06.12.2022

Wer ist der Aggressor? Die Friedensbewegung und der US-Stellvertreterkrieg in der Ukraine

seniora.org, 06. Dezember 2022 (dieser Artikel ist doppelt vorhanden)

Eine Analyse von George und Doris Pumphrey - 4 Dez. 2022 21:42 Uhr - übernommen von meinungsfreiheit.rtde.life


Zitat: Im politischen und medialen Mainstream, ja sogar in der Friedensbewegung, scheint der Fall klar zu sein: Russland gilt spätestens seit dem 24. Februar 2022 als "Aggressor". Diese ahistorische Betrachtungsweise führt in die Irre. Der Sachverhalt ist  – auch völkerrechtlich  – komplizierter, wie die hier dokumentierte Analyse zeigt.

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Die freundliche Fassade täuscht: Die Einweihungsfeier des neuen, 100 Millionen Dollar teuren, 300.000 Quadratmeter großen Hauptsitzes der RAND Corporation im kalifornischen Santa Monica mit einem "A Day of Dialogue" am 14. April 2005, Quelle: Gettyimages.ru © Ted Soqui/Corbis via Getty Images

"Der Konflikt wurde von der NATO ausgelöst. Es ist jetzt ein Konflikt, der von Russland gelöst werden wird." 

(Scott Ritter, ehemaliger Offizier für Aufklärung der US-Marineinfanterie und UN-Waffeninspekteur)


Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wähnte sich der US-Imperialismus als ewiger Hegemon, den nichts mehr daran hindern konnte, endlich seinen lang ersehnten Weg zu den enormen Bodenschätzen Russland antreten zu können. Destabilisierung im post-sowjetischen Raum durch "Farbrevolutionen" mit der Hilfe von NGOs und die Eindämmung Russlands durch die NATO-Osterweiterung sollten das Wiedererstarken Russlands verhindern. Die Ukraine spielt in diesem Plan eine besondere Rolle.


Die dem Pentagon nahestehende Denkfabrik "RAND Corporation" hat die US-Strategie deutlich formuliert: "Russland überdehnen und aus dem Gleichgewicht bringen"   – mit einem Katalog von Maßnahmen zur Schwächung Russlands. Die wichtigste Maßnahme zielte darauf ab, die Ukraine als "die größte externe Verwundbarkeit Russlands auszunutzen", sie zu bewaffnen und militärisch zu beraten, um einen Konflikt mit Russland zu entfachen.


Die Ukraine ist also nur Mittel zum Zweck. Dem diente der von den USA angeleitete und von der EU und der Bundesregierung geförderte Putsch in Kiew im Jahr 2014 und der Ausbau der Ukraine zum neonazistisch geprägten Bollwerk gegen Russland.


Die Bevölkerung im Donbass weigerte sich, sich den national-chauvinistischen Putschisten unterzuordnen, die die Verfassung suspendiert, allem Russischem den Kampf angesagt und die russischsprachigen Ukrainer diskriminiert hatten. Nach Referenden erklärten die Donbass-Regionen Donezk und Lugansk ihre Autonomie als Volksrepubliken. Sie verteidigten sich acht Jahre lang gegen die Aggressionen des fremdbestimmten Kiewer Regimes, die über 13.000 Menschenleben forderten.


Der Westen wollte keine friedliche Lösung

Die russische Regierung hatte sich für eine friedliche Lösung des Konflikts im staatlichen Rahmen der Ukraine eingesetzt, wie es im Abkommen Minsk II (Minsker Abkommen) vorgesehen war. Am 17. Februar 2015 hatte der UN-Sicherheitsrat mit seiner Resolution 2202 (2015) das Minsker Abkommen als völkerrechtlich verbindlich anerkannt, das unter anderem auch einen Sonderstatus für den Donbass vorsah. Als Garantiemächte sollten Deutschland, Frankreich und Russland für seine Umsetzung sorgen, die in den Folgejahren von Kiew systematisch sabotiert wurde.


Im Februar 2021 brachte Russland bei der OSZE einen Initiativantrag zur Unterstützung einer baldigen Umsetzung von Minsk II ein. Die Ukraine und die westlichen Länder, auch die Garantiemächte Frankreich und Deutschland, lehnten ab.


Das zentrale Element von Minsk II war der direkte Dialog zwischen Kiew und den Vertretern der Volksrepubliken im Donbass, zu dem letztere bereit waren. In einem Schreiben an den russischen Außenminister Sergei Lawrow im November 2021 erklärten Deutschland und Frankreich, dieses zentrale Element nicht mehr zu unterstützen. Es war die faktische Aufkündigung des völkerrechtlich verbindlichen Minsker Abkommens   – also ein Bruch des Völkerrechts. Damit wurde die Lösung des Konflikts im Rahmen der staatlichen Einheit der Ukraine unmöglich gemacht. Auf einer Pressekonferenz im September 2022 wies Außenminister Lawrow darauf hin, dass auch der UN-Generalsekretär nicht "aktiv genug die Erfüllung der Minsker Vereinbarungen unterstützt hat".


Mit dem Putsch in Kiew hatten die USA/NATO/EU und die Bundesregierung den Konflikt ausgelöst. Die Umsetzung des Minsker Abkommen wäre der Weg zu seiner friedlichen Lösung gewesen. Wie der ukrainische Präsident Poroschenko, der Minsk II unterzeichnet hatte, erst kürzlich erklärte, sei dies jedoch nie das Ziel gewesen. Er wollte mit Minsk II nur Zeit gewinnen, "um die besten Streitkräfte in Osteuropa zu schaffen, die nach NATO-Standards ausgebildet wurden". Das wollte anscheinend auch die damalige Kanzlerin Angela Merkel, wie sie nun in einem Interview freimütig erzählte.


Die russische Regierung hatte vergebens auf die politische Einsicht ihrer "Partner" gehofft und im Rahmen des Minsker Prozesses darauf bestanden, Donezk und Lugansk mit einem Sonderstatus in die Ukraine zurückzuführen. Es sei ein Fehler gewesen, wie Präsident Putin heute meint. "Russland hätte die Donbass-Republiken früher anerkennen sollen." Es hätte womöglich viel Leid erspart. Aber natürlich hätte es Russland nicht vor dem Geschrei aus dem Westen   – und Anschuldigungen auch aus der Friedensbewegung   – bewahrt, dass dies "völkerrechtswidrig" sei.


Die traditionelle Friedensbewegung hatte sich im Jahr 2014 bereits selbst gelähmt, als die Frage, ob der Beitritt der Krim zur Russischen Föderation vom Völkerrecht gedeckt war, vielfach eine größere Rolle spielte, als die Einsicht, dass damit der Plan der USA vereitelt wurde, aus Sewastopol einen NATO-Stützpunkt gegen Russland zu machen   – womit eine höchst friedensgefährdende Situation entstanden wäre. Der Anti-Putin-Tsunami, der damals seinen ersten Höhepunkt erreichte und die Angst als "Putin-Versteher" gebrandmarkt zu werden, wirkte zudem auf viele einschüchternd.


Im März 2021 hatte der ukrainische Präsident Selenskij ein Dekret zur militärischen Rückholung des Donbass und der Krim unterschrieben   – eine direkte Bedrohung auch des Territoriums der Russischen Föderation. Die Regierung sollte einen entsprechenden "Aktionsplan" entwickeln.

Mit konkreten Vorschlägen für Verträge mit den USA und der NATO über Sicherheitsgarantien versuchte die russische Regierung noch im Dezember 2021 die Situation zu entschärfen und die Grundlage für ein friedliches Miteinander zu schaffen.


Als Kiew im Januar/Februar 2022 den Aggressionskrieg durch die Konzentration seines Militärs mit seinen Neonazi-Bataillonen an den Grenzen von Donezk und Lugansk erheblich ausweitete, als die Artillerieangriffe gegen die dortige Bevölkerung immer intensiver wurden, als die USA/NATO immer noch keine konstruktive Antwort auf die russischen Vorschläge gegeben hatte, machte die russische Regierung laut einer Pressemitteilung am 17. Februar einen letzten Versuch, den bevorstehenden massiven Überfall der Kiewer Truppen zu verhindern und eine friedliche Lösung herbeizuführen.

Moskau warnte: "Sollte die amerikanische Seite nicht bereit sein, feste, rechtlich verbindliche Garantien zu vereinbaren, um unsere Sicherheit vor den USA und ihren Verbündeten zu gewährleisten, wird Russland gezwungen sein, zu reagieren, auch mit militärtechnischen Maßnahmen."

George Beebe, ehemaliger Direktor der Russland-Abteilung der CIA, blickt zurück:

"Die Wahl, vor der wir in der Ukraine standen   – und ich nutze absichtlich die Vergangenheitsform   – war, ob Russland sein Veto zu einer NATO-Beteiligung in der Ukraine am Verhandlungstisch oder auf dem Schlachtfeld ausüben würde. Und wir entschieden uns, dafür zu sorgen, dass das Veto auf dem Schlachtfeld ausgeübt wird, in der Hoffnung, dass Putin sich entweder zurückhält oder der Militäreinsatz scheitert."

Die USA/NATO/EU hatten kein Interesse an einer friedlichen Lösung. Die Strategie war, Russland zu schwächen und zu dezimieren.


Das vom Westen aufgekündigte völkerrechtliche Abkommen Minsk II, die provozierenden Ankündigungen über eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine und deren nukleare Bewaffnung und die zunehmende militärische Aufrüstung des Landes verschärften die Spannungen mit Russland. Am 8. Februar 2022 hatte die NATO-Denkfabrik Atlantic Council in einem Strategiepapier empfohlen:

"Das Ziel Washingtons sollte die Vertreibung der Russen aus der Ostukraine sein."

Am 21. Februar erkannte Russland die beiden Volksrepubliken Donezk und Lugansk als unabhängige Staaten an und unterzeichnete Verträge über Freundschaft und gegenseitigen Beistand. Am 24. Februar schließlich griff Russland in den schon seit acht Jahren dauernden Krieg ein, um seine Verbündeten vor der drohenden ethnischen Säuberung zu schützen und der wachsenden existenziellen Bedrohung der Russischen Föderation durch die USA und der NATO entgegenzutreten.

Wie Gabriele Gysi es passend formulierte:

"Der ukrainische Bürgerkrieg hat Russland die Verantwortung für die russische Bevölkerung der Ukraine aufgezwungen   – und damit Russland in diesen Krieg genötigt. Die 'russische Aggression' erfolgte nach langen Versuchen einer friedlichen Lösung der ukrainischen Probleme."

Friedensbewegung und "völkerrechtswidriger Angriffskrieg"

Viele ältere Linke in Parteien und der traditionellen Friedensbewegung, für die die Freundschaft mit der Sowjetunion und später mit Russland allein schon aus historischem Bewusstsein wichtig war, waren schockiert, enttäuscht, ihr Vertrauen in Russland war erschüttert. War es doch so einfach gewesen, die Politik eines Russlands zu verteidigen, das immer geduldig reagierte, dessen Bemühen um Einsicht seiner westlichen "Partner" endlos schien, und das doch von ihnen nur belogen und betrogen wurde.


Ausgerechnet die Friedensbewegung, die sich zur deutschen Verantwortung in der Geschichte bekennt, verschweigt in ihrer Mehrheit den russophoben Neonazismus, der in der Ukraine inzwischen alle Bereiche durchdringt. Wie glaubwürdig ist ein Antifaschismus, der keine eindeutige Position bezieht gegen die massive politische und materielle Unterstützung Deutschlands für ein Regime, das Nazi- und SS-Kollaborateure als Nationalhelden verehrt, allen voran den Massenmörder Stepan Bandera   – und gegen die faschistoide antirussische Hysterie, die den gesamten öffentlichen Diskurs hierzulande beherrscht und vergiftet.


Ohne sich die Zeit zu nehmen, die mit Russlands militärischem Einschreiten neu entstandene Situation umfassender zu analysieren, stimmte die Friedensbewegung empört   – und mit nur wenigen Ausnahmen   – sofort in den Kanon der NATO von Russlands "völkerrechtswidrigem Angriffskrieg" ein. Der Bundesausschuss Friedensratschlag erklärte: "Wir verurteilen die militärische Aggression Russlands gegen die Ukraine. Für Krieg gibt es keine Rechtfertigung. Die Mitschuld des Westens, insbesondere der USA und der NATO, rechtfertigen keinesfalls diese militärische Aggression."


Albrecht Müller, der frühere Planungschef im Bundeskanzleramt, der sich in erster Linie der Entspannungspolitik von Willy Brandt verpflichtet fühlt, fragte im Juli auf den NachDenkSeiten:

"Wann endlich hören die Verneigungen vor der allgemein üblichen Empörung über 'Putins Aggressionsverbrechen' auf!"

Er schlug vor, damit Schluss zu machen, denn Beschwörungsformeln wie "völkerrechtswidriger Überfall", "menschenverachtender Angriffskrieg" und so weiter würden nicht nur   – ansonsten gute Analysen   – relativieren und sogar entwerten, sondern auch dazu beitragen, "Vorurteile und Aggression gegen Russland" zu verstärken.


Die Beschwörungsformeln wurden zum neuen Gesslerhut, den viele aus Friedens- und linken Organisationen meinen grüßen zu müssen, um ihre "Glaubwürdigkeit" zu wahren.


Dabei beziehen sie sich fast ausschließlich auf das Gewaltverbot in internationalen Beziehungen, wie es in der UN-Charta Artikel 2, Absatz 4 festgelegt wurde. Von dieser Regel gibt es die Ausnahme in Artikel 51: "das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung". Der Bezug auf Artikel 51 wird aber von vielen in der Friedensbewegung als in diesem Zusammenhang belanglos abgetan. Die Donbass-Republiken hätten kein Recht zur Sezession von der Ukraine, und damit sei auch der Beistandsvertrag mit Russland völkerrechtlich ungültig. Vergessen wird, dass die Ukraine bei der Auflösung der Sowjetunion das Sezessionsrecht für sich in Anspruch genommen hatte, ohne Rücksicht auf die davon betroffenen Gebiete.


Man hatte Russland im Eiltempo mit Artikel 2 Absatz 4 der UN-Charta abgeurteilt und damit schien jede weitere Diskussion erledigt.


In seiner Erklärung "Souveränität der Ukraine durch NATO inspirierten Putsch verletzt", schrieb der Deutsche Freidenkerverband:

"Die Argumente, mit denen Russland Völkerrechtsbruch nachgewiesen werden soll, gehen abstrakt von der Prämisse aus, dass Russland aus heiterem Himmel ein Stück eines souveränen Staats abgetrennt hätte. Was dagegen wirklich in der Ukraine geschehen war: Durch einen gewalttätigen Putsch wurde die rechtmäßig gebildete und international anerkannte Regierung in Kiew gestürzt. (…) Sofort zeigte sich, dass die Putschregierung über große Teile des Landes keine Kontrolle hatte. Trotzdem wurde sie im Eilverfahren von den USA, den NATO- und EU-Staaten als legitime Vertretung der Ukraine anerkannt. Die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine wurden durch die NATO-Regierungen verletzt."

Berücksichtigt werden sollte auch Artikel 7 der Resolution 3314 (XXIX) der UN-Generalversammlung zur "Definition der Aggression":

"Diese Definition, insbesondere ihr Artikel 3, kann in keiner Weise das sich aus der Charta herleitende Recht auf Selbstbestimmung, Freiheit und Unabhängigkeit von Völkern beeinträchtigen, die dieses Rechtes gewaltsam beraubt wurden (...) insbesondere nicht von Völkern unter kolonialen oder rassistischen Regimen oder anderen Formen der Fremdherrschaft; noch das Recht dieser Völker, im Einklang mit den Grundsätzen der Charta und in Übereinstimmung mit der genannten Erklärung, für dieses Ziel zu kämpfen und Unterstützung zu suchen und zu erhalten."

Nach der Aufkündigung des völkerrechtlich verbindlichen Abkommens Minsk II durch Kiew und seine westlichen Auftraggeber hatten die Donbass-Regionen in ihrem Kampf gegen das fremdbestimmte russophobe Regime demnach das Recht auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit   – und das Recht, die Unterstützung Russlands zu suchen und zu erhalten.


Einige Kommentatoren halten die russische Unterstützung für einen Fall der sogenannten "Schutzverantwortung" oder "R2P" ["Responsibility to Protect"   – Anm. d. Red.]. Das ist falsch.

"R2P" ist eine imperialistische Doktrin, die von der NATO im Anschluss an die Aggression gegen Jugoslawien erfunden wurde. Im Rahmen der "R2P"-Doktrin beanspruchen die Imperialisten das "Recht", in ein anderes Land einzufallen und die Regierung zu stürzen   – angeblich um "Verbrechen gegen die Menschheit" zu unterbinden. Diese Doktrin wurde erstmals in Libyen angewandt, die Ergebnisse sind bekannt. "R2P" beruht also nicht auf der Bitte einer Regierung um ausländische Militärhilfe. "R2P" ersetzt das Grundprinzip der UN-Charta   – die souveräne Gleichheit aller Nationen   – durch das Recht des Stärkeren. Im Laufe der Jahre wurden begleitende Propaganda-Strukturen geschaffen, zu der auch der Internationale Strafgerichtshof und verschiedene "internationale Tribunale" sowie "Menschenrechts"-NGOs gehören   – alle auf Geheiß verschiedener westlicher Regierungen, um falsche Anschuldigungen zu propagieren, um Krieg und Regime-Change in Ländern, die sich ihrem Diktat widersetzen, zu rechtfertigen.


Die Entwicklungen seit dem 24. Februar zeigen, dass die NATO bereits tief in der Ukraine involviert war, und sie bestätigen die Begründung des russischen Eingreifens. Wie konkret diese Gefahr war, zeigen auch die Eingeständnisse der USA und der NATO. Denn was bedeutet es anderes, wenn der NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg heute stolz verkündet, dass die NATO sich seit dem Jahr 2014 auf den Krieg gegen Russland vorbereitet habe. Und wenn der Sprecher des Pentagon John Kirby sich brüstet, dass die USA und ihre Verbündeten die ukrainische Armee seit acht Jahren für den Krieg trainiert und ausgerüstet hätten.


US-Hegemonie versus multipolare demokratische Weltordnung

Jene in der Friedensbewegung, die so schnell bei der Hand waren, Russland zu verurteilen, sollten die Frage beantworten: Nachdem der Westen sämtliche Wege zur friedlichen Lösung versperrt hatte, welche konkrete Alternative wäre Russland denn noch geblieben? Zusehen, wie die Kiewer Armee mit ihren Neonazi-Bataillonen den Donbass überfällt, Massaker an ethnischen Russen verübt, sie hetzt und vertreibt? Hätte Russland vor der sich ständig zuspitzenden existenziellen Bedrohung kapitulieren sollen? Zusehen, wie die Ukraine endgültig zum offiziellen NATO-Stützpunkt ausgebaut würde   – mit der Stationierung von Atomwaffen? Ist es das, was Europa sicherer gemacht hätte? Ist es wirklich das, was die Friedensbewegung bevorzugt hätte?


USA/NATO/EU und die völlig verantwortungslose und geschichtsignorante Außenpolitik der Bundesregierung treiben in ihrem Wahn, Russland zu besiegen, die Eskalation immer weiter auf die Spitze und ermutigen damit das Kiewer Regime zu Provokationen, die den Weltfrieden gefährden   – wie jener Vorfall mit der ukrainischen Rakete, die in Polen einschlug, zeigte.


US-Militärs wissen, dass sich ein Krieg gegen Russland heute nicht mehr auf Europa begrenzen lässt, wie sie das in den 1980er Jahren erträumt hatten. Sie kennen die russische Militärstrategie und haben großen Respekt vor den neuen russischen Atomwaffen. So abwegig es klingen mag, es ist deren Abschreckungswirkung, die auch uns in Westeuropa schützt. Aus Furcht vor der russischen Reaktion scheut Washington mehr denn je auch den konventionellen Angriff gegen Russland, der in einem atomaren Weltkrieg enden könnte. Das zeigt die Reaktion der USA und der westeuropäischen NATO-Regierungen, die nach der ukrainischen Raketen-Provokation nicht schnell genug abwiegeln konnten.


Die Gefahr eines Atomkrieges ist dennoch nicht gebannt, da das Führungspersonal der "westlichen Wertegemeinschaft" inzwischen unterstes Niveau erreicht hat, vor allem in Bezug auf Verantwortung und Wahrnehmung der Realität   – wie man auch an ihren Provokationen gegen China sieht. Konflikte können sich zuspitzen, neue hinzukommen durch ihre "regelbasierte internationale Ordnung", die Volker Perthes, vormals Leiter der regierungsnahen "Stiftung Wissenschaft und Politik" (SWP) im Klartext beschreibt:

"Eine Allianz williger Staaten muss internationale Regeln ersinnen, ohne den Verdacht zu erwecken, dass es dabei um westliche Dominanz geht."

Wenn es um Krieg und Frieden geht, muss die Frage gestellt und beantwortet werden: Wer vertritt und verfolgt in der internationalen Auseinandersetzung welche Interessen? Die Friedensbewegung darf weder verschleiern noch Ursachen und Verantwortlichkeiten verschweigen, sondern muss hinterfragen und aufklären.


Will die Friedensbewegung hierzulande ein politisch bedeutsamer Faktor werden, dann muss sie sich einer Regierungspolitik widersetzen, die der US-Hegemonie im In- und Ausland dient und die von der Feindschaft, dem Wirtschaftskrieg und der Aufrüstung gegen Russland geprägt ist.

Der Eurozentrismus, der durch die EU noch weiter verengt wird, beeinflusst auch die Friedensbewegung. Viele scheinen nicht zu erkennen, dass das militärische Eingreifen Russlands in den seit acht Jahren von der NATO unterstützten Krieg in der Ukraine ein Katalysator war, um endlich die westliche Hegemonie zu brechen, die so viel Elend und Leid über die Welt bringt.


Immer mehr Länder, vorrangig im Globalen Süden, streben danach, sich von dieser hegemonialen Diktatur zu befreien. Sie wenden sich gegen die Doppelmoral, Bevormundung und den Neokolonialismus des NATO/EU-Westens und suchen die Kooperation mit Russland und China und den Bündnissen BRICS (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) und SOZ (Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit).


Das Eingreifen Russlands hat die Dynamik der internationalen Entwicklung in Richtung einer postwestlichen, multipolaren, demokratischen Weltordnung auf der Basis der "souveränen Gleichheit" aller Nationen beschleunigt. Das Völkerrecht, von dem sich der Westen schon längst verabschiedet hat, muss erst weltweit und für alle zur Geltung gebracht werden.

Es geht um den Kampf "US-Hegemonie versus multipolare, demokratische Weltordnung". Will die Friedensbewegung nicht in der Isolation enden, wird sie sich früher oder später für eine konsequente Positionierung entscheiden müssen.


Mehr zum Thema   – Versuchskaninchen: Das US-Impe

rium nutzt die Ukraine als Labor für Waffentests


Quelle: https://meinungsfreiheit.rtde.life/international/155707-wer-ist-aggressor-friedensbewegung-und


Mit freundlicher Genehmigung der Autoren


Info: https://seniora.org/politik-wirtschaft/wer-ist-der-aggressor?acm=3998_1589


unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

06.12.2022

Forderungen an FAO: Führungsstärke beim Klimaschutz & Ende der Allianz mit der Pestizid-Industrie

pressenza.com, 05.12.22 - Pressenza Berlin

Forderungen an FAO: Führungsstärke beim Klimaschutz & Ende der Allianz mit der Pestizid-Industrie


Während der Rat der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) heute zu seiner 171. Sitzung zusammentritt, fordert PAN Germany die UN-Organisation auf, mutige Führungsstärke beim Klimaschutz zu zeigen, indem sie ihr zwei Jahre altes Abkommen mit CropLife International (CLI), dem globalen Verband der größten Pestizidhersteller der Welt, unverzüglich aufhebt.


In einem Brief an die stellvertretende FAO-Generaldirektorin Beth Bechdol, der der FAO-Führung und den Ratsmitgliedern vorgelegt wurde, fordern die Adressaten „mehr Transparenz und Rechenschaftspflicht in Bezug auf die laufende und sich vertiefende Zusammenarbeit der FAO mit CropLife International“ und wiederholen damit frühere Forderungen, die von der Zivilgesellschaft und indigenen Völkern, Landwirt*innen und Landarbeiter*innen, Gewerkschaften, Wissenschaftler*innen und Akademiker*innen unterstützt werden.


„Wir wünschen uns von der FAO zurückzukehren zu ihrem Engagement für Agrarökologie, die unabhängig vom Gewinnstreben einzelner Konzerne allen Menschen, Bäuerinnen und Bauern weltweit zugutekommt. Die FAO hat das Wissen und die Erfahrung, in der Landwirtschaft Beschäftigte dabei zu unterstützen, mit der Natur innovativ zu wirtschaften, unabhängig von teuren Betriebsmitteln, deren Herstellung klimaschädlich ist und die wie bei den chemisch-synthetischen Pestiziden zu erheblichen Umweltbelastungen und Vergiftungen weltweit führen“, sagt Susan Haffmans, Referentin bei PAN Germany.


In einer im Oktober 2020 zwischen der FAO und CropLife unterzeichneten Absichtserklärung (Letter of Intent, LOI) wurde vereinbart, die Zusammenarbeit in weiten Arbeitsbereichen zu prüfen. Gegenstimmen von 200.000 Personen aus über 107 Ländern, über 430 Organisationen der Zivilgesellschaft und indigener Völker, fast 300 Akademiker*innen und Wissenschaftler*innen und von fast 50 philanthropischen Gruppen sowie dem UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung haben verhindert, dass die Absichtserklärung in ein formelleres Format (Memorandum of Understanding) umgewandelt wurde. Die Absichtserklärung, die kein Verfallsdatum hat und nicht dem neuen Due-Diligence-Verfahren der FAO für ihr Engagement mit dem Privatsektor unterzogen wurde, bleibt jedoch bestehen.


Synthetische Pestizide werden aus fossilen Brennstoffen gewonnen, beeinträchtigen die Fähigkeit des Bodens, Kohlenstoff zu binden, setzen Treibhausgase frei und machen die landwirtschaftlichen Systeme insgesamt anfälliger für die Auswirkungen des Klimawandels. Pestizide sind auch eine treibende Kraft im weltweiten Artensterben, durch das die Grundlage der Nahrungsmittelproduktion und der nachhaltigen Entwicklung bedroht wird. Schätzungen zufolge müssen der Einsatz und die Toxizität von Pestiziden um zwei Drittel reduziert werden, um den katastrophalen Verlust der biologischen Vielfalt aufzuhalten.


Die Zivilgesellschaft und Vertreter*innen indigener Völker, die während der COP17-Klimaverhandlungen und der bevorstehenden COP15 zur biologische Vielfalt nachdrücklich agrarökologische Alternativen zu toxischen Pestiziden gefordert haben, sind der Ansicht, dass die FAO die Möglichkeit hat, den Ausstieg aus dem auf fossilen Energieträgern basierenden Lebensmittelsystem einschließlich des Ausstiegs aus dem Einsatz von Agrarchemikalien anzuführen.


Die erneute Aufforderung an die FAO, ihre Vereinbarung mit der Pestizidindustrie zu beenden, kommt Tage nach dem 38. Jahrestag der Bhopal-Gastragödie in Indien, der jedes Jahr am 3. Dezember als Welttag gegen den Einsatz von Pestiziden gedacht wird.

Mehr Informationen und weitere Statements s. PAN International Pressemeldung vom 5.12.2022


Info: http://www.pressenza.net/?l=de&track=2022/12/forderungen-an-fao-fuehrungsstaerke-beim-klimaschutz-ende-der-allianz-mit-der-pestizid-industrie


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06.12.2022

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05.12.2022

Berlin und das „asiatische Jahrhundert“Außenministerin Baerbock bemüht sich in New Delhi um eine engere deutsch-indische Kooperation – auch, um Indien von seiner Zusammenarbeit mit Russland und China abzubringen.

german-foreign-policy.com, 6. Dezember 2022

NEW DELHI/BERLIN (Eigener Bericht) – In Gesprächen in New Delhi hat Außenministerin Annalena Baerbock gestern um eine enge deutsch-indische Kooperation geworben und damit Indiens Zusammenarbeit mit Russland zu untergraben versucht. Ihr Besuch in der indischen Hauptstadt erfolgte wenige Tage, nachdem Indien zum 1. Dezember den G20-Vorsitz angetreten hatte. Diesen will es nutzen, um den globalen Süden zu stärken und gegen einige Elemente und Folgen der westlichen Sanktionspolitik vorzugehen, etwa die Hindernisse beim Export russischer Düngemittel, die die Versorgung beispielsweise afrikanischer Staaten mit Nahrung im kommenden Jahr gefährden. Wie Außenminister Subrahmanyam Jaishankar bei einer Pressekonferenz mit Baerbock bekräftigte, baut Indien außerdem seinen Handel mit Russland aus. Baerbock vereinbarte mit Jaishankar eine „Mobilitätspartnerschaft“, die „hochqualifizierte Fachkräfte und junge Leute aus Indien nach Deutschland“ holen soll, um das Angebot an Arbeitskräften auszuweiten. Zudem thematisierte sie Indiens Beziehungen zu China. New Delhi und Beijing haben sich zuletzt im Streben nach einem „asiatischen Jahrhundert“ angenähert. Dem Westen passt das nicht.


Zitat: „Kein Krieg, keine Sanktionen“

Indien hat seinen G20-Vorsitz mit der ausdrücklichen Ankündigung angetreten, in der Weltpolitik Veränderungen einzuleiten. Dabei sucht es sich eigenständig zu positionieren; einen hervorgehobenen Platz räumt es „unseren Weggefährten im globalen Süden“ ein, „deren Stimme oft ungehört bleibt“, wie es in einem Namensbeitrag von Premierminister Narendra Modi heißt, der international in mehreren Zeitungen abgedruckt wurde.[1] Indien verbindet das Streben nach Eigenständigkeit mit klaren Abgrenzungen von bestimmten Politiken des Westens, punktuell aber auch Russlands. So heißt es in Modis Namensbeitrag: „Unsere Zeit muss nicht mehr vom Krieg geprägt sein – sie darf es auch nicht!“ Eine bedauerliche „Mentalität“, die „in allem ein Nullsummenspiel sieht“, komme „zum Tragen“, wenn „Länder um Territorien oder Ressourcen kämpfen“. Modi kündigt an, Indien wolle seinen G20-Vorsitz nutzen, um „die globale Versorgung mit Nahrungsmitteln, Düngemitteln und medizinischen Produkten zu entpolitisieren“. Die Ablehnung von Kriegen lässt sich auf den Ukraine-Krieg ebenso beziehen wie auf die Kriege des Westens. Der Wunsch nach einer Entpolitisierung von Versorgungsleistungen richtet sich gegen die westlichen Sanktionen etwa gegen Russland (Düngemittel [2]) oder Iran (Medikamente [3]).


Der indisch-russische Handel

Die indische Regierung lässt weiterhin keinen Zweifel daran, dass sie an ihrer Kooperation mit Russland festhält. Sie ignoriert den Preisdeckel, den die EU, die G7 und Australien seit gestern auf den Kauf russischen Erdöls zu oktroyieren suchen; indische Unternehmen erwerben russisches Öl unverändert zu den Preisen, die sie selbst vereinbart haben. Anfang November ist Russland erstmals zu Indiens größtem Öllieferanten aufgestiegen – vor dem Irak und vor Saudi-Arabien, seinen traditionell wichtigsten Versorgern.[4] Dank des rasant gesteigerten Imports von Öl und von Ölprodukten ist Indiens Einfuhr aus Russland zwischen dem 24. Februar und dem 20. November von knapp 6 Milliarden US-Dollar im Vorjahr auf mehr als 29 Milliarden US-Dollar in diesem Jahr gestiegen. Etwas zurückgegangen ist im gleichen Zeitraum hingegen Indiens Ausfuhr nach Russland – von annähernd 2,4 Milliarden US-Dollar im Vorjahreszeitraum auf gut 1,9 Milliarden US-Dollar in diesem Jahr. Ursache sind Befürchtungen, mit westlichen Sanktionen zu kollidieren. Um das Handelsdefizit zu reduzieren, hat die Regierung in New Delhi nun die Sache in die Hand genommen und müht sich, beim Russlandgeschäft indischer Unternehmen aktiver zu vermitteln. Dies kündigte Außenminister Subrahmanyam Jaishankar gestern bei einer Pressekonferenz mit der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock an.[5]


Fachkräfte für Deutschland

Baerbock ist gestern mit mehreren Zielen in New Delhi eingetroffen. Zum einen geht es allgemein darum, die bilateralen Beziehungen auszubauen, um die deutschen Positionen in Indien, das als künftige Großmacht gilt, zu stärken. Zum zweiten hat Berlin es auf indische Fachkräfte abgesehen, die den Mangel an bestimmten Berufsgruppen in Deutschland decken sollen, insbesondere im IT-Sektor. Die bisherigen Anwerbebemühungen wurden nicht selten dadurch konterkariert, dass die deutschen Behörden Visaanträge monatelang verschleppten; von einem zeitweise sechsstelligen Rückstau an Visaanträgen wird berichtet. Die Außenministerin vereinbarte nun mit ihrem indischen Amtskollegen Jaishankar eine „Mobilitätspartnerschaft“, die Studium und Arbeitsaufnahme in Deutschland erleichtern soll. „Wir wollen, dass hochqualifizierte Fachkräfte und junge Leute aus Indien nach Deutschland kommen“, erklärte Baerbock.[6] Im Bemühen, New Delhi enger an Berlin zu binden und perspektivisch nach Möglichkeit einen Keil zwischen Indien und Russland zu treiben, griff Baerbock auf platte Lobhudelei zurück: Sie erklärte zum Beispiel, in die indische Hauptstadt zu reisen sei, „als würde man einen guten Freund besuchen“. Zudem warb sie: „Wir können als Wertepartner enger zueinander wachsen und tun das bereits“.[7]


Der Wertepartner

Was von der Propagandamasche zu halten ist, Staaten, mit denen man enger kooperieren möchte, als „Wertepartner“ über andere zu stellen, zeigt exemplarisch ein Vorfall im Vorlauf der Baerbock-Reise nach New Delhi. In Indien hatte eine Äußerung der Ministerin anlässlich eines Gesprächs mit Pakistans Außenminister Bilawal Bhutto Zardari im Oktober für heftigen Unmut gesorgt. Baerbock hatte sich damals zur Lage in Kashmir geäußert; laut Berichten von Menschenrechtsorganisationen sind dort schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen der indischen Repressionskräfte an der zumeist muslimischen Bevölkerung an der Tagesordnung (german-foreign-policy.com berichtete [8]). Die Außenministerin hatte nun verlangt, in der Region müssten die Vereinten Nationen vermittelnd aktiv werden, und behauptet, dabei habe auch Deutschland „eine Rolle und Verantwortung“.[9] Worin eine deutsche „Verantwortung“ in Kashmir bestehen soll, ist nicht ersichtlich. Indien vertritt allerdings die Position, beim Konflikt in Kashmir handele es sich um seine innere Angelegenheit. Da die Kooperation mit Indien strategisch Vorrang hat, korrigierte Berlins Botschafter in Indien die Äußerung.[10] Auch Baerbock selbst zog sie vor ihrer Indien-Reise offiziell zurück und nannte den Konflikt in Kashmir gegenüber der Tageszeitung The Hindu eine „bilaterale“ Angelegenheit – eine zwischen Indien und Pakistan.[11]


Annäherung zwischen New Delhi und Beijing

In New Delhi besprach Baerbock gestern zudem die Beziehungen zwischen Indien und China. Indien versteht sich traditionell als asiatischen Rivalen der Volksrepublik und hat bis heute Grenzstreitigkeiten mit ihr, die zuletzt im Frühjahr 2020 zu tödlichen Scharmützeln an der Demarkationslinie zwischen beiden Staaten hoch oben im Himalaya führten. Im Westen gilt dies als Ansatzpunkt für Versuche, New Delhi für den eigenen Machtkampf gegen Beijing einzuspannen. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine haben sich allerdings – wohl im Bestreben, den heftigen Druck des Westens abzuwehren – Indien und China wieder angenähert und ihre Kooperation im BRICS-Format sowie in der Shanghai Cooperation Organisation (SCO) intensiviert.[12] Am 18. August äußerte Jaishankar dazu in einer Rede an der renommierten Chulalongkorn University in Bangkok, zwar erlebten die indisch-chinesischen Beziehungen zur Zeit „eine extrem schwierige Phase“; doch sei unumgänglich, dass sich beide Länder wieder annäherten: Nur dann könne das „asiatische Jahrhundert“ eintreten, das so viele in Asien wünschten.[13] Baerbock wollte dem entgegenwirken – mit einem Auftritt beim India Trilateral Forum des German Marshall Fund of the United States, der einen Ausbau der Beziehungen Indiens zur transatlantischen Staatenwelt anstrebt – auf Kosten der Beziehungen zwischen Indien und China.[14]

 

[1] Narendra Modi: Eine Erde – eine Familie – eine Zukunft. Frankfurter Allgemeine Zeitung 01.12.2022.

[2] S. dazu Die Hungermacher.

[3] S. dazu Die Kulturzerstörer und Im Westen keine Gnade.

[4] Chloe Cornish, John Reed, Tom Wilson: Russia becomes India’s top oil supplier as sanctions deflate price. ft.com 08.11.2022.

[5] Gave List Of Products To Moscow For Access To Russian Markets: S Jaishankar. ndtv.com 05.12.2022.

[6], [7] Mathias Peer: Baerbock lobt Indien als Wertepartner – obwohl das Land enorme Mengen an russischem Rohöl importiert. handelsblatt.com 05.12.2022.

[8] S. dazu Chinas Gegenspieler und Chinas Gegenspieler (II).

[9] India Takes Strong Note of German FM Advocating Role of UN in Kashmir Dispute. thewire.in 10.10.2022.

[10] Kai Küstner: Werben um Indien. tagesschau.de 05.12.2022.

[11] Suhasini Haidar: We understand India’s economic constraints on Russian sanctions, oil price cap: German Foreign Minister Baerbock. thehindu.com 04.12.2022.

[12] S. dazu The West against the Rest (II).

[13] China backs EAM Jaishankar’s ‘Asian century’ remark. timesofindia.indiatimes.com 20.08.2022.

[14] Germany FM Baerbock to discuss India’s relations with China, Russia during New Delhi’s visit. aninews.in 05.12.2022.


Info: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9103

05.12.2022

Nachrichten von Pressenza - 05.12.2022

Wird „Der Markt“ von heute durch Angebot und Nachfrage oder durch egozentrisch handelnde Weltkonzerne reguliert?


pressenza.net, 04.12.22 - Untergrund-Blättle, Woflgang Hauke


Wer dem kapitalistischen Narrativ glaubt, dass „der Markt“ von Angebot und Nachfrage bestimmt wird, stellt in der Regel die Millionen Werbebotschaften nicht in Rechnung, mit denen jeder moderne Kulturmensch sein Leben lang zum Konsum angeregt wird.


Zitat: Eine weitere künstliche Einflussnahme auf „Den Markt“ findet über die Börsen der Welt statt, was durch das Beispiel der täglich mehrfach in Deutschland wechselnden Benzinpreise sehr deutlich wird. Alle Massnahmen des heutigen Konzern-Kapitalismus zur Steuerung des Marktes beeinflussen nicht nur das Angebot und die Nachfrage, sondern auch das gesamte Marktgeschehen erheblich. Mit einer natürlichen Selbstregulierung von Angebot und Nachfrage hat das heutige Marktgeschehen daher nur noch wenig zu tun. Vielmehr verwirklicht der Markt heute eine eingespielte zentralistisch gesteuerte wirtschaftliche und politische Programmatik, die für jeden Menschen ein künstliches „Kulturschicksal“ bedeutet.Wir finden in der Kulturgeschichte viele Beispiele dafür, dass ein übermächtig gewordener Kulturadel ein absolutistisches und zentralistisches Machtstreben der diktatorischen bzw. der tyrannischen Art in die Umsetzung gebracht hat. Diese Versuche waren jeweils von einer medialen Agenda begleitet, um das Weltbild der betroffenen Völker entsprechend „positivistisch“ zu stimmen. Sobald dadurch der Weg zur Entwicklung eines Machtmonopols in der Kultur geebnet war, hat sich das Machtstreben der Kulturherren wie bei einer kanzerösen Entwicklung auf eine bodenlose Weise potenziert. Die dadurch entstandene grenzenlose Polarisierung von Macht und Ohnmacht hat am Ende alle zentralistischen Machtentwicklungen der religiösen, politischen und wirtschaftlichen Art durch eine einsetzende Kulturkrise scheitern lassen. Dennoch hat der Mensch aus diesen Entwicklungen bis heute nicht die erforderlichen Schlüsse gezogen, so dass auch der heutige Mensch in der Gefahr ist, ein weiteres derartiges „Kulturschicksal“ zu vollziehen.Auch der frühe „liberale“ Kapitalismus hat ein bodenloses absolutistisches Machtstreben in allen davon betroffenen Kulturen entfesselt, so dass daraus unter anderem die schweren Krisen des 1. und 2. Weltkrieges im 20. Jahrhundert entstanden sind. Die Frage, die sich der Mensch daher heute stellen muss, lautet, weshalb das gegenwärtige Machtstreben eines zentralistischen und absolutistischen Konzern-Kapitalismus mit Hilfe einer neoliberalen Religion zu einem anderen Endergebnis führen sollte, als das in der Vergangenheit stets der Fall war? Auch heute finden wir eine ständig sich intensivierende Spaltung in den Kulturen zwischen Arm und Reich, die darauf hinausläuft, dass immer weniger Kulturherren einer steigenden Masse an Menschen gegenüberstehen, die ohnmächtig in strukturellen „Sachzwängen“ gefangen sind und dadurch auf eine indirekte Weise zu Leibeigenen von unbekannten Kulturherren werden.


Mit dem „Washington Consensus“ von 1984 ist eine neue neoliberale politische und wirtschaftliche Agenda entstanden, die bis heute durch eine grosszügige „liberal-parasitäre“ Erfolgsreligion zu einer zunehmenden Machtkonzentration in der Politik und in der Wirtschaft geführt hat. Dabei wurde „der Erfolg“ als solches derart heilig gesprochen, dass man noch heute Geschäftsleute, denen es gelingt, andere Menschen „über den Tisch zu ziehen“ als „Teufelskerle“ bezeichnet und ihnen auf die Schultern klopft. Wer darüber einmal etwas eingehender nachdenkt, der erkennt darin einen äusserst destruktiven asozialen Kultus, der die sozial-symbiotische Natur des Menschen für unwichtig erklärt und ein parasitäres Verhalten per se verherrlicht. Dadurch ist ein „liberal-parasitärer“ Kapitalismus seit der Jahrtausendwende immer „selbstverständlicher“ geworden. Bis heute ist der Mensch dafür in einer geradezu hartnäckigen Weise blind geblieben und hat seine zunehmende Funktionalisierung zu einem Zahnrädchen einer globalen wirtschaftlichen Mega-Maschine akzeptiert. Die Folge ist eine immer selbstverständlicher werdende globale Produktion, in der Pflanzen, Tiere und Menschen gleichermassen „verbraucht“ werden.


Der Mensch darf sich daher auch nicht wundern, wenn die heutigen kulturellen Beziehungsverhältnisse immer mehr ins Bodenlose und Unhaltbare abgleiten, da die Völker einen „liberal-parasitären“ Konzern-Kapitalismus sanktionieren, immunisieren und finanzieren, der in den letzten 35 Jahren zu einem Karzinom der Sozial-Gesellschaft und der Natur der Erde geworden ist. Notwendig wird dadurch der Mensch, der sich mit einer solchen Kultur „identifiziert“ zu einer Metastase dieses Karzinoms und entwickelt Tendenzen für eine untergründige Selbstzerstörung.

Wir finden in der neoliberalen Agenda des Konzern-Kapitalismus ein neuartiges Narrativ der traditionellen religiösen Pädagogik von Belohnung und Bestrafung vor, das sich relativ unbemerkt in das Bewusstsein vieler Menschen eingeschlichen hat: „wer faul ist, wird bestraft, wer fleissig ist, wird belohnt“. Dieses Narrativ löst sich heute zusehends auf, da in einem „liberalen“ Konzern-Kapitalismus ein Mensch der sogenannten Unterschicht so fleissig sein kann wie er will, er lebt trotzdem jeweils am Rande des Existenzminimums. Das Streben nach einer zentralisierten absolutistischen oligarchischen Macht beinhaltet zwangsläufig die Bedingung, dass der „einfache“ Mensch jeweils so wenig wie möglich und nur so viel wie unbedingt nötig für die Aufrechterhaltung seines Lebens bzw. seiner Arbeitskraft erhält. Diese ungeschriebene neoliberale Logik wird zusätzlich durch die offiziellen ökonomischen Prinzipien untermauert: 1. Mit bestimmten Mitteln ein maximales Ergebnis erreichen. 2. Ein bestimmtes Ziel mit dem geringstmöglichen Aufwand zu erreichen.


So kommt es, dass der Mensch bereits seit 35 Jahren trotz einer wachsenden Weltwirtschaft mit stagnierenden Löhnen haushalten muss und mit einer fortschrittlichen sozialen Kälte konfrontiert ist, die sich mitunter bis zu dem Argument verirrt: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“. Auch in der politischen Gestaltung der Kultur hat sich seit der Verwirklichung der neoliberalen Religion immer mehr eine asoziale Agenda durchgesetzt. Seit der Jahrtausendwende erhält der in Not geratene Mensch nur noch so wenig wie möglich und nur noch so viel wie unbedingt nötig an Sozialhilfe durch „normal“ gewordene neoliberale Richtlinien. Diese überaus harte, asoziale Denkungsart ist bereits im afrikanischen Kolonialismus entstanden, wobei hier die wahre Natur der „liberal-kapitalistischen“ Gesinnung deutlich hervorgetreten ist. Die imperialistischen Herrscher haben in Afrika die Brotbäume gefällt und die natürlichen Nahrungsquellen zerstört, um die Afrikaner zu einer geregelten Arbeit zu zwingen. Wenn dies nichts half, wurden noch härtere Massnahmen ergriffen, wie etwa das Abhacken einer Hand (Belgisch-Kongo) oder andere „effiziente“ Methoden angewandt.


In der ersten Zeit der Kolonialisierung konnten die Afrikaner nicht durch schöne Worte dazu gebracht werden, das verdiente Geld zu sparen, da die Afrikaner keine Angst vor der Zukunft kannten. Vor der Kolonialisierung war kein Afrikaner durch Hunger oder Obdachlosigkeit gefährdet, da eine entsprechende soziale Hilfeleistung und Gastfreundschaft in allen afrikanischen Stammesgemeinschaften ein ungeschriebenes Gesetz und damit eine Selbstverständlichkeit war. Die Anwendung von Gewalt, das Zerstören der natürlichen Nahrungsquellen und die Trennung der Menschen voneinander waren daher in Afrika eine unverzichtbare Voraussetzung, um ein „liberal-parasitäres“ kapitalistisches Wirtschaftssystem in Gang zu setzen. Erst durch diese Erkenntnis wird deutlich, von welcher Art und Gesinnung der „liberale“ Kapitalismus war und ist und welche erheblichen destruktiven Folgen er für alle Gesellschaften zeitigt, die in ihn ein blindes Vertrauen setzen.


Wir können die Hauptintention des „liberalen“ Kapitalismus als eine alles vereinnahmende Gier nach einer absolutistischen Macht und Herrschaft über alle jeweils zur Verfügung stehenden Rohstoffe und Lebensformen begreifen. Aus dieser verheerenden Zielsetzung ist den betreffenden „Herrenmenschen“ eine bodenlose Sucht nach „immer mehr“ Macht und Profit entstanden, so dass der heutige Kapitalismus eine definitive Gefahr für eine menschliche Selbstzerstörung generiert. Wir können bereits seit 150 Jahren von einem karzinogenen Konzern-Kapitalismus sprechen, der seit der Jahrtausendwende ein immer gefährlicher werdendes wirtschaftliches Machtstreben in den westlichen Gesellschaften verfolgt und in allen Gesellschaften der Welt angeregt hat. Dieses affektive, zur Sucht gewordene Streben zerrt heute schwer an der menschlichen Natur und an der Natur der Erde.


Da der einfache Mensch darauf zunehmend mit einem totalitären Rückzug ins Private reagiert hat, überlässt sich ein Grossteil der Menschen heute einem kanzerösen Kapitalismus und nimmt eine schleichende fortschrittliche Degeneration der Gesellschaften einfach hin. Ohne eine natürliche Emanzipation von unten ist der heutige Mensch daher bereits ein verlorener Mensch.

Da man eine destruktive Kulturentwicklung wie alle Problemstellungen richtig einschätzen lernen muss, um sie aufheben zu können, ist die Frage durchaus wichtig, durch welche kulturellen Entwicklungen der „liberale“ Konzern-Kapitalismus zu einem derartig wirksamen kulturellen Komplex werden konnte. 2005 kommt eine Spiegel-Film-Dokumentation mit dem Titel „The Corporation“ diesbezüglich zu der Feststellung, dass die amerikanischen Konzerne, die bis heute eine globale kapitalistische Vorbildfunktion haben, vor allem durch 2 richterliche Entscheidungen des obersten Gerichtshofes eine alles beeinflussende Macht in Amerika bzw. in der gesamten westlichen Kultur erreicht haben.


Nach dem amerikanischen Bürgerkrieg (1861-1865) wurde der 14. Zusatz zur amerikanischen Verfassung beschlossen, der allen Schwarzen und anderen Minderheiten unveräusserliche Persönlichkeitsrechte zugestand, um das Aufkommen von neuen sklavenähnlichen Beziehungen in Amerika zu unterbinden. Daraufhin haben die amerikanischen Unternehmer darauf bestanden, dass auch Firmenkonstrukten, wie etwa der GmbH oder der Aktiengesellschaft, die mehrere Gesellschafter vereinen, eine eigene „Persönlichkeit“ mit kulturellen Rechten und Pflichten zugestanden wird, um eine bessere gesellschaftliche Verkehrsfähigkeit zu erreichen. Dieser Rechtsstatus wurde den Unternehmen schliesslich nach langem Ringen durch den obersten Gerichtshof in Amerika zuerkannt. Durch diese richterliche Entscheidung konnten sich die amerikanischen Unternehmer von der bis dato vorherrschenden strengen staatlichen Regulierung in Amerika immer mehr befreien, so dass es in Amerika zu dem Phänomen einer Monopolisierung der Macht in vielen Wirtschaftsbereichen kam. Die dadurch entstehenden Wirtschaftsmogule wurden nicht zu Unrecht in Amerika als „Robber Barons“ bezeichnet.


Die zweite verheerende Entscheidung des obersten Bundesgerichtshofs von Amerika betraf und betrifft die Patentierung von Lebewesen als Konzerneigentum in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts. Der Präzedenzfall dafür wurde mit dem Versuch geschaffen, künstlich erzeugte Mikroorganismen zu patentieren. Ein solches Patent wurde vom obersten Gerichtshof nach mehreren Berufungsverfahren erteilt. Dadurch setzte ein Run auf die Patentierung von tierischen und pflanzlichen Genen ein, so dass schliesslich auch der Antrag für die Patentierung einer Maus genehmigt wurde. Diese grundsätzliche Veräusserung des Lebens an die Konzerne ist bis heute nur durch ein Verbot für die Patentierung von menschlichen Genen beschränkt geblieben.

Heute können wir feststellen, dass die Beschlüsse des Obersten Gerichtshofes von Amerika zu einem kulturellen Dammbruch für eine bodenlose Vereinnahmung des irdischen Lebens durch die Konzerne geführt haben. Dadurch fällt heute allen Kulturmenschen eine ebenfalls selbstverständlich gewordene unverschämte technische Vereinnahmung des Menschen durch die Konzerne und durch eine neoliberal agierende Staatsmacht auf die Füsse. Diese Vereinnahmung erfolgt seit der Jahrtausendwende auf leisen Sohlen, indem die Konzerne und der Staat dem Einzelnen durch immer mehr Datenerhebungen und durch immer mehr bürokratische Sachzwänge wertvolle Lebenszeit und Lebensenergie rauben, so dass aus dem Menschen nach und nach wie von selbst ein Leibeigener der Kultur wird.


Dadurch sind die Konzerne immer mehr zu Göttern einer schönen neuen kapitalistischen Kulturwelt geworden, da sie sich eine rahmenlose „liberale“ Kulturwelt geschaffen haben, in der alles erlaubt ist, was nicht verboten ist. Bis heute sind die Konzerne per Gesetz nur den Interessen ihrer Anleger und ihrer Finanziers verpflichtet, nicht aber der Gesellschaft und auch nicht der Natur der Erde. Die Macht, die die Konzerne dadurch erreicht haben, bedeutet heute, dass das „Persönlichkeitsrecht“ eines Konzerns hunderttausendfach schwerer wiegt als das Persönlichkeitsrecht eines Menschen. Dadurch hat der „kleine Mann“ in einer nachvollziehbaren Weise keine wirkliche Chance, sich gegen die Macht eines Konzerns erfolgreich durchzusetzen. Kommt der Mensch daher heute nicht zu einem natürlichen Verstand und erkennt die Tragweite dieser vereinnahmenden und überwältigenden „liberal-parasitären“ Wirtschafts- und Kulturpolitik nicht, dann hat der Mensch notwendig keine natürliche bzw. lebenswerte Zukunft vor sich.

Das Streben nach Freiheit und nach der „biologischen“ Wahrheit sind gerade wegen einer gegenwärtigen Kulturwelt der Lügen, Halbwahrheiten und Scheinheiligkeiten die wirksamsten Instrumente, die der „einfache“ Mensch zur Anwendung bringen kann, um eine soziale und biologische Gesellschaftsorganisation zu erreichen. Nur dadurch kann der Mensch seine gegenwärtige, äusserst tragische kulturelle Betriebsblindheit gezielt beenden und seine Lebensgestaltung in einer wirksamen Weise verändern.+


Info: Der Originalartikel kann hier besucht werden

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Erdgas und Panzer


pressenza.net, 04.12.22 - GERMAN-FOREIGN-POLICY.com


Qatar sagt Deutschland Flüssiggaslieferungen für 15 Jahre zu – zu wenig, um russisches Gas zu ersetzen, zu lange für die Energiewende. Deutsche Firmen bauen Qatars Rüstungsindustrie auf. Deutschland wird ab 2026 relativ geringe Mengen Erdgas aus Qatar erhalten und muss sich auf eine Vertragslaufzeit einlassen, die offen der Energiewende zuwiderläuft. Dies sieht eine Liefervereinbarung vor, die gestern nach langwierigen Verhandlungen mit dem Staatskonzern Qatar Energy erzielt werden konnte. Demnach wird Qatar in vier Jahren beginnen, zwei Millionen Tonnen Flüssiggas im Jahr zu liefern – rund 5 Prozent der Menge, die Nord Stream 1 transportierte. Woher das bis 2026 benötigte Erdgas kommen soll, ist weiterhin unklar. Experten urteilen, bei konsequenter Umsetzung der Energiewende solle eigentlich bereits in fünf Jahren kein zusätzliches Flüssiggas mehr nötig sein. Robert Habeck, Minister für Wirtschaft und Klimaschutz, nennt die 15-Jahre-Laufzeit „super“. Der Ausbau der Zusammenarbeit mit dem Emirat, das die Bundesregierung zur Zeit mit einer Negativkampagne überzieht, findet auch auf anderen Geschäftsfeldern statt. So unterstützen deutsche Rüstungskonzerne Doha beim Aufbau einer eigenen Rüstungsindustrie. Qatar hat aus Deutschland Kampfpanzer und weitere Waffen für Milliardensummen erhalten, darunter Flugabwehrpanzer zum Schutz der Fußball-WM.


Zitat: Zu wenig, zu lange

Die Bundesrepublik erhält ab 2026 jährlich zwei Millionen Tonnen Flüssiggas aus Qatar. Eine entsprechende Vereinbarung hat gestern der Energieminister des Emirats und Chef des Staatskonzerns Qatar Energy, Saad Sherida al Kaabi, bekanntgegeben.[1] Die Lieferungen werden bis 2041 fortgesetzt. Der Preis ist nicht bekannt. Zwei Millionen Tonnen Flüssiggas entsprechen 2,7 Milliarden Kubikmetern Erdgas; das sind rund 3 Prozent des deutschen Verbrauchs (2021: 90,5 Milliarden Kubikmeter) und rund 5 Prozent der Menge, die jährlich über Nord Stream 1 geliefert wurde.[1] Um das Erdgas aus Russland zu ersetzen, fehlt noch viel. Zudem ist weiterhin vollkommen unklar, woher Deutschland bis 2026 sein Erdgas erhalten soll; ausschließliche Käufe auf dem Spotmarkt wären überaus teuer. Hinzu kommt, dass die Laufzeit der Vereinbarung dem Ausstieg aus dem Verbrauch fossiler Energieträger entgegensteht. Berlin hatte Verträge mit einer Laufzeit von 5 Jahren gewünscht; bis dahin müsse Deutschland eigentlich „so viel Gas eingespart haben, dass LNG-Importe nicht mehr nötig sind“, wird Niklas Höhne, ein Experte des New Climate Institute, zitiert.[2] Verträge von fünf Jahren sind aber nicht zu haben, da sich mit ihnen die neuen Förderanlagen, die Qatar errichtet, nicht finanzieren lassen.


Prügel für den Lieferanten

In den vergangenen Tagen und Wochen hatten mehrere deutsche Minister sowie andere Spitzenpolitiker Qatar, das sich jetzt als Erdgaslieferant für die Bundesrepublik zur Verfügung stellt, nicht nur scharf attackiert, sondern es im Rahmen einer Negativkampagne anlässlich der Fußball-WM öffentlich bloßgestellt. So hatte Innenministerin Nancy Faeser während des ersten Spiels der deutschen Mannschaft am vergangenen Mittwoch auf der Tribüne mit einer „One Love“-Binde posiert – ein für Regierungsmitglieder nicht üblicher Affront: So ist nicht bekannt, dass Faeser etwa bei Besuchen in den USA eine „Black Lives Matter“-Binde tragen würde.[3] Wirtschaftsminister Robert Habeck hatte die Vergabe der WM an Qatar öffentlich für „bekloppt“ erklärt – eine Äußerung, die Qatars Energieminister Al Kaabi als „nicht hilfreich für die Beziehungen“ einstufte.[4] Habeck, auch Minister für Klimaschutz, hat die 15 Jahre lange Laufzeit der Liefervereinbarung, die Klimaschützer scharf kritisieren, gestern öffentlich „super“ genannt und das Lieferabkommen mit dem Emirat, das insbesondere Mitglieder und Anhänger seiner Partei (Bündnis 90/Die Grünen) wegen der dort verbreiteten Diskriminierung nicht heterosexueller Lebensformen sowie aus dem Ausland angeworbener Arbeitskräfte heftig attackieren, explizit gelobt.


Milliardenschwere Waffenlieferungen

Tatsächlich kooperiert die Bundesrepublik, die sich aktuell als Speerspitze des sozialen Fortschritts inszeniert und das Emirat öffentlich bloßstellt, auch sonst überaus eng mit Qatar. So werden etwa auch die deutschen Rüstungsgeschäfte mit Doha ausgebaut. Die bis dahin unbedeutenden Rüstungsexporte waren im Jahr 2013 in die Höhe geschnellt, nachdem Berlin einen Waffendeal mit einem Volumen von 1,89 Milliarden Euro genehmigt hatte. Dabei ging es um die Lieferung von 62 Kampfpanzern Leopard 2A7+ – der modernsten Variante des Leopard –, 24 Panzerhaubitzen 2000, sechs Bergepanzern Wisent sowie weiteren Fahrzeugen und Waffen plus Munition an das Emirat. Später kamen noch 13 Militärtransporter Dingo sowie 32 Spähwagen Fennek hinzu.[5] Das Milliardengeschäft wurde von – in der Branche nicht seltenen – Korruptionsvorwürfen begleitet: Laut Berichten zahlte die Waffenschmiede KMW damals Provisionen von 100 Millionen Euro [6], um sich gegen ihren französischen Konkurrenten Nexter durchzusetzen. Im Jahr 2020 genehmigte die Bundesregierung zudem den Verkauf von 15 Flugabwehrpanzern Gepard zuzüglich Ersatzteilen und Munition; die Rede war von 16.000 Patronen.[7] Die Flugabwehrpanzer wurden bestellt und 2021 geliefert, um die insgesamt acht Stadien der Fußball-WM gegen etwaige Anschläge mit Drohnen zu schützen. In dieser Funktion werden sie in diesen Tagen tatsächlich eingesetzt.


Aufbauhilfe für die Rüstungsindustrie

Eine langfristig angelegte, engere Kooperation mit Qatar hat der Düsseldorfer Rheinmetall-Konzern gestartet. Kern ist ein Joint Venture mit Barzan Holdings, einem 2018 gegründeten Unternehmen, das dem qatarischen Verteidigungsministerium gehört und die Aufgabe hat, dem Emirat zu einer eigenen Rüstungsindustrie zu verhelfen. Entsprechendes streben Saudi-Arabien mit der Staatsfirma SAMI (Saudi Arabian Military Industries) und die Vereinigten Arabischen Emirate mit der EDGE Group an. Rheinmetalls Joint Venture mit der Barzan Holdings (Rheinmetall Barzan Advanced Technologies, RBAT) wurde im März 2018 gegründet. In einem ersten Schritt vereinbarte RBAT mit mehreren qatarischen Firmen den Aufbau einer Munitionsproduktion in dem Emirat. Zudem sagte das Joint Venture die Beschaffung neuer Simulationstechnologie für Qatars Streitkräfte zu, um den Häuserkampf zu trainieren.[8] Darüber hinaus entwickelt RBAT etwa auch unbemannte Landfahrzeuge (Unmanned Ground Vehicles, UGV) [9] sowie Command and Control-Software (C2), die unter anderem genutzt werden kann, um die UGV zu steuern [10]. Berichtet wurde jüngst auch von einer Kooperation bei der Versorgung der qatarischen Marine mit Lasersystemen. Dazu soll am Rande des Berlin-Besuchs von Emir Tamim bin Hamad al Thani im Mai eine Übereinkunft erzielt worden sein.


Nicht nur in Qatar

Für Rheinmetall ist RBAT lediglich ein Teil umfassenderer Aktivitäten beim Aufbau einer Rüstungsindustrie in den Staaten der Arabischen Halbinsel. Bereits 2018 hatte der vormalige Rheinmetall-Manager Andreas Schwer in Riad den Chefposten bei SAMI erhalten und ihn bis 2020 inne.[11] Im März 2022 wurde bekannt, dass Rheinmetall ein Joint Venture namens Radarabia mit der saudischen MAZ Group gegründet hat; es soll zunächst Wartung und Reparatur von Flugabwehrwaffen übernehmen und perspektivisch mit Hilfe des Schweizer Rheinmetall-Ablegers in Oerlikon eine eigene Produktion im Land aufbauen.[12] Bereits im Jahr 2007 hatte Rheinmetall ein Joint Venture in den Vereinigten Arabischen Emiraten zur Schaffung einer Munitionsproduktion gegründet; das Werk, aus dem sich das Düsseldorfer Unternehmen mittlerweile wieder zurückgezogen hat, ist heute Teil der EDGE Group. Der EDGE Group wiederum gehört das Unternehmen HALCON an, das unter anderem Raketen zur Flugabwehr auf kurze Strecken produziert; die Raketen namens SkyKnight werden seit dem vergangenen Jahr für das Luftverteidigungssystem Oerlikon Skynex des Schweizer Rheinmetall-Ablegers genutzt.[13] Skynex befindet sich heute unter anderem im Bestand der Streitkräfte von Qatar.[14]

 

[1] Kathrin Witsch, Klaus Stratmann: Deutschlands Gas-Deal mit Katar deckt nur Bruchteil des LNG-Bedarfs ab. handelsblatt.com 29.11.2022.

[2] Nora Marie Zaremba: Nun doch Erdgas aus Katar. tagesspiegel.de 29.11.2022.

[3] S. dazu Werte im Systemwettstreit.

[4] Mathias Brüggmann, Sabine Gusbeth: China sichert sich für 27 Jahre Erdgas aus Katar. handelsblatt.com 24.11.2022.

[5] Länderbericht Katar. Bonn International Centre for Conflict Studies. Bonn, 25.07.2022.

[6] Sönke Iwersen, Martin Murphy, Lars-Marten Nagel, Christopher Gilb: Milliardenauftrag aus Katar – Schmierte KMW einen katarischen General? handelsblatt.com 14.11.2019.

[7] S. dazu Mehr Panzer für Mittelost.

[8] Barzan signs seven agreements at Didmex. gulf-times.com 15.03.2022.

[9] Federico Borsari: Tools of influence: Drone proliferation in the Middle East and North Africa. ecfr.eu 27.05.2022.

[10] Luca Peruzzi: Rheinmetal Barzan Advanced Technologies delivers C2 software to national security and defence customers. edrmagazine.eu 25.03.2022.

[11] S. dazu Man schießt deutsch (II).

[12] Charles Forrester: WDS 2022: Rheinmetall, MAZ Group launch joint venture. janes.com 07.03.2022.

[13] Chyrine Mezher: UAE’s First Air Defense Missile To Be Used on German Oerlikon Skynex. breakingdefense.com 24.02.2021.

[14] Jeremy Binnie: Qatar unveils Skynex air defence. janes.com 14.10.2022.


Der Originalartikel kann hier besucht werden


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OSZE-Außenminister in Polen ohne Lawrow – wieder vertane Chance für Diplomatie


04.12.22 - Pressenza Berlin


„Anstatt das Potenzial der OSZE als Plattform für Vermittlung bei Konflikten zu nutzen und damit diese Organisation politisch aufzuwerten, werden diplomatische Optionen zur Beendigung des Kriegs in der Ukraine weiterhin ausgeschlossen: Die Verweigerung der Einreise des russischen Außenministers Sergej Lawrow nach Polen zum Treffen der OSZE-Außenminister widerspricht dem Geist und den Statuten der OSZE.


Damit wird die Erosion der für die gesamteuropäische Sicherheit wichtigsten Organisation nur beschleunigt“, erklärt Andrej Hunko, europapolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Bundestag, zum OSZE-Außenministertreffen in polnischem Łódź gestern und heute.


Hunko weiter: „Selbstverständlich muss Russlands Angriff auf die Ukraine auf allen Ebenen verurteilt werden. Gleichzeitig dürfen aber die wenigen verbliebenen internationalen Gesprächsformate, in denen ein direkter Austausch möglich ist, nicht zerstört werden. Die OSZE muss in ihrer gegenwärtigen Zusammensetzung mit allen 57 Staaten unbedingt erhalten bleiben.“


Pressemitteilung von Andrej Hunko, 02. Dezember 2022


Info: http://www.pressenza.net/?l=de&track=2022/12/osze-aussenminister-in-polen-ohne-lawrow-wieder-vertane-chance-fuer-diplomatie/


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Lauterbachs Reform führt zu weiteren Krankenhaus-Schließungen


04.12.22 - Pressenza Berlin


Gestern hat der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach den Entwurf des Krankenhauspflegeentlastungsgesetzes (KHPflEG) im Bundestag vorgestellt. Das Bündnis Klinikrettung nimmt zum Entwurf wie folgt Stellung: Die im Gesetzesentwurf eingebrachten Vorschläge für die tagesstationären Behandlungen und die so genannten Hybrid-DRG (DRG, Diagnosis Related Groups, auf deutsch Fallpauschalen) werden Kürzungen im Krankenhaus bewirken und zu weiteren Schließungen führen.


Laura Valentukeviciute, Sprecherin des Bündnis Klinikrettung:

„Die Finanzierung über die tagesstationären Behandlungen bewirken eine Einnahmenkürzung für die Krankenhäuser. Das wird dazu führen, dass Kliniken Personal entlassen und Abteilungen schließen müssen. Mit seiner Reform dreht Lauterbach weiter an der Abwärtsspirale, anstelle den Krankenhäusern und allen Betroffenen tatsächlich aus der dramatischen Lage zu helfen.“ 

Klaus Emmerich, Klinikvorstand i.R.:

„Hybrid-DRG ist nur ein anderes Wort für Erlöskürzungen in den Krankenhäusern. Lauterbach muss endlich aufhören, den Mangel, der durch DRG entstanden ist, umzubenennen und durch umsatzmindernde Hybrid-DRG zu verschlimmern. Wir brauchen eine echte Reform, und sie heißt Selbtskostendeckung der Krankenhäuser. Das Bündnis Klinikrettung hat das Konzept der Selbstkostendeckung entwickelt, welches Krankenhäuser ausreichend finanziert, Personal entlastet und gleichzeitig die Ressourcenverschwendung stoppt.“  

Die Studie vom Bündnis Klinikrettung „Selbstkostendeckung der Krankenhäuser“: https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2022/10/2022-10_Studie_Selbstkostendeckung_Buendnis_Klinikrettung.pdf


Das Bündnis Klinikrettung hat sich im Jahr 2020 auf Initiative von Krankenhauspersonal und anderen politisch aktiven Menschen gegründet, die sich für den flächendeckenden Erhalt der stationären klinischen Versorgung einsetzen. Das Bündnis Klinikrettung ist – insbesondere angesichts der Erkenntnisse aus der Corona-Pandemie – davon überzeugt, dass die aktuelle Anzahl der Krankenhausbetten unverzichtbar ist und nicht weiter reduziert werden darf. Mehr Informationen zum Bündnis und weitere Hintergrundinformationen unter: https://www.gemeingut.org/krankenhausschliessungen/

http://www.pressenza.net/?l=de&track=2022/12/lauterbachs-reform-fuehrt-zu-weiteren-krankenhaus-schliessungen/


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Afrika, eine Geschichte zum Wiederentdecken: 12 – Palmares, der Quilombo von Brasilien


Stellen Sie sich zwischen dem 16. und 17. Jahrhundert, inmitten der Sklaverei, eine westliche Familie vor, die Afrikaner*innen und indigene Amerikaner*innen zu besten Freunden hat. Ein Afrikaner ist das Staatsoberhaupt und teilt dasselbe Schicksal, dieselben Ideale und Werte der Freiheit,…

http://www.pressenza.net/?l=de&track=2022/12/afrika-eine-geschichte-zum-wiederentdecken-12-palmares-der-quilombo-von-brasilien/


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Pressenza - ist eine internationale Presseagentur, die sich auf Nachrichten zu den Themen Frieden und Gewaltfreiheit spezialisiert hat, mit Vertretungen in Athen, Barcelona, Berlin, Bordeaux, Brüssel, Budapest, Buenos Aires, Florenz, Lima, London, Madrid, Mailand, Manila, Mar del Plata, Montreal, München, New York, Paris, Porto, Quito, Rom, Santiago, Sao Paulo, Turin, Valencia und Wien.


unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

05.12.2022

Obwohl auch die Bürgermeisterin mit russischem Gas heizt, befeuert sie die antirussische Hysterie

meinungsfreiheit.rtde.life, vom 4 Dez. 2022 16:43 Uhr, Eine Analyse von Marinko Učur, Sarajevo

Die Bürgermeisterin von Sarajewo arbeitet an einer tieferen Spaltung der Stadt, denn sie wäre gern in der NATO, der serbische Teil aber nicht. Selbst auf eine sichere Gasversorgung soll verzichtet werden, nur um Brüssel zu gefallen.


Obwohl auch die Bürgermeisterin mit russischem Gas heizt, befeuert sie die antirussische Hysterie


Quelle: www.globallookpress.com © IMAGO/Thomas Imo



Benjamina Kari´c mit Annalena Baerbock, 10.03.2022






Sarajevo ist die Hauptstadt der ehemaligen jugoslawischen Republik Bosnien und Herzegowina (BiH). Diese Republik wurde auf dem US-amerikanischen Luftwaffenstützpunkt in Dayton, Ohio gegründet. Im Jahr 1995, nach dem vierjährigen Bürgerkrieg in Jugoslawien, wurde sie von den mächtigsten Ländern der Welt ratifiziert, darunter auch von Russland. Nun wird die bosnische Hauptstadt von einer ungewöhnlichen Diskussion zwischen der Botschaft der Russischen Föderation und der Bürgermeisterin der Stadt, Benjamina Karić, erschüttert.


"Noch nie dagewesene Krisen erfordern noch nie dagewesene Maßnahmen" – Milliardenversprechen der EU




"Noch nie dagewesene Krisen erfordern noch nie dagewesene Maßnahmen" – Milliardenversprechen der EU






Die Bürgermeisterin ist nämlich nach der Unterzeichnung eines Kooperationsabkommens mit Vertretern der ukrainischen Hauptstadt Kiew verbal über Russland hergefallen. Zugleich erteilte sie Russland, um es milde auszudrücken, eine "Lektion" wegen der militärischen Sonderoperation in der Ukraine. Was wiederum eine scharfe Reaktion der russischen diplomatischen Vertretung in diesem Dayton-Land auslöste:

"Bedeutet das unterzeichnete Abkommen, dass Frau Karić als Zeichen der Solidarität mit ihren neuen Partnern damit beginnen wird, die Straßen von Sarajevo nach Banderas Unmenschen umzubenennen, die russische Kultur, russische Musik und russisches Ballett in der Hauptstadt von Bosnien und Herzegowina zu verbieten!?"

Das fragten sich Vertreter der Botschaft und brachten ihre Bedenken darüber zum Ausdruck, "dass Frau Karić gemäß Artikel 4 des Abkommens mit Kiew Freiwillige aus Sarajevo entsenden wird, um die ukrainischen Neonazis zu unterstützen." Weiter hieß es:

"Und schließlich – als Höhepunkt der Absurdität –, falls das Dokument nur auf Ukrainisch und Englisch unterzeichnet wurde, bedeutet dies, dass Frau Karić auf jene Landessprachen verzichtet, in denen unter anderem alle bisherigen Abkommen zwischen Bosnien und Herzegowina und der Russischen Föderation unterzeichnet wurden?"

So also lautete die Reaktion der russischen Botschaft auf die Tatsache, dass die Bürgermeisterin von Sarajevo ein Abkommen mit Leuten getroffen hatte, "welche im Jahr 2014 in der Folge eines Staatsstreichs die Regierungsmacht an sich gerissen haben." Was "eine Reihe von Fragen" aufwerfe. Die Antwort der Bürgermeisterin erfolgte prompt und unerwartet und dabei bestenfalls äußerst undiplomatisch:

"Sie, Putins Russland, sind derzeit die treibende Kraft des Terrors, der Diskriminierung, der Unterdrückung der Wahrheit und der Verbreitung von Lügen in der Welt. Ich lasse nicht zu, dass das Land, welches gegen die Resolution zum Völkermord von Srebrenica im UN-Sicherheitsrat sein Veto eingelegt hat, Moralpredigten hält."

Es ist ein offenes Geheimnis, dass sich Sarajevo trotz des Widerstands der Republika Srpska offiziell für eine Mitgliedschaft in der NATO einsetzt und in diesem Sinne bereit ist, den Anweisungen inklusive Versprechungen aus den westlichen Hauptstädten blind zu folgen. Zumal der Westen offensichtlich bereit ist, im Falle eines Verzichts auf russische Energie eine finanzielle Unterstützung zu leisten.


Belgrad, Bagdad, Kiew: Die Heuchelei des Westens





Meinung

Belgrad, Bagdad, Kiew: Die Heuchelei des Westens






Die Serben, die eines der konstitutiven Völker in BiH stellen, befürchten durchaus zu Recht, dass die Politiker das Land "bedrohlich nah" an eine NATO-Mitgliedschaft herangeführt haben, für die es keinen interethnischen Konsens gibt.


Die Republika Srpska bekennt sich nämlich zum Neutralitätsprinzip und schaut in diesem Sinne in Richtung Serbien. Zumal diese beiden Länder bislang die einzigen auf dem Balkan sind, die sich sämtlichen Versuchen widersetzt haben, in das NATO-Bündnis aufgenommen zu werden. Wie sehr sie dem Druck in einer Lage standhalten können, in der die NATO zunehmend bedrohlich vor der Tür steht und finanzielle Unterstützung für die Ausbildung der lokalen Streitkräfte anbietet, ist eine große Frage. Und diese Frage beschäftigt vor allem lokale serbische Politiker.

Wenn die Kroaten und Bosniaken, Landsleute von Benjamina Karić, gefragt würden, würde Bosnien und Herzegowina ohne nachzudenken an die Tür des NATO-Bündnisses klopfen. Die Serben haben aber immer noch unüberwindbare Vorbehalte gegen diesen Militärblock. Denn er weckt erschütternde Erinnerungen an 1999 und die Bombardierung Serbiens sowie der damaligen Bundesrepublik Jugoslawien, die Tausende von Toten und 100 Milliarden Dollar an materiellem Schaden forderte.


Es ist in diesem Zusammenhang wichtig zu wissen, dass die Stadt Sarajevo zu 100 Prozent mit russischem Gas beheizt wird. Daher wirkt der Schwall des Hasses von Frau Karić umso seltsamer und nachlässiger, und hat entsprechend eine Lawine der Kritik ausgelöst. Die Bürger reagierten etwas sarkastisch auf Twitter. So schlugen sie zum Beispiel vor,

"dass die Ausbreitung des bösartigen russischen Einflusses auf dem Balkan und in Bosnien und Herzegowina unverzüglich aufgehalten wird, indem die Beheizung mit billigem russischem Aggressorgas beendet wird, das man zum Heizen von Sarajevo verwendet – einer Stadt, die durch die Entitätsgrenze geteilt ist."

Belgrad: "EU fordert Serbien auf, seine eigene territoriale Integrität zu verletzen"





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Die De-facto-Teilung in Ost-Sarajevo, das zur Republika Srpska gehört, und den größten Teil der Stadt, der zu der Föderation Bosnien und Herzegowina gehört, ist seit 1995 in Kraft. Auch die Frage der Versorgung dieses Balkanstaates, nicht nur seiner Hauptstadt, mit russischem Gas, ist seit langem auf dem Tisch. Aber offensichtlich wird durch politische Blockaden aus Sarajevo jede Möglichkeit verhindert, mehrere Gasanschlüsse in Richtung Osten, das heißt nach Serbien herzustellen und eine stabile Versorgung über Bulgarien und Serbien durch die Gaspipeline "TurkStream" zu gewährleisten.


Der sogenannte "bösartige russische Einfluss" soll vermieden werden, und zwar durch die Weigerung, dass eine Gasleitung die Grenze zwischen Serbien und Bosnien und Herzegowina überquert. Viele sind geneigt zu behaupten, dass diese Suppe in Brüssel gekocht wurde, und dass einige Machthaber des Dreivölkerstaates den Anweisungen aus Brüssel blind folgen. Zumal die EU angeblich bereit ist, die Diversifizierung der Versorgung mit diesem Energieträger zu unterstützen.


Die Republika Srpska, die nichts gegen eine Ausweitung des Gasabkommens mit Russland hat, soll die neue Gasverbindung mit Serbien aufgeben und ihre Energiestabilität einer EU-Politik der Unabhängigkeit von russischen Energiequellen unterordnen. Diese Politik wird von Brüssel an die Länder des Westbalkans in Form von Zuschüssen und Krediten in Millionenhöhe "verkauft". Solcherlei Versprechen sind jedoch genau das, was sie immer waren, nämlich lediglich Versprechen.


Mehr zum Thema - Auf der Seite Russlands? Geisterdebatte und Hexenjagd in Serbien


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05.12.2022

Wer ist der Aggressor? Die Friedensbewegung und der US-Stellvertreterkrieg in der Ukraine

Im politischen und medialen Mainstream, ja sogar in der Friedensbewegung, scheint der Fall klar zu sein: Russland gilt spätestens seit dem 24. Februar 2022 als "Aggressor". Diese ahistorische Betrachtungsweise führt in die Irre. Der Sachverhalt ist – auch völkerrechtlich – komplizierter, wie die hier dokumentierte Analyse zeigt.


Wer ist der Aggressor? Die Friedensbewegung und der US-Stellvertreterkrieg in der Ukraine


Quelle: Gettyimages.ru © Ted


Soqui/Corbis via Getty Images


Die freundliche Fassade täuscht: Die Einweihungsfeier des neuen, 100 Millionen Dollar teuren, 300.000 Quadratmeter großen Hauptsitzes der RAND Corporation im kalifornischen Santa Monica mit einem "A Day of Dialogue" am 14. April 200


"Der Konflikt wurde von der NATO ausgelöst. Es ist jetzt ein Konflikt, der von Russland gelöst werden wird." 

(Scott Ritter, ehemaliger Offizier für Aufklärung der US-Marineinfanterie und UN-Waffeninspekteur)


Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wähnte sich der US-Imperialismus als ewiger Hegemon, den nichts mehr daran hindern konnte, endlich seinen lang ersehnten Weg zu den enormen Bodenschätzen Russland antreten zu können. Destabilisierung im post-sowjetischen Raum durch "Farbrevolutionen" mit der Hilfe von NGOs und die Eindämmung Russlands durch die NATO-Osterweiterung sollten das Wiedererstarken Russlands verhindern. Die Ukraine spielt in diesem Plan eine besondere Rolle.


Die dem Pentagon nahestehende Denkfabrik "RAND Corporation" hat die US-Strategie deutlich formuliert: "Russland überdehnen und aus dem Gleichgewicht bringen" – mit einem Katalog von Maßnahmen zur Schwächung Russlands. Die wichtigste Maßnahme zielte darauf ab, die Ukraine als "die größte externe Verwundbarkeit Russlands auszunutzen", sie zu bewaffnen und militärisch zu beraten, um einen Konflikt mit Russland zu entfachen.


Die Ukraine ist also nur Mittel zum Zweck. Dem diente der von den USA angeleitete und von der EU und der Bundesregierung geförderte Putsch in Kiew im Jahr 2014 und der Ausbau der Ukraine zum neonazistisch geprägten Bollwerk gegen Russland.


Die Bevölkerung im Donbass weigerte sich, sich den national-chauvinistischen Putschisten unterzuordnen, die die Verfassung suspendiert, allem Russischem den Kampf angesagt und die russischsprachigen Ukrainer diskriminiert hatten. Nach Referenden erklärten die Donbass-Regionen Donezk und Lugansk ihre Autonomie als Volksrepubliken. Sie verteidigten sich acht Jahre lang gegen die Aggressionen des fremdbestimmten Kiewer Regimes, die über 13.000 Menschenleben forderten.


Der Westen wollte keine friedliche Lösung

"Straflos agierendes Imperium mit ungebremster Kriegsmaschinerie" – US-Ökonom erklärt Weltkrise



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Die russische Regierung hatte sich für eine friedliche Lösung des Konflikts im staatlichen Rahmen der Ukraine eingesetzt, wie es im Abkommen Minsk II (Minsker Abkommen) vorgesehen war. Am 17. Februar 2015 hatte der UN-Sicherheitsrat mit seiner Resolution 2202 (2015) das Minsker Abkommen als völkerrechtlich verbindlich anerkannt, das unter anderem auch einen Sonderstatus für den Donbass vorsah. Als Garantiemächte sollten Deutschland, Frankreich und Russland für seine Umsetzung sorgen, die in den Folgejahren von Kiew systematisch sabotiert wurde.


Im Februar 2021 brachte Russland bei der OSZE einen Initiativantrag zur Unterstützung einer baldigen Umsetzung von Minsk II ein. Die Ukraine und die westlichen Länder, auch die Garantiemächte Frankreich und Deutschland, lehnten ab.


Das zentrale Element von Minsk II war der direkte Dialog zwischen Kiew und den Vertretern der Volksrepubliken im Donbass, zu dem letztere bereit waren. In einem Schreiben an den russischen Außenminister Sergei Lawrow im November 2021 erklärten Deutschland und Frankreich, dieses zentrale Element nicht mehr zu unterstützen. Es war die faktische Aufkündigung des völkerrechtlich verbindlichen Minsker Abkommens – also ein Bruch des Völkerrechts. Damit wurde die Lösung des Konflikts im Rahmen der staatlichen Einheit der Ukraine unmöglich gemacht. Auf einer Pressekonferenz im September 2022 wies Außenminister Lawrow darauf hin, dass auch der UN-Generalsekretär nicht "aktiv genug die Erfüllung der Minsker Vereinbarungen unterstützt hat".


Mit dem Putsch in Kiew hatten die USA/NATO/EU und die Bundesregierung den Konflikt ausgelöst. Die Umsetzung des Minsker Abkommen wäre der Weg zu seiner friedlichen Lösung gewesen. Wie der ukrainische Präsident Poroschenko, der Minsk II unterzeichnet hatte, erst kürzlich erklärte, sei dies jedoch nie das Ziel gewesen. Er wollte mit Minsk II nur Zeit gewinnen, "um die besten Streitkräfte in Osteuropa zu schaffen, die nach NATO-Standards ausgebildet wurden". Das wollte anscheinend auch die damalige Kanzlerin Angela Merkel, wie sie nun in einem Interview freimütig erzählte.


Die russische Regierung hatte vergebens auf die politische Einsicht ihrer "Partner" gehofft und im Rahmen des Minsker Prozesses darauf bestanden, Donezk und Lugansk mit einem Sonderstatus in die Ukraine zurückzuführen. Es sei ein Fehler gewesen, wie Präsident Putin heute meint. "Russland hätte die Donbass-Republiken früher anerkennen sollen." Es hätte womöglich viel Leid erspart. Aber natürlich hätte es Russland nicht vor dem Geschrei aus dem Westen – und Anschuldigungen auch aus der Friedensbewegung – bewahrt, dass dies "völkerrechtswidrig" sei.

Die traditionelle Friedensbewegung hatte sich im Jahr 2014 bereits selbst gelähmt, als die Frage, ob der Beitritt der Krim zur Russischen Föderation vom Völkerrecht gedeckt war, vielfach eine größere Rolle spielte, als die Einsicht, dass damit der Plan der USA vereitelt wurde, aus Sewastopol einen NATO-Stützpunkt gegen Russland zu machen – womit eine höchst friedensgefährdende Situation entstanden wäre. Der Anti-Putin-Tsunami, der damals seinen ersten Höhepunkt erreichte und die Angst als "Putin-Versteher" gebrandmarkt zu werden, wirkte zudem auf viele einschüchternd.


Im März 2021 hatte der ukrainische Präsident Selenskij ein Dekret zur militärischen Rückholung des Donbass und der Krim unterschrieben – eine direkte Bedrohung auch des Territoriums der Russischen Föderation. Die Regierung sollte einen entsprechenden "Aktionsplan" entwickeln.

Mit konkreten Vorschlägen für Verträge mit den USA und der NATO über Sicherheitsgarantien versuchte die russische Regierung noch im Dezember 2021 die Situation zu entschärfen und die Grundlage für ein friedliches Miteinander zu schaffen.


Ein US-Neonazi offenbart die Verbrechen seiner ukrainischen "Kollegen"





Ein US-Neonazi offenbart die Verbrechen seiner ukrainischen "Kollegen"






Als Kiew im Januar/Februar 2022 den Aggressionskrieg durch die Konzentration seines Militärs mit seinen Neonazi-Bataillonen an den Grenzen von Donezk und Lugansk erheblich ausweitete, als die Artillerieangriffe gegen die dortige Bevölkerung immer intensiver wurden, als die USA/NATO immer noch keine konstruktive Antwort auf die russischen Vorschläge gegeben hatte, machte die russische Regierung laut einer Pressemitteilung am 17. Februar einen letzten Versuch, den bevorstehenden massiven Überfall der Kiewer Truppen zu verhindern und eine friedliche Lösung herbeizuführen.


Moskau warnte: "Sollte die amerikanische Seite nicht bereit sein, feste, rechtlich verbindliche Garantien zu vereinbaren, um unsere Sicherheit vor den USA und ihren Verbündeten zu gewährleisten, wird Russland gezwungen sein, zu reagieren, auch mit militärtechnischen Maßnahmen."

George Beebe, ehemaliger Direktor der Russland-Abteilung der CIA, blickt zurück:

"Die Wahl, vor der wir in der Ukraine standen – und ich nutze absichtlich die Vergangenheitsform – war, ob Russland sein Veto zu einer NATO-Beteiligung in der Ukraine am Verhandlungstisch oder auf dem Schlachtfeld ausüben würde. Und wir entschieden uns, dafür zu sorgen, dass das Veto auf dem Schlachtfeld ausgeübt wird, in der Hoffnung, dass Putin sich entweder zurückhält oder der Militäreinsatz scheitert."

Die USA/NATO/EU hatten kein Interesse an einer friedlichen Lösung. Die Strategie war, Russland zu schwächen und zu dezimieren.


Das vom Westen aufgekündigte völkerrechtliche Abkommen Minsk II, die provozierenden Ankündigungen über eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine und deren nukleare Bewaffnung und die zunehmende militärische Aufrüstung des Landes verschärften die Spannungen mit Russland. Am 8. Februar 2022 hatte die NATO-Denkfabrik Atlantic Council in einem Strategiepapier empfohlen: "Das Ziel Washingtons sollte die Vertreibung der Russen aus der Ostukraine sein."

Am 21. Februar erkannte Russland die beiden Volksrepubliken Donezk und Lugansk als unabhängige Staaten an und unterzeichnete Verträge über Freundschaft und gegenseitigen Beistand. Am 24. Februar schließlich griff Russland in den schon seit acht Jahren dauernden Krieg ein, um seine Verbündeten vor der drohenden ethnischen Säuberung zu schützen und der wachsenden existenziellen Bedrohung der Russischen Föderation durch die USA und der NATO entgegenzutreten.


Wie Gabriele Gysi es passend formulierte:

"Der ukrainische Bürgerkrieg hat Russland die Verantwortung für die russische Bevölkerung der Ukraine aufgezwungen – und damit Russland in diesen Krieg genötigt. Die 'russische Aggression' erfolgte nach langen Versuchen einer friedlichen Lösung der ukrainischen Probleme."

Friedensbewegung und "völkerrechtswidriger Angriffskrieg"

Alle für die NATO oder was die Linke im Westen zerstörte





Meinung

Alle für die NATO oder was die Linke im Westen zerstörte






Viele ältere Linke in Parteien und der traditionellen Friedensbewegung, für die die Freundschaft mit der Sowjetunion und später mit Russland allein schon aus historischem Bewusstsein wichtig war, waren schockiert, enttäuscht, ihr Vertrauen in Russland war erschüttert. War es doch so einfach gewesen, die Politik eines Russlands zu verteidigen, das immer geduldig reagierte, dessen Bemühen um Einsicht seiner westlichen "Partner" endlos schien, und das doch von ihnen nur belogen und betrogen wurde.


Ausgerechnet die Friedensbewegung, die sich zur deutschen Verantwortung in der Geschichte bekennt, verschweigt in ihrer Mehrheit den russophoben Neonazismus, der in der Ukraine inzwischen alle Bereiche durchdringt. Wie glaubwürdig ist ein Antifaschismus, der keine eindeutige Position bezieht gegen die massive politische und materielle Unterstützung Deutschlands für ein Regime, das Nazi- und SS-Kollaborateure als Nationalhelden verehrt, allen voran den Massenmörder Stepan Bandera – und gegen die faschistoide antirussische Hysterie, die den gesamten öffentlichen Diskurs hierzulande beherrscht und vergiftet.


Ohne sich die Zeit zu nehmen, die mit Russlands militärischem Einschreiten neu entstandene Situation umfassender zu analysieren, stimmte die Friedensbewegung empört – und mit nur wenigen Ausnahmen – sofort in den Kanon der NATO von Russlands "völkerrechtswidrigem Angriffskrieg" ein. Der Bundesausschuss Friedensratschlag erklärte: "Wir verurteilen die militärische Aggression Russlands gegen die Ukraine. Für Krieg gibt es keine Rechtfertigung. Die Mitschuld des Westens, insbesondere der USA und der NATO, rechtfertigen keinesfalls diese militärische Aggression."


Albrecht Müller, der frühere Planungschef im Bundeskanzleramt, der sich in erster Linie der Entspannungspolitik von Willy Brandt verpflichtet fühlt, fragte im Juli auf den NachDenkSeiten:

"Wann endlich hören die Verneigungen vor der allgemein üblichen Empörung über 'Putins Aggressionsverbrechen' auf!"

Er schlug vor, damit Schluss zu machen, denn Beschwörungsformeln wie "völkerrechtswidriger Überfall", "menschenverachtender Angriffskrieg" und so weiter würden nicht nur – ansonsten gute Analysen – relativieren und sogar entwerten, sondern auch dazu beitragen, "Vorurteile und Aggression gegen Russland" zu verstärken.


Die Beschwörungsformeln wurden zum neuen Gesslerhut, den viele aus Friedens- und linken Organisationen meinen grüßen zu müssen, um ihre "Glaubwürdigkeit" zu wahren.


Oskar Lafontaine: Baerbock "vermutlich wirklich so einfältig" – Habeck "komplett überfordert"




Analyse

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Dabei beziehen sie sich fast ausschließlich auf das Gewaltverbot in internationalen Beziehungen, wie es in der UN-Charta Artikel 2, Absatz 4 festgelegt wurde. Von dieser Regel gibt es die Ausnahme in Artikel 51: "das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung". Der Bezug auf Artikel 51 wird aber von vielen in der Friedensbewegung als in diesem Zusammenhang belanglos abgetan. Die Donbass-Republiken hätten kein Recht zur Sezession von der Ukraine, und damit sei auch der Beistandsvertrag mit Russland völkerrechtlich ungültig. Vergessen wird, dass die Ukraine bei der Auflösung der Sowjetunion das Sezessionsrecht für sich in Anspruch genommen hatte, ohne Rücksicht auf die davon betroffenen Gebiete.


Man hatte Russland im Eiltempo mit Artikel 2 Absatz 4 der UN-Charta abgeurteilt und damit schien jede weitere Diskussion erledigt.


In seiner Erklärung "Souveränität der Ukraine durch NATO inspirierten Putsch verletzt", schrieb der Deutsche Freidenkerverband:

"Die Argumente, mit denen Russland Völkerrechtsbruch nachgewiesen werden soll, gehen abstrakt von der Prämisse aus, dass Russland aus heiterem Himmel ein Stück eines souveränen Staats abgetrennt hätte. Was dagegen wirklich in der Ukraine geschehen war: Durch einen gewalttätigen Putsch wurde die rechtmäßig gebildete und international anerkannte Regierung in Kiew gestürzt. (…) Sofort zeigte sich, dass die Putschregierung über große Teile des Landes keine Kontrolle hatte. Trotzdem wurde sie im Eilverfahren von den USA, den NATO- und EU-Staaten als legitime Vertretung der Ukraine anerkannt. Die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine wurden durch die NATO-Regierungen verletzt."

Berücksichtigt werden sollte auch Artikel 7 der Resolution 3314 (XXIX) der UN-Generalversammlung zur "Definition der Aggression":

"Diese Definition, insbesondere ihr Artikel 3, kann in keiner Weise das sich aus der Charta herleitende Recht auf Selbstbestimmung, Freiheit und Unabhängigkeit von Völkern beeinträchtigen, die dieses Rechtes gewaltsam beraubt wurden (...) insbesondere nicht von Völkern unter kolonialen oder rassistischen Regimen oder anderen Formen der Fremdherrschaft; noch das Recht dieser Völker, im Einklang mit den Grundsätzen der Charta und in Übereinstimmung mit der genannten Erklärung, für dieses Ziel zu kämpfen und Unterstützung zu suchen und zu erhalten."

Nach der Aufkündigung des völkerrechtlich verbindlichen Abkommens Minsk II durch Kiew und seine westlichen Auftraggeber hatten die Donbass-Regionen in ihrem Kampf gegen das fremdbestimmte russophobe Regime demnach das Recht auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit – und das Recht, die Unterstützung Russlands zu suchen und zu erhalten.


Einige Kommentatoren halten die russische Unterstützung für einen Fall der sogenannten "Schutzverantwortung" oder "R2P" ["Responsibility to Protect" – Anm. d. Red.]. Das ist falsch.

"R2P" ist eine imperialistische Doktrin, die von der NATO im Anschluss an die Aggression gegen Jugoslawien erfunden wurde. Im Rahmen der "R2P"-Doktrin beanspruchen die Imperialisten das "Recht", in ein anderes Land einzufallen und die Regierung zu stürzen – angeblich um "Verbrechen gegen die Menschheit" zu unterbinden. Diese Doktrin wurde erstmals in Libyen angewandt, die Ergebnisse sind bekannt. "R2P" beruht also nicht auf der Bitte einer Regierung um ausländische Militärhilfe. "R2P" ersetzt das Grundprinzip der UN-Charta – die souveräne Gleichheit aller Nationen – durch das Recht des Stärkeren. Im Laufe der Jahre wurden begleitende Propaganda-Strukturen geschaffen, zu der auch der Internationale Strafgerichtshof und verschiedene "internationale Tribunale" sowie "Menschenrechts"-NGOs gehören – alle auf Geheiß verschiedener westlicher Regierungen, um falsche Anschuldigungen zu propagieren, um Krieg und Regime-Change in Ländern, die sich ihrem Diktat widersetzen, zu rechtfertigen.


Die Entwicklungen seit dem 24. Februar zeigen, dass die NATO bereits tief in der Ukraine involviert war, und sie bestätigen die Begründung des russischen Eingreifens. Wie konkret diese Gefahr war, zeigen auch die Eingeständnisse der USA und der NATO. Denn was bedeutet es anderes, wenn der NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg heute stolz verkündet, dass die NATO sich seit dem Jahr 2014 auf den Krieg gegen Russland vorbereitet habe. Und wenn der Sprecher des Pentagon John Kirby sich brüstet, dass die USA und ihre Verbündeten die ukrainische Armee seit acht Jahren für den Krieg trainiert und ausgerüstet hätten.


US-Hegemonie versus multipolare demokratische Weltordnung


Dokumentiert: Psychologen beziehen Stellung zum Krieg in der Ukraine





Dokumentiert: Psychologen beziehen Stellung zum Krieg in der Ukraine






Jene in der Friedensbewegung, die so schnell bei der Hand waren, Russland zu verurteilen, sollten die Frage beantworten: Nachdem der Westen sämtliche Wege zur friedlichen Lösung versperrt hatte, welche konkrete Alternative wäre Russland denn noch geblieben? Zusehen, wie die Kiewer Armee mit ihren Neonazi-Bataillonen den Donbass überfällt, Massaker an ethnischen Russen verübt, sie hetzt und vertreibt? Hätte Russland vor der sich ständig zuspitzenden existenziellen Bedrohung kapitulieren sollen? Zusehen, wie die Ukraine endgültig zum offiziellen NATO-Stützpunkt ausgebaut würde – mit der Stationierung von Atomwaffen? Ist es das, was Europa sicherer gemacht hätte? Ist es wirklich das, was die Friedensbewegung bevorzugt hätte?


USA/NATO/EU und die völlig verantwortungslose und geschichtsignorante Außenpolitik der Bundesregierung treiben in ihrem Wahn, Russland zu besiegen, die Eskalation immer weiter auf die Spitze und ermutigen damit das Kiewer Regime zu Provokationen, die den Weltfrieden gefährden – wie jener Vorfall mit der ukrainischen Rakete, die in Polen einschlug, zeigte.


US-Militärs wissen, dass sich ein Krieg gegen Russland heute nicht mehr auf Europa begrenzen lässt, wie sie das in den 1980er Jahren erträumt hatten. Sie kennen die russische Militärstrategie und haben großen Respekt vor den neuen russischen Atomwaffen. So abwegig es klingen mag, es ist deren Abschreckungswirkung, die auch uns in Westeuropa schützt. Aus Furcht vor der russischen Reaktion scheut Washington mehr denn je auch den konventionellen Angriff gegen Russland, der in einem atomaren Weltkrieg enden könnte. Das zeigt die Reaktion der USA und der westeuropäischen NATO-Regierungen, die nach der ukrainischen Raketen-Provokation nicht schnell genug abwiegeln konnten.


Die Gefahr eines Atomkrieges ist dennoch nicht gebannt, da das Führungspersonal der "westlichen Wertegemeinschaft" inzwischen unterstes Niveau erreicht hat, vor allem in Bezug auf Verantwortung und Wahrnehmung der Realität – wie man auch an ihren Provokationen gegen China sieht. Konflikte können sich zuspitzen, neue hinzukommen durch ihre "regelbasierte internationale Ordnung", die Volker Perthes, vormals Leiter der regierungsnahen "Stiftung Wissenschaft und Politik" (SWP) im Klartext beschreibt:

"Eine Allianz williger Staaten muss internationale Regeln ersinnen, ohne den Verdacht zu erwecken, dass es dabei um westliche Dominanz geht."

Wenn es um Krieg und Frieden geht, muss die Frage gestellt und beantwortet werden: Wer vertritt und verfolgt in der internationalen Auseinandersetzung welche Interessen? Die Friedensbewegung darf weder verschleiern noch Ursachen und Verantwortlichkeiten verschweigen, sondern muss hinterfragen und aufklären.


Will die Friedensbewegung hierzulande ein politisch bedeutsamer Faktor werden, dann muss sie sich einer Regierungspolitik widersetzen, die der US-Hegemonie im In- und Ausland dient und die von der Feindschaft, dem Wirtschaftskrieg und der Aufrüstung gegen Russland geprägt ist.


Geburtswehen einer neuen Welt





Meinung

Geburtswehen einer neuen Welt






Der Eurozentrismus, der durch die EU noch weiter verengt wird, beeinflusst auch die Friedensbewegung. Viele scheinen nicht zu erkennen, dass das militärische Eingreifen Russlands in den seit acht Jahren von der NATO unterstützten Krieg in der Ukraine ein Katalysator war, um endlich die westliche Hegemonie zu brechen, die so viel Elend und Leid über die Welt bringt.


Immer mehr Länder, vorrangig im Globalen Süden, streben danach, sich von dieser hegemonialen Diktatur zu befreien. Sie wenden sich gegen die Doppelmoral, Bevormundung und den Neokolonialismus des NATO/EU-Westens und suchen die Kooperation mit Russland und China und den Bündnissen BRICS (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) und SOZ (Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit).


Das Eingreifen Russlands hat die Dynamik der internationalen Entwicklung in Richtung einer postwestlichen, multipolaren, demokratischen Weltordnung auf der Basis der "souveränen Gleichheit" aller Nationen beschleunigt. Das Völkerrecht, von dem sich der Westen schon längst verabschiedet hat, muss erst weltweit und für alle zur Geltung gebracht werden.


Es geht um den Kampf "US-Hegemonie versus multipolare, demokratische Weltordnung". Will die Friedensbewegung nicht in der Isolation enden, wird sie sich früher oder später für eine konsequente Positionierung entscheiden müssen.


Mehr zum Thema – Versuchskaninchen: Das US-Imperium nutzt die Ukraine als Labor für Waffentests 

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.

Am 24. Februar kündigte der russische Präsident Wladimir Putin an, gemeinsam mit den Streitkräften der Donbass-Republiken eine militärische Spezialoperation in der Ukraine zu starten, um die dortige Bevölkerung zu schützen. Die Ziele seien, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren. Die Ukraine spricht von einem Angriffskrieg. Noch am selben Tag rief der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij im ganzen Land den Kriegszustand aus.
Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland.
Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.

Info: https://meinungsfreiheit.rtde.life/international/155707-wer-ist-aggressor-friedensbewegung-und


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05.12.2022

Brandbrief aus Doha    Deutscher Botschafter in Qatar warnt, der Umgang Berlins mit dem Emirat habe dort zum Verlust des bisherigen „Vertrauensbonus“ geführt und drohe Deutschland massiv zu schwächen.

german.foreign.policy.com, 5. Dezember 2022

DOHA/BERLIN (Eigener Bericht) – In einem Brandbrief warnt der deutsche Botschafter in Qatar vor einem diplomatischen Flurschaden in dem mittelöstlichen Land und fordert Berlin zu einem schnellen Kurswechsel auf. Hintergrund sind die kampagnenartigen, auf doppelten Standards beruhenden Attacken der Bundesregierung gegen das Emirat, die dort breiten Unmut ausgelöst haben – in der Bevölkerung allgemein, aber auch speziell in Wirtschaft und Politik. Deutschland habe den „erheblichen Vertrauensbonus“, den es in Qatar genossen habe, „verloren“, teilt der Botschafter mit; die Stimmung sei „miserabel“. Wolle Berlin nicht noch mehr Einfluss im Mittleren Osten verlieren, dann sei öffentliches Lob für die Fußball-WM seitens höchster Regierungsstellen dringend angeraten. Berliner Regierungsberater drangen bereits vor der WM darauf, die Beziehungen zu Qatar auszubauen; das sei wichtig – nicht nur mit Blick auf die riesigen Erdgasvorräte des Emirats, sondern auch wegen seines nennenswerten politischen Einflusses. Washington hat Doha soeben milliardenschwere Waffenlieferungen genehmigt – nicht zuletzt, weil in Qatar wie auf der gesamten Arabischen Halbinsel China immer stärkeren Einfluss gewinnt.


Zitat: Auf Verbündete angewiesen

Berliner Regierungsberater dringen auf eine engere Zusammenarbeit der Bundesregierung mit Qatar. Hintergrund ist zum einen, dass das Emirat seit geraumer Zeit als Regionalmacht auftritt und sich dabei immer wieder als Vermittler zur Verfügung stellt. So ist es ihm etwa gelungen, Kontakte zu den Taliban aufzubauen und sie nutzbar zu machen, als die USA mit ihnen über ihren Abzug aus Afghanistan verhandelten. Auch der Bundesrepublik halfen sie, als es Berlin im August vergangenen Jahres nicht gelang, alle deutschen Staatsbürger eigenständig aus Afghanistan zurückzuholen.[1] Beträchtliche Bedeutung besitzt Qatar, das Land mit den drittgrößten Erdgasvorräten weltweit, zum anderen als Gaslieferant.[2] Zum Hintergrund gehört hinzu, dass – so heißt es beispielsweise in einer aktuellen Studie der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) – Deutschland und die EU im Mittleren Osten „seit 2011 stark an Einfluss verloren“ haben.[3] „Wenn es tatsächlich eine sicherheitspolitische ‘Zeitenwende‘ geben soll“, heißt es in dem SWP-Papier, dann „muss Deutschland sich auch auf die aus dem Nahen Osten drohenden Gefahren einstellen“; diese seien unerwünschte Migration, Terrorismus sowie nukleare Proliferation. „Dazu gehört“, heißt es, „dass Deutschland und Europa prowestliche Verbündete benötigen“.[4] Zu ihnen zähle sicherlich Qatar.


Nicht mehr vom Westen dominiert

Die Forderung wird zu einer Zeit laut, zu der die westlichen Staaten und insbesondere die USA ihren dominanten Einfluss auf der Arabischen Halbinsel verlieren. Dies gilt vor allem für Saudi-Arabien und für die Vereinigten Arabischen Emirate – zwei Staaten, zu denen Qatar seit Jahren angespannte Beziehungen unterhält; von 2017 bis 2021 wurde das Emirat sogar von seinen Nachbarländern wegen diverser politischer Differenzen mit einer umfassenden Blockade belegt. Inzwischen ist eine Wiederannäherung im Gange. Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate sind trotz anhaltend massiven Drucks der westlichen Mächte weder bereit, sich an deren Russland-Sanktionen zu beteiligen, noch gewillt, ihre Erdölförderung auszuweiten, um ein Ölembargo gegen Russland möglich zu machen. Stattdessen haben sie im OPEC+-Kartell sogar die Reduzierung der Fördermenge durchgesetzt. Beide kooperieren zudem immer enger mit China und haben trotz heftiger Beschwerden aus Washington die Nutzung von Technologie des chinesischen Huawei-Konzerns für den Aufbau ihrer 5G-Netze durchgesetzt.[5] Auch Qatar nähert sich immer stärker der Volksrepublik an. Bei einem Beijing-Besuch des Emirs Tamim bin Hamad al Thani während der Olympischen Winterspiele 2022 gaben beide Seiten ihre Pläne zum Ausbau der Kooperation auch im Rahmen der Neuen Seidenstraße bekannt.[6] Qatar ist darüber hinaus seit September offizieller Dialogpartner der Shanghai Cooperation Organisation (SCO).


Doppelte Standards

In dieser Situation haben die kampagnenartigen, auf den üblichen doppelten Standards basierenden Attacken der Bundesregierung gegen Qatar [7] nun zu einem diplomatischen Flurschaden geführt. Bereits vor Beginn der Fußball-WM hatte Außenminister Mohammed bin Abdulrahman al Thani mit Blick auf die öffentliche Kritik aus Berlin konstatiert: „Uns ärgert die Doppelmoral.“[8] Deutschland habe „kein Problem mit uns“, wenn es Flüssiggas wünsche oder Investoren benötige; richte Doha aber ein Sportevent aus, „dann gelten auf einmal andere Maßstäbe“. Das Auftreten der deutschen Fußballmannschaft sowie vor allem von Innenministerin Nancy Faeser, die in Qatar mit einer „One Love“-Binde vor den Kameras posierte, hat nun breiten Unmut ausgelöst. So wird berichtet, viele äußerten: „Mal sehen, ob die Deutschen, wenn sie ihren Gasdeal unterschreiben, auch so eine bunte Armbinde tragen.“[9] Eine regierungsnahe Quelle in Doha wird mit dem Hinweis zitiert, Qatars Regierung habe sich „sehr daran gestört, dass die Ministerin [Faeser, d.Red.] in den Treffen weitaus entgegenkommender und höflicher“ gewesen sei als bei „öffentlichen Auftritten“. Wolle man in einer Angelegenheit wirklich Erfolg haben, gehe man üblicherweise genau umgekehrt vor.[10]


„Vertrauensbonus verloren“

Mit einem Brandbrief hat sich nun der deutsche Botschafter in Qatar, Claudius Fischbach, an das Auswärtige Amt gewandt. Das Schreiben ist umgehend an die Medien durchgestochen worden. „Deutschland verfügte in den vergangenen Jahren in Katar über einen erheblichen Vertrauensbonus“, heißt es in dem Brief; „dieser Vertrauensbonus“ sei jedoch „in den letzten Wochen verloren gegangen“.[11] Qatar sehe sich als Opfer „einer beispiellosen Medienkampagne“; das deutsche Auftreten bei der Fußball-WM sei „breit und durchgängig als Respektlosigkeit vor einer fremden Kultur kritisiert“ worden. „Die aktuelle Stimmung gegenüber Deutschland in hiesigen Wirtschaftskreisen, traditionell deutschfreundlich“, konstatiert Fischbach, „wird mir als miserabel geschildert“. Der Botschafter mahnt mit Blick auf die außenpolitischen und -wirtschaftlichen Interessen Berlins: „Wir müssen nicht lange darüber reden, dass wir auf Katar als prowestlich ausgerichteten Verbündeten weder verzichten wollen noch können.“ Um die Beziehungen zu retten, sei zumindest „eine sehr hochrangige öffentliche Stellungnahme“ mit klarem Lob über die Durchführung der Fußball-WM und über den jüngsten Erdgasdeal nötig, darüber hinaus eine offizielle Bekräftigung, dass der Bundesregierung sehr viel an der Aufrechterhaltung der „traditionell guten“ Beziehungen gelegen sei.


Drohnen für das Emirat

Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich bislang damit begnügt, den jüngsten Flüssiggasdeal mit Qatar als „Baustein“ für die künftige Energieversorgung der Bundesrepublik zu loben; er gab zudem bekannt, er sei „sehr froh“, dass die Vereinbarung zustandegekommen sei.[12] Ganz anders gehen die Vereinigten Staaten mit Qatar, der Fußball-WM sowie den geostrategischen Machtkämpfen rings um das Emirat um. Pünktlich in der Halbzeit des Spiels zwischen dem US-Team und der Mannschaft Irans teilte das US-Außenministerium mit, es habe soeben seine Zustimmung zur Lieferung von Drohnenabwehrgerät im Wert von einer Milliarde US-Dollar gegeben. Dabei handle es sich um zehn feste Gesamtsysteme und um eine hohe Zahl einzelner Waffen und Ausrüstungsgegenstände, darunter 200 Coyote-Drohnen, die gegen feindliche Drohnen eingesetzt werden. „Der vorgeschlagene Verkauf“, erklärt das State Department, „wird Qatars Fähigkeit verbessern, sich gegen derzeitige sowie gegen künftige Bedrohungen zur Wehr zu setzen“.[13] Damit unterstütze man „die Sicherheit eines befreundeten Landes, das auch weiterhin eine wichtige Kraft für politische Stabilität und für wirtschaftlichen Fortschritt im Mittleren Osten ist“.

 

[1] S. dazu Deutsche Bürokraten.

[2] S. dazu Erdgas und Panzer.

[3], [4] Guido Steinberg: Katars Außenpolitik. SWP-Studie 2022/S 12. Berlin, 31.10.2022.

[5] S. dazu Das Ende der US-Dominanz am Persischen Golf und The West against the Rest (II).

[6] China, Qatar to build higher level of bilateral strategic partnership. news.cgtn.com 06.02.2022.

[7] S. dazu Europas Standards (II).

[8] „Uns ärgert die Doppelmoral“. Frankfurter Allgemeine Zeitung 07.11.2022.

[9], [10] Christoph Ehrhardt: Diplomatischer Flurschaden. Frankfurter Allgemeine Zeitung 30.11.2022.

[11] Matthias Gebauer, Veit Medick: „Die Stimmung wird mir als miserabel beschrieben“. spiegel.de 02.12.2022.

[12] Scholz nennt Katar-Gas „Baustein“ in künftiger Energieversorgung. rnd.de 30.11.2022.

[13] Lee Ferran: US approves potential $1 billion counter-drone tech sale to Qatar. breakingdefense.com 01.12.2022.


Info: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9102

05.12.2022

Krieg gegen die globale Landwirtschaft: Die nicht nachhaltige „nachhaltige“ UN-Agenda 2030

globalresearch.ca, vom 01. Dezember 2022, Von F. William Engdahl

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Zitat: In den letzten Wochen hat ein koordinierter, umfassender Angriff auf unsere Landwirtschaft – die Fähigkeit, Nahrung für die menschliche Existenz zu produzieren – begonnen. Das jüngste G20-Regierungstreffen in Bali, das UN-Agenda-2030-Cop27-Treffen in Ägypten, das Davos World Economic Forum und Bill Gates sind alle mitschuldig. Typischerweise verwenden sie dystopische sprachliche Rahmungen, um die Illusion zu erwecken, dass sie etwas Gutes im Schilde führen, wenn sie tatsächlich eine Agenda vorantreiben, die zu Hungersnot und Tod für Hunderte von Millionen und nicht Milliarden führen wird, wenn sie fortfahren dürfen. Es wird von einer Geldkoalition angetrieben.


Von G20 über Cop27 bis zum WEF

Am 13. November haben die G20-Vertreter der 20 einflussreichsten Nationen, darunter die USA, Großbritannien, die Europäische Union (obwohl es keine Nation ist), Deutschland, Italien, Frankreich, Japan, Südkorea und mehrere Entwicklungsländer, darunter China, Indien, Indonesien und Brasilien– einigten sich auf eine Abschlusserklärung.


Der erste große Punkt ist ein „Aufruf zu einer beschleunigten Transformation hin zu nachhaltiger und widerstandsfähiger Landwirtschaft und Ernährungssystemen und Lieferketten“.

Darüber hinaus „zusammenzuarbeiten , um Lebensmittel nachhaltig zu produzieren und zu verteilen , sicherzustellen, dass Lebensmittelsysteme besser zur Anpassung und Eindämmung des Klimawandels beitragen , und den Verlust der biologischen Vielfalt zu stoppen und umzukehren, die Nahrungsquellen zu diversifizieren …“

Darüber hinaus forderten sie einen „inklusiven, berechenbaren und nicht diskriminierenden, regelbasierten Agrarhandel auf der Grundlage der WTO-Regeln“.


Außerdem: „Wir verpflichten uns, die Einführung innovativer Praktiken und Technologien zu unterstützen, einschließlich digitaler Innovationen in der Landwirtschaft und in Lebensmittelsystemen, um die Produktivität und Nachhaltigkeit im Einklang mit der Natur zu steigern …“

Dann kommt die aufschlussreiche Aussage: „Wir bekräftigen unsere Verpflichtung, bis oder um die Mitte des Jahrhunderts eine globale Netto-Null-Treibhausgasemission/CO2-Neutralität zu erreichen.“ [i](Hervorhebung von mir)

„Nachhaltige Landwirtschaft“ mit „Netto-Null-Treibhausgasemissionen“ ist Orwellsche Doppelrede. Für einen Außenstehenden der UN-Linguistik klingen die Worte zu gut. Was tatsächlich vorangetrieben wird, ist die radikalste Zerstörung der Landwirtschaft und Landwirtschaft weltweit unter dem Namen „nachhaltige Landwirtschaft“.


Nur wenige Tage nach der G20-Konferenz von Bali fand das jährliche Green Agenda-Klimagipfeltreffen der Vereinten Nationen COP27 in Ägypten statt. Dort entwarfen die Teilnehmer aus den meisten UN-Ländern zusammen mit NGOs wie Greenpeace und Hunderten anderer grüner NGOs einen zweiten Aufruf. Die COP27 startete etwas, das sie aufschlussreich FAST nennen – die neue Initiative der Vereinten Nationen für Ernährung und Landwirtschaft für nachhaltige Transformation (FAST). Schnell, wie in „sich der Nahrung enthalten…“

Laut Forbes wird FAST eine „Verlagerung hin zu nachhaltiger, klimaresistenter, gesunder Ernährung fördern , würde dazu beitragen, die Kosten für Gesundheit und Klimawandel um bis zu 1,3 Billionen US-Dollar zu senken und gleichzeitig die Ernährungssicherheit angesichts des Klimawandels zu unterstützen“. Wir sprechen von großen Zahlen. 1,3 Billionen US-Dollar durch den Übergang zu einer „nachhaltigen, klimabeständigen, gesunden Ernährung“, die die Kosten des Klimawandels um 1,3 Billionen US-Dollar senken würde. [ii] Was steckt wirklich hinter all diesen Worten?


Großes Geld dahinter

Laut der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation, die während der COP27 mit Reuters sprach, wird die FAO innerhalb eines Jahres einen „Goldstandard“-Plan zur Reduzierung sogenannter Treibhausgase aus der Landwirtschaft einführen.


Der Impuls für diesen Krieg gegen die Landwirtschaft kommt nicht überraschend von der Big Money-Initiative FAIRR, einer in Großbritannien ansässigen Koalition internationaler Investmentmanager, die sich auf „wesentliche ESG-Risiken und -Chancen durch intensive Viehhaltung“ konzentriert.


Zu ihren Mitgliedern gehören die einflussreichsten Akteure im globalen Finanzwesen, darunter BlackRock, JP Morgan Asset Management, Allianz AG Deutschland, Swiss Re, HSBC Bank, Fidelity Investments, Edmond de Rothschild Asset Management, Credit Suisse, Rockefeller Asset Management, UBS Bank und zahlreiche andere Banken und Pensionsfonds mit einem verwalteten Gesamtvermögen von 25 Billionen Dollar.[iii] Sie eröffnen jetzt den Krieg gegen die Landwirtschaft, genauso wie sie es mit der Energie getan haben. Der stellvertretende UN-FAO-Direktor für Klimaschutzpolitik, Zitouni Ould-Dada, sagte während der COP27: „Noch nie zuvor wurde der Ernährung und der Landwirtschaft so viel Aufmerksamkeit geschenkt. Dieser COP ist definitiv der Richtige.“ [iv]

Das behauptet die FAIRR ohne Beweis


„Die Nahrungsmittelproduktion ist für etwa ein Drittel der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich und stellt die Hauptbedrohung für 86 % der weltweit vom Aussterben bedrohten Arten dar, während die Viehzucht für drei Viertel des Verlusts des Amazonas-Regenwalds verantwortlich ist.“ [v]


Die FAO plant, eine drastische Reduzierung der weltweiten Viehproduktion vorzuschlagen, insbesondere von Rindern, für die FAIRR behauptet, verantwortlich zu sein

„Fast ein Drittel der globalen Methanemissionen im Zusammenhang mit menschlichen Aktivitäten, die in Form von Rinderrülpsen, Gülle und dem Anbau von Futterpflanzen freigesetzt werden.“

Für sie ist der beste Weg, Kuhrülpsen und Kuhmist zu stoppen, die Beseitigung von Rindern. [vi]


Nicht nachhaltige nachhaltige Landwirtschaft

Die Tatsache, dass die UN FAO im Begriff ist, einen Fahrplan zur drastischen Reduzierung sogenannter Treibhausgase aus der globalen Landwirtschaft zu veröffentlichen, unter der falschen Behauptung einer „nachhaltigen Landwirtschaft“, die von den weltweit größten Vermögensverwaltern wie BlackRock, JP Morgan, AXA vorangetrieben wird und dergleichen, erzählt Bände über die wahre Agenda. Dies sind einige der korruptesten Finanzinstitute der Welt. Sie setzen niemals einen Cent dort ein, wo ihnen nicht riesige Gewinne garantiert sind. Der Krieg gegen die Landwirtschaft ist ihr nächstes Ziel.


Der Begriff „nachhaltig“ wurde von David Rockefellers Malthusian Club of Rome geprägt. In ihrem Bericht „Die Menschheit am Wendepunkt“ von 1974 argumentierte der Club of Rome:

Nationen können nicht voneinander abhängig sein, ohne dass jede von ihnen einen Teil ihrer eigenen Unabhängigkeit aufgibt oder zumindest ihre Grenzen anerkennt. Jetzt ist es an der Zeit, einen Masterplan für organisches nachhaltiges Wachstum und Weltentwicklung auf der Grundlage einer globalen Allokation aller endlichen Ressourcen und eines neuen globalen Wirtschaftssystems zu entwerfen. [vii] (Hervorhebung von mir)


Das war die frühe Formulierung der UN-Agenda 21, der Agenda 2030 und des Davos Great Reset 2020. Im Jahr 2015 verabschiedeten die UN-Mitgliedsstaaten die sogenannten Ziele für nachhaltige Entwicklung oder SDGs: 17 Ziele zur Transformation unserer Welt. Ziel 2 lautet „Hunger beenden, Ernährungssicherheit und bessere Ernährung erreichen und nachhaltige Landwirtschaft fördern“.


Aber wenn wir uns im Detail in die Vorschläge von Klaus Schwab von COP27, G20 und Davos WEF einlesen, finden wir heraus, was mit diesen wohlklingenden Worten gemeint ist. Jetzt werden wir von zahlreichen staatlich und privat finanzierten Think-Tank-Modellen mit unbestätigten Behauptungen überschwemmt, dass unsere Landwirtschaftssysteme eine Hauptursache für die globale Erwärmung sind. Nicht nur CO2, sondern Methan und Stickstoff. Doch das gesamte globale Treibhausgas-Argument, dass unser Planet am Rande einer irreversiblen Katastrophe steht, wenn wir unsere Emissionen bis 2030 nicht radikal ändern, ist durch undurchsichtige Computermodelle nicht überprüfbarer Unsinn. Basierend auf diesen Modellen besteht das UN IPCC darauf, dass die Welt bis 2050 im Wesentlichen untergehen wird, wenn wir einen globalen Temperaturanstieg von 1,5 ° C über das Niveau von 1850 nicht stoppen.


Der Krieg fängt gerade erst an

Die UNO und Davos WEF haben sich 2019 zusammengetan, um gemeinsam die SDG UN Agenda 2030 voranzutreiben. Auf der WEF-Website wird offen zugegeben, dass dies bedeutet, Fleischproteinquellen loszuwerden, die Förderung von nicht nachgewiesenem gefälschtem Fleisch einzuführen und alternative Proteine ​​​​wie gesalzene Ameisen oder gemahlenes zu befürworten Grillen oder Würmer als Ersatz für Huhn, Rind oder Lamm. Auf der COP27 ging es um „Ernährungen, die innerhalb der planetaren Grenzen bleiben können, einschließlich der Verringerung des Fleischkonsums, der Entwicklung von Alternativen und der Förderung der Umstellung auf einheimischere Pflanzen, Feldfrüchte und Getreide ( wodurch die derzeitige Abhängigkeit von Weizen, Mais, Reis und Kartoffeln verringert wird). .“ [viii]


Das WEF fördert eine Umstellung von Fleischeiweiß-Diäten auf vegan und argumentiert, dass dies „nachhaltiger“ sei. [ix] Sie fördern auch im Labor gezüchtete oder pflanzliche Fleischalternativen wie die von Bill Gates finanzierten Impossible Burgers, deren eigene FDA-Tests darauf hindeuten, dass es ein wahrscheinliches Karzinogen ist, da es mit GVO-Soja und anderen mit Glyphosat gesättigten Produkten hergestellt wird. Die CEO von Air Protein, einem anderen Unternehmen für gefälschtes Fleisch, Lisa Lyons, ist eine spezielle WEF-Beraterin. Das WEF fördert auch Insektenprotein-Alternativen zu Fleisch. Beachten Sie auch, dass Al Gore ein Treuhänder des WEF ist. [x]


Der Krieg gegen die Tierzucht für Fleisch wird gerade todernst. Die niederländische Regierung, deren Premierminister Mark Rutte, ehemals Unilever, ein WEF-Agenda-Mitwirkender ist, hat eine Sonderministerin für Umwelt und Stickstoff, Christianne van der Wal, eingesetzt. Unter Verwendung einer nie zitierten und veralteten Naturschutzrichtlinie der EU Natura 2000, die angeblich zum „Schutz von Moos und Klee“ entwickelt wurde, und auf der Grundlage betrügerischer Testdaten, hat die Regierung gerade angekündigt, dass sie 2.500 Rinderfarmen in ganz Holland zwangsweise schließen wird. Ihr Ziel ist es, 30 % der Rinderfarmen zur Schließung oder Enteignung zu zwingen.

In Deutschland sagt der Verband der Deutschen Fleischindustrie (VDF), dass Deutschland innerhalb der nächsten vier bis sechs Monate mit einer Fleischknappheit konfrontiert sein wird und die Preise in die Höhe schnellen werden. „In vier, fünf, sechs Monaten haben wir Lücken in den Regalen“, sagt VDF-Vorstand Hubert Kelliger. Schweinefleisch wird voraussichtlich die schlimmsten Engpässe erfahren. Die Probleme bei der Fleischversorgung sind darauf zurückzuführen, dass Berlin darauf besteht, die Anzahl der Nutztiere um 50 % zu reduzieren, um die Emissionen der globalen Erwärmung zu reduzieren. [xi] In Kanada plant die Trudeau-Regierung, ein weiteres Davos WEF-Produkt, laut der Financial Post vom 27. Juli, die Emissionen von Düngemitteln bis 2030 um 30 Prozent zu senken, als Teil eines Plans, in den nächsten drei Jahrzehnten auf Netto-Null zu kommen . Aber die Erzeuger sagen, dass sie die Getreideproduktion möglicherweise erheblich reduzieren müssen, um dies zu erreichen.


Als der autokratische Präsident Sri Lankas im April 2021 in einem brutalen Versuch, zu einer Vergangenheit „nachhaltiger“ Landwirtschaft zurückzukehren, jeglichen Import von Stickstoffdünger verbot, brachen die Ernten innerhalb von sieben Monaten ein und Hungersnöte, Bauernruinen und Massenproteste zwangen ihn, das Land zu verlassen . Er ordnete an, dass das ganze Land sofort auf ökologischen Landbau umstelle, bot den Bauern aber keine entsprechende Ausbildung an.


Kombinieren Sie all dies mit der katastrophalen politischen Entscheidung der EU, russisches Erdgas zu verbieten, das zur Herstellung von stickstoffbasierten Düngemitteln verwendet wird, wodurch die Schließung von Düngemittelfabriken in der gesamten EU erzwungen wird, was zu einer globalen Verringerung der Ernteerträge führen wird, sowie der gefälschten Vogelgrippewelle Landwirten in ganz Nordamerika und der EU fälschlicherweise befiehlt, zig Millionen Hühner und Puten zu töten, um nur einige weitere Fälle zu nennen, und es wird deutlich, dass unsere Welt mit einer beispiellosen Nahrungsmittelkrise konfrontiert ist. Alles für den Klimawandel?


*

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F. William Engdahl ist strategischer Risikoberater und Dozent, er hat einen Abschluss in Politikwissenschaften von der Princeton University und ist Bestsellerautor über Öl und Geopolitik. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Center for Research on Globalization (CRG).


Anmerkungen

[i] Erklärung der Staats- und Regierungschefs der G20 von Bali, Bali, Indonesien, 15.-16. November 2022, http://www.consilium.europa.eu/media/60201/2022-11-16-g20-declaration-data.pdf

[ii] Kit Knightly, COP27 entfacht den Krieg gegen Lebensmittel neu, https://www.theburningplatform.com/2022/11/13/lab-grown-meat-nuclear-yeast-vats-cop27-reignites-the-war-on -Lebensmittel/

[iii] https://www.fairr.org/about-fairr/network-members/page/14

[iv] Sarah El Safty, Simon Jessop, COP27: Der Plan der UN-Lebensmittelbehörde zu landwirtschaftlichen Emissionen soll nach Investorenvorstoß im nächsten Jahr eingeführt werden, 10. November 2022, https://www.reuters.com/business/cop/cop27-un -lebensmittelagentur-plan-landwirtschaftsemissionen-start-bis-nächstes-jahr-nach-investor-2022-11-10/

[v] FAIRR-Initiative, Where's The Beef, https://www.fairr.org/wheres-the-beef/

[vi] Simon Jessop, Gloria Dickie, Global Investors Write to UN to Press Global Plan on Farming Emissions, 9. Juni 2022, https://www.reuters.com/business/sustainable-business/exclusive-global-investors-write -un-drängen-global-plan-farming-emissionen-2022-06-08/

[vii] Club of Rome, Mankind at the Turning Point, 1974, https://web.archive.org/web/20080316192242/http://www.wiseupjournal.com/?p=154

[viii] THE SHARM EL SHEIKH CLIMATE IMPLEMENTATION SUMMIT, cop27.eg 1, Roundtable on „Food Security“, 7. November 2022,   https://cop27.eg/assets/files/days/COP27%20FOOD%20SECURITY-DOC-01 -EGY-10-22-DE.pdf

[ix] Vegan, vegetarisch oder Flexitarier? 3 Wege, nachhaltiger zu essen, 28. Oktober 2022, https://www.weforum.org/agenda/2022/10/vegan-plant-based-diets-sustainable-food/

[x] WEF, Haben wir das Ende von Fleisch erreicht?, https://www.weforum.org/podcasts/house-on-fire/episodes/have-we-reached-the-end-of-meat

[xi] J. Shaw, Deutschland reduziert die Fleischproduktion zur Bekämpfung der globalen Erwärmung, 21. November 2022, https://hotair.com/jazz-shaw/2022/11/21/germany-cutting-back-meat-production- um-die-globale-erwärmung-n512518-zu-bekämpfen


Die ursprüngliche Quelle dieses Artikels ist Global Research

Copyright © F. William Engdahl , Global Research, 2022


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Info: https://www.globalresearch.ca/war-global-agriculture-unsustainable-sustainable-un-agenda-2030/5800922

04.12.2022

Gemeinsam für Grundrechte

Liebe Freunde der Freiheit,


seit Einführung des Corona-Regimes im Frühjahr 2020 haben wir viel erlebt.


Viele von uns haben zum ersten Mal in ihrem Leben unmittelbar erfahren, was es bedeutet, wenn der Staat gewohnte Grundrechte und Freiheiten einschränkt. Der Staat nahm sich das Recht heraus, in unsere persönlichen, ganz privaten Lebensräume einzugreifen. Ein Händeschütteln, ein Zusammensitzen, ein Zusammenfeiern, eine Umarmung, ein Kuss wurden plötzlich zu einer Ordnungswidrigkeit. Kinder, ja auch Grundschulkinder, wurden gezwungen, viele Stunden am Tag ihren Mund, ihr Lachen mit einer Plastikmaske zu bedecken.


Der Staat nahm sich das Recht heraus, uns anhand unserer Entscheidung für oder gegen eine mRNA-Injektion zu diskriminieren. Selbst unser Recht auf körperliche Unversehrtheit stand zur Disposition.


Flankiert wurden diese staatlichen Eingriffe durch Maßnahmen, die den freien Informationsfluss in der Presse und den Medien so drastisch beeinflussten, dass sich die Grenze zwischen Staat und Leitmedien kurzfristig auflöste und eine kritische Gegenöffentlichkeit aus dem zentralen, politischen Diskurs ausgeschlossen wurde.


Der Druck zum staatskonformen Verhalten wurde in unseren Alltag und bis in unsere persönlichsten Beziehungen hineingetragen. Die vielen Auseinandersetzungen mit Unbekannten, mit Ordnungshütern, mit Ärzten, mit Kollegen, mit Freunden, mit Familienangehörigen, mit uns selbst waren anstrengend und aufwühlend. Nicht wenige von uns wurden in diesen Auseinandersetzungen persönlich und teils öffentlich beleidigt und stigmatisiert.


Ohne jeden Zweifel haben viele von uns unter den Corona-Maßnahmen und ihren Auswirkungen gelitten. Einige von uns leiden immer noch.


Wir haben nun die Möglichkeit, unsere anstrengenden, aufwühlenden und leidvollen Erlebnisse unter dem Corona-Regime zu erzählen, dessen Instrumente und Wirkmechanismen aufzudecken und öffentlich zu machen sowie unsere persönliche Freiheit mehr und mehr zurückzugewinnen.


Wir sind uns der Verantwortung, die mit dieser Möglichkeit einhergeht, bewusst und stehen hinter den folgenden Aussagen:


1. Wir sind Menschen aus dem Münsterland.

2. Wir berichten als Zeugen über das Corona-Regime in Münster und Umgebung.

3. Wir erzählen unsere Erlebnisse wahrheitsgetreu.

4. Wir achten und schützen die Persönlichkeitsrechte aller Menschen.


Wenn auch Du Dich mit diesen Aussagen identifizieren kannst und Deine Erlebnisse berichten und veröffentlichen möchtest, dann schicke uns Deine Geschichte als Antwort auf diese E-Mail (an: erlebnisse@grundrechte-ms.de mailto:erlebnisse@grundrechte-ms.de) oder poste sie im Forum.


Wenn wir mindestens zehn Erlebnisberichte gesammelt haben, werden wir sie auf der Homepage von Gemeinsam für Grundrechte (http://www.grundrechte-ms.de/) veröffentlichen und einen Blog für weitere Berichte einrichten. Grundsätzlich veröffentlichen wir die Berichte ohne Nennung des Verfassers. Wenn Du aber möchtest, dass Dein Name genannt wird, gib uns gerne Bescheid.


Denk bitte daran: Du bist nicht alleine. Wir stehen einig, frei und selbstbestimmt zusammen!


Info: http://www.grundrechte-ms.de

04.12.2022

Ukrainische Menschenrechtlerin Larissa Schessler: „Alle haben Angst“

nachdenkseiten.de, 02. Dezember 2022 um 9:39 Ein Artikel von Ulrich Hey

Larissa Schessler ist Vorsitzende der „Union der politischen Flüchtlinge und politischen Gefangenen“ in der Ukraine und von Beruf Ingenieurin. Sie lebte in der südukrainischen Stadt Nikolajew. 2014 emigrierte sie nach Russland, weil in der Ukraine ein Strafverfahren gegen sie eingeleitet worden war. Schessler hatte sich in Nikolajew zusammen mit anderen Aktivisten für die Föderalisierung der Ukraine und mehr Rechte für die russischsprachigen Regionen im Südosten der Ukraine eingesetzt. Im Interview, das Ulrich Heyden in Moskau mit ihr führte, berichtet Schessler, was seit 2014 aus den oppositionellen Bewegungen in der Ukraine geworden ist.


Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

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Man hört nichts mehr von der Opposition in der Ukraine. Was ist aus ihr geworden?

Die Opposition in der Ukraine ist heute physisch und politisch vernichtet. Alle Organisationen und Oppositionellen und alle Medien, die oppositionelle Meinungen verbreiteten, wurden zum Schweigen gebracht. Noch vor dem Februar 2022 wurden alle Informationskanäle geschlossen, über welche die Opposition ihre Informationen verbreitet hat. Fünf Fernsehkanäle und einige Medienhäuser wurden aufgrund von Beschlüssen der Werchownaja Rada und des ukrainischen Sicherheitsrates geschlossen. Auch Internetportale und andere Medien wurden geschlossen. Das widersprach der Verfassung und den Gesetzen. In der Ukraine gibt es heute kein freies Wort. Es gibt keine Freiheit für politische Organisationen. Es wurde eine totale Diktatur errichtet

.

Die Kommunistische Partei und andere linke Organisationen existieren nicht oder existieren sie im Untergrund?

Heute sind die Kommunistische Partei der Ukraine, die Sozialistische Partei der Ukraine, die Progressive Sozialistische Partei der Ukraine, die Union der Linken Kräfte und zahlreiche weitere Organisationen in der Ukraine verboten. Die Führer dieser Organisationen werden verfolgt. Sie werden aus der Ukraine vertrieben.


Die Führer der Oppositionsparteien sind aus der Ukraine geflüchtet?

Einige habe die Ukraine verlassen, einige sind in der Ukraine geblieben. Entweder sie leben im Verborgenen oder sie waren gezwungen, die Ukraine zu verlassen.


Was ist aus der größten Oppositionspartei der Ukraine – der „Oppositionsplattform – für das Leben“ – geworden? Die Partei war mit 44 Abgeordneten im Parlament vertreten. Im August letzten Jahres wollten laut einer Umfrage 19 Prozent für diese Partei stimmen.

Für Selenski war diese Partei besonders unangenehm, denn sie war seine Hauptkonkurrentin im Südosten der Ukraine. Selenski kam nicht als Nazi oder Führer radikaler Gruppen an die Macht. Er kam an die Macht, weil er auch prorussische Wähler gewann. Nach dem Februar 2022 wurde die Oppositionsplattform wegen ihrer prorussischen Einstellung verboten. Heute befindet sich die Oppositionsplattform in einer schwierigen Lage. Einige Führer – wie Viktor Medwetschuk – wurden verhaftet, andere – wie Wadim Rabinowitsch – fuhren ins Ausland. Die Übrigen – wie der Abgeordnete Juri Boiko – sprechen von der „russischen Aggression“. Nichtsdestotrotz droht den Abgeordneten der Oppositionsplattform der Entzug der Abgeordnetenmandate. Sie müssen auch mit tätlichen Angriffen ukrainischer Nationalisten rechnen.


Haben die linken Kräfte in der Ukraine und Sie persönlich im Jahr 2014 eine solche Entwicklung erwartet?

Der Angriff des totalen Nationalismus begann 2014. Und jeder Mensch, der logisch denkt, konnte erwarten, dass Nationalismus und Nazismus früher oder später enden mit dem totalen Verbot der oppositionellen Parteien. Aber so eine brutale Diktatur habe sogar ich nicht erwartet, obwohl gegen mich 2014 ein Strafverfahren eingeleitet wurde.


Strafverfahren wegen Forderung nach Föderalisierung

Was war der Grund, dass Sie nach Russland übergesiedelt sind? Welchen Status haben Sie heute in Russland?

Ich habe die Ukraine im Mai 2014 verlassen. Ich war Koordinator des Anti-Maidan in der Stadt Nikolajew. Gegen mich wurde ein Strafverfahren eröffnet. Wir forderten den föderalen Status der südöstlichen Regionen der Ukraine. Aber niemand wollte damals den Südosten von der Ukraine abspalten.

Sehr viele Genossen sind ins Gefängnis gekommen. Ich konnte dem entgehen, indem ich die Ukraine verlassen habe. Aber das Strafverfahren in der Ukraine gegen mich läuft weiter. Es wurde nur zeitweise ausgesetzt.

In den Regionen der Ukraine gibt es sehr verschiedene Mentalitäten. Während der Westen der Ukraine ukrainischsprachig ist, so war der Osten der Ukraine immer russischsprachig. Das Verbot, in der russischen Sprache zu sprechen, was 2014 begann, hängt damit zusammen, dass die Ukraine kein föderaler Staat ist und die Regionen kein Recht haben, ihre regionale Sprache zu sprechen und ihre regionale Kultur und ihre regionalen Werte zu unterstützen.


Sie haben am Anfang unseres Gesprächs erklärt, dass die Opposition in der Ukraine auch physisch zerstört wird. Können Sie bitte Namen von Personen und Organisationen nennen?

Wir haben gesehen, dass viele politisch aktive Menschen spurlos verschwanden oder in Gefängnissen sitzen. Zum Beispiel Jelena Bereschnaja[1]. Das ist eine sehr bekannte Menschenrechtlerin, die für die Rechte der politischen Gefangenen in der Ukraine eingetreten ist. Sie ist aufgetreten im Komitee für Menschenrechte der UNO, in der OSZE, im Europäischen Parlament. Jelena Bereschnaja ist über 60 Jahre alt. Sie sitzt seit März 2022 im Gefängnis und niemand weiß, in welchem gesundheitlichen Zustand sie sich befindet. Man lässt niemanden zu ihr, noch nicht mal Verwandte.


Rechtsanwälte werden behindert

Hat Frau Bereschnaja keinen Rechtsanwalt?

Jelena Bereschnaja hat einen Anwalt, aber der Anwalt teilt der Öffentlichkeit nichts mit. Alle haben Angst, irgendwelche Informationen zu veröffentlichen.


Ich habe gehört, dass der Kiewer Rechtsanwalt Walentin Rybin die Ukraine im März 2022 verlassen musste.

Der Rechtsanwalt Walentin Rybin[2] hat die Ukraine verlassen, weil seine Tätigkeit als Rechtsanwalt strafrechtliche Ermittlungen zur Folge hatte. Viele Anwälte waren gezwungen, die Ukraine zu verlassen.


Haben sich diese Rechtsanwälte an internationale Organisationen gewandt?

Leider weiß man im Westen nicht, dass zum Beispiel der bekannte Rechtsanwalt Dmitri Tichonenkow[3] aus Charkow, der sich um politische Gefangene kümmerte, im März 2022 verhaftet wurde. Er wurde später gegen eine Kaution freigelassen.

Rechtsanwälten in der Ukraine gelingt es nicht, Informationen an westliche Länder zu übermitteln, weil man sie einschüchtert und einsperrt. Man braucht heute für den Schutz der politischen Gefangenen in der Ukraine sehr viel Mut und faktisch ist dieser Schutz schon nicht mehr möglich.


Haftentlassung gegen die Zahlung einer Kaution

Wie viele politische Gefangene gibt es heute in der Ukraine? Haben Sie eine Liste?

Wir haben Listen, aber viele Verwandte von politischen Gefangenen haben Angst, die Daten ihrer verhafteten Angehörigen in diese Listen einzutragen. Denn die Gefangenen befinden sich in der Gewalt der Gefängnisverwaltungen und sie befürchten ernste Folgen für ihre Angehörigen. Sie hoffen, dass man ihre Angehörigen austauscht oder dass man sie gegen große Kautionen aus der Haft entlässt. Für eine Freilassung auf Kaution werden mehrere hunderttausend Euro verlangt.


Welche bekannten Personen wurden auf Kaution aus der Haft entlassen?

Wir wissen zum Beispiel, dass der bekannte russisch-orthodoxe Aktivist Dmitri Skwarzow[4] für eine Kaution von mehreren hunderttausend Euro freigelassen wurde. Für eine sehr große Kaution wurde auch der frühere Leiter der Union der „Linken Kräfte“, Wassili Wolga[5], freigelassen. Wolga war im März 2022 verhaftet worden.

Weil in der Ukraine noch die Verwandten der Aktivisten leben, haben sie heute Angst, ihr Schicksal öffentlich zu machen: die Gründe, für die sie angeklagt wurden, und die Bedingungen, wie man sie faktisch freikauft.


Auf Ihre Verwandten, Frau Schessler, kann kein Druck ausgeübt werden?

Meine Verwandten sind heute nicht in Gefahr, aber leider habe ich mir nahestehende Menschen in der Ukraine. Aber ich bin schon lange auf dem Gebiet der Menschenrechte aktiv, ich kann meine Position nicht ändern.


Können Sie weitere Namen nennen von Oppositionellen, die in der Ukraine zu Tode gekommen sind oder im Gefängnis sitzen?

Da ist zum Beispiel der bekannte Historiker Aleksander Karewin[6]. Er arbeitet zur gemeinsamen Geschichte von Russland und der Ukraine. Deshalb wurde er im März 2022 verhaftet und sitzt seitdem im Gefängnis.

Dann ist da der Experte auf dem Gebiet der Energie, Dmitri Marunitsch[7]. Er ist keine öffentliche Person und gehört keiner Organisation an. Aber weil er verschiedenen Medien – auch russischen – Interviews gegeben hat, sitzt er seit April 2022 im Gefängnis und niemand weiß, nach welchem Paragraphen des Strafgesetzbuches man ihn überhaupt anklagen will. Marunitsch hat einfach die Möglichkeiten des Energie-Sektors der Ukraine analysiert und hat darüber auf politischen Versammlungen und gegenüber Medien gesprochen.

Ich habe in meiner Heimatstadt Nikolajew eine ehemalige Kollegin aus dem Stadtrat. Sie ist über 70 Jahre alt und seit über zehn Jahren gesellschaftlich aktiv. Man hat sie der Unterstützung russischer Bewegungen beschuldigt. Sie leitete in Nikolajew das „Unsterbliche Regiment“. Das ist eine gesellschaftliche Bewegung zur Unterstützung der Helden des Großen Vaterländischen Krieges 1941-1945. Gegen die Organisatoren des „Unsterblichen Regiments“ wurden jetzt Strafverfahren eingeleitet. Man wirft ihnen prorussische Tätigkeit vor. Es gibt sehr viele solche Fälle.

Was ich Ihnen erzähle, ist nur die Spitze des Eisberges. Heute bekam ich die Information, dass in dem Ort Snigerowki im südukrainischen Gebiet Nikolajew, welches Anfang November von russischen Truppen geräumt wurde, zwei Einwohnerinnen verhaftet wurden. Man wirft ihnen prorussische Tätigkeit vor. Sie haben humanitäre Hilfe verteilt und bei der Beantragung russischer Renten geholfen. Sie werden als Verbrecherinnen angeklagt. Ihnen drohen Gefängnisstrafen von zehn Jahren.


Im Gebiet Cherson verschwinden Menschen“

Wie ist die Lage in den Gegenden von Cherson und Charkow, in welche die ukrainische Armee in den letzten Monaten vorgerückt ist?

In den Gebietsteilen von Cherson und Charkow, aus denen sich die russische Armee zurückgezogen hat, herrscht heute totaler Terror.

Heute gibt es im Gebiet Cherson eine sehr starke Repression. Es wurden Menschen verhaftet und beschuldigt, sie hätten die russischen Streitkräfte unterstützt. Doch diese Verhafteten haben nur humanitäre Hilfe verteilt, als der Nordteil von Cherson von der russischen Armee kontrolliert wurde. Lehrer werden verfolgt, die Listen für die Teilnahme am Referendum vorbereitet haben. Man verhaftet sie und dann verschwinden sie und von Vielen wissen wir nicht, wo sie sind.

Es gibt keine Rechtsanwälte und keine Möglichkeiten, diese verschwundenen Menschen zu suchen. Die Menschen befinden sich heute in großer Gefahr.

Leider haben viele Menschen in den Orten Snigerowki und Cherson nicht geahnt, welche Gefahr besteht, wenn die ukrainischen Truppen in die Orte zurückkehren.

Viele Bürger kamen nicht direkt mit politischer Repression in Berührung. Wenn so etwas weit entfernt passiert, konnten sie sich nicht vorstellen, mit welcher Brutalität gegen Andersdenkende vorgegangen wird.

Die Menschen sind einfach ihrer normalen Tätigkeit nachgegangen. Eine Beamtin in einem Stadtbezirk hat nicht verstanden, dass, wenn sie sich nicht weigert, Mitbürgern dabei zu helfen, humanitäre Hilfe und Renten zu beantragen, sie sich nach Meinung von Kiew eines Verbrechens schuldig macht.

Die Menschen blieben auf dem Territorium, welches die russische Armee eingenommen hat, und sie dachten, sie machen nichts Schlechtes. Sie haben niemanden an die russischen Sicherheitsorgane verraten. Sie haben niemanden angezeigt und ins Gefängnis gebracht. Aber heute werden diese Beamten verhaftet und ihnen droht eine lange Haftstrafe.


Ein bekannter Journalist in der Ukraine ist Juri Tkatschow[8], Chefredakteur des Internetportals „Timer“ aus Odessa. Man hat ihn im März 2022 verhaftet.

Juri Tkatschow machte eine reine Informationsarbeit. Aber man hat ihn ins Gefängnis geworfen. Nach Zahlung einer sehr großen Kaution hat man ihn in den Hausarrest entlassen. Man sagt, er musste zwei Millionen Griwna zahlen, das sind 50.000 Euro.


Er kann jetzt nichts schreiben?

Natürlich nicht. Eine Person, die auf Kaution freigekommen ist, möchte natürlich nicht nochmal ins Gefängnis. Man brachte ihn zum Schweigen wie viele, viele andere.


Könnte Juri Tkatschow nach Deutschland oder ein anderes Land in der Europäischen Union ausreisen und seine Tätigkeit von dort aus fortsetzen?

Man wird es nicht zulassen. Denn er befindet sich im Hausarrest. Kein Mann unter 60 Jahren darf die Ukraine heute verlassen.


Vor kurzem durchsuchte der ukrainische Geheimdienst SBU mehrere russisch-orthodoxe Klöster in der Ukraine. Eine dieser Durchsuchungen fand statt im Kiewer Kloster Troize-Sergijewa Lawra. Man behauptete, dass man dort russische Untergrundkämpfer sucht.

Der SBU denkt sich Dinge aus, um die politische Verfolgung von religiösen Würdenträgern zu rechtfertigen. Heute in der Kirche eine Untergrundgruppe aufzubauen, also in einer großen Stadt, in der man sich nicht verstecken kann, ist absurd.

Die ukrainische orthodoxe Kirche des russischen Patriarchats vereinigt Ukrainer und Russen, weshalb sie schon seit mehreren Jahren von der Kiewer Macht verfolgt wird. Der gemeinsame Glaube ist aus Sicht der Macht in Kiew ein Verbrechen.

Die orthodoxe Kirche sucht natürlich nach Kompromissen mit der Macht. Die Kirche ist keine politische Organisation, die kämpfen wird. Aber sie kann ihre Natur nicht ändern und steht weiter für den gemeinsamen Glauben von Russen und Ukrainern ein.


Gibt es für Menschen in der Ukraine, die es gewohnt sind, russische Nachrichten oder Kultur-Programme zu gucken, Kanäle im Internet, über die sie sich informieren können?

In der Ukraine kann jeder Mensch auf der Straße angehalten werden. Man kann ihn auffordern, dass er sein Telefon zeigt und die Telegram-Kanäle, die er abonniert hat. Und wer einen bekannten russischen Kanal wie colonelcassad oder Juri Podoljaka abonniert hat, kann verhaftet und verhört werden. Wenn meine Freunde in der Ukraine aus dem Haus gehen, dann löschen sie alle ihre Telegram-Kanäle. Viele YouTube-Kanäle und Websites sind in der Ukraine blockiert. Man kann sie nur über VPN sehen.


Die bekanntesten politischen Morde

Was sind die bekanntesten politischen Morde der letzten Jahre in der Ukraine?

Anfang März 2015 gab es den angeblichen Selbstmord des ehemaligen Gouverneurs des Gebietes Saparoschje, Aleksandr Pekluschenko. In Wirklichkeit war es ein politischer Mord.

Am 15. April 2015 wurde Oleg Kalaschnikow[9] erschossen. Kalaschnikow war Mitglied der Partei der Regionen. Er hatte versucht, in Kiew einen Marsch des „Unsterblichen Regiments“ zu organisieren.

Am 16. April 2015 wurde der Journalist und Schriftsteller Oles Busina[10] erschossen.

Das Entscheidende ist, dass bekannt ist, wer diese Morde ausgeführt hat und niemand dafür zur Verantwortung gezogen wurde.

Außerdem gab es sehr viele Morde, die als Selbstmorde ausgegeben wurden, zum Beispiel beim Tod von Walentinа Semenjuk[11], der Vorsitzenden des Fonds für Privatisierung von Staatseigentum, im August 2014.

Es waren viele politische Morde. Aber das Entscheidende war, dass diese Morde Angst verbreiteten.


Wie ist Ihre Prognose für die Zukunft der Ukraine?

Die Ukraine als souveräner Staat hat bereits aufgehört zu existieren. Das Territorium befindet sich unter vollständiger Kontrolle der Amerikaner und wird genutzt als Mittel im Kampf gegen Russland.


[«1] antifashist.com/item/izvestnaya-ukrainskaya-pravozashhitnica-elena-berezhnaya-arestovana-v-kieve.html

[«2] yandex.ru/video/preview/3050392820417740556

[«3] novostivl.ru/post/349612/

[«4] regnum.ru/news/polit/3529274.html

[«5] news-front.info/2022/03/28/ukrainskie-siloviki-pohitili-i-pytajut-oppozicionera-volgu/

[«6] regnum.ru/news/polit/3554817.html

[«7] ukraina.ru/20220409/1033730384.html

[«8] ukraina.ru/20220323/1033586583.html

[«9] lenta.ru/articles/2015/04/16/buzuna_kalash/

[«10] buzina.org/about-avtor.html

[«11] vlasti.net/news/223680


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Info: https://www.nachdenkseiten.de/?p=91091


unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

04.12.2022

Ex-Botschafter und Geheimdienstler aus Großbritannien: EU droht katastrophale Wirtschaftsentwicklung

meinungsfreiheit.rtde.life, vom 3 Dez. 2022 23:04 Uhr
Der RT-Moderator von "Going Underground", Afshin Rattansi, hat sich mit Alastair Crooke über die Krise in der EU unterhalten. Crooke ist ehemaliger britischer Diplomat, war kurzzeitig für den britischen Geheimdienst tätig. Er galt nicht nur dort als hochrangige Persönlichkeit, sondern auch in der EU-Diplomatie. Heute leitet er das von ihm gegründete und in Beirut ansässige Conflicts Forum.


Link zum Video https://vk.com/video-134310637_456260994  Dauer 4:49 min


Crooke meint, dass bezüglich der Krise in der EU der schlimmste Geheimdienstfehler unserer Ära begangen worden sei. Nämlich, dass man annahm, man könne Russland einfach wirtschaftlich zerschlagen. Tatsächlich habe die EU damit jedoch ihre eigene Selbstzerstörung eingeleitet und sich in eine doppelte Sackgasse manövriert. Während sie selbst ohne Energie dastehe, sorgten Entwicklungen in den USA dafür, dass die Industrien aus Europa abwanderten. Crooke warnt vor einer katastrophalen wirtschaftlichen Situation, die entstehen werde.

Mehr zum Thema - Kalte Winter in Europa, oder: Der Plan B der USA

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.

Info: https://meinungsfreiheit.rtde.life/kurzclips/video/156247-ex-botschafter-und-geheimdienstler-aus


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04.12.2022

Der globale Süden bringt ein neues bahnbrechendes Zahlungssystem hervor 

seniora.org, 04. Dezember 2022, Von Pepe Escobar 30. November 2022 - übernommen von thecradle.co Die Eurasia Economic Union fordert das westliche Währungssystem heraus und führt den globalen Süden zu einem neuen gemeinsamen Zahlungssystem, um den US-Dollar zu umgehen.


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Bildnachweis: Die Wiege

 
Die Eurasische Wirtschaftsunion (EAWU) beschleunigt ihre Gestaltung eines gemeinsamen Zahlungssystems, das seit fast einem Jahr mit den Chinesen unter der Leitung von Sergey Glazyev , dem für Integration und Makroökonomie zuständigen Minister der EAWU, eng diskutiert wird.


Durch ihre Regulierungsbehörde, die Eurasische Wirtschaftskommission (EWG), hat die EAWU gerade einen sehr ernstzunehmenden Vorschlag an die BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) übermittelt, die vor allem bereits auf dem Weg sind, sich zu wandeln BRICS+ : eine Art G20 des globalen Südens.


Das System wird eine einzige Zahlungskarte umfassen   – in direkter Konkurrenz zu Visa und Mastercard   –, die die bereits bestehende russische MIR, Chinas UnionPay, Indiens RuPay, Brasiliens Elo und andere zusammenführt.


Das wird eine direkte Herausforderung für das westlich entworfene (und durchgesetzte) Geldsystem darstellen, frontal. Und es folgt den BRICS-Mitgliedern, die ihren bilateralen Handel bereits in lokalen Währungen abwickeln und den US-Dollar umgehen.


Diese EAWU-BRICS-Union war lange im Entstehen   – und wird nun auch einen weiteren geoökonomischen Zusammenschluss mit den Mitgliedsstaaten der Shanghai Cooperation Organization (SCO) vorwegnehmen.


Die EAWU wurde 2015 als Zollunion von Russland, Kasachstan und Weißrussland gegründet, der ein Jahr später Armenien und Kirgisistan beitraten. Vietnam ist bereits ein Freihandelspartner der EAWU, und das kürzlich verankerte SCO-Mitglied Iran schließt ebenfalls ein Abkommen ab.

Die EAWU wurde entwickelt, um den freien Waren-, Dienstleistungs-, Kapital- und Arbeitnehmerverkehr zwischen den Mitgliedsländern zu verwirklichen. Die Ukraine wäre ein Mitglied der EAWU gewesen, wenn nicht der Maidan-Putsch im Jahr 2014 gewesen wäre, der von der Barack Obama-Regierung geleitet wurde.


Wladimir Kowaljow, Berater des Vorsitzenden der EWG, fasste es gegenüber der russischen Zeitung „ Iswestija“ zusammen. Der Fokus liegt auf der Schaffung eines gemeinsamen Finanzmarktes, und die Priorität liegt auf der Entwicklung eines gemeinsamen „Austauschraums“: „Wir haben erhebliche Fortschritte gemacht, und jetzt konzentriert sich die Arbeit auf Sektoren wie Banken, Versicherungen und den Aktienmarkt.“


Eine neue Regulierungsbehörde für das vorgeschlagene gemeinsame EEU-BRICS-Finanzsystem wird in Kürze eingerichtet.


Unterdessen hat die Handels- und Wirtschaftskooperation zwischen der EAWU und den BRICS allein in der ersten Hälfte des Jahres 2022 um das 1,5-fache zugenommen.

Der BRICS-Anteil am gesamten Außenhandelsumsatz der EAWU hat 30 Prozent erreicht, verriet Kovalyov auf dem BRICS International Business Forum am vergangenen Montag in Moskau:

„Es ist ratsam, die Potenziale der makrofinanziellen Entwicklungsinstitutionen der BRICS- und EAWU-Staaten, insbesondere der BRICS New Development Bank, der Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB), sowie nationaler Entwicklungsinstitutionen zu kombinieren. Dadurch können Synergieeffekte erzielt und synchrone Investitionen in nachhaltige Infrastruktur, innovative Produktion und erneuerbare Energiequellen sichergestellt werden.“

Hier sehen wir wieder einmal die fortschreitende Konvergenz nicht nur der BRICS und der EAWU, sondern auch der Finanzinstitute, die stark an Projekten im Rahmen der von China geführten Neuen Seidenstraßen oder Belt and Road Initiative (BRI) beteiligt sind.


Das Zeitalter der Plünderung stoppen

Als ob das alles nicht bahnbrechend genug wäre, erhöht der russische Präsident Wladimir Putin den Einsatz, indem er ein neues internationales Zahlungssystem auf der Grundlage von Blockchain und digitalen Währungen fordert.


Das Projekt für ein solches System wurde kürzlich auf dem 1. Eurasischen Wirtschaftsforum in Bischkek vorgestellt.


Auf dem Forum billigte die EAWU einen Abkommensentwurf über die grenzüberschreitende Platzierung und den Umlauf von Wertpapieren in den Mitgliedstaaten sowie geänderte technische Vorschriften.


Der nächste große Schritt besteht darin, die Tagesordnung für ein entscheidendes Treffen des Obersten Eurasischen Wirtschaftsrates am 14. Dezember in Moskau zu organisieren. Putin wird dort sein   – persönlich. Und es gibt nichts, was er mehr lieben würde, als eine bahnbrechende Ankündigung zu machen.


All diese Schritte gewinnen noch mehr an Bedeutung, da sie mit dem schnell wachsenden, ineinandergreifenden Handel zwischen Russland, China, Indien und dem Iran in Verbindung stehen: von Russlands Bestreben, neue Pipelines für den chinesischen Markt zu bauen, bis hin zu Russland, Kasachstan und Usbekistan, die über eine Gasunion diskutieren sowohl für Inlandslieferungen als auch für Exporte, insbesondere zum Hauptkunden China.


Was sich langsam aber sicher herausbildet, ist das Gesamtbild einer unwiederbringlich zerbrochenen Welt mit einem dualen Handels-/Umlaufsystem: Das eine wird sich um die Überreste des Dollarsystems drehen, das andere wird aufgebaut, zentriert auf die Vereinigung von BRICS, EAEU, und SCO.


Weiter unten auf der Straße, die kürzlich von einem kitschigen Eurokraten-Chef geprägte erbärmliche Metapher: Der „Dschungel“ löst sich mit aller Macht vom „Garten“. Möge der Bruch andauern, da ein neues internationales Zahlungssystem   – und dann eine neue Währung   – darauf abzielen wird, das westlich zentrierte Zeitalter der Plünderung endgültig zu stoppen.


Pepe Escobar
Pepe Escobar

Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten spiegeln nicht unbedingt die von The Cradle wider.

Quelle: https://thecradle.co/Article/Columns/18975

Mit freundlicher Genehmigung von TheCradle.co

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Info: https://seniora.org/politik-wirtschaft/geld-dollarkrise/der-globale-sueden-bringt-ein-neues-bahnbrechendes-zahlungssystem-hervor?acm=3998_1586

04.12.2022

Putins Heilmittel: Eine zersplitterte, zahnlose Ukraine, getrennt durch ein 100 Kilometer breites Niemandsland

globalresearch.ca,vom 01. Dezember 2022, Von Mike Whitney


Region: ,

Thema:


Ausführlicher Bericht:


Zitat: „Es scheint wahrscheinlich, dass Russland eine Lösung durchsetzen wird. Wenn, wie erwartet, klar wird, dass der Westen nicht verhandeln kann oder will, wird es an Russland liegen, eine maximalistische Lösung umzusetzen. Oder Russland „handelt“, indem es zeigt, dass es in der Westukraine eine beliebig große Todeszone schaffen kann. Wenn die Ukraine und ihre US-Aufpasser nicht zur Besinnung kommen, wird diese tote Zone schrecklich groß sein.“ Yves Smith, Nackter Kapitalismus

Wie endet das?

Wie schafft Russland eine „neutrale“ Ukraine, die von Moskaus Feinden nicht bis an die Zähne bewaffnet ist?

Wie hindern sie Kiew daran, gemeinsame militärische Übungen mit der NATO durchzuführen oder Raketenstandorte an der Grenze zu Russland zu errichten?

Wie hindern sie die ukrainische Armee daran, ethnische Russen im Osten zu beschießen oder rechtsextreme Paramilitärs auszubilden, um so viele Russen wie möglich zu töten? Wie verwandelt Putin die Ukraine in einen guten Nachbarn, der keine Sicherheitsbedrohung darstellt und der keinen antirussischen Hass und Bigotterie schürt?

Und schließlich: Wie löst man den Konflikt friedlich, wenn eine Seite sich weigert, mit der anderen zu verhandeln? Schauen Sie sich diesen Clip aus einem Artikel bei Mint News an:

„Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat am Dienstag ein Dekret unterzeichnet, mit dem er offiziell die „unmögliche“ Aussicht auf Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ankündigte …

„Er (Putin) weiß nicht, was Würde und Ehrlichkeit sind. Deshalb sind wir bereit für einen Dialog mit Russland, aber mit einem anderen Präsidenten Russlands“, sagte Selenskyj am Freitag. ( Mint-Nachrichten)

Die Tatsache, dass Selenskyj nicht mit Putin verhandeln wird, bedeutet nicht, dass es keine Einigung geben wird. Es bedeutet nur, dass Selenskyj bei dem Ergebnis keine Stimme haben wird.

Als mächtigeres Land war es Russland immer möglich, eine Regelung durchzusetzen, die seine grundlegenden nationalen Sicherheitsziele erreicht, und genau das wird Putin tun.

Die Einigung wird weder ideal sein noch die Feindseligkeiten vollständig beenden, aber sie wird eine Schutzschicht vor Russlands Feinden bieten , die angesichts der Umstände das Beste ist, was man sich erhoffen kann.

Bedauerlicherweise wird der Vergleich auch die Existenz der Ukraine als lebensfähiger, zusammenhängender Staat beenden . Und – nachdem Russland seine spezielle Militäroperation beendet hat – wird die Ukraine einer düsteren Zukunft als deindustrialisiertes Ödland entgegensehen, das für sein Überleben vollständig von seinen Verbündeten im Westen abhängig ist.


Karte von John Helmer







































Karte von John Helmer

Hier ist ein Auszug aus einem Artikel des in Moskau ansässigen Journalisten John Helmer, der glaubt, dass die russische Armee in ihrer bevorstehenden Winteroffensive ein riesiges Gebiet der Zentralukraine räumen wird und dass ein Großteil dieses Landes Teil einer 100 Kilometer breiten demilitarisierten Zone werden wird (DMZ), die Russland vor ukrainischen Raketen- und Artillerieangriffen schützen wird. Wie Helmer anmerkt, ist das Modell für diese vom Militär aufgezwungene Regelung „der Waffenstillstand von Panmunjom vom 27. Juli 1953, der den Koreakrieg beendete …. Auf dem Boden innerhalb der UDZ (Ukraine Demilitarized Zone) gibt es möglicherweise keinen Strom, keine Menschen, nichts außer den Mitteln zur Überwachung und Durchsetzung der Waffenstillstandsbedingungen.


Hier noch mehr von Helmer:

Putins Vorschlaghammer

Militärische Quelle:…. Sobald die Zerstörung dieser Ziele abgeschlossen ist, werden die Überreste der Infrastruktur abgebaut und das Gebiet mit Sensorgeräten bepflanzt. Die Armeen werden dann einen schnellen, schrittweisen Rückzug hinter die russischen Linien beginnen, wo der Prozess der Befestigung und Verschanzung bereits begonnen hat.“

„Zivilisten und entwaffneten ukrainischen Truppen – mit Ausnahme der Ukro-Nazi-Einheiten – werden ein oder zwei Korridore zugewiesen, durch die sie die Zone verlassen dürfen. Sie sollten besser nicht trödeln.“…

Die Quellen stimmen darin überein, dass es vor dem Tauwetter im nächsten Frühjahr eine neue militärische Demarkationslinie geben wird ; Sie unterscheiden sich darin, wie es jetzt gezeichnet wird und wie es nächsten April aussehen wird. „Im Moment wird die Linie am Dnjepr verlaufen, wobei sich die Zone vom Westufer bis in die Rumpfukraine erstreckt – ich schätze, sie liegt in einer Tiefe von nicht weniger als 100 km. Dies wird russisches Territorium aus der Reichweite der meisten ukrainischen Artillerie bringen. Eine 100 km tiefe Zone wird den russischen Streitkräften auch Zeit geben, alles im Flug zu entdecken und abzufangen …

„Im nördlichen Sektor – das ist von Kramatorsk und Slowjansk bis Charkow … das sind Garnisonen und Aufmarschgebiete des Hasses an oder in der Nähe von Russlands Grenzen; sie werden nicht verschont bleiben … (und) haben sie für die Entelektrifizierung, Entvölkerung und Entnazifizierung qualifiziert.“


„Der zu betonende Punkt, insbesondere bei den russischen Operationen im Norden … wird kein Territorium erobern und halten. ... Es geht nicht darum, das Territorium dauerhaft zu besetzen, geschweige denn zu verwalten. Das Ziel wird es sein, Feinde zu zerstören, die ihre Köpfe erheben, und die Infrastruktur, auf die sie sich verlassen; Minen und Sensoren legen; und sich dann zurückziehen.“


„Sobald die zugewiesenen Transport- und Logistikknoten eingenommen wurden, beginnt die Aufgabe, sie durch Ingenieureinheiten zu zerstören. Brücken, Straßen, Eisenbahnen, Rangierbahnhöfe, rollendes Material, Flugplätze, Treibstofflager und Abgabestellen, Umspannwerke, Sende- und Kommunikationsmasten, Zentralbüros, Lagerhäuser, Liegeplätze, landwirtschaftliche Geräte – alles, was möglicherweise zur Unterstützung der ukrainischen NATO verwendet werden könnte Bemühungen östlich der Westgrenze der Zone werden zerstört. Das wird auch die Aufgabe der Bodentruppen sein – umfassender und gründlicher, als es Raketen- und Drohnenangriffe leisten können.“


„Zivilisten und entwaffnete Kämpfer ohne ihre motorisierte Ausrüstung dürfen die Zone zu speziell vorbereiteten Bussen (unter Aufsicht von Surovikin in Syrien) mit allem, was sie auf dem Rücken tragen können, verlassen …. Jeder, der sich dafür entscheidet, innerhalb der Zone zu bleiben, wird ausdrücklich per Funk, Flyer und Lautsprecher darüber informiert, dass er als feindlicher Kombattant gilt und entsprechend angegriffen wird. Nach einer vorgeschriebenen Zeitspanne werden die „goldenen Brücken“ für die austretende Bevölkerung zerstört . Für die Verbliebenen werden sie keine Stromversorgung, sanitäre Einrichtungen oder Kommunikation gehabt haben …“ ( „Ukraine Armistice – How the UDZ of 2023 will trennt the Armies like the Korean DMZ of 1953“ , John Helmer, Dances With Bears


Karte von John Helmer

Karte von John Helmer


Helmer bringt es auf den Punkt. Putin wird im Zentrum der Ukraine ein riesiges, unbewohnbares Niemandsland schaffen, das den Osten vom Westen trennen und die Existenz der Ukraine als lebensfähiger, zusammenhängender Staat beenden wird. So sieht eine vom Militär aufgezwungene Siedlung aus. Es ist nicht ideal und es beendet nicht unbedingt alle Kämpfe, aber es spricht Russlands grundlegende Sicherheitsanforderungen an, die Washington ignoriert hat.


Seien Sie versichert, dass Washington diese Regelung nicht mögen und den neuen Grenzen niemals zustimmen wird . Aber die Vereinigten Staaten werden in dieser Angelegenheit nicht das letzte Wort haben, und das ist äußerst wichtig, weil Washingtons Rolle als „Garant der globalen Sicherheit“ nun der Vergangenheit angehört. Russland wird die Grenzen der Ukraine festlegen und so wird es sein.Also, ja, wir können damit rechnen, das Zähneknirschen im NATO-Hauptquartier und der UNO und im Weißen Haus zu hören, aber mit wenig Wirkung. Die Angelegenheit ist erledigt, es sei denn natürlich, die USA und die NATO wollen Bodentruppen für den Konflikt einsetzen, was unserer Meinung nach eine Spaltung der NATO herbeiführen wird, die unweigerlich zu ihrem Zusammenbruch führen wird. Wie auch immer, das Schicksal der Ukraine wird in Moskau und nicht in Washington entschieden, und diese Realität wird einen erheblichen Einfluss auf die Verteilung der globalen Macht haben. Es gibt einen neuen Sheriff in der Stadt und er ist definitiv kein Amerikaner.


Fazit: Wir halten Helmers Analyse für das wahrscheinlichste Zukunftsszenario.

Putin hat bis zu diesem Punkt bewundernswerte Zurückhaltung gezeigt, aber nach 9 Monaten sinnloser Plackerei und Gemetzel ist es an der Zeit, diese Sache abzuschließen. Moskau hatte schon immer einen Vorschlaghammer in seinem Werkzeugkasten und wird ihn jetzt einsetzen . Wir hätten es vorgezogen, wenn es nicht so enden würde, aber es hat keinen Sinn, über vergossene Milch zu weinen. Washington wollte diesen Krieg so lange wie möglich in die Länge ziehen, um Russland auszubluten, damit es seine Macht nicht über seine Grenzen hinaus projizieren oder die US-Pläne, sich „nach Asien zu bewegen“, behindern konnte. Aber Putin vereitelte diesen Plan. Er ist nicht in Washingtons Falle getappt und er wird kein Blut und kein Geld in ein schwarzes Loch pumpen. Er wird diese Angelegenheit ein für alle Mal regeln und damit fertig sein . Dies ist aus einem Interview mit Colonel Douglas MacGregor:


„Dieser gesamte Konflikt hätte vermieden werden können, wenn wir einfach die legitimen Interessen Moskaus an dem, was in der Ukraine passiert, anerkannt hätten …. Was in der Ukraine passiert, ist den Russen wichtig…. Wir hätten also frühzeitig eingreifen und sagen können: „Lasst uns einen Waffenstillstand haben und reden“, wir hätten den Russen in den letzten 10 oder 20 Jahren zuhören können, was ihre Besorgnis über die Geschehnisse in der Ukraine betrifft. Und ich denke, jetzt sehen wir mit dem Zelensky-Regime eine sehr gefährliche Regierung, die Russland gegenüber unheilbar feindselig ist (und) die ausschließlich auf Anweisungen aus Washington reagiert – die entschieden hat, dass sie Russland auf jede erdenkliche Weise tödlich schwächen will …Die Lösung dafür ist – sich nicht diesem vergeblichen und sinnlos zerstörerischen Krieg mit Moskau anzuschließen – (sondern) den Menschen in der Regierung in Kiew etwas Verstand einzuflößen.“ Colonel Douglas MacGregor, „Die Ukraine steht kurz davor, vernichtet zu werden“, You Tube; 2:10 Minuten-Marke

IMO, die Entscheidung ist bereits gefallen. Die Ukraine wird in zwei Teile gespalten, ob es Washington gefällt oder nicht. So ist es nun einmal..


Dieser Artikel wurde ursprünglich auf The Unz Review veröffentlicht .


Michael Whitney  ist ein renommierter geopolitischer und sozialer Analyst mit Sitz im US-Bundesstaat Washington. Er begann seine Karriere als unabhängiger Bürgerjournalist im Jahr 2002 mit einem Engagement für ehrlichen Journalismus, soziale Gerechtigkeit und Weltfrieden.

Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Center for Research on Globalization (CRG). 

Das ausgewählte Bild stammt von TUR


Die ursprüngliche Quelle dieses Artikels ist Global Research

Urheberrecht © Mike Whitney , Global Research, 2022


Info: https://www.globalresearch.ca/putin-remedy-fragmented-toothless-ukraine-separated-100-kilometer-wide-no-man-land/5800921


unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

04.12.2022

Multinationale Agrarkonzerne und die Great Food Transformation

globalresearch.ca, vom 02. Dezember 2022, Von Dr. Birsen Filip


Thema: Biotechnologie und GVO


Im Juli 2022 kündigte die kanadische Regierung ihre Absicht an, „die Emissionen aus der Anwendung von Düngemitteln bis 2030 um 30 Prozent gegenüber dem Niveau von 2020 “ zu reduzieren . Im Vormonat hatte die niederländische Regierung öffentlich erklärt, sie werde Maßnahmen umsetzen, die darauf abzielen, die „ Stickstoffbelastung einiger Gebiete bis 2030 um bis zu 70 Prozent “ zu senken, um die Vorgaben des europäischen „ Green Deal “ zu erfüllen, der darauf abzielt „ die Klima-, Energie-, Verkehrs- und Steuerpolitik der EU fit zu machen, um die Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 zu reduzieren .“


Als Reaktion darauf sagten niederländische „ Bauernhof- und Landwirtschaftsorganisationen, die Ziele seien nicht realistisch und riefen zu einem Protest auf“, was dazu führte, dass sich Landwirte und ihre Unterstützer im ganzen Land erhoben. Der künstlich gestaltete Green Deal ist eines der Ziele der Agenda 2030 , die 2015 von 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen (UN) verabschiedet wurde.


Neben den Vereinten Nationen wird die Agenda 2030 auch von einer Reihe anderer internationaler Organisationen und Institutionen unterstützt, darunter die Europäische Union, das Weltwirtschaftsforum (WEF) und die Bretton-Woods-Institutionen, zu denen die Weltbank und die Internationale Währung gehören Fund (IWF) und der Welthandelsorganisation (WTO). Es wird auch von einigen der mächtigsten multinationalen Agrarkonzerne der Welt wie BASF, Bayer, Dow Chemical, DuPont und Syngenta unterstützt, die zusammen mehr als 75 Prozent des globalen Marktes für landwirtschaftliche Betriebsmittel kontrollieren. In den letzten Jahren haben „die Übernahme von Syngenta durch ChemChina und die Fusion von Bayer und Monsanto“ „die globale Saatgutindustrie umgestaltet“. Darüber hinaus wurde „ DuPont de Nemours durch die Fusion von Dow Chemical und DuPont im Jahr 2017 gegründet.“ Allerdings „wurde das Unternehmen innerhalb von 18 Monaten nach der Fusion in drei börsennotierte Unternehmen mit folgenden Schwerpunkten aufgeteilt: Landwirtschaft mit Corteva, Materialwissenschaft mit Dow und Spezialprodukte mit DuPont .“


In den letzten Jahren haben alle diese Unternehmen Erklärungen abgegeben, die darauf hindeuten, dass der Agrarsektor in den kommenden drei Jahrzehnten große Veränderungen erfahren wird, und dass sie sich verpflichtet haben, ihren Teil dazu beizutragen, den Übergang zu einer sogenannten grünen Politik zu beschleunigen. Dementsprechend plädieren sie dafür, dass die Regierungen die öffentlichen Finanzen weg von der konventionellen Landwirtschaft und hin zu einer regenerativen Landwirtschaft und alternativen Proteinquellen, einschließlich Insektenzucht und Fleisch aus dem Labor, umlenken.


Darüber hinaus sind BASF, Syngenta und Bayer Mitglieder der „ European Carbon+ Farming Coalition “, die eine Reihe von „Organisationen und Interessenvertretern entlang der Lebensmittelwertschöpfungskette“ umfasst, wie etwa „ COPA-COGECA, Crop In, European Conservation Agriculture Federation (ECAF ), European Institute of Innovation & Technology (EIT) Food, HERO, Planet Labs“, „Swiss Re, University of Glasgow, Yara, Zurich and the World Economic Forum “. Ursprünglich entstand diese „Koalition als Partnerschaft zwischen der Plattform 100 Millionen Landwirte des Weltwirtschaftsforums und ihrer CEO Action Group for the European Green Deal “.

Sein Ziel ist die „Dekarbonisierung des europäischen Ernährungssystems“, indem die Transformation der Landwirtschaft und der landwirtschaftlichen Praktiken beschleunigt wird. Genauer gesagt strebt die European Carbon+ Farming Coalition an, bis 2025 eine Bruttoausdehnung der Anbaufläche für die Lebensmittelproduktion auf Null zu erreichen, bis 2030 die für die Viehzucht genutzten Flächen um etwa ein Drittel zu reduzieren und eine daraus resultierende Freigabe von fast 500 Millionen Hektar Land für die Wiederherstellung natürlicher Ökosysteme bis zum selben Datum .“ Laut WEF werden solche Änderungen nicht nur der Umwelt zugute kommen, sondern auch wirtschaftlich vorteilhaft sein, da „eine Änderung der Art und Weise, wie wir Lebensmittel produzieren und konsumieren , neue Geschäftsmöglichkeiten in Höhe von 4,5 Billionen US-Dollar pro Jahr schaffen könnte “.


Ernährung, Landwirtschaft und Menschlichkeit neu erfinden: Die Dystopie des Ökomodernismus

Um die Transformation der Landwirtschaft in den kommenden Jahrzehnten zu beschleunigen, fordert BASF, „ Landwirte dazu zu verpflichten, ihre Umweltauswirkungen zu verringern “, indem sie „die CO2-Emissionen pro Tonne Ernte um 30 Prozent “ reduzieren und „ digitale Technologien auf mehr als 400 Millionen Hektar anwenden“ . von Ackerland .“ BASF unterstützt auch den breiten Einsatz einer Reihe neuer Produkte, darunter „Produkte zum Stickstoffmanagement“, Herbizide, „neue Pflanzensorten“, „biologische Impfstoffe und innovative digitale Lösungen“, um die Landwirte „ kohlenstoffeffizienter und widerstandsfähiger gegen flüchtige Stoffe “ zu machen Wetterbedingungen .” Es wird geschätzt, dass solche Änderungen „ wesentlich zum Ziel der BASF-Gruppe von 22 Milliarden Euro Umsatz bis 2025 beitragen würden“ .


Unterdessen konzentriert sich Syngenta , das zweitgrößte agrochemische Unternehmen der Welt (nach Bayer), das einem chinesischen Staatsunternehmen namens ChemChina gehört, auf „kohlenstoffneutrale Landwirtschaft“ unter dem Vorwand, „den Klimawandel zu bekämpfen“. Genauer gesagt unterstützt es die „ Bereitstellung von Technologien, Dienstleistungen und Schulungen für Landwirte “ sowie die Weiterentwicklung von neuem gentechnisch verändertem Saatgut, das den Ausstoß von CO2 senken würde. Laut Syngenta werden „geneditierte Nutzpflanzen“ „ bis 2050 “ weltweit weit verbreitet sein und angebaut werden.


Dieses Unternehmen fördert auch „ eine Transformation hin zu einer regenerativen Landwirtschaft “, von der behauptet wird, dass sie „ zu mehr Nahrung führt, die auf weniger Land angebaut wird; reduzierte landwirtschaftliche Treibhausgasemissionen; erhöhte Biodiversität; und verbesserte Bodengesundheit “, obwohl es kaum wissenschaftliche Beweise oder Langzeitdaten gibt, um diese Behauptungen zu untermauern. Nichtsdestotrotz argumentiert Syngenta, dass die Welt „ Regierungen und Medien … braucht, um die weit verbreitete Übernahme “ regenerativer Praktiken durch so viele Landwirte wie möglich zu fördern.


Bayer setzt sich auch für eine regenerative Landwirtschaft ein, um „Landwirten dabei zu helfen , die Menge an Treibhausgasen, die ihre Betriebe emittieren, erheblich zu reduzieren und gleichzeitig Kohlenstoff aus der Atmosphäre zu entfernen “. Es wird weiter behauptet, dass es notwendig sei, „ zu einem regenerativen Ansatz überzugehen und Nutzpflanzen widerstandsfähiger gegen Klimaauswirkungen zu machen “. Darüber hinaus unterstützt Bayer, ähnlich wie Syngenta, die Entwicklung „ neuer Genbearbeitungstechnologien “, um „den ökologischen Fußabdruck der globalen Landwirtschaft“ zu verringern. Mit Blick auf die Zukunft sieht Bayer voraus, dass „ Biotechnologie in der Landwirtschaft ein entscheidender Faktor sein wird“, der genutzt wird, um „ die 10 Milliarden Menschen zu ernähren, die bis 2050 auf dem Planeten leben werden, und gleichzeitig die Auswirkungen des Klimawandels zu bekämpfen.“


Ähnlich wie Bayer, BASF und Syngenta möchte auch DuPont dazu beitragen, „ die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern und Leben und Umwelt zu schützen “. Seine Reaktion konzentriert sich in erster Linie auf die Erleichterung der Produktion und des Verzehrs alternativer Proteinquellen, die „ die Textur und das Aussehen von Fleischfasern reproduzieren und zur Erweiterung oder zum Ersatz von Fleisch oder Fisch verwendet werden können “. DuPont wies darauf hin, dass „die Amerikaner im Jahr 2016 etwa 26 kg Rindfleisch pro Kopf verzehrten, wovon mindestens die Hälfte in Form eines Hamburgers gegessen wurde. Das Ersetzen von nur der Hälfte von Amerikas Burgerfleisch durch SUPRO® MAX-Protein“, das einen bis zu achtzig Mal geringeren CO2-Fußabdruck hat als Milch- und Fleischproteine , ist gleichbedeutend mit dem Entfernen von „mehr als 15 Millionen Mittelklassewagen von der Straße .“


Einige der mächtigsten multinationalen Agrarkonzerne der Welt haben immens von internationalen Handelsabkommen profitiert, die ihre Interessen über die der kleinen und mittleren Betriebe sowie der Massen stellen, wenn es um die Umgestaltung des Lebensmittel- und Landwirtschaftssektors geht. Insbesondere das 1994 verabschiedete Abkommen der Welthandelsorganisation über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) spielte eine große Rolle bei der Zerstörung der Lebensgrundlagen vieler Landwirte und erwies sich gleichzeitig als lukrativ für Agrarchemie-Giganten wie BASF, Bayer, Dow Chemical, DuPont und Syngenta. Dies liegt hauptsächlich daran, dass TRIPS die Patentierung von Saatgut und Pflanzen ermöglicht hat.

Infolgedessen wurden einheimische Kräuter und Pflanzen in einer Reihe verschiedener Länder, von denen viele zuvor seit Generationen angebaut wurden, zum alleinigen Eigentum mächtiger multinationaler Agrarkonzerne. Nachdem Pflanzen und Kräuter patentiert wurden, ist es lokalen Bauern verboten, sich an den traditionellen und langjährigen Praktiken des Aufbewahrens und Wiederanpflanzens ihres eigenen Saatguts zu beteiligen. Stattdessen müssen sie die patenthaltenden Unternehmen für dasselbe Saatgut bezahlen, das sie zuvor produziert, gerettet, neu gepflanzt und kostenlos ausgetauscht haben.


Mächtige multinationale Agrarkonzerne haben auch ihre eigenen Interessen und Ziele gefördert, indem sie einen beispiellosen Einfluss auf Forschung und Entwicklung in der Lebensmittelindustrie ausgeübt haben, während sie alle Erkenntnisse ignoriert haben, die zeigen, dass ihre Geschäftspraktiken der natürlichen Umwelt schaden. Insbesondere haben einige dieser großen Agrarchemieunternehmen ihre Bemühungen und Ressourcen auf die Untersuchung „gentechnisch veränderter Organismen (GVO), die Entwicklung stärkerer Pestizide und synthetischer Düngemittel und die Verteidigung der Leistung dieser Produkte“ konzentriert.


Sie haben auch die Ausweitung von GVO-Pflanzen mit dem Wissen unterstützt, dass ihr Anbau „die Anwendung größerer Mengen“ von „synthetischen Düngemitteln und Pestiziden“ beinhaltet, was dazu geführt hat, dass große Mengen giftiger Chemikalien Böden und Wasserquellen verseuchen. Im Grunde genommen waren diese Agrarkonzerne maßgeblich dafür verantwortlich, viele der gleichen Umweltprobleme zu schaffen, von denen sie jetzt behaupten, dass sie dringend durch die Agenda 2030 gelöst werden müssen.


Es besteht die reale Möglichkeit, dass die radikalen und groß angelegten Veränderungen der gesamten Lebensmittelindustrie und der menschlichen Essgewohnheiten, die von den Sozialingenieuren der Agenda 2030 vorangetrieben werden, die Massen zu einem dramatischen Rückgang des Lebensstandards führen. Die Lehren aus den totalitären Regimen des zwanzigsten Jahrhunderts haben gezeigt, dass es sehr schwierig ist, große Fehler zu beheben, die der großangelegten zentralen Planung von Sozialingenieuren zugeschrieben werden, weil dies oft „große soziale Veränderungen“ oder die „Umgestaltung der gesamten Gesellschaft, “, was zu weit verbreiteten unvorhergesehenen Folgen oder Ereignissen, großen destruktiven Ergebnissen und „Unannehmlichkeiten für viele Menschen“ führen kann, wie es Karl R. Popper ausdrückt.


Die intensiven und koordinierten internationalen Bemühungen, eine künstlich gestaltete Transformation der globalen Lebensmittelindustrie auf der Grundlage der Agenda 2030 zu erleichtern, sind ein Zeugnis dafür, dass wir Zeugen der Tatsache sind, dass das zivilisatorische Pendel in vielen fortgeschrittenen Gesellschaften zurückschwingt, wo das Streben nach einem komfortablen Das Leben könnte schnell durch einen Kampf um das Nötigste auf einer niedrigeren Existenzebene ersetzt werden, der in fortgeschrittenen Gesellschaften nicht vorkommen soll.


Den Massen muss klar gemacht werden, dass die Sozialingenieure der Agenda 2030 „falsche Propheten“ sind, die sie bis zu dem Punkt irreführen, an dem sie „vom Hungertod heimgesucht“ werden. Dies könne durchaus zur Entstehung „unüberbrückbarer Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Gesellschaft“ führen, wobei Hungerunruhen, Konflikte und Gewalt unweigerlich „zu einer vollständigen Auflösung aller gesellschaftlichen Bindungen führen könnten“, wie es Ludwig von Mises formulierte .

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Dieser Artikel wurde ursprünglich auf Mises Wire veröffentlicht .


Birsen Filip hat einen Doktortitel in Philosophie und einen Master-Abschluss in Wirtschaftswissenschaften und Philosophie. Sie hat zahlreiche Artikel und Kapitel zu einer Reihe von Themen veröffentlicht, darunter politische Philosophie, Geopolitik und die Geschichte des ökonomischen Denkens, mit Schwerpunkt auf der Österreichischen Schule der Nationalökonomie und der Deutschen Historischen Schule der Nationalökonomie.


Sie ist Autorin des in Kürze erscheinenden Buches  The Early History of Economics in the United States: The Influence of the German Historical School of Economics on Teaching and Theory  (Routledge, 2022). Sie ist auch Autorin von The Rise of Neo-liberalism and the Decline of Freedom (Palgrave Macmillan, 2020).


Sie schreibt regelmäßig Beiträge für Global Research.

Das ausgewählte Bild stammt von Adobe Stock

Die ursprüngliche Quelle dieses Artikels ist Global Research

Copyright © Dr. Birsen Filip , Global Research, 2022


Info: https://www.globalresearch.ca/multinational-agrichemical-corporations-great-food-transformation/5801078

04.12.2022

Carlo Schmid SPD - Grundsatzrede vor dem Parlamentarischen Rat vom 08.09.1948

Screenshot_2022_12_04_at_09_14_22_Carlo_Schmid_SPD_Grundsatzrede_vor_dem_Parlamentarischen_Rat_vom_08.09.1948


youtube.com, 04.12.2022, 13.907 Aufrufe 17.05.2020

Carlo Schmid (* 3. Dezember 1896 in Perpignan, Frankreich, als Karl Johann Martin Heinrich Schmid; † 11. Dezember 1979 in Bonn) war ein deutscher Politiker (SPD) und renommierter Staatsrechtler.[1]

Schmid gehört zu den Vätern des Grundgesetzes und des Godesberger Programms der SPD; er setzte sich stark für die europäische Integration und die deutsch-französische Aussöhnung ein. Er war Kandidat zum Bundespräsidentenamt 1959 und von 1966 bis 1969 Bundesratsminister. weiter Quellen: https://de.wikipedia.org/wiki/Carlo_S...


Info: Video (Standbild) https://www.youtube.com/watch?v=vdQ4GA_UGn4 Dauer 1:57:21 h



Weiteres:



Carlo Schmid ( SPD): Grundsatzrede Vor Dem Parlamentarischen Rat ( 08.09.1948)
by
Dr. jur. Carlo Schmid

Publication date
1948-09-08
Topics
Deutschland, WK2, Diktatur, Freiheit, Alliierte, Grundgesetz, Verfassung, Unabhängigkeit, Unterwerfung
Language
German

This is the speech of Dr. jur. Carlo Schmid https://de.wikipedia.org/wiki/Carlo_Schmid

https://de.wikipedia.org/wiki/Parlamentarischer_Rat

before the Council of Parliament in Germany, 08 September 1948.


The Council prepared the Grundgesetz (Constitution) of the Federal Republic of Germany.


In his speech, which lasted around 2 hours, Schmid rallied for a Constitution which would be independent from the command of any foreign powers.


Addeddate
2018-02-17 19:04:05
Identifier
CarloSchmidSPDGrundsatzredeVorDemParlamentarischenRat08.09.1948
Scanner
Internet Archive HTML5 Uploader 1.6.3

Video  https://ia601706.us.archive.org/23/items/CarloSchmidSPDGrundsatzredeVorDemParlamentarischenRat08.09.1948/Carlo%20Schmid%20%28SPD%29%3A%20Grundsatzrede%20vor%20dem%20Parlamentarischen%20Rat%20%2808.09.1948%29.mp4   Dauer 1:57:22 h


Info: https://archive.org/details/CarloSchmidSPDGrundsatzredeVorDemParlamentarischenRat08.09.1948



Weiteres:



Carlo Schmid (* 3. Dezember 1896 in Perpignan, Frankreich, als Karl Johann Martin Heinrich Schmid; † 11. Dezember 1979 in Bonn) war ein deutscher Politiker (SPD) und renommierter StaatsrechtlerSchmid gehört zu den Vätern des Grundgesetzes und des Godesberger Programms der SPD; er setzte sich stark für die europäische Integration und die deutsch-französische Aussöhnung ein. Er war Kandidat zum Bundespräsidentenamt 1959 und im Kabinett Kiesinger (1966–69) Bundesratsminister.

Carlo Schmid (1963) Foto


Leben und Wirken


Die frühen Jahre

Schmids aus Württemberg stammender Vater Joseph Schmid (1860–1925) war Privatgelehrter und Dozent an der Universität Toulouse, die Mutter Anna Erra (1869–1968) war Französin. Seine Kindheit verbrachte Schmid in Weil der Stadt, wohin die Familie ein Jahr nach seiner Geburt übergesiedelt war. Dort war sein Vater fünf Jahre lang Schulleiter und Lehrer der Realschule. 1908 zog die Familie nach Stuttgart um, wo Schmid das humanistische Karls-Gymnasium besuchte und im Frühjahr 1914 das Abitur ablegte. In seinen letzten Schuljahren wurde Schmid im Wandervogel aktiv, wo er Arnold Bergstraesser kennenlernte.[1]

Schmid nahm von 1914 bis 1918 als Soldat am Ersten Weltkrieg teil und kämpfte unter anderem bei Verdun; sein letzter Dienstgrad war Leutnant der Reserve.

Ein 1919 begonnenes Studium der Rechts- und Staatswissenschaften an der Eberhard Karls Universität Tübingen schloss er 1921 mit dem ersten juristischen Staatsexamen ab; das zweite Staatsexamen folgte 1924. 1923 wurde er mit der Arbeit Die Rechtsnatur der Betriebsvertretungen nach dem Betriebsrätegesetz zum Doktor juris promoviert.

Er ließ sich zunächst als Rechtsanwalt in Reutlingen nieder, trat aber schon 1925 als Gerichtsassessor in den Justizdienst des Landes Württemberg ein. Von 1927 bis 1931 war er Richter am Amtsgericht und später Landgerichtsrat in Tübingen.

Von 1927 bis 1928 war er für eine Tätigkeit als Referent am Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches Öffentliches Recht und Völkerrecht in Berlin beurlaubt. 1929 habilitierte er sich an der Universität Tübingen mit einer Arbeit über die Rechtsprechung des Ständigen Internationalen Gerichtshofes und war dort ab 1930 als Privatdozent tätig.


Während des Nationalsozialismus

1931–1932 übernahm Schmid die Leitung eines Lagers des Freiwilligen Arbeitsdienstes in Münsingen. Arbeitslose Jugendliche arbeiteten zusammen mit Studenten in einem Steinbruch mit dem Ziel, die Jugendlichen durch ihren persönlichen Einsatz vor der radikalen Massenbewegung des Nationalsozialismus zu bewahren. 1933 erhielt Schmids Personalakte aufgrund seiner Tätigkeiten einen Sperrvermerk. Um einer Entlassung zu entgehen, trat er dem Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen bei. Öffentlich bezeichnete er dennoch den Nationalsozialismus als „Philosophie von Viehzüchtern, angewandt am verkehrten Objekt“. Nur durch Unterstützung eines NS-Studentenführers konnten schwerwiegende Konsequenzen verhindert werden.

Schmid wurde 1940 zur Wehrmacht einberufen und war bis 1944 als Kriegsverwaltungsrat[2] (im Rang eines Majors) der Oberfeldkommandantur in Lille/Frankreich zugeteilt. In dieser Funktion hatte er Kontakt zu Helmuth James Graf von Moltke und dem Kreisauer Kreis. In einigen Fällen gelang ihm die Rettung französischer Bürger vor Vergeltungsmaßnahmen der Wehrmacht.[3]


Nach dem Zweiten Weltkrieg

Nach Kriegsende änderte Schmid seinen Vornamen in Carlo, um eine Verwechselung mit dem durch seine Nähe zum Nationalsozialismus belasteten Staatsrechtler Carl Schmitt zu vermeiden.[4] Er war maßgeblich an der Wiedereröffnung der Universität Tübingen sowie an der Berufung von Romano Guardini, Wilhelm Weischedel, Eduard Spranger, Alfred Kühn und Adolf Butenandt an die Universität beteiligt. 1946 bis 1953 war er dort Professor für Öffentliches Recht. 1953 folgte er dem Ruf der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main auf den Lehrstuhl für Politische Wissenschaft. Daneben übersetzte er Werke von Machiavelli, Baudelaire und Malraux. Seine Übersetzung von Les Fleurs du Mal aus dem Jahr 1947 gilt bis heute als bahnbrechend.[5]

Für Schmid stand Ende 1946 fest, dass das „Schicksal der europäischen Staaten davon abhing“, ob sie sich zu einer „eigenständigen Kraft“ entwickeln könnten.[6] Er trat deshalb beharrlich für die wirtschaftliche, politische und militärische Integration Europas ein. Führende Sozialdemokraten wie Kurt Schumacher hielten Schmids bundesstaatliche Europaidee für verfrüht. Ein Grund für diese Zurückhaltung war das starke Engagement des konservativen Briten Duncan Sandys in der Europäischen Bewegung. Dessen ungeachtet suchte Schmid den internationalen Schulterschluss und arbeitete lange in der Union Europäischer Föderalisten mit. 1949 wurde Schmid erster Vize-Präsident der deutschen Sektion der Europa-Union Deutschland. Außerdem war er erster Vorsitzender der „Deutschen Parlamentarischen Sektion der Europäischen Bewegung“. In Frankreich trat er in eine Freimaurerloge ein; er hielt zweimal in der Hamburger Loge Die Brückenbauer eine Rede.[7]

1949 gründete Schmid mit Theodor Eschenburg, dem ehemaligen Hauptabteilungsleiter der Reichsjugendführung Heinrich Hartmann und dem französischen Besatzungsoffizier Henri Humblot den Internationalen Bund (IB), der nach dem Vorbild des Freiwilligen Arbeitskreises Jugendlichen eine Chance zur Weiterbildung ermöglichen soll.

Bereits im August 1948 wirkte Schmid in der Herrenchiemsee-Verfassungskonferenz, die das spätere Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in die Wege leitete, sehr maßgeblich mit. Er widersetzte sich Bestrebungen, die das Asylrecht nur Deutschen gewähren wollten, die wegen ihres „Eintretens für Freiheit, Demokratie, soziale Gerechtigkeit oder Weltfrieden“ im Ausland verfolgt werden. Der Redaktionsausschuss sah ein allgemeines Asylrecht für politische Flüchtlinge als „zu weitgehend“ an, weil es „möglicherweise die Verpflichtung zur Aufnahme, Versorgung usw. in sich schließt“ und daher nicht finanzierbar sei.[8][9][10] Schmid setzte sich gemeinsam mit Hermann von Mangoldt (CDU) gegen diese Bedenken durch und erreichte, dass mit Artikel 16 des Grundgesetzes die Bundesrepublik Deutschland allen auf der Welt politisch Verfolgten ein Recht auf Asyl garantierte.[8] Diese Formulierung bestand so bis zum Asylkompromiss von 1993, mit dem dieses Recht stark eingeschränkt wurde.


Partei

Carlo Schmid (links) im Gespräch mit Egon Bahr 1976

Nach dem Krieg wurde Schmid SPD-Mitglied und war von 1946 bis 1952 SPD-Landesvorsitzender in Württemberg-Hohenzollern. Von 1947 bis 1970 war er Mitglied im SPD-Parteivorstand. Von 1958 bis 1970 gehörte er außerdem dem Präsidium der SPD an und war maßgeblich an der Ausarbeitung des Godesberger Programms beteiligt. Innerhalb der SPD gehörte er zu den Verfechtern des Mehrheitswahlrechts. Von 1949 bis 1972 gewann er bei den Bundestagswahlen in seinem Mannheimer Wahlkreis immer das Direktmandat für die SPD.

Schmid gehörte mit Fritz Erler, Herbert Wehner und Willy Brandt zum sogenannten Frühstückskartell der SPD, das sich bis 1958 mit seinen Vorstellungen einer Parteireform durchsetzte.

Da Bundespräsident Theodor Heuss nach zwei Amtszeiten nicht mehr kandidieren durfte, nominierte die SPD Schmid zu ihrem Kandidaten bei der Wahl des deutschen Bundespräsidenten 1959, bei der er dem bisherigen Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Heinrich Lübke (CDU) im zweiten Wahlgang unterlag.

1961 und 1965 gehörte Schmid zur Regierungsmannschaft von Willy Brandt für den Fall eines Regierungswechsels. Er war jeweils als Außenminister vorgesehen.


Parlamentarische Tätigkeit

1947 wurde Schmid in den Landtag für Württemberg-Hohenzollern gewählt, dem er bis zur Eingliederung des Landes nach Baden-Württemberg am 17. Mai 1952 angehörte.

1948/49 war er Mitglied des Parlamentarischen Rates und hier Vorsitzender der SPD-Fraktion und des verfassungspolitisch ausschlaggebenden Hauptausschusses sowie des Ausschusses für das Besatzungsstatut. In einer Grundsatzrede anlässlich der 2. Plenarsitzung am 8. September 1948 legte Schmid seine Ansichten der Ziele und Grenzen des zu schaffenden Grundgesetzes dar. Aufgrund der Erfahrung bei der Beseitigung der Weimarer Verfassung durch die Nationalsozialisten, plädierte er klar für eine repräsentative, im Gegensatz zur plebiszitären Demokratie:

„Demokratie ist nur dort mehr als ein Produkt einer bloßen Zweckmäßigkeitsentscheidung, wo man den Mut hat, an sie als etwas für die Würde des Menschen Notwendiges zu glauben. Wenn man aber diesen Mut hat, dann muß man auch den Mut zur Intoleranz denen gegenüber aufbringen, die die Demokratie gebrauchen wollen, um sie umzubringen.“

Auf seine Initiative wurden das konstruktive Misstrauensvotum, das Recht auf Kriegsdienstverweigerung und das Recht auf Asyl ins Grundgesetz übernommen.[3][11] Von 1949 bis 1972 war er Mitglied des Deutschen Bundestages. Von 1949 bis 1966 sowie von 1969 bis 1972 war Schmid Vizepräsident des Deutschen Bundestages und von 1949 bis 1953 sowie von 1957 bis 1965 gleichzeitig stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. 1949 bis 1953 war Schmid Vorsitzender des Bundestagsausschusses für das Besatzungsstatut und Auswärtige Angelegenheiten, 1953 bis 1956 und 1957 bis 1966 stellvertretender Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses.

Carlo Schmid (links oben) im September 1955 mit Adenauer in Moskau


1955 trug er in dieser Funktion als Mitglied der Verhandlungskommission unter Konrad Adenauer sehr zum Gelingen der deutsch-sowjetischen Verhandlungen in Moskau bei, aus denen die Aufnahme diplomatischer Beziehungen der Bundesrepublik mit der Sowjetunion und die Rückführung der deutschen Kriegsgefangenen resultierten.[12] Schmid vertrat während seiner gesamten Zugehörigkeit zum Bundestag als direkt gewählter Abgeordneter den Wahlkreis Mannheim I. Vom 12. Oktober 1959 bis 1961 war er Vorsitzender der Unterkommission „Haushalt“ des Bundestagspräsidiums. In seiner letzten Wahlperiode war er nach William Borm (FDP) der zweitälteste Abgeordnete des Bundestages.

1959 gehörte er mit Josef Arndgen (CDU), Walther Kühn (FDP) und Ludwig Schneider (DP) nach dem Unfalltod des Abgeordneten Josef Gockeln zu den Initiatoren einer Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenversorgung für Abgeordnete.

Schmid, der sich besonders für die deutsch-französische Aussöhnung einsetzte, gehörte von 1950 bis 1960 sowie von 1969 bis 1973 der Parlamentarischen Versammlung des Europarates in Straßburg an. Von 1963 bis 1966 war er Präsident der Versammlung der Westeuropäischen Union in Paris, nachdem er zuvor bereits seit 1956 deren stellvertretender Präsident gewesen war.


Öffentliche Ämter

Zur Zeit der französischen Besatzung trat Schmid im Oktober 1945 an die Spitze der provisorischen Regierung (Präsident des Staatssekretariats) des „Staatssekretariats für das französisch besetzte Gebiet Württembergs und Hohenzollerns“. Gleichzeitig übernahm er das Amt des Landesdirektors für das Unterrichtswesen und die kulturellen Angelegenheiten in der von der französischen Militärregierung eingesetzten Landesverwaltung.


Carlo Schmid 1972 (Foto)


Ab 9. Dezember 1946 war Schmid Justizminister von Württemberg-Hohenzollern und bis zum 8. Juli 1947 übte er gleichzeitig die Funktion des Staatspräsidenten aus. Nach den Landtagswahlen 1947 war Carlo Schmid bis 12. August 1948 stellvertretender Staatspräsident und behielt bis zum 1. Mai 1950 das Amt des Justizministers in der von Lorenz Bock (CDU) bzw. dessen Nachfolger Gebhard Müller geführten Staatsregierung dieses Landes, das er auch beim Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vertrat.

Nach der Wahl in den Bundestag wurde er bereits in der ersten Legislaturperiode zum Bundestagsvizepräsidenten gewählt, ein Amt, das er von 1949 bis 1966 und erneut von 1969 bis 1972 bekleidete.

Am 1. Dezember 1966 wurde er als Bundesminister für Angelegenheiten des Bundesrates und der Länder in die von Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger geführte Bundesregierung der Großen Koalition berufen und war in dieser Eigenschaft Vertreter des Kabinetts im Bundesrat. Nach der Bundestagswahl 1969 schied Schmid am 21. Oktober 1969 aus der Bundesregierung aus.

Von 1969 bis zu seinem Tode war er Koordinator für die deutsch-französischen Beziehungen.


Familie

Schmid heiratete 1921 Lydia Hermes (1897–1984). Mit ihr hatte er vier Kinder[13]: Hans (1925–2019), Martin (1927–2019), Raimund (1935–1956) und Beate (* 1936). Aus der Beziehung zu Irmgard Michael ging 1942 die Tochter Juliane hervor[14]. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte Schmid in Orscheid, einem Ortsteil der Stadt Bad Honnef bei Bonn.


Ehrungen

1955 wurde Schmid das Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen. 1958 wurde er wegen seiner geistreichen und schlagfertigen Reden als Bundestagsvizepräsident mit dem Orden wider den tierischen Ernst geehrt. 1976 erhielt er die Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg und den von der Baden-Badener Bäder- und Kurverwaltung gestifteten Deutsch-Französischen Übersetzerpreis für seine Übersetzung von André Malraux’ Werk Eichen, die man fällt. Außerdem war er Träger des Hansischen Goethe-Preises der Alfred-Toepfer-Stiftung. Schmid erhielt 1967 den Goethepreis der Stadt Frankfurt am Main.[15] Seit 1970 war er Ehrenbürger von Mannheim und seit 1977 von Tübingen.

Vier Tage nach seinem Tod ehrte der Deutsche Bundestag seinen ehemaligen Vizepräsidenten mit einer Trauerfeier im Plenarsaal. Am 15. Dezember 1979 wurde er mit einem Staatsbegräbnis auf dem Tübinger Stadtfriedhof geehrt.

Sein Nachlass wird im Archiv der sozialen Demokratie verwaltet.

1987 wurde die Carlo-Schmid-Stiftung[16] gegründet, die Personen, Gruppen und Organisationen mit dem Carlo-Schmid-Preis auszeichnet, die sich für Erhaltung und Weiterentwicklung des demokratischen und sozialen Rechtsstaats, eine liberale politische Kultur und die europäische Verständigung einsetzen. Zu seinem 100. Geburtstag gab das Bundesministerium für Post und Telekommunikation am 3. Dezember 1996 eine Sonderbriefmarke im Wert von 100 Pfennig heraus.


Veröffentlichungen (Auswahl)

Schmid war als Wissenschaftler, staatsphilosophischer und politischer Publizist, Essayist, Memorandenautor, aber auch als Übersetzer, Bühnen- und Kabarettautor und Lyriker tätig.

  • Deutschland und der Europäische Rat (Schriftenreihe des Deutschen Rates der Europäischen Bewegung, Nr. 1), Köln 1949.
  • Regierung und Parlament. In: Hermann Wandersleb: Recht, Staat, Wirtschaft. Band 3, Düsseldorf 1951.
  • Vier Jahre Erfahrungen mit dem Grundgesetz. In: Die Öffentliche Verwaltung. 1954, Heft 1, Seiten 1–3.
  • Die Opposition als Staatseinrichtung. In: Der Wähler. 1955, Heft 11, S. 498–506.
  • Macchiavelli, Fischer 1956
  • Der Abgeordnete zwischen Partei und Parlament. In: Die Neue Gesellschaft. 1959, Heft 6, S. 439–444.
  • Der Deutsche Bundestag in der Verfassungswirklichkeit. In: Friedrich Schäfer: Finanzwissenschaft und Finanzpolitik, Festschrift für Erwin Schoettle, Tübingen 1964, S. 269–284.
  • (mit Horst Ehmke und Hans Scharoun): Festschrift für Adolf Arndt zum 65. Geburtstag. Frankfurt am Main 1969.
  • Politik als geistige Aufgabe; Gesammelte Werke in Einzelausgaben, Scherz Verlag, Bern/München/Wien 1973.
  • Der Deutsche Bundestag. Ein Essay. In: Der Deutsche Bundestag. Portrait eines Parlaments. Pfullingen 1974, S. 12–17.
  • Das Fundament unserer staatlichen Ordnung. In: Bekenntnis zur Demokratie. Wiesbaden 1974, S. 11–20.
  • Demokratie – Die Chance, den Staat zu verwirklichen. In: Forum Heute. Mannheim 1975, S. 319–325.
  • Europa und die Macht des Geistes. München/Zürich 1976 (Aufsatzsammlung, 410 Seiten).
  • Erinnerungen. Scherz, Bern/München/Wien 1979, ISBN 3-502-16666-8.


Tonträger

  • Erinnerungen – Carlo Schmid im Gespräch mit Emil Obermann. Ausschnitte aus der Veranstaltung am 28. November 1979 in Hoser’s Buchhandlung (1 LP) (Hoser’s Buchhandlung, Stuttgart, ohne Nummer), ISBN 3-921414-04-0.
  • Carlo Schmid: Grundsatzrede über das Grundgesetz im Parlamentarischen Rat vom 8. September 1948.


Literatur

  • Theodor Eschenburg, Theodor Heuss, Georg-August Zinn: Festgabe für Carlo Schmid zum 65. Geburtstag. Mohr (Siebeck), Tübingen 1962.
  • Stine Harm: Bürger oder Genossen? Carlo Schmid und Hedwig Wachenheim – Sozialdemokraten trotz bürgerlicher Herkunft. Ibidem-Verlag, Stuttgart 2010, ISBN 978-3-8382-0104-7.
  • Walter Henkels: 99 Bonner Köpfe. Durchgesehene und ergänzte Ausgabe, Fischer-Bücherei, Frankfurt am Main 1965, S. 218ff. 
  • Frank Raberg: Carlo Schmid (1896–1979). Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, Stuttgart 2006 (online).
  • Erich Schmidt-Eenboom, Michael Müller: Die Causa Carlo Schmid. Zwischen französischem Druck und amerikanischer Observation, in: Das Blättchen 20 (2017) Online-Fassung.
  • Petra Weber: Carlo Schmid. 1896–1979. Eine Biographie. Beck, München 1996, ISBN 3-406-41098-7; Suhrkamp-Taschenbuch 2912, Frankfurt am Main 1998, ISBN 3-518-39412-6.
  • Petra Weber: Carlo Schmid. Demokrat und Europäer. Mannheim 1996 (= Kleine Schriften des Stadtarchivs Mannheim Nr. 4).
  • Petra Weber: Schmid, Carlo. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 23, Duncker & Humblot, Berlin 2007, ISBN 978-3-428-11204-3, S. 151 f. (Digitalisat).
  • Nadine Willmann: Carlo Schmid et la puissance d’occupation française dans le Wurtemberg durant l’immédiat après-guerre (= Schmids Verhältnis zur frz. Besatzungsmacht in Württemberg in der unmittelbaren Nachkriegszeit). In: Catherine Maurer (Hrsg.): Revue d’Allemagne et des pays de langue Allemande. 1, 2017, ISSN 0035-0974, S. 289–304 (französisch).


Kabinette


Weblinks


Commons: Carlo Schmid – Sammlung von Bildern


Wikiquote: Carlo Schmid – Zitate


Einzelnachweise

  1. Carlo-Schmid-Stiftung
Ausklappen Bundesratsminister der Bundesrepublik Deutschland

Ausklappen Kabinett Kiesinger – 1. Dezember 1966 bis 21. Oktober 1969

Ausklappen Vizepräsidenten des Deutschen Bundestags aus der SPD-Fraktion

Ausklappen Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages

Normdaten (Person): GND: 118608606 | LCCN: n50074800 | VIAF: 4936473 | Wikipedia-Personensuche

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04.12.2022

Carlo Schmid (SPD)  Zitate aus Grundsatzrede vor dem Parlamentarischen Rat vom 08.09.1948

.. "Was heißt denn parlamentarischer Rat was heißt denn Grundgesetz? Wenn in einem souveränen Staatswesen, das Volk eine verfassunggebende Nationalversammlung einberuft, ist deren Aufgabe klar und braucht nicht weiter diskutiert zu werden. Sie hat eine Verfassung zu schaffen.


Was heißt aber eine Verfassung? Eine Verfassung ist die Gesamtentscheidung eines freien Volkes über die Formen und die Inhalte seiner politischen Existenz. Eine solche Verfassung ist dann die Grundnorm des Staates. Sie bestimmt in letzter Instanz, ohne auf einen dritten zurückgeführt zu werden brauchen, die Abgrenzung der Hoheitsverhältnisse auf dem Gebiet und dazu hin bestimmt sie die Rechte der Individuen und die Grenzen der Staatsgewalt. Nichts steht über ihr, niemand kann sie außer Kraft setzen, niemand kann sie ignorieren. Eine Verfassung ist nichts anderes als die in Rechtsform gebrachte Selbstverwirklichung der Freiheit eines Volkes. Darin liegt ihr Pathos und dafür sind die Völker auf die Barrikaden gegangen.


Wenn wir in solchen Verhältnissen zu Wirken hätten dann bräuchten wir die Frage worum handelt es sich denn eigentlich nicht zu stellen. Dieser Begriff einer Verfassung gilt in einer Welt die demokratisch sein will, die die Gesetze der Demokratie als ihre Lebensgesetze anerkennen will, unabdingbar. Freilich weiß jeder von uns, dass man auch Ordnungsgesetze anderer Art schon Verfassungen genannt hat z. B. die oktroyierten Verfassungen der Restaurationszeit so von 1814 ab.

Diese oktroyierten Verfassungen waren zweifellos technisch gelegentlich nicht schlecht und die Fürsten die sie gegeben haben, mochten dann und wann durchaus gute Absichten haben. Aber das Volk hat diese Dinge nie als Verfassungen betrachtet und die Revolutionen von 1830 sind nichts anderes gewesen als der Aufstand der Völker Europas gegen oktroyierte Verfassungen, die nicht im Wege der Selbstbestimmung der Völker entstanden, sondern die auferlegt worden sind. Es kam in diesen Revolutionen die Erkenntnis zum Ausdruck, das eine Verfassung in einer demokratischen Welt etwas mehr sein muss als ein bloßes Reglement als ein bloßes Organisationsstatut.


Die Ordnung des Behördenaufbaus, die Ordnung der Staatsfunktionen, die Abgrenzung der Rechte der Individuen und der Obrigkeit, sind durchaus vorstellbar und das hat es gegeben im Bereich der organischen Artikel des absolutistischen Obrigkeitsstaates und auch im Bereich der Fremdherrschaft.

Man wird aber da nicht von Verfassung sprechen, wenn Worte ihren Sinn behalten sollen, denn es fehlt diesen Gebilden der Charakter des keinem fremden Willen unterworfenen Selbstbestimmungsrechts. Es handelt sich dort um Organisation und nicht um Konstitution.


Ob eine Organisation selber vorgenommen wird oder ob sie der Ausfluss eines fremden Willens ist macht keinen prinzipiellen Unterschied, denn bei Organisationen kommt es wesentlich darauf an und ausschließlich darauf an, ob sie gut oder schlecht funktionieren.

Bei einer Konstitution aber ist das anders. Dort macht es einen Wesensunterschied, ob sie selbst vorgenommen wurde oder ob sie der Ausfluss fremden Willens ist, denn eine Konstitution ist nichts anderes als das ins Leben treten als politischer Schicksalsträger aus eigenem Willen. Dies alles gilt auch von der Schaffung eines Staates.


Sicher, Staaten können auf die verschiedenste Weise geschaffen werden, sie können sogar durch äußeren Zwang geschaffen werden. Staat ist aber dann nichts anderes als ein Ausdruck für Herrschaftsapparat. So wie etwa die Staatstheoretiker der Frührenaissance von „il stato“ sprachen. Il stato, das ist einfach der Herrschaftsapparat gewesen der irgendwo in organisierter Weise Gewalt ausgeübt hat. Aber das ist ja gerade der große Fortschritt auf den Menschen hin gewesen den die Demokratie getan hat, dass sie im Staat etwas anderes zu sehen begann als einen bloßen Herrschaftsapparat. Staat ist für sie immer gewesen das in die eigene Hand genommene Schicksal des Volkes, Ausdruck der Entscheidung des Volkes zu sich selbst.


Man muss wissen was man will, wenn man von Staat spricht. Ob denn bloßen Herrschaftsapparat, der auch einem fremden Gebieter zur Verfügung stehen kann, oder eine lebendige Wirklichkeit, eine in sich aus eigenem Willen geübte Demokratie." ..

04.12.2022

Kant, Fukuyama, Makei und der Krieg in der Ukraine

seniora.org, 03. Dezember 2022, 02. Dezember 2022 Autor: Ralph Bosshard - übernommen mit Dank von Globalbridge.ch(Red.) Am vergangenen Samstag starb völlig überraschend der Außenminister der Republik Belarus, der 64-jährige Wladimir Makei, offiziellen Angaben zufolge an einem Herzinfarkt (1). Natürlich schossen sofort Spekulationen über einen unnatürlichen Tod Makeis ins Kraut (2).

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Der verstorbene belarussische Außenminister Wladimir Makei (Foto RIA Novosti, 26.11.2022)


In diesen Tagen hätte Makei am jährlich stattfindenden Ministerrat der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa OSZE teilnehmen sollen.   – Nachdem Globalbridge.ch am vergangenen Montag Wladimir Makeis letzten eigenen Artikel in deutscher Übersetzung publiziert hat, wirft Ralph Bossart nun einen genaueren Blick auf diese für Osteuropa äusserst wichtige Persönlichkeit.


Nachdem er von 2008 bis 2012 als Leiter der Präsidialadministration der Republik Belarus gedient hatte, wurde Wladimir Makei im Jahr 2012 zum Außenminister seines Landes ernannt. Unter der Devise der „multivektoralen Außenpolitik“ leitete Makei eine Tauwetterperiode in den Beziehungen zwischen Minsk und dem Westen ein, in deren Verlauf er die Aufhebung des Gros der westlichen Sanktionen gegen sein Land zu erwirken vermochte. Er selbst erklärte in regelmäßigen Abständen, dass diese Annäherung ohne Diktat und Druck erfolgen müsse (3).

Im Jahr 2013 stellte Wladimir Makei gar eine 180-Grad-Wende in der Außenpolitik seines Landes in Aussicht: Belarus könne die Integration in die Europäische Union einleiten, ohne aber aus der Allianz mit Russland auszuscheren (4). Das geschah zu einem Zeitpunkt, als man auch in Kiew noch glaubte, die Rolle eines Brückenbauers zwischen Ost und West spielen und gleichzeitig gute Beziehungen zu Brüssel und Moskau aufrechterhalten zu können. Der Umsturz in der Ukraine nach den Protesten auf dem Maidan Nezalezhnosti in Kiew im Jahr 2014 setzte auch diesen Träumen ein Ende. 

Angesichts der landesweiten Proteste nach der Präsidentschaftswahl in Belarus im August 2020 erklärte Makei, dass das Land Veränderungen brauche, aber nicht durch Revolutionen. Im Nachgang der Unruhen leitete Makei eine Säuberungsaktion im belarussischen Außenministerium ein, als er die Mitarbeiter des Ministeriums aufforderte, entweder der Regierungspolitik zuzustimmen, oder aber ihre Plätze zu räumen (5). Noch weiter ging er im November 2020 als er damit drohte, die Zusammenarbeit mit dem Europarat einzustellen und die diplomatischen Beziehungen zur Europäischen Union abzubrechen, falls erneut Sanktionen verhängt würden (6). 

In seiner Rede vor der alljährlich stattfindenden Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York machte Makei im vergangenen September den kollektiven Westen mitverantwortlich für den Krieg in der Ukraine und lehnte dessen Führungsanspruch in der Weltpolitik ab (7). 


Kurswechsel?

Wie aber ist der vermeintliche Kurswechsel von Wladimir Makei nach 2020 zu erklären? Im kurz vor seinem Tod erschienenen Artikel „Liberal International Order: Can It Be Saved in Today’s Non-Hegemonic World?“ wies sich Makei als Kenner europäischer Geistesgeschichte aus und ließ uns tief in seine Geisteshaltung blicken, die für weite Kreise auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion nicht untypisch sein dürfte (8). Die Kenntnis dieser Geisteshaltung erlaubt es uns, gewisse Verhaltensweisen der Länder des Ostens in der Vergangenheit nachzuvollziehen und in einem gewissen Maß ihre Handlungen in der Zukunft zu antizipieren. Wie man diese Handlungen werten will, ist eine andere Frage. Es geht hier deshalb nicht darum zu entscheiden, ob Makei nun recht oder unrecht hatte, sondern zu erkennen, dass auch die, im Konflikt mit dem Westen befindliche östliche Seite ihre Handlungen auf rationale Überlegungen abstützt, mit denen man sich vertraut machen sollte, bevor man sich in einen Atomkrieg stürzt.


Der „demokratische Friede“   – Krieg um des Friedens willen?

Anlässlich der erwähnten Rede vor der UN-Generalversammlung verortete Makei die wahren Ursachen des aktuellen Kriegs in der Ukraine im geopolitischen Chaos, das beim Zerfall der Sowjetunion vor 30 Jahren entstanden sei. Heute müssen wir uns fragen, ob es dem Westen 1991 an Ideen für die Gestaltung der Zukunft nach dem Zerfall des kommunistischen Blocks fehlte. 

Mit der Bemerkung, die Geschichte habe kein Ende, wie in den Neunzigerjahren noch gedacht, nahm Makei Bezug auf die Theorien des US-amerikanischen Politikwissenschaftlers Francis Fukuyama, der in seinem Artikel „The End of History“ und in seinem Buch „The End of History and the Last Man“ das Ende der Geschichte prophezeit hatte, insoweit diese aus einer Abfolge von Kriegen, Rivalität und Konfrontation bestehe. Fukuyamas Theorien stießen schon damals auf Kritik (9). Auch Fukuyama selbst musste inzwischen zugeben, dass der rasante wirtschaftliche Aufstieg der autoritär geführten Volksrepublik China seinen Theorien widerspreche (10). Der Glaube an das Ende der Geschichte basiert auf ideologischen Überzeugungen von Liberalen. Insofern ist ein neuer ideologischer Gegensatz entstanden, der nicht primär wirtschaftlich bedingt ist   – d.h. dem Gegensatz zwischen Markt- und Planwirtschaft   – sondern politisch. 

Trotz aller Kritik an den Thesen Fukuyamas machte der Westen sich daran, diese umzusetzen, denn man sah den Zerfall des kommunistischen Blocks als Höhepunkt des „American Century“ (11) und als Gelegenheit, die Theorie des „demokratischen Friedens“ in die Tat umzusetzen. Diese Theorie fußt wesentlich auf Immanuel Kants Schrift „Zum ewigen Frieden“ und besagt, dass politische Gebilde, in denen der Wille der Bevölkerung relevant sei, friedlicher seien, als Monarchien, in denen sich die Herrschenden für Krieg und den daraus resultierenden Verlust an Menschenleben und Vermögen nicht zu rechtfertigen brauchten. Diese Theorie ist aber nicht ganz unumstritten (12). 

Mangels demokratischer Legitimation rechtfertigen Autokraten heutzutage ihre Herrschaft oftmals mit den Erfolgen, die ihre Politik erzielt. Der Verlust von Menschenleben und Volksvermögen in großem Ausmaß lässt sich in der heutigen Informationsgesellschaft weder geheim halten noch als Erfolg verkaufen. Hierin liegt ein begrenzendes Moment, das Autokraten zuweilen davor zurückschrecken lässt, beim geringsten Anlass zur Waffe zu greifen. Insofern kommt man nicht umhin, Makei zuzustimmen, wenn er sagt, dass das von Kant generierte Bild der Konfrontation von Demokratien mit Autokratien der Komplexität der heutigen Welt nicht gerecht werde (13). Insbesondere der Versuch, die zahlreichen Konflikte auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion mit der unvollständigen Demokratisierung der Mehrzahl ihrer ehemaligen Teilrepubliken zu begründen, dürfte zu wenig weit greifen.

Nicht zu vergessen ist auch die unterschiedliche Einstellung gegenüber militärischer Gewaltanwendung in der damaligen und der heutigen Zeit. Zur Zeit Kants war diese eine rechtspositivistische: Der Monarch als Inhaber der höchsten Rechtsbefugnisse im Land hatte in Konflikten die Wahlfreiheit zwischen Verhandlungen und militärischer Gewaltanwendung. Schon nach den Verheerungen des Ersten Weltkriegs waren die Zeitgenossen nicht mehr dieser Auffassung, wie der Briand-Kellog-Pakt von 1928 zeigte (14). Nach dem noch verheerenderen Zweiten Weltkrieg und dem Kalten Krieg, in welchem das Überleben der Menschheit als Ganzes auf dem Spiel stand, lehnen wir heute eine solche Wahlfreiheit gänzlich ab. 

Ganz sicher geht es zu weit, Kants Theorien als Rechtfertigung für die Verbreitung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten mit Feuer und Schwert heranzuziehen, zumal Kant in erster Linie wohl in Monarchien die wahrscheinlichsten Aggressoren erblickte. Selbst demokratisch bemäntelte Interventionen stießen in jüngster Zeit auch in nicht-demokratischen Gesellschaften auf Widerstand, wie beispielsweise der Krieg in Afghanistan zeigte. Ferner bleibt bei solchen Interventionen immer der Verdacht, dass die Wahl der Aggressionsobjekte, gegen welche der kollektive Westen gerade vorgehen will, eher geopolitischen oder geoökonomischen Kriterien gehorche, als Kriterien von Demokratie, Menschenrechten oder Rechtsstaatlichkeit. Das Ganze soll uns dann unter dem Label des Kampfs des Guten gegen das Böse verkauft werden 

Den verschiedenen Demokratie-Indizes zufolge sind längst nicht alle Staaten der Erde vollständige Demokratien. Genau genommen umfasst diese Gruppe eine Minderheit der Staaten weltweit und selbst die USA gelten nicht immer als vollständig demokratisch (15). Allein daraus wird klar, dass der Führungsanspruch der USA, den gerade die Administration Biden wieder erhob, eher mit den Ressourcen des Landes begründet ist, als mit der Qualität der dortigen Demokratie. Wenn die circa 30 vollständig demokratischen Staaten der Erde permanent den Rest bekämpfen, dann resultiert ein globales Catch-As-Catch-Can: ein Ringen ohne Regeln. Es würde dem Geist Kants widersprechen, wenn die selbsternannten Hüter der Demokratie nach Belieben jene angreifen, die als etwas weniger demokratisch gelten.


Führungsanspruch des Westens

In seinem Artikel definierte Makei seine Vorstellungen einer internationalen Ordnung, die er eher als informellen Mechanismus betrachtet denn als Regelwerk, das von selbsternannten Führungsmächten erstellt wurde. In der Tat wurde die liberale internationale Ordnung LIO am Ende des Zweiten Weltkriegs auf der Basis der Werte und der Interessen der USA aufgebaut. Der Begriff des „American Century“ kommt nicht von ungefähr.

Als Ursprung der heutigen Weltordnung sieht Makei aber vor allem den Westfälischen Frieden von 1648, welcher dem Dreißigjährigen Krieg ein Ende setzte. In diesem verzichteten die Kriegsparteien auf Eingriffe in die inneren Angelegenheiten der ehemaligen Gegner. Damals ging es natürlich in erster Linie um die Religionszugehörigkeit der Untertanen. 

Vielsagend ist auch der Hinweis Makeis auf den Wiener Kongress von 1815, dem es gelungen sei, die ehemaligen Gegner in ein System internationaler Sicherheit zu integrieren, das über Jahrzehnte Bestand gehabt habe. Tatsächlich ging der Wiener Kongress weit über die Rückgängigmachung der Eroberungen des revolutionären und napoleonischen Frankreichs hinaus, indem er Frankreich wieder in das Konzert der Großmächte aufnahm und das auf Gleichgewicht ausgerichtete System der Pentarchie schuf. 

Ein ungerechter und für eine Seite erniedrigender Friede   – so Makei   – trage den Samen für neue Konflikte in sich. Nach 1990 hätten die selbsternannten Sieger des Kalten Kriegs aber den Mechanismus von 1919 gewählt. Auf die negativen Folgen des Versailler Friedens von 1919 muss man wohl kaum eigens hinweisen. Nach 1991 hätten die neuen unabhängigen Republiken der ehemaligen Sowjetunion keine andere Wahl gehabt, als zu neuen Satelliten des Westens zu werden. Heute träfen unvereinbare Vorstellungen einer konzentrischen, westlich geprägten und einer polyzentrischen Welt ohne Kontrollzentrum aufeinander (16).

Gerade diejenigen Länder, die in der Vergangenheit bei ihrem Kampf um Unabhängigkeit von den Kolonialmächten auf die Unterstützung der Sowjetunion bauen durften, sind heute nicht geneigt, sich um Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte willen dem Willen Washingtons oder Brüssels unterzuordnen. Und die unabhängigen Republiken, die nach dem Zerfall der Sowjetunion entstanden, sind nicht bereit, die Weisungen Brüssels entgegenzunehmen, nachdem sie sich 1991 aus der Bevormundung Moskaus lösen konnten. Alle diese Länder sind als potenzielle Unterstützer Russlands und Chinas anzusehen, wenn diese sich als Verfechter einer multipolaren Welt zu profilieren suchen. Zu diesen Ländern zählt auch die Republik Belarus   – unabhängig davon, ob deren Staatspräsident Alexander Lukaschenko heißt oder anders. Die Administration Biden kalkulierte möglicherweise nicht mit ein, dass die weniger demokratischen Staaten der Erde auf westliche Blockbildung ihrerseits mit Blockbildung reagieren würden. Hier zeigt sich, dass die selbsternannten Gewinner des Kalten Kriegs nicht genug aus der Vergangenheit gelernt haben (17).

Und der Westen lernte in einem Vierteljahrhundert auch nicht dazu: Im Jahr 2016 bot Makei anlässlich des OSZE-Außenministerrats in Hamburg an, in Minsk eine Plattform für offene Gespräche zwischen Vertretern westlicher Länder, Russlands und Chinas über die Ursachen der Krise in den internationalen Beziehungen zu schaffen (18). Der Vorschlag wurde ebenso wenig angenommen wie 2009 der Vorschlag Russlands für einen europäischen Sicherheitsvertrag und der belarussische Vorschlag für einen globalen Sicherheitsvertrag von 2017 (19). 

In New York forderte Makei ein umfassendes Friedensabkommen im Geist von San Francisco (d.h. der Gründung der Vereinten Nationen 1945), in welchem die Bewegung der Non-Aligned-States und die BRICS einen angemessenen Platz finden müssten (20). Das ist bemerkenswert, denn es ist kaum anzunehmen, dass der russische Außenminister Sergej Lawrow vor dem Hintergrund des eigentlichen Stellvertreterkriegs, der momentan in der Ukraine in Gang ist, solches gefordert hätte. Das wäre ihm in einer Atmosphäre, in welcher Verhandlungsangebote als Schwächezeichen interpretiert werden, sofort als Kapitulation ausgelegt worden. Offenbar ist aber die belarussische Seite durchaus bereit, die Ordnung von San Francisco von 1945 zu bewahren, während viele westliche Experten diese schon als unrettbar betrachten. Eine solche Neuauflage dürfe allerdings nicht unbestritten zu den Konditionen des Westens erfolgen, sondern müsse die Interessen einer Mehrheit von Staaten, die sich nicht dem Westen zuordnen lassen wollen, berücksichtigen, forderte Makei: Ordnung ja, Gehorsam nein (21).


Liberale Wirtschaftsordnung und Wirtschafssanktionen

In wirtschaftlicher Hinsicht, so räumte Makei ein, habe die liberale internationale Ordnung LIO den Entwicklungsländern durchaus einen Vorteil gebracht, weil weltweit tätige Wirtschaftsunternehmen die Produktion von Gütern weitgehend in Länder verlegt hätten, in denen der Faktor Arbeit kostengünstiger sei, als in den Industrienationen. Die der liberalen Wirtschaftsordnung inhärente Problematik des Entstehens sozialer Ungleichheit habe der Kommunismus zu überwinden versucht. Heute verfolge der Westen durch seine Wirtschaftssanktionen eine Strategie, die auf Hungerrevolten in den Zielländern setze. Kuba aber habe sechs Jahrzehnten westlicher Sanktionen widerstanden (22).

Eine derartige Strategie kommt einer Erniedrigung der Bevölkerung in all jenen Ländern gleich, in denen „Farbige Revolutionen“ mit Wirtschaftssanktionen kombiniert werden. Die liberale Weltwirtschaftsordnung wird uns immer dann in Erinnerung gerufen, wenn es westlichen Ländern zum Vorteil gereicht. Auf der anderen Seite mindert der Westen mit seinen inflationär zunehmenden Wirtschaftssanktionen die Attraktivität der liberalen Wirtschaftsordnung selbst.


Makeis Vermächtnis

Die in seiner Rede in New York und seinem letzten Artikel vorgebrachte Kritik Makeis am Westen beinhaltet Hinweise auf eine mögliche Ordnung für die Zukunft. 

In politischer und wirtschaftlicher Hinsicht erscheint vielen der nicht-demokratischen Regierungen der Welt der „chinesische Weg“ attraktiver als der russische Weg der Neunzigerjahre, als kommunistische Funktionäre sich flugs zu Geschäftsleuten wandelten und die sowjetische bzw. russische Wirtshaft nach Belieben plünderten. Die Rubel- und Wirtschaftskrise in Russland 1998 war sicherlich auch Wladimir Makei in ebenso lebhafter Erinnerung wie vielen seiner Landsleute. Diese Klientel wird eine gewisse politische und wirtschaftliche Stagnation einem Experiment nach Art der Ukraine voraussichtlich vorziehen. 

Seit 2020 steht insbesondere Belarus vor einem Scheideweg: Soll es seine Wirtschaft liberalisieren, auf die Gefahr hin, dass wie im Russland der Neunzigerjahre alle noch rentablen Staatsbetriebe für einen Spottpreis an ausländische Investoren verscherbelt werden, die bis dato schon genug in die „Demokratie“ im Land investiert haben? Oder soll es auf dem aktuellen Stand verharren? Eine Entwicklung wie in der Ukraine wird wohl den wenigsten Menschen in Belarus als Vorbild vorschweben.

Die wenigsten Länder der ehemaligen Sowjetunion haben eine Tradition westlicher Demokratie und sie sind auf dem Weg zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit unterschiedlich weit vorangeschritten. Es ist verständlich, dass sich diese Länder nicht ständig mit der Nase auf ihr Demokratiedefizit stoßen lassen wollen. Insofern hat jedes Land Anrecht auf seinen eigenen Weg. Der Westen wird lernen müssen, mit etwas weniger demokratischen Ländern der Welt adäquat umzugehen. 

Heute fragt sich, ob die Entourage Bidens und die Fraktion der Demokratischen Partei in den USA bereit sind, ihr nach 1991 aufgebautes Imperium ebenso gewaltlos preiszugeben, wie es seinerzeit Michail Gorbatschow mit dem Sowjetimperium tat. 

Meinungen in Beiträgen auf Globalbridge.ch entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.


Zum Autor: Ralph Bosshard studierte Allgemeine Geschichte, osteuropäische Geschichte und Militärgeschichte, absolvierte die Militärische Führungsschule der ETH Zürich sowie die Generalstabsausbildung der Schweizer Armee und arbeitete 25 Jahre als Berufsoffizier (Instruktor). Er absolvierte eine Sprachausbildung in Russisch an der Staatlichen Universität Moskau sowie eine Ausbildung an der Militärakademie des Generalstabs der russischen Armee. Mit der Lage in Osteuropa und Zentralasien ist er aus seiner sechsjährigen Tätigkeit bei der OSZE vertraut, in der er als Sonderberater des Ständigen Vertreters der Schweiz und Operationsoffizier in der Hochrangigen Planungsgruppe tätig war.


Anmerkungen: 

  1. Belarussisch Uladzimir Makei. Sein Lebenslauf findet sich auf der Homepage des belarussischen Außenministeriums https://mfa.gov.by/en/ministry/senior_staff/. Siehe „СМИ: причиной смерти Макея стал инфаркт“, bei Argumenti i Fakti AIF.ru, 26.11.2022, online unter https://aif.ru/politics/smi_prichinoy_smerti_makeya_stal_infarkt
  2. Vgl. „Смерць Макея: рука Масквы, помста Лукашэнкі ці проста інфаркт?“, bei Nasha Niva, 26.11.2022, online unter https://nashaniva.com/304053. Der Berater des ukrainischen Innenministers Anton Gerashchenko twitterte, dass Makei vergiftet worden sei. Gerashchenko betrachtete ihn als einen der wenigen belarussischen Beamten, die nicht unter russischem Einfluss standen und sah ihn schon als möglichen Nachfolger von Staatspräsident Lukaschenko. Siehe Twitter: https://twitter.com/gerashchenko_en/status/1596524311275503616.
  3. Siehe „Налаживал отношения с Западом, устраивал праздники вышиванки и оправдывал репрессии. Чем запомнится глава МИД Владимир Макей“ bei Зеркало, 26.11.2022, online unter https://news.zerkalo.io/economics/27011.html. Der Artikel bei Wikipedia.ru basiert im Wesentlichen auf diesem Beitrag.
  4. Ebd.
  5. Siehe „Два сотрудника МИД Белоруссии поддержали протестующих“, bei Lenta.ru, 17.08.2020, online unter https://lenta.ru/news/2020/08/17/bel_mid/
  6. Siehe „Макей: Беларусь готова прекратить любое сотрудничество с Советом Европы“, bei Nasha Niva, 26.11.2020, online unter https://nashaniva.com/?c=ar&i=263728&lang=ru und „Макей пригрозил разрывом дипотношений в качестве крайней меры при введении Евросоюзом санкций“, bei Tut.by, 18.09.2020, online unter https://web.archive.org/web/20201128093449/https://news.tut.by/economics/701019.html. 
  7. Siehe Statement by Foreign Minister Vladimir Makei at the 77th Session of the UN General Assembly (September, 2022), in englischer Übersetzung online unter https://mfa.gov.by/en/press/video/e7217c2af0410e89.html, russisch unter https://mfa.gov.by/press/video/f8e9cf64af0339d0.html.
  8. Siehe Vladimir Makei: Liberal International Order: Can It Be Saved in Today’s Non-Hegemonic World?, bei: Russia in Global Affaitrs, 10.11.2022, online unter https://eng.globalaffairs.ru/articles/liberal-international-order/, eine deutsche Übersetzung findet sich bei GlobalBridge: „Vladimir Makei, der weissrussische Aussenminister, wusste, wovon er sprach“, 27.11.2022, online unter https://globalbridge.ch/vladimir-makei-der-weissrussische-aussenminister-wusste-wovon-er-sprach/
  9. Eine Zusammenfassung der Kritik durch Stefan Jordan: Francis Fukuyama und das „Ende der Geschichte“, Version 1.0, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 6 (2009), H. 1, S. 159-163, online unter https://docupedia.de/images/f/fd/Fukuyama,_Ende_der_Geschichte.pdf. 
  10. Siehe das Interview von Michael Thumann und Thomas Assheuer mit Francis Fukuyama: „Demokratie stiftet keine Identität“, ist das Modell des Westens am Ende? Ein Gespräch mit dem amerikanischen Politikwissenschaftler Francis Fukuyama, bei Zeit Online, 17.03.2016, online unter https://www.zeit.de/2016/13/francis-fukuyama-politikwissenschaftler-populismus-usa/komplettansicht.
  11. Vgl. hierzu Paul Kennedy: Das Jahrhundert der Imperien, 1. Supermacht USA, in: Der Spiegel 46/1998, 08.11.1998, online unter https://www.spiegel.de/politik/supermacht-usa-a-87618b7b-0002-0001-0000-000008030968?context=issue
  12. Zur Kritik daran siehe Matthew White: Democracies Do Not Make War on One Another …or Do They? online unter http://users.erols.com/mwhite28/demowar.htm
  13. Siehe Statement by Foreign Minister Vladimir Makei at the 77th Session of the UN General Assembly, a.a.O.
  14. Englischer Text des Pakts auf der Webseite der Yale-Universität, online unter https://avalon.law.yale.edu/20th_century/kbpact.asp, deutsche Übersetzung: „Briand-Kellogg-Pakt 1928   – Materialien zum Völkerstrafrecht“, auf der Website der Juristischen Fakultät an der Ludwig-Maximilians-Universität München, online unter https://www.jura.uni-uenchen.de/fakultaet/lehrstuehle/satzger/materialien/kellogg1928d.pdf
  15. Gemäß dem Demokratie-Ranking der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, online unter https://www.demokratiematrix.de/ranking, gibt es weltweit 35 funktionierende Demokratien. Vgl. René Bocksch: Der Stand der Demokratie, basierend auf dem Economist Democracy Index, 11.02.2022, online unter https://de.statista.com/infografik/20599/economist-democracy-index/. Gemäß der Economist Intelligence Unit sogar nur deren 20. Siehe Economist Intelligence UnitDemocracy Index 2021: the China challenge, online unter https://www.eiu.com/n/campaigns/democracy-index-2021/. Der Freedom Index des Freedom House:  Freedom in the World, online unter https://freedomhouse.org/report/freedom-world. Zu Demokratie-Indizes allgemein siehe Demokratie­Barometer: Die Ratingagenturen politischer Systeme, bei: Addendum, 18.10.2017, online bei https://www.addendum.org/demokratie/demokratie-barometer/. Vgl. auch Hauke Hartmann, Peter Thiery: BTI Transformation Index, Globale Ergebnisse, Abnehmende Resilienz, bei: Bertelsmann Stiftung, Gütersloh, 2022, online unter https://bti-project.org/fileadmin/api/content/de/downloads/BTI_2022_Globale_Ergebnisse_DE.pdf. Eine gewisse Vorsicht im Umgang mit solchen Indizes ist folglich angebracht. 
  16. Siehe Statement by Foreign Minister Vladimir Makei, a.a.O.
  17. Siehe Statement by Foreign Minister Vladimir Makei, a.a.O., Minuten 3   – 5.
  18. Siehe „Налаживал отношения с Западом, устраивал праздники вышиванки и оправдывал репрессии. Чем запомнится глава МИД Владимир Макей“ bei Зеркало, 26.11.2022, online unter https://news.zerkalo.io/economics/27011.html
  19. Siehe Statement by Foreign Minister Vladimir Makei, a.a.O.
  20. Siehe Makei: Liberal International Order, a.a.O.
  21. Eigentlich widerspricht die sicherheitspolitische Tätigkeit einer supranationalen Organisation wie der EU einer der Hauptforderungen Kants, wonach das Völkerrecht auf einem Föderalismus freier Staaten gegründet sein solle. Vgl. Immanuel Kant: Zum ewigen Frieden. Mit den Passagen zum Völkerrecht und Weltbürgerrecht aus Kants Rechtslehre. Kommentar von Oliver Eberl und Peter Niesen, Frankfurt/M. 2011, S. 237.
  22. Siehe Statement by Foreign Minister Vladimir Makei, a.a.O., Minute 10f.

    Quelle: https://globalbridge.ch/kant-fukuyama-makei-und-der-krieg-in-der-ukraine/
    Mit freundlicher Genehmigung von Globalbridge.ch


Info: https://seniora.org/politik-wirtschaft/kant-fukuyama-makei-und-der-krieg-in-der-ukraine


unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

04.12.2022

Vladimir Makei, der weissrussische Aussenminister, wusste, wovon er sprach

globalbridge.ch, 27. November 2022 Autor: Redaktion in Geschichte, Politik, Wirtschaft

(Red.) In einer Zeit, in der, nicht zuletzt in Westeuropa, gewisse Aussenministerinnen deutlich mehr Einbildung als Ausbildung vorzuweisen haben, gibt es auch Aussenminister, die von der Ideen- und Geistesgeschichte dieser Welt noch eine Ahnung haben – oder eben, leider, hatten: Am Samstag ist der weissrussische Aussenminister Vladimir Makei überraschend verstorben. Nur zwei Wochen vor seinem Tod hat er auf der Website «RUSSIA IN GLOBAL AFFAIRS» einen Artikel zum Thema Weltordnung veröffentlicht, in dem er aufzeichnet, warum die «Liberale Internationale Ordnung» (LIO) als von allen Seiten zu akzeptierende Weltordnung ausgedient hat. (cm)

(Kleine Vorwarnung: Die Zeitschrift «RUSSIA IN GLOBAL AFFAIRS» richtet sich, ähnlich wie die US-amerikanische Zeitschrift «Foreign Affairs», in erster Linie an professionelle Politologen, an eine akademisch ausgebildete, politisch und vor allem auch geopolitisch interessierte Leserschaft. Die Redaktion von Globelbridge.ch bringt diesen Beitrag aus aktuellem Anlass. Der zum Verständnis des Artikels erforderliche historische Background kann nicht von jedermann erwartet werden. Stil und Länge des Beitrags sollen auf Globalbridge.ch eine Ausnahme bleiben. Red.)

(Red.) Zuerst die Zusammenfassung des Artikels von Vladimir Makei, geschrieben von ihm selbst:

Es ist allgemein bekannt, dass die «Liberale Internationale Ordnung» (LIO) nach dem Zweiten Weltkrieg entstand und ihren Höhepunkt in den 1990er Jahren erreichte, als ihr Hauptvertreter – die USA – eine hegemoniale Position auf der globalen Bühne einnahm. Die wahren Wurzeln der LIO sind jedoch viel früher zu suchen, nämlich im späten 18. Jahrhundert, als sich in der europäischen Politik zwei unterschiedliche Richtungen herausbildeten, die wirtschaftliche und die politische. Beobachter neigen dazu, den dualen Charakter der LIO zu übersehen, der sich aus diesen beiden Richtungen ergibt, und übersehen dabei das ihr innewohnende Hauptproblem. Während die wirtschaftliche Schiene der LIO für alle akzeptabel sein mag, dient ihre politische Schiene, die im Konzept des Demokratischen Friedens verkörpert ist, nur dazu, die Welt zu polarisieren. Wichtig ist, dass der derzeitige Diskurs über die LIO in einer posthegemonialen Zeit geführt wird. Diejenigen, die immer wieder auf der Möglichkeit bestehen, die LIO zu retten, die für eine kurze liberale Hegemonialzeit relevant war, verkennen, dass die heutige vielfältige Welt eine neue Art von internationaler Ordnung erfordert.

(Red.) Und ab hier sein in englischer Sprache veröffentlichter Beitrag, ins Deutsche übersetzt:

In den letzten zehn Jahren hat das Interesse am Thema der so genannten «Liberalen Internationalen Ordnung» LIO allmählich zugenommen, insbesondere in der westlichen akademischen Gemeinschaft. Die Hauptursache für diesen allgemeinen Trend scheint der unaufhaltsame Aufstieg Chinas und der immer deutlicher werdende Niedergang der USA zu sein. Viele Experten argumentieren, dass der Aufstieg Chinas eine langfristige existenzielle Bedrohung für die LIO darstellt, die nach dem Zweiten Weltkrieg auf den Werten und Interessen der USA – der damals dominierenden Macht – aufgebaut wurde. Dieser Argumentation zufolge ist China, wenn es auf der Weltbühne zu einer dominanten Macht wird, dazu bestimmt, die liberale Ordnung durch eine internationale Ordnung zu ersetzen, die besser zu seinem eigenen politischen und wirtschaftlichen System passt. Es ist also eine „autoritäre“ internationale Ordnung im Entstehen begriffen. Folglich waren die westlichen Akademiker im Allgemeinen eher pessimistisch, was die Aussichten der LIO betrifft.

Die Debatte über die LIO wurde in den Jahren 2016-2017 vor dem Hintergrund der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA, des Brexit Großbritanniens aus der Europäischen Union, der Massenmigration aus dem Nahen Osten nach Europa und des zunehmenden Populismus und Rechtsnationalismus in einigen westeuropäischen Ländern besonders brisant. Sehr bezeichnend für diesen Trend war der Titel der Januar-Februar-Ausgabe 2017 von «Foreign Affairs» – „Out of Order: The Future of the International System“ (Die Zukunft des internationalen Systems), die sehr aufschlussreiche Beiträge von anerkannten westlichen Experten enthielt.

Außerdem fand eine höchst interessante intellektuelle Debatte über die Zukunft der LIO zwischen zwei renommierten westlichen politischen Experten, dem Briten Niall Ferguson und dem Amerikaner Fareed Zakaria, statt (The Bridgehead, 2017). Fast zwei Stunden lang stritten sie in einer Fernsehsendung um eine Antwort auf die Frage: „Ist die liberale Weltordnung vorbei?“, wobei Ferguson für ihr nahes Ende und Zakaria dagegen argumentierte. Die meisten Zuschauer stimmten für Fergusons pessimistische Sicht auf die Zukunft der LIO.

Das jüngste Interesse an der LIO entstand im Zusammenhang mit Russlands militärischer Sonderoperation in der Ukraine, die am 24. Februar 2022 begonnen hat. Wieder einmal schien die Debatte in den westlichen Medien stärker zu sein. Der Westen vertritt allgemein die Auffassung, Russlands Vorgehen in der Ukraine habe der LIO einen tödlichen Schlag versetzt, die durch den wirtschaftlichen Aufstieg Chinas und seine zunehmend selbstbewusste Außenpolitik sowie durch einige anhaltende transnationale Herausforderungen wie den Klimawandel, die öffentliche Gesundheit und vieles Andere bereits geschädigt worden sei. Diesem Gedankengang zufolge gibt es keine Hoffnung auf eine Wiederbelebung der LIO.

Auch nicht-westliche Politiker und Politikwissenschaftler beteiligen sich seit fast einem Jahrzehnt an der Debatte über die LIO, wenn auch scheinbar in kleinerem Rahmen. So äußerte sich beispielsweise der russische Präsident Wladimir Putin in einem Interview mit der «Financial Times» im Juni 2019 zu diesem Thema und argumentierte, die liberale Idee habe ihren Zweck überlebt und die LIO sei obsolet geworden, da sie mit den Interessen der überwältigenden Mehrheit der Menschen [in der Welt] in Konflikt geraten sei (Financial Times, 2019). Auch «Russia in Global Affairs» hat sich regelmäßig an der Debatte beteiligt.

In der Debatte über die LIO wurden die so genannten „Demokratien“ gegen „Autokratien“ ausgespielt, da die LIO mit den ersteren in Verbindung gebracht wird, während die Bedrohung für die LIO angeblich von den letzteren ausgeht. Für diese Begriffe gibt es keine allgemeingültigen Definitionen. Nichtsdestotrotz wissen wir alle, wofür sie stehen. In groben Zügen verstehen wir unter „Demokratie“ eine Form des Regierens, bei der die Macht dezentralisiert und mehr oder weniger gleichmäßig auf die verschiedenen Zweige verteilt ist, während „Autokratie“ eine Form des Regierens ist, bei der die Macht zentralisiert ist und bei der die Rolle der Exekutive ziemlich ausgeprägt ist. Ein Autokrat an der Macht würde beispielsweise niemals dem berühmten Ausspruch des amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan zustimmen: „Die Regierung ist nicht die Lösung für unser Problem, die Regierung ist das Problem“ (Reagan, 1981). Jeder „Autokrat“ würde sicherlich für das Gegenteil einstehen.

Dieser Artikel ist ein Versuch, einen bescheidenen Beitrag zur Debatte über die LIO aus der Perspektive eines „autokratischen“ Staates zu leisten – Belarus, wie es vom Westen in diese Kategorie eingeordnet wird und der Autor dieses Artikels ist zufällig belarussischer Außenminister. Mit diesem Versuch erhebe ich gewiss nicht den Anspruch, die Sicht aller „Autokratien“ darzustellen; vielmehr biete ich meine eigene Sichtweise an, die auf der langjährigen Erfahrung als hoher Beamter in einem „autokratischen“ Land beruht. Wichtig ist, dass ich den Begriffen „Demokratie“ und „Autokratie“ keine pejorative Bedeutung beimesse; sie werden in diesem Papier lediglich der Einfachheit halber verwendet, um ihrer breiten Verwendung im außenpolitischen Diskurs zu folgen.

Entstehung, Substanz, Herausforderungen

Was ist eine internationale Ordnung und warum wird die derzeitige Ordnung als liberal angesehen?

Eine internationale Ordnung kann im Allgemeinen als ein dominantes Muster des weltpolitischen Engagements ihrer Akteure betrachtet werden. Wie es im Verlaufe der Geschichte immer der Fall war, hat ein führendes oder hegemoniales Land die Schlüsselrolle bei der Schaffung einer internationalen Ordnung gespielt. Dieses Land versucht stets, auf der internationalen Bühne bestimmte Verhaltensregeln aufzustellen, denen andere freiwillig oder unfreiwillig folgen. Eine internationale Ordnung ist also eher ein informeller Mechanismus, der in Ermangelung einer solchen Regierung die Rolle einer Weltregierung übernehmen kann.

Wann hat sich die heutige LIO entwickelt? Die gängige Meinung besagt, dass diese Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg schrittweise entstand, als die USA mit Unterstützung anderer westlicher Länder eine Reihe von Institutionen, Regeln und Normen förderten, die eine Wiederholung der Fehler der 1930er Jahre vermeiden und stattdessen Frieden, Wohlstand und Demokratie fördern sollten. So kam es, dass die LIO schließlich auf internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen, internationalen Finanzinstitutionen wie dem IWF, der Weltbank und der Welthandelsorganisation, Sicherheitsbündnissen wie der NATO, informellen Gruppierungen wie der G7 und der G20, zahlreichen internationalen Verträgen und Konventionen sowie vielen anderen formellen und informellen Vereinbarungen und Instrumenten beruhte. Zusammengenommen beeinflussen diese Strukturen fast jeden Aspekt des Lebens in der Welt.

So stützt sich die LIO auf folgende Schlüsselelemente: Freihandel, freier Kapitalverkehr, demokratische Regierungsform, die auf der Trennung und Ausgewogenheit der verschiedenen Gewalten beruht, Engagement für die Menschenrechte, einschließlich verschiedener individueller bürgerlicher und politischer Rechte, und das Recht auf Eigentum. Die Befürworter nannten sich jeweils „Demokratien“, offensichtlich um die eigene Bevölkerung davon zu überzeugen, dass sie tatsächlich die Möglichkeit hat, Behörden zu wählen und durch gewählte Vertreter zu regieren.

Die LIO entstand im Zusammenhang mit dem Kalten Krieg. Daher wurde sie natürlich von der Sowjetunion und ihren Verbündeten in Frage gestellt. In der Tat stellte der Sowjetblock mit seinen alternativen Versionen der politischen und wirtschaftlichen internen Organisation eine Art vorübergehende Alternative zur westlich geführten Ordnung dar. Der Zusammenbruch des Blocks zu Beginn der 1990er Jahre und die Übernahme „liberaler“ Werte durch seine ehemaligen Mitglieder veranlasste einen sehr berühmten politischen Analysten, das „Ende der Geschichte“ auszurufen (gemeint ist der Politikwissenschafter Francis Fukuyama. Red.). Seiner Logik zufolge konnte es nach dem Sieg des Liberalismus über den Kommunismus keine Alternative mehr zur LIO geben, und folglich war die Geschichte, wie wir sie kannten, d. h. die Geschichte der Kriege, Rivalitäten und Konfrontationen, endlich vorbei.

Eine weitere ideologische Herausforderung für die LIO, wenn auch nur von kurzer Dauer, kam von den Entwicklungsländern inmitten des Kalten Krieges in den frühen 1970er Jahren. Die Entkolonialisierung der 1960er Jahre brachte viele neue Entwicklungsländer auf die Weltbühne, die sich in der LIO und insbesondere im Freihandel mit den westlichen Industriestaaten im Nachteil sahen.

Also stellten sich die Entwicklungsländer einer gemeinsamen Herausforderung. Ihre Initiative mit der Bezeichnung „Neue Internationale Wirtschaftsordnung“ (New International Economic Order) wurde im Schlussdokument des Gipfels der Blockfreien Bewegung 1973 formell festgehalten und 1974 als Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen unter demselben Titel angenommen. Das Programm sah Maßnahmen vor, die darauf abzielten, die bestehenden internationalen Wirtschaftsbeziehungen in einer Weise zu verändern, die für die Dritte Welt vorteilhafter wäre. Die Umsetzung der Initiative hing jedoch vom guten Willen des Westens ab, der sie ablehnte.

So hatte die LIO in den 1990er Jahren scheinbar alle vorübergehenden Herausforderungen überstanden und war so stark und widerstandsfähig geworden, wie sie nur sein konnte. Doch was ist nur wenige Jahrzehnte später schief gelaufen (aus historischer Sicht ja nur ein flüchtiger Moment)? Was führte dazu, dass sich der weltweite Diskurs über die LIO von strahlendem Optimismus in sauren Pessimismus verwandelte? Um diese Fragen zu beantworten, erscheint es sinnvoll, die LIO als solche näher zu betrachten und zu prüfen, ob sie einige inhärente Fehler aufweist, die ihr unvermeidliches Scheitern vorherbestimmt haben.

Markenzeichen und übergeordnetes Prinzip

Wenn Politikwissenschaftler sagen, die LIO sei nach 1945 entstanden, haben sie sowohl Recht als auch Unrecht. Sie haben Recht, wenn sie dieses Datum als den Beginn der praktischen Arbeit am Aufbau der mit der LIO verbundenen Strukturen bezeichnen. Sie liegen falsch, wenn sie nicht weiter in die Vergangenheit schauen, um Ereignisse und Entwicklungen zu finden, die die Entstehung der LIO in der Mitte des 20. Jahrhunderts ermöglichten.

In seinem Buch «World Order» (2014) behauptet der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger, es habe nie eine wirklich globale „Weltordnung“ gegeben und das, was in unserer Zeit als Ordnung gilt, sei vor fast vier Jahrhunderten in Westeuropa entwickelt worden. Kissinger zufolge wurde der Westfälische Friede von 1648, der auf einem System unabhängiger Staaten beruhte, die sich nicht in die inneren Angelegenheiten der anderen einmischten und die Ambitionen der anderen durch ein allgemeines Machtgleichgewicht kontrollierten, zum Markenzeichen eines neuen Systems internationaler Ordnung (Kissinger, 2014, S. 3).

Eine weitere wichtige Einsicht in den Ursprung der LIO lieferte der britische kritische Historiker Eric Hobsbawm in seinem bahnbrechenden Buch «The Age of Revolution» (1962), dem ersten einer Trilogie seiner Bücher über das „lange 19. Jahrhundert“. Eric Hobsbawm entwickelte den Begriff der Doppelrevolution, womit er die britische industrielle Revolution, die Ende des 18. Jahrhunderts stattfand, und die französische Revolution von 1789 meinte.

Hobsbawm zufolge setzte die Industrielle Revolution um 1780 ein und dauerte zwanzig Jahre, wobei das revolutionäre Tempo der wirtschaftlichen Entwicklung seitdem zur Norm wurde. Die Französische Revolution, die von den Idealen der Aufklärungsphilosophie inspiriert war, setzte die Verbreitung von Ideen wie Demokratie, Nationalismus und Liberalismus in Gang. In der Tat wurde der Liberalismus in der Zeit nach der Französischen Revolution zu einer dominierenden Bewegung. Die Liberalen glaubten an die Pressefreiheit, die Redefreiheit, die Bürgerrechte, faire Wahlen, die Religionsfreiheit und das Privateigentum. So bezeichnete Hobsbawm die Industrielle Revolution als eine wirtschaftliche Revolution, während die Französische Revolution als politische Revolution angesehen wurde. Zusammengenommen bilden sie die „doppelte Revolution“.

Es ist nicht schwer zu erkennen, dass die Schlüsselelemente der heutigen LIO – Liberalismus, Freihandel und Demokratie – aus der doppelten Revolution an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert stammen. Wenn also der Westfälische Friede von 1648 das Markenzeichen der LIO war, kann die «Doppelte Revolution» sicherlich als ihr übergeordnetes Prinzip und ihr Wegbereiter angesehen werden.

Die «Doppelte Revolution» hat sich schließlich zur LIO entwickelt. Aber der Weg der «Doppelten Revolution» zum Ziel der «Liberalen Internationalen Ordnung» LIO war nicht eben und einfach. Während die wirtschaftliche Schiene der «Doppelten Revolution» von den Eliten der damals führenden Staaten begrüßt wurde, geriet ihre politische Schiene unter Beschuss durch den Konservatismus, der mit der 1815 von Österreich, Preußen und Russland geschmiedeten Heiligen Allianz verbunden war, um die Ideen des Liberalismus, des Nationalismus und der Demokratie auf dem europäischen Kontinent zu bekämpfen.

Auf politischer Ebene hatte die «Doppelte Revolution» erst nach dem Ersten Weltkrieg eine Chance, als US-Präsident Woodrow Wilson versuchte, sein Versprechen einzulösen, „die Welt sicher für die Demokratie zu machen“, das er abgegeben hatte, um den Kriegseintritt der USA zu rechtfertigen. Die Bemühungen schlugen jedoch fehl, nicht zuletzt, weil es Wilson nicht gelang, im eigenen Land Unterstützung für seine globale „demokratische“ Nachkriegsagenda zu gewinnen.

Was die Wirtschaft betrifft, so war die Bilanz der «Doppelten Revolution» bis vor einigen Jahrzehnten eher gemischt. Einerseits hat die industrielle Revolution sicherlich den menschlichen Fortschritt gefördert, da sie der Menschheit dank des Freihandels und einer beschleunigten wirtschaftlichen Entwicklung im Inland half, aus der so genannten Malthusianischen Falle auszubrechen. Andererseits brachte sie auch zwei negative Entwicklungen mit sich. Auf internationaler Ebene führte sie zu einem Freihandelsregime, das die Industrienationen gegenüber den rückständigen Gesellschaften begünstigte, während sie auf nationaler Ebene zu großer sozialer Unzufriedenheit führte, da die Reichen versuchten, den Armen so viel wie möglich wegzunehmen, um in die weitere wirtschaftliche Expansion zu investieren. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass die kommunistische Ideologie in Europa genau als Reaktion auf den letztgenannten Trend entstanden ist.

Es ist rätselhaft, warum Meinungsforschungsexperten, die sich mit der LIO befassen, diese eindeutige Doppelnatur nicht erkennen, zumal das Problem der LIO, wie weiter unten gezeigt wird, genau in ihrer Doppelnatur liegt.

Entwicklung

Wie bereits erwähnt, war die LIO im 20. Jahrhundert in der Lage, zwei ideologischen Herausforderungen zu widerstehen, die vom sozialistischen Lager bzw. der Dritten Welt ausgingen. Doch die LIO ist nicht unversehrt geblieben, sondern hat sich weiterentwickelt. Eine wichtige Entwicklung fand auf wirtschaftlicher und eine andere auf politischer Ebene statt. Beide veränderten die LIO in einer Weise, die sie gleichzeitig „humaner“ und auch „aggressiver“ machte.

Die wichtigste Entwicklung, die in den 1970er Jahren an der wirtschaftlichen Front begann, war positiver Natur, da sie die LIO „humaner“ machte. Diese Entwicklung war das so genannte „Outsourcing“ – die Verlagerung der Produktion vom Westen in die Entwicklungsländer. Die wirtschaftliche Logik liegt hier auf der Hand: Durch die „Verlagerung“ ihrer Produktion ins Ausland senken transnationale Konzerne (TNK) die Produktionskosten aufgrund billigerer Arbeitskräfte in den Entwicklungsländern und steigern ihre Gewinne, während ausländische Direktinvestitionen in den aufnehmenden Entwicklungsländern diese in die Lage versetzen, exportorientierte Volkswirtschaften aufzubauen und so einen Entwicklungssprung zu machen.

China steht hier als die größte Erfolgsgeschichte. Dank seiner wirtschaftlichen Offenheit und seiner Bereitschaft zum freien Handel konnte China ausländische Direktinvestitionen anziehen und durch sein exportorientiertes Wachstum eine beispiellose wirtschaftliche Entwicklung erreichen, die Hunderte Millionen Menschen aus der Armut befreit und das Land zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt gemacht hat. Experten sind sich einig in ihrer Einschätzung, dass China bald wieder den Titel der größten Volkswirtschaft der Welt erlangen wird, den es vor der industriellen Revolution jahrhundertelang innehatte. Viele andere Entwicklungsländer, vor allem in Ostasien, treten in Chinas Fußstapfen.

Diese positive Entwicklung bedeutet nicht, dass die LIO in wirtschaftlicher Hinsicht völlig „human“ geworden ist. Für die am wenigsten entwickelten Länder, die von der Globalisierung „abgekoppelt“ sind, bleibt eine beträchtliche „nicht integrierte Lücke“ bestehen (Barnett und Gaffney, 2003). Aus verschiedenen Gründen sind diese Länder nach wie vor in hohem Maße von der öffentlichen Entwicklungshilfe und anderen Formen der internationalen Hilfe abhängig.

Wie geht es also den „Autokratien“ in diesem veränderten globalen Wirtschaftsumfeld? Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass sie im Allgemeinen vom wirtschaftlichen Arm der LIO profitieren. Dies wird durch die Tatsache bestätigt, dass sie alle wollen, dass der Westen seine Wirtschaftssanktionen aufhebt, wenn diese gegen „Autokratien“ verhängt werden, denn Sanktionen schränken die Möglichkeiten für Vorteile ein, die sich aus dem freien Handel und dem freien Kapitalverkehr ergeben.

Darüber hinaus profitieren alle „Autokratien“ vom Zugang zu den Verbrauchermärkten in den „demokratischen“ Ländern und vom Technologietransfer aus den „Demokratien“, der größtenteils von den im Westen ansässigen transnationalen Unternehmen im Rahmen des Outsourcing durchgeführt wird. Darüber hinaus streben alle „Autokratien“ die Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation (WTO) an, um die Vorteile des Freihandels voll ausschöpfen zu können. Im Allgemeinen scheinen die „Autokratien“ also stark in die wirtschaftlichen Prozesse und Strukturen der LIO integriert zu sein und streben eine noch stärkere Integration an.

Diese Tatsachen lassen den Schluss zu, dass die „Autokratien“ keine ernsthaften Probleme mit der LIO auf wirtschaftlichem Gebiet haben, d.h. mit dem freien Handel und dem freien Kapitalverkehr. Daher scheinen die „Autokratien“ gegenwärtig nicht daran interessiert zu sein, den „wirtschaftlichen“ Status quo durch die Schaffung einer neuen Wirtschaftsordnung zu ändern; zumindest wäre eine Einigkeit über eine solche Initiative unter ihnen derzeit unwahrscheinlich.

Dennoch haben die „Autokratien“ einen „Vorbehalt“ in diesem wirtschaftlichen Bereich. Ein solcher Zustand in der Wirtschaft ist für die „Autokratien“ auf internationaler Ebene akzeptabel, sofern sie im Inland ihre eigene Wirtschaftspolitik unter stärkerer staatlicher Kontrolle verfolgen können. Dieses Phänomen, das als „staatlich gelenkter Kapitalismus“ bezeichnet wird, wird in vielen „autokratischen“ Ländern erfolgreich praktiziert. In der Tat haben „Autokratien“ guten Grund, eine solche Haltung einzunehmen, da sie sich gut daran erinnern, dass das Fehlen solcher Kontrollen und die Unterordnung unter den vom Westen geführten Washingtoner Konsens eine hoch akute Finanz- und Wirtschaftskrise in Südostasien 1997-1998 und in Russland 1998 auslöste.

Die „Autokratien“ haben jedoch ein Problem mit der LIO auf der politischen Schiene, da der Westen versucht, dem Rest der Welt seine spezifische politische Regierungsform, d.h. die „Demokratie“, aufzuzwingen. Warum ist das so? Dieser Trend wird am überzeugendsten von der liberalen Schule der Theorien der internationalen Beziehungen durch das Konzept des Demokratischen Friedens erklärt.

Die liberale Theorieschule geht davon aus, dass die internationalen Beziehungen von den Absichten der Staaten und nicht von ihren Fähigkeiten bestimmt werden. Mit anderen Worten: Wenn einige Länder gute Absichten gegenüber anderen Ländern haben, besteht für sie keine Notwendigkeit, ihre militärischen Fähigkeiten auszubauen und Kriege zu führen. Aber wie kann man eine Situation erreichen, in der alle Länder nur gute Absichten gegenüber den anderen haben? Offensichtlich, indem man sie alle gleich macht. Aus dieser Überzeugung heraus entstand die Theorie des Demokratischen Friedens – die Ansicht, dass „Demokratien“ keine Kriege gegeneinander führen, weil „demokratische“ Regierungen im Gegensatz zu „autokratischen“ Regierungen ihrer Bevölkerung gegenüber rechenschaftspflichtig sind und daher keine feindlichen Absichten gegen andere demokratische Staaten hegen können.

Dieses Konzept geht auf Immanuel Kant zurück, der in seinem Werk „Ewiger Friede“ (1797) die Ansicht vertrat, dass Staaten mit einer republikanischen Regierungsform dem Frieden untereinander eher förderlich sind als mit anderen Ländern. Das Rezept zur Überwindung der Zwänge der internationalen Anarchie bestand demnach darin, alle Länder des Systems in ihrer inneren Struktur ähnlich zu machen, d. h. sie alle republikanisch zu gestalten. Die Verwirklichung dieses Ziels würde die Anhäufung von Macht im Innern und das internationale Gleichgewicht in einer von gleichgesinnten Ländern bewohnten Welt irrelevant und unnötig machen. Auf diese Weise würde schließlich ewiger Frieden in der Welt eintreten.

Zur Zeit Kants wurde die republikanische Staatsform mit sozialem Fortschritt assoziiert, im Gegensatz zu „reaktionären“ Monarchien, die angeblich den Fortschritt der Menschheit aufhielten. Da sich heute die republikanische Staatsform durchsetzt und sowohl „liberale“ als auch „autokratische“ Staaten umfasst, haben die Liberalen das Wort „republikanisch“ in Kants Theorie durch „demokratisch“ ersetzt und damit eine modifizierte Handlungsanleitung für die westliche Politik geschaffen.

Der wichtigste Punkt in der Theorie des Demokratischen Friedens ist, dass „Demokratien keine Kriege gegen andere ‚Demokratien‘ führen, aber es steht ihnen frei, ‚Despoten‘, ‚Tyrannen‘ und ‚Autokraten‘ zu bekämpfen“. Genau so erklärt die Theorie die Kriege des revolutionären Frankreichs gegen die europäischen Monarchien im späten 18. Jahrhundert – als Kriege, die von einem „republikanischen“ („demokratischen“) Land gegen „böse“ Mächte geführt wurden.

Die meiste Zeit seit seiner Entstehung wurde der Demokratische Frieden von anderen globalen Kräften eingedämmt, zum Beispiel vom europäischen Konservatismus im 19. und von der Sowjetunion im 20. Jahrhundert. Bis in die 1990er Jahre hatte er keine Chance, zu einem dominierenden globalen Trend zu werden, weil es keinen hegemonialen „republikanischen“ oder „demokratischen“ Staat in der Welt gab, der fest hinter ihm stand.

„Hegemonie“ wird in diesem Zusammenhang in dem Sinne verwendet, den der italienische politische Denker Antonio Gramsci in den 1920-1930er Jahren entwickelt hat: Er meint nicht die militärische oder wirtschaftliche Dominanz eines Landes über andere, sondern spiegelt vielmehr die Tatsache wider, dass alle Teilnehmer des Systems die Führung, die Autorität und die damit verbundenen Machtstrukturen eines anderen bereitwillig akzeptieren und sie als etabliert, natürlich und legitim ansehen (siehe Cox, 2010).

In den frühen 1990er Jahren wurden die USA zu einer Hegemonialmacht. Als solche hätten sie ihren Status und ihre Macht klüger nutzen können, um die LIO in einer Weise zu gestalten und zu stärken, die allen Teilnehmern am System der internationalen Beziehungen zugute gekommen wäre, wodurch die Dauerhaftigkeit und Nachhaltigkeit der LIO gewährleistet worden wäre.

Denn was war die von den USA vorangetriebene NATO-Erweiterung anderes als der Beweis für die Lebensfähigkeit der Theorie des Demokratischen Friedens? Nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes gab es keinen Grund mehr für seine weitere Existenz. Doch trotz des Fehlens jeglicher Bedrohung begann das Bündnis unter verschiedenen weit hergeholten Vorwänden zu expandieren, neue „Demokratien“ in seine Reihen aufzunehmen und anderen Ländern in der Welt diese Regierungsform gewaltsam – unter Verletzung des Völkerrechts – aufzuzwingen.

Was waren die so genannten „farbigen Revolutionen“, die vom Westen angeregt und unterstützt wurden, um in anderen Ländern, vor allem in den ehemaligen Sowjetrepubliken, „Demokratie“ einzuführen, wenn nicht die praktische Umsetzung der Theorie des Demokratischen Friedens? Darüber hinaus sind die unrechtmäßigen einseitigen Zwangsmaßnahmen, die die „Demokratien“ der Welt immer wieder gegen die „Autokratien“ ergreifen, um deren Nutzen aus der wirtschaftlichen Komponente der LIO zu begrenzen, ebenfalls Teil ihrer Bemühungen, die Idee des Demokratischen Friedens zu fördern. 


Natürlich wehren sich die „Autokratien“ gegen Versuche, ihnen den „Demokratischen Frieden“ aufzuzwingen, und zwar aus dem einfachen Grund, dass eine interne Regierungsform in einem Land nicht von außen aufgezwungen werden kann. Die innere Form eines jeden Staates ist ein komplexes „historisches Konstrukt“: Seine Entwicklung wurde durch eine Reihe von ultimativen und zentralen Faktoren wie Geographie, Religion, Kultur und die Geschichte der Beziehungen zu den Nachbarländern beeinflusst. Diese Faktoren bestimmen historisch die Art der Zentralisierung oder Dezentralisierung der Macht in jedem Staat und das Ausmaß, in dem die Exekutive mit anderen Gewalten zusammenarbeitet.

Die „Autokratien“, denen großes Verdienst zukommt, verstehen diesen komplexen historischen Prozess und versuchen nicht, ihre zentralisierte und „autokratische“ Lebensweise den westlichen Gesellschaften aufzuzwingen, die auf dem evolutionären Weg der inneren Entwicklung zu einer dezentralisierten Regierungsform und einem System der gegenseitigen Kontrolle in der Regierung gelangt sind.

Es ist nicht verwunderlich, dass die Auferlegung von Regierungsformen, die einem bestimmten Staat fremd sind, zu innerem Chaos führt und diesen Staat praktisch zerstört und gleichzeitig einen negativen „Spill-over-Effekt“ in der gesamten Region auslöst. Entwicklungen dieser Art gab es im Zusammenhang mit dem so genannten Arabischen Frühling im Nahen Osten und in Nordafrika.

So dient die politische Schiene der LIO dazu, die LIO selbst zu untergraben und zu diskreditieren und Ideen über die Schaffung einer neuen globalen Ordnung zu wecken.

Eine neue Ordnung?

Man kann den allgemeinen Pessimismus über die Aussichten der LIO nur teilen. Doch die Ursache für diesen Pessimismus wurde im laufenden globalen Diskurs nicht richtig erkannt. Das Problem mit der LIO besteht nicht darin, dass bestimmte Ereignisse wie der Brexit, die Wahl Trumps oder die militärische Operation Russlands in der Ukraine die LIO „untergraben“. Dies sind alles vorübergehende Ereignisse, sie kommen und gehen.

Das Problem mit der LIO ist eher struktureller Natur. Die Geschichte zeigt, dass Weltordnungen (oder eher regionale Ordnungen, wenn man sie aus der historischen Perspektive betrachtet) gedeihen, wenn sie von hegemonialen Staaten gestützt werden. Die moderne Welt befand sich in ihrer hegemonialen Phase ungefähr vom „Fall der Berliner Mauer 1989 bis zum Fall von Lehman Brothers 2007“, wie es der amerikanische Ökonom Joseph Stiglitz formulierte (2010).

Es war in der Tat eine Ära des amerikanischen Triumphalismus, der „unipolare Moment“. Dieser Moment ging politisch mit der imperialen Überforderung der USA im Irak, in Afghanistan und anderswo zu Ende, während er wirtschaftlich durch die globale Wirtschafts- und Finanzkrise beendet wurde, die durch den in den USA herrschenden „Marktfundamentalismus“ ausgelöst wurde.

Die Geschichte zeigt, dass nicht-hegemoniale Perioden von regionalen oder, seltener, ideologischen Ordnungen beherrscht wurden. Ist Regionalismus (oder Ideologie) eine Option für die Welt von heute? Es ist sicherlich eine sehr praktikable Option.

In erster Linie ist es viel einfacher, auf regionaler Ebene eine wirksame Zusammenarbeit zu erreichen als auf globaler Ebene, da die Regionen kohärentere politische, wirtschaftliche und kulturelle Einheiten darstellen als ein globales Gemeinwesen. In jeder Region gibt es eindeutig einige Hegemonen im gramscianischen Sinne, die in der Lage sind, die regionale Ordnung zu gestalten. Außerdem scheinen die politischen Hauptströmungen in allen Regionen eine solche Entwicklung zu unterstützen. So hat beispielsweise der russische Präsident Wladimir Putin vor einigen Jahren die Idee einer großen eurasischen Partnerschaft geäußert, mit der eine stärkere Zusammenarbeit und Integration in diesem Teil der Welt angestrebt wird.

Es ist also durchaus möglich, eine Weltordnung zu entwickeln, die durch regionale Ordnungen repräsentiert und realisiert wird, die durch eine effektive Zusammenarbeit miteinander verbunden sind.

Die Debatte im Westen spricht jedoch meist für die Rettung der derzeitigen LIO. Sehr aufschlussreich in dieser Hinsicht war ein Artikel mit dem Titel „Last Best Hope: The West’s Final Chance to Build a Better World Order“, der kürzlich in «Foreign Affairs» erschien (Daadler und Lindsay, 2022).

In Anlehnung an die Rede von US-Präsident Biden im März 2022, in der er sagte, dass „der Westen jetzt vor einem Kampf zwischen Demokratie und Autokratie, zwischen Freiheit und Unterdrückung, zwischen einer auf Regeln basierenden Ordnung und einer, die von roher Gewalt beherrscht wird, steht“, kamen die Autoren auf die Idee, eine G12 zu gründen, um den Westen zu konsolidieren. Sie argumentieren, dass die neue Gruppe keine lose Ad-hoc-Organisation wie die G7 sein sollte, sondern vielmehr ein effektiver Mechanismus, um „den russischen Revanchismus zu vereiteln und mit China zu konkurrieren“. Sie sehen ihre Idee als die letzte Hoffnung, die LIO zu retten.

Was diese Autoren vorschlagen, ist nicht das, was ihnen tatsächlich vorschwebt; vielmehr schlagen sie die Stärkung einer regionalen euro-atlantischen oder, wie man es alternativ nennen könnte, einer ideologischen „demokratischen“ Ordnung vor. Das Mittel, das sie vorschlagen – mehr „Demokratie“ für die Welt – würde sicherlich nicht dazu führen, die LIO als internationales Arrangement zu retten, was sie als Ziel formulieren. Im Gegenteil, wenn diese Idee verwirklicht würde, würde sie den letzten Nagel in den Sarg der LIO schlagen, denn die Konsolidierung des Westens würde andere nur dazu zwingen, das Tempo ihrer eigenen regionalen oder ideologischen Konsolidierung zu beschleunigen.

Infolgedessen würde sich die bestehende Kluft zwischen dem „demokratischen“ und dem „autokratischen“ Lager nur noch vertiefen. Die regionalen oder ideologischen Ordnungen, die sich in diesem Szenario herausbilden würden, wären eher in Rivalität als in Kooperation miteinander verwickelt.

Die LIO als Gesamtphänomen kann schon deshalb nicht gerettet werden, weil sie der Vielfalt der Welt nicht gerecht wird. „Liberalismus“ und „Demokratie“ sind in der Tat in vielen Ländern seit langem etablierte Regierungspraktiken. Dennoch sind sie nicht überall eine allgemein akzeptierte Regierungsform, sondern nur einige unter anderen.

Dennoch ist es möglich, ihre nützlichen Bestandteile zu bewahren und sie in eine neue Ordnung einzubauen. Wie in diesem Artikel gezeigt wurde, ist die wirtschaftliche Komponente der LIO zwar nicht perfekt, aber für die überwiegende Mehrheit der Länder in der Welt von großem Vorteil gewesen. Die Schlüsselelemente des Freihandels und des freien Kapitalverkehrs kommen den meisten Ländern, die sie anwenden, immer noch zugute.

Ist es überhaupt möglich, eine neue, wirklich globale Weltordnung zu schaffen? Hypothetisch schon. Praktisch kann das Ergebnis nicht vorherbestimmt werden, da eine solche Ordnung ohne einen globalen Hegemon, der den Prozess „steuern“ könnte, aufgebaut werden müsste. Diese Bemühungen würden also voraussetzen, dass sich alle Parteien einig sind, was eine schwierige Aufgabe ist.

Ein Ausgangspunkt für Überlegungen zu dieser Möglichkeit könnte die von Henry Kissinger in seinem Buch «World Order» vertretene Position sein: „[Welt-]Ordnung muss kultiviert werden, sie kann nicht aufgezwungen werden. Dies gilt insbesondere in einem Zeitalter der sofortigen Kommunikation und des revolutionären politischen Wandels. Jedes System der Weltordnung muss, um nachhaltig zu sein, als gerecht akzeptiert werden, nicht nur von den Führern, sondern auch von den Bürgern.“ (Kissinger, 2014, S. 8).

In der Tat muss eine neue Weltordnung kultiviert werden. Sind alle Länder der Welt und ihre Bürger heute bereit, eine neue Ordnung aufzubauen, indem sie diesen „kultivierenden“ Ansatz übernehmen? Das ist sehr zweifelhaft. Damit dies geschehen kann, muss eine Revolution in den Köpfen des politischen Mainstreams des Westens stattfinden.

Zuallererst sollten sich die „demokratischen“ Eiferer im Westen die folgende Frage stellen: Wenn der Hegemon schon während seiner fast zwei Jahrzehnte andauernden, allgemein akzeptierten globalen Vorherrschaft nicht in der Lage war, seinen Willen durchzusetzen, wie kann er dann hoffen, seinen Willen jetzt durchzusetzen, wo die globale Konjunktur für den Post-Hegemon viel schlechter ist?

Wenn sie die ehrliche Antwort geben, dass sie nicht darauf hoffen können und sollten, wäre der nächste logische Schritt, die mit der Theorie des Demokratischen Friedens verbundenen Praktiken aufzugeben. In der Tat hat kein einziges Land jemals die Macht, die Führungsstärke, die Widerstandsfähigkeit, den Glauben und die Dynamik gehabt, seinen Willen dauerhaft in der ganzen Welt durchzusetzen. Niemand wird dies jemals tun, insbesondere nicht im Rahmen einer globalen Nichthegemonie. Die Welt ist ein sehr vielfältiger Ort; daher muss eine internationale Ordnung diese Vielfalt widerspiegeln, wenn sie von allen akzeptiert werden soll.

In diesem Sinne möchte ich einen praktischen Schritt vorschlagen, nämlich die Ausarbeitung einer Charta für die Vielfalt der Welt im 21. Jahrhundert durch die Vereinten Nationen, in der alle Mitgliedstaaten gemeinsam einige Schlüsselprinzipien für die Regelung des internationalen Lebens in einer nicht-hegemonialen und sehr vielfältigen Welt festlegen könnten. Ein Bekenntnis zu dieser Idee würde zeigen, dass wir alle es vorziehen, eine neue internationale Ordnung auf der Grundlage der bestehenden Realitäten aufzubauen, anstatt Wunschdenken zu pflegen.

Es scheint lohnenswert, diesen Artikel mit den Worten Immanuel Kants zu beschließen, dessen intellektuelle Einsicht die liberale Theorie des Demokratischen Friedens als Weg zum immerwährenden Frieden hervorbrachte, in der Hoffnung, dass seine Bewunderer im Westen auch seine anderen wirklich lehrreichen Worte inspirierend finden werden: „Der ewige Friede wird schließlich auf eine von zwei Arten in die Welt kommen: durch menschliche Einsicht oder durch Konflikte und Katastrophen von einem Ausmaß, das der Menschheit keine andere Wahl lässt“ (zitiert nach Kissinger, 2011, S. 530).

Es ist noch nicht zu spät, menschliche Einsicht zu zeigen.

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Dieser Artikel von Vladimir Makei erschien zuerst auf «RUSSIA IN GLOBAL AFFAIRS» in englischer Sprache. Chefredakteur Fyodor Lukyanov bewilligte die Übernahme auf Globalbridge.ch. Die Übersetzung ins Deutsche besorgte Christian Müller.


Info: https://globalbridge.ch/vladimir-makei-der-weissrussische-aussenminister-wusste-wovon-er-sprach


unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

03.12.2022

"Wir brauchen eine Nato ohne die USA"

seniora.org, 03. Dezember 2022 Florian Rötzer Interview mit Oskar Lafontaine - übernommen von Heise.de, 03. Dezember 2022

Oskar Lafontaine über das nordatlantische Bündnis, den Ukraine-Krieg, eine idiotische Logik in den Medien und eine "faschistoide Stimmung".


Der ehemalige Kanzlerkandidat und Finanzminister der SPD, später dann berühmter Aussteiger bei den Sozialdemokraten und führender Vertreter der Linken, Oskar Lafontaine, dürfte das umstrittenste Buch dieses Winters geschrieben haben.


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Schon der Titel "Ami, it’s time to go!" legt sich quer zum üblichen politischen Ton, wie er im politischen Räsonnement, in Kommentaren und Berichten in einem Milieu angeschlagen wird, das sich als maßgebend versteht. Dass Lafontaine sehr eigene Ansichten hat, gerade gegenüber westlichen Leitideen, ist an sich nichts Neues, aber gegenwärtig ist die politische Situation durch den Ukraine-Krieg, die wirtschaftliche Situation und die Kämpfe in den politischen Lagern besonders angespannt


Dazu kommt, dass seit einiger Zeit die Idee kursiert, dass eine neue Partei gegründet wird, mit Sahra Wagenknecht, der Ehefrau von Lafontaine, als mögliche große Figur. Da eine Zeitschrift der extremen Rechten Wagenknecht aufs Cover gebracht hat, setzt die Querfront-Debatte mit neuer Vehemenz ein.


Florian Rötzer hat sich mit Oskar Lafontaine über sein provokantes Buch und politische Entwicklungen unterhalten.


"Der Lafontaine ist antiamerikanisch"?

Sie haben gerade ein neues Buch mit dem sehr provokativen Titel Ami it's time to go! veröffentlicht. Das schließt natürlich an die Zeiten der 70er-Jahre an, wo das im Rahmen des Vietnamkrieges zum Slogan wurde. Fürchten Sie nicht, dass das jetzt gleich in die Schiene kommt: "Der Lafontaine ist antiamerikanisch", womit man Ihre Gedanken beiseitelegen kann?


Oskar Lafontaine: Ja, das ist der normale Reflex, dennoch muss man immer wieder versuchen, eine Debatte über vernünftige Sicherheitspolitik in Deutschland zu führen. Ich vertrete die Kernthese, dass eine Weltmacht, die die einzige Weltmacht bleiben will und deshalb Handelskriege, verdeckte Kriege, Drohnen- und Bombenkriege führt, niemals ein Verteidigungsbündnis anführen kann.


Deshalb sage ich, wir brauchen eine Nato ohne die USA, eine selbständige europäische Verteidigung. Wohin die USA uns führen, sieht man am Ukrainekrieg, der in Wirklichkeit eine Auseinandersetzung zwischen den USA und Russland ist, was alle wissen, die noch nicht völlig von falschen Erzählungen vergiftet und in die Irre geführt worden sind.


"Wer seinem Gegner das Messer an den Hals setzt, betreibt keine Friedenspolitik"

Lassen wir mal die Vorgeschichte des Ukrainekrieges weg, so sagen viele Regierungen, dass man nun die Gefahr, die von Russland ausgeht, sieht. Russland würde auch weitergehen, um seine Einflusszonen zu vergrößern. Deswegen sei die Schutzmacht USA jetzt umso wichtiger, um das abzuwehren.


Oskar Lafontaine: Das ist der klassische Fall, in dem die Wahrheit auf den Kopf gestellt wird. Die USA haben entgegen dem Rat vieler US-Politiker die Nato an die Grenze Russlands geschoben. Jetzt stehen deutsche und US-Truppen an der russischen Grenze.


Das konnte man sich vor einiger Zeit nicht vorstellen. Dazu kommt, dass Raketenbasen in der Nähe der russischen Grenze und bald an der russischen Grenze stehen, deren Raketen eine Flugzeit von fünf Minuten oder weniger nach Moskau haben.


Raketen ohne Vorwarnzeiten sind das Messer am Hals des Gegners. Wer seinem Gegner das Messer an den Hals setzt, betreibt keine Friedenspolitik. Ich möchte, dass sich das in Deutschland herumspricht und dass man über die Fehler nachdenkt, die auch Deutschland macht.

Die Bundesregierung hat verkündet, Deutschland solle auch militärisch eine Führungsmacht werden. Man geht also mit dem großen Wumms von Scholz auch in die Rüstungspolitik hinein und versucht, die Bundeswehr aufzustocken. Es ist aber offenbar nicht so ganz klar, wie weit die Integration in die Nato gehen oder ob ein europäisches Verteidigungsbündnis entstehen soll. Sie plädieren ja, wenn ich es richtig verstanden habe, für ein europäisches Verteidigungsbündnis, das sich von der Nato loslöst.


Oskar Lafontaine: Besser von den USA, weil es in die Irre führt, wenn man hier von der Nato spricht. Viele glauben nämlich, die Nato garantiere unsere Sicherheit. Man muss aber wissen, die Nato ist die USA oder die USA sind die Nato. Und wenn die Nato irgendetwas machen will, braucht sie die Zustimmung der USA.

Die USA haben das Sagen und entscheiden allein, was passiert, das geht bis dahin, dass sie bei wichtigen Dingen die Bündnispartner überhaupt nicht fragen. Sie gehen sogar so weit, dass sie ohne Rücksicht auf ihre Verbündeten - Stichwort Nord Stream 2 - eine zentrale Versorgungsleitung Europas sprengen.


Das waren die USA oder sie haben den Auftrag dazu gegeben oder zumindest gesagt, macht das, wir sind einverstanden. Das zeigt, in welch verheerendem Zustand sich die Nato befindet.


Ukraine-Krieg: "Die Entscheidung liegt bei den USA"

Sie sagen, man braucht eine Friedenslösung und muss diesen Krieg in der Ukraine unterbrechen. Wie stellen Sie sich denn das vor? Russland wird sicher im Augenblick den Krieg nicht stoppen. Und bei der Ukraine hat sich Selenskyj auch in eine Situation gebracht, aus der er nicht heraus kann. Wie soll oder könnte eine Friedenlösung denn funktionieren?


Oskar Lafontaine: Selenskyj ist zwar nach der Meinung vieler eine entscheidende Figur auf dem Schachbrett, aber das ist er nicht. Letztendlich hat er nichts zu sagen, um das in aller Deutlichkeit einmal anzusprechen. Was in der Ukraine passiert, entscheiden ebenfalls die USA, niemand sonst. Deshalb kann es nur einen Frieden geben, der von den USA und Russland ausgehandelt wird.


Die USA finanzieren ja überwiegend den Krieg in der Ukraine. Sie haben seit vielen Jahren Waffen geliefert, sie finanzieren das System. Wenn die USA sagen, in diese Richtung geht es, dann müssen die Ukrainer folgen, ob sie wollen oder nicht.


Natürlich gibt es auch immer wieder Versuche auszubüchsen, wie man jetzt gesehen hat, als eine sogenannte Abwehrrakete in Polen gelandet ist und einige sogar den Verdacht geäußert haben, dass die Ukrainer bewusst diese Raketen nach Polen geschossen haben, um die Nato in den Krieg zu ziehen. Solche Bestrebungen gibt es bei Selenskyj und seiner Entourage wie kürzlich auch die FAZ festgestellt hat.


Aber die Entscheidung liegt bei den USA, das ist gar keine Frage. Dass es Bemühungen gab, den Frieden zu finden, hat Istanbul gezeigt. Darüber wird diskutiert, auch in den Vereinigten Staaten.

Aber dann hat Boris Johnson im Auftrag der USA gesagt, Selenskyj, du darfst keinen Frieden schließen, weil die US-Regierung überzeugt ist, es müsse so lange gekämpft werden, bis Russland am Boden liegt und keinen Krieg mehr führen kann.


Das hat der Kriegsminister der USA, der fälschlicherweise Verteidigungsminister heißt, gesagt. Mit dieser Haltung kann es natürlich keinen Frieden geben. Sie ist aber auch unglaublich zynisch, weil vergessen wird, dass damit jeden Tag Menschen auf den Schlachtfeldern der Ukraine sterben.

Es sterben Ukrainer und es sterben Russen. Beides muss man sehen. Und wenn man Menschenleben retten will, dann muss man morgen mit dem Waffenstillstand beginnen.


"Plädoyer für die Selbstbehauptung Europas"

Sie reden jetzt von einem "Plädoyer für die Selbstbehauptung Europas". Und Sie schlagen vor, dass Deutschland und Frankreich zum Kern des Europas werden können, das sich von den USA ablöst. Wenn wir aber auf Europa schauen, dann ist die Anbindung der östlichen Staaten, also der baltischen Staaten, Polen, Rumänien usw., an die USA sehr viel stärker ausgeprägt als im Westen Europas. Sehen Sie denn überhaupt eine Chance, die EU zusammenzuhalten, wenn man so etwas anstreben würde?


Oskar Lafontaine: Es ist richtig beobachtet, was Sie in Ihrer Frage zum Ausdruck bringen. Deshalb sage ich auch, dass Frankreich und Deutschland die Dinge in die Hand nehmen müssen. Die baltischen Staaten sind beispielsweise aufgrund ihrer speziellen Geschichte und Situation ganz vorn dabei, wenn es darum geht, das Feindbild zu verstärken und zum Krieg zu hetzen.


Ich muss das so deutlich sagen. Auch die Polen sind aufgrund ihrer Geschichte immer bereit, Russland als Feindbild zu sehen. Das führt aber zu nichts. Wir haben doch ein gelungenes Experiment. Das war die Entspannungspolitik Willy Brandts. In dieser Zeit gab es keinen Krieg in Europa.


Als man aufhörte, gab es den Jugoslawienkrieg und jetzt den Ukrainekrieg. Jetzt haben wir nicht Entspannungspolitik, sondern Spannungspolitik. Man setzt auf Eskalation.


"Man soll die Rechten nicht zum Richter über das machen, was richtig oder falsch ist"

Sie wissen ja wahrscheinlich auch, dass am Wochenende in Leipzig eine von rechten Kreisen organisierte Demonstration stattfand, mit Compact im Hintergrund, bei der Ihr Leitspruch "Ami go home" als Slogan verwendet wurde. Compact spricht davon, dass die USA der "Hauptfeind Deutschlands" und ein "Besatzungsregime" seien. Würden Sie denn die Nähe zu diesen rechtsnationalen Kreisen begrüßen? Dort wird auch Sahra Wagenknecht zur Galionsfigur für die neue Kanzlerin. Man versucht also, Anschluss an Ihre Positionen zu finden. Wie sehen Sie das?


Oskar Lafontaine: Da kann ich nur an Enzensberger erinnern, der jetzt gerade gestorben ist und einmal gesagt hat: "Die Angst vor dem Beifall von der falschen Seite ist ein Charakteristikum totalitären Denkens." Das heißt also, man kann sich nicht davon abhängig machen, was irgendwelche rechten Grüppchen oder Magazine schreiben.


Und insofern muss man auch über die Rolle der Vereinigten Staaten nachdenken können, ohne Artikel in rechten Magazinen zu berücksichtigen. Der Spruch "Ami go home" stammt ja aus der Bewegung gegen den Vietnamkrieg, und das war ja wohl keine rechte Bewegung.


In den Medien gibt es eine idiotische Logik. Wenn die AfD sagt, wir brauchen gute Beziehungen zu Russland, dann ist derjenige, der das auch sagt, rechts. Nach dieser Logik, die sich leider auch in der Politik ausgebreitet hat, wäre Willy Brandt heute ein Rechter. Wir leben mittlerweile im Irrenhaus, was die Debatte angeht.


Wie kann man denn das für sich selber auseinanderhalten? Einfach weitermachen oder dazu Stellung nehmen?


Oskar Lafontaine: Nein, man soll die Rechten nicht zum Richter über das machen, was richtig oder falsch ist. Dann müsste man jeden Tag versuchen, sich in irgendeiner Form abzugrenzen. Ich halte die eifrigen Journalisten und Politiker, die immer von einer AfD-Nähe sprechen, für die besten Propagandisten der AfD.


Mit dem ständigen Gerede über die AfD-Nähe werten sie sie auf, ob sie das wollen oder nicht. Das heißt, sie sind unfreiwillige Helfer der AfD. Nein, man muss seine eigenen Gedanken vertreten. Und hier bemühe ich noch einmal Enzensberger: "Man darf nicht in totalitäres Denken verfallen, indem man den Beifall von der falschen Seite scheut."


"Faschistoides Denken"

Manche sagen, diese Kriegsstimmung, die in bestimmten Kreisen herrscht, bei den Grünen, auf der Regierungsseite insgesamt, aber auch in den USA, werde von dem Glauben getragen, dass es endlich ein gerechter, guter Krieg gegen einen absolut bösen Gegner ist. Man kann alle anderen Kriege hinter sich lassen und selbst die von Nazideutschland vergessen, weil man endlich in einen neuen, gerechten und guten Krieg zieht. Sehen Sie das auch als einen Hintergrund?


Oskar Lafontaine: Das kann man so sehen, aber ich frage mich natürlich, was da passiert ist, denn das ist für mich faschistoides Denken. Wenn etwa Frau Baerbock sagt, man müsse Russland ruinieren, dann ist das faschistoides Denken. Dieses Denken ist dadurch gekennzeichnet, dass der Mensch ausgeklammert wird. Das erlebt man in der jetzigen Debatte in Deutschland.

Von den Menschen, die täglich sterben, tritt selten auf in dem Sinne die Rede, dass man deswegen jetzt einen Waffenstillstand erreichen müsse. Nein, sie reden von einem Siegfrieden. Die Krim muss zurückerobert werden, und wir müssen immer mehr Waffen liefern.


Die deutsche Außenministerin hat sich sogar zu der Behauptung verstiegen - wahrscheinlich weiß sie gar nicht, dass sie damit die Parole der US-Waffennarren übernommen hat -, dass Waffen Leben retten. Wie die Waffen Leben in den USA retten, das kann man immer wieder erleben. Das ist eine Fehlentwicklung, die ich faschistoid nenne.


Deshalb müssen alle, die den Frieden wollen, sich zusammentun und sagen: Wenn wir von einer Wertegemeinschaft reden, dann dürfen wir eben nicht von Begriffen reden, unter denen sich offensichtlich kaum noch jemand etwas vorstellen kann, sondern wir müssen uns einfach dazu bekennen, dass wir in den Menschen unsere Schwestern und Brüder sehen und dass wir alles tun, damit sie nicht ihr Leben verlieren. Das ist das Vorrangige, nicht die Krim zurückzuerobern oder die Russen kleinzubekommen.


Woher kommt diese faschistoide Stimmung, wie Sie es nennen?


Oskar Lafontaine: Das ist schwer zu sagen. Einen Grund hat, wie zuvor besprochen, interessanterweise Frau Merkel im Spiegel genannt: Das Bewusstsein über das Grauen des Krieges verschwindet mit den Zeitzeugen und damit verschwindet auch die Bereitschaft zur Versöhnung. Das mag ein Grund sein, dass man gar nicht mehr so richtig weiß, was damals passiert ist oder man auch die Gefühle nicht mehr entwickelt, die notwendig sind, um zu sagen: Wir wollen alles tun, damit so etwas niemals wieder passiert.


Ich glaube, es gibt noch einen anderen Grund, das ist das Verschwinden des Religiösen. Das hört sich vielleicht aus meinem Munde komisch an, aber schon Dostojewski schrieb: Wenn Gott tot ist, ist alles erlaubt. Auch andere Schriftsteller haben sich dazu geäußert. Malraux beispielsweise, der einmal sagte: Dieses Jahrhundert wird religiös sein oder es wird nicht sein.


Damit meinte er nicht, dass jeder einem Glauben anhängen muss, sondern dass die Werte, die die Religionen vermittelt haben, die Nächstenliebe etwa im christlichen Abendland, das heißt das Mitempfinden mit den anderen, die Grundlage einer friedlichen Welt sind. Wenn dies weg ist, und das kann man an der Absicht, Russland zu ruinieren, sehen, dann ist die Bereitschaft oder die Grundlage zum Frieden nicht mehr gegeben.


Aber das kann doch nicht heißen, dass man jetzt unbedingt wieder neue Kirchen bauen müsste.

Oskar Lafontaine: Nein, die Frage ist, wie kann das Denken überwunden werden, das sich in dem Satz: "Wir müssen immer wieder Waffen liefern, weil Waffen Leben retten" oder in dem Satz "Wir müssen Russland ruinieren" zum Ausdruck bringt.


Das kann nur durch Humanismus, wenn man diesen Begriff nehmen will, überwunden werden. Er hat zur Grundlage, in dem Mitmenschen die Schwester oder den Bruder zu sehen. Kultureller Austausch beispielsweise kann die Menschen zusammenführen und kann die Liebe zur Kultur des jeweils anderen wecken. Deshalb ist es so fatal, dass mittlerweile auch russische Künstler ausgeladen werden. Das ist ein Schritt zur Barbarei.

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Oskar Lafontaine wurde am 16. September 1943 in Saarlouis geboren. Zwei Jahre später verlor er seinen Vater, der als Soldat im Alter von 29 Jahren ums Leben kam. Im Verlauf seines politischen Lebens war er Oberbürgermeister in Saarbrücken, Ministerpräsident des Saarlandes, Vorsitzender der SPD, Kanzlerkandidat und Bundesfinanzminister.


Im März 1999 legte er alle seine bisherigen politischen Ämter in der SPD aus Kritik am Regierungskurs von Gerhard Schröder nieder. Er war Gründungsvorsitzender der Partei DIE LINKE, die auf seine Initiative hin aus PDS und Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit (WASG) entstanden ist, Vorsitzender der Linksfraktion im Deutschen Bundestag und Spitzenkandidat bei den saarländischen Landtagswahlkämpfen 2009, 2012 und 2017. Bis zu seinem Parteiaustritt im März 2022 führte er seit 2009 die Fraktion der Linken im saarländischen Landtag.


Florian Roetzer c Edward Beierle 150x150Florian Rötzer, geboren 1953, hat nach dem Studium der Philosophie als freier Autor und Publizist mit dem Schwerpunkt Medientheorie und -ästhetik in München und als Organisator zahlreicher internationaler Symposien gearbeitet. Von 1996 bis 2020 war er Chefredakteur des Online-Magazins Telepolis. Von ihm erschienen sind u.a. „Die Telepolis“ (1995), „Vom Wildwerden der Städte“ (Birkhäuser 2006) und zuletzt „Sein und Wohnen“ (Westend 2020).

Der Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit dem Overton-Magazin.

 

Oskar Lafonantaine: Ami it’s time to go. Plädoyer für die Selbstbehauptung Europas. 64 Seiten. Erschienen im Westend Verlag.


Quelle:https://www.heise.de/tp/features/Wir-brauchen-eine-Nato-ohne-die-USA-7365330.html?seite=all

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Info: https://seniora.org/politik-wirtschaft/wir-brauchen-eine-nato-ohne-die-usa?acm=3998_1585


unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

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