyu-bombu-nikakih-dokazatelstv-on-ne-privel)

18 meduza.io/feature/2022/10/25/rossiya-aktivno-preduprezhdaet-o-podryve-gryaznoy-bomby-v-ukraine-na-zapade-eto-rastsenivayut-kak-proverku-reaktsii-ili-predlog-dlya-novoy-eskalatsii-konflikta

19 www.nytimes.com/2022/10/24/us/politics/russia-dirty-bomb-west-ukraine.html

20 «Missile incident was Ukrainian ‘provocation’ – Polish politician», The Press United, 17 novembre 2022 (thepressunited.com/updates/missile-incident-was-ukrainian-provocation-polish-politician/)

21 Emma Kinery, «Biden says it’s ‘unlikely’ the missile that hit Poland was fired from Russia», CNBC, 15 novembre 2022 (www.cnbc.com/2022/11/15/biden-says-its-unlikely-russia-fired-the-missile-that-hit-poland.html)

22 www.rts.ch/audio-podcast/2022/audio/la-pologne-a-ete-touchee-par-un-missile-de-fabrication-russe-tout-pres-de-sa-frontiere-avec-l-ukraine-25875879.html; https://www.rts.ch/audio-podcast/2022/audio/reportage-en-pologne-pres-du-site-de-l-impact-du-missile-de-fabrication-russe-25876297.html

23 www.rts.ch/info/monde/11159819-le-pouvoir-chinois-souhaite-faire-oublier-lorigine-du-coronavirus.html

24 Dawn Kopecki, « WHO officials warn US President Trump against calling coronavirus ‘the Chinese virus’ », CNBC, 18 mars 2020

25 Marietta Vazquez, «Calling COVID-19 the “Wuhan Virus” or “China Virus” is inaccurate and xenophobic», Yale School of Medicine, 12 mars 2020 ; « Calling COVID-19 a ‘Chinese virus’ is wrong and dangerous – the pandemic is global », The Conversation, 25 mars 2020 ; Zhaohui Su et al., « Time to stop the use of ‘Wuhan virus’, ‘China virus’ or ‘Chinese virus’ across the scientific community », BMJ Journal, 20 août 2020

26 1er août 2019

27 youtu.be/fRplsSshPKI

28 maxfromthewharf.com/wp-content/uploads/2020/03/MIVD_EN.pdf

29 «MH17 crash: Ukraine pilot blamed by Russia 'kills himself'», BBC News, 19 mars 2018 (www.bbc.com/news/world-europe-43457694)

30 John F. Burns, « World Aviation Panel Faults U.S. Navy on Downing of Iran Air », The New York Times, 4 décembre 1988

31 «When America Apologizes (or Doesn’t) for Its Actions », The New York Times, 6 décembre 2011

32 «Minsk deal was used to buy time – Ukraine’s Poroshenko », The Press United, 17 juin 2022 (thepressunited.com/updates/minsk-deal-was-used-to-buy-time-ukraines-poroshenko/)

33 www.spiegel.de/panorama/ein-jahr-mit-ex-kanzlerin-angela-merkel-das-gefuehl-war-ganz-klar-machtpolitisch-bist-du-durch-a-d9799382-909e-49c7-9255-a8aec106ce9c; www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/merkel-zu-ukraine-101.html

34 youtu.be/Ntzacqlm-Ac

35 «Український соціальний націоналізм. — Харків: «Патріот України», 2007 (web.archive.org/web/20080409023834/www.patriotukr.org.ua/index.php?rub=stat&id=267)

36 youtu.be/bEv4-IJsl9k?t=212

37 youtu.be/bEv4-IJsl9k?t=414

38 Lucia Liccardi, « I neonazisti della Campania », agi.it, 15 novembre 2022 (www.agi.it/cronaca/news/2022-11-15/terrorismo-associazione-neonazista-quattro-arresti-campania-18834751)

39 «Operazione antiterrorismo tra Napoli, Caserta e Avellino: 5 arresti», poliziadistato.it, 15 novembre 2022 (www.poliziadistato.it/articolo/289963737a1f95b85474505806)

40 Oleksiy Kuzmenko, « The Azov Regiment has not depoliticized », Atlantic Council, 19 mars 2020 (www.atlanticcouncil.org/blogs/ukrainealert/the-azov-regiment-has-not-depoliticized/)

41 Josh Cohen, « Ukraine’s Got a Real Problem with Far-Right Violence (And No, RT Didn’t Write This Headline) », The Atlantic Council, 20 juin 2018 (www.atlanticcouncil.org/blogs/ukrainealert/ukraine-s-got-a-real-problem-with-far-right-violence-and-no-rt-didn-t-write-this-headline/)

42 Allan Ripp, « Ukraine’s Nazi problem is real, even if Putin’s ‘denazification’ claim isn’t », NBC News, 5 mars 2022 (www.nbcnews.com/think/opinion/ukraine-has-nazi-problem-vladimir-putin-s-denazification-claim-war-ncna1290946)

43 Lev Golinkin, « The reality of neo-Nazis in Ukraine is far from Kremlin propaganda », The Hill, 9 novembre 2017 (thehill.com/opinion/international/359609-the-reality-of-neo-nazis-in-the-ukraine-is-far-from-kremlin-propaganda/)

44 Runai Tairov, «Путин приказал перевести силы сдерживания в особый режим боевого дежурства», Forbes.ru, 27 février 2022; Andrew Roth, Shaun Walker, Jennifer Rankin & Julian Borger, « Putin signals escalation as he puts Russia’s nuclear force on high alert », The Guardian, 28 février 2022.  

45 Anthony Audureau/AFP, « Ukraine : Le Drian rappelle à Poutine que “l’Alliance atlantique est aussi une alliance nucléaire” », BFM TV, 24 février 2022 (www.bfmtv.com/international/ukraine-le-drian-rappelle-a-poutine-que-l-alliance-atlantique-est-aussi-une-alliance-nucleaire_AD-202202240685.html).

46 Stephen Mcilkenny, « Liz Truss: Kremlin says decision to put nuclear bases on high alert due to comments made by Foreign Secretary | What did she say about Ukraine crisis? », The Scotsman, 28 février 2022 (www.scotsman.com/news/politics/kremlin-says-nuclear-bases-on-high-alert-due-to-comments-made-by-liz-truss-3589463)

47 www.independent.co.uk/news/uk/politics/liz-truss-nuclear-button-ready-b2151614.html; https://youtu.be/IvH7cgbdazU

48 www.francetvinfo.fr/monde/europe/manifestations-en-ukraine/guerre-en-ukraine-apres-le-massacre-de-boutcha-les-temoignages-glacants-des-victimes-de-viols-commis-par-l-occupant-russe_5145007.htm

49 www.rts.ch/audio-podcast/2022/audio/multiplication-des-accusations-de-viols-en-ukraine-interview-de-lea-rose-stoian-25813937.html

50 www.rts.ch/info/monde/13005321-les-viols-de-civils-font-partie-de-larsenal-de-guerre-russe-en-ukraine.html

51 hromadske.ua/posts/deputati-zibrali-pidpisi-za-vidstavku-ombudsmenki-denisovoyi-vona-nazivaye-mozhlive-zvilnennya-nezakonnim

52 www.ukrinform.fr/rubric-ato/3496821-la-commissaire-aux-droits-de-lhomme-ukrainienne-demise-de-ses-fonctions.html

53 fr.wikipedia.org/wiki/Théorie_du_complot

54 youtu.be/bEv4-IJsl9k

55 youtu.be/3h-JJQMgUT4


Info:https://zeitgeschehen-im-fokus.ch/de/newspaper-ausgabe/nr-21-vom-30-november-2022.html#article_1439

02.12.2022

Zeitgeschehen im Fokus
Forschen - Nachdenken - Schlüsse ziehen    (II von III)

56 www.rts.ch/audio-podcast/2022/audio/a-quoi-bon-negocier-avec-poutine-a-propos-de-l-ukraine-interview-de-nicolas-tenzer-25808171.html



«Der Westen hat ein gewaltiges Interesse am Krieg» «Die Schweiz hätte so viel in der Friedensvermittlung zu bieten, was sie achtlos aus der Hand gibt»Interview mit Prof. Dr. iur. et phil. Alfred de Zayas, Völkerrechtler und ehemaliger Uno-Mandatsträger Prof. Dr. Alfred de Zayas (Bild zvg) Zeitgeschehen im Fokus Artikel 20 des Internationalen Pakts der Bürgerlichen und Politischen Rechte verbietet per Gesetz «jegliche Kriegspropaganda und jedes Eintreten für nationalen, rassischen oder religiösen Hass, durch das zu Diskriminierung, Feindseligkeit oder Gewalt aufgestachelt wird.» Wenn wir uns die letzten Monate anschauen, sieht man, dass das von westlicher Seite völlig ignoriert wird. Was sind die Ursachen dafür?


Prof. Dr. Alfred de Zayas Die westlichen Länder verdienen am Krieg, sie haben starke Waffenindustrien und wollen diese Waffen verkaufen. Dies geht aber nur, wenn die Drohnen, Raketen, Panzer, Kanonen etc. gebraucht werden, wenn die Flugzeuge abgeschossen werden. Dann müssen sie ersetzt werden, und der Waffen-Zirkus läuft lustig weiter. Der Westen hat ein gewaltiges Interesse am Krieg und wird sich kaum verpflichten, den Krieg oder die Kriegspropaganda zu ächten. Die Staaten Australien, Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Island, Irland, Luxembourg, Malta, die Niederlande, Neuseeland, Norwegen, Schweden, die Schweiz, Grossbritannien und die Vereinigten Staaten haben alle Vorbehalte gegen Artikel 20 des Paktes, so dass die Regierungen und die Medien weiterhin Kriegspropaganda betreiben können. Kein lateinamerikanischer oder afrikanischer Staat hat solche Vorbehalte.Das sind die doppelten Standards. Niemand auf dieser Welt heult so auf wie der Westen, wenn die Menschenrechte nicht eingehalten werden. Was ist das für eine Gesinnung?In vier Jahrzehnten Menschenrechtstätigkeit habe ich genug von dieser unredlichen Gesinnung gesehen. Es ist interessant, wie sich die westlichen Staaten bei den Diskussionen über die Einführung des Menschenrechts auf Frieden in den Jahren 2012 bis 2016 verhalten haben.¹ Ich habe seinerzeit allen Tagungen der Arbeitsgruppe² des Menschenrechtsrates beigewohnt und auch in meiner Funktion als Sonderberichterstatter wiederholte Male gesprochen (siehe Kapitel 3 meines Buches «Building a Just World Order»). Der Westen hat dafür gesorgt, dass der exzellente Entwurf der Deklaration, die seinerzeit vom Advisory Committee³ erstellt wurde, ausgehöhlt wurde. Allerdings waren nicht alle Amerikaner mit der Haltung der US-Regierung bezüglich des Menschenrechts auf Frieden einverstanden. So sagte der US-Völkerrechtsprofessor Curtis Doebbler am 1. August 2016: «Die angenommene Erklärung ist eine Beleidigung für Verteidiger der Menschenrechte und alle, die ihr Vertrauen der Uno schenken, um den Frieden in der Welt zu fördern. Am auffallendsten ist, dass die Erklärung nicht das Recht auf Frieden bekräftigt, das in einer Erklärung der Uno-Generalversammlung von 1984 für alle Völker anerkannt wurde. Eine Erklärung zum Recht auf Frieden zu verabschieden, die das Recht auf Frieden nicht klar und unzweideutig bekräftigt, ist eine Botschaft an uns alle, dass unsere diplomatischen Vertreter nicht in unserem besten Interesse handeln. Entweder müssen die Diplomaten ausgewechselt werden oder die Regierungsbeamten, die sie ernennen.»⁴ Wenn man es mit den Menschenrechten ernst meinte, müssten die westlichen Staaten das voll und ganz unterstützen. Es ist schon unglaublich, mit welcher Propaganda man die eigene Bevölkerung lenkt, um sich selbst als die Guten zu präsentieren.Noch schändlicher ist die Art und Weise, wie sich der Westen in diesem Zusammenhang verhalten hat. Zunächst hat der Westen alles getan, um die Deklaration zu schwächen, eigentlich um sie auszuweiden. Das war einfach dreist und unehrenhaft vom Westen, ein Verrat an der Zivilgesellschaft. Man muss bedenken, dass der Ursprung der Deklaration nicht der Menschenrechtsrat war, sondern Tausende von Friedensaktivisten auf der ganzen Welt unter der Leitung der Asociacion Española para el Derecho Internacional de los Derechos Humanos (ich bin seit 2004 Mitglied), die die ganze Bewegung für das Menschenrecht auf Frieden in Gang setzte, nämlich durch die Annahme der Declaracion de Luarca, gefolgt von der Declaracion de Bilbao (ich war Rapporteur), dann die Declaracion de Santiago de Compostela vom 10. Dezember 2010. Es war diese Declaracion de Santiago, die vom Advisory Committee des Menschenrechtsrates übernommen und dann an die «Arbeitsgruppe» weitergegeben wurde. Wenn man den Entwurf des Advisory Committees kennt und mit der endgültigen Deklaration vergleicht, kann man nur schockiert sein, entsetzt, wieviel Zeit und Geld vergeudet wurde. Adding insult to injury, der Westen stimmte sogar gegen das wenige, was von der Deklaration übrig geblieben war.⁵ Die Resolution 32/28 wurde mit 34 Stimmen dafür, 4 Enthaltungen und 9 Gegenstimmen angenommen.⁶Wie muss man dieses Ergebnis interpretieren?So, dass der Westen eine «love affair» mit dem Krieg hat. Die Schweiz hätte sich natürlich der Mehrheit anschliessen müssen – aber die mutlose Delegation hat sich der Stimme enthalten. Ich war dabei. Was für eine Schande! Hierzu muss man sagen, dass die Deklaration, die 2016 von der Generalversammlung angenommen wurde (A/RES/71/189), kein Menschenrecht auf Frieden als solches anerkennt. Es ist ein leeres Bla-Bla – eigentlich weniger, als wir bereits 1984 mit der Resolution 39/11 der Generalversammlung⁷ hatten. Während Ihrer Zeit als Unabhängiger Experte an der Uno haben Sie sich für den Frieden eingesetzt. Es gibt verschiedene Menschenrechte wie das Recht auf Leben und viele andere. Wie wird das oberste Prinzip der Uno, Sicherung und Erhaltung des Weltfriedens, verfolgt und eingehalten?Kapitel drei meines Buches «Building a Just World Order» gibt ausführliche Antworten auf Ihre Fragen. Das Menschenrecht auf Frieden z. B. wird vom Westen völlig ignoriert. Die Völker Lateinamerikas, Afrikas und Asiens wollen bestimmt den Frieden. Das Geld will aber Krieg. Und es ist der Westen, der solche Situationen sucht und die Kriegsstimmung vorantreibt. In der Ukraine kann man das genau beobachten. Milliarden an Geldern – wohlgemerkt Steuergeldern – werden für Waffen ausgegeben. Die Aktien der Rüstungsfirmen wie z. B. Rheinmetall in Deutschland sind nahezu explodiert. Das Volk wird allerdings nie gefragt, ob es seine Steuergelder für den Krieg einsetzen will. Vielleicht hat das Volk andere Prioritäten wie Krankenhäuser und Schulen. Aber es wird nicht konsultiert. Es gibt keine Referenden.Hat der Menschrechtsrat an seiner letzten Session sich für den Frieden in der Ukraine eingesetzt und die Ursachen thematisiert, die zur militärischen Aktion der Russischen Föderation geführt haben?Der Menschenrechtsrat entpuppt sich zunehmend als parteiisch und im Dienste des Westens. China und einige Staaten haben sich für Friedensverhandlungen im Ukrainekrieg konstruktiv geäussert, aber der Rat hat die Konfrontation bevorzugt und nur Russland für den Krieg verantwortlich gemacht, ohne sich mit der Vorgeschichte, mit den Provokationen durch die Nato zu beschäftigen oder konkrete Vorschläge für Friedensverhandlungen zu machen. Der Rat hat sich damit begnügt, einen Sonderberichterstatter für Russland zu bestellen, um die Hetze – was wir «Naming and Shaming» nennen – fortzusetzen, nicht aber um dem Frieden zu dienen. Obwohl 24 Staaten sich der Stimme enthielten und sechs dagegen stimmten, die 17 Stimmen der westlichen Staaten haben die Resolution getragen.⁸Stellt sich der neue Hochkommissar für Menschenrechte wie viele seiner Vorgänger und Vorgängerinnen in den Dienst der USA und der EU?Leider ja. Ich hatte ursprünglich gewisse Hoffnungen gehegt, die ich inzwischen aufgeben musste. Seine Äusserungen über Russland sind unausgewogen. Er scheint sich besonders für LGBT-Sachen zu interessieren.⁹ Es gibt an der Uno ein Heer von Unabhängigen Experten und Sonderberichterstattern. Was spielen sie für eine Rolle bei der Erhaltung des Friedens und der Verteidigung der Menschenrechte?Praktisch keine Rolle. Die meisten Sonderberichterstatter kümmern sich nicht um den Frieden, sondern geniessen die Gelegenheit, sich grandios zu äussern und Richter zu spielen, indem sie «Naming and Shaming» betreiben, Staaten kritisieren, ohne sich die Mühe zu geben, pragmatische oder friedensfördernde Vorschläge zu formulieren. Über die Jahre hat es eine Reihe mutiger und unabhängiger Sonderberichterstatter gegeben u. a. Jean Ziegler, Olivier de Schutter, Richard Falk, Michael Lynk, Virginia Dandan, Ben Emmerson, Juan Pablo Bohoslavsky, Nils Melzer, Idriss Jazairi, Alena Douhan – die ich alle gut kenne. Leider ist das Auswahlsystem äusserst politisch, und selten werden wirklich unabhängige Experten ernannt. Die meisten kommen aus dem «Mainstream» und folgen dem Zeitgeist. In Konflikten melden sich häufig die grossen NGOs wie AI (Amnesty International) oder HRW (Human Rights Watch) zu Wort. Wie verläss­lich sind ihre Positionen, und können sie völlig unabhängig agieren?Weder AI noch HRW sind wirklich unabhängig. Schliesslich brauchen sie Geld, und die Stifter wollen auch mitspielen. So werden bestimmte Themen bevorzugt, z. B. gender equality. Andere wichtigere Menschenrechtsthemen wie das Menschenrecht auf Frieden werden komplett ausgeblendet. Wikileaks, das European Center for Law and Justice10 und andere investigative Journalisten haben gezeigt, dass eine bestimmte Durchdringung der Geheimdienste Grossbritanniens, Israels und den USA geschehen ist und dass es eine gewisse Drehtür zwischen Regierungsposten und AI und HRW – was wir «revolving door» nennen – gibt. Noch ärger ist es nämlich, wenn genau diese Menschen dann von den USA, von Grossbritannien oder Frankreich auf höhere Posten im Büro des Hochkommissars für Menschenrechte berufen werden.Ein wichtiger Faktor in der internationalen Vermittlung von Konflikten kommt den neutralen Staaten zu. Seit dem Ukraine-Konflikt können wir feststellen, dass die wenigen westlich ausgerichteten neutralen Staaten sich den Sanktionen gegen Russland angeschlossen haben, einschliesslich der Schweiz. Wie ist das aus Sicht des Völkerrechts zu beurteilen?Unilaterale Zwangsmassnahmen sind völkerrechtswidrig. Man kann aber nichts machen, denn die USA, Grossbritannien und Frankreich sind Vetomächte im Sicherheitsrat. Es ist ein Skandal, dass sich Länder wie die Schweiz den illegalen Sanktionen angeschlossen haben. Die Neutralität ist ein bedeutender Wert und eine Verpflichtung. Ich verstehe die Schweizer Politiker nicht.Welche heutigen Staaten können noch glaubhaft die Vermittlerrolle einnehmen, nachdem neutrale so eindeutig für eine Kriegspartei Stellung genommen haben?Die Schweiz gewiss nicht mehr. Ich kann mir vorstellen, dass Mexiko, Argentinien, Brasilien, Südafrika, Algerien oder Indien diese Rolle einnehmen könnten. Es ist schon beklagenswert, dass neutrale Staaten wie die Schweiz oder Schweden sich immer mehr der Nato-Kriegsallianz angeschlossen haben, vor allem in der Übernahme der völkerrechtswidrigen Sanktionen. Dass die Schweiz die Weitergabe der Munition an die Ukraine den Deutschen untersagt, ist die richtige Haltung und äusserst unterstützenswert. Sie hätte bei den Sanktionen der EU und der USA gegen Russland genau gleich handeln müssen. Denn bei den Sanktionen handelt es sich um einen offenen Handels- und Wirtschaftskrieg der USA gegen Russ­land. Wider alle Vernunft machen die EU und die Schweiz dabei mit. Die Schweiz hätte so viel in der Friedensvermittlung zu bieten, was sie achtlos aus der Hand gibt, nur damit sie weiterhin die Gunst der USA geniessen können, obwohl die USA in den letzten Jahrzehnten der Schweiz übel mitgespielt haben und es auch jetzt wieder tun, indem sie Schweizer Treuhänder sanktionieren, wenn diese mit russischen Geschäftsleuten Beziehungen unterhalten. Wie beurteilen Sie das Verhalten des Schweizer Bundesrats, insbesondere Ignazio Cassis', der für die Aussenpolitik der Schweiz verantwortlich ist?In höchstem Masse undemokratisch. Das Schweizer Volk hätte konsultiert und per Referendum gefragt werden müssen, ob es mit dem aussenpolitischen Kurs von Ignazio Cassis einverstanden ist. Der Bundesrat hat gegen die Schweizer Verfassung gehandelt. Es ist eine Treulosigkeit gegenüber dem Schweizer Erbe der Neutralität, eine leichtsinnige und ehrlose Aufgabe von alten, bewährten schweizerischen Traditionen, eine völlig unnötige Preisgabe ohne Gegenleistung. Für die Schweiz ein riesiger Verlust. Und für die übrigen neutralen Staaten eine Schwächung. Hätte sich die Ukraine an der Schweizer Neutralität orientiert, wie es Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg getan hat, wäre uns die aktuelle Auseinandersetzung wohl erspart geblieben. Welchen Stellenwert messen Sie aus Ihrer internationalen Erfahrung als jahrelanger hoher Uno-Beamter und Unabhängiger Experte an der Uno der Neutralität von Staaten bei?Der neue Kalte Krieg, der sich in der Ukraine zu einem heissen Krieg entwickelte, geht auf eine primitive Polarisierung zurück. Die Uno-Charta verpflichtet alle Staaten zum Dialog, zu Verhandlungen. Man braucht mehr neutrale Staaten, nicht weniger. Neutrale Staaten haben eine hohe Glaubwürdigkeit, wenn sie ihre Neutralität nicht preisgeben, und können die Rolle des Schiedsrichters zwischen den Konfliktparteien einnehmen. Diesen Trumpf hat die Schweiz aus der Hand gegeben, den übernimmt jetzt im aktuellen Konflikt die Türkei. Herr Professor de Zayas, vielen Dank für das Interview.Interview Thomas Kaiser ¹ https://www.ohchr.org/en/hr-bodies/hrc/advisory-committee/right-to-peace² https://www.ohchr.org/en/hr-bodies/hrc/right-peace/wg-draft-un-declarationonthe-rightto-peace³ https://www.ohchr.org/en/stories/2013/04/right-peacehttps://www.transcend.org/tms/2016/08/the-un-human-rights-council-adopts-the-declaration-on-the-right-to-peace/

«the adopted declaration is an insult to human rights defenders and anyone who puts their faith in the UN to promote peace in the world. Most strikingly the declaration does not reconfirm the right to peace that was recognized for all peoples in a UN General Assembly declaration adopted in 1984. To adopt a declaration on the right to peace that does not clearly and unambiguously state the right to peace sends the message to all of us that our diplomatic representatives are not acting in our best interests. Either the diplomats needs to be changed or the government officials who appoint them»https://digitallibrary.un.org/record/845647,  A/HRC/RES/32/28 2⁶ In favour: Algeria, Bangladesh, Bolivia (Plurinational State of), Botswana, Burundi, China, Congo, Côte d’Ivoire, Cuba, Ecuador, El Salvador, Ethiopia, Ghana, India, Indonesia, Kenya, Kyrgyzstan, Maldives, Mexiko, Mongolia, Morocco, Namibia, Nigeria, Panama, Paraguay, Philippines, Qatar, Russian Federation, Saudi Arabia, South Africa, Togo, United Arab Emirates, Venezuela (Bolivarian Republic of), Viet Nam
Against: Belgium, France, Germany, Latvia, Netherlands, Republic of Korea, Slovenia, the former Yugoslav Republic of Macedonia, United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland
Abstaining: Albania, Georgia, Portugal, Switzerland
https://www.ohchr.org/en/instruments-mechanisms/instruments/declaration-right-peoples-peace⁸ In favour (17): Argentina, Czechia, Finland, France, Germany, Japan, Lithuania, Luxembourg, Marshall Islands, Montenegro, Netherlands, Paraguay, Poland, Republic of Korea, Ukraine, United Kingdom and United States.
Against (6): Bolivia, China, Cuba, Eritrea, Kasachstan and Venezuela.
Abstentions (24): Armenia, Benin, Brazil, Cameroon, Cote d’Ivoire, Gabon, Gambia, Honduras, India, Indonesia, Libya, Malawi, Malaysia, Mauritania, Mexiko, Namibia, Nepal, Pakistan, Qatar, Senegal, Somalia, Sudan, United Arab Emirates and Usbekistan.
9 https://www.fmreview.org/sogi/tuerk

https://newsrnd.com/news/2022-10-28-un-denounces-tougher-russian-law-on--lgbt-propaganda-.HygcSo4Y4o.html10 https://eclj.org/ ^



«Die Welt ist in einer enormen Umbruchsphase» Interview mit der freien Journalistin und Nahost-Expertin Karin Leukefeld Karin Leukefeld (Bild thk)Zeitgeschehen im Fokus Wir haben im Iran wieder einmal medial aufbereitete Unruhen, die im Westen vor allem als Kampf der «unterdrückten Frauen» gegen die Regierung analysiert werden, aber wohl einen anderen Hintergrund haben. Können Sie dazu etwas sagen?


Karin Leukefeld Wenn wir über diese Frage sprechen, dann möchte ich vorausschicken, dass wir sehr wenig über dieses Land wissen. Das hängt unter anderem auch damit zusammen, dass der Iran seit der Islamischen Revolution vom Westen als Feindesland betrachtet wird. Vor dieser Zeit war der Iran unter der Regierung des Schahs ein Verbündeter der USA. Im «Westen» wissen die Menschen nicht sehr viel über dieses Land. Man bezeichnet die Regierung als «Extremisten» und seit dem Irakkrieg der USA 2003 als «Expansionisten». Dazu zählt man auch das Verhalten im Syrienkrieg an der Seite der syrischen Armee. Aber was gesellschaftlich innerhalb des Landes geschieht, darüber wissen wir sehr wenig. Was wir in den letzten Jahren sehen, ist die Folge von 9/11. Dazu muss man sich nochmals vor Augen halten, was der ehemalige US-General, Wesley Clark, berichtete, nämlich dass man nach den Anschlägen im Pentagon überlegt hatte, welche Länder man aus den Angeln heben soll: Der Iran gehörte auch dazu.


Das war doch die von Gorge W. Bush kreierte «Achse des Bösen».

Das waren die Länder Afghanistan, Syrien, Irak, Libyen, Sudan, Libanon und der Iran. Und viele dieser Länder sind heute zerstört, wirtschaftlich und politisch. Libyen steht dafür als ein fürchterliches Beispiel. Der Iran hat es geschafft trotz dieser unsäglichen Liste von Sanktionen schon seit über 40 Jahren, und zwar nicht nur von Seiten der USA, sondern auch von der EU, sich auf den Beinen zu halten und konnte trotz der wirtschaftlichen Schwierigkeiten seine Souveränität behaupten. Unabhängig davon muss man im Land auch die gesellschaftliche Ebene betrachten. Wie leben die Menschen dort, was haben sie für Vorstellungen? Ich bin selbst im Iran gewesen, was aber schon eine Zeitlang her ist. 


Was haben Sie auf der gesellschaftlichen Ebene festgestellt?

Dass die Frauen, deren Rechte bei uns ständig thematisiert werden, sehr selbstbewusst, forsch und bildungshungrig auftreten. Bei uns wird das Kopftuch gerne als Ausdruck von Unterdrückung gedeutet, aber für die Frauen dort ist das gar nicht so ein Problem. Sie sagten mir damals, dass es nicht ihr Hauptanliegen sei, ob sie ein Kopftuch tragen müssten oder nicht, sondern dass sie lernen wollten. Die Studierenden an den Universitäten sind überwiegend Frauen. Sie sind z. B. stark vertreten in technischen Berufen, was in Europa gar keine Selbstverständlichkeit ist. Man muss schon konstatieren, dass die Situation anders ist, als wir sie von unseren Medien vermittelt bekommen.


Die Sanktionen machen das Leben im Iran wahrscheinlich auch nicht angenehmer?

In diesem Land gibt es garantiert grosse Probleme, nur schon aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Situation. Ich habe Menschen getroffen, die haben das Land verlassen, nicht weil sie sich eingeschränkt fühlten, sondern weil sie ihren beruflichen Traum nicht erfüllen können. Es ist wie in allen Ländern sehr vielschichtig, aber was wir im Moment sehen, das Verhalten der USA oder der EU, die Äusserungen, die sie machen, und die Massnahmen, die sie gegen das Land ergreifen, erinnern mich sehr an den Beginn des Syrienkrieges.


In welcher Beziehung?   

Die mediale Verurteilung, die Sanktionen und die politische Isolation. Da gibt es eine Absicht und ein Interesse dahinter.


Sie haben die Situation im Iran mit der Syriens vor einigen Jahren verglichen.

Hängt die Politik des Westens nicht auch damit zusammen, dass der Iran deutlich an der Seite Syriens steht und enger mit Russ­land zusammenarbeitet? Das spielt auf alle Fälle eine Rolle. Ich fand vor kurzem einen Artikel, der ganz interessant ist. Es hat nämlich an dem Tag, an dem er erschienen ist, ein Treffen mit dem Generalsekretär des russischen Sicherheitsrates, Nicolai Patruschew, und dem Chef des iranischen Sicherheitsrates, Ali Schamkhani, mit ihren jeweiligen Delegationen gegeben, und sie haben über die Ukraine und den Mittleren Osten gesprochen. Dazu hat gestern BBC einen Beitrag veröffentlicht, wonach Patruschew mit dem US-amerikanischen nationalen Sicherheitsberater Sullivan im Gespräch ist. Das heisst, es gibt intensive Debatten, und Jake Sullivan sagte, dass die iranisch-russische Kooperation eine profunde Bedrohung sei.


Wie muss man so eine Aussage deuten?

Die enge russisch-iranische Zusammenarbeit bei der Umgehung der Sanktionen – der Iran hat 40 Jahre Erfahrung mit der Umgehung von Sanktionen – und die militärische Kooperation zwischen Russland und Iran passen den USA überhaupt nicht. Dazu kommt, dass der Iran auch mit China zusammenarbeitet, militärisch sowie wirtschaftlich. Beide Staaten haben ein Wirtschaftsabkommen für 30 Jahre geschlossen. China investiert in den Iran, insbesondere in die Infrastruktur wie in die Stromversorgung oder das Strassen- und Schienennetz. Von diesem Abkommen profitieren auch der Irak, Syrien und der Libanon.


Entsteht hier in der Zusammenarbeit mit China auch ein engeres Verhältnis unter den von Ihnen anfänglich genannten Staaten?

Diese Entwicklung zeigt sich in den letzten zwei Jahren immer deutlicher. China hat im Rahmen seines Seidenstrassenprojekts mit den Golfstaaten schon länger Kontakt aufgenommen und ist in deren Häfen bis ins Mittelmeer präsent. Wir wissen das z. B. von Griechenland. Die von China erschlossene Landverbindung geht über Russland bis nach Rotterdam. Eine weitere Transversale führt durch die zentralasiatischen Staaten, über den Iran, die Türkei bis hin zum Mittelmeer. Dieses Wirtschaftsprojekt ist für die Länder im Nahen Osten von grosser Bedeutung, aber ganz besonders für den Iran. Der Iran verkauft auch sein Öl an China. So gibt es für die USA und für Europa viele Ansatzpunkte, unzufrieden zu sein. 


Auf dem Hintergrund Ihrer Ausführungen kann man sich vorstellen, dass andere die Unzufriedenheit einiger Iraner ausnützen wollen, um das Land zu destabilisieren. 

Die Situation im Iran ist ein Merkmal US-amerikanischer Interventionspolitik nach dem Ende der UdSSR, aber auch schon vorher. Brzezinski beschreibt das auch in seinem Buch «The Grand Chessboard», wie man mit zivilgesellschaftlichen Organisationen religiöse und ethnische Gruppierungen in anderen Ländern infiltrieren kann, da es in den Ländern immer Reibungspunkte oder Ungerechtigkeiten gibt. Besonders deutlich wurde das durch die Veröffentlichung der Korrespondenzen der US-amerikanischen Botschaft in Damaskus durch Wikileaks. Das war noch vor dem Krieg, der in Syrien 2011 begann, als der damalige Botschafter in Damaskus eine Liste aufgestellt hatte, wo Syrien angreifbar sei und wo man ansetzen könnte, z. B. bei den Kurden, bei den Differenzen zwischen Schiiten und Sunniten, bei der Bevorzugung der Alawiten, bei Unzufriedenheit der Drusen etc. An diesen gesellschaftlichen «Bruchstellen» könnte man Konflikte schüren. Wenn man das tut, kann man zivilgesellschaftliche Gruppen oder humanitäre Organisationen unter das Diktat einer Besatzungsmacht stellen, wie das in Afghanistan oder im Irak der Fall war. So kann man auf die Gesellschaften Einfluss nehmen.


Sie haben den Irak erwähnt, der lange unter der Knute der USA gestanden ist. Hier hat man den Eindruck, dass er sich davon etwas wegbewegt. 

Ich glaube, der Irak möchte das gerne, aber hängt mit einem Fuss immer noch in der Schlinge. Die USA haben ihren Abzug beschlossen und verkündet, aber sie haben nur ihren Kampfeinsatz beendet, zugunsten einer Art Ausbildungs- und Beratungshilfe. Damit ­begründen sie ihre fortgesetzte Präsenz genauso wie die Nato-Staaten, die beschlossen haben, ihre Präsenz in Bagdad zu erhöhen. Mit einer «Ausbildungsmission» wird auch die Fortsetzung des Bundeswehreinsatzes im Irak begründet. Man bildet die irakische Armee aus und unterstützt sie technisch.


Von den politischen Entscheidungsträgern im Irak nimmt man doch eher eine Zurückhaltung gegenüber der westlichen Politik wahr. Ist das richtig?

Von aussen betrachtet, ist es ein Ringen zwischen den USA und dem Iran. Saudi-Arabien spielt hier auch eine Rolle. Saudi-Arabien hat eine lange Grenze mit dem Irak. Die Tatsache, dass das Verhältnis zwischen Saudi-Arabien und den USA in der letzten Zeit gelitten hat, drängt den Einfluss der USA in der Region insgesamt zurück. Auch die USA und der Westen haben an Ansehen verloren. Der westliche Einfluss ist also insgesamt zurückgegangen. Der Auslöser für den grossen Imageverlust war u. a. der plötzliche Rückzug der USA aus Afghanistan, denn das machte klar, so kann es einem ergehen, wenn man sich mit den USA einlässt.


Hat sich dadurch das Verhältnis zwischen Saudi-Arabien und dem Iran etwas geändert?

Ja und nein. Es gibt eine Initiative, die ursprünglich angestossen wurde von Intellektuellen aus den jeweiligen Ländern, die die Länder zum Dialog auffordert. Das geschah in Form eines Briefes. Darin stand sinngemäss, man sei seit Jahrzehnten im Krieg und so könne es nicht weitergehen, die Menschen litten, die Wirtschaft gehe zugrunde und ganze Staaten würden zerstört, man müsse wieder zurückfinden zum Dialog. Das war das Offizielle. Inoffiziell war es das russische Aussenministerium, das sich seit dem Eingreifen in Syrien für einen Dialog über die Sicherheit der Golf-Region einsetzt. Sie gehen davon aus, dass das, was in Syrien passiert ist, damit zu tun hat, was zwischen Saudi-Arabien und dem Iran abläuft. Alle müssen an einen Tisch und darüber debattieren, wie man sich gegenseitig Sicherheitsgarantien geben kann. Russland hat auch einen konkreten Plan vorgelegt, der sich an der OSZE orientiert. Diesen hat Russ­land auch dem Uno-Sicherheitsrat vorgelegt, doch der Westen hat ihn nicht aufgegriffen, während die betroffenen Länder dem sehr wohl Beachtung schenkten. Dann kam die Pandemie, und alle waren nur noch damit beschäftigt. 


Hat die Auseinandersetzung in der Ukraine auf die Positionen im Nahen Osten einen Einfluss?

Es gibt inzwischen die offene Konfrontation zwischen der US-geführten Nato und Russland, es gibt international neue politische Allianzen jenseits des US-geführten westlichen Blocks. Saudi-Arabien hat gegenüber Iran erneut eine konfrontative Position eingenommen. Bei den aktuellen Protesten im Iran nutzt Saudi-Arabien seinen Einfluss innerhalb Irans, um das Land zu destabilisieren. Das kommt den US-Interessen entgegen.


Es ist schon auffallend, auch wenn alle Zeitungen etwas anderes berichten, die USA betreiben eine viel aggressivere Politik als die Russen. Während die USA immer versuchen, einzelne Länder oder Volksgruppen zu spalten, um ihren Führungsanspruch durchzusetzen, kann man das bei Russland so nicht beobachten. Auch Putin hat sich lange um eine Kooperation in Eu­ropa bemüht und ist doch immer wieder abgeblitzt. Seine öffentlichen Reden legen ein Zeugnis davon ab.

Wenn man sich die Geschichte des aktuellen Konflikts in der Ukraine anschaut, – und die Ukraine ist nur der Austragungsort, was schlimm genug ist, – dann sieht man auch, dass es vor allem von russischer Seite immer sehr viele Vorschläge gegeben hat. Initiator war besonders Präsident Putin, der Europa gut kennt, vor allem Deutschland. Er war lange Zeit in Deutschland, spricht Deutsch und kennt das Land. Aber das Problem ist, die Nato als Institution der USA hier in Europa ging immer dagegen vor und zeigte kein Interesse daran. Es gibt sowohl kluge Köpfe in den USA als auch in Europa, insbesondere Militärs, die diese Problematik sehr gut herausgearbeitet haben und diese Vorgänge gut beleuchten. Aber sie finden in den Medien zumindest in Deutschland keinen Niederschlag. Die meisten deutschen Medien vermeiden es, auf diese Vorgeschichte im Ukraine-Konflikt einzugehen. 


Gibt es denn Länder oder Regionen, die in letzter Zeit vermehrt mit Russland zusammenarbeiten?

Man sieht dies in Syrien, im Iran, im Mittleren Osten und Asien allgemein oder auch in Afrika. Natürlich will Russland als Grossmacht dort Einfluss nehmen, aber man sieht auch, dass hier positive Beziehungen und eine Zusammenarbeit entstehen. Vieles deutet darauf hin, dass der Ausbruch des aktuellen Konflikts in der Ukraine damit zu tun hat, dass Russland 2015 – auf Bitten Syriens – im Syrienkrieg intervenierte. Die USA und einige der europäischen Staaten waren und sind der Meinung, die arabische Welt sei ihre Interessens- und Einflusssphäre. Nun beansprucht Russland dort seine Interessen – u. a. den Zugang zum Mittelmeer – zu behaupten.


Was sich im Nahen und Mittleren Osten im Moment vollzieht, ist geschichtlich nicht neu. Russland und England hatten im 18. bzw. 19. Jahrhundert bereits Auseinandersetzungen um den Einfluss in Indien oder Afghanistan. Das sind gewisse Konfliktlinien, an denen sich bis heute wenig geändert hat. Vielleicht haben sich die Akteure verändert, aber noch immer geht es um den Anspruch des Westens – heute USA und EU – in Regionen von Ost- und Westasien, im Nahen und Mittleren Osten seinen Einfluss zu behaupten. Russland und China haben durch eine kluge Politik das Vertrauen der Staaten in der Region gewonnen. Das wirkt sich auf das ganze Gefüge aus. Die Staaten des Nahen und Mittleren Ostens haben natürlich auch ihre eigenen Interessen. Noch vor kurzem waren beispielsweise Teheran und Riad im Dialog, heute unterstützt Riad Proteste in Teilen des Irans.


Wenn man die von Ihnen skizzierte Entwicklung im Nahen Osten, der seit dem Sykes-Picot-Abkommen westliche, damals britische und französische, Einflusssphäre war, dann wird man in Zukunft wohl mit weiteren Störmanövern in der Region rechnen müssen.

Ja, wie vor nicht allzu langer Zeit. Als der Dialog zwischen Saudi-Arabien und dem Iran spruchreif wurde, fiel der iranische General Kassem Soleimani einem Attentat zum Opfer. Er sollte in Bagdad eine diplomatische Note für Saudi-Arabien übergeben. Mit diesem Anliegen war er nach Bagdad gereist, als er einem Attentat, das Donald Trump in Auftrag gegeben hatte, zum Opfer fiel. Damit wurde die Dialoginitiative erst einmal unterbrochen. Trump hat dann mit seinem Aussenminister Mike Pompeo, dem ehemaligen CIA-Direktor, und mit seinem Schwiegersohn die «Abraham Initiative» gestartet und die verbündeten arabischen Staaten nahezu gedrängt, eine Vereinbarung mit Israel einzugehen, die darin gipfeln sollte, mit Israel gemeinsam ein Militärbündnis gegen den Iran zu schmieden. Das ging auch weiter ohne Trump. Es ist die US-Linie in der Region, aber es ist nicht ausgemacht, ob sich das entwickeln wird. Sehr wenige Länder wie die Vereinigten Arabischen Emirate oder Bahrain haben ein Abkommen mit Israel unterschrieben, aber die Staaten versuchen, vor allem auch wirtschaftlich voneinander zu profitieren. 


Wie hat sich das auf die anderen arabischen Staaten ausgewirkt?

Es brachte eine Spaltung in die Arabische Liga, die ohnehin sehr schwach ist. Es wird noch schwieriger sein, einen gemeinsamen Weg zu finden, und das stört natürlich die Zusammenarbeit in einer ohnehin schon fragilen Region. 


Die Briten waren historisch gesehen immer sehr aktiv im Nahen Osten. Wie sehen Sie denn die Rolle der Briten heute?

Es gibt eine Kooperation zwischen den USA und Grossbritannien: Die Briten haben das Know-how und die USA das Geld. Die Briten bieten ihr Know-how an, was die Geheimdienstarbeit betrifft. Das hat man in Syrien ganz deutlich gesehen. In der Ukraine ist das auch der Fall. Man sieht das zum Beispiel an dem täglich-morgendlichen Communiqué, das vom «Institute for the Study of War» veröffentlicht wird. Das ist der britische Militärgeheimdienst und hiesige Journalisten bekommen ihre Informationen fast nur von dort. 


Während des Kriegs in Syrien meldete sich doch immer die «Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte» aus London, die über das Kriegsgeschehen Auskunft gab.

Das machen sie bis heute. Diese Stelle wurde vom britischen Aussenministerium finanziert. Das britische Aussenministerium hat eine spezielle Stelle für «besondere Auslandsdienste». Über diese Abteilung werden Offiziere der britischen Armee, die Mitglied der Nato ist, für Sonderaufgaben ausgegliedert. In Syrien gründete James Le Mesurier, ein ehemaliger Offizier der britischen Armee, die «White Helmets». Er war unter anderem ein Spezialoffizier im Jugos­lawienkrieg. Aus Grossbritannien kamen übrigens auch die ersten, die als Freiwillige in den Ukrainekrieg gegangen sind. Es gibt auch ehemalige britische Soldaten, die berichtet haben, dass sie in Syrien für die Kurden gekämpft haben und dann in die Ukraine weitergezogen sind. Es sind Söldner, private Sicherheitskräfte, die für ihren Einsatz bezahlt werden.


Ein Staat, der im Zusammenhang mit den Entwicklungen im Nahen Osten auch eine Rolle spielt, ist die Türkei. Auf der einen Seite ist sie Nato-Land auf der anderen Seite unterstützt sie Russland beim Verkauf des Öls oder bietet sich als Vermittler an. Hier besteht eine Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern. Im Syrienkrieg waren sie in gewissem Sinne Gegner. Die Türkei hat 2015 einen russischen Kampfj?

Die Türkei hat in erster Linie ihre eigenen Interessen. Erdoğan befindet sich im Moment in einer schwierigen Situation. Im nächsten Jahr sind Präsidentschaftswahlen und Erdoğan möchte weiter regieren. Im nächsten Jahr hat die türkische Republik ihren 100. Geburtstag. Dafür hatte er einen gigantischen wirtschaftlichen Plan entwickelt, der natürlich überhaupt nicht umgesetzt werden konnte. Das Land hat riesige wirtschaftliche Probleme, eine Inflation von 83 Prozent, es gibt grosse innenpolitische Schwierigkeiten, deshalb versucht Erdoğan, in jeder Situation zu manövrieren. Er provoziert die Nato mit Schweden und Finnland wegen ihrer Kurdenpolitik. Die Türkei war sehr aufgebracht über das Verhalten der USA, weil sie mit den Kurden in Syrien ein Bündnis eingegangen sind, um den IS zu bekämpfen, der wiederum die Unterstützung der Türkei hatte. In diesen Auseinandersetzungen sind viele Selbstverständlichkeiten, die eigentlich die Bündnispartner verbinden sollten, ausser Kraft gesetzt worden.


Was sind die Folgen?

Durch die Provokationen ist natürlich auch innerhalb der Nato-Partner ein Chaos entstanden. Auch wenn die Türkei immer als wichtiger Bündnispartner an der Südostflanke der Nato betrachtet wurde, lassen sich diese Unstimmigkeiten nicht so einfach beheben. Die Türkei hat sich erheblich von der Nato entfernt, und die Politik Russlands in dieser Beziehung war klug. Man darf nicht ausser Acht lassen, dass die Befreiung Aleppos nur gelungen ist, weil es Russland gelang, mit der Türkei und dem Iran eine Lösung zu finden. Es entstand das Astana-Format, in dem diese drei Staaten mit der Regierung und der Opposition Syriens sprechen. An den Gesprächen sind inzwischen auch die Uno, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz und als Beobachter auch Jordanien, Libanon und Irak beteiligt. Aber die Türkei ist kein zuverlässiger Partner. Dass Ankara sich wieder Assad annähert, hängt sicher damit zusammen, dass die Türkei aktuell von Russland mehr bekommt als vom Westen. Zusätzlich hat die Türkei ihre Position im Hinblick auf die arabischen Staaten verändert. Dazu hegt sie recht gute Beziehungen zum Iran. Es ist eine sehr komplexe Lage, die keine Eindeutigkeiten zeigt.


Inwiefern haben sich die türkischen Beziehungen zu den arabischen Staaten geändert?

Die Türkei hat praktisch die letzten 10 Jahre während des Syrienkrieges das Projekt der Muslimbruderschaft gefördert. Die AKP ist eine Schwesterpartei davon und in Koordination mit Katar. Die Regierung steht auch der Muslimbruderschaft nahe, das hat zu viel Ärger mit anderen Staaten wie Ägypten, Saudi-Arabien und auch mit den Emiraten geführt. Diese Länder braucht die Türkei aber als Partner, wenn sie tatsächlich im östlichen Mittelmeerraum eine Position als Öl-Hub einnehmen will. Die Türkei selbst hat kein Öl, aber sie will eine Drehscheibe für den Ölhandel sein. Erdoğan sieht einen Ausweg aus der wirtschaftlichen Misere, indem er sich den arabischen Staaten neu zu nähern versucht. Dabei wird die Türkei von Russland unterstützt.


Wenn man die Macht- und Einfluss­verschiebung im Nahen Osten, die Sie jetzt aufgezeigt haben, richtig einschätzt, dann muss man doch auch die Ereignisse um die Ukraine unter diesem Gesichtspunkt betrachten. Die USA verliert doch zunehmend an Einfluss im Nahen Osten und das wird sich doch nicht völlig geräuschlos vollziehen?

Was die USA und der Westen völlig unterschätzt haben, ist die starke Ablehnung bei Staaten, von denen sie immer dachten, sie hätten sie auf sicher wie z. B. Saudi-Arabien. 


Lassen Sie uns noch kurz auf Deutschland zu sprechen kommen. Gibt es hier auch eine Änderung in der Politik?

Unter der letzten Regierung Merkel war Deutschland immer bemüht, mit Russland im Dialog zu bleiben. Das war nicht im Interesse Washingtons. Man darf nicht vergessen, unter Obama wurde das Handy von Frau Merkel abgehört. Das ist keine Kleinigkeit und war ein Ausdruck tiefsten Misstrauens. Sie wird gewusst haben, warum das gemacht wurde. Wenn ich mir die heutige Regierung anschaue, hatte Merkel doch letztlich mehr politische Erfahrung. Deutschland wird im Moment geradezu von den USA verschluckt. Der wirtschaftliche Einfluss nimmt zu. Hier wird darüber diskutiert, dass man keine chinesischen Investoren in Deutschland zulassen soll, wie viele US-amerikanischen Investoren sind aber in deutschen Firmen engagiert? Darüber wird gar nicht gesprochen, denn es ist ein Vielfaches davon. Die Politik in Deutschland wird immer mehr von den USA bestimmt.


Ja, diesen Eindruck bekommt man. Vor allem die Politik der Grünen mit Annalena Baerbock als Aussenministerin sind doch der verlängerte Arm der US-Aussenpolitik. Ist Deutschland überhaupt ein souveräner Staat?

Diese Frage stellt sich. Wir haben mit Ramstein eine der grössten US-Militärbasen, die es ausserhalb der USA gibt, die nahezu ein ganzes Bundesland umfasst und immer grösser wird. Man kann schon fast von einem besetzten Land sprechen. Aber es ist nichts in Stein gemeisselt. Die Medien haben wahrscheinlich deshalb so eine starke Rolle, damit man nicht auf die Idee kommt, darüber nachzudenken und in eine andere Richtung zu überlegen. Die Welt ist in einer enormen Umbruchsphase, nicht nur im Nahen Osten. 


Frau Leukefeld, ich danke Ihnen für das Interview.

Interview Thomas Kaiser



Ein neues Zeitalter der Zensur bricht an: Wehret den Anfängen!


Freie Rede ist das Fundament der Res publica, doch selbst demokratische Regierungen sind dabei, dieses Prinzip zu entsorgen

von Dr. phil. Helmut Scheben


Wer etwas auf Google sucht, schaut meist nur die obersten Treffer an. Niemand kennt die genauen Algorithmen, nach denen Google die Reihenfolge seiner Suchergebnisse priorisiert. In den USA fand der Psychologe Robert Epstein mit seinem Team heraus, dass die Suchmaschine auf diese Weise «die Gedanken und das Verhalten ihrer Nutzer weltweit manipulieren kann.» Indem bestimmte Inhalte in der Pole Position platziert und andere unterdrückt werden, könne zum Beispiel das Wählerverhalten von Milliarden Google-Nutzern beeinflusst werden.Google oder Twitter sind längst nicht mehr einfach private Unternehmen, die im gesetzlichen Rahmen tun und lassen können, was sie wollen. Vielmehr verfügen diese Konzerne über eine internationale Marktmacht im politisch und demokratisch sensiblen Informationsangebot.


Früher hatten Staat und Kirche das Monopol auf die orthodoxe Meinung

Zensur von geschriebenen Texten gab es, seit die Schrift erfunden wurde. Umberto Ecco hat in seinem historischen Roman «Der Name der Rose» geschildert, wie die katholische Kirche im Spätmittelalter versuchte, Handschriften verschwinden zu lassen, welche die philosophischen Erkenntnisse der vorchristlichen Antike vermittelten. Die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern war eine Medien-Revolution, welche die Gesellschaft so durchschlagend veränderte wie die heutige Internet-Revolution. Druckerzeugnisse konnten ab etwa 1450 schneller, billiger und in grossen Mengen hergestellt werden, eine Welle der Alphabetisierung setzte ein. Aber Staat und Kirche verloren damit das Monopol auf Verbreitung der orthodoxen Meinung, und die Santa Inquisición, die Behörde zur Unterdrückung der Ketzerei, bekam viel zu tun. 


Die Heilige Inquisition unserer Tage

Mit der digitalen Revolution hat sich die freie Produktion von Texten millionenfach gesteigert, und der Zugang zu Informationen ist grenzenlos geworden. Die politische Sprengkraft dieser Entwicklung bewirkte, dass der Backlash nicht auf sich warten liess. Die Heilige Inquisition unserer Tage heisst zum Beispiel Digital Services Act, ein «digitales Grundgesetz», welches die EU soeben einführt. Es soll in Deutschland das seit 2017 geltende «Netzwerkdurchsetzungsgesetz» ablösen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen versprach, das neue Gesetz werde unter anderem «die freie Meinungsäusserung gewährleisten».Wenn das so ist, muss man sich fragen, warum die Kontrolle der Social Media flächendeckend forciert und die Internet-Überwachung mit künstlicher Intelligenz in einem Ausmass perfektioniert wird, welches man noch vor wenigen Jahren für unvorstellbar hielt. 


YouTube löscht 40 bis 50 Millionen Einträge pro Jahr

Niemand widersetzt sich der Idee von Zensur, wo sie strafrechtlich begründbar ist. Wir sind aber in eine Situation geraten, wo einzelne Netzwerk-Giganten in Kalifornien in völliger Intransparenz entscheiden, was die Zivilgesellschaft sehen, hören und lesen darf. Grosse Online-Plattformen wie die Google-Tochter YouTube löschen 40 bis 50 Millionen Einträge pro Jahr. Sie haben Zehntausende von Moderatorinnen und Moderatoren für die Zensur ausgebildet. Ziel sei unter anderem die Abwehr von Hassrede und Lüge, so wird argumentiert. Das Problem bei dieser «algorithmischen Überwachung» lässt sich mit einer einzigen Frage auf den Begriff bringen: Wer bestimmt, was Wahrheit und Lüge ist, wer legt fest, was Desinformation und was Information ist? Was heute falsch ist, kann sich morgen als richtig erweisen. Das sagen nicht nur Historikerinnen und Historiker, das weiss jeder von uns aus eigener Lebenserfahrung.Vor dem Siegeszug der Social Media hatte die Zensur noch beinah verträgliche, fast könnte man sagen folkloristische Züge. Es gab Bücher, in denen ganze Seiten geschwärzt waren. Diese Art von Zensur war man zwar gewöhnt von Dokumenten, bei Büchern ergibt sich von der rein ästhetischen Wahrnehmung her ein ungewohntes Bild. Dass da ein Buch gedruckt wird, in welchem an schwarzen Balken sichtbar wird, was laut Verfügung der Obrigkeit nicht gelesen werden darf, erinnert ein wenig an die Zeiten von Wilhelm Busch und die Pädagogik des Schulmeisters Lämpel. Oder an den vatikanischen «Index» der sündhaften Bücher, der in meiner Jugendzeit noch galt.


«Ein Prozess völliger Intransparenz»

John Nixon, ein Nahost-Experte der Central Intelligence Agency (CIA), war der erste, der Saddam Hussein nach seiner Gefangennahme im Dezember 2003 ein paar Wochen lang befragte. 2011 schied Nixon aus dem Dienst aus und schickte der CIA das Manus­kript für ein Buchprojekt mit dem Titel «Debriefing the President: The Interrogation of Saddam Hussein». Das Buch erschien 2017 mit zahlreichen schwarzen Abdeckungen. Sechs Jahre lang hatte das Gerangel zwischen dem Autor und seinen ehemaligen Arbeitgebern gedauert, bis endlich klar war, was geschrieben werden durfte und was nicht. Nixon sagte über seine Probleme mit dieser Zensur, es sei ein Prozess von völliger Intransparenz gewesen: «Ich denke, die CIA ist nie auf die Idee gekommen, dass Leute, die einmal dort gearbeitet haben, Bücher schreiben. Es wird immer als eine Art Verrat angesehen.» Wo das politische Problem liegt, wird klar, wenn man liest, was von Nixons Buch noch zu lesen erlaubt ist. Er hält Saddam Hussein zwar für den Kopf eines brutalen, autoritären Regimes, nimmt bei dem Mann aber auch eine gewisse Glaubwürdigkeit und charismatische Züge wahr. Saddam sei 2003 nicht mehr der mächtige politische Player gewesen, den der Westen kolportierte, sondern habe sich vor allem um die Publikation seiner Romane gesorgt. Saddam bestritt gegenüber Nixon, für den fatalen Giftgaseinsatz in der kurdischen Stadt Halabdscha im März 1988 den Befehl gegeben zu haben. Nixon demontiert in seinem Buch somit ein klein wenig das Bild vom grossen Teufel, das im Westen vom irakischen Präsidenten gezeichnet wurde und nützlich war, um den Angriffskrieg zu rechtfertigen. Würde man aber bei den US-Behörden anfragen, so bekäme man ohne Zweifel eine völlig andere Begründung für die Zensur, nämlich den Standard-Text, sie sei unvermeidlich, wo die Sicherheit der USA und ihrer Leute gefährdet sei. Dieselbe Begründung, die mit der Zuverlässigkeit eines Telefonbeantworters ertönt, wenn in den USA mit geschwärzten Texten der Freedom of Information Act (Öffentlichkeitsgesetz) ausgehebelt wird.


Auch in der Schweiz wird munter geschwärzt

Die Methoden der US-Geheimdienste machen seit langem Schule. Der Schweizer Bundesrat wollte seine Impfstoff-Verträge mit der pharmazeutischen Industrie unter Verschluss halten. Als er sich gezwungen sah, diese öffentlich zu machen, liess er weite Teile schwarz machen. Das hört sich in der kleinen Schweiz an wie eine Geschichte aus Seldwyla, aber kaum jemand findet sie lustig.Öffentlichkeitsprinzip und Garantie der Meinungsvielfalt werden bei jeder Festrede als politische Goldwährung der westlichen Demokratien gepriesen. Politische Zensur oder Täuschung der Öffentlichkeit? Um Gottes willen! Das gibt es nur in Russland. Oder in China. Oder in anderen autoritären Systemen. Es sei denn, unsere sogenannte «nationale Sicherheit» wäre in Gefahr. Oder die Interessen mächtiger Konzerne. Oder die Interessen der USA. Dann wird angeführt, die Regierung sei nicht mehr verpflichtet, Auskunft zu geben über ihr Tun. Da kommt es dann vor, dass der Bundesrat knapp zwei Tonnen Dokumente über Atomwaffen-Deals verschwinden lässt, wie bei der Tinner-Affäre. Äusserst praktisch ist immer wieder das rhetorische Juwel, das Handeln der Regierung sei leider «alternativlos». Das Recht der freien Rede und der Meinungsfreiheit ist eine Errungenschaft, die über Jahrhunderte in leidvollen Erfahrungen erkämpft werden musste. Mächtige Konzerne der Internet-Kommunikation sind dabei, dieses Grundrecht demokratischer Politik zu beseitigen. Die politische Zensur ist zum Normalbetrieb geworden. Mit durchschlagendem Erfolg. Dieser ist abzulesen an der Tatsache, dass die erschreckende neue Normalität von der breiten Öffentlichkeit als «ganz normal» betrachtet wird. 


Beispiel Syrienkrieg: Nur die eine Kriegspartei zensuriert

Im Syrienkrieg versuchten die Kriegsparteien mit zahlreichen News-Plattformen, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Die Sicht der Aufständischen, die mit finanzieller und politischer Hilfe des Westens und der Golfemirate die Regierung Assad stürzen wollten, wurde unter anderem verbreitet von einem Medienportal namens Syrian Free Press, das nach bisherigen Erkenntnissen bis heute keiner Zensur unterlag. Anders die Internetseite Syrianfreepress.Wordpress, welche die Position der syrischen Regierung verbreitete. Als ich in meinem Syrien-Archiv die Seite öffnete, um ein Video von 2015 anzuschauen, erhielt ich die Auskunft: «This video is no longer available.» Tausende YouTube-Clips des genannten Portals wurden gelöscht. Wer bei Google nachforscht, der wird belehrt, welches die Gründe für die Sperrung eines Kontos oder Kanals sein können:«Die Community-Richtlinien geben vor, welche Inhalte auf YouTube nicht zulässig sind. Zum Beispiel erlauben wir keine Pornografie, Anstiftung zu Gewalt, Belästigung oder Hassrede.»In dem gelöschten YouTube-Link gab es keine Verstösse gegen diese Richtlinien, sondern politische Argumente zur Beendigung des Krieges in Syrien. Die Entscheidung, die meisten Videos dieser Netzseite zu löschen, war eine politische Zensur. «Hate speech» ist offensichtlich auch ein anderes Wort für «Meinung, die wir nicht ertragen». Und «Falschinformation» ist offensichtlich auch ein anderes Wort für «Meinung, die wir nicht teilen».Die Vorstellung, dass ein Filz von politischen Machtgruppen und Internet-Konzernen systematisch ausschaltet, was politisch unerwünscht ist, ist ein Albtraum. Und dieser Albtraum ist längst Wirklichkeit geworden. Zu offensichtlich sind beispielsweise die derzeitigen Verflechtungen der mächtigen IT-Unternehmen im Silicon Valley mit der Demokratischen Partei und ihren Seilschaften in der Verwaltung und im Sicherheitsapparat. Mark Zuckerberg räumte kürzlich ein, das FBI habe bei Facebook diskret interveniert, um zu verhindern, dass bei der Präsidentenwahl 2020 üble Dinge über die Geschäfte der Biden-Familie in der Ukraine, in China und zahlreichen anderen Ländern publik würden. Die FBI-Leute argumentierten – wie kurz darauf auch US-Geheimdienstler – es handle sich nicht um Fakten, sondern um «russische Desinformation». Nachdem Biden die Wahlen gewonnen hatte, stellte sich heraus, dass die Fakten über die Biden-Deals kein russisches Fake, sondern Fakten waren. Die grossen US-Medien von New York Times bis CNN hatten mit dieser Erkenntnis zugewartet bis nach den Wahlen. Lektion: Mit Warnungen vor feindlichen Angriffen auf die nationale «Cybersicherheit» kann man grosse Medien zum Schweigen bringen. Und eine weitere Lektion: Nichts ist so effizient in der Politik wie diszipliniertes Schweigen im taktisch rechten Moment. Biden hätte möglicherweise die Wahlen verloren.


Info:https://zeitgeschehen-im-fokus.ch/de/newspaper-ausgabe/nr-21-vom-30-november-2022.html#article_1439

02.12.2022

Zeitgeschehen im Fokus
Forschen - Nachdenken - Schlüsse ziehen    (III von III)


Whistleblower: Google interveniert mit politischen Zielen

2019 schickte der Software-Ingenieur Zachary Vorhiess, der acht Jahre bei Google gearbeitet hatte, 950 Seiten interner Google-Dokumente an das US-Justizministerium. Vorhiess sagte, die Dokumente würden beweisen, dass Google keine unabhängige, objektive Plattform mehr sei, sondern eine politische Agenda verfolge: Google sei «eine höchst parteiische politische Maschine», welche zum Beispiel seit 2016 beschlossen habe, nicht zuzulassen, dass jemand wie Trump noch einmal an die Macht käme. Der Whistleblower: «Sie versuchen, die Informations-Landschaft so zu beschneiden, dass sie ihre eigene Version von objektiver Wahrheit verbreiten können.»

Verfechter der Meinungsfreiheit wehren sich allzu häufig nicht gegen Zensur von privaten IT-Giganten oder auch von Regierungen, wenn die Zensur ungeliebte oder feindliche Quellen betrifft wie Donald Tump, Baschar al-Assad oder russische und chinesische Staatsmedien. Man findet es plötzlich verständlich, dass man Bürgerinnen und Bürgern nicht zutraut, selber zwischen Propaganda und Tatsachen zu unterscheiden.


Auch als Twitter die Accounts von Trump und einigen seiner Freunde aus dem Verkehr zog und Amazon und Google die konservative Plattform Parler aus ihrem Web-Angebot nahmen, zeigten sich viele – auch liberale Kreise – äusserst befriedigt. Sie gleichen Lemmingen, die den Abgrund nicht sehen können, auf den sie zulaufen. Denn wenn eine politische Elite es schafft, mit den Internet-Konzernen zu vereinbaren, was wir erfahren und wissen dürfen und was nicht, dann wird aus Demokratie eine Simulation von Demokratie.


Am Ende dieser Entwicklung verwandeln wir uns in eine ideologisch homogene Gesellschaft, grob gesagt: in eine Herde von ferngesteuerten Zombies, die ihre Freiheit und Selbstverantwortung an ein «Wahrheitsministerium» abgegeben haben, wie es George Orwell schildert. Da nützt es wenig zu argumentieren, anderswo sei alles noch schlimmer, in Russland sässe Nawalny hinter Gittern, wer Putins Krieg kritisiere, werde eingelocht, und in China würden die Uiguren verfolgt. Das trifft sicher zu, nur hilft es uns nicht über die Schizophrenie hinweg, dass unsere westlichen Medien täglich emsig über Zensur in Russland, China oder Iran berichten, aber nichts Besonderes dabei finden, dass im Westen tagtäglich Millionen Interneteinträge gelöscht werden, weil verhindert werden soll, dass unsere eigene Sicht der Weltpolitik in Frage gestellt und diskutiert wird.


Weitere Beispiele

Im August 2019 gab Twitter bekannt, man habe mal eben 200 000 Konten gelöscht, die mit den Demonstrationen in Hongkong zu tun hatten. Als Grund wurde Verdacht auf chinesische Desinformation angegeben. Prominente Beispiele der zensurierten Einträge waren unter anderem Video-Szenen, in denen vermummte gewalttätige Demonstranten erschienen. Nun war aber in TV-Kanälen rund um die Welt damals zu sehen, dass es unter den studentischen Demonstranten in Hongkong nicht nur friedliche, sondern auch gewaltbereite gab. Da fühlte sich Twitter offensichtlich veranlasst zu löschen, was nicht ins holzschnittartige Framing von der chinesischen Diktatur passte.


US-Aussenministerin Hillary Clinton löschte kurzerhand dreissigtausend E-Mails auf dem Server, den sie im Keller ihrer Privatwohnung betrieb. Das US-Justizministerium befand, dies sei rechtens. Regierungsmitglieder dürften selber entscheiden, was in Regierungsdokumenten von öffentlichem Belang sei und was nicht.


Wenn das so ist, könnte auch ein Donald Trump dieses Recht in Anspruch nehmen. Er hatte Unterlagen auf sein Anwesen in Florida mitgenommen. Das FBI liess daraufhin den Wohnsitz des ehemaligen Präsidenten durchsuchen. Als das FBI von einem Richter gezwungen wurde, die Begründung für den Durchsuchungsbeschluss zu veröffentlichen, bekam die Öffentlichkeit 38 Seiten präsentiert, die weitgehend schwarz waren. Das macht den Eindruck: Quod licet Jovi Hillary non licet bovi Donald.


Wir sind die Guten und kennen die Wahrheit

Zensur und Geheimniskrämerei werden mit einer Selbstverständlichkeit und Routine betrieben, die schockieren müsste. Tut es aber nicht. Russische TV-Sender werden von der Europäischen Union und auch vom Schweizer Bundesrat verboten. Twitter und YouTube haben die russischen Staatsmedien gesperrt. Auch chinesische TV-Nachrichten sind über Satellit nicht mehr zu empfangen. Als Begründung heisst es, dass sie vom Kreml oder von der chinesischen KP abhängig seien und Propaganda verbreiteten.


Der Bevölkerung wird zugetraut, dass sie Lügen und Irreführungen der Werbung für Produkte und Dienstleistungen durchschaut und einordnen kann. Der Bevölkerung wird ebenfalls zugetraut, dass sie bei Volksabstimmungen mit Unwahrheiten und Irreführungen beider Seiten umgehen kann. Doch wenn es um ausländische Fernsehstationen geht, muss man die Menschen vor allfälligen Lügen und Irreführungen angeblich schützen.


Auch in unseren Redaktionsstuben sitzen journalistische Alphatiere, von denen viele Mitglieder transatlantischer Stiftungen und Think Tanks sind (siehe «Immer einer Meinung» von Uwe Krüger¹ und diese Szene aus «Die Anstalt» , die nach Ausstrahlung zensiert wurde.²) oder an geheimen Regierungsprogrammen beteiligt sind, die «den Einfluss Russlands» bekämpfen. Mit einem Stefan Kornelius in der «Süddeutschen» und im Zürcher «Tagesanzeiger» beispielsweise sind Mediensprecher der Nato überflüssig.


Unsere westliche Medienwelt funktioniert nach dem Motto: Wir sind die Guten und kennen die Wahrheit. Alles andere sind Hybridwaffen des Feindes. Diese gilt es zu unterdrücken, zu löschen, auszuschalten.


Unterdessen breitet sich die Zensur-Mentalität aus. In den USA würden gemäss Umfragen vier von fünf Doktoranden konservative Akademiker von Beruf und Campus ausschliessen, wenn sie könnten («NZZ» vom 18. Nov. 2021).


Die Gründerin des Allensbach-Instituts, Elisabeth Noelle-Neumann, zeigte in den siebziger Jahren in ihrem Standardwerk «Die Schweigespirale», wie Menschen aus Angst vor sozialer Isolierung und Konflikten nicht mehr wagen, zu ihrer Meinung zu stehen. Laut einer neuen Umfrage des Instituts hat fast jede zweite Person in Deutschland das Gefühl, ihre politische Meinung nicht mehr frei äussern zu können.


Was wurde im Westen über die «Listen verbotener Wörter» gelacht, die in der untergegangenen DDR für die Staatsmedien galten! Damals konnte sich niemand vorstellen, dass drei Jahrzehnte später ein neues Zeitalter der Zensur anbrechen würde.


¹ www.blaetter.de/ausgabe/2016/august/immer-einer-meinung

² www.youtube.com/watch?v=p2UC3Eo4FSo

Zuerst erschienen bei:

www.infosperber.ch/politik/welt/__trashed-525/

Wir danken dem Autor für die Abdruckgenehmigung.

 



Wahrung der inneren und äusseren Sicherheit, der Unabhängigkeit und der Neutralität der Schweiz

von Reinhard Koradi


Vor Kurzem haben zwei Mitglieder des Bundesrates ihren Rücktritt aus der Landesregierung erklärt. Kaum waren die Rücktritte veröffentlicht, drehte sich bereits das Kandidaten-Karussell. Bei der Ausmarchung möglicher Anwärter standen einmal mehr die Geschlechterfrage und die Kantonszugehörigkeit im Zentrum der Diskussionen. Kaum ein Wort über das Anforderungsprofil der Kandidaten für einen Sitz im Bundesrat. Weder Eignung, Persönlichkeit, Unbestechlichkeit, politische Positionen noch allfällige Netzwerke und Leistungsausweise wurden in der veröffentlichten Meinung ans Tageslicht gebracht. Geschlecht und etwas im Hintergrund die Kantonszugehörigkeit beherrschen die Schlagzeilen, die an die Öffentlichkeit gelangen. Eine etwas dürftige Diskussionsgrundlage, geht es doch um eine für die Zukunft der Schweiz richtungsweisende Frage, wer, wie und mit welcher politischen Agenda die Schweiz nach innen und aussen vertritt. 

Im Artikel 2 der Bundesverfassung wird unter «Zweck» festgehalten: «Die Schweizerische Eidgenossenschaft schützt die Freiheit und die Rechte des Volkes und wahrt die Unabhängigkeit und die Sicherheit des Landes.»


Weiter unten wird im Artikel 185 festgehalten: «Der Bundesrat trifft Massnahmen zur Wahrung der äusseren Sicherheit, der Unabhängigkeit und der Neutralität der Schweiz.» Der Auftrag an den Bundesrat ist also klar vorgegeben. Die Rekrutierung möglicher Mitglieder des Bundesrates müsste sich grundsätzlich auf das Anforderungsprofil ausrichten, das durch den Zweckartikel zwingend vorgegeben wird.


Ein Assessment für amtierende und angehende Bundesräte

Es geht um Sicherheit, Freiheit, Unabhängigkeit, Neutralität und die Rechte des Volkes. Mit Blick auf die Vergangenheit wurde dieser Auftrag durch die aktuellen und auch früheren Bundesräte doch zu oft arg strapaziert. In den ver­gangenen Jahren hat sich ein erheblicher Graben zwischen der durch den Zweckartikel vorgegebenen ­Aufgabe und der innen- und aussenpolitischen Realität geöffnet. Verfassungstreue und Glaubwürdigkeit gehen immer mehr verloren. Eine Entwicklung, die unser Land und damit die Bevölkerung in unnötige Konflikte und Abhängigkeiten manövriert hat. Neben dem Verlust von Souveränität, Identität und Respekt vor unseren inneren Angelegenheiten durch ausländische Organisationen und Staaten beobachtet man einen schleichenden Abbau der direkten Demokratie und der Bürgerrechte. Jüngstes Beispiel sind die hoheitlich angeordneten Pandemie-Restriktionen. Der fahrlässige Umgang mit der Glaubwürdigkeit, die Vernebelung und Unterschlagung verschiedener Vorgänge in Bundesbern fügt in diesem Zusammenhang der Eidgenossenschaft insgesamt schweren Schaden zu. Mit Bezug auf die fatalen Folgen des Wirkens unserer Exekutive müssten diese und allfällige Amtsanwärter im Rahmen eines Assessments vor dem Volk geprüft, bewertet und wenn notwendig, ausgemustert werden. Inhalte des Assessments wären: Verfassungstreue, Ehrlichkeit, Standfestigkeit, Absage an das «global Gouvernement», Vaterlandsliebe, Respekt vor der Aufgabe, Korrektheit gegenüber dem Volk, Unabhängigkeit im Sinne freier Entscheidungsbildung und -findung. Und last but not least Verzicht auf den Anspruch, das Volk regieren zu wollen. Dagegen ein klares Verständnis, dass man als Mitglied der Exekutive nicht regiert, sondern den Volkswillen erfüllt.


Noch bestimmen die Parteien, wer im Bundesrat bleibt oder neu hinzukommt

Vermutlich wird es noch lange so sein, dass das Volk nimmt, was ihm geboten wird. Aber ist dies noch zeitgemäss? Müssten Bundesräte nicht längst durch die höchste Ebene in unserem Staat, das Volk, gewählt werden können?


Ich denke, dass es vorläufig primär um die Glaubwürdigkeit der Legislative, Exekutive und Judikative geht. Alle drei Ebenen haben immer wieder versagt, wenn es um die Interessen und Rechte des Volkes ging.


Die Herstellung des Vertrauens hat heute oberste Priorität. Dies wird nur möglich werden, wenn das Parlament die Verantwortung wahrnimmt, Persönlichkeiten in den Bundesrat zu wählen, die integer, verfassungstreu und wirklich vertrauenswürdig sind. Offenheit, transparente Vorgänge, keine Manipulationsversuche und Ehrlichkeit sind die Voraussetzungen für die Zurückgewinnung des Vertrauens. Daher die Aufforderung an die Parlamentarier: Wählen Sie nur Bundesräte, die das oben aufgeführte Assessment vor dem Volk bestehen können!

 

Info:https://zeitgeschehen-im-fokus.ch/de/newspaper-ausgabe/nr-21-vom-30-november-2022.html#article_1439

02.12.2022

Jin Jiyan Azadi  Frau Leben Freiheit


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Weiteres:




Debatte

blog interdisziplinäre geschlechterforschung


Systematic use of shame to suppress women’s voice in Iran


gender-blog.de, vom 22. November 2022, Marziyeh Bakhshizadeh

In the history of the women’s movement in Iran, women’s struggle for human rights has always been suppressed in various ways. One of the methods of suppression has been the systematic use of shame. I begin my discussion with a definition of the concept of shame and explain how its use in the public sphere has limited women’s agency in society. I also touch on how the Islamic government has been using shame to exclude women from the public sphere.


Destructive impact of shame

“Shame is a distressing emotion, where we feel faulty and unworthy, defective, exposed, and vulnerable […]. The focus of shame is on our very being, on who we are” (Zahavi 2020: 351). This describes an awareness of the assumption that there is something defective, unqualified, or stupid in a person causing them to behave in a way that prevents them from achieving their goals or causes immoral behavior or antisocial attitudes toward others. This causes self-doubt and anger towards the self. Researchers have pointed to the positive role of shame in encouraging critical thinking toward oneself. This is debatable. In this article, I focus merely on the destructive impact of self-doubt and anger toward oneself caused by shame.


Systematic shaming of women’s bodies

Historically and culturally, there are strong connections between women’s bodies, sexuality and shame. These linkages are both personal and political. If we add religious prescriptions, this sense of shame intensifies along with feelings of guilt.

The Islamic government of Iran has systematically shamed women’s bodies, including their hair, by enforcing the law of obligatory hijab as a symbol of the Muslim woman. By doing so, it has institutionalized patriarchy and the social subordination of women. The Islamic government has made public space an exclusive arena for men. Women can enter and work in this public space on the condition that they accept its masculinity and recognize the alleged superiority of men in this space.

Wearing the hijab and thus making sure that they do not sexually stimulate men by showing their hair has become the responsibility of women if they were to seek agency in these public social structures. Creating a sense of shame among women regarding their hair and body – which obviously confuses and excites men’s sexual feelings – has become part of the Islamic government’s policy.


Personal and political consequences

On closer inspection, this policy was naturally intended to limit the presence of women in society, which threatens the exclusive power of men in social structures. Thus, creating a sense of shame ensures the unchallenged power of men. This is also often understood at men’s public ownership of women’s bodies and justifies their right to sexually harass women on the street. Meanwhile, women are expected to feel shame at the very public violation of her privacy by men. This is how, as Sara Ahmad says, shame becomes a form of cultural politics (Dolezal 2020).

Living with systemic shame has profound and lasting consequences on one’s psyche, both personally and politically. When shame is internalized in the process of socialization, not only is a person’s mental framework shaped, but it also affects the way of one’s being in the world. In this case, shame is no longer merely an emotion, but a kind of personality trait that influences behavior, interactions, and activities in various situations. It can be profoundly disabling and traumatic, affecting a person’s global sense of self and consequently, their expression of intention and agency in the world and towards others. Shame produces a stagnant and deconstructive self-obsession. A woman’s shame is an affirmation of what the patriarchal society believes – that the woman is a person of lesser value (Dolezal 2020).


Suppressed protest and anger turned into a movement

During the years of Islamic government, women have tried to fight against this policy in various ways, from engaging in conciliatory dialogue and entering politics to change the policy – which of course always failed – to civil disobedience against humiliating laws that police their bodies, such as wearing the so-called bad hijab, which is considered as an inappropriate form of dressing that does not conform the standards of the Islamic government’s ideal of covering the hair and body by wearing a long and wide veil or chador. This struggle continued in 2017 in the form of individual protests by the girls of Revolution Street, who unfortunately could not find mass support and were suppressed. However, with the murder of Mahsa Amini, this suppressed protest and anger has intensified and has turned into a movement. This anger, while severely suppressed, not only involved women, but also brought men into the scene in defense of human dignity. In this repression, we see the politics of shame. The repressive forces have not only silenced the protest with batons and by shooting people, but they have also humiliated protesting women by sexually harassing them. An example can be found in this short video (Caution! The content of the video is violent).


Hoping for the victory of “Woman, Life, Freedom”

To end, I refer to the definition of shame by Karl Marx to encourage looking at shame from a different angle, even in its positive meaning. He sees shame as a form of anger at oneself: “Shame is a kind of anger turned in on itself” (Weyher 2012: 351). During the years of Islamic governance, women have been confronted with a gendered theology and a political theology that has always subordinated them to men. Now they are ashamed of having tolerated such a position throughout all these years, and this shame has turned into a kind of anger towards themselves and a motivation to start revolutionary action against the oppressive and discriminatory policies of the Islamic government with its theological justifications and gender politics.

These women, in their intolerance of the systemic shaming they have experienced from the Islamic government, have turned the spotlight on the shamelessness of the Islamic government and its oppressive forces and the shamelessness of religious authorities and clergy in Iran as well as on the heads of other Islamic governments who are silently watching what is happening to women in the Islamic Republic of Iran.



Literatur Dolezal, Luna (2020). Feminism, Embodiment and Emotion. In: Szanto, Thomas and Landweer, Hilge (eds.) The Routledge Handbook of Phenomenology of Emotion. 312-322. New York: Routledge. https://doi.org/10.4324/9781315180786-30

Weyher, L. Frank (2012). Re-reading Sociology via the Emotions: Karl Marx’s Theory of Human Nature and Estrangement. Sociological Perspectives, 55(2). pp. 341-363. https://doi.org/10.1525/sop.2012.55.2.341

Zahavi, Dan (2020). Shame. In: Szanto, Thomas and Landweer, Hilge (eds.) The Routledge Handbook of Phenomenology of Emotion. 349-357. New York: Routledge. https://doi.org/10.4324/9781315180786-34


Weitere Quellen

BBC Persian (o. J.). Accessed 15 November 2022 at https://www.youtube.com/watch?v=Okamhq2nC7E.

TIME (2022). The Struggle for Women’s Rights in Iran. Accessed 15 November 2022 at https://www.youtube.com/watch?v=WIv3dLiB0h8&t=231s.

Zitation: Marziyeh Bakhshizadeh: Systematic use of shame to suppress women’s voice in Iran, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 22.11.2022, www.gender-blog.de/beitrag/shame-suppress-women-iran/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20221122


Info: https://www.gender-blog.de/beitrag/shame-suppress-women-iran

02.12.2022

Auf eigenen Füssen in Petersburg  – was sich in den letzten sechs Wochen dort verändert hat

seniora.org, 02. Dezember 2022, Autor: Gilbert Doctorow, 30. November 2022 - übernommen von Globalbridge.ch

(Red.) Der Westen beschliesst gegen Russland eine Sanktionswelle nach der anderen, immer im Glauben, Russland damit substanziell schaden zu können. Aber schaden diese Sanktionen Russland wirklich? Kann man mit wirtschaftlichen Sanktionen das flächenmässig grösste Land der Welt wirklich schwächen oder gar zerstören? Oder schadet man damit vielleicht sogar sich selbst? Unser geopolitischer, in Brüssel lebender Experte Gilbert Doctorow reiste nach sechs Wochen Brüssel erneut nach St. Petersburg in Russland und berichtet über die dort beobachteten Veränderungen.


globalbridge St. Petersburg mit Fluss NevaSt. Petersburg, eine traumhaft schöne Stadt, im Vordergrund der winterliche Fluss Neva. (Foto St. Petersburg Tourismus)


Zitat: Ich hatte mir vorgestellt, dass mein erster Bericht über diese jüngste Reise nach St. Petersburg, die mit unserer Ankunft am Montag Nachmittag in einem Bus vom Flughafen Helsinki begonnen hat, in einer Woche erscheinen würde, wenn ich genügend Eindrücke gesammelt haben würde. Aber wie Oksana Boyko und ich bei ihrem Interview mit mir vor einer Woche übereinstimmend feststellen konnten, verändert sich das Leben in Russland seit dem 24. Februar in rasantem Tempo, und die ersten 24 Stunden hier haben bereits einige Dinge gezeigt, die ich mitteilen muss, solange sie in mir noch so lebendig sind.


Die erste ist meteorologischer Natur: Petersburg ist jetzt wirklich im Wintermodus.  Bei unserer Ankunft betrug die Temperatur minus 5 Grad Celsius, und es liegt eine Schneedecke auf dem Land. Noch nicht genug, um Ski zu fahren, aber genug, um auf den Gehwegen in unserem halb-vorstädtischen Außenbezirk Puschkin/Tsarskoje Selo ausrutschen zu können…


Warum ist das wichtig? Weil, wenn man bei plus 12 Grad lebt, wie ich es im letzten Monat in Brüssel tat, und man von den Nöten der Ukrainer hört, die im Winter ohne Heizung, ohne Strom, ohne Wasser auskommen müssen, hat diese Geschichte einen fernen, schon fast einen abstrakten Charakter. Wenn man aber selbst unter Bedingungen lebt, die weit unter dem Gefrierpunkt liegen, wird diese Sicht unmittelbar und alarmierend, selbst wenn die Wohnungen, wie es hier in St. Petersburg der Fall ist, überheizt sind und man, weil ohne Thermostaten, die Temperatur durch Öffnen der Fenster reguliert …


Das soll nicht heißen, dass ich eine Schwäche für die Ukrainer und ihre Regierung aus Mördern und Dieben in Kiew entwickelt habe. Nein, aber ich bedaure zutiefst den Verlust von Menschenleben unter der Zivilbevölkerung in den ukrainischen Städten, wenn in den kommenden Wochen das gesamte dortige Energienetz in Schutt und Asche gelegt wird. Die verbliebenen jungen und wohlhabenden Ukrainer werden sich in ihre Autos setzen und vor unserer Haustür in Brüssel und anderswo in der EU landen. Ich denke dabei an den prächtigen Jaguar mit ukrainischen Kennzeichen, der in den letzten Wochen mehrere Male kurz vor meinem Brüsseler Haus geparkt war. Aber die alten Witwen, die Gebrechlichen, die kleinen Kinder in den ukrainischen Städten werden in Scharen in ihren ungeheizten Wohnungen sterben, und niemand außer den Propagandisten, die der EU-Führung empfehlen, noch mehr Gelder rauszuschmeissen, wird davon Notiz nehmen.


Wer aber ist schuld an ihrem Tod? Unsere führenden Politiker in der EU und in den USA werden ohne Umschweife sagen, dass Wladimir Putin schuld ist, weil er die ukrainische Infrastruktur in Stücke bombt. Das ist genauso gutgemeint, wie dieselben Leute von Anfang an gesagt haben, der russische Angriff auf die Ukraine „unprovoziert“ erfolgt. Die Realität ist, dass die Russen ohne die Zerstörung der ukrainischen Energieinfrastruktur die Lieferung von immer zerstörerischeren Waffensystemen aus den Arsenalen der USA und der NATO an die ukrainischen Streitkräfte an der Front nicht stoppen konnten und können. Und es sind diese Lieferungen, die den Krieg verlängern und sein unvermeidliches Ende in Form der ukrainischen Kapitulation einfach hinauszögern.


Aber hier noch ein notwendiges Wort zu den leidenden Witwen, Kranken und unschuldigen Kindern, die in der Mitte dieser Konfrontation stehen. Ihre Behandlung wurde von keinem Geringeren als dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz und seiner Kollegin mit deutschem Pass, der Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen, als „barbarisch“ angeprangert. Das ist nicht nur Heuchelei. Nein, es ist schlimmer als Heuchelei. Die deutschen Politiker scheinen vergessen zu haben, wer die Barbarei in der Mitte des 20. Jahrhunderts neu erfunden hat. Sie vergessen die eine Million Leningrader, ein Drittel der damaligen Stadtbevölkerung, die während der Belagerung durch die deutsche Wehrmacht (1941-44, Red.) verhungert und erfroren sind. Stattdessen weinen sie jetzt über die 6600 Zivilisten, die nach UN-Angaben bisher bei der russischen Militäroperation in der Ukraine gestorben sind. Es wäre so viel besser, wenn sie ganz einfach die Klappe halten und das Anständige tun würden, nämlich die Waffenlieferungen an das Kiewer Regime einzustellen und den Rest der Welt aufzufordern, dies ebenfalls zu tun und auf einen sofortigen Friedensschluss auf der Grundlage der ukrainischen Neutralität zu drängen.


Meine ersten Eindrücke

Nachdem ich diesen ersten überwältigenden Eindruck nun schwarz auf weiß festgehalten habe, komme ich zu den kleinen Eindrücken des Petersburger Alltags nach sechswöchiger Abwesenheit.


Wie üblich habe ich einige Bemerkungen zum Lebensmitteleinzelhandel, die sich aus meinen gestrigen und heutigen Einkaufstouren ergeben haben, bei denen ich meinen nahegelegenen Economy-Class-Supermarkt auf der anderen Straßenseite aufgesucht habe, um Grundnahrungsmittel zu kaufen, und auch den zehn Gehminuten entfernten Perekrostok-Supermarkt der gehobenen Klasse besucht habe. Außerdem besuchte ich den Lebensmittelmarkt im Stadtzentrum von Puschkin, eine 15-minütige Taxifahrt entfernt.


Es gibt Veränderungen im Produktsortiment zu vermelden, vor allem auch bei den Verpackungen. Preisänderungen sind weniger offensichtlich, so wie auch der Benzinpreis an den Tankstellen seit dem 24. Februar nicht mehr als 5 oder maximal10 Prozent gestiegen ist. Bei den Verpackungen stelle ich bei den optischen Aspekten von Kartons für Säfte, Milchprodukte und andere Flüssigkeiten einen neuen Trend zur Vereinfachung fest, nachdem globale Verpackungslieferanten, darunter Tetrapak, den russischen Markt verlassen haben und die Lagerbestände ihrer Produkte abgebaut und durch russische Neulinge auf diesem Gebiet ersetzt wurden. Das Gleiche wird sicherlich bald in den Kühlschränken für Joghurts geschehen, wenn der Abgang von Danone abgeschlossen ist. Momentan ist die Marke Activia noch im Handel. In der Zwischenzeit bringt die Importsubstitution auch den Markteintritt neuer Produktkategorien mit sich, die von lokalen Fabriken hergestellt werden. Ich habe gerade das Marktdebüt von Flüssigwaschmittelkapseln für Waschmaschinen gesehen, die die Pulverwaschmittel ersetzen sollen, deren Angebot durch den Weggang großer westlicher Hersteller wie zum Beispiel Proctor & Gamble eingeschränkt wurde.


Tropische Früchte in Hülle und Fülle

Die Verfügbarkeit von importierten tropischen Früchten in allen Preisklassen des Einzelhandels ist weiterhin beeindruckend. Das Sortiment an Kakis oder Granatäpfeln ist hier sogar viel umfangreicher als in Brüssel. Die berühmten blauen und gelben kernlosen Kishmish-Trauben haben hier Hochsaison. Wie die anderen exotischen Früchte stammen diese traditionellen, in Russland seit Jahrzehnten bekannten Tafeltrauben aus Usbekistan und anderen Erzeugerländern in Zentralasien oder aus der Türkei und Aserbaidschan.


Das Weinsortiment in den Supermärkten der Economy- und Mittelklasse verlagert sich immer mehr von den westeuropäischen Erzeugern zu den russischen und auch zu den Erzeugern aus dem Balkan. Die Herausforderung der Käufer besteht darin, unter den völlig unbekannten Etiketten etwas Trinkbares zu finden, und das zu Preisen zwischen 8 und 10 Euro, die jetzt in den Regalen dominieren.


Mein Besuch an der Fischtheke in Perekryostok nahm eine unerwartete Wendung. Noch vor sechs Wochen hatte ich die hohe Qualität des Wolfsbarschs und der Dorade bemerkt, da sie frischer waren als jene in denselben Fischkategorien und von denselben Exporteuren aus dem Mittelmeerraum nach Belgien gebrachten, und das alles für die Hälfte des Preises oder weniger von Delhaize, Lion oder dem marokkanischen Fischhändler, der Restaurants in unserem Viertel beliefert. Als ich aber dieses Mal an den Tresen trat, begrüßte mich die Verkäuferin mit: „Wir haben keinen importierten Fisch!“ Ich kann nur vermuten, dass sie an meinem italienischen Wintermantel aus Schafsfell und an meiner finnischen Schafsfellmütze erkannte, dass ich in St. Petersburg eben ein Ausländer bin, und daher annahm, dass ich nur Fisch aus meinem Teil der Welt essen würde. Ich versicherte ihr, dass ich nicht auf der Suche nach importiertem Fisch sei, sondern nur nach gutem Fisch. Sie verlor sofort ihre Unfreundlichkeit, vertraute mir an, dass sie seit einigen Wochen keinen importierten Fisch mehr erhalten habe und empfahl mir den ausgezeichneten Sudak von russischen Lieferanten («Sandre» für die Franzosen, «Zander» für die Deutschen, «Sandacz» für die Polen), Flussfische, die sie vorher nicht im Angebot hatte, aber jetzt zu einem Sonderpreis von 6 Euro pro Kilo anbieten konnte. Ich befolgte ihren Rat und das daraus entstandene Abendessen war hervorragend. Eine Alternative wäre Flunder aus Murmansk gewesen, ebenfalls eine sichere Sache und preislich viermal günstiger als der gleiche Fisch in Brüssel.

Ich beschloss, die Geschichte über die fehlenden Lieferungen von importiertem Fisch zu überprüfen, indem ich meinen bevorzugten Fischhändler auf dem Markt von Puschkin aufsuchte. Dort lagen sie in der Vitrine   – sowohl Dorade als auch Wolfsbarsch. Die Verkäuferin sagte, es gebe keine Lieferschwierigkeiten. Sie sagte: „Wir bekommen sie aus der Türkei, und sie sind unsere Freunde, sie unterstützen Russland. Was wir nicht mehr haben, ist etwas aus Norwegen, die eben nicht unsere Freunde sind“. So die Vox populihinter der Fischtheke. Derselbe Fischhändler bietet frischen Lachskaviar aus Kamtschatka (Halbinsel im Nordosten Russlands, Red.) an, der aus einer großen Plastikwanne für 100 Euro pro Kilo verkauft wird.  Früher haben wir schwarzen Kaviar zu diesem Preis gekauft, aber die Zeiten ändern sich, in Russland wie überall. Wir kauften also 150 Gramm und aßen heute Abend die besten Kaviar-Sandwiches seit Jahren.  Offensichtlich ist die Logistik der Versorgung aus Kamtschatka gut in den Griff zu bekommen.


Und in Brüssel?

Wenn ich sage, dass sich das Sortiment in den russischen Supermärkten jetzt ständig ändert, muss ich das in den Zusammenhang mit ähnlichen Vorgängen in Brüssel stellen.  Angesichts der explodierenden Strom- und Heizkosten und der Inflation bei den Lebensmittelpreisen ist die Kaufkraft der belgischen Bevölkerung stark geschwächt, was sich direkt in den Regalen der Geschäfte niederschlägt. In den russischen Geschäften in Brüssel wimmelt es von „Aktionspreisen“ für alle Arten von Lebensmitteln und Non-Food-Produkten. In Belgien sehe ich eine starke Zunahme von Billigprodukten der Marke X auf Kosten der großen, bekannten Marken. Ich sehe, dass billigere Weine aus den Regalen schnell verschwinden, dass billig verpacktes Toilettenpapier ebenfalls schnell aus den Regalen verschwindet, so dass Sie, wenn Sie am Samstagmorgen kein Frühaufsteher sind, wenn Sie für die folgende Woche einkaufen, viele Artikel auf Ihrem Einkaufszettel bereits nicht mehr erhalten können.


Mit Euros oder mit Rubel?

Ich möchte auch noch ein Wort zum Thema Banken und Devisen einlegen. Den meisten Lesern ist sicherlich bekannt, dass die meisten großen russischen Banken von SWIFT abgeschnitten wurden und nicht in der Lage sind, Aufträge russischer Kunden für Überweisungen oder die Bezahlung von Rechnungen aus dem Ausland auszuführen. Was Sie wahrscheinlich nicht wussten, ist, dass einige mittelgroße russische Banken, die keine Verbindungen zur Regierung haben, weiterhin ihren SWIFT-Status genießen. Noch vor sechs Wochen versicherte uns eine dieser Banken mit Sitz in St. Petersburg, dass wir Überweisungen ins Ausland tätigen können, wenn wir hier zum Beispiel eine Immobilientransaktion abschließen. Heute hat die Bank auf ihrer Website die Situation aktualisiert und erklärt, dass sie nur noch Überweisungen von mindestens 50.000 Euro oder Dollar akzeptiert. Ich besuchte deshalb ihr Büro, um mich zu vergewissern, dass es sich nicht um einen Fehler handelte, und erfuhr, dass dies in der Tat ihre neue Geschäftspolitik ist und wahrscheinlich dazu dient, kleine Privatkunden wie uns davon abzuhalten, sie mit einem Auftrag zu belästigen, von dem sie wissen, dass er wahrscheinlich in Tränen enden wird. Die Erfahrung hat sie gelehrt, dass es auf der Absenderseite zu Verzögerungen von einer Woche oder mehr kommen kann, während der die russische Regierung die Transaktion prüft, und dass es auf der Empfängerseite in Europa sogar zu monatelangen Verzögerungen kommen kann, je nach Land in der EU sogar zu einer vollständigen Blockierung der Transaktion und ohne Rückerstattung.


Und während sich eine Tür schließt, öffnet sich eine andere. Gleich zu Beginn der militärischen Sonderoperation und des Ausschlusses Russlands von SWIFT waren die Wechselkurse auf bizarre Weise volatil, bis die russischen Banken marktgesteuerte Wechselkurse einführten, die den Kurs der Zentralbank für ihre Geschäfte mit Privatkunden ersetzten.  Und dann wurde schnell klar, dass diese Kurse theoretisch waren, weil die Bankfilialen in ganz Russland keine Euro- oder Dollar-Banknoten vorrätig hatten, um die Nachfrage ihrer Kunden zu befriedigen. Heute aber kann ich bestätigen, dass die russischen Banken in meiner Umgebung in Petersburg mit Fremdwährungen überschwemmt sind. Man kann in eine Bank gehen und vor Ort 20.000 Euro gegen Rubel in bar kaufen. Bei einer anderen Bank, der Sberbank, kann man dieselben 20.000 Euro zur Lieferung am nächsten Tag bestellen. Wie man die plötzliche Flut von Euro-Bargeld in russischen Banken erklären kann, wo es doch praktisch keinen Touristenverkehr mehr  gibt, entzieht sich bisher meinem Verständnis.


Ich schließe meinen kleinen aktuellen Bericht mit einer Information darüber, wer genau mit den vier täglich verkehrenden Bussen der konkurrierenden Unternehmen «Ecolines» und «Lux» über die Grenze von Finnland nach Russland kommt. Am Montag Morgen erlebten wir auf dem Busdepot des Flughafens Vantaa Helsinki die Abfahrt des Ecolines-Busses um 8.15 Uhr mit etwa sechs Fahrgästen an Bord. In unserem Lux-Bus, der um 8.45 Uhr abfuhr, waren aber etwa 40 der 50 Sitzplätze besetzt. In unserem Fall stellte sich bei der Passkontrolle schnell heraus, dass außer einem finnischen Ehepaar mit ihrem Kleinkind und ausser mir alle anderen Fahrgäste russische Staatsbürger mit doppelter Staatsangehörigkeit und EU-Pässen waren. Bei den Ecolines-Passagieren handelte es sich jedoch um Ukrainer, und allein aus diesem Grund holten wir ihren Bus an der russischen Grenze ein, da die Insassen einer eingehenden Befragung unterzogen wurden.


(zu Foto) Sankt Petersburg ist keine typische europäische Großstadt mit modernen Wolkenkratzern, sondern besticht durch alte elegante Gebäude mit unzähligen Verzierungen und vergoldeten Dachkuppeln. Die historische Innenstadt mit rund 2300 Palästen zählt seit 1991 zum UNESCO Weltkulturerbe. (Foto russland-erleben.com)


Zum Originalbericht in Englisch, hier anklicken. Die Übersetzung besorgte Christian Müller.

Meinungen in Beiträgen auf Globalbridge.ch entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.


Zum Autor Gilbert Doctorow: «Gilbert Doctorow is an independent political analyst based in Brussels. He is a magna cum laude graduate of Harvard College and holds a doctorate in Russian history from Columbia University. From a position as postdoctoral fellow at Harvard’s Russian Research Center in 1975 he transitioned to corporate business, serving major U.S. corporations in their ambition to establish industrial projects in the USSR under conditions of detente. His twenty-five year business career culminated in the position of Managing Director, Russia during the years 1995-2000. Since 2010, Doctorow has published collections of his weekly essays on US-EU-Russian relations and most recently brought out a two volume edition of his diaries and reminiscences.  Volume I of „Memoirs of a Russianist,“ bears the subtitle „From the Ground Up“ and sets out the background to his analytic mindset on Russia, on the United States that we see in his present-day essays. Volume II   – „Russia in the Roaring 1990s“  is one of the first monographs devoted to the life and times of the foreign community of corporate managers in Moscow and St Petersburg that numbered 50,000 families in the capital alone in 1995. It documents in diary entries and newspaper clippings how the Russian market was won by foreign interests in the 1990s, only to be lost in the spring of 2022 by the sanctions and „cancel Russia“ policies of the Collective West.  A Russian language edition in a single 780 page volume was published by Liki Rossii in St Petersburg in November 2021.   – Zu Gilbert Doctorows Website hier anklicken.


Info: https://seniora.org/wunsch-nach-frieden/demokratie/auf-eigenen-fuessen-in-petersburg-was-sich-in-den-letzten-sechs-wochen-dort-veraendert-hat?acm=3998_1583

02.12.2022

Lügen über den Krieg in der Ukraine entlarven

globalresearch.ca, vom 01. Dezember 2022, Von Eric Zuesse


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Ausführlicher Bericht:

 

Lüge Nr. 1: Der Krieg begann am 24. Februar 2022, als Russland in die Ukraine einmarschierte.

Bevor der ukrainische Präsident Volodmyr Selenskyj die Verhandlungen mit Russland zur Beilegung des Krieges in der Ukraine abbrach, sagte er am 20. März 2022 gegenüber Fareed Zakaria von CNN: „Ich habe darauf hingewiesen, dass der Krieg in der Ukraine seit acht Jahren andauert. Es ist nicht nur eine spezielle militärische Operation.“Zakaria hatte ihn gefragt: „Sie haben kürzlich gesagt, dass die Ukraine vielleicht kein Mitglied der NATO sein wird. Das haben Sie zugegeben. Könnte das – es gibt Leute, die fragen, könnte dieses Zugeständnis, wenn Sie es früher klar und laut gemacht hätten, hätte das diesen Krieg verhindern können? In Selenskyjs Antwort hieß es, dass ein solches „Zugeständnis“ der Ukraine – es sei denn, einige NATO-Staaten würden sich verpflichten, „Garantien“ für den Sieg der Ukraine in diesem achtjährigen Krieg zu leisten – für die Ukrainer inakzeptabel wäre, da dieser Krieg „vor acht Jahren“ begonnen habe. früher, und sie würden jetzt – nach Russlands Invasion in der Ukraine am 24. Februar 2022 – kein „Zugeständnis“ eines unverzichtbaren Teils dessen akzeptieren, wofür ihr Militär schon lange davor gekämpft hat, und zwar seit 2014 – virtuelle, wenn nicht offizielle Mitgliedschaft in der NATO,317 Meilen von Russlands Kommandozentrale im Kreml entfernt. Das war in diesem achtjährigen Krieg immer das Ziel der Ukraine. Und wenn die Ukraine es jetzt Russland „zugestehen“ würde, würde die Ukraine das verlieren, was sie seit acht Jahren bekriegt, um es zu erreichen . Er sagte Zakaria auch, dass die Ukrainer niemals Zugeständnisse an Russland akzeptieren würden, was vor 2014 ukrainisches Land war: Krim und Donbass: „Kompromisse in Bezug auf unsere territoriale Integrität und unsere Souveränität … Wir können darauf nicht einwilligen.“


Die Nato-Frage gehört dazu:

„Die NATO könnte eine Quelle von Garantien für die Ukraine sein, aber wir werden nicht als Mitglied der NATO akzeptiert, also muss die Ukraine andere Sicherheitsgarantien von einzelnen Ländern suchen, die NATO-Mitglieder sein könnten. Das ist, was wir vorschlagen, eine Reihe von Führern der Länder der Welt könnten die Quelle der Garantien für die Ukraine sein. Sie könnten Teil dieses Kreises mächtiger Länder sein. Darüber können wir sprechen, Sicherheitsgarantien für die Ukraine.“


Sein Krieg in der Ukraine ist ein Krieg um die „Souveränität“ innerhalb der Ukraine, der vor 2014 existierte, und schließt das Recht der Ukraine ein, Raketen der USA oder ihrer Verbündeten dort innerhalb von nur fünf Flugminuten von der nuklearen Vernichtung entfernt stationieren zu lassen Kreml.


Er sagte sogar: „Uns läuft die Zeit davon. Sie müssen die Ukraine sofort in die NATO aufnehmen.

Wir haben nicht viel Zeit. Sie müssen die Ukraine als Mitglied der EU akzeptieren [als Sprungbrett, um in die NATO aufgenommen zu werden]“. Mit anderen Worten: Nur als vorübergehende Maßnahme würde er akzeptieren, dass einige NATO-Staaten „Garantien“ für denSieg der Ukraine in diesem achtjährigen Krieg anbieten – und er hält jetzt dasselbe Ziel fest, das die ukrainische Regierung seit 2014 verfolgt: für US-Raketen sollen in der Ukraine stationiert werden können und damit nur fünf Minuten Raketenflugzeit vom Kreml entfernt sein . (Während der Kubakrise von 1962 weigerte sich JFK, sowjetische Raketen 1.131 Meilen  von Washington DC entfernt zu platzieren.)


Hier ist ein Video des Regimewechsels 2014 in der Ukraine, der diesen Krieg ausgelöst hatte. Und hier ist, was zu diesem historischen Ereignis des Regimewechsels geführt hatte . Und so führte dieses historische Ereignis des Regimewechsels letztendlich zu Russlands Invasion in der Ukraine am 24. Februar 2022 .


Also: Die große Lüge über den Krieg in der Ukraine ist, dass er am 24. Februar 2022 begann, anstatt vom 20. bis 26. Februar 2014. Sogar der ukrainische Präsident räumt ein, dass es falsch ist. Aus irgendeinem Grund erkennen die Führer der „Verbündeten“ der Ukraine ( insbesondere der USA) dies nicht an.


Lüge Nr. 2: Russlands Invasion in der Ukraine am 24. Februar 2022 war „illegal“.

Aus diesem Grund könnte Russlands Invasion in der Ukraine am 24. Februar 2022 nach internationalem Recht als legal angesehen werden:


Niemand behauptet, dass US - Präsident John F. Kennedy keine internationale gesetzliche Genehmigung für einen Einmarsch in die Sowjetunion hatte, wenn die Sowjetunion ihre atomar bestückten Raketen nur 1.131 Meilen von Washington DC entfernt auf Kuba stationieren würde. Jeder erkannte, dass, wenn die Sowjetunion und Kuba dies tun würden, dies einen Akt der Aggression gegen die Vereinigten Staaten darstellen würde, weil diese Raketen so nahe an Amerikas Kommandozentrale in DC wären, dass sie einen nuklearen Blitzangriff der Sowjets ermöglichen würden Union so schnell, dass es möglicherweise Amerikas strategischem Kommando verbietet, den Angriff rechtzeitig zu erkennen, um seine eigenen Vergeltungsraketen abzufeuern.


Dies ist das Prinzip, dass jede große Weltmacht das nationale Selbstverteidigungsrecht besitzt , jeder angrenzenden Nation zu verbieten , Waffen und Streitkräfte einer großen Weltmacht, die dieser großen Weltmacht feindlich gesinnt ist,in dieser angrenzenden Nation zu stationieren.

Während Kuba 1.131 Meilen von DC entfernt ist, ist die Ukraine nur 317 Meilen vom Kreml entfernt. Fünf Minuten vor dem Kreml wären so nah, dass das Spiel für Russland vorbei und die USA schachmatt wären


JFK forderte sowohl von Kuba als auch von der Sowjetunion, dass NIEMALS sowjetische Raketen in Kuba stationiert werden, und die Sowjetunion versprach dann, dass sie dieser nationalen Sicherheitsforderung der USA nachkommen würden; damit wurde der dritte Weltkrieg abgewendet.


Diesmal waren die Aggressoren Amerika und die Ukraine; und Russland (das einer noch größeren Bedrohung ausgesetzt war als Amerika im Jahr 1962) stellte die gleiche Forderung wie JFK, aber seine Feinde waren/sind entschlossen und klare Aggressorennationen – sie weigerten sich, der Forderung nachzukommen.


Warum behauptet JEMAND, dass es keine Aggression der USA und der Ukraine gegen Russland darstellen würde, wenn man den Vereinigten Staaten erlauben würde, ihre Raketen nur 317 Meilen (einen 5-minütigen Raketenflug entfernt) vom Kreml zu platzieren? Die Aufnahme der Ukraine in die NATO würde den Regierungen der USA und der Ukraine das Recht einräumen , US-Raketen 317 Meilen vom Kreml entfernt zu platzieren – etwas, das keine vernünftige Regierung Russlands jemals zulassen würde. Wie die russische Regierung sagte, ist diese Frage des dauerhaften Ausschlusses der Ukraine aus der NATO „eine Frage von Leben und Tod“ für Russland. Und DAS ist der Grund dafür .


Der Präzedenzfall der Kuba-Krise räumte ein, dass Russland nun ein nationales Verteidigungsrecht hat , um zu verlangen, dass die Ukraine NIEMALS in die NATO aufgenommen wird. Dies weigern sich die USA, ihr antirussisches Militärbündnis NATO und die bestehende ukrainische Regierung anzuerkennen.


Am 17. Dezember 2021 forderte Russland sowohl von den USA als auch von ihrem antirussischen Militärbündnis NATO schriftliche Zusagen, dass die Ukraine NICHT IN DIE NATO AUFGENOMMEN WIRD. Am 7. Januar 2022 sagten Amerika und sein NATO-Angriffsbündnis beide Nein.


„Nukleare Vormachtstellung“ der USA und „Atomkrieg im Blitzkrieg“: Russland reagiert auf Amerikas Plan, den Dritten Weltkrieg zu gewinnen


Das ließ Russland entweder vor Amerika und seiner NATO kapitulieren oder sonst in die Ukraine einmarschieren, um diesen Angreifer – Amerika – daran zu hindern, im Wesentlichen das zu tun, wozu JFK die Sowjetunion gebracht hatte : den äußerst vernünftigen ( eigentlich notwendig) fordern und so versprechen, die Ukraine NIEMALS in die NATO aufzunehmen.


Amerika (und seine NATO) zwangen damit Russland, in die Ukraine einzumarschieren, um ein nukleares „Schachmatt!“ zu verhindern. durch das US-Regime . Der Angreifer war Amerika – NICHT Russland.


Alle Propagandaorgane der USA und ihrer Verbündeten (einschließlich der akademischen), die den verlogenen Ausdruck „Russlands illegale Invasion der Ukraine“ verwenden, müssen daher als die Lügner anerkannt werden, die sie tatsächlich sind. (Andernfalls: Sie müssen erklären, dass JFK gegen das Völkerrecht verstoßen hat, indem er Chruschtschow mit einer amerikanischen Invasion drohte, wenn sowjetische Raketen auf Kuba stationiert würden.)


Was das Beispiel der Kuba-Krise zeigt, ist eine detailliertere Aussage des Westfälischen Prinzips oder des „Westfälischen Staatensystems“ , wie es die Oxford Reference definiert:


ÜBERBLICK

Westfälisches Staatensystem


KURZÜBERSICHT

Begriff aus den internationalen Beziehungen, vermutlich aus den Westfälischen Verträgen von 1648, die den Dreißigjährigen Krieg beendeten. Gemeinhin wird darunter ein Staatensystem oder eine internationale Gesellschaft verstanden, die aus souveränen staatlichen Einheiten besteht, die innerhalb ihrer gegenseitig anerkannten Territorien das Gewaltmonopol besitzen. Die Beziehungen zwischen Staaten werden durch formelle diplomatische Beziehungen zwischen Staats- und Regierungschefs geführt, und das Völkerrecht besteht aus Verträgen, die von diesen souveränen Einheiten geschlossen (und gebrochen) werden. Der Begriff impliziert eine Trennung der inneren und der internationalen Sphäre, so dass Staaten nicht rechtmäßig in die inneren Angelegenheiten anderer eingreifen dürfen, sei es zur Verfolgung von Eigeninteressen oder durch Berufung auf eine höhere Vorstellung von Souveränität, sei es Religion, Ideologie, oder andere supranationale Ideale.


Richard Coggins

RTC

Aus:   Westfälisches Staatensystem   in   The Concise Oxford Dictionary of Politics

Das zitiert zwei „Imperien“ – das heilige römische und das osmanische – aber tatsächlich verstoßen ALLE Imperien gegen den Westfälismus. Dazu gehört auch das heutige amerikanische Imperium.


Während des Zweiten Weltkriegs waren FDR und Stalin die Befürworter des Westfälismus, und die Gegner des Westfälismus waren Churchill, Hirohito, Mussolini und Hitler. Truman und sein persönlicher Held Eisenhower wurden Roosevelts Nachfolger, und beide waren Gegner des Westfalenismus. Das war der Grund, warum der Kalte Krieg begann: Beide der ersten beiden amerikanischen Präsidenten nach Roosevelt waren Imperialisten. Sie schufen das heutige, vom militärisch-industriellen Komplex kontrollierte Amerika, die internationale amerikanische Diktatur , die jetzt existiert und die die Demokratie Roosevelts ersetzt hat.


Ein interessantes Nebenlicht dazu ist, dass der sunnitische Islam und die Leidenschaft, die einige von ihnen für die Errichtung eines internationalen „Kalifats“ haben, den Imperialismus akzeptieren oder ihn sogar befürworten (wie es die Befürworter des Kalifats tun), der schiitische Islam den Imperialismus ablehnt, und das war es auch einer der Hauptgründe, warum der schiitische Iran von allen imperialistischen Regierungen abgelehnt wird. So formulierte es der iranische Ayatollah Khamenei in seiner „Rede des Anführers beim Treffen mit Soldaten und Kommandanten der Ära der Heiligen Verteidigung“ vom 21. Oktober 2006 :


Es gibt zwei wesentliche Unterschiede zwischen einem Verteidigungs- und einem Offensivkrieg in Bezug auf Bedeutung und Inhalt. Ein Unterschied besteht darin, dass ein Offensivkrieg auf Übertretung und Aggression basiert, während dies bei einem Verteidigungskrieg nicht der Fall ist. Der zweite Unterschied besteht darin, dass ein Verteidigungskrieg ein Ort ist, an dem Eifer, Mut und tiefe Loyalität gegenüber Idealen entstehen. Diese Ideale können sich auf das eigene Land beziehen oder … auf die eigene Religion. …. Das gibt es in einem Offensivkrieg nicht. Wenn zum Beispiel Amerika den Irak angreift, kann ein amerikanischer Soldat nicht behaupten, dass er es aus Liebe zu seinem Land tut. Was hat der Irak mit seinem Land zu tun? Dieser Krieg dient anderen Zielen, aber wenn ein Iraker sich dieser militärischen Invasion und Präsenz in seinem Land widersetzt, bedeutet dies, Widerstand zu leisten und sein Land zu verteidigen,


Seit dem Tag, an dem das Saddam-Regime Teheran angriff und den Flughafen angriff, bis zu dem Tag, an dem Imam (ra) die Resolution akzeptierte, war eine glorreiche Ära. Und es war weiterhin eine glorreiche Ära, bis Saddam erneut angriff und unsere Revolutionäre und Mudschaheddin die gesamte Wüste eroberten. Die Basiji-Jugend aus dem ganzen Land nahm am Krieg teil und zeigte eine erstaunliche Leistung. Dieses Mal – das zweite Mal, dass der Irak angegriffen hatte – gelang es ihnen, ihn zum Rückzug zu bewegen.


Zwischen 1953 und 1979 war der Iran Teil (dh ein Vasall) des damals wachsenden amerikanischen Imperiums, und Khamenei lehnte in dieser Rede DIESES Amerika grundsätzlich ab – das imperialistische Amerika nach FDR. Aber dass Amerika jetzt in beiden politischen Parteien Amerikas überparteilich ist und Krieg gegen die antiimperialistischen Nationen von heute führt, hauptsächlich Russland, China und den Iran – aber auch gegen jede Nation, die einer dieser drei freundlich gesinnt ist. Die antiimperialistischen Nationen sind prowestfälisch; die imperialistischen Nationen sind (und waren es schon immer) antiwestfälisch .


Seit Obamas Putsch in der Ukraine im Jahr 2014 war und ist die Ukraine ein US-Vasallenstaat. Seine Forderung, das Recht zu haben, dass US-Raketen nur etwa 300 Meilen vom Kreml entfernt stationiert werden, ist eigentlich eine Forderung der US-NATO, die an die Führer dieser Vasallennation als Voraussetzung gestellt wird, um Waffen von der US-NATO dagegen erhalten zu können Russlands Invasion vom 24. Februar 2022. Zelensky ist ein Handlanger der US-NATO. Dieses ganze Problem ist ein Problem des US-Imperialismus. Die Ukraine ist Amerikas Stellvertreter. Russland wehrt sich gegen die US-Aggression.


Das heutige Völkerrecht erwähnt das Westfälische Prinzip nicht, weil FDR gestorben war und die UNO (die er erfunden und benannt hat) nach Trumans Ebenbild geschaffen wurde, nicht nach FDRs; und so akzeptiert es den Imperialismus (den FDR leidenschaftlich verachtete und verabscheute ). Das ist Teil der daraus resultierenden Ausweidung der von Roosevelt geplanten UNO


Lüge Nr. 3: Russlands Invasion in der Ukraine am 24. Februar 2024 war nicht provoziert.

Klicken Sie darauf, um Beispiele dieser rabiat falschen Anschuldigung zu sehen; und hier und hier sind zwei typische Beispiele dafür. Aber die Provokation ist Amerikas Forderung, dass seine Vasallennation Ukraine ein „Recht“ haben muss , US-Raketen nur 5 Minuten von Moskau entfernt zu platzieren. Es ist empörend und eine Verletzung des Westfälischen Denkens (das auf einer klaren Unterscheidung zwischen Angreifer und Verteidiger beruht).


Lüge Nr. 4: Russlands Invasion in der Ukraine vom 24. Februar 2022 war aggressiv, nicht defensiv.

Folglich sind die Phrasen „Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine“ und „Russische Aggression gegen die Ukraine“ , die zwei typische Phrasen in Medienberichten und offiziellen Erklärungen gegen Russland in diesem Krieg sind – typische Beispiele sind dies und das – alles dreiste Lügen. Warum werden sie jetzt gegen Russland eingesetzt, wo doch 1962 niemand behauptete, JFK habe in der Kubakrise anders als defensiv gehandelt? (Außerdem: Er war nicht dafür verantwortlich, dass sein neokonservativer Vorgänger Eisenhower 1959 US-Raketen in der Türkei stationiert hatte, was herbeigeführt worden warwas Chruschtschow in Kuba tat. In der Siedlung, die den Dritten Weltkrieg verhinderte, wurden sowjetische Raketen aus Kuba und amerikanische Raketen aus der Türkei entfernt. Das US-Regime war tatsächlich der Aggressor in der kombinierten Türkei-Kuba-Raketenkrise von 1959-1962.)


Jeder angebliche Bericht, der Ausdrücke wie „Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine“ und „Russische Aggression gegen die Ukraine“ verwendet , ist Propaganda – verlogene „Nachrichten“ oder „Geschichte“ – die sich auf die falsche, unausgesprochene Annahme stützt, dass Russland in die Ukraine einmarschiert ist Am 24. Februar 2022 begann der Krieg in der Ukraine , anstatt auf einen Krieg in der Ukraine zu reagieren, den die Regierung von US-Präsident Barack Obama (einschließlich Joe Biden) – die amerikanische Regierung – dort tatsächlich im Jahr 2014 gegen den ukrainischen Nachbarstaat Russland begonnen hatte. Amerika plant letztlich eine Invasion Russlands ausdie einzige Nation, die nur 300 Meilen von Moskau entfernt ist (Russlands zentrales Kommando – während der Kubakrise von 1962 viel näher als Kuba an Washington DC war ).


Hier sind, wie in den Links bewiesen, die historischen Fakten, die die zunehmende Aggression der US-Regierung gegen Russland dokumentieren – wobei die Ukraine als primäres Sprungbrett in ihrem Plan zur Eroberung Russlands dient:


Die Obama-Administration verübte im Februar 2014 einen blutigen ukrainischen Staatsstreich (versteckt hinter ukrainischen Demonstrationen zur Korruptionsbekämpfung, für deren Führung die CIA und das Außenministerium lokale rassistisch-faschistische antirussische Ukrainer ausgebildet und organisiert hatten ), um den demokratisch gewählten Präsidenten der Ukraine zu stürzen und zu ersetzen ihn durch ein rassistisch-faschistisches (ideologisch Nazi-) Regime, das sofort die ukrainischen Generäle durch Generäle ersetzte, um pro-russische Ukrainer ethnisch zu säubern und einige zu töten und die anderen zu terrorisieren, damit sie nach Russland fliehen, um die Menschen in den ukrainischen Regionen loszuwerden, die sie hatten 70 % oder mehr für diesen demokratisch gewählten Präsidenten gestimmt haben– und diese ethnische Säuberung würde es dem von den Nazis in den USA installierten Regime in der Ukraine ermöglichen, „demokratisch gewählt“ zu werden und so die Kontrolle der US-Regierung über dieses Land an der Grenze zu Russland fortzusetzen .


Die vollständigen Details finden Sie hier .


Also: Alle vier dieser Sätze ( „Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine“ , „unprovozierter Krieg in der Ukraine“ und „russische Aggression gegen die Ukraine“ und (der hier ganz oben gezeigte) „Der Krieg begann am 24. Februar 2022“ sind Lügen, die den Angreifer (angeblich Russland, aber eigentlich Amerika) und den Verteidiger (angeblich die Ukraine – die Amerikas Stellvertreter in ihrem Krieg gegen Russland ist) umkehren – der Verteidiger ist hier eigentlich Russland).

Der Krieg in der Ukraine begann mit Obamas Putsch , nicht mit Putins endgültiger Reaktion darauf (die kurz nach der Ablehnung der Forderung Russlands durch Amerika am 7. Januar 2022 stattfand, die Ukraine NICHT in die NATO aufzunehmen). Das weiß sogar Zelensky (wie hier eingangs bewiesen wurde). Und sowohl er als auch sein Vorgänger Poroschenko sind sich bewusst, dass der Sturz des demokratisch gewählten Präsidenten der Ukraine im Februar 2014 und die Einsetzung des Post-Putsch-Regimes bedeuten, dass ihre eigenen Präsidentschaften ebenfalls illegal waren und sind.


Amerikas Plan hier ist es, seine Raketen an der ukrainischen Grenze zu Russland zu platzieren, nur einen fünfminütigen Raketenflug vom nuklearen Angriff auf den Kreml entfernt, und damit Russlands zentrales Kommando zu enthaupten – zu schnell für Russland, um seine Vergeltungsraketen abzufeuern .


Welche Macht haben Lügen?


Bei einer Abstimmung in der UN-Generalversammlung am 14. November stimmte die UN-Generalversammlung (die keine Macht hat) mit 94 Stimmen dafür, 73 Enthaltungen und nur 14 Stimmen dagegen, für eine Resolution, in der gefordert wird, dass Russland der Ukraine eine Entschädigung für den Krieg zahlt Ukraine – dass Amerika mit seinem Staatsstreich 2014 gegen Russland angetreten ist . Amerika – eine bewährte Diktatur und ein Polizeistaat – führt die „Demokratien“ der Welt auf diese Weise an.


Lügen haben oft mehr Wirkung als Wahrheiten. Und dieses Mal kann sich dieser Einschlag sogar als WW III herausstellen. Deshalb ist es unerlässlich , diese Lügen des US-Regimes gegen Russland zu verkünden – um den Dritten Weltkrieg zu verhindern .

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Dieser Artikel wurde ursprünglich auf The Duran veröffentlicht .


Der investigative Historiker Eric Zuesse ist ein professioneller Lügenentlarver. Sein neues Buch AMERICA'S EMPIRE OF EVIL: Hitler's Posthumous Victory, and Why the Social Sciences Need to Change handelt davon, wie Amerika nach dem Zweiten Weltkrieg die Welt eroberte, um sie den US-amerikanischen und verbündeten Milliardären zu versklaven. Ihre Kartelle extrahieren den Reichtum der Welt, indem sie nicht nur ihre „Nachrichten“-Medien, sondern auch die sozialen „Wissenschaften“ kontrollieren – und die Öffentlichkeit täuschena. Er schreibt regelmäßig Beiträge für Global Research.


Die ursprüngliche Quelle dieses Artikels ist Global Research

Copyright © Eric Zuesse , Global Research, 2022


Info: https://www.globalresearch.ca/debunking-lies-about-war-ukraine/5800902


unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

02.12.2022

Millionenerbin Engelhorn: “Es ist eine Lüge, dass Arbeit reich macht“

kontrast.at, vom 30. November 2022 um 17:45bUhr, Lorena Sendic Silvera

Als Marlene Engelhorn vor gut einem Jahr erklärte, 90 Prozent ihres Erbes spenden zu wollen, sorgte sie für Aufsehen: „Ich habe für mein Erbe keinen Tag gearbeitet und zahle keinen Cent dafür. Besteuert mich endlich.“ Seither engagiert sich die 30-Jährige Millionenerbin für Vermögenssteuern und Verteilungsgerechtigkeit. Engelhorn hat die Initiative „Taxmenow“ gegründet, einen Zusammenschluss vermögender Menschen, der Vermögens- und Erbschaftssteuern für die Reichsten fordert. Jetzt hat Engelhorn angekündigt, jede Spende an das Momentum-Institut zu vervierfachen. Denn dort setzt man sich wie sie für Steuergerechtigkeit ein.


Zitat: In ihrem Buch „Geld“ beschreibt Engelhorn ihre Klasse, das reichste Prozent der Gesellschaft, als „eine der schlechtest integrierten Parallelgesellschaften“, die wenig Ahnung vom Leben der restlichen 99% hat. Dennoch bestimmen sie aber deren Lebensbedingungen zu einem wesentlichen Teil, denn das Geld der Reichsten erkauft ihnen nicht nur ein Luxusleben, sondern vor allem Einfluss – in der Wirtschaft, der Politik und in den Medien.


Als Erbin aus einer der reichsten Familien Österreichs stellt sie genau das in Frage: Die Weitergabe von Vermögen in Familiendynastien – sie nennt das feudal, ein Relikt aus vor-demokratischen Zeiten.

“Überreiche Menschen müssen anerkennen, dass ihre Privilegien aus Prinzip ein Unrecht sind”, schreibt Engelhorn in „Geld“.

Mit Arbeit haben Vermögen von hunderten und tausenden Millionen jedenfalls nichts zu tun: “Es ist eine Lüge, dass Arbeit reich macht. Wer nicht in den reichsten zehn Prozent der Gesellschaft ins Leben startet, wird mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit nicht reich. Arbeit hin oder her”, gibt Engelhorn zu, was viele Überreiche nicht hören wollen. Dennoch sind die Steuern auf Arbeit deutlich höher als jene auf Erbschaften und Schenkungen in Millionenhöhe.


Die Steuern, die die Geldlobby auf Vermögen und Millionenerbschaften verhindert, fehlen uns allen – für Kindergärten, Krankenhäuser und Gerichte. Engelhorn würde also lieber ordentliche Steuern zahlen als zu spenden, das „gönnerhafte Spendierverhalten der Vermögenden“ ist ihr nicht sympathisch. Doch bis dahin spendet sie einen Teil ihres Geldes dem Momentum-Institut, das sich für Vermögenssteuern und Verteilungsgerechtigkeit einsetzt. Jeden Euro, der bis Ende Dezember an Momentum gespendet wird, will Engelhorn vervierfachen.


Im Interview mit Kontrast erklärt Engelhorn ihre Motivation für die Spendenaktion und warum sie sich so beharrlich gegen die Übermacht ihrer Klasse einsetzt.


Interview mit Marlene Engelhorn


Kontrast: Reiche Menschen sprechen nicht gerne über ihr Vermögen. Darum umgeben sie sich gerne mit Leuten, die selbst reich sind oder dafür bezahlt werden, ihren Reichtum nicht zu hinterfragen”, schreibst du in deinem Buch. Wie wichtig ist reichen Menschen ihr Geld und haben sie ein Unrechtsbewusstsein?


Marlene Engelhorn: Überreiche Menschen definieren sich über ihr Geld, vor allem ihr Vermögen. Ich kann nicht für alle sprechen, aber meistens identifizieren sich Überreiche so stark mit ihrem Überreichtum, dass alles, was ihn in Frage stellt, bedrohlich für die eigene Identität wirkt. Das Unrechtsbewusstsein ist schon da, aber sehr abstrakt und es sind auch immer die andern: Die andern sind reicher und man selbst macht ja eh, was man kann und spendet und isst nur Bio im Privatjet und so weiter. Die Allerwenigsten wissen, wo sie sich in der Vermögensverteilung befinden und glauben, sie gehörten zur „oberen Mittelklasse”. Das ist das Ergebnis, wenn Vermögende sich abschotten und in einer realitätsfremden Welt leben. Eine Gesellschaft darf sich auf deren Gewissen nicht verlassen, man sieht ja, dass dann die Schere nur weiter auseinander klafft, weil Überreiche alle glauben, sie seien die eine Ausnahme, die berechtigterweise hortet.


Du bist der Meinung, dass du deine Erbschaft nicht verdient hast – wie kein Millionenerbe deiner Meinung nach. Deshalb sprichst du sehr viel über dein Geld – privat und öffentlich, um ein Gespräch darüber möglich zu machen. Die öffentliche Debatte, wer zu viel hat und wer zu wenig, die fehlt? Warum wäre sie wichtig?


Mir kommt schon vor, dass langsam mehr darüber gesprochen wird. Aber Vermögen bedeutet Macht und die beste Möglichkeit, diese Macht zu sichern, besteht darin, sie zu verschleiern. Wenn also die Verteilungskämpfe in die Mittelklasse und das Prekariat verlegt werden, dann hilft das der Intransparenz von Überreichen und festigt schlussendlich ihre Vormachtstellung.

Man wird nicht überreich durch Arbeit, sondern durch Geburt, aber es sollte in einer Demokratie keine dynastischen Herrschaftsprivilegien geben.

Es ist so wichtig, transparent zu machen, wem welche Vermögen gehören, weil wir dann ein klareres Bild davon haben, wer sich über die Demokratie stellen will und über sein Geld Einfluss nimmt; auf Politik, Medien und Wirtschaft. Mal abgesehen davon hat uns der unhinterfragte Exzess der Überreichen überhaupt erst die Krisen gebracht:

Vermögende haben die größten CO2-Fußabdrücke, schwimmen in Übergewinnen, können über den Finanzmarkt Geld horten und dank Steuerungerechtigkeit aus der Gesellschaft, und somit aus dem Budget für öffentliche Infrastruktur, wie etwa Krankenhäuser, Schulen, öffentlichen Verkehr, Grundlagenforschung, Rechtsstaat, etc. ziehen.

Das Geld, das du erben wirst, ist in Fonds angelegt und du fragst dich: Woher kommt das Geld. Das hat mit der Arbeit anderer Leute zu tun, oder?


Überreiche Familien haben ihr Geld geparkt, in Stiftungen, in Finanzprodukten wie Fonds, in Unternehmen, in Immobilien, etc. Es ist generell problematisch, dass es zu wenig Daten zur Verteilung der Vermögen gibt. Unter welchen Bedingungen wurden solche Vermögen gehortet? Wessen Arbeit wurde genutzt und wird verschleiert, um die Gewinne ungleich zu verteilen? Nehmen wir die Kapitalerträge: Wenn ich mit Geld Aktien kaufe, gehört mir ein Teil des Unternehmens und ich habe Anspruch auf einen Teil des Gewinns, das ist mein Ertrag.

Mein Geld „arbeitet” aber nicht, sondern die Menschen, die im Unternehmen angestellt sind. Warum bekomme ich einen Teil des Gewinns, den diese Menschen erarbeiten?

Und selbst wenn wir das gut finden: Warum wird dieses leistungslose Einkommen so niedrig besteuert? Das ist doch absurd! Ungleichheit hat System, ist also nicht natürlich: Wir haben sie hergestellt und wir können sie abschaffen.


Umgekehrt macht Arbeit aber nicht reich, selbst wenn man gut verdient. Beziehungsweise sind wir da beim Unterschied zwischen Einkommen und Vermögen, der dir sehr wichtig ist. Warum?


Oft wird von der Vermögensdebatte die Abzweigung in die Einkommensdebatte genommen, weil das viel mehr Menschen betrifft, die kein Vermögen haben und weil man dann dort die Verteilungskämpfe anfachen kann. Aber es ist nicht zu verwechseln! Die Vermögensungleichheit in Österreich sieht so aus: ein Prozent, also ca. 40.000 Haushalte, besitzt 50 Prozent aller Vermögen in Österreich. Gleichzeitig hat die Hälfte der Österreicher:innen nur Zugang zu etwa drei Prozent der Vermögen oder hat Schulden.


Die wenigsten haben eine Vorstellung davon, was das heißt und ob es sie betrifft. Schulden über Kredite zB sind eine wichtige Vermögenskategorie. Runtergebrochen: Vermögende besitzen das Land und die Immobilien, in denen die arbeitenden Menschen wohnen und wofür sie Miete und manchmal auch Kredite bezahlen. Sie besitzen die Unternehmen, wo sie Gehälter und Warenangebote gestalten, sie besitzen Medienhäuser, wo sie mitreden, was öffentlich wie besprochen wird, sie spenden an Parteien und bekommen Netzwerke in die Politik auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene, wo Steuerprivilegien für Überreiche, Vergaben von Kulturförderungen an Motorsportunternehmen und Ortsentkernungen durch Grundverkauf an Supermarktkonzerne entschieden werden. Dieser Einfluss gestaltet unsere ganze Gesellschaft! Er muss transparent gemacht und reguliert werden.


Engelhorns erster Auftritt im ORF im April 2021 sorgte für großes Aufsehen.

Du hoffst durch deine Offenheit im Sprechen über (dein) Geld eine demokratische, öffentliche Diskussion über Vermögen, Erben, Steuern und Gerechtigkeit anzustoßen. Hoffst du auf die Einsicht und Selbstreflexion deiner Klasse oder auf die Stärke der unteren 50% oder 90%, die sich gegen die Reichenlobby durchsetzen können?


Auf meine Klasse der Überreichen, also auf das reichste Prozent, ist kein Verlass: Sie haben schon genug Geld, um viel Gutes im öffentlichen Interesse zu tun, aber was passiert? Sie horten weiter und polieren mit Spenden ihr Image, die nur einen winzigen Bruchteil ihres Vermögens ausmachen. In der Zivilgesellschaft aber passiert schon wahnsinnig viel. Die Menschen aus den genannten 50-90 Prozent wissen, dass das System ungerecht ist und kaputt. Es wird zwar von der Lobby des großen Geldes viel Narrativarbeit gemacht, um so zu tun, als wären die Ungleichheit alternativlos und Überreichtum systemrelevant, aber das ist Quatsch. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Gesellschaft die Ungleichheit überwinden wird und zwar auf eine demokratische, öffentliche und partizipative Art und Weise, etwa über soziale Bewegungen. Das wird dauern, aber es ist die Mühe wert.

Mich frustriert am meisten zu sehen, dass in Österreich der politische Wille fehlt, endlich Entscheidungen mit Rückgrat für alle Menschen, statt nur für die Vermögenden zu treffen.

Du hast viel Hoffnung in das politische Engagement von Menschen, in die Wiederbelebung demokratischer Mitbestimmung. Heute glauben viele eher, man könne die Welt durch bewussten Konsum verändern und nicht durch Politik. Dem widersprichst du …


Es ist eine Feigheit, die politische Gestaltung an Konsument:innen abzutreten, und eine Lüge. Die Aufgabe der Politik ist, das Miteinander im Sinne aller zu gestalten. Und es gibt tolle Modelle, etwa Bürger:innenräte, wo Menschen nach einem repräsentativen Schlüssel an wichtigen gesellschaftspolitischen Debatten teilnehmen und Lösungsansätze formulieren können. Der Klimarat hat ganze Arbeit geleistet. Auch Volksbegehren werden initiiert und zeigen, es gibt Willen zur Veränderung in einer aktiven Zivilgesellschaft. Unser Parlament dagegen liefert nur ein Armutszeugnis, insbesondere die Regierung.


Die Demokratie ist eine Herrschaftsform, kein Service und die Konsumwelt ersetzt nicht die Gesetzgebung. Demokratie verlangt nach Haltung und Anerkennung unterschiedlicher öffentlicher Interessen, die in einem transparenten Prozess in die Gesetzgebung einfließen sollen. Wenn es alle etwas angeht, sollen alle entscheiden, das ist der Kern. Überreiche kontrollieren in der Konsumwelt aber das Angebot, aus dem alle anderen dann wählen können, und in manchen Fällen auch den Preis, was den Zugang zum Angebot ebenfalls ungleich macht. Wenn wir also die Entscheidungen auf der Konsumebene austragen, dann überlassen wir denen, die entscheiden, was es zu konsumieren gibt, die ganze Gestaltungsmacht. Das ist nicht nur undemokratisch, es ist gefährlich.


Du schreibst: “Mir ist die Welt von 99% der Gesellschaft fremd”. Und doch bestimmen Menschen mit deinem Vermögen die Welt der 99% – durch ihren Einfluss auf Politik, Wirtschaft und Medien. Das widerspricht dem demokratischen Prinzip?


Ganz genau, denn die Vermögenden haben ja kein Mandat. Niemand hat sie darum gebeten, sich als Herrschende aufzuführen. Sie sind niemandem zur Rechenschaft verpflichtet und dürfen trotzdem mit dem Leben der 99 Prozent spielen. Wir kennen das, das nennt man Feudalismus und wir haben ihn nicht grundlos abgeschafft. Aber eben nur formal.

Vermögen als Machtfaktor müssen gerecht verteilt werden, damit sich so eine Schieflage in der Macht nicht festigen kann.

Dafür braucht es Transparenz darüber, wer auf welche Art und Weise Einfluss auf Politik, Wirtschaft und Medien nimmt, es braucht aber auch konkrete politische Maßnahmen. Vieles kennen und können wir schon, Stichwort: Steuerpolitik, ein demokratisches Mittel, um Vermögen und damit Macht nach demokratischen Prinzipien umzuverteilen – damit sich eben kein paralleles Schattenherrschaftssystem entwickeln kann.


„Vermögensungleichheit zerreißt das Miteinander“, das ist die These von Marlene Engelhorn. In ihrem Buch „Geld“ spricht die Millionenerbin über ihr Vermögen und darüber, was Geld mit Menschen und ihren Beziehungen zueinander macht.


Du setzt einen Teil deines Geldes ein, um ein Gegengewicht zu unterstützen – das Momentum Institut, das sich – wie du – für Steuergerechtigkeit engagiert. Warum?


Das Momentum Institut leistet in meinen Augen einen unglaublich wichtigen Beitrag zu den Daten, Zahlen und Fakten, die öffentlich besprochen werden. Sie engagieren sich über die Steuergerechtigkeit hinaus zu unterschiedlichen Themen, zeigen, wie komplex diese Dinge verwoben sind und das in einer Sprache auf Augenhöhe, die im 21. Jahrhundert angekommen ist. Sie sind aber vor allem auch transparent und unabhängig. Das sind klare Werte, denen kann ich mich anschließen. Kein anderer Thinktank in Österreich, von dem ich wüsste, ist transparent und unabhängig.


Gleichzeitig bist du aber auch sehr kritisch gegenüber Spenden und Charity von Überreichen. Was ist das Problem, wenn reiche Leute ihr Geld verschenken?


Überreiche Menschen, die entscheiden dürfen, wohin sie ihr Geld spenden, entscheiden gleichzeitig, was vermeintlich wichtig ist. Das zivilgesellschaftliche Engagement wird dazu genötigt, sich am Spendenverhalten der Überreichen zu orientieren, um Förderungen zu erhalten. Nicht ausschließlich, aber das ist nicht zu unterschätzen. Gleichzeitig entsteht eine Abhängigkeit der Gesellschaft vom gönnerhaften Spendierverhalten der Vermögenden, um die soziale Infrastruktur aufrecht zu erhalten. Es geht aber alle etwas an, wie unsere Gesellschaft aussieht. Wir haben eigentlich einen Sozialstaat, der aber kaputtgespart wird, um die Privatvermögen des reichsten Prozents zu schützen, damit diese Überreichen dann eine lächerliche Version von Wohltätigkeit als glorreiche Alternative mit ihrem Namen drauf anbieten können. Charity ersetzt keine Gerechtigkeit. Das geht sich hinten und vorne nicht aus und widerspricht unserer Demokratie. Menschen wie ich müssen auf ihre Vermögen, Erbschaften, Kapitalerträge, etc. gerecht besteuert werden, wie alle anderen auf ihre Arbeit ja auch.


Parlament Das Thema "Vermögenssteuern" im Parlament


Info: https://kontrast.at/engelhorn-interview

02.12.2022

Gregor Gysi vertritt Letzte Generation vor Gericht – “Die drohende Klimakatastrophe gefährdet das Überleben der Menschheit.”

pressenza.com, vom 01.12.22 - Pressenza Berlin

Gregor Gysi vertritt Letzte Generation vor Gericht - “Die drohende Klimakatastrophe gefährdet das Überleben der Menschheit.”

Am Amtsgericht Tiergarten fand gestern der Prozess gegen Lukas Popp statt. Es ging insgesamt um neun Versammlungen, an denen der Unterstützer der Letzten Generation im Jahr 2022 beteiligt war. Teilweise wurde durch diese Versammlungen der Verkehr auf den Berliner Autobahnen zum Stillstand gebracht. Die Staatsanwaltschaft warf ihm in diesem Zusammenhang Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamt:innen und einmal auch Hausfriedensbruch vor.


Popp sieht das anders: “Alles was ich möchte, ist, dass geltendes Recht umgesetzt wird und die Bundesregierung ihrer Pflicht nachkommt, die Bevölkerung vor einer drohenden Klimahölle zu schützen. Mein Widerstand ist angesichts dieses Notstandes absolut rechtmäßig.


Unterstützung bekam der 24-jährige Maschinenbaustudent von einem der bekanntesten Politiker Deutschlands: Dr. Gregor Gysi übernahm persönlich die Verteidigung von Popp in der heutigen Gerichtsverhandlung.


Der langjährige Vorsitzende der Bundestagsfraktion „DIE LINKE“ und seit über 17 Jahren Bundestagsabgeordnete zur Dramatik des Klimanotfalls:

Ich habe es vor über zehn Jahren bereits gesagt. Es stimmte damals und stimmt heute leider noch viel mehr. Die drohende Klimakatastrophe gefährdet das Überleben der Menschheit. Das Leben unserer Kinder, Enkelkinder und Urenkel hängt davon ab, was wir jetzt tun. Es geht um die Verhinderung von massenhaftem Leid durch Flucht, Armut, Naturkatastrophen und neuartigen Kriegen. In dieser Menschheitsfrage muss Verantwortung und sozialer Ausgleich an die Stelle von kurzfristigen Gewinninteressen treten. Das ist eine Frage der Menschenwürde und diese ist bekanntlich unantastbar!

Gysi betont weiter: „Es wäre mit Sicherheit richtiger, robust und massiv gegen jene Vorzugehen, die unsere Lebensgrundlagen für ihre eigenen Gewinne zerstören, statt Klimaschützer einzusperren!


Seit Monaten werden immer mehr Stimmen aus der Politik laut, die der Letzten Generation ihre Unterstützung aussprechen. Der Verfassungsbruch der Bundesregierung ist auch für sie nicht hinnehmbar.


Das Gericht verzichtet darauf, sich eingehend mit dem aktuellen Klimanotfall auseinander zu setzen. Die von Gysi beantragte Ladung von Dr. Hans Joachim Schellnhuber – einem der Urväter der Klimawissenschaft und Gründungsdirektor des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung – als Sachverständigen zu Klimafragen wurde vom Richter als irrelevant abgelehnt.


In seiner Schlussrede plädierte Gregor Gysi auf Freispruch in allen Anklagepunkten. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Strafe in Höhe von 110 Tagesätzen gefordert. Der Richter entschied sich schließlich das für ein Strafmaß von 90 Tagessätzen. Da Gysi ankündigte, Rechtsmittel einzulegen, dürfte das letzte Wort hier noch nicht gesprochen sein.


Für Lukas Popp ist nicht das Strafmaß entscheidend, denn schon über die Verhandlung an sich zeigt er sich bestürzt:

Ich verstehe nicht, wieso Menschen wie ich, die für notwendige Klimaschutzmaßnahmen protestieren, vor Gericht stehen und nicht Politiker:innen, die die verfassungsrechtlichen Ziele nicht einhalten. Meine kleinen Geschwister haben das Recht auf eine sichere Zukunft! Die Regierung zerstört diese Zukunft vor unser aller Augen.

Popp bedankt sich für die Unterstützung von Gregor Gysi und für den breiten Zuspruch, den er aus weiten Teilen von Politik, Kunst, Kultur und Zivilgesellschaft für sein Handeln bekommen hat.


Info: https://www.pressenza.com/de/2022/12/gregor-gysi-vertritt-letzte-generation-vor-gericht-die-drohende-klimakatastrophe-gefaehrdet-das-ueberleben-der-menschheit

02.12.2022

Mit dem Ende der unipolaren Welt entsteht eine neue

pressenza.com, 01.12.22 - David Andersson

Dieser Artikel ist auch auf Englisch, Spanisch verfügbar



Die derzeitige Krise ist einschneidend, sie berührt unsere Lebenswelt und lässt uns die Art und Weise, wie wir gelernt haben, alles zu sehen, in Frage stellen. Was wir uns von der Zukunft vorgestellt haben, schmilzt vor unseren Augen wie Eisberge in der Arktis. Alles, was wir zu wissen glaubten, steht in Frage, auch unser Glaube an die Weltherrschaft des Westens.


Die entscheidende Frage ist jetzt nicht, ob, sondern wann der Weiße Westen zusammenbricht. Wann wird die nächste Berliner Mauer fallen? Die Nachrichten, die aus Großbritannien kommen, deuten auf jeden Fall in diese Richtung. Selbst die Tech-Industrie steckt in der Krise; sie gibt sich gerne zukunftsorientiert, hat aber in Wirklichkeit zentralisierte, monolithische Strukturen aus dem 19. Jahrhundert. Die gewalttätigen 1% manipulieren Wissenschaft und Informationen und zerstören alles, was sich ihnen in den Weg stellt, um mehr Macht zu erlangen – ihre Beziehungen zu anderen, ihre eigenen Unternehmen und ihre Umwelt.


Die Medien und das System wollen uns eine „Apocalypse Now“-Realität verkaufen: Sie rechtfertigen ihre Kriege und steigenden Militärausgaben, indem sie in Konfliktregionen Öl ins Feuer gießen, während sie gleichzeitig unsere Süchte nach Geld, Alkohol, Drogen und Sex nähren, um uns zu helfen, mit dieser entfremdenden Realität besser zurechtzukommen. Wir haben uns von uns selbst und von anderen abgekoppelt und sind stattdessen mit unseren Smartphones, Computern und sozialen Medien verbunden. Mit wem reden wir eigentlich? Und hört uns wirklich jemand zu?


Wir sind gerade in der Reha und versuchen, Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte, von Sucht und Depression zu überwinden. Unsere Körper schwitzen vor Fieber und versuchen, die Entgiftung zu überstehen, sind aber noch nicht in der Lage, das Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Wir sind so entmenschlicht worden, dass wir nicht einmal mehr wissen, wie wir uns selbst lieben können. Wie können wir wieder lernen, mit anderen zusammen zu sein, einfach als Freunde? Wie können wir aus unseren eigenen Erfahrungen lernen und uns nicht von illusorischen, kurzfristigen Ablenkungen einnehmen lassen? Im Kern geht es um unsere eigenen inneren Empfindungen. Die Menschen werden mehr von ihrer äußeren, medial geprägten (imaginären) Umgebung beeinflusst als von ihren eigenen konkreten Erfahrungen. Warum lassen wir uns mehr von dem leiten, was uns gesagt wird, was um uns herum vor sich geht, als von dem, was wir selbst registrieren? Wann und warum haben wir uns entschlossen, unseren Willen, unsere Liebe zu unserer Mitmenschlichkeit und unseren Glauben an die Zukunft für einen kurzzeitigen „Schuss Glück“ aufzugeben?


Für diejenigen, die in der Lage sind, es wahrzunehmen, ist die Humanisierung der Welt in vollem Gange. Dieser Prozess räumt alles auf, öffnet Schränke, reißt Deckel ab, zwingt uns, unter die Betten zu schauen und abgetragene Kleidung wegzuwerfen. Unser eigenes Selbst wird in Frage gestellt, von der Geschlechtsidentität bis hin zu Geld, Arbeit, zwischenmenschlichen Beziehungen und Glück, wobei vor unseren Augen neu definiert wird, was es bedeutet, ein Mensch zu sein. Von Santiago über Delhi bis New York, von Student:innenprotesten über Bauernstreiks bis hin zur ‚Great Resignation‘, bei der 47 Millionen Amerikaner:innen innerhalb eines Jahres ihren Job kündigten, entsteht überall sozialer Dissens. Die Kulturen sprechen miteinander wie nie zuvor; unser „großer Blauer“ ist endlich eins und multipolar, und es gibt kein Zurück mehr zu einem unipolaren weißen Westen. Die Wissenschaft durchbricht täglich neue Grenzen, das Klimabewusstsein ist in vollem Gange, und alternative Energien werden als die Zukunft erkannt (daran gibt es keinen Zweifel mehr). Der Verkehr in den Städten verändert sich drastisch: Öffentliche Verkehrsmittel, Fußgänger, Fahrräder, Motorroller usw. erobern unsere Straßen und ersetzen die umweltschädlichen Autos. Neue Geschäftsmodelle verändern die Arbeitswelt, und dank des Fortschritts in der Netzwerktechnologie wird der Zugang zu Wissen universell. Antiquierte politische Strukturen fallen, und wir sind nicht mehr in den ideologischen Klassenkämpfen des vergangenen Jahrhunderts gefangen. Die Menschen wehren sich gegen ein unterdrückerisches und gewalttätiges System, und die Länder übernehmen wieder die Kontrolle über ihre eigenen Ressourcen und ihre Wirtschaft. Ja, wir tun es in diesem Moment: Wir humanisieren die Welt.

Hör nicht auf das, was ein paar Leute sagen; denk daran, dass Gerede billig ist. Schau dir stattdessen an, was die Menschen tun und einen Demonstrationseffekt nach dem anderen erzielen. Die Mehrheit der Menschen von links bis rechts will, dass sich die Welt verändert, und viele, viele verändern sie jeden Tag. Wir werden sie jedoch nicht in unseren Mainstream-Medien oder auf unseren „un“sozialen Netzwerken sehen. Wir müssen tiefer blicken und uns stattdessen mit der evolutionären Richtung verbinden, welche die menschliche Spezies über Hunderttausende von Jahren durch Drehungen und Wendungen geführt hat. Wie Javier Tolcachier in seinem neuesten Artikel, Lateinamerikanisch-Karibische Einheit, schreibt: Wann, wenn nicht jetzt?

„Es gibt Gelegenheiten in der Geschichte, die man ergreifen muss. Es sind Gelegenheiten, die darauf hinweisen, dass die Zeit für einen entschlossenen Schritt nach vorn gekommen ist. Unentschlossenheit unter solchen Umständen ist nicht ratsam und sogar verwerflich.“

Verkennen wir nicht die Signale, die sich auftun, und verpassen wir nicht die Chance, einen qualitativen Sprung im menschlichen Wandel herbeizuführen.


Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Anita Köbler vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!


Info: https://www.pressenza.com/de/2022/12/mit-dem-ende-der-unipolaren-welt-entsteht-eine-neue

02.12.2022

„Ein Schuss in das eigene Knie“Preisdeckel auf russisches Erdöl könnte der EU stärker schaden als Russland. USA dringen auf einen hohen Preisdeckel – als gesichtswahrenden Ausweg aus einer Fehlleistung der EU.

german-foreign-policy.com, 2. Dezember 2022

BERLIN/MOSKAU (Eigener Bericht) – Der für Montag angekündigte Versuch von EU und G7, einen Preisdeckel für russisches Erdöl zu oktroyieren, könnte der EU mehr schaden als Russland. Dies geht aus Einschätzungen von Experten hervor. Brüssel will den Preisdeckel nicht unterhalb von 60 US-Dollar pro Barrel festsetzen; damit entspricht er annähernd dem Preis, den Russland zur Zeit erzielt. Lediglich Polen und die baltischen Staaten wollen ihn auf 30 US-Dollar drücken; weil Russland in diesem Fall aber überhaupt nicht liefern würde, fehlte sein Erdöl dann auf dem Weltmarkt; eine auch für den Westen verheerende Preisexplosion wäre die Folge. Dies ist der Grund, weshalb mittlerweile selbst Washington auf einen Preisdeckel von mindestens 60 US-Dollar dringt. Ist ein solcher Preisdeckel nicht geeignet, Russland ernsthaft zu schädigen, so sind Reeder und Schiffsversicherer aus Europa dabei, Marktanteile zu verlieren: Die Drohung mit dem Preisdeckel hat Russland und mutmaßlich auch Indien und China dazu gebracht, ihre eigenen Tanker- und Versicherungskapazitäten auszubauen. Ein US-Experte urteilt über EU und G7: „Sie haben sich selbst in das Knie geschossen.“ Eine Preisexplosion ist wegen des EU-Ölembargos dennoch möglich.


Zitat: Das Ölembargo

Der Preisdeckel für russisches Erdöl soll am kommenden Montag in Kraft treten – parallel zum EU-Embargo auf per Schiff transportiertes russisches Öl. Nicht betroffen ist Öl, das per Pipeline nach Ungarn, in die Slowakei und nach Tschechien geliefert wird; diese haben als Binnenländer deutlich größere Schwierigkeiten, sich Zugang zu alternativen Ölquellen zu verschaffen, und deshalb eine Ausnahmegenehmigung erhalten. Ursprünglich war geplant, gleichzeitig mit dem Ölembargo ein Verbot für Firmen aus der EU zu verhängen, russisches Öl per Schiff zu transportieren, Öltransporte zu versichern oder sich auf irgendeine andere Art und Weise an ihnen zu beteiligen. Dies hätte wohl gravierende Folgen mit sich gebracht. Griechenland besitzt laut Branchenangaben 21 Prozent aller Tankschiffe für den Transport flüssiger Stoffe weltweit; griechische Reeder transportieren große Mengen russischen Öls; weitere Kapazitäten in Zypern, Malta und in anderen westlichen Ländern kommen hinzu.[1] Finanzunternehmen in der EU und vor allem in Großbritannien versichern rund 90 Prozent des Seehandels. Dürften sie alle keinerlei Geschäft mehr mit russischem Erdöl machen, dann verlören sie nicht nur einen lukrativen Markt; es stünde auch zu befürchten, dass größere Mengen russischen Öls nicht mehr auf den Weltmarkt gelangten, die Preise in astronomische Höhen schnellten und die Wirtschaft im Westen in eine weitere dramatische Krise stürzte.


Der Ölpreisdeckel

Das ist der Grund dafür, dass die G7 und in ihrem Gefolge auch die EU den Plan verfolgen, sämtliche Geschäfte mit russischem Öl – Schiffstransport, Versicherungen und anderes mehr – an einen Preisdeckel zu binden: Sämtliche Geschäfte sind erlaubt, sofern der Preis, den Russland für die Öllieferungen kassiert, eine von der EU diktierte Höhe nicht überschreitet. Mit dem Preisdeckel wollen Brüssel und die G7 die russischen Einnahmen aus dem Ölexport reduzieren, gleichzeitig aber verhindern, dass zu wenig russisches Erdöl auf den Weltmarkt gelangt und die Preise explodieren. Dass dies gelingt, ist durchaus ungewiss: Moskau hat angekündigt, sich Preisdiktate nicht bieten zu lassen und Staaten, die den Preisdeckel einführen, nicht mehr zu beliefern. Damit droht die befürchtete Preisexplosion erneut. Es kommt hinzu, dass sich Russland mit ganzer Energie bemüht, eine vom Westen unabhängige Tankerflotte zusammenzustellen und vom Westen unabhängige Versicherer aufzutun – vor allem im eigenen Land, in China und in Indien. Damit wären Reeder und Versicherer aus der EU sowie aus Großbritannien tendenziell aus dem Geschäft und müssten nicht nur konkrete Einbußen, sondern perspektivisch auch den Verlust ihrer bislang starken, teilweise sogar dominanten Weltmarktposition hinnehmen.


Washington greift ein

Dies wiederum hat die EU veranlasst, den Preisdeckel so anzusetzen, dass er in etwa dem Preis entspricht, den Russland aktuell mit seinen Erdölexporten erzielt. Verlässliche Angaben über den Preis liegen nicht vor; Schätzungen belaufen sich auf Werte zwischen 17 und 23 US-Dollar unterhalb des Preises der Nordseesorte Brent.[2] Die Hoffnung lautet, Moskau sei womöglich bereit, einen Preisdeckel, der ihm kaum schade, stillschweigend zu akzeptieren; die Schäden für Reeder und Versicherer aus Europa blieben dann aus oder wären gering, der Ölpreis schnellte nicht in die Höhe – und man könnte den Preisdeckel später schrittweise verschärfen. Im Gespräch war zunächst ein Deckel zwischen 65 und 70 US-Dollar pro Barrel; er wurde von den USA unterstützt. Blockiert wurde dies allerdings vor allem von Polen, Estland und Litauen, die auf einem Preisdeckel von 30 US-Dollar pro Barrel bestanden, um Russland so massiv wie möglich zu schaden.[3] Die Wahrscheinlichkeit, dass Russland einen solchen Preisdeckel akzeptieren würde, ist faktisch null; Polen, Estland und Litauen nahmen also einen plötzlich auftretenden Ölmangel auf dem Weltmarkt, eine Preisexplosion sowie gravierende Folgen für alle Länder in Kauf. Laut Berichten hat Washington ihre Widerstände, die die EU nicht ausräumen konnte, jetzt per Machtwort beseitigt. Der Preisdeckel soll, so heißt es, bei 60 US-Dollar liegen.[4]


Kaum Kontrollen

Zu der Tatsache, dass der Preisdeckel nun sehr nah an dem ohnehin von Russland erzielten Preis liegen soll, kommt hinzu, dass die Kontrollbestimmungen offenbar recht locker gehalten sind. So heißt es etwa, Versicherer seien nicht dazu verpflichtet, schriftliche Zusicherungen der Ölkäufer, den Preisdeckel einzuhalten, bei einer zentralen Registerstelle einzureichen.[5] Zudem sollen Verstöße nicht mehr, wie ursprünglich geplant, mit einem dauerhaften Ausschluss vom EU-Markt bestraft werden, sondern nur mit einer drei Monate währenden Sperre.[6] Der Preisdeckel werde vor allem die Öllieferströme umleiten, wird Daniel Ahn, einst ein hochrangiger Ökonom im US-Außenministerium, zitiert. Allerdings scheinen europäische Reeder und Versicherer wegen des Versuchs, Russland mit dem Preisdeckel zu schaden, Marktanteile zu verlieren. So wird ein Experte der Schweizer Bank Julius Baer mit dem Hinweis zitiert, Ölhändler operierten heute weniger von Genf oder London aus, sondern zunehmend aus dem Mittleren Osten. Der ehemalige Mitarbeiter des State Department Daniel Ahn urteilt: „Sie haben sich selbst in das Knie geschossen, und nun versuchen sie sozusagen, es irgendwie zu bandagieren.“[7] Mittlerweile deutet – wohl mit Blick auf die für Russland günstige Gesamtlage – Moskau eine gewisse Bereitschaft zu einem flexiblen Umgang mit dem Preisdeckel an.[8]


Va banque

Bei alledem ist freilich nicht ausgeschlossen, dass der Preisdeckel-Oktroy nicht nach Plan läuft und der Ölpreis explodiert. Dies könne etwa dann geschehen, wenn Russland sich dem Preisdeckel verweigere und nicht genügend Versicherer jenseits des Westens bereitstünden, um Öltransporte mit Hilfe nichtwestlicher Schiffe abzudecken, warnte jüngst die britische Zeitschrift The Economist.[9] Unklar ist vor allem auch, ob die Umleitung der globalen Erdöllieferungen gelingt, die das EU-Embargo erzwingt. Noch im Oktober importierten die EU-Staaten rund 2,5 Millionen Barrel Erdöl und Erdölprodukte pro Tag aus Russland. Öl darf ab Montag, Ölprodukte dürfen ab dem 5. Februar nicht mehr eingeführt werden.[10] Woher die EU dann Öl und Ölprodukte beziehen wird, ist nicht ganz klar. Die Lieferungen, die sie sich sichert, werden anderen – vorzugsweise ärmeren – Staaten fehlen. Können die russischen Öltransporte nicht schnell genug umgeleitet werden, entstehen Angebotslücken, die den Preis rasant in die Höhe treiben könnten. Die EU spielt mit dem Embargo einmal mehr va banque – zu Lasten vor allem ärmerer Bevölkerungsteile und ärmerer Länder.

 

[1] Christian Schubert: Griechische Tanker füllen Putins Kasse. faz.net 09.07.2022.

[2] U.S. Urges Caution on Low-Quoted Russian Oil Prices as EU Debates Price Cap. usnews.com 30.11.2022.

[3] Alexandra Brzozowski, Kira Taylor: EU struggles to agree on Russian oil price cap as deadline looms. euractiv.com 29.11.2022.

[4] Laurence Norman: EU Asks Members to Set Russia Oil-Price Cap at $60. wsj.com 01.12.2022.

[5] Russia poised to largely skirt new G7 oil price cap. thedailystar.net 22.10.2022.

[6] Joe Wallace, Anna Hirtenstein: Oil Prices Face Fresh Volatility With New Russia Sanctions, OPEC Decision. wsj.com 27.11.2022.

[7] Russia poised to largely skirt new G7 oil price cap. thedailystar.net 22.10.2022.

[8] Noah Brenner: Kremlin ‘Analyzing’ Price Cap Response. energyintel.com 24.11.2022.

[9] How the West’s price cap on Russian oil could roil energy markets. economist.com 30.11.2022.

[10] Emily Gosden: Europe’s price cap on Russian oil is no one-size-fits-all answer. thetimes.co.uk 28.11.2022.

Info: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9101

02.12.2022

Kreml: Biden stellt inakzeptable Bedingungen für Gespräche mit Putin

meinungsfreiheit.rtde.life, 2 Dez. 2022 14:00 Uhr

Kremlsprecher Dmitri Peskow betrachtet die Bedingungen des US-Präsidenten Biden für Verhandlungen mit Putin als inakzeptabel. Die USA erkennen neue Territorien Russlands nicht an und fordern das Verlassen der Ukraine, was die Suche nach einer Basis für Möglichkeiten einer Einigung erschwere, sagte Peskow.


Kreml: Biden stellt inakzeptable Bedingungen für Gespräche mit Putin


Quelle: Sputnik © Jewgeni Bijatow


Zitat: US-Präsident Joe Biden nannte als eine Vorbedingung für Verhandlungen mit Moskau über die Ukraine den Abzug des russischen Militärs aus dem Land, was die Suche nach einer Gesprächsbasis erschwere, sagte der Sprecher des russischen Präsidenten, Dmitri Peskow, und kommentierte Bidens Forderung so:

"Er sagte, dass Putin als Erstes die Ukraine verlassen solle. Er glaubt, dass der Rückzug Russlands ein Beweis dafür sei, dass Putin zu Verhandlungen bereit ist. Das verändert das Wesentliche. Die Vereinigten Staaten erkennen keine neuen Territorien innerhalb der Russischen Föderation an. Das erschwert die Suche nach gemeinsamen Grundlagen, nach Möglichkeiten für Einigungen erheblich."

Der russische Präsident Wladimir Putin sei und bleibe immer offen für Verhandlungen, um die russischen Interessen zu wahren, erinnerte Peskow. Putin habe versucht, noch vor Beginn der militärischen Sonderoperation Verhandlungen mit den USA, der NATO und der OSZE aufzunehmen. Weiter sagte Peskow:

"Die Initiative stieß nicht auf Gegenseitigkeit. Putin ist offen für Verhandlungen. Natürlich ist der friedlichste, der diplomatische Weg, stets der beste."

Am Tag zuvor hatte Biden im Weißen Haus bei einer Pressekonferenz nach Gesprächen mit seinem französischen Amtskollegen Emmanuel Macron auf  die Frage geantwortet, ob er in naher Zukunft mit Putin verhandeln werde. Biden sagte dazu:

"Es gibt einen vernünftigen Weg, diesen Krieg zu beenden: Putin muss die Ukraine verlassen. Dies ist der Weg Nummer eins. Aber es sieht nicht so aus, als würde er es tun. Er zahlt einen sehr hohen Preis dafür, dass er es nicht macht."

Darüber hinaus behauptete der US-Präsident:

"Ich habe keine unmittelbaren Pläne, Putin zu kontaktieren. Putin … lassen Sie mich meine Worte sehr sorgfältig wählen … Ich bin bereit, mit Putin zu sprechen, wenn er wirklich ein starkes Interesse daran hat, einen Weg zu finden, um den Krieg zu beenden. Er hat noch keines. Wenn dies tatsächlich beabsichtigt ist, dann werde ich mich nach Rücksprache mit Frankreich und anderen Freunden der NATO gerne mit Putin treffen, um herauszufinden, was er will, was in seinem Kopf vorgeht."

Macron sagte wiederum, dass Frankreich und die Vereinigten Staaten niemals Druck auf die Ukrainer ausüben würden, Entscheidungen zu treffen, die ihnen nicht genehm sind. Er erklärte neuerlich:

"Wir müssen das Recht der Ukrainer respektieren, den Zeitpunkt für Verhandlungen zu wählen."

Das letzte Telefonat zwischen Putin und Biden fand am 12. Februar 2022 statt.


Macron will nach Biden-Besuch mit Putin reden – Kreml: "Noch nichts geplant"





Macron will nach Biden-Besuch mit Putin reden – Kreml: "Noch nichts geplant"






Russland hat am 24. Februar 2022 eine militärische Sonderoperation in der Ukraine gestartet. Laut dem Präsidenten Russlands besteht deren Ziel darin, die Einwohner des Donbass vor dem Völkermord durch das Kiewer Regime zu schützen, sowie in dem Streben nach Entnazifizierung und Demilitarisierung der Ukraine. Putin sagte später, dass der blutige Staatsstreich in der Ukraine im Jahr 2014 zu dem Beginn dieser Spezialoperation geführt habe und Russlands Vorgehen nur einige der unvermeidlichen Prozesse beschleunigt habe. Der russische Präsident erklärte Ende Oktober dazu:

"Der erste Grund sind die Expansionspläne der NATO auf Kosten der Ukraine, der zweite die Weigerung Kiews, die Vereinbarungen von Minsk einzuhalten. Für uns bedeutete das, dass wir etwas mit dem Donbass machen mussten. Die Unabhängigkeit der DVR und LVR anzuerkennen und sie dann einfach der Gnade Kiews zu überlassen, ist generell inakzeptabel."

Putin fügte hinzu, dass Russland wisse, was in Kiew vorbereitet wurde, und hat daher beschlossen, diese Sonderoperation zu starten, um die geplanten Aktionen der ukrainischen Streitkräfte im Donbass zu verhindern.


Als Reaktion auf Moskaus Vorgehen brach die Ukraine die diplomatischen Beziehungen zu Russland ab, verhängte im Land das Kriegsrecht und kündigte eine allgemeine Mobilmachung an.


Mehr zum Thema - Nach langer Pause: Putin und Scholz telefonieren miteinander


Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.

Info: https://meinungsfreiheit.rtde.life/russland/156116-kreml-biden-stellt-inakzeptable-bedingungen


unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

01.12.2022

Tagesereignis

tagesereignis.de, 1. Dezember 2022

Politik und Gesellschaft Erzbischof Carlo Maria Viganò: Gedanken zur aktuellen globalen Krise


Auf Einladung der Organisation Medical Doctors for Covid Ethics International (MD4CE International*) hielt der den bei Katholiken polarisierenden Erzbischof Carlo Maria Viganò dort am 20. November eine seiner berühmten Reden. Denn der Erzbischof spricht aus, was viele denken, sich aber nicht trauen, laut zu sagen. Mit seinen bald 82 Jahren zeigt er vor allen Dingen, dass das Alter nicht bedeutet, intellektuell nachzulassen. Er ist für seine scharfsinnigen Interpretationen bekannt und dafür, dass er sich nicht den Mund verbieten lässt. Auch nicht vom Vatikan. 


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Carlo Maria Vigano war vom 19. Oktober 2011 bis zum 12. April 2016 der ehemalige Apostolische Nuntius in den Vereinigten Staaten von Amerika.


Beginn der Übersetzung seiner Rede:


Erzbischof Carlo Maria Viganò bei „Ärzte für Covid Ethik International“


Liebe und verehrte Freunde,


erlauben Sie mir zunächst, Doktor Stephen Frost für die Einladung zu danken, die er mir ausgesprochen hat, um zu Ihnen zu sprechen. Zusammen mit Doktor Frost danke ich auch Ihnen allen: Ihr Engagement im Kampf gegen die psychopandemische Propaganda ist lobenswert. Ich bin mir der Schwierigkeiten bewusst, mit denen Sie konfrontiert waren, um Ihren Grundsätzen treu zu bleiben, und ich hoffe, dass der Schaden, den Sie erlitten haben, von denen, die Sie diskriminiert, Ihnen Arbeit und Gehalt vorenthalten und Sie als gefährliche Impfgegner abgestempelt haben, in angemessener Weise wiedergutgemacht werden kann.


Ich freue mich, mit Ihnen sprechen und meine Gedanken über die aktuelle globale Krise teilen zu können.


Eine Krise, von der wir annehmen können, dass sie mit der Pandemie begonnen hat, von der wir aber wissen, dass sie seit Jahrzehnten von namhaften Persönlichkeiten mit ganz bestimmten Zielen geplant wurde. Bei der Pandemie allein stehen zu bleiben, wäre in der Tat ein schwerer Fehler, denn es würde uns nicht erlauben, die Ereignisse in ihrer ganzen Kohärenz und Verflechtung zu betrachten, was uns daran hindert, sie zu verstehen und vor allem die dahinter stehenden kriminellen Absichten zu erkennen. Auch Sie – jeder mit seinem eigenen Fachwissen auf medizinischem, wissenschaftlichem, juristischem oder anderem Gebiet – werden mir zustimmen, dass die Beschränkung auf Ihr eigenes Fachgebiet, das in einigen Fällen sehr spezifisch ist, die Gründe für bestimmte Entscheidungen, die von Regierungen, internationalen Gremien und Pharmaunternehmen getroffen wurden, nicht vollständig erklärt.


Zum Beispiel macht es für einen Virologen keinen Sinn, „graphenähnlichen“ Stoff im Blut von Menschen zu finden, die mit experimentellen Seren geimpft wurden, wohl aber für einen Experten für Nanomaterialien und Nanotechnologie, der weiß, wofür Graphen verwendet werden kann. Es macht auch Sinn für einen Experten für medizinische Patente, der den Inhalt der Erfindung sofort erkennt und sie mit anderen ähnlichen Patenten in Beziehung setzt. Es macht auch Sinn für einen Experten für Kriegstechnologien, der die Studien über den „enhanced man“ (verbesserten, optimierten Menschen) kennt (ein Dokument des britischen Verteidigungsministeriums nennt ihn im transhumanistischen Sinne „augmented man“, den erhöhten, erweiterten Menschen) und daher in Graphen-Nanostrukturen die Technologie erkennen kann, die die Steigerung der Kriegsleistung von Militärpersonal ermöglicht. Und ein Experte für Telemedizin wird in diesen Nanostrukturen das unverzichtbare Gerät erkennen können, das biomedizinische Parameter an den Patienten-Kontrollserver sendet und auch bestimmte Signale von ihm empfängt.

Noch einmal: Bei der Bewertung von Ereignissen aus medizinischer Sicht sollten die rechtlichen Auswirkungen bestimmter Entscheidungen berücksichtigt werden, wie z.B. das Auferlegen von Masken oder, noch schlimmer, die massenhafte „Impfung“, die unter Verletzung der Grundrechte der Bürger erfolgt. Und ich bin mir sicher, dass im Bereich der Gesundheitspolitik auch die Manipulationen der Klassifizierungscodes von Krankheiten und Therapien zum Vorschein kommen werden, die darauf abzielen, die schädlichen Auswirkungen der gegen Covid-19 ergriffenen Maßnahmen unauffindbar zu machen, von der Unterbringung von Menschen an Beatmungsgeräten auf der Intensivstation bis hin zu Überwachungsprotokollen, ganz zu schweigen von den skandalösen Verstößen gegen die Vorschriften durch die Europäische Kommission, die – wie Sie wissen – keine Delegation des Europäischen Parlaments im Bereich Gesundheit hat und die keine öffentliche Einrichtung, sondern ein privates Unternehmenskonsortium ist.


Erst in den letzten Tagen hat Klaus Schwab auf dem G-20-Gipfel in Bali die Regierungschefs – die fast alle aus dem Programm Young Global Leaders for Tomorrow des Weltwirtschaftsforums stammen – über die künftigen Schritte zur Errichtung einer Weltregierung informiert. Der Präsident einer sehr mächtigen privaten Organisation mit enormen wirtschaftlichen Mitteln übt ungebührliche Macht über die Regierungen der Welt aus und erhält ihren Gehorsam von den politischen Führern, die kein Mandat des Volkes haben, ihre Nationen dem Machtwahn der Elite zu unterwerfen. Diese Tatsache ist von beispiellosem Ernst. Klaus Schwab sagte: „In der vierten industriellen Revolution werden die Gewinner alles mitnehmen, wenn Sie also zu den Vorreitern des Weltwirtschaftsforums gehören, sind Sie die Gewinner“ (hier).


Diese sehr ernsten Aussagen haben zwei Implikationen: Die erste ist, dass „die Gewinner alles bekommen werden“ und „Gewinner“ sein werden – es ist nicht klar, in welcher Eigenschaft und mit wessen Erlaubnis. Die zweite ist, dass diejenigen, die sich nicht an diese „vierte industrielle Revolution“ anpassen, verdrängt werden und verlieren werden – sie werden alles verlieren, einschließlich ihrer Freiheit. Kurz gesagt, Klaus Schwab droht den Regierungschefs der zwanzig wichtigsten Industrienationen der Welt, die programmatischen Punkte des Great Reset in ihren Ländern umzusetzen. Dies geht weit über die Pandemie hinaus: Es handelt sich um einen globalen Staatsstreich, gegen den es unerlässlich ist, dass die Menschen sich erheben und die noch gesunden Organe der Staaten einen internationalen Rechtsprozess einleiten. Die Bedrohung ist unmittelbar und ernst, denn das Weltwirtschaftsforum ist in der Lage, sein subversives Projekt durchzuführen, und die Regierenden der Nationen sind alle entweder versklavt oder von dieser internationalen Mafia erpresst worden.


Angesichts dieser Aussagen – und denen anderer, die nicht weniger wahnhaft sind als Yuval Noah Harari, Schwabs Berater – verstehen wir, wie die Pandemie-Farce als Versuchsballon für die Durchsetzung von Kontrollen, Zwangsmaßnahmen, die Beschneidung individueller Freiheiten und die Zunahme von Arbeitslosigkeit und Armut diente. Die nächsten Schritte müssen mit Hilfe von Wirtschafts- und Energiekrisen erfolgen, die für die Errichtung einer synarchischen Regierung in den Händen der globalistischen Elite von entscheidender Bedeutung sind.


Im Video, Harari: „Den freien Willen des Menschen wird es nicht mehr geben.“ Englisch mit deutschen Untertiteln:



Und hier, liebe Freunde, erlauben Sie mir, als Bischof zu sprechen.

Denn in dieser Reihe von Ereignissen, deren Zeuge wir sind und die wir weiterhin erleben werden, könnte Ihr Engagement durch die Tatsache, dass Sie nicht in der Lage sind, den grundlegenden spirituellen Charakter zu erkennen, vereitelt oder eingeschränkt werden. Ich weiß, dass zwei Jahrhunderte des aufklärerischen Denkens, der Revolutionen, des atheistischen Stoffes und des antiklerikalen Liberalismus uns daran gewöhnt haben, den Glauben als eine persönliche Angelegenheit zu betrachten, oder dass es keine objektive Wahrheit gibt, der wir alle entsprechen müssen.

Aber das ist die Frucht einer propädeutischen Indoktrination, die lange vor den heutigen Ereignissen stattfand. Es wäre töricht zu glauben, dass die antichristliche Ideologie, die die geheimen Sekten und Freimaurergruppen des achtzehnten Jahrhunderts antrieb, nichts mit der antichristlichen Ideologie zu tun hat, die heute Leute wie Klaus Schwab, George Soros und Bill Gates antreibt. Die treibenden Prinzipien sind dieselben: Rebellion gegen Gott, Hass auf die Kirche und die Menschheit und Zerstörungswut, die sich gegen die Schöpfung und insbesondere gegen den Menschen richtet, weil er nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen wurde.


Wenn Sie von diesen Beweisen ausgehen, werden Sie verstehen, dass es nicht möglich ist, so zu tun, als sei das, was vor unseren Augen geschieht, nur das Ergebnis von Profitstreben oder Machtstreben. Sicherlich ist die wirtschaftliche Seite nicht zu vernachlässigen, wenn man bedenkt, wie viele Menschen mit dem Weltwirtschaftsforum zusammengearbeitet haben. Doch jenseits des Profits gibt es unausgesprochene Ziele, die einer „theologischen“ Vision entspringen – einer Vision, die zwar auf den Kopf gestellt ist, aber dennoch theologisch ist – einer Vision, die zwei entgegengesetzte Seiten sieht: die Seite Christi und die Seite des Antichristen.


Es kann keine Neutralität geben, denn wenn zwei Armeen aufeinandertreffen, treffen auch diejenigen, die nicht kämpfen wollen, eine Entscheidung, die den Ausgang der Schlacht beeinflusst. Wie ist es andererseits möglich, in Ihren edlen und hohen Berufen die bewundernswerte Ordnung anzuerkennen, die der Schöpfer in die Natur gelegt hat (von den Sternenkonstellationen bis zu den Teilchen des Atoms) und dann zu leugnen, dass auch der Mensch mit seinem moralischen Sinn, seinen Gesetzen, seiner Kultur und seinen Entdeckungen Teil dieser Ordnung ist? Wie kann der Mensch, der ein Geschöpf Gottes ist, sich anmaßen, nicht selbst den ewigen und vollkommenen Gesetzen unterworfen zu sein?


„Unser Kampf richtet sich nicht gegen Geschöpfe aus Fleisch und Blut, sondern gegen die Fürstentümer und Mächte, gegen die Herrscher dieser Welt der Finsternis, gegen die Geister des Bösen, die in den himmlischen Orten hausen.“ (Eph 6:12).


Auf der einen Seite gibt es die Stadt Gottes – die, über die der heilige Augustinus schreibt – und auf der anderen Seite die Stadt des Teufels. Wir können sagen, dass die Stadt des Teufels in dieser Ära eindeutig im neomalthusianischen Globalismus, der Neuen Weltordnung, den Vereinten Nationen, dem Weltwirtschaftsforum, der Europäischen Union, der Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds und in all den so genannten „philanthropischen Stiftungen“ zu erkennen ist, die einer Ideologie des Todes, der Krankheit, der Zerstörung und der Tyrannei folgen. Und auch in jenen Kräften, die die Institutionen unterwandert haben, die wir den tiefen Staat und die tiefe Kirche nennen.


Auf der anderen Seite müssen wir erkennen, dass die Stadt Gottes schwieriger zu identifizieren ist. Sogar die religiösen Autoritäten scheinen ihre Aufgabe, die Gläubigen zu leiten, verraten zu haben und ziehen es vor, der Macht zu dienen und ihre Lügen zu verbreiten. Genau die Leute, die die Seelen schützen und heiligen sollten, zerstreuen und skandalisieren sie und nennen gute Christen starre Fundamentalisten. Wie Sie sehen, erfolgt der Angriff an mehreren Fronten und ist somit eine tödliche Bedrohung für die Menschheit, die sowohl den Körper als auch die Seele betrifft.


Und doch sehen wir gerade in einer Zeit, in der es schwierig ist, verbindliche Bezugspunkte zu finden – sowohl im religiösen als auch im weltlichen –, immer mehr Verständige, Augenöffner und solche, die den kriminellen Geist hinter der Entwicklung der Ereignisse erkennen. Es ist nun klar, dass alles miteinander verbunden ist, ohne dass wir diejenigen, die das sagen, als „Verschwörungstheoretiker“ abtun müssen. Die Verschwörung ist bereits da: Wir erfinden sie nicht, wir prangern sie nur an und hoffen, dass die Menschen aus dieser selbstmörderischen Narkose aufwachen und verlangen, dass jemand dem globalen Coup ein Ende setzt.


Die Operationen des Social Engineering und der Massenmanipulation haben zweifelsfrei bewiesen, dass dieses Verbrechen vorsätzlich begangen wurde und wie es mit einer „spirituellen“ Vision des Konflikts, der sich jetzt entfaltet, übereinstimmt: Es ist notwendig, Partei zu ergreifen und zu kämpfen, ohne nachzugeben. Die Wahrheit – die ein Attribut Gottes ist – kann nicht durch Irrtum aufgehoben werden, und das Leben kann nicht durch den Tod besiegt werden: Denken Sie daran, dass der Herr, der von sich selbst gesagt hat: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“, Satan bereits besiegt hat, und was von der Schlacht übrig bleibt, dient nur dazu, uns die Möglichkeit zu geben, die richtige Wahl zu treffen, uns für die Handlungen zu entscheiden, die uns unter das Banner Christi, auf die Seite des Guten stellen.


Ich bin zuversichtlich, dass dieses große Werk, das Sie in Angriff nehmen, bald die erwarteten Früchte tragen wird und eine Zeit der Prüfung beendet, in der wir sehen, was aus der Welt wird, wenn wir uns nicht zu Christus bekehren, wenn wir weiterhin glauben, dass wir mit dem Bösen, der Lüge und der Selbstanbetung koexistieren können. Denn die Stadt Gottes ist das Vorbild derer, die in Gottes Liebe, Selbstbeherrschung und Verachtung für die Welt leben; die Stadt des Teufels ist das Vorbild derer, die in Selbstliebe leben, sich der Welt anpassen und Gott verachten.


Ich danke Ihnen und segne Sie alle.

+ Carlo Maria Viganò, Erzbischof
20. November 2022


Ende Übersetzung


*MD4CE International ist eine investigative internationale Gruppe von Ärzten, Wissenschaftlern, Anwälten, Journalisten, Wirtschaftswissenschaftlern, Historikern, Politikern, Philosophen, Datenanalysten, Bankern, Militär- und Geheimdienstexperten.


Quelle: Scribd

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In eigener Sache:

Im März 2020 haben viele von Ihnen dieser Seite geholfen, weiterzumachen. Das war, als ich dachte, ich müsste Tagesereignis aufgeben, da ich die Seite bis dahin aus eigener Tasche finanzierte und dabei deshalb hohe Opportunitätskosten hatte, weil ich durch den hohen Arbeitsaufwand für die Seite andere, lukrative, Möglichkeiten aufgeben musste.


Im Juli 2021, nach etwa 15 Monaten, hörte die Spendenbereitschaft relativ plötzlich auf. Ich dachte zuerst, es liegt an den Ferien, aber danach ging es auch nicht weiter. Die Opportunitätskosten verschlingen seitdem wieder meine Rücklagen, der Arbeitsaufwand ist weiterhin hoch.

Nicht weiterzumachen wäre sehr schade, denn ich mache das wirklich sehr gern. Da ich selbst recherchiere und schreibe ist das eine sehr zeitfüllende tägliche Arbeit. Aber anders kann und will ich nicht arbeiten, so habe ich das einmal gelernt.


Wer die Wahrheit spricht, den sperrt PayPal. Das war allerdings erst im Januar 2022. Begründung: Wir mögen Ihre Beiträge nicht. ???? Ich musste an dieser Stelle tatsächlich lachen, als ich das las. Es ging also nicht um einen Verstoß, sondern um die Fakten und eventuell auch um die Meinung, die ich gelegentlich dazu schreibe. Für die Fakten kann ich nichts und natürlich ist die Pressefreiheit noch einmal ganz besonders geschützt. Ich werde mich selbstverständlich dem PayPal-Meinungsdiktat nicht beugen.


Ich habe PayPal danach nie kontaktiert, denn mein Vertrauen in diese Institution ist hinüber und das reicht für einen Schlussstrich auch bei mir. Meine PayPal-Abonnenten haben in der Mehrzahl dann leider keine andere Option wahrgenommen, mich weiter zu unterstützen.


Wenn Sie, wie ich, auch möchten, dass Tagesereignis weiter existiert, dann würde mich das sehr freuen. Aber ich kann nur mit Ihrer Unterstützung weitermachen und auch nur dann, wenn ich meine Rücklagen nicht mehr angreifen muss (die reichen leider nicht ewig).


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Bitte denken Sie auch an Maria, die meine Beiträge als Video einbindet. Sie macht das auch pro bono. Eine Unterstützungsmöglichkeit für sie finden Sie auf ihrem Rumble-Kanal Tagesereignis, auf den sie die Beiträge hochlädt. Wenn sie mich unterstützen wollen, dann freue ich mich, wenn sie das hier tun.


Tagesereignis wurde gegründet, um den Menschen Hoffnung zu schenken. Ich würde Ihnen gerne weiter vermitteln, welch ein positives Gefühl mich selbst in diesen Zeiten begleitet, wenn ich an die Zukunft der Menschheit denke. Seit meiner Jugend wusste ich, dass eine ganz besondere Zeit kommen würde. Ich wusste nicht, was es sein würde, aber als sie da war, da wusste ich, dass es das ist. Und auch, dass wir es schaffen werden!


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Vielen ❤️lichen Dank!


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???? Seit einiger Zeit finden wir uns abends um 21:30 Uhr und/oder morgens um 8:00 Uhr zusammen, um gemeinsam die Basis für einen weltweiten, dauerhaften Frieden zu schaffen. Wer sich angesprochen fühlt, mag mit uns einige Minuten lang um eine friedliche, gerechte neue Zeit meditieren oder beten, bitten, sich vorstellen, den Frieden fühlen – so, wie es für Sie am besten passt. Wir haben uns hier den Initiatoren und Lesern des Buches „Nur mit dem Herzen sieht man gut“angeschlossen und freuen uns, wenn auch Sie mitmachen!


Info: https://tagesereignis.de/2022/12/politik/erzbischof-carlo-maria-vigano-gedanken-zur-aktuellen-globalen-krise/34233

01.12.2022

Wie und mit wem können wir die Gesellschaft umgestalten?

seniora.org, 01. Dezember 2022

Der Standpunkt der humanistischen Psychologie ist relativ neu, noch nicht gründlich erarbeitet, schwer vermittelbar und nicht im Interesse der Herrschenden


Von Rudolf Hänsel* - NRHZ-Online-Flyer Nr. 802 vom 30.11.2022 - übernommen von Neue Rheinische Zeitung

Die Welt ist in einem Zustand, der wenig Hoffnung aufkommen lässt. Während für weltweite Kriege und Waffen, die die Menschen jenseits der Grenzen erschlagen, unerschöpfliche finanzielle Mittel bereitgestellt werden, sind mehrere Millionen Kinder und Jugendliche in einem der wohlhabendsten Länder der Welt armutsgefährdet.


Deshalb müssen die Menschen aufgeklärt werden; man muss ihnen die Wahrheit sagen. Doch Aufklärung allein wird die Gesellschaft nicht umgestalten. Auch soll der Zustand der Welt nicht nur beschrieben, sondern vor allem verändert werden. Doch wie und mit wem soll das geschehen? Die Forschungsergebnisse der Tiefenpsychologie verweisen auf die Erziehung des jungen Menschen. Sie sei wichtiger als Aufklärung. Aber der Standpunkt der humanistischen Psychologie ist relativ neu, noch nicht gründlich erarbeitet, schwer vermittelbar und vor allem nicht im Interesse der Herrschenden, des Staates und der Kirche.
 
Ungeachtet dessen ist es für eine friedliche und humane Zukunft von großer Bedeutung, den Menschen durch Erziehung und Aufklärung das psychologische Wissen über sich selbst und die Mitmenschen zu vermitteln, damit sie sowohl ihre persönlichen Probleme lösen als auch damit beginnen können, die Welt in friedliche Bahnen zu lenken.
 
Der Jugend als Vorposten einer neuen Gesellschaft, des Fortschritts und einer humaneren Welt soll dabei unsere besondere Aufmerksamkeit zuteilwerden.
 
Zur Bedeutung der Aufklärung
 
Da die Politik in den Köpfen und Herzen der Menschen vorbereitet wird, handeln die Menschen morgen so, wie sie heute denken. Deshalb kann die Bedeutung der Aufklärung nicht hoch genug eingeschätzt werden. Der Sinn aufklärerischer Bemühungen ist die Reinigung des menschlichen Bewusstseins von individuellen und kollektiven Vorurteilen.
 
Die Zerstörung von Vorurteilen bedeutet mehr als ein bloßes intellektuelles Unterfangen; der „aufgeklärte Verstand“ ist fähig, gesunde Lebensziele ins Auge zu fassen. Die Zukunft unserer Kultur wird wesentlich davon abhängen, ob es genug „Aufklärer“ geben wird, die imstande sein werden, den breiten Volksmassen jene Vorurteile zu nehmen, die der ideologische Hintergrund der Menschheitskatastrophen sind. Intellektuelle haben dabei eine große Verantwortung, denn ihre Pflicht wäre es, für die anderen Menschen zu denken und mit der Freiheit des Denkens die Freiheit überhaupt zu proklamieren.
 
In einer Zeit, in der die Bedrohung durch die Atombombe die Selbstvernichtung der Menschheit als möglich erscheinen lässt, bedürfen wir mehr denn je der „freien Geister“, die uns lehren, was Wahrheit und was Lüge ist.
 
Der französische Aufklärer Baron Paul-Henri Thiry d’Holbach schrieb dazu bereits vor 250 Jahren in der Einleitung seines Buches „Der gesunde Menschenverstand des Pfarrers Meslier“:

„Es ist vergebene Mühe, die Menschen von ihren Lastern heilen zu wollen, wenn man nicht mit der Heilung ihrer Vorurtheile beginnt. Man muss ihnen die Wahrheit sagen, damit sie ihre theuersten Interessen kennen lernen, und die wahren Motive, welche sie der Tugend und ihrem wahren Glück zuführen.
 
Die Volkslehrer haben lange genug ihre Augen zu dem Himmel erhoben; möchten sie endlich sie der Erde zuwenden! (…). Sagen wir den Menschen, dass sie gerecht sein wollen, wohltätig, mässig und gesellig, nicht weil es ihre Götter verlangen, sondern weil man seinen Nebenmenschen zu gefallen suchen muss; (…).
 
Die Wahrheit ist einfach, der Irrtum ist compliziert, unsicher in seinem Gange und von Abwegen umgeben. Die Stimme der Natur ist verständlich; die der Lüge ist zweideutig, räthselhaft, mysteriös. Der Weg der Wahrheit ist gerade, jener des Betrugs ist krumm und finster. Diese Wahrheit ist allen Menschen nothwendig, und wird von allen Gerechten gefühlt. Die Lehren der Vernunft sind für alle Jene, die redlichen Gemütes sind. Die Menschen sind unglücklich, weil sie unwissend sind; sie sind unwissend, weil sich alles gegen ihre Aufklärung verschwört, und bloss darum schlecht, weil ihre Denkkräfte nicht hinreichend entwickelt.“ (1)


Eine Wahrheit der Gegenwart ist zum Beispiel, dass die Ungleichheit unter den Menschen in Deutschland   – einem der weltweit wohlhabendsten Staaten   – stärker wächst als während der Pandemie, dass mehr als zehn Millionen Menschen, darunter mehrere Millionen Kinder und Jugendliche armutsgefährdet sind und dass immer mehr Menschen unter die Armutsgrenze fallen, was laut Warnung des Wirtschaftsexperten und DIW-Chefs Marcel Fratzscher „fatale Folgen für die Gesellschaft“ (das heißt, für die Grundfesten des demokratischen Miteinanders) haben würde (2).
 
Doch Aufklärung allein reicht nicht aus, die gegenwärtige Gesellschaft umzugestalten. Auch soll der Zustand der heutigen Welt nicht nur beschrieben, sondern vor allem verändert werden.
 
Wichtiger noch als Aufklärung ist denn auch das Problem der Erziehung. Die Forschungsergebnisse der Psychologie   – speziell der Tiefenpsychologie   – haben die Erziehung in ihrer ungeheuren Tragweite deutlich gemacht.
 
Die Psychologie in der Tradition des Humanismus
 
Das humanistische Denken, das die Menschheitsgeschichte seit ihren Anfängen durchzieht, gewann seit dem Ausgang des Mittelalters und dem Anbruch der Frühen Neuzeit im europäischen Geistesleben immer mehr an Bedeutung. Gemeint ist jenes Denken, das sich allmählich befreit von mystischen Spekulationen, von Obskurantismus sowie von Autoritätsgläubigkeit und das sich zur Aufgabe macht, vorurteilslos, realistisch und tolerant die Dinge der Welt zu erforschen. Unter „Obskurantismus“ wird das Bestreben verstanden, die Menschen bewusst in Unwissenheit zu halten, ihr selbständiges Denken zu verhindern und sie an Übernatürliches glauben zu lassen.
 
Das Aufkommen des wissenschaftlichen Denkens der Frühen Neuzeit hatte auch eine realistische Betrachtung des Menschen zur Folge: die menschliche Individualität, die Lern- und Entwicklungsfähigkeit sowie die Güte des Menschen und die Bedeutung der Erziehung wurden zu zentralen Themen der Philosophie.
 
Der historisch bedeutungsvolle Kampf gegen jegliche Bevormundung, für die Freiheit des Geistes und die Toleranz unter den Menschen begann. Die Aufklärung brachte zudem den Gedanken der Freiheit, Gleichheit und Mitmenschlichkeit als Grundvoraussetzung eines würdigen menschlichen Lebens ein.
 
Doch noch heute leben wir in einer Welt, in der sich der Mensch nicht erkannt hat. Alles hat er erkannt und erforscht; aber sich selbst, seine Natur, seine seelische Verfassung, seine Reaktionsweisen hat er nicht erkannt.
 
Vor dem Zeitalter er Psychologie herrschte im Gegensatz zur auf Kausalität beruhenden Wissenschaft die magische Weltanschauung des Mittelalters und der Religion, die die Menschen fest im Griff hatte. Man war der Meinung, dass die Seele des Menschen hier auf dieser Welt nur eine Prüfung durchmacht und dass der Mensch in den Himmel gehört; dort sei das ewige Leben.
 
Tatsache ist, dass wir in gewissem Sinne noch immer im Mittelalter leben. Wir haben das mittelalterliche Denken und Fühlen nicht hinter uns gelassen. Die Mehrheit der Menschen lebt noch in diesem Zustand.
 
Zwar haben die Erfolge in den Naturwissenschaften das Problem etwas erhellt, aber die Menschen denken noch wie im Mittelalter, beten zu Göttern, zum Teufel und zu Engeln. Ohne Psychologie wird die Menschheit nicht weiterkommen: Dass wir Kriege führen, das ist zurückzuführen auf den Mangel an psychologischer Erkenntnis. Auch die Tatsache, dass die Menschen unglücklich sind, dass sie Schwierigkeiten haben im Leben, dass unsere Gesellschaftsordnung nicht richtig funktioniert, ist zurückzuführen auf die Unkenntnis der Psychologie.
 
Von allen Institutionen werden die Menschen programmiert   – angefangen von der Erziehung zuhause bis hinauf zur Rekrutenschule und das „Feld der Ehre“. Das ist Programm, das ist bewusst. Und in dieser Stimmung werden die Menschen ein Leben lang gehalten.
 
Die Psychologie ist eine Wissenschaft über den Menschen, über die menschliche Natur: wie er wird, wie er heranwächst und wie er sich in seinem Leben zurechtfindet.
 
Aufgrund seiner Erfahrungen, die ihm vor allem die Eltern und Lehrer vermitteln, ist er dann das Produkt seiner Erlebnisse, seiner Eindrücke in der Kindheit. Bereits in den ersten fünf bis sechs Lebensjahren   – wenn das Kind in den Kindergarten kommt   – hat es schon seinen Kompass. Es weiß dann schon, wie es sich verhalten soll und hat eine Meinung über das andere Kind, über Vater, Mutter, Geschwister. Es hat schon seinen Weg, seine Charaktereigenschaften, seine Stellung in der Welt.
 
Tiefenpsychologische Menschenkenntnis und die Lehren des Individualpsychologen Alfred Adler als ein Grundpfeiler der Tiefenpsychologie
 
Die Forschungsergebnisse der Tiefenpsychologie, die den unbewussten seelischen Vorgängen einen hohen Stellenwert für die Erklärung menschlichen Verhaltens und Erlebens beimessen (Freund, Jung, Adler), können dazu verhelfen, dass psychisch irritierte Menschen in die Lage kommen, ihre Probleme in der Ehe, mit den Kindern und im gesellschaftlichen und staatlichen Leben zu lösen. Die Jugend kann das psychologische Rüstzeug bekommen, die Welt einmal in eine andere Bahn zu lenken.
 
Grundlegende Annahmen der Tiefenpsychologie sind vor allem die Annahme eines dynamischen Unbewussten als wesentlicher und hochwirksamer Teil unseres psychischen Lebens sowie der psychische Mechanismus der Verdrängung, der Übertragung und der Gegenübertragung und die Bedeutung der frühen Kindheit für die spätere Persönlichkeit.
 
Die Lehre Alfred Adlers ist zu einem Grundpfeiler der Tiefenpsychologie geworden und aus der psychologischen Forschung nicht mehr wegzudenken. Die Entwicklung der Tiefenpsychologie hat Adler in vielen Punkten Recht gegeben. Zu nennen ist zum Beispiel die Erkenntnis, dass der Mensch nicht einfach durch Triebe bestimmt wird, dass der Charakter des Menschen sich nicht aufgrund eines Vererbungsprozesses entwickelt und dass die Gemeinschaft im Leben des Menschen von zentraler Bedeutung ist.
 
Für Adler ist der Charakter ein schöpferisches Produkt des Kindes, entstanden aus der Auseinandersetzung mit den frühkindlichen Lebensumständen, insbesondere den Erziehungseinflüssen, die für die Charakterbildung am maßgeblichsten sind.
 
Auch die Medizin ist nach anfänglichem Widerstand der Kirche nur weitergekommen, indem sie die Funktion des Körpers erkannt hat. Ebenso will die Tiefenpsychologie das geistige und seelische Leben des Menschen erforschen. Dann können wir auch die Frage beantworten, wer Krieg führt, wer ihn jeweils heraufbeschwört. Sind das Menschen wie wir oder sind das andere Menschen?
 
Die Tiefenpsychologie   – ein Kind der Naturwissenschaft

 
Einige reife Menschen, die einen gedeckten Tisch und die Gelegenheit gehabt haben, sich zu bilden und zu forschen, haben erahnt, dass das gesellschaftliche System, wie es ist, nicht richtig ist. Drei von ihnen seien kurz erwähnt: Feuerbach, Marx und Kropotkin.
 
Der Erkenntnisstandpunkt des deutschen Philosophen, Anthropologen und Religionskritikers Ludwig Feuerbach (1804-1872) ist für die modernen Humanwissenschaften wie Psychologie und Ethnologie grundlegend geworden. Er forderte, dass der Mensch endlich damit aufhören müsse, ein Spielball der menschenfeindlichen Mächte zu sein, die sich der Religion zur Unterdrückung bedienen:


„Wir sehen den Menschen gebeugt unter der Last von Geschöpfen, welche nur Erzeugnisse ihres eigenen unfreien und furchtsamen Gemütes, unwissenden und ungebildeten Verstandes sind. Setzen wir an die Stelle der Gottesliebe die Menschenliebe, an die Stelle des Gottesglaubens den Glauben des Menschen an sich, an seine Kraft, werden wir aus Gläubigen zu Denkern, aus Betern zu Arbeitern, aus Kandidaten des Jenseits zu Studenten des Diesseits, und wir werden endlich ganze Menschen werden können.“ (3)


Der deutsche Philosoph, Ökonom, Gesellschaftstheoretiker, Historiker, Protagonist der Arbeiterbewegung sowie Kritiker des Kapitalismus und der Religion Karl Marx (1818-1883) hat sich auf Feuerbach abgestützt. Marx und andere   – zum Beispiel die Anarchisten   – haben angefangen, den Menschen richtig zu sehen. Wenn der Kampf gegen diese Gedanken nicht geführt worden wäre, wäre die Menschheit viel weiter, könnten sich die Menschen heute das Leben in jeder Beziehung besser einrichten.
 
Marx hat die übernatürliche Tendenz abgelehnt und den Menschen als Wesen der Natur gesehen, dessen Haltung geändert werden kann. Er meinte, dass die Verhältnisse den Menschen ändern. Wenn der Mensch die Sicherheit seines Lebens hat, denkt er anders; er hat andere Gedanken, andere Gefühle, eine andere Beziehung zum Mitmenschen. Marx vertrat die Auffassung, dass das Bewusstsein des Menschen durch die Verhältnisse geprägt wird. Seine Größe bestand darin, dass er den Menschen zurückgeholt hat auf die Erde. Er glaubte, dass der Mensch sich ändern kann. Und die Tiefenpsychologie bestätigt das. Wenn man den Menschen die Freiheit gibt, dann werden sie gesund.
 
Solange im Diesseits nicht jeder menschenwürdig und ohne Furcht leben könne, meinte Marx, werde es den Glauben an ein besseres Jenseits, an eine ausgleichende Gerechtigkeit geben:

„Die Religion ist das Streben nach illusorischem Glück des Volkes, das einem Zustand der Gesellschaft entspringt, welcher der Illusion bedarf.“ (4)


Der russische Anarchist, Sozialist, Historiker, Geograph, Wissenschaftler sowie Philosoph und Schriftsteller Fürst Pjotr Alexejewitsch Kropotkin (1842-1921) kämpfte für eine gewalt- und herrschaftsfreie Gesellschaft und gilt als einer der einflussreichsten Theoretiker des kommunistischen Anarchismus. Sein wissenschaftliches Werk lautete: „Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt“.
 
Kropotkin vollbrachte eine große Leistung, indem er die Natur beobachtete sowie die Naturwesen und seine Beobachtungen auf den Menschen bezog. Die heutige Meinung über den Menschen, die durch die wissenschaftliche Tiefenpsychologie bestätigt wird, hat Peter Kropotkin vorausgeahnt. Mit ihm fing die Neuzeit an. In der Neuzeit hat man damit begonnen, den Menschen richtig zu erkennen. Hierzu ein bewegendes, zutiefst psychologisches Zitat Kropotkins:


„Der Mensch dem die Fähigkeit sich mit seiner Umgebung zu identifizieren anerzogen ist, ein Mensch der sich der Macht seines Herzens, seines Willens bewusst ist, stellt seine Fähigkeiten frei in den Dienst der Anderen, ohne in dieser oder in einer anderen Welt dafür eine Belohnung zu erwarten. Vor allem besitzt er die Fähigkeit die Gefühle anderer zu begreifen, sie mitzuerleben. Dies genügt. Er teilt mit den anderen Freud und Leid. Er hilft ihnen, die schweren Zeiten ihres Lebens zu ertragen. Er fühlt seine Kräfte und verbraucht großmütig seine Fähigkeiten, andere zu lieben, andere zu begeistern, in ihnen den Glauben an eine bessere Zukunft zu wecken und sie zum Kampf für diese Zukunft hinzureißen. Welches Schicksal ihn auch erreicht, er nimmt es nicht als Leid, sondern als Erfüllung seines Lebens, das er nicht gegen ein pflichtloses Vegetieren eintauschen möchte, er zieht eventuell Gefahren einem kampf- und inhaltslosen Leben vor.“ (5)

Zusammen mit der materialistischen Geschichtsauffassung und indem er den Faktor der gegenseitigen Hilfe für die Evolution forderte, hat Kropotkin entscheidende Einsichten der Tiefenpsychologie vorausgeahnt.
 
Die materialistische Geschichtsauffassung war ein enormer Einbruch in die Gefühlswelt des Menschen: der Glaube an Götter und übernatürliche Wesen hörte auf. Davor war der Mensch noch im Mittelalter in seinem Denken. Erst durch die materialistische Geschichtsauffassung hat der Mensch angefangen, sich mit sich selbst zu befassen, sich selbst zu erkennen, zu deuten und sich zu erklären, warum er sich so verhält.
 
Vor der materialistischen Geschichtsauffassung hat die Meinung vorgeherrscht, dass die Seele des Menschen hier auf dieser Welt bloß eine Prüfung durchmacht und das ewige Leben erst im Himmel beginnt.
 
Zur Bedeutung der Erziehung
 
Wie im Abschnitt „Zur Bedeutung der Aufklärung“ bereits angedeutet, ist das Problem der Erziehung wichtiger noch als die Aufklärung, Die Ergebnisse der tiefenpsychologischen Forschung haben die Erziehung in ihrer ungeheuren Tragweite deutlich gemacht.
 
Die Erziehungsmethoden der Vergangenheit schufen den Menschentypus, der die Tragödie der Geschichte verursachen konnte; das autoritäre Prinzip, jahrhundertelang als fraglos-gültige Grundlage des erzieherischen Verhaltens angesehen, drosselte bereits in den Kindheitsjahren das Gemeinschaftsgefühl der Menschen und stattete sie mit jener Aggressionsbereitschaft aus, durch die eine gewalttätige Welt im Zustande der Gewalttätigkeit verharren konnte.
 
Heute weiß man, dass der Mensch in einem derartigen Maße das Produkt seiner Erziehung ist, dass man die Hoffnung hegen darf, durch bessere, das heißt, psychologische Erziehungsmethoden Menschen heranbilden zu können, die gegen die Verstrickungen des Machtwahns gefeit sein werden.
 
Indem die Pädagogik in Elternhaus und Schule auf ausschließliche Autorität und auf Gewaltanwendung verzichtet und sich mit wahrem Verständnis dem kindlichen Seelenleben anpasst, wird sie einen Menschentypus hervorbringen, der keine „Untertanen-Mentalität“ besitzt und darum für die Machthaber in unserer Welt kein gefügiges Werkzeug mehr sein wird.
 
Die Demokratisierung der Erziehung, aufgefasst als Achtung vor der kindlichen Persönlichkeit und als freundschaftliche Zuwendung des Erziehers zu seinem Zögling auf der Basis konsequenter Antiautorität ist dazu berufen, einen der wertvollsten Beiträge zum Aufbau einer humanen Gesellschaftsordnung zu leisten.
 
Eine aufgeklärte, vernunftbegabte und mitmenschlich eingestellte Jugend kann die Welt einmal in eine andere Bahn lenken
 
Bereits vor der Pandemie-Welle und lange vor dem weltweiten Kriegs-Geschrei berichteten Jugendliche aus einem wohlhabenden europäischen Land:


„Die Dichter frohlocken: ‚Schön ist die Jugend‘. Doch wie sieht es tatsächlich aus?  Bei genauerer Betrachtung zeichnet sich eine andere Realität ab. Die seelische Not ist groß; in allen Lebensbereichen sind wir entweder sehr gefordert oder überfordert. Was wir über die Welt und den Menschen erfahren, ist geprägt von Unwissenheit und Unaufgeklärtheit. Unsere Eltern sind trotz größter Bemühungen nicht in der Lage, uns eine realistische Einführung ins Leben zu geben. In unseren Kinderstuben herrscht das Prinzip von Religion und Mystik, von Verwöhnung und Strenge. Die Anerkennung ist immer an Bedingungen geknüpft; nur die Leistung zählt.

Ganz irritiert kommen wir in die Schule, wo die vorgefassten Meinungen bestärkt und zementiert werden: dumm und gescheit, arm und reich. Was zählt, ist die gute Note und nicht die gegenseitige Hilfe. Die Lehrkräfte haben nicht das Einfühlungsvermögen, unsere seelische Not zu empfinden und zu beheben.
 
So stehen wir da: ohne Aufklärung über den Menschen und die Welt, orientierungslos sowie unfähig, uns das eigene Leben und eine schöne Liebe einzurichten. Nachdem wir diese Erziehung durchlaufen haben, sind wir Karikaturen dessen, was wir sein könnten. Auf diesem Boden der mystischen Erziehung, konfrontiert mit Schulversagen und Liebesproblemen, ist jeder junge Mensch vorbereitet für die Drogen. Junge Menschen, die die Zukunft sein sollten, gehen zu Tausenden unter unsäglichen Qualen am Rauschgift zugrunde.“


Seit Anfang Jahr 2020 dürfte sich die allgemeine Situation weiter verschärft haben.
 
Warum der Jugend nicht die Erkenntnisse der Psychologie, eine psychologische Bildung vermitteln? Damit könnte man ihr ein Werkzeug in die Hand geben, womit sie ihre Lebens- und Liebesprobleme lösen und sich mit den Eltern versöhnen kann und womit sie Persönlichkeiten werden können.
 
Warum der Jugend nicht sagen, dass sie nicht in den Krieg ziehen soll? Mütter, Väter, Philosophen und Psychologen, Professoren und Persönlichkeiten aus allen Fakultäten.
 
Wenn das möglich ist und wenn es gelingt, dass sich die Jugendlichen einig sind   – einig im Zusammenleben und Zusammenwirken   –, dann werden sie ein Loch in diese Welt schlagen können. Sie sind doch die Vorposten einer neuen Gesellschaft, des Fortschritts. Vor allem die Jugendlichen können eine Umwälzung, eine Umgestaltung der Gesellschaft bewirken; eine schönere und humanere Welt schaffen.
 
Ich glaube an die Jugend, an ihre Lernfähigkeit, ihre Kreativität, ihre Einfühlsamkeit, ihr Verantwortungsgefühl, ihre Einsichtsfähigkeit und Bereitschaft zur Veränderung. Meistens fehlt jungen Menschen nur etwas Besonnenheit und Ausdauer, damit sie in kleinen Schritten ihre Kompetenzen entwickeln können.
 
Fußnoten:
 
(1) D’Holbach, P.-H. T. (1976). Der gesunde Menschenverstand des Pfarrers Meslier. Kritische Gedanken über die Religion und ihre Auswirkung auf die kulturelle Entwicklung. Zürich, S. 4ff.
(2) https://de.rt.com/inland/155345-experten-warnen-soziale-schere-klafft/
(3) De.wikipedia.org. Stichwort „Ludwig Feuerbach“
(4) De.wikipedia.org. Stichwort „Die deutsche Ideologie“
(5) Aus: Grasenack, Moritz (Hrsg.). Die libertäre Psychotherapie von Friedrich Liebling. Lich / Hessen, S. 45


rudolf haensel
*Dr. Rudolf Lothar Hänsel ist Lehrer (Rektor), Doktor der Pädagogik (Dr. paed.) und Diplom-Psychologe (Dipl.-Psych.). Viele Jahrzehnte unterrichtete er und bildete Fachkräfte fort. Als Pensionär arbeitete er als Psychotherapeut in eigener Praxis. In seinen Büchern und pädagogisch-psychologischen Fachartikeln fordert er eine bewusste ethisch-moralische Werteerziehung sowie eine Erziehung zum Gemeinsinn und zum Frieden.

Quelle: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=28358&css=print
© 2022 NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung

Nachtrag


Dr. Hänsel sandte uns eine Rückmeldung zu seinem Text von Prof. Dr. Klaus-Jürgen Bruder, Psychoanalytiker, Professor für Psychologie an der Freien Universität Berlin, Vorsitzender der Neuen Gesellschaft für Psychologie (ngfp),


sowie seine Antwort dazu weiter unten:.


Lieber Herr Hänsel,


Ich habe Ihren Beitrag in der Fassung, in der Sie ihn mir geschickt haben, gelesen.

Er enthält viele schöne Gedanken, die wichtig sind, verbreitet zu werden,

die aber nicht dazu dienen sollten, die Vorurteile der „Intellektuellen“ zu füttern.

Das wichtigste Vorurteil ist das, das Adler bereits 1919 (die andere Seite) kritisiert hatte,

der Dünkel, der Intellektuelle stünde intellektuell über der Masse der Bevölkerung,

um daraus das Vorrecht abzuleiten, die ungebildete unwissende geistig unentwickelte Masse „aufzuklären“.


Die Pandemie Inszenierung hat endgültig dieses Vorurteil in die Rumpelkammer der Geschichte verwiesen.


Im Gegensatz zu den Intellektuellen war es die Bevölkerung, die sich dem Pandemieregimes widersetzt hat,


denken Sie an die beiden Millionen Demonstrationen in Berlin.


Hier hat sich nicht nur die politische überlegene Reife der Bevölkerung gegenüber den Intellektuellen gezeigt, sondern die Funktion des dünkelhaften Vorurteils der Intellektuellen, ihr politisches Versagen zuzudecken und es stattdessen auf die Bevölkerung zu schieben.


Mit besten solidarischen Grüßen

Klaus-Jürgen Bruder

________________________

Lieber Klaus-Jürgen Bruder,


besten Dank für Ihre anerkennende, kollegiale Stellungnahme zu meinem Artikel „Wie und mit wem können wir die Gesellschaft umgestalten? Sie schrieben: „Viele schöne Gedanken, die wichtig sind, verbreitet zu werden.“


Einschränkend fügten Sie hinzu, dass diese Gedanken „nicht dazu dienen sollten, die Vorurteile der ‚Intellektuellen‘ zu füttern“. Das wichtigste Vorurteil sei Ihrer Meinung nach der „Dünkel, der Intellektuelle stünde intellektuell über der Masse der Bevölkerung“ und deshalb müsse man die „ungebildete, unwissende, geistig unentwickelte Masse ‚aufklären‘“.


Sie erwähnten in diesem Zusammenhang Alfred Adlers Schrift von 1919 „Die andere Seite“ und nannten als Beispiel die vergangene „Pandemie-Inszenierung“: die negative Rolle der Intellektuellen einerseits und die positive der breiten Bevölkerung andererseits.


Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann warnten Sie als erfahrener, selbstkritischer und weiser Intellektueller davor, dass meine Ausführungen von sogenannten Intellektuellen falsch verstanden werden könnten.


Bereits auf der Rückseite von Alfred Adlers Studie steht:


„In dieser Schrift aus dem Jahre 1919 wendet sich Adler mit aller Deutlichkeit dagegen, dass die Schuld am Krieg dem Volke zugeschrieben wird. Dabei bietet er auch keinerlei Ansatz, den Krieg aus dem Wesen des Menschen selbst zu begründen: ‚Der Mensch ist von Natur aus nicht böse‘“.

 

Tatsache ist doch, dass in der Vergangenheit alle Bürger versagten und sie weiterhin versagen, weil wir alle aus derselben autoritären und spekulativen Erziehung kommen, die uns dazu programmiert hat, dass wir nicht NEIN sagen können und ungeprüft allen Autoritäten zustimmen. Dabei hätten die Intellektuellen eine große Verantwortung.


Bis heute hat kein Professor der Jugend gesagt, dass sie nicht in den Krieg ziehen soll und keine Schule bietet den jungen Menschen psychologische Bildung an.


Lieber Klaus-Jürgen Bruder, in der Hoffnung, dass unsere Wissenschaft der Psychologie und ihre Vertreter die finsteren und menschenverachtenden Pläne der Herrschenden aufdecken werden und sie entschieden zu vereiteln versuchen, damit alle Menschen ein würdiges Leben führen können, verbleibe ich

mit solidarischen Grüßen,


Ihr Kollege Rudi Hänsel
Rudolf Lothar Hänsel, Dr. paed., Rektor a.D.,
Erziehungswissenschaftler, Dipl.-Psychologe


Info: https://seniora.org/erziehung/psychologie/wie-und-mit-wem-koennen-wir-die-gesellschaft-umgestalten?acm=3998_1582

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