12.01.2023

Im Schatten des Krieges      Kritik am antidemokratischen Umbau der Ukraine wächst im In- und Ausland: Mediengesetz hebelt Medienfreiheit aus, Arbeiterrechte werden gestrichen, Kirche könnte verboten werden.

german-foreign-policy.com, 12. Januar 2023

KIEW/BERLIN (Eigener Bericht) – Ungeachtet des Krieges wächst im In- und Ausland die Kritik am antidemokratischen Umbau des ukrainischen Staates durch Präsident Wolodymyr Selenskyj. Im Mittelpunkt steht aktuell unter anderem ein neues Mediengesetz, das die Aufsicht über sämtliche Medien einer nationalen Medienbehörde überträgt. Die Behörde, die zur Hälfte vom Präsidenten, zur anderen Hälfte von seiner Parlamentsmehrheit eingesetzt wird, kann Medien faktisch willkürlich mit Strafen belegen oder sogar schließen. Das Gesetz wirft, erklärt der Nationale Journalistenverband der Ukraine, „den Schatten eines Diktators“ auf Selenskyj. Scharf kritisiert worden ist bereits im Sommer ein neues Arbeitsgesetz, das unter anderem den Arbeitsschutz für bis zu 70 Prozent aller Beschäftigten aushebelt. Selenskyj wollte es – wie das Mediengesetz – schon vor dem Krieg umsetzen, scheiterte aber an breitem Widerstand. Im Schatten des Krieges geht seine Regierung zudem gegen die Ukrainische Orthodoxe Kirche vor, die sich zwar komplett von der Russischen Orthodoxen Kirche getrennt hat und Moskau wegen des Krieges verurteilt, aber trotzdem verboten werden soll. Experten warnen vor gravierenden Folgen.


Zitat: Kirche unter Druck

Kritik an der Politik der ukrainischen Regierung unter Präsident Wolodymyr Selenskyj entzündet sich seit geraumer Zeit unter anderem an deren Vorgehen gegen die Ukrainische Orthodoxe Kirche (UOK). Die UOK war traditionell Teil der Russischen Orthodoxen Kirche. Das hat schon in der Vergangenheit zu großen Verwerfungen geführt. So setzte der frühere Präsident Petro Poroschenko im Versuch, die Beziehungen zu Russland auf sämtlichen Ebenen zu schwächen, 2018 die Gründung einer neuen Kirche durch, der Orthodoxen Kirche in der Ukraine (OKU). Diese hatte allerdings, wie Experten feststellen, „nicht den Zulauf“, den sich Poroschenko eigentlich erhofft hatte.[1] Die UOK wiederum hat seit dem russischen Überfall auf die Ukraine mit der Russischen Orthodoxen Kirche gebrochen; ihr Metropolit Onufri hat den Überfall sofort verurteilt, Moskau zudem zum Rückzug seiner Truppen aufgefordert sowie die Wahrung der territorialen Integrität der Ukraine verlangt. Am 27. Mai hat sich die UOK komplett von der Russischen Orthodoxen Kirche getrennt und übt nun all ihre Aktivitäten vollumfänglich in Eigenregie aus. Das gilt auch – innerhalb der Kirche besitzt dies ganz spezielle Bedeutung – für die Gestaltung der Liturgie. In einem neuen Statut erklärt die UOK sich explizit für „selbständig und unabhängig“, und so tritt sie auch auf.


„Als russische Agenten stigmatisiert“

Dennoch erhöht Kiew den Druck auf die UOK. Der seit dem Sommer amtierende neue Geheimdienstchef gilt als ihr Gegner; der neue Selenskyj-Berater Wiktor Jelenski hat sich in der Vergangenheit für ihr Verbot stark gemacht. Im vergangenen Jahr sind Liegenschaften der UOK, darunter das Höhlenkloster, das als Wiege der ostslawischen Orthodoxie gilt, durchsucht worden; Teile des Höhlenklosters wurden der rivalisierenden OKU übertragen, Kirchenfunktionäre wurden mit Sanktionen belegt. Nun wird – unter dem Vorwand, sie sei eine russische Tarnorganisation – die Umbenennung der UOK in Russische Orthodoxe Kirche in der Ukraine gefordert; am 1. Dezember teilte Präsident Selenskyj zudem mit, der Nationale Sicherheitsrat der Ukraine wolle dem Parlament ein komplettes Verbot der Kirche nahelegen.[2] Zwar sei „ein gezieltes Vorgehen gegen Fälle erwiesener Kollaboration ... berechtigt“, urteilen Thomas Bremer, emeritierter Professor für Theologie an der Universität Münster, sowie Regina Elsner vom Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOIS) in Berlin.[3] Für ein Kirchenverbot allerdings gelte das nicht. Kiews Politik müsse „dringend korrigiert werden, nicht nur im Interesse von Millionen von Gläubigen, die mitten im Krieg als russische Agenten stigmatisiert werden, sondern vor allem auch im Interesse einer demokratischen Weiterentwicklung der Ukraine“.


Parteienverbote

Scharfe Kritik wird schon seit dem Frühjahr auch an weiteren Maßnahmen laut, die die Regierung unter Präsident Selenskyj im Schatten des Krieges ergreift. So hatte bereits im Frühjahr Selenskyjs Entscheidung national wie international Protest hervorgerufen, elf politischen Parteien im Land jede Tätigkeit zu untersagen – mit der Begründung, sie seien prorussisch orientiert. Das Verbot traf neben der größten Oppositionspartei („Oppositionsplattform – Für das Leben“) unter anderem die Kommunistische Partei, die Sozialdemokratische Partei der Ukraine und weitere linke Organisationen. Manche der betroffenen Parteien hatten den russischen Überfall explizit verurteilt.[4] Nach der Unterzeichnung eines neuen Gesetzes am 14. Mai, das vollständige Parteiverbote leichter macht [5], wurden mehrere Oppositionsparteien komplett aufgelöst. Bestrebungen, die Verbote vor Gericht aufheben zu lassen, scheiterten.


„Ein Fenster der Gelegenheit“

Protest richtet sich schon seit dem Sommer unter anderem auch gegen die weitreichende Deregulierung des Arbeitsrechts, die Selenskyj bereits relativ kurze Zeit nach seinem Amtsantritt hatte durchsetzen wollen, die vor dem Krieg aber noch am energischen Widerstand der ukrainischen Gewerkschaften gescheitert war. Nun ist sie realisiert worden. Dabei ging es unter anderem um die Legalisierung sogenannter Null-Stunden-Verträge und um Maßnahmen, die bis zu 70 Prozent aller Beschäftigten von gesetzlichen Arbeitsschutzvorschriften ausnehmen. Der Präsident benutze den Krieg als „Fenster der Gelegenheit“, um seine zuvor entschlossen bekämpften Deregulierungspläne umzusetzen, klagen Kritiker.[6] „Unter dem neuen Arbeitsgesetz“, berichtet eine Aktivistin der „Kampagne für saubere Kleidung“ – die Ukraine ist ein beliebter Standort der deutschen Textilindustrie –, „können Arbeitgeber Mitarbeitende einfach versetzen und sie in Betrieben mit weniger als 250 Beschäftigten ... grundlos entlassen. Sie können Tarifverträge einseitig kündigen, Urlaubstage streichen, und sie können die Wochenarbeitszeit von 40 auf 60 Stunden erhöhen.“[7] Der Behauptung der Regierung, das Gesetz werde nach dem Krieg wieder zurückgenommen, schenken Gewerkschafter keinen Glauben.


„Der Schatten eines Diktators“

Auf zunehmenden, auch internationalen Protest stößt nun auch das neue Mediengesetz, das Selenskyj am 29. Dezember unterzeichnet hat. Es sieht insbesondere vor, die Kompetenzen des Nationalen Rats für Fernsehen und Rundfunk auszuweiten und ihm die Aufsicht auch über sämtliche Print- und Onlinemedien zu übertragen. Der Nationale Rat ist offiziell unabhängig, faktisch aber nicht: Die Hälfte seiner Mitglieder wird vom Präsidenten ernannt, die andere Hälfte vom Parlament, in dem die Präsidentenpartei die Mehrheit innehat. Mit Inkrafttreten des Gesetzes verfügt der Rat über die Kompetenz, Medien zu verwarnen, Strafen gegen sie zu verhängen oder sie sogar zu schließen. Ein Gerichtsurteil ist dazu nicht nötig. Als Maßstab soll ein Ethikkodex genutzt werden. Faktisch lässt dies, wie etwa der ukrainische Journalist Serhiy Guz warnt, staatlicher Willkür freien Raum.[8] Protest kommt unter anderem vom Nationalen Journalistenverband der Ukraine, der das Gesetz als „größte Bedrohung für die Meinungsfreiheit in der unabhängigen Geschichte der Ukraine“ einstuft und scharf urteilt, es werfe „den Schatten eines Diktators“ auf Selenskyj.[9] Auch der Generalsekretär des Europäischen Journalistenverbandes, Ricardo Gutierrez, übt massive Kritik und erklärt, das Gesetz sei „der schlimmsten autoritären Regime würdig“.[10]


„Ein autoritäres Regime“

Guz weist darauf hin, dass das Gesetz weitgehend mit einem Gesetzesentwurf übereinstimmt, den Präsident Selenskyj bereits kurz nach seiner Amtsübernahme ins Parlament eingebracht hatte, der dort damals aber noch als „zu extrem für eine demokratische Gesellschaft“ beurteilt und zurückgewiesen worden war.[11] Der Vorgang war keineswegs untypisch für Selenskyjs Amtsführung, die noch kurz vor Kriegsbeginn von der vom Kanzleramt finanzierten Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) äußerst kritisch beurteilt wurde. So hieß es etwa Anfang Februar 2022 in einer Stellungnahme der SWP, unter Selenskyj habe sich die Kiewer Präsidialadministration „zum faktischen Zentrum von Politikgestaltung und Entscheidung“ entwickelt; von Ministern und Parlament verlange der Präsident schlicht „Gefolgschaft“.[12] Eine „Sonderrolle“ spiele der nicht demokratisch gewählte Nationale Sicherheitsrat, der allerdings meist lediglich absegne, „was vorher in der Präsidialadministration entschieden“ worden sei. Selenskyj irritiere, indem er „andere Verfassungsorgane“ wie auch „den Vorrang des Rechts bei wichtigen Entscheidungen ignoriert“ habe. Während der Westen die Ukraine „als demokratisch-liberale[n] Gegenentwurf zu Russland“ preise, stütze er praktisch ein „autoritäre[s] Regime“. Das damalige harsche Urteil bewahrheitet sich nun.

 

[1] Thomas Bremer, Regina Elsner: Religiöse Intoleranz in der Ukraine? Frankfurter Allgemeine Zeitung 03.01.2023.

[2] Ivo Mijnssen: Politisiertes Weihnachtsfest in der Ukraine. Neue Zürcher Zeitung 09.01.2023.

[3] Thomas Bremer, Regina Elsner: Religiöse Intoleranz in der Ukraine? Frankfurter Allgemeine Zeitung 03.01.2023.

[4] Baha Kirlidokme: Kritik an Selenskyjs Verbot unliebsamer Parteien. fr.de 04.04.2022.

[5] Bernhard Clasen: Selenskis Parteienverbot. taz.de 20.05.2022.

[6] Thomas Rowley, Serhiy Guz: Ukraine uses Russian invasion to pass laws wrecking workers’ rights. opendemocracy.net 20.07.2022.

[7] Hungerlöhne unter dem Deckmantel des Kriegsrechts. gew.de 05.12.2022.

[8] Serhiy Guz: Ukraine’s proposed new media law threatens press freedom. opendemocracy.net 07.11.2022.

[9], [10] Harald Staun: Die lieben Kollegen. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 08.01.2023.

[11] Serhiy Guz: Ukraine’s proposed new media law threatens press freedom. opendemocracy.net 07.11.2022.

[12] André Härtel: Die Ukraine unter Präsident Selenskyj. Entwicklung hin zum „populistischen Autoritarismus“? SWP-Aktuell A 09. Berlin, 04.02.2022. S. dazu Der Preis des Machtkampfs.


Info: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9129

11.01.2023

Brasilien: Die Politik des Chaos

meinungsfreiheit.rtde.life, 11 Jan. 2023 19:56 Uhr, Eine Analyse von Dagmar Henn

War das wirklich ein Putschversuch in Brasília? Und wie kann das Land aus den Konflikten herausfinden, die zwischen den Anhängern Lulas und Bolsonaros bestehen? Die Lösung ist nicht ganz so einfach, wie es scheint.


Quelle: www.globallookpress.com © IMAGO/Eduardo F

Auf den ersten Blick könnte man meinen, was am Wochenende in Brasilien geschehen ist, sei einfach zu erklären. Die Rechten, Anhänger des abgewählten Präsidenten Bolsonaro, hätten versucht zu putschen, und wie überall sonst auf der Welt steckt die CIA dahinter. Letzteres ist nicht ganz ausgeschlossen, aber die Gesamtlage ist dann doch etwas komplizierter.


Erneut Ausschreitungen von Bolsonaro-Anhängern in Brasilien: Mehrere Fahrzeuge brennen ab



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Lula da Silva, der Kandidat der PT, war bereits von 2003 bis 2011 Präsident Brasiliens. Seine Nachfolgerin Dilma Rousseff wurde 2016 durch eine Kampagne gestürzt, die alle Züge eines von außen gelenkten Putsches hatte, der aber vor allem über massiven Mißbrauch der Justizorgane geschah. Was seitdem zum Modell für ähnliche Ereignisse in Lateinamerika wurde, etwa jüngst in Peru. Auf den Übergangspräsidenten Michael Temer folgte dann nach den Wahlen 2018, an denen teilzunehmen Lula immer noch durch die Justiz gehindert wurde, der Wahlsieg des rechten Kandidaten Jair Bolsonaro. Während dieses Wahlkampfes zeigte sich durch die Demonstrationen für und gegen diesen Kandidaten, die jeweils Hunderttausende mobilisieren konnten, wie tief die Spaltung der brasilianischen Gesellschaft geht.


Bolsonaro war damals eindeutig der Wunschkandidat der USA, was nicht nur an der Nähe zum damaligen US-Präsidenten Trump lag. Bolsonaro ließ sich während des Wahlkampfes vor einer US-Flagge ablichten, und er ist Anhänger einer der evangelikalen Kirchen, die seit Jahrzehnten massiv in Brasilien missionieren, aber oft ihre Zentralen in den USA haben oder zumindest dem US-Modell der Fast-Food-Religiösität folgen. Eine seiner ersten Aussagen nach Amtsantritt lautete, er hätte gern einen US-Militärstützpunkt in Brasilien.


Und damit sind wir bereits beim ersten Punkt, warum die Zuordnung nicht so einfach ist. Denn in den entscheidenden Fragen, in denen klar war, wie die Begehren der USA aussehen, wurden sie nicht erfüllt. Diese waren nicht nur der von Bolsonaro erwähnte Stützpunkt, sondern außerdem die Möglichkeit, die staatliche Ölfirma Petrobras samt der vor der brasilianischen Küste liegenden Ölfelder zu übernehmen, und nicht zuletzt ein Ende der brasilianischen Rolle in BRICS.

Bolsonaro hatte in seinem Wahlkampf die Militärdiktatur verherrlicht, die in Brasilien von 1964 bis 1985 herrschte, und immer seine Nähe zum brasilianischen Militär betont. Seine Äußerung zu einem US-Stützpunkt erhielt aber aus eben diesen Kreisen eine sehr schnelle und deutliche Antwort: Bereits am nächsten Tag erschien im Estado de São Paulo ein Artikel, in dem ein nicht näher benannter hochrangiger Militär erklärte, Brasilien brauche keinen US-Stützpunkt, es könne seine Probleme selber lösen. Petrobras ist nach wie vor ein Unternehmen in staatlichem Besitz, und auch das Engagement in BRICS wurde weiter fortgesetzt. Daraus muss man den Schluss ziehen, dass das brasilianische Militär keine Lust mehr darauf verspürt, sich den USA unterzuordnen, und selbst ein Jair Bolsonaro an einzelnen Punkten gar nicht anders konnte, als eine Politik im nationalen Interesse fortzuführen.


Lula da Silva über Bolsonaros Schweigen nach Wahlniederlage: Rechtsextreme leugnen Wahrheit





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Das ändert nichts daran, dass Bolsonaro ökonomisch eine tief reaktionäre Politik verfolgte, dass er sämtliche Sozialprogramme, die von der Regierung Lula einst eingeführt wurden, gekappt hat. "Bolsonaro und sein marktradikaler Wirtschaftsminister Paulo Guedes haben die öffentlichen und am Gemeinwohl orientierten Strukturen bis zur Unkenntlichkeit geschleift, den Arbeitsschutz zur Privatsache degradiert, die Renten und Löhne gesenkt und Unternehmen von Abgaben befreit. Um den Handel und die Finanzwirtschaft durch die Krise zu bringen und ihnen weiter hohe Gewinne zu ermöglichen, nahm Bolsonaro in Kauf, dass weite Teile der Bevölkerung verarmten." So beschrieb das Mario Schenk.


Aber es war erstmalig, dass eine solche Politik nicht in fremdem Auftrag erfolgte. Über viele Jahrzehnte hinweg war die Kernfrage lateinamerikanischer Politik, ob jemand die Abhängigkeit von den USA unterstützt oder für nationale Souveränität steht. Und die hohen Zustimmungswerte, die Lula gegen Ende seiner zweiten Präsidentschaft erreichte (87 Prozent), beruhten zu einem guten Teil darauf, dass er im nationalen Interesse handelte. Eine Situation, in der es bei politischen Auseinandersetzungen tatsächlich vor allem um die Interessenskonflikte innerhalb des Landes selbst geht, ist etwas völlig Neues für Brasilien, und trägt mit dazu bei, dass die Ereignisse schwer zu entziffern sind.


Besonders schwierig ist dabei die Tatsache, dass die Unterstützung für Bolsonaro ein direkter Effekt der Erfolge der ersten Amtszeiten Lulas ist. Die Armutsbekämpfungspolitik führte zu einem sozialen Aufstieg relativ breiter Gruppen; 2013 hieß es von Brasilien, die Hälfte der Bevölkerung gehöre nun zur Mittelschicht. Der Bildungsstand, der noch zu Beginn der 1990er erbärmlich war, hatte sich deutlich erhöht, auch wenn Brasilien bis heute im lateinamerikanischen Vergleich am unteren Ende der Skala liegt. Man kann diese Veränderung auch anders übersetzen: Der Anteil der Menschen in der brasilianischen Bevölkerung, deren Hauptsorge das tägliche Brot ist, nahm ab; und der Anteil jener, deren Hauptsorge die Kriminalität ist, nahm zu. Während die ersteren zu Lula tendierten, bildeten die zweiten die Wählermassen für Bolsonaro.


Pepe Escobar: Kann Brasilien unter Lula seine alte Stellung auf der Welt wiedererlangen?





Analyse

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Diese Gemengelage wird durch die historischen "Altlasten"Brasiliens noch weiter verkompliziert. Es gibt ein brasilianisches Sprichwort: "Ein reicher Schwarzer ist weiß, und ein armer Weißer ist schwarz." Auch wenn Black Lives Matter eine künstlich ins Leben gerufene Bewegung war, hat sie zumindest ins Gedächtnis gerufen, wie viel Sprengstoff im Verhältnis zwischen weißer und schwarzer Bevölkerung in den Vereinigten Staaten noch vorhanden ist. Aber dort geht es um eine Minderheit. In Brasilien ist die Mehrheit schwarz. Und auch wenn die Gesellschaft nicht mehr so rassistisch ist, wie sie es noch vor dreißig Jahren war, als eine schwarze Rechtsanwältin in Rio de Janeiro den Dienstbotenaufzug benutzen musste, um ihre Mandanten zu besuchen, so sind doch sämtliche entsprechenden Vorstellungen nach wie vor präsent, tauchen aber nun im Verhältnis dieser neuen Mittelschicht zu den Armen wieder auf. Von den 135 schwarzen Abgeordneten im neuen brasilianischen Parlament sind 77 Vertreter von Parteien, die Bolsonaro unterstützen.


Diejenigen, denen es gelungen war, aufzusteigen, haben, das zeigt sich unter anderem an diesem Wahlverhalten, nicht die Einstellung dieser Mittelschicht gegenüber den Armen verbessert. Vielmehr haben sie selbst die vorhandene Einstellung übernommen, um sich nach unten abzugrenzen. Auf die Phase des breiten Aufstiegs folgte von 2015 bis 2016 die tiefste Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg, was vor allem den Binnenkonflikt zwischen den Armen und den etwas weniger Armen verschärfte und damit die Massenbasis für den Aufstieg Bolsonaros schuf.

Dabei dürfte selbst der Mehrheit seiner Wähler klar sein, dass eine Kriminalitätsbekämpfung mittels höherer Polizeigewalt, regelmäßiger paramilitärischer Erstürmungen von Armenvierteln und eine Förderung von Milizen, das Problem nicht wirklich löst, weil auf der obersten Ebene Kriminalität und Polizei verwoben sind und die Hauptprofiteure der gesamten Struktur dieselben Familien von Oligarchen sind, die auch alles Übrige kontrollieren. Es ist eher so, dass eine rigide und eindeutige Hierarchie in der Schattenwirtschaft zumindest die Kollateralschäden verringert. Was in Ermangelung eines besseren Konzepts als einziger Ausweg gesehen wird.


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Keine der Regierungen Lula, auch die jetzige, hatte die erforderlichen parlamentarischen Mehrheiten für tiefgreifende Veränderungen. Die Koalitionspartner waren gezwungenermaßen immer die alten korrupten Parteien, die durch entsprechende Beute für ihre Kompromissbereitschaft entgolten werden mussten. Die Polícia Militar, die bewaffnete Polizei auf der Straße, ist zwar mehrheitlich schwarz, aber alles andere als frei von Rassismus. Und die Kriminalpolizei ist jener Bereich, wo die größten Geschäfte getätigt werden. Das geht vielleicht heute nicht mehr so weit wie noch vor dreißig Jahren, als der Chef der Kriminalpolizei des Bundesstaats Bahia verhaftet wurde, weil er aus Polizisten eine Bande gebildet hatte, die mit Polizeifahrzeugen und Polizeiwaffen Banken im Landesinneren ausraubten. Aber es gibt kein Beispiel, wie solche Strukturen ohne eine größere politische Umwälzung mit aktiver Beteiligung großer Teile der Bevölkerung unter Kontrolle gebracht werden konnten.


Zwei Faktoren können in diesem Bereich günstig wirken: die Alterung der Bevölkerung, die inzwischen den Anteil der Menschen unter 25 auf ein Fünftel gedrückt hat; und ein allgemeiner wirtschaftlicher Aufschwung, der aber momentan noch nicht in Sicht ist. Die Krise 2015/2016 und die neoliberale Politik Bolsonaros haben das Durchschnittseinkommen vom Maximum des Jahres 2013, als es bei 1.559 US-Dollar lag, auf gerade noch 526 Dollar gesenkt. Wobei große Teile der Bevölkerung mit einem Einkommen in Höhe des Mindestlohns zurechtkommen müssen, der gerade einmal bei 190 US-Dollar liegt. Es bräuchte einen massiven Anschub durch öffentliche Investitionen, um ein Wachstum zu schaffen, das sozial stabilisierend wirken kann. Aber selbst der Wirtschaftsminister der neuen Regierung Lula ist ein Wirtschaftsliberaler, die Regierung hat im Abgeordnetenhaus nur eine knappe Mehrheit und im Senat die Mehrheit gegen sich.


Bolsonaro konnte auch mit all jenen Positionen punkten, die Lula bei den US-Demokraten so beliebt machen. Da wird die Bewertung widersprüchlicher. Lula steht vollständig hinter der Klimaschutzpolitik; das bringt ihn selbstverständlich in Widerspruch zum großen Agrobusiness, das den Zugriff auf die Flächen des Amazonas will. Aber es erschwert eben auch eine Politik der industriellen Entwicklung, die für die soziale Stabilisierung erforderlich wäre. Es ist eine Sache, die Diskriminierung Schwuler zu beseitigen, wie die erste Regierung Lula das getan hat. Es ist aber eine ganz andere, das in Richtung der woken Ideologie weiterzudrehen – in einem Land mit einem schwachen Sozialstaat wie Brasilien ist es schlicht politischer Selbstmord, den Wert der Familie herabzusetzen, da es die Familien sind, die das Überleben sichern.


Brasilien: Bolsonaro-Anhänger stürmen Kongressgelände – Präsident Lula laut Berichten evakuiert





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Die Betonung der identitätspolitischen Felder war der Versuch, alternative Erfolge zu generieren, wo auf dem entscheidenden Feld der gesellschaftlichen Ungleichheit nur begrenzte Siege zu erzielen waren. Da reagierte die brasilianische Linke nicht anders als die europäische auch. Aber damit entfernt sie sich noch wesentlich weiter von den Interessen derer, für die sie eigentlich einstehen will, für die aber ganz normale, stabile heterosexuelle Familienverhältnisse etwas sind, das sie anstreben und wünschen. Gerade weil sie unter den Bedingungen extremer Armut nicht zu haben sind.


Die brasilianische Rolle in BRICS dürfte kaum in Gefahr geraten, schon allein, weil China längst der bedeutendste Handelspartner Brasiliens ist. Auch und gerade für jene Teile der Landwirtschaftsindustrie, die Bolsonaro massiv stützten. Aber während der ersten Regierung Lula beruhte das, was im Interesse der armen Bevölkerungsteile erreicht werden konnte, auf einem Bündnis, das auch jene Gruppen umfasste, die man traditionell die nationale Bourgeoisie nennt, weil der Hauptkonflikt sich um die Frage wirklicher Unabhängigkeit drehte. Die jetzige Regierung Lula wird es an diesem Punkt bedeutend schwerer haben, weil dieser Hauptkonflikt in dieser Form nicht mehr besteht. Die Ereignisse während der Regierung Bolsonaro belegten, dass selbst ein Militärputsch keine unmittelbare Unterordnung unter die US-Interessen mehr erreichen würde.

Die Erstürmung der Regierungsgebäude in Brasília wird quer durch die gesamte Medienlandschaft, selbst von Medien wie TV Globo, als Terrorismus verurteilt. Das ist insofern interessant, als TV Globo mit zu jener Gruppe reaktionärer Medien zählt, die Bolsonaro stützten.


DIHK sieht Regierungswechsel in Brasilien als Chance für EU-MERCOSUR-Abkommen





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Der bekannte geopolitische Journalist Pepe Escobar, selbst Brasilianer, schreibt: "Ein ehemaliger US-Geheimdienstler hat bestätigt, dass der chaotische Maidan-Remix, der am 8. Januar in Brasília inszeniert wurde, eine CIA-Operation war, verknüpft mit den jüngsten Versuchen einer Farbrevolution im Iran." Im Cyber Command der US-Armee in Fort Gordon sei es kein Geheimnis, dass die CIA hunderte von Agenten während der jüngsten Präsidentschaftswahlen in Brasilien eingesetzt habe. "Seit Mitte 2022 wurde die CIA-Kommunikation in Fort Gordon abgefangen. Das Hauptthema damals war die Etablierung des weit verbreiteten Narrativs 'Lula kann nur durch Betrug gewinnen.'"


Die Strategie, die die USA einschlagen dürften, wird vermutlich darauf zielen, das größtmögliche Chaos zu erzeugen, das Brasilien, wenn es schon nicht unterworfen werden kann, wenigstens als möglichen Konkurrenten paralysiert. Das Durcheinander, das dank der woken Ideologie ohnehin bereits vorhanden ist, ließe sich nur durch eine Neuformierung von Klassenpolitik beseitigen, die die Veränderungen in der sozialen Landschaft Brasiliens mit in Betracht zieht.


Der geringe Spielraum, den die Regierung Lula hat, ergibt sich vor allem aus der Außenpolitik; die stürmische Entwicklung, die BRICS derzeit nimmt, könnte auch Ansatzpunkte für einen ökonomischen Aufschwung liefern. Mit viel politischem Geschick wäre es vielleicht möglich, aus der verkündeten Regierung der nationalen Einheit eine tatsächliche zu schmieden. Wenn klar wird, wozu die Chaotisierung, die am 8.Januar zum Vorschein kam, dienen soll. Das würde unter anderem erfordern, die faktische Entscheidung für die nationalen Interessen, die das brasilianische Militär 2018 getroffen hat, anzuerkennen, die vielfachen Frontstellungen innerhalb der brasilianischen Gesellschaft wieder auf die realen ökonomischen Interessenskonflikte zurückzuführen und die ideologischen Scheingefechte zu beenden. Wenn einer in Brasilien dieses Geschick besitzt, dann Lula da Silva. Gelingt es ihm nicht, drohen Brasilien Jahre der Stagnation.


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unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

11.01.2023

200.000 Kinder aus der Ukraine an deutschen Schulen: Ein dauerhafter Ausnahmezustand

    meinungsfreiheit.rtde.life, 11 Jan. 2023 16:57 Uhr

Hunderttausende ukrainische Kinder wurden 2022 in das chronisch überlastete deutsche Bildungssystem aufgenommen. Laut Experten kann die Lösung kaum schnell hervorgezaubert werden, weil die Lehrkräfte fehlen. Die Bundesregierung will das Problem mit dem schon bestehenden Personal lösen.


Quelle: www.globallookpress.co


Ein Unterrichtsraum in Dresden während eines Unterrichts mit ukrainischen Schülern im April (Symbolbild)


Zitat: 200.000 Kinder aus der Ukraine besuchen derzeit deutsche Schulen. Das sind gerade knapp zwei Prozent der gesamten Schülerschaft. Die Aufnahme solch einer großen Anzahl von ausländischen Kindern im deutschen Bildungssystem ist beispiellos in der jüngsten Geschichte. Ein Bericht des Tagesspiegel zeigt, dass die Schulen trotz hoher Fördergelder damit überfordert sind.


Die Aufbruchstimmung bei der Aufnahme der ersten Kinder und Jugendlichen aus der Ukraine in den deutschen Schulen im vergangenen März ist längst verflogen. Zu viele sind gekommen, zu unvorbereitet war dafür das deutsche Bildungssystem. Die vom Tagesspiegel befragten Experten und Bildungssprecher der Regierungen zeichnen geradezu ein alarmistisches Bild der Überlastung.


Dieser liegt ein grundsätzliches Problem des chronischen Lehrer- und Raummangels zugrunde, daher sei es seit Langem hausgemacht. So schätzt der Deutsche Lehrerverband, dass in Deutschland inzwischen rund 40.000 Lehrkräfte fehlen, wobei die Situation in Sachsen besonders dramatisch sei.


Der übergroße Teil der ukrainischen Schüler werde in rein ukrainischen Klassen unterrichtet, sagte Ursula-Marlen Kruse, GEW-Vorsitzende im Freistaat, der Zeitung. "So etwas haben wir hier noch nie erlebt. Rein syrische Schulklassen wären unvorstellbar gewesen."


Weil es einen enormen Mangel an Lehrkräften für Deutsch als Zweitsprache gebe, würden die Kinder von ukrainischen Lehrkräften unterrichtet, deren Anerkennungsverfahren nicht abgeschlossen ist, so Kruse weiter. 

"Die ukrainischen Klassen behindern die Integration in einem großen Maße, die deutschen und ukrainischen Kinder kommen nicht zueinander."

Putin will die Ukraine "gewaltsam an sich reißen": Wie der deutsche Staatsfunk Kinder manipuliert




Meinung

Putin will die Ukraine "gewaltsam an sich reißen": Wie der deutsche Staatsfunk Kinder manipuliert





Kruse befürchtet, dass aus der Sonderregelung eine Dauerregelung werden könnte. Ein weiterer Kritikpunkt der Lehrerin: Bei rund 3.000 von etwa 12.700 ukrainischen Kindern in Sachsen werde die Schulpflicht nicht durchgesetzt. "Viele Familien glauben wohl, bald zurückkehren zu können, aber was, wenn das nicht möglich sein wird? Da muss gehandelt werden."


Heinz-Peter Meidinger vom Lehrerverband wirft der Politik Schönmalerei vor. Eine Integration in reguläre Schullaufbahnen bis Ende des Schuljahres hält er für unrealistisch.

"Die Politik kann jetzt nicht einfach zusätzliche Lehrkräfte hervorzaubern. Wir erwarten aber, dass sie die Lage nicht schönredet und den Eindruck erweckt, dass alles super läuft."

Mit der Bereitstellung von Mitteln sei nicht alles getan. "Die Schulen fühlen sich bei der Personalsuche und vor allem in ihrer Verantwortung für die weitere Zukunft der Kinder oft allein gelassen."


Gewerkschaften und Verbände fordern, dass Tacheles geredet wird: "Das Bildungssystem steht vor dem Kollaps", meinte die Vorsitzende der Lehrer-Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Maike Finnern. Die zuständigen Ministerien müssten jetzt ihrer Verantwortung gerecht werden.


Einzelne Landesregierungen erkennen das Problem bereits an, bleiben aber in ihrer Einschätzung im Allgemeinen. "Wir kommen zunehmend an Grenzen", sagte die schleswig-holsteinische Kultusministerin Karin Prien dem Tagesspiegel. "Die Herausforderung bleibt, geflüchtete sowie zugewanderte Schülerinnen und Schüler gleichberechtigt in das Schulsystem zu integrieren."

Der Bund meint, das Problem mit dem sogenannten Startchancenprogramm angehen zu können. Das erklärte Nina Stahr, bildungspolitische Sprecherin der Grünen, auf Anfrage. "Wir müssen die Rahmenbedingungen und ganz grundsätzlich die Arbeitsbedingungen im Bildungsbereich deutlich verbessern." Dazu gehöre die Entlastung der Lehrkräfte von Verwaltungsaufgaben oder durch multiprofessionelle Teams und zusätzliche Sozialarbeiter.


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Info: https://meinungsfreiheit.rtde.life/inland/159473-200000-kinder-aus-ukraine-an


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11.01.2023

noch Wichtiges....

aus e-mail von Doris Pumphrey, 11. Januar 2023, 20:09 Uhr


RT-Liveticker 11.1.2023

<https://meinungsfreiheit.rtde.life/international/131481-liveticker-ukraine-krieg-westliche-militaerhilfe-kiew-gleicht-russlands-verteidigungsbudget-2022/


06:07 Uhr

*Westliche Militärhilfe für die Ukraine gleicht fast dem gesamten

Verteidigungshaushalt Russlands für 2022*


Seit Beginn der russischen Militärsonderoperation hat die Ukraine

unmittelbare Militärhilfen aus dem Westen im Wert von rund 45 Milliarden

Euro erhalten. Dies ergeben <https://tass.ru/ekonomika/16772611

Berechnungen der russischen Nachrichtenagentur /TASS/ anhand von Daten

frei zugänglichen Quellen. Die Zahl entspricht praktisch dem gesamten

russischen Verteidigungshaushalt für das Jahr 2022.


Die westliche Militärhilfe für die Ukraine entspricht fast 95 Prozent

der Verteidigungsausgaben Russlands, die sich im vergangenen Jahr auf

umgerechnet rund 47,5 Milliarden Euro beliefen. Laut offiziellen Angaben

wird die Gesamthilfe westlicher Länder und internationaler

Organisationen an die Kiewer Regierung seit Beginn der russischen

Sonderoperation auf umgerechnet mehr als 140 Milliarden Euro geschätzt.

Somit überstieg die westliche Hilfe an Kiew das Gesamtjahresbudget der

Ukraine von knapp 52 Milliarden Euro um fast das Dreifache.


Russlands Präsident Wladimir Putin erklärte zuvor, dass "das

militärische Potenzial und die Kapazitäten fast aller wichtigen

NATO-Mitglieder derzeit aktiv gegen Russland eingesetzt werden". Der

russische Verteidigungsminister Sergei Schoigu erinnerte, Russland

kämpfe in der Ukraine nicht gegen Kiews Streitkräfte, sondern gegen den

gesamten kollektiven Westen.



13:29 Uhr

*Peskow: Ukrainische Position macht Verhandlungen trotz Russlands

Bereitschaft unwahrscheinlich*


Russland ist bereit, den Ukraine-Konflikt durch Verhandlungen zu lösen.

Mit dieser Aussage kommentierte Dmitri Peskow, der Pressesprecher des

russischen Präsidenten, die Worte des türkischen Außenministers Mevlüt

Cavusoglu, wonach Moskau zu Verhandlungen bereit sei. Peskow erklärte:

/"Russland war immer bereit, Probleme durch Verhandlungen zu lösen, und

Präsident Putin sagte mehrmals, dass wir auch weiterhin dazu bereit

sind. Zweifellos ist das Erreichen unserer Ziele auf einem friedlichen,

politisch-diplomatischen Weg die bevorzugte Variante."/


Gleichzeitig verwies Peskow darauf, dass die gegenwärtige ukrainische

Gesetzgebung Verhandlungen in naher Zukunft unmöglich mache: /"Wenn die

Gesetze der Ukraine dem Präsidenten der Ukraine verbieten, jegliche

Kontakte zu uns zu unterhalten oder einen Dialog mit uns zu führen, wenn

der Westen Kiew offensichtlich keine Flexibilität in dieser Frage

erlaubt, kann man nicht davon sprechen, dass es gegenwärtig irgendwelche

Perspektiven gibt."/



https://meinungsfreiheit.rtde.life/international/159565-wladimir-putin-prognosen-gegner-russlands/

11.1.2023

*Wladimir Putin: Die Prognosen der Gegner Russlands haben sich 2022

nicht bewahrheitet


*In einer gemeinsamen Beratung mit dem Ministerrat der Russischen

Föderation am Mittwoch hat der russische Präsident dem Kabinett für die

Arbeit im vergangenen Jahr gedankt. Er setzte zugleich Vorgaben für die

Entwicklung der vier neuen Föderationssubjekte bis 2030.


Der Präsident der Russischen Föderation Wladimir Putin dankte während

einer Zuschaltung zur Tagung des russischen Ministerrates am Mittwoch

der Regierung für ihre Arbeit im vergangenen Jahr und stellte fest, dass

nichts von dem, was die Gegner Russlands dem Land an Schlechtem für 2022

prophezeit hatten, eingetreten sei.


Der russische Staatschef betonte, dass die Mitglieder des Kabinetts

dabei eine wichtige Rolle gespielt hätten. Putin erklärte: /"Nichts von

dem, was unsere Gegner uns vorausgesagt haben, ist eingetreten. Und das

ist natürlich in erster Linie den russischen Bürgern zu verdanken, ihrer

Entschlossenheit und ihrer Bereitschaft, sich Herausforderungen zu

stellen und unter schwierigen Bedingungen zu arbeiten. Aber das ist

nicht zuletzt auch das Ergebnis der Arbeit der Regierung."/


Er fügte hinzu, dass es notwendig sei, in naher Zukunft auf dem Weg der

souveränen Entwicklung trotz des Drucks von außen voranzuschreiten. Der

Präsident sagte unter anderem, dass er erwarte, dass die Zentralbank und

die Regierung wie im vergangenen Jahr effizient arbeiten.


Der Präsident ging in seiner Rede auch auf die Angelegenheiten der neuen

Mitglieder der Russischen Föderation ein. Er betonte, dass die Regierung

und die vier neuen Regionen die Einzelheiten des Entwicklungsprogramms

für diese Gebiete koordinieren müssen. Als Ziel gab Putin aus, dass die

neuen Regionen Donezk, Lugansk, Cherson und Saporoschje bis 2030 das

gesamtrussische Niveau in Bezug auf Infrastruktur, soziale

Dienstleistungen und andere Parameter der Lebensqualität erreichen sollen.


Darüber hinaus rief der Präsident dazu auf, die Lösung dringender Fragen

in den neuen Gebieten trotz der dortigen Lage nicht aufzuschieben: /"Es

ist schon jetzt notwendig, sich konkrete Ziele zu setzen und sie Schritt

für Schritt zu erreichen, um Probleme zu lösen, darauf warten die

Menschen, die wirklich schwere Zeiten durchmachen und Veränderungen zum

Besseren sehen wollen."/


Ihm zufolge ist es wichtig, klare Maßstäbe für die Entwicklung dieser

Regionen festzulegen, damit die Einwohner wissen, was in ihren Städten

und Gemeinden gebaut wird, welche Einrichtungen wann wiederhergestellt

werden, wie sich das Familieneinkommen erhöht, welche Unterstützung sie

vom Staat erhalten, wie Kindergärten und Schulen, Krankenhäuser und

Kliniken funktionieren, wann Geschäfte eröffnet werden, welche

Unterstützung kleine Unternehmen und Unternehmer erhalten und wie

Infrastruktur und Verkehr ausgebaut werden.


Darüber hinaus sagte Putin, dass die Gebiete der Regionen Saporoschje

und Cherson sowie die Volksrepubliken Donezk und Lugansk in nationale

Projekte einbezogen und mit finanziellen Mitteln ausgestattet werden

müssen. Er erinnerte daran, dass die wichtigsten Leistungsindikatoren

für die Entwicklung dieser Regionen in diesem Jahr nicht nur für die

lokalen, sondern auch für die föderalen Behörden festgelegt werden

sollten. Dies sei notwendig, um gemeinsam die Probleme zu lösen, die

vorrangige Aufmerksamkeit erfordern, betonte der Präsident.


Im September fanden Referenden über den Beitritt der Volksrepubliken

Lugansk und Donezk sowie der Regionen Cherson und Saporoschje zur

Russischen Föderation statt. Die Bevölkerung der Regionen unterstützte

die Initiative mit einer Mehrheit der Stimmen. Am 30. September wurden

im Kreml die Vereinbarungen über die Aufnahme der neuen Regionen in das

Land feierlich unterzeichnet.



https://meinungsfreiheit.rtde.life/russland/159463-sicherheitschef-russlands-kein-platz-fuer/

11.1.2023

*Russlands Sicherheitschef: Kein Platz für Russland in westlicher

Weltanschauung vorgesehen


*Der Sekretär des russischen Sicherheitsrates und ehemalige Leiter des

Inlandsgeheimdienstes FSB Nikolai Patruschew hat sich in einem Interview

mit /Argumenty i Fakty/ über die Lage in der Welt geäußert

<https://aif.ru/politics/world/rossiyu_hotyat_prevratit_v_moskoviyu_nikolay_patrushev_o_zapade_i_ukraine>,

einschließlich der globalen Ausbeutung. Ihm zufolge vermehrten

multinationale Unternehmen ihr Kapital, indem sie Ressourcen aus anderen

Ländern abzapften. Gleichzeitig unterzögen sie die Massen einer

Gehirnwäsche und zwängen der Weltbevölkerung Ideen und Regeln auf, die

sie selbst erfunden hätten und die nicht dem internationalen Recht

entsprächen, sagte Patruschew.


Durch ausländische Direktinvestitionen wollten multinationale

Unternehmen neue Technologien in Länder einführen sowie die

Produktivität erhöhen. Doch könne die lokale Bevölkerung von diesen

Ergebnissen nicht profitieren, da transnationale Unternehmen zu

Monopolisten würden und die lokalen Hersteller verdrängten. Indem sie

den Großteil ihrer Gewinne ins Ausland exportierten, beraubten sie die

Länder der Möglichkeit, ihren nationalen Wohlstand zu mehren. In einer

sich grundlegend wechselnden Welt sei es das Ziel der Konzerne, ein

System der globalen Ausbeutung aufrechtzuerhalten. Dieses System werde

von einer Elite von Geschäftsleuten geführt, die nicht mit

einem bestimmten Staat verbunden seien.


Zudem sei der Westen über Russland verärgert, weil das Land über reiche

Ressourcen, ein großes Territorium und kluge Menschen verfüge, die ihr

Land, ihre Traditionen und Geschichte liebten, so

Patruschew. Transnationale Konzerne seien nervös, weil Russland in

seinen Ansichten und Ideen von den Ländern abweiche, die vom westlichen

Kapital kontrolliert würden. Die Unternehmen zielten darauf ab, die

Konsumgesellschaft zu bereichern und zu entwickeln. Russland hingegen

versuche, ein vernünftiges Gleichgewicht zwischen geistigen und

moralischen Werten und sozioökonomischer Entwicklung zu erhalten.


Deswegen habe der Westen in einer solchen Weltordnung keinen Platz für

Russland vorgesehen und versuche, das Land zu schwächen, zu

zersplittern, die russische Sprache und die russische Welt zu

vernichten. Dabei werde immer das übliche Schema angewandt: Den Rivalen

von innen heraus zu schwächen und ihn in Kleinstaaten zu zersplittern.


Patruschew bekräftigte seine Worte mit Beispielen. So habe London nach

dem Ersten Weltkrieg mehrere Imperien zerstört und Dutzende Staaten

daraus geformt. Das gelte auch heute noch. Ein weiteres Beispiel sei

Jugoslawien, ein Staat, der ein starkes internationales Ansehen gehabt

habe, jetzt aber in sechs Staaten aufgeteilt sei.


unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

11.01.2023

Klartext über die USA, die NATO und die europäischen Medien

nachdenkseiten.de, 11. Januar 2023 um 16:54,  Redaktion             (jetzt als Video)

Weltnetz TV hat ein Interview mit dem Enkel von Charles de Gaulle gebracht. Es geht um die französisch-russischen Beziehungen. Was da über Frankreich und seine Beziehungen zu Russland gesagt worden ist, wäre zu übertragen auf unser Land. Hier ist das Interview. Die Sprecherin und der Sprecher der Übersetzung ins Deutsche sind Karin Masche und Diether Dehm. Danke für diese Arbeit und für den Hinweis. Ein Artikel von Albrecht Müller.

Hier die Einführung:

„Eine Aufzeichnung der L’Association Dialogue Franco-Russe mit deutscher Synchronisation. Irina Dubois, die verantwortliche Leiterin der Vereinigung «L’Association Dialogue Franco-Russe», hat kurz vor Weihnachten mit Pierre de Gaulle, dem Enkel von General de Gaulle, ein Interview gemacht. Das Thema des Interviews waren die internationalen Beziehungen zwischen Frankreich und der EU auf der einen Seite und Russland auf der anderen Seite. Pierre de Gaulle hat keine Hemmungen, die Verlogenheit der USA und der NATO und der großen europäischen Medien öffentlich an den Pranger zu stellen und auf die wirtschaftlichen Probleme in der EU hinzuweisen, zu denen die westlichen Sanktionen gegen Russland jetzt führen werden.“

Video https://youtu.be/HhJZjloxc80 Dauer 32:55 Min.


Rubriken:

Außen- und Sicherheitspolitik Europäische Union Militäreinsätze/Kriege


Schlagwörter:


Info: https://www.nachdenkseiten.de/?p=92381/*


unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

11.01.2023

Pierre de Gaulle, Enkel von Charles de Gaulle, spricht Klartext über die USA, die NATO und die europäischen Medien (erneut aufgenom.)

  
Pierre de Gaulle und Irina Dubois beim Interview im Rahmen der Vereinigung «Dialogue Franco-Russe» (Screenshot)


globalbridge.ch, 01. Januar 2023 Autor: Redaktion in Allgemein, Geschichte, Medienkritik, Politik

(Red.) Irina Dubois, die verantwortliche Leiterin der Vereinigung «L’Association Dialogue Franco-Russe», hat kurz vor Weihnachten mit Pierre de Gaulle, dem Enkel von General de Gaulle, ein Interview gemacht. Das Thema des Interviews waren die internationalen Beziehungen zwischen Frankreich und der EU auf der einen Seite und Russland auf der anderen Seite. Das Interview ist äußerst lesenswert, Pierre de Gaulle hat keine Hemmungen, die Verlogenheit der USA und der NATO und der großen europäischen Medien öffentlich an den Pranger zu stellen und auf die wirtschaftlichen Probleme in der EU hinzuweisen, zu denen die westlichen Sanktionen gegen Russland jetzt führen werden.


Irina Dubois:
Guten Tag, Monsieur de Gaulle. Vielen Dank, dass Sie heute beim französisch-russischen Dialog bei uns sind. Sie beraten in den Bereichen Unternehmensstrategie und Finanzen, Sie haben 15 Jahre Erfahrung in der Leitung von Privatbanken und es ist wahrscheinlich überflüssig, an die großen Taten Ihres Großvaters General de Gaulle zu erinnern. Wir schreiben das Jahr 2022 und es ist ein beispielloses und sehr, sehr komplexes, schwieriges Jahr für die französisch-russischen Beziehungen. Es ist in gewisser Weise ein antirussisches Jahr, würde ich sagen, ganz zu schweigen von der Politik.

Und trotzdem gibt es seit September/Oktober immer mehr Persönlichkeiten, vorsichtig ausgedrückt, die sich für die Normalisierung unserer französisch-russischen Beziehungen aussprechen, und Sie gehören dazu. Warum glauben Sie, dass es für Frankreich so wichtig ist, sich nicht von Russland zu trennen?

Pierre de Gaulle:
Guten Tag, Madame. Ich danke Ihnen für Ihren Empfang und dafür, dass Sie mir die Gelegenheit geben, in diesem Kulturhaus zu sprechen, das all das feiert, was das französische und das russische Volk durch die Kultur miteinander verbindet.

Natürlich denke ich, dass es für Frankreich äußerst wichtig ist, eine Beziehung der gegenseitigen Verständigung und Zusammenarbeit mit Russland aufrechtzuerhalten und zu fördern. Dies schon aufgrund der historischen Bande und der Schicksalsgemeinschaft, die uns verbindet, und auch weil die Aufrechterhaltung und Pflege einer guten Beziehung zu Russland die Garantie für Stabilität und Wohlstand in Europa und der Welt ist. Die Folgen der aktuellen Krise wirken sich leider auf Europa, die Welt und damit natürlich auch auf Frankreich aus. Alle leiden darunter und das Gleichgewicht, das mein Großvater immer zu bewahren versucht hat, selbst in den schwierigsten Zeiten der Geschichte und während des Kalten Krieges und des Zweiten Weltkriegs, wird stark beeinträchtigt. Da Russland eines der Länder war, die zusammen mit Frankreich auf der Seite der Sieger gegen die Nazi-Besatzer standen, war mein Großvater stets bemüht, diese Beziehung zu Russland immer, immer zu bewahren.

Ich denke, es liegt im Interesse Frankreichs, diese Politik fortzusetzen und dieses Gleichgewicht zu bewahren, weil es für die Stabilität Europas von entscheidender Bedeutung ist. Ich denke, die öffentliche Meinung beginnt, sich des perversen Spiels und der Lügen der Amerikaner und insbesondere der NATO bewusst zu werden. Die Ukraine-Krise wird genutzt, um Europa zu destabilisieren. Das mit Russland verbündete Europa bildet einen sowohl politisch als auch wirtschaftlich, kulturell und sozial starken Block von etwa 500 Millionen Menschen. Die Amerikaner haben seit dem Vietnamkrieg und seit den darauf folgenden Wirtschaftskrisen, die insbesondere mit der Aufgabe des Goldstandards für den Dollar zusammenhingen, immer versucht, durch Gewalt, durch List und durch ihre Politik diesen Verlust an Einfluss sowohl wirtschaftlich als auch politisch zu kompensieren, den Verlust an Einfluss des Dollars als einzige Handelswährung in der Welt wettzumachen. Und diese Politik geht weiter.

Ich möchte sagen… Ich empöre mich und ich protestiere gegen diese intellektuelle Unehrlichkeit in der Ukraine-Krise, denn die Kriegsauslöser sind die Amerikaner und die NATO, und ich möchte als Beweis die jüngsten Äußerungen von Frau Merkel anführen, die sagte, sie habe nie die Absicht gehabt, die Minsker Vereinbarungen umzusetzen, die Minsker Abkommen, die ausgehandelt und unterzeichnet wurden, um die Sicherheit, Integrität und den Respekt der russischsprachigen Bevölkerung im Donbass zu gewährleisten. Die Deutschen und die Franzosen haben sich für diese Abkommen für das Gleichgewicht, die Stabilität und den Schutz der Bevölkerung in dieser Region formell verbürgt.

Frau Merkel, die sagte, sie habe nie die Absicht gehabt, die Minsker Vereinbarungen umzusetzen, hat alles getan, um der NATO zu erlauben, die Ukraine zu bewaffnen, hat alles getan, um die Grundlagen für diesen Konflikt zu legen, und ich finde das schlimm, weil Millionen von Menschen darunter leiden.

Indem sie diese ukrainische nationalistische Expansion zuließ, hat sie zugelassen, dass 16.000 bis 18.000 Menschen (im Donbass) bombardiert und getötet wurden. Sie hat zugelassen, dass diese nationalistischen ukrainischen Bevölkerungsgruppen die russische Kultur auslöschen, das Gefühl ihrer Zugehörigkeit zu Russland auslöschen. Sie hat die Möglichkeit dieser Menschen, die eigene Sprache zu sprechen, vernichtet und sie hat leider zugelassen, dass sich diese Verbrechen etablieren. Das heißt, diese nationalistischen Bevölkerungsgruppen haben wissentlich zu diesem Krieg beigetragen und sie haben wissentlich zu dieser Eskalation beigetragen. Die USA setzen leider diese militärische Eskalation fort, unter der die ukrainische Bevölkerung als erste leidet, aber auch die übrige europäische Bevölkerung.

Das Ausmaß, die Anzahl und die Tiefe der Sanktionen zeigen, dass dies alles sehr lange im Voraus organisiert wurde und dass es sich in Wirklichkeit auch um einen Wirtschaftskrieg handelt, von dem die Amerikaner profitieren. Die Amerikaner verkaufen ihr Gas vier- bis siebenmal teurer an die Europäer als sie es für ihr eigenes Land tun, und leider leidet in Europa jetzt jeder in seinem Alltag darunter, denn all dies führt zu einer Wirtschafts- und Finanzkrise, die absolut beispiellos ist. Man wird diesen Leuten sagen: „Das ist die Schuld der Russen!“ Die Russen sind schuld, sehr gut … Aber die Russen verteidigen sich, denn es wurden 11.000 Sanktionen gegen sie verhängt, plus ein neuntes Sanktionspaket, das gestern beschlossen wurde. Es ist völlig legitim und normal, dass die Russen sich verteidigen.

Wir befinden uns in einem aktuellen Modell, in dem die grundlegenden Eigenschaften des Patriotismus, der Liebe zum Vaterland und der Verteidigung des Volkes als anormal angesehen werden. Ich denke, das ist sehr ernst und ich bin froh, dass eine Reihe von Politikern, Intellektuellen, Wirtschaftsvertretern und Eliten zu Überlegungen des Gleichgewichts zurückkehren, zu einer gewissen Logik zurückkehren und zu dem zurückkehren, was immer die Geschichte der Beziehungen zwischen Frankreich und Russland ausgemacht hat, nämlich dieses Gleichgewicht zu bewahren, die Verständigung zu bewahren, die Zusammenarbeit zu bewahren, den Dialog der Zivilisationen zu bewahren, und ich denke angesichts der bevorstehenden Weihnachtszeit an all das, was uns für die Zukunft und für unsere Schicksalsgemeinschaft vereint.

Also für mich ist es eine Notwendigkeit, ein Imperativ, zu Russland eine gute Beziehung zu bewahren, und es ist mein Glaube, dass dies nicht nur vollkommen legitim ist, sondern dass es eine Pflicht ist für Europa und die Stabilität in der Welt und in Europa.

Irina Dubois:
Genau, da Sie von Stabilität sprechen, wir sprechen im französisch-russischen Dialog viel über Souveränität, über die Souveränität der Staaten. Die berühmte Formel von General de Gaulle “L’Europe des Nations” existiert nicht mehr. Wie kann man in der heutigen globalisierten Welt eine unabhängige internationale Beziehung aufbauen?

Pierre de Gaulle:
Was also Europa betrifft, so war mein Großvater Charles de Gaulle tatsächlich ein Befürworter eines Europas der Nationen, d. h., dass jedes Land im Hinblick auf eine Europäische Union sowohl wirtschaftlich als auch politisch mit den anderen zusammenarbeiten würde, aber auch mit einer gewissen politischen Autonomie und Entscheidungsfreiheit.

Wir befinden uns in einem System, in dem es um eine Technokratie geht, die Richtlinien auferlegt, die in jedem Mitgliedstaat umgesetzt werden müssen, eine Technokratie, die leider extrem korrupt ist. Man spricht jetzt nicht mehr darüber, aber damals, als die Präsidentin der Europäischen Kommission ernannt wurde, hinterließ sie immerhin einen Schuldenberg von etwa 100 Millionen Euro an unerklärten Kosten für die Beschäftigung von externen Beratern und Beratungsfirmen aus der Zeit, als sie Deutschlands Verteidigungsministerin war.

Diese Dinge werden verschwiegen. Es wurde auch viel über die Verbindungen der Präsidentin der Europäischen Kommission mit der Pharmaindustrie gesprochen. Ich möchte daran erinnern, dass ihr Sohn für ein amerikanisches Biotechnologieunternehmen arbeitet und dass kürzlich, was die Verbindungen zwischen Frau Von der Leyen und dem Vorstandsvorsitzenden von Pfizer betrifft, der Vorstandsvorsitzende von Pfizer zweimal aufgefordert wurde, vor der Europäischen Kommission auszusagen und sich zu äußern. Zweimal hat er sich geweigert.

Ich würde mir wünschen, dass es auf der Ebene der Europäischen Kommission, die bestimmte Gesetze erlässt, etwas mehr Ehrlichkeit und Transparenz gäbe. Sie, die nicht gewählt sind, haben keinen Respekt vor dem gegebenen Wort. Darin liegt leider das Übel. Die heutigen europäischen Führer! Ich würde mir wünschen, dass es etwas mehr Transparenz gibt.

Vor kurzem haben wir in der Katar-Affäre Geldkoffer gesehen, die sich seltsamerweise im Haus einer der Präsidentinnen der Europäischen Kommission befanden.

In einer Zeit, in der wir uns in einer großen Krise befinden, einer politischen Krise, einer Wirtschaftskrise, die wiederum von den Amerikanern und der NATO perfekt gewollt und gezielt inszeniert wird, wünsche ich mir erneut mehr Transparenz und Ehrlichkeit im Dialog und vor allem die Einhaltung des gegebenen Wortes. Noch einmal: Wenn Deutschland, Frankreich und die OSZE, die sich für das Minsker Abkommen verbürgt haben, zu ihrem Wort gestanden hätten, wären wir nicht in der gegenwärtigen Situation.

Irina Dubois:
Der General (de Gaulle) wollte immer, und Sie haben es gerade gesagt, die Beziehung zu Russland zu jeder Zeit fortsetzen. Und in seinen Kriegserinnerungen, gerade gestern vor unserem heutigen Treffen, las ich die Auszüge seiner Reise nach Russland, 1944, als er Stalin traf, und ich erlaube mir daraus zu zitieren:

„Ich stellte fest, wie sehr die Tatsache, dass Russland und Frankreich sich voneinander getrennt hatten, die Entfesselung der germanischen Ambitionen beeinflusst hatte. Angesichts der germanischen Gefahr lag das gemeinsame Vorgehen Russlands und Frankreichs in der Natur der Sache.“

Der General betrachtete die französisch-russische Beziehung als natürlich, was er in verschiedenen Auszügen aus seinen Memoiren immer wieder wiederholt.

Ich möchte Sie fragen: Glauben Sie, dass der Gaullismus in Frankreich heute noch lebendig ist? Wer sind diese Politiker Ihrer Meinung nach, ob Sie sie benennen wollen oder nicht, oder eben als Erbe des Generals.

Pierre de Gaulle:
Hören Sie, ich werde nicht für einen bestimmten Politiker in Frankreich Partei ergreifen, außer dass ich gegen die Politik bin, die derzeit vom Präsidenten der Republik und seiner Regierung praktiziert wird, insbesondere was die Beziehungen zu Russland betrifft. Ich denke, wie ich schon oft in Interviews gesagt habe, dass man mit Ländern, die so stark, so selbständig und so wichtig sind wie Russland, China oder auch Algerien, nicht „zur gleichen Zeit“ handeln kann. Das hiesse, die russische Kultur nicht zu verstehen und die russische Mentalität nicht zu begreifen. Es hiesse auch, die gesamte Geschichte, die gesamte Vergangenheit und die gesamte Nähe der Beziehungen, die man mit Russland hatte, nicht zu respektieren.

Was den Gaullismus betrifft, so ist er ein Erbe, ein Beispiel, die Fähigkeit, vor allen Dingen die Größe Frankreichs, der Nation und des Landes zu fördern, was normale und grundlegende Werte sind, die heute leider verpönt sind.

Ihr Präsident (gemeint ist also Putin, Red.) hatte gerade eine Sendung, ich glaube, sie hieß Grundwerte oder Grundrealitäten, gegenüber der russischen Jugend gestartet, in der das Vaterland, das Hissen der Flagge und die patriotischen Werte und die Liebe zur Nation geehrt wurden. Das war völlig normal. Auch ich bin in so einem Umfeld aufgewachsen.

In vielen Ländern wie Algerien, wie China, wie Großbritannien, oder auch den USA, feiert man das Hissen der Farben, der Flagge und die Liebe zum Vaterland. Das ist völlig normal und wird nun von einem System, das dazu neigt, die wesentlichen Werte wie Familie, Tradition und Religion zu demontieren, zur Abnormalität erhoben. Glücklicherweise hält in Ihrem Land Präsident Putin diese Werte aufrecht, und ich würde mir wünschen, dass es in Frankreich einen politischen Führer gäbe, der diese Werte und die Größe Frankreichs ebenfalls fördert.

Das Erbe von General de Gaulle ist in der Tat eine bestimmte Vorstellung von Frankreich. Ein Frankreich, das auf der internationalen Bühne präsent ist, aber auch ein Frankreich, das sich die Mittel für seine Politik selber verschafft. Es ist auch das Erbe eines charismatischen Führers mit einer Vision, einer echten Strategie und einer republikanischen Legitimität.

Ich denke, eine unabhängige internationale Beziehung zu entwickeln bedeutet natürlich, die Mittel für diese Politik zu haben, aber auch diese ganze Perspektive der Antizipation von Entscheidungen zu haben, eine klare Strategie zu haben, eine klare Vision zu haben, offene Botschaften, präzise Botschaften, eine echte Strategie für die Franzosen und für das Volk zu haben, denn das ist es, was diese Führer repräsentieren, da sie im Dienst des Volkes stehen. Sie stehen im Dienst der Nation, sie stehen im Dienst des Vaterlandes und sie müssen in allem die Werte ihres Landes fördern und tragen.

Leider sehe ich keine aufstrebenden Persönlichkeiten in Frankreich, die diese Fackel übernehmen, aber mein Großvater hat sein ganzes Leben lang für die Größe Frankreichs gearbeitet, er hat auch ein Erbe hinterlassen, und dieses Erbe liegt in den Händen der Franzosen. Es wurde von der Geschichte geschrieben und es liegt an jedem Einzelnen von uns, dieses Werk fortzusetzen und die Fackel zu übernehmen.

Irina Dubois:
Die Gesellschaft in Frankreich ist in Bezug auf den Konflikt in der Ukraine gespalten: in Kategorien von Menschen, die denken, dass es egal ist, was Russland tut, aber sie sind dagegen, weil sie Russland für eine Diktatur halten, ein Land, das nichts mit den demokratischen Werten Europas zu tun hat. Es gibt eine andere Kategorie, die denkt, dass die wirtschaftlichen Interessen Frankreichs schließlich nicht in der Ukraine liegen und nichts mit diesem Konflikt zu tun haben. Und dann gibt es diejenigen, die, glaube ich, dem Konflikt gegenüber einfach gleichgültig sind. Und es gibt eine weitere Kategorie von Menschen, die wirklich glauben, dass es sich um einen Kampf der Zivilisation handelt, etwas, das über den Krieg in der Ukraine hinausgeht. Sie (Monsieur de Gaulle) haben das ganz am Anfang erwähnt.

Pierre de Gaulle:
Ja, also dieser Konflikt hat Auswirkungen auf die Welt und auf Europa. Er wurde durch den Willen der Amerikaner und der NATO ausgelöst und er wird von der Europäischen Kommission weitgehend aufrechterhalten. Eine grundlegende und große Krise, die das tägliche Leben aller Menschen betrifft.

Ja, ich habe Aussagen von kleinen Handwerkern erhalten, kleinen Geschäftsleuten, von Menschen, die unter dieser Situation leiden, zum Beispiel von Bäckern. Etwa 50 Prozent von ihnen sind, sowohl in Frankreich als auch in Belgien und im übrigen Europa, bereits bankrott, weil ihre Stromrechnung von 1.500 Euro pro Monat auf 5.000 Euro gestiegen ist, was die Fortsetzung ihrer Tätigkeit völlig unmöglich macht und Hunderttausende Menschen in Europa in die Arbeitslosigkeit und in die Krise stürzen wird.

Diese Krise ist ernst, weil die Auswirkungen viel weiter reichen, was leider von Journalisten verschwiegen wird und von der intellektuellen Gemeinschaft, die die Menschen in prorussisch oder pro-amerikanisch oder pro-Putin einteilt, um jede Debatte und jeden Dialog zu vermeiden. Man muss wissen, dass weniger als 50 Prozent der Hilfe, die …, also der Hilfe, oder genauer gesagt der Subventionen, die jetzt den Ukrainern gewährt werden, bei den Ukrainern wirklich ankommt. Man muss wissen, dass 50 Prozent der Waffen, die den Ukrainern gegeben werden, auf den internationalen Märkten weiterverkauft werden, um Terroristen zu versorgen, um politische Krisen, Konflikte und Revolutionen zu versorgen. Vor kurzem hat die ukrainische Regierung einen fast 1000 Seiten umfassenden Katalog mit Waffen veröffentlicht, die nach Südamerika, Afrika und in die arabischen Länder verkauft werden sollen und die den Terrorismus auf der ganzen Welt anheizen werden. Es handelt sich dabei um schwere und leichte Waffen.

Die Ukraine ist leider eines der korruptesten Länder der Welt. Ich kritisiere keinesfalls die Ukrainer, sondern das Regime, das 2014 von den Amerikanern mit diesem berühmten Staatsstreich eingesetzt wurde, bei dem Victoria Nuland, die ukrainischer Abstammung ist, ebenso wie dieser Biden, sich mit den Worten „Fuck EU!“ äußerte. Verzeihen Sie mir, ich zitiere sie, ich zitiere sie wörtlich, das heißt, dass sie unter Missachtung jeglicher Rücksichtnahme, selbst auf die Ukrainer, eine Diktatur errichtet hat.

Ich protestiere und bin empört, dass in Frankreich und Europa ein Bataillon mit dem Namen Asow verherrlicht wird, das die gleichen Embleme wie die Division „Das Reich“ verwendet!

Meine Eltern haben gegen den Nationalsozialismus gekämpft, meine Großeltern, sie wurden sogar aus Gründen des Widerstands deportiert, und für mich ist es absolut skandalös, dass man heute Leute fördert, die im Dombass Massaker, Mord und Diskriminierung an der Bevölkerung verübt haben.

Bereits 2019 sagten die Aussagen des engsten Beraters des späteren Präsidenten Zelenskyj, Arestowitsch, in einem Interview im Februar 2019, dass man unbedingt einen Krieg gegen Russland führen müsse, dass er ihn wolle und dass sie auf jeden Fall Subventionen, Waffen, Unterstützung aus Europa und der Europäischen Union, Unterstützung von der NATO erhalten würden und dass die Ukraine nicht verlieren könne.

Die Amerikaner haben die ukrainische Bevölkerung und die ukrainische Regierung übrigens völlig getäuscht, was den meiner Meinung nach völlig unrealistischen Sieg der Ukraine in diesem Krieg betrifft, denn der große Verlierer dieses Krieges ist ohnehin die ukrainische Bevölkerung selbst und als Folgewirkung auch Europa mit all der Krise, in die es sich durch den Willen der Politiker hineinmanövriert hat.

Irina Dubois:
Das ist eigentlich sehr, sehr traurig, es ist das Leiden Europas, es ist das Leiden des Volkes …

Pierre de Gaulle:
Es ist traurig, aber ich glaube an dieses Wiederaufleben, an diese Rückkehr zu den Realitäten, deshalb ist es für mich sehr wichtig, all diese Lügen und die ganze Logik, die zu diesem Konflikt geführt hat, zu entlarven.

Aber in diesem Konflikt versucht man uns glauben zu machen, dass Russland isoliert ist.

Das ist völlig falsch, denn es gibt Menschen, die sich der Herausforderungen und Realitäten sowohl in Frankreich als auch in Europa und der Welt bewusst sind, und diese Menschen sind dafür verantwortlich, die grundlegenden Wahrheiten wiederherzustellen, die Lügen aufzudecken und die Logik, die zu diesem Krieg geführt hat, anzuprangern.

Nun glaube ich auch an die Erneuerung, ich glaube auch an den Wiederaufbau, der ganz einfach folgen wird, weil ich auf das zurückkomme, was Sie über meinen Großvater gesagt haben: Man kann nicht ohne Russland auskommen, man kann nicht ohne diesen Kontinent an sich auskommen. Es ist nicht ganz ein Kontinent, aber es ist auf jeden Fall das größte Land der Welt, das aufgrund seiner Geografie, Kultur und Geschichte ein absolut beträchtliches wirtschaftliches, politisches, industrielles, geopolitisches und kulturelles Potenzial darstellt.

Russland profitiert in dieser Krise meiner Meinung nach zu Recht von einer Neuausrichtung der politischen, wirtschaftlichen und finanziellen Interessenzentren nach Osten und wird einer der Schiedsrichter dessen sein, was man Eurasien nennt, d. h. ein fantastischer Kontinent, der sowohl Europa als auch Asien vereint und auf dem neue Entscheidungszentren entstehen werden.

Leider wird Europa den Anschluss an diese absolut fantastische Gelegenheit verpassen, da Eurasien ein Kontinent ist, der sich selbst genügt.

Ich möchte auch die Scheinheiligkeit des Sanktionsregimes anprangern, da wir weiterhin russisches Öl kaufen, ohne das wir natürlich nicht auskommen können. Wir kaufen weiterhin russisches Gas, wir kaufen weiterhin Industriemetalle. 60 Prozent der Industriemetalle auf den Weltmärkten werden, wie ich sagen würde, von Russland dominiert.

Wir kaufen weiterhin Uran. Auch die Amerikaner haben weiterhin Magnete für die neue Generation von Kernreaktoren geliefert und gekauft, und glücklicherweise setzen wir das fort, was uns vereint, nämlich das gemeinsame historische Schicksal und alles, was die wissenschaftliche Gemeinschaft ausmacht, was den Austausch der intellektuellen Gemeinschaft ausmacht.

Die Internationale Raumstation wird dank dieser Zusammenarbeit, die über diesen Konflikt hinausgeht, fortgesetzt, und das ist es, was uns vereint und was wir unbedingt fortsetzen müssen.

Irina Dubois:
Es gibt eben noch Dinge, die uns verbinden, und das ist insbesondere die Kultur am Vorabend der Weihnachtsfeierlichkeiten. Die Franzosen werden Weihnachten ein wenig früher feiern, nämlich vor dem russisch-orthodoxen Weihnachtsfest, das wir am 7. Januar feiern werden, und gerade im französisch-russischen Dialog, da wir an unsere sehr starken historischen und kulturellen Bindungen glauben, organisieren wir am 22. Dezember ein Weihnachtskonzert. Ist es aber nur die Kultur, die uns in diesem Moment bleibt, die uns vereint?

Pierre de Gaulle:
Es gibt noch viele andere Dinge, die uns vereinen. Ich habe es Ihnen gesagt, und mein Großvater hat das betont: dass Frankreich und Russland beide Töchter Europas sind, gemeinsame Ursprünge haben und durch eine Schicksals- und Interessengemeinschaft verbunden sind.

Das geht weit über die Kultur hinaus. Davon abgesehen sind Kultur und wirtschaftlicher Austausch das, was Nationen einander näher bringt, was uns vereint und was jenseits von Konflikten und Interessenunterschieden bestehen bleibt.

Was ich auch sagen möchte, ist, dass in dieser gemeinsamen Geschichte Frieden gemacht werden muss, Frieden gemacht werden muss, und dass Frieden eben unvermeidlich ist.

Der Frieden folgt auf jeden Konflikt. Es ist der Frieden, der die Menschen verbindet.

Dieser Frieden erfordert notwendigerweise eine Wiederherstellung des Dialogs, dann eine Verständigung und dann eine wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Das ist es, was die Kontinuität selbst zur Zeit des Kalten Krieges wiederhergestellt hat, ich würde sagen, was die Kontinuität zwischen den Völkern ausmacht, und ich möchte eine Botschaft der Hoffnung und der Einheit vermitteln, weil ich an diese Kultur- und Schicksalsgemeinschaft glaube.

Ich glaube, was uns vereint, die Beziehungen zwischen Frankreich und Russland sind extrem alt, und alle sprechen derzeit vom Frieden.

Ich war einer der ersten, der die Lügen, die Ungerechtigkeit und die Enteignung Ihres Landes (des Landes von Irina Dubois, also Russland), Ihres Volkes angeprangert hat, was ich für absolut skandalös halte, denn man kann nicht eine Nation bestrafen, man kann nicht ein Volk aus Gründen einer Krise bestrafen, wohl wissend, dass dies nicht nur gegen die Grundfreiheiten verstößt, sondern auch gegen das Völkerrecht und eine sehr große Ungerechtigkeit ist.

Ich glaube, dass kein anderes Volk seit den Judenverfolgungen während des Zweiten Weltkriegs so viele Enteignungen erlitten hat wie jetzt das russische Volk.

Für mich ist das schockierend, es ist eine große Ungerechtigkeit. Ich denke, dass man über die aktuellen Krisen hinaus das Gleichgewicht der Völker, das Gleichgewicht der Nationen, das Gleichgewicht der Welt und das Gleichgewicht Europas sehen muss.

Natürlich ist die Kultur einer der bevorzugten und universellen Wege, um unsere beiden Völker einander näher zu bringen.

Ich denke, was uns vereint, ist auch unsere gemeinsame Geschichte und was uns vereint, ist der Rest, wie soll ich Ihnen sagen, die Liebe, die immense Wertschätzung, die ich und meine Familie für den Reichtum der russischen Kultur und der russischen Welt aufbringen.

Vor kurzem sagte ein Nobelpreisträger für Physik Folgendes:

„Man will die russische Kultur zerstören, aber wie kann man ein Land zerstören, das für mehr als die Hälfte der grundlegenden Entdeckungen in Chemie, Physik und Mathematik verantwortlich ist?“

Sie (Madame Dubois, also Russland) sind ein großes Land, Sie sind ein Land mit einer phantastischen Geschichte, und leider zielt das von den Amerikanern inspirierte neoliberale Modell darauf ab, etwas viel Grundlegenderes zu zerstören, als nur ein wirtschaftliches und politisches Gleichgewicht zu verwalten. Es zielt auch darauf ab, eine ganze Kultur zu zerstören, und wie ich Ihnen gesagt habe, untergräbt man die Fundamente, man untergräbt das Bewusstsein eines Volkes, weil man die beiden Säulen der Zivilisation, die Religion und den Glauben, zerstören will, um sie durch eine Kultur der Kurzfristigkeit, der persönlichen Befriedigung zu ersetzen.

Man greift die Grundlagen an, und ich habe gerade gesehen, man greift sogar die Grundlagen der Bildung an, und ich denke, das ist eine ernste Sache und man muss seine Bollwerke bewahren. Das ist es, was uns traditionell seit langem mit der russischen Kultur verbindet.

Es ist diese Vorstellung, die Dostojewski sehr gut beschrieben hat, und das ist es, was den Glauben ausmacht. Tatsächlich ist der Glaube eine der Säulen, eine der Säulen Russlands, und ich glaube, Dostojewski hat ihn zitiert:

„Niemand kann dem Russen seinen Glauben entreißen, ausser er selbst.“

Das ist es, was Ihre Stärke und Ihren Zusammenhalt ausmacht, das ist es, was auch die Stärke der Franzosen ausmacht, das ist es, was die Stärke jeder Nation jedes europäischen Landes ausmacht, genauso wie die Begriffe Patriotismus, Liebe zur Nation, Familie und Religion, die leider Werte sind, die man heute tendenziell zerstören möchte, um die Fähigkeit der Völker und Individuen, sich zu emanzipieren, besser reduzieren zu können, weil das zu einem Verlust der Orientierung führt. Es wird darauf abgezielt, die Integrität der Völker und der Individuen zu zerstören, um sie besser manipulieren zu können.

Irina Dubois:
Vielen Dank für diese hoffnungsvolle Botschaft. Wir werden unsere Aktionen in den kommenden Jahren, ich betone: in den kommenden Jahren, fortsetzen, weil wir diese starken, strategischen und herzlichen Beziehungen mit …, zwischen Russland und Frankreich, brauchen werden und weil der Dialog nie aufhören darf. Ich danke Ihnen vielmals.

Pierre de Gaulle:
Sie sollten auf jeden Fall wissen, dass Sie nicht allein sind, dass es viele Menschen in der Welt gibt, noch einmal, zwei Drittel der Weltbevölkerung, in Frankreich und in Europa, die mit Ihnen sind und die diese Arbeit mit Ihnen fortsetzen werden, und Sie können auf meine Unterstützung und meine Zusammenarbeit zählen, um diesen Wiederaufbau in Hoffnung und Erneuerung fortzusetzen. Vielen Dank, Madame.

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Zum Interview mit Pierre de Gaulle als Video in französischer Sprache hier.

Zum Interview mit Pierre de Gaulle in Form eines geschriebenen Textes, in französischer Sprache hier.

Zu einem anderen Referat von Pierre de Gaulle am 12. Juni 2022 hier.


Info: https://globalbridge.ch/pierre-de-gaulle-enkel-von-charles-de-gaulle-spricht-klartext-ueber-die-usa-die-nato-und-die-europaeischen-medien


unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

11.01.2023

Die militärische Lage in der Ukraine    (nochmals zur Erinnerung)

overton-magazin.de, vom 10. April 2022 23 Kommentare


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Interessante Analyse und Beurteilung des Ukraine-Kriegs durch Jacques Baud, Ex-Oberst des Generalstabs, Ex-Mitglied des strategischen Nachrichtendienstes der Schweiz, Spezialist für osteuropäische Länder und NATO-Mitarbeiter.

Der Beitrag von Jacques Baud wurde Mitte März vom Centre Francais de Recherche sur le Reinseignement (French Center for Intelligence Research – CF2R) veröffentlicht. Wir danken für die Möglichkeit, den Artikel übersetzen und in deutscher Sprache veröffentlichen zu können. Am 25. März schrieb er ein Update on the military situation in Ukraine as of March 25, 2022.


Teil 1: Auf dem Weg zum Krieg


Von Mali bis Afghanistan habe ich [Jacques Baud] jahrelang für den Frieden gearbeitet und dafür mein Leben riskiert. Es geht also nicht darum, den Krieg zu rechtfertigen, sondern zu verstehen, was uns zu ihm geführt hat. Ich stelle fest, dass die „Experten“, die sich im Fernsehen abwechseln, die Situation auf der Grundlage zweifelhafter Informationen analysieren, meist Hypothesen, die in Fakten umgewandelt werden, so dass es uns nicht mehr gelingt zu verstehen, was geschieht. So schafft man Panik.

Das Problem ist nicht so sehr, wer in diesem Konflikt Recht hat, sondern wie unsere Führer ihre Entscheidungen treffen.

Versuchen wir einmal, die Wurzeln des Konflikts zu untersuchen. Es beginnt mit denen, die uns seit acht Jahren von „Separatisten“ oder „Unabhängigkeit“ des Donbass erzählen. Das ist falsch. Die von den beiden selbsternannten Republiken Donezk und Luhansk im Mai 2014 durchgeführten Referenden waren keine Referenden über die „Unabhängigkeit“ (независимость), wie einige skrupellose Journalisten behaupteten, sondern zur „Selbstbestimmung“ oder „Autonomie“ (самостоятельность). Der Begriff „pro-russisch“ suggeriert, dass Russland eine Konfliktpartei war, was nicht der Fall war, und der Begriff „russischsprachig“ wäre ehrlicher gewesen. Außerdem wurden diese Referenden gegen den Rat von Wladimir Putin durchgeführt.


Diese Republiken wollten sich nämlich nicht von der Ukraine abspalten, sondern ein Autonomiestatut erhalten, das ihnen den Gebrauch der russischen Sprache als Amtssprache garantiert. Denn der erste gesetzgeberische Akt der neuen Regierung, die aus dem Sturz von Präsident Janukowitsch hervorging, war am 23. Februar 2014 die Abschaffung des Kivalov-Kolesnichenko-Gesetzes von 2012, das Russisch zur Amtssprache machte. Das ist in etwa so, als hätten die Putschisten beschlossen, dass Französisch und Italienisch in der Schweiz keine Amtssprachen mehr sein sollen.

Diese Entscheidung löste einen Sturm in der russischsprachigen Bevölkerung aus. Dies führte zu heftigen Repressionen gegen die russischsprachigen Regionen (Odessa, Dnipropetrowsk, Charkow, Lugansk und Donezk), die im Februar 2014 begannen und zu einer Militarisierung der Situation und einigen Massakern führten (vor allem in Odessa und Mariupol). Am Ende des Sommers 2014 blieben nur die selbsternannten Republiken Donezk und Lugansk übrig.

In dieser Phase waren die ukrainischen Stäbe zu starr, hingen einer doktrinären Herangehensweise an die Kunst der Kriegsführung an und mussten den Feind ertragen, ohne sich durchsetzen zu können. Die Untersuchung des Verlaufs der Kämpfe 2014-2016 im Donbass zeigt, dass der ukrainische Generalstab systematisch und mechanisch die gleichen operativen Schemata anwandte. Der von den Autonomisten geführte Krieg ähnelte jedoch sehr stark dem, was wir in der Sahelzone beobachten konnten: sehr mobile Operationen, die mit leichten Mitteln durchgeführt wurden. Mit einem flexibleren und weniger doktrinären Ansatz waren die Rebellen in der Lage, die Trägheit der ukrainischen Streitkräfte auszunutzen und sie immer wieder in die „Falle“ zu locken.

2014 bin ich bei der NATO für den Kampf gegen die Verbreitung von Kleinwaffen zuständig, und wir versuchen, russische Waffenlieferungen an die Rebellen aufzuspüren, um festzustellen, ob Moskau daran beteiligt ist. Die Informationen, die wir dann erhalten, stammen praktisch alle von den polnischen Geheimdiensten und stimmen nicht mit den Informationen der OSZE überein: Trotz recht grober Behauptungen können wir keine Lieferung von Waffen und Material des russischen Militärs feststellen.

Die Rebellen sind dank der Überläufer russischsprachiger ukrainischer Einheiten, die auf die Seite der Rebellen überlaufen, bewaffnet. Im Zuge des ukrainischen Scheiterns sind ganze Panzer-, Artillerie- oder Flugabwehrbataillone in die Reihen der Autonomisten übergelaufen. Das ist es, was die Ukrainer dazu bringt, sich zu den Minsker Vereinbarungen zu bekennen.

Doch kurz nach der Unterzeichnung der Minsker Vereinbarungen startete der ukrainische Präsident Petro Poroschenko eine groß angelegte Anti-Terror-Operation (ATO/Антитерористична операція) gegen den Donbass. Bis repetita placent : von NATO-Offizieren schlecht beraten, erlitten die Ukrainer eine vernichtende Niederlage bei Debalzewo, die sie zwang, sich auf die Minsk-2-Abkommen einzulassen …

Es ist wichtig, hier daran zu erinnern, dass die Abkommen von Minsk 1 (September 2014) und Minsk 2 (Februar 2015) weder die Abspaltung noch die Unabhängigkeit der Republiken vorsahen, sondern ihre Autonomie im Rahmen der Ukraine. Diejenigen, die die Abkommen gelesen haben (und das sind sehr, sehr, sehr wenige), werden feststellen, dass der Status der Republiken vollständig zwischen Kiew und den Vertretern der Republiken ausgehandelt werden sollte, um eine interne Lösung in der Ukraine zu finden.

Aus diesem Grund hat Russland seit 2014 systematisch ihre Anwendung gefordert, sich aber geweigert, an den Verhandlungen teilzunehmen, da es sich um eine interne Angelegenheit der Ukraine handele. Auf der anderen Seite hat der Westen – allen voran Frankreich – systematisch versucht, die Minsker Vereinbarungen durch das „Normandie-Format“ zu ersetzen, bei dem sich Russen und Ukrainer von Angesicht zu Angesicht gegenüberstanden. Erinnern wir uns jedoch daran, dass es vor dem 23. und 24. Februar 2022 nie russische Truppen im Donbass gab. Außerdem haben OSZE-Beobachter nie auch nur die geringste Spur von russischen Einheiten im Donbass beobachtet. So zeigt auch die von der Washington Post am 3. Dezember 2021 veröffentlichte Karte der US-Geheimdienste keine russischen Truppen im Donbass.

Im Oktober 2015 gestand Vasyl Hrytsak, Direktor des ukrainischen Sicherheitsdienstes (SBU), dass nur 56 russische Kämpfer im Donbass beobachtet worden seien. Das war vergleichbar mit den Schweizern, die an den Wochenenden in den 1990er Jahren in Bosnien kämpften, oder den Franzosen, die heute in der Ukraine kämpfen.

Die ukrainische Armee befand sich damals in einem beklagenswerten Zustand. Im Oktober 2018, nach vier Jahren Krieg, erklärte der oberste Militärstaatsanwalt der Ukraine, Anatoli Matios, dass die Ukraine im Donbass 2.700 Männer verloren hat: 891 durch Krankheiten, 318 durch Verkehrsunfälle, 177 durch andere Unfälle, 175 durch Vergiftungen (Alkohol, Drogen), 172 durch unvorsichtigen Umgang mit Waffen, 101 durch Verstöße gegen Sicherheitsvorschriften, 228 durch Mord und 615 durch Selbstmord.

Tatsächlich ist die Armee durch die Korruption ihrer Kader unterminiert und genießt nicht mehr die Unterstützung der Bevölkerung. Nach einem Bericht des britischen Innenministeriums erschienen bei der Einberufung von Reservisten im März/April 2014 70 % nicht zur ersten Vorladung, 80 % zur zweiten, 90 % zur dritten und 95 % zur vierten Sitzung. Im Oktober/November 2017 erschienen bei der Rückrufaktion „Herbst 2017“ 70 % der Einberufenen nicht. Dabei sind Selbstmorde und Desertionen (oft zugunsten der Autonomisten), die bis zu 30 % der Arbeitskräfte in der ATO-Zone ausmachen, nicht berücksichtigt. Junge Ukrainer weigern sich, im Donbass zu kämpfen und ziehen die Auswanderung vor, was zumindest teilweise auch das demografische Defizit des Landes erklärt.

Das ukrainische Verteidigungsministerium wandte sich daraufhin an die NATO, um seine Streitkräfte „attraktiver“ zu machen. Da ich bereits im Rahmen der Vereinten Nationen an ähnlichen Projekten gearbeitet hatte, wurde ich von der NATO gebeten, an einem Programm teilzunehmen, das das Image der ukrainischen Streitkräfte wiederherstellen soll. Aber das ist ein langwieriger Prozess, und die Ukrainer wollten schnell vorankommen.

Um den Mangel an Soldaten auszugleichen, griff die ukrainische Regierung auf paramilitärische Milizen zurück. Sie bestehen im Wesentlichen aus ausländischen Söldnern, oft Rechtsextremisten. Im Jahr 2020 machen sie rund 40 % der ukrainischen Streitkräfte aus und umfassen laut Reuters etwa 102000 Mann. Bewaffnet, finanziert und ausgebildet werden sie von den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Kanada und Frankreich. Es gibt mehr als 19 Nationalitäten – darunter auch Schweizer.

Westliche Länder haben also eindeutig ukrainische rechtsextreme Milizen geschaffen und unterstützt. Im Oktober 2021 schlug die Jerusalem Post Alarm und prangerte das Centuria-Projekt an. Diese Milizen sind seit 2014 mit westlicher Unterstützung im Donbass aktiv. Auch wenn wir über den Begriff „Nazi“ diskutieren können, bleibt die Tatsache bestehen, dass diese Milizen gewalttätig sind, eine widerliche Ideologie verbreiten und virulent antisemitisch sind. Ihr Antisemitismus ist eher kultureller als politischer Natur, weshalb das Adjektiv „Nazi“ nicht wirklich angebracht ist. Ihr Judenhass hat seinen Ursprung in den großen Hungersnöten der Jahre 1920-1930 in der Ukraine, die auf die Beschlagnahmung der Ernten durch Stalin zurückzuführen sind, um die Modernisierung der Roten Armee zu finanzieren. Dieser Völkermord – in der Ukraine als Holodomor bekannt – wurde jedoch vom NKWD (dem Vorgänger des KGB) verübt, dessen obere Führungsetagen hauptsächlich aus Juden bestanden. Aus diesem Grund fordern ukrainische Extremisten heute von Israel eine Entschuldigung für die Verbrechen des Kommunismus, wie die Jerusalem Post berichtet. Wir sind also weit entfernt von einer „Umschreibung der Geschichte“ durch Wladimir Putin.

Diese Milizen, die aus den rechtsextremen Gruppen hervorgegangen sind, die 2014 die Euromaidan-Revolution anführten, bestehen aus fanatischen und brutalen Personen. Das bekannteste von ihnen ist das Asow-Regiment, dessen Emblem an das der 2. SS-Panzerdivision „Das Reich“ erinnert, die in der Ukraine regelrecht verehrt wird, weil sie 1943 Charkow von den Sowjets befreit hat, bevor sie 1944 in Frankreich das Massaker von Oradour-sur-Glane verübte.

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Zu den berühmten Persönlichkeiten des Asow-Regiments gehörte der Gegner Roman Protassewitsch, der 2021 von den belarussischen Behörden im Zusammenhang mit dem RyanAir-Flug FR4978 verhaftet wurde. Am 23. Mai 2021 ist die Rede von der vorsätzlichen Entführung eines Flugzeugs durch eine MiG-29 – natürlich mit Putins Zustimmung -, um Protassewitsch festzunehmen, obwohl die damals verfügbaren Informationen dieses Szenario in keiner Weise bestätigen.

Doch es musste dann nachgewiesen werden, dass Präsident Lukaschenko ein Verbrecher ist und Protassewitsch ein „Journalist“, der die Demokratie liebt. Eine recht erbauliche Untersuchung einer amerikanischen NGO aus dem Jahr 2020 hat jedoch Protassewitschs rechtsextreme und militante Aktivitäten aufgezeigt. Eine westliche Verschwörung setzte sich in Bewegung und skrupellose Medien „verhübschten“ seine Biografie. Im Januar 2022 wird schließlich der ICAO-Bericht veröffentlicht, aus dem hervorgeht, dass Belarus trotz einiger Verfahrensfehler im Einklang mit den geltenden Vorschriften gehandelt hat und dass die MiG-29 15 Minuten nach der Entscheidung des RyanAir-Piloten, in Minsk zu landen, gestartet ist. Also keine weißrussische Verschwörung und noch weniger mit Putin. Ah!… Ein weiteres Detail: Protassewitsch, der von der belarussischen Polizei grausam gefoltert wurde, ist jetzt frei. Wer mit ihm korrespondieren möchte, kann dies auf seinem Twitter-Account tun.

Die Bezeichnung „Nazi“ oder „Neonazi“ für die ukrainischen Paramilitärs wird als russische Propaganda angesehen. Das mag sein, aber das ist nicht die Meinung der Times of Israel, des Simon Wiesenthal Center oder des Counterterrorism Center an der West Point Academy. Aber das bleibt fraglich, denn 2014 schien das Magazin Newsweek sie mit dem Islamischen Staat in Verbindung zu bringen. Was für eine Auswahl!

Der Westen unterstützt und bewaffnet also weiterhin Milizen, die sich seit 2014 zahlreicher Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung schuldig gemacht haben: Vergewaltigungen, Folter und Massaker. Aber während die Schweizer Regierung sehr schnell war, Sanktionen gegen Russland zu verhängen, hat sie keine gegen die Ukraine beschlossen, die seit 2014 ihre eigene Bevölkerung abschlachtet. Diejenigen, die die Rechte der Menschen in der Ukraine verteidigen, haben die Aktionen dieser Gruppen schon lange verurteilt, aber unsere Regierungen sind ihnen nicht gefolgt. Denn in Wirklichkeit versuchen wir nicht, der Ukraine zu helfen, sondern Russland zu bekämpfen.

Die Integration dieser paramilitärischen Kräfte in die Nationalgarde ging keineswegs mit einer „Entnazifizierung“ einher, wie manche behaupten. Unter den vielen Beispielen ist das Insignien des Asowschen Regiments informativ:

Im Jahr 2022 sind die ukrainischen Streitkräfte, die gegen die russische Offensive kämpfen, sehr schematisch wie folgt strukturiert:

– Armee, die dem Verteidigungsministerium unterstellt ist: Sie ist in 3 Armeekorps gegliedert und besteht aus Manövrierverbänden (Panzer, schwere Artillerie, Raketen usw.).

– Nationalgarde, die dem Innenministerium untersteht und in 5 territoriale Kommandos gegliedert ist.

Die Nationalgarde ist also eine territoriale Verteidigungstruppe, die nicht Teil der ukrainischen Armee ist. Sie umfasst paramilitärische Milizen, die „Freiwilligenbataillone“ (добровольчі батальйоні) genannt werden und auch unter dem vielsagenden Namen „Vergeltungsbataillone“ bekannt sind und aus Infanteristen bestehen. Sie sind vor allem für den Kampf in den Städten ausgebildet und sichern heute die Verteidigung von Städten wie Charkow, Mariupol, Odessa, Kiew usw.


Teil 2: Der Krieg


Als ehemaliger Chef der Streitkräfte des Warschauer Paktes im strategischen Nachrichtendienst der Schweiz stelle ich mit Bedauern – aber nicht mit Erstaunen – fest, dass unsere Dienste nicht mehr in der Lage sind, die militärische Lage in der Ukraine zu verstehen.

Die selbsternannten „Experten“, die über unsere Bildschirme flimmern, geben unermüdlich die gleichen Informationen weiter, moduliert durch die Behauptung, Russland – und Wladimir Putin – seien irrational. Lassen Sie uns einen Schritt zurückgehen.


Der Ausbruch des Krieges

Seit November 2021 drohen die Amerikaner ständig mit einer russischen Invasion in der Ukraine. Die Ukrainer schienen damit jedoch nicht einverstanden zu sein. Und warum?

Wir müssen bis zum 24. März 2021 zurückgehen. An diesem Tag erließ Wolodymyr Selenskij einen Erlass zur Rückeroberung der Krim und begann, seine Streitkräfte in den Süden des Landes zu verlegen. Gleichzeitig fanden mehrere NATO-Übungen zwischen dem Schwarzen Meer und der Ostsee statt, begleitet von einer deutlichen Zunahme der Aufklärungsflüge entlang der russischen Grenze. Russland führt daraufhin einige Übungen durch, um die Einsatzbereitschaft seiner Truppen zu testen und zu zeigen, dass es die Entwicklung der Lage verfolgt.

Die Lage beruhigt sich bis Oktober/November mit dem Ende der ZAPAD 21-Übungen, deren Truppenbewegungen als Verstärkung für eine Offensive gegen die Ukraine interpretiert wurden. Doch selbst die ukrainischen Behörden wiesen den Gedanken an russische Kriegsvorbereitungen zurück, und der ukrainische Verteidigungsminister Oleksij Reznikow erklärte, dass sich die Lage an der ukrainischen Grenze seit dem Frühjahr nicht verändert habe.

Unter Verletzung der Minsker Vereinbarungen führt die Ukraine im Donbass Luftangriffe mit Drohnen durch, darunter mindestens ein Angriff auf ein Treibstoffdepot in Donezk im Oktober 2021. Die amerikanische Presse wies darauf hin, aber nicht die Europäer, und niemand verurteilte diese Verstöße.

Im Februar 2022 überstürzen sich die Ereignisse. Am 7. Februar bekräftigt Emmanuel Macron bei seinem Besuch in Moskau gegenüber Wladimir Putin sein Festhalten an den Minsker Vereinbarungen, eine Verpflichtung, die er nach seinem Gespräch mit Wolodymyr Zelenski am nächsten Tag wiederholte. Doch am 11. Februar endet in Berlin nach 9 Stunden Arbeit das Treffen der politischen Berater der Führer des „Normandie-Formats“ ohne konkretes Ergebnis: Die Ukrainer weigerten sich immer noch und immer wieder, die Minsker Vereinbarungen anzuwenden, offenbar auf Druck der Vereinigten Staaten. Wladimir Putin stellt daraufhin fest, dass Macron ihm gegenüber leere Versprechungen gemacht hat und dass der Westen nicht bereit ist, die Vereinbarungen durchzusetzen, wie er es schon seit acht Jahren getan hat.

Die ukrainischen Vorbereitungen in der Kontaktzone gingen weiter. Das russische Parlament war alarmiert und forderte Wladimir Putin am 15. Februar auf, die Unabhängigkeit der Republiken anzuerkennen, was dieser ablehnte.


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                Zahl der von der OSZE registrierten Explosionen vom 14. bis 22 Februar 2022.

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                                  Von der OSZE beobachtete Waffenstillstandsverletzungen


Am 17. Februar kündigte Präsident Joe Biden an, dass Russland die Ukraine in den nächsten Tagen angreifen wird. Woher weiß er das? Mysterium… Aber seit dem 16. Februar hat der Artilleriebeschuss der Bevölkerung im Donbass dramatisch zugenommen, wie die täglichen Berichte der OSZE-Beobachter zeigen. Natürlich reagieren weder die Medien, noch die Europäische Union, noch die NATO, noch irgendeine westliche Regierung und schreiten ein. Wir werden später sagen, dass dies eine russische Desinformation ist. Tatsächlich scheint es, dass die Europäische Union und einige Länder das Massaker an den Menschen im Donbass absichtlich beschönigt haben, weil sie wussten, dass dies eine russische Intervention provozieren würde.

Zugleich gibt es Berichte über Sabotageakte im Donbass. Am 18. Januar fingen Kämpfer aus dem Donbass Saboteure ab, die mit westlicher Ausrüstung ausgestattet waren und Polnisch sprachen und versuchten, chemische Zwischenfälle in Gorlivka zu verursachen. Es könnte sich um CIA-Söldner handeln, die von den Amerikanern angeleitet oder „beraten“ werden und aus ukrainischen oder europäischen Kämpfern bestehen, um Sabotageaktionen in den Donbass-Republiken durchzuführen.

Seit dem 16. Februar wusste Joe Biden, dass die Ukrainer damit begonnen haben, die Zivilbevölkerung im Donbass zu beschießen, was Wladimir Putin vor eine schwierige Wahl stellte: entweder dem Donbass militärisch zu helfen und ein internationales Problem zu schaffen oder untätig zuzusehen, wie russischsprachige Menschen aus dem Donbass überrollt werden.

Wenn er sich für ein Eingreifen entscheidet, kann sich Wladimir Putin auf die internationale Verpflichtung der „Schutzverantwortung“ (R2P) berufen. Aber er weiß, dass die Intervention unabhängig von ihrer Art und ihrem Ausmaß eine Flut von Sanktionen auslösen wird. Unabhängig davon, ob sich seine Intervention auf den Donbass beschränkt oder ob sie darüber hinausgeht, um den Westen in Bezug auf den Status der Ukraine unter Druck zu setzen, wird der zu zahlende Preis derselbe sein. Dies erklärte er in seiner Rede vom 21. Februar.

An diesem Tag kam er dem Ersuchen der Duma nach und erkannte die Unabhängigkeit der beiden Donbass-Republiken an, mit denen er Freundschafts- und Beistandsverträge unterzeichnete.

Der ukrainische Artilleriebeschuss auf die Bevölkerung des Donbass ging weiter, und am 23. Februar baten die beiden Republiken Russland um militärische Hilfe. Am 24. Februar berief sich Wladimir Putin auf Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen, der gegenseitige Militärhilfe im Rahmen eines Verteidigungsbündnisses vorsieht.

Um die russische Intervention in den Augen der Öffentlichkeit völlig illegal zu machen, verschleiern wir absichtlich die Tatsache, dass der Krieg eigentlich schon am 16. Februar begann. Die ukrainische Armee bereitete sich bereits 2021 auf einen Angriff auf den Donbass vor, wie bestimmte russische und europäische Geheimdienste wussten… Die Juristen werden darüber urteilen.

In seiner Rede vom 24. Februar nannte Wladimir Putin die beiden Ziele seiner Operation: „Entmilitarisierung“ und „Entnazifizierung“ der Ukraine. Es geht also nicht darum, die Ukraine zu erobern, wahrscheinlich nicht einmal zu besetzen und schon gar nicht zu zerstören.

Von dort aus haben wir nur einen begrenzten Einblick in den Verlauf der Operation: Die Russen verfügen über eine ausgezeichnete Geheimhaltung der Operationen (OPSEC), und die Einzelheiten ihrer Planung sind nicht bekannt. Der Verlauf der Operationen macht es jedoch relativ schnell möglich zu verstehen, wie die strategischen Ziele in den operativen Plan umgesetzt wurden.


Entmilitarisierung:

– Zerstörung der ukrainischen Luftfahrt, Luftabwehrsysteme und Aufklärungseinrichtungen am Boden;

– Neutralisierung der Führungs- und Aufklärungsstrukturen (C3I) sowie der wichtigsten Logistikrouten in der Tiefe des Gebietes;

– Einkreisung des Großteils der ukrainischen Armee, die im Südosten des Landes zusammengezogen ist.

 

Entnazifizierung:

– Zerstörung oder Neutralisierung von Freiwilligenbataillonen, die in den Städten Odessa, Charkow und Mariupol sowie in verschiedenen Einrichtungen des Landes operieren.

 

Die „Entmilitarisierung“

Die russische Offensive verläuft in einer sehr „klassischen“ Weise. Zunächst – wie die Israelis 1967 – mit der Zerstörung der Luftstreitkräfte am Boden in den ersten Stunden. Dann folgt ein gleichzeitiger Vormarsch auf mehreren Achsen nach dem Prinzip des „fließenden Wassers“: Wir rücken dort vor, wo der Widerstand schwach ist, und überlassen die (sehr truppenstarken) Städte einem späteren Zeitpunkt. Im Norden wird das Kernkraftwerk von Tschernobyl sofort besetzt, um Sabotageakte zu verhindern. Die Bilder von ukrainischen und russischen Soldaten, die das Kraftwerk gemeinsam bewachen, werden natürlich nicht gezeigt…

Die Idee, dass Russland versucht, die Hauptstadt Kiew zu übernehmen, um Zelenski zu beseitigen, kommt typischerweise aus dem Westen: Das hat man in Afghanistan, im Irak und in Libyen getan und wollte es in Syrien mit Hilfe des Islamischen Staates tun. Aber Wladimir Putin hatte nie die Absicht, Selenskij zu stürzen oder zu beseitigen. Im Gegenteil, Russland versucht, ihn an der Macht zu halten, indem es ihn durch die Einkreisung von Kiew zu Verhandlungen zwingt. Bislang hatte er sich geweigert, die Minsker Vereinbarungen anzuwenden, doch nun wollen die Russen die Neutralität der Ukraine erreichen.

Viele westliche Kommentatoren wunderten sich darüber, dass die Russen weiterhin eine Verhandlungslösung anstrebten, während sie militärische Operationen durchführten. Die Erklärung dafür liegt in der strategischen Konzeption der Russen seit der Sowjetzeit. Für den Westen beginnt der Krieg, wenn die Politik aufhört. Der russische Ansatz folgt jedoch einer Clausewitzschen Inspiration: Krieg ist die Kontinuität der Politik, und man kann fließend von der einen zur anderen übergehen, sogar während des Kampfes. Dies erzeugt Druck auf den Gegner und zwingt ihn zu Verhandlungen.

Aus operativer Sicht war die russische Offensive ein Beispiel für ihre Art: In sechs Tagen eroberten die Russen ein Gebiet, das so groß war wie das Vereinigte Königreich, und zwar mit einer Geschwindigkeit, die die der Wehrmacht im Jahr 1940 überlegen war.

Der Großteil der ukrainischen Armee war im Süden des Landes für eine Großoperation gegen den Donbass stationiert. Deshalb konnten die russischen Streitkräfte den Donbass ab Anfang März im „Kessel“ zwischen Slawjansk, Kramatorsk und Sewerodonezk einkesseln, und zwar durch einen Vorstoß von Osten über Charkow und einen weiteren von Süden von der Krim aus. Die Truppen der Republiken Donezk (DPR) und Lugansk (RPL) ergänzen die Aktion der russischen Streitkräfte mit einem Vorstoß aus dem Osten.

In dieser Phase ziehen die russischen Streitkräfte die Schlinge langsam zu, stehen aber nicht mehr unter Zeitdruck. Ihr Ziel der Entmilitarisierung ist praktisch erreicht, und die verbliebenen ukrainischen Streitkräfte verfügen über keine operative und strategische Kommandostruktur mehr.

Die „Verlangsamung“, die unsere „Experten“ auf die schlechte Logistik zurückführen, ist nur die Folge des Erreichens der gesetzten Ziele. Russland scheint sich nicht auf eine Besetzung des gesamten ukrainischen Territoriums einlassen zu wollen. Vielmehr scheint es, als wolle Russland seinen Vormarsch auf die Sprachgrenze des Landes beschränken.

In unseren Medien ist von wahllosen Bombardements gegen die Zivilbevölkerung, insbesondere in Charkow, die Rede, und danteske Bilder werden in einer Endlosschleife gesendet. Gonzalo Lira, ein Lateinamerikaner, der dort lebt, zeigt uns jedoch am 10. und 11. März eine ruhige Stadt. Zugegeben, es ist eine große Stadt und man kann nicht alles sehen, aber das scheint darauf hinzuweisen, dass wir uns nicht in dem totalen Krieg befinden, der uns ständig auf den Bildschirmen serviert wird.

Was die Donbass-Republiken angeht, so haben sie ihre eigenen Gebiete „befreit“ und kämpfen in der Stadt Mariupol.


 „Entnazifizierung“

In Städten wie Charkow, Mariupol und Odessa wird die Verteidigung von paramilitärischen Milizen übernommen. Sie wissen, dass das Ziel der „Entnazifizierung“ in erster Linie auf sie ausgerichtet ist.

Für einen Angreifer in einem städtischen Gebiet sind die Zivilisten ein Problem. Deshalb versucht Russland, humanitäre Korridore zu schaffen, um die Städte von Zivilisten zu befreien und nur die Milizen zurückzulassen, um sie leichter bekämpfen zu können.

Umgekehrt versuchen die Milizen, Zivilisten in den Städten zu halten, um die russische Armee davon abzuhalten, dort zu kämpfen. Deshalb zögern sie, diese Korridore einzurichten, und tun alles, damit die russischen Bemühungen vergeblich sind: So können sie die Zivilbevölkerung als „menschliche Schutzschilde“ benutzen. Videos, die zeigen, wie Zivilisten versuchen, Mariupol zu verlassen und dabei von Kämpfern des Asow-Regiments verprügelt werden, werden hier natürlich sorgfältig zensiert.

Auf Facebook wurde die Asow-Gruppe in die gleiche Kategorie wie der Islamische Staat eingestuft und unterlag der „Politik für gefährliche Personen und Organisationen“ der Plattform. Es war daher verboten, sie zu verherrlichen, und die „Posts“, die ihr wohlgesonnen waren, wurden systematisch verbannt. Doch am 24. Februar änderte Facebook seine Politik und erlaubte Beiträge, die die Miliz unterstützten. Im März genehmigte die Plattform in den ehemaligen osteuropäischen Ländern Aufrufe zur Ermordung von russischen Soldaten und Führern. So viel zu den Werten, die unsere Führer inspirieren, wie wir sehen werden.

Unsere Medien propagieren ein romantisches Bild des Volkswiderstands. Dieses Bild hat die Europäische Union dazu veranlasst, die Verteilung von Waffen an die Zivilbevölkerung zu finanzieren. Das ist ein krimineller Akt. In meiner Funktion als Chef der Doktrin für friedenserhaltende Operationen bei der UNO habe ich mich mit der Frage des Schutzes der Zivilbevölkerung beschäftigt. Dabei haben wir festgestellt, dass Gewalt gegen Zivilisten in ganz bestimmten Kontexten stattfindet. Vor allem dann, wenn Waffen im Überfluss vorhanden sind und es keine Kommandostrukturen gibt.

Diese Kommandostrukturen sind das Wesen von Armeen: Sie haben die Aufgabe, den Einsatz von Gewalt entsprechend einem Ziel zu kanalisieren. Indem die EU die Bürger willkürlich bewaffnet, wie es derzeit der Fall ist, macht sie sie mit den entsprechenden Konsequenzen zu Kombattanten: potenzielle Ziele. Außerdem führt die Verteilung von Waffen ohne Befehl und ohne operative Ziele unweigerlich zu Abrechnungen, Banditentum und Aktionen, die eher tödlich als effektiv sind. Krieg wird zu einer Frage der Gefühle. Macht wird zu Gewalt. So geschehen in Tawarga (Libyen) vom 11. bis 13. August 2011, wo 30.000 Schwarzafrikaner mit (illegal) von Frankreich abgeworfenen Waffen massakriert wurden. Auch das britische Royal Institute for Strategic Studies (RUSI) sieht in diesen Waffenlieferungen keinen Mehrwert.

Wenn man Waffen an ein Land liefert, das sich im Krieg befindet, setzt man sich außerdem der Gefahr aus, als Kriegspartei betrachtet zu werden. Die russischen Angriffe auf den Luftwaffenstützpunkt Mykolaiv am 13. März 2022 folgen auf russische Warnungen, dass Waffentransporte als feindliche Ziele behandelt würden.

Die EU wiederholt die katastrophalen Erfahrungen des Dritten Reiches in den letzten Stunden der Schlacht um Berlin. Der Krieg sollte dem Militär überlassen werden, und wenn eine Seite verloren hat, sollte dies zugegeben werden. Und wenn es Widerstand geben sollte, dann muss dieser unbedingt geführt und strukturiert werden. Wir tun jedoch genau das Gegenteil: Wir drängen die Bürger, in den Kampf zu ziehen, und gleichzeitig erlaubt Facebook Aufrufe zur Ermordung russischer Soldaten und Führer. So viel zu den Werten, die uns inspirieren.

In einigen Geheimdiensten wird diese unverantwortliche Entscheidung als Möglichkeit gesehen, die ukrainische Bevölkerung als Kanonenfutter für den Kampf gegen Wladimir Putins Russland zu benutzen. Diese Art von mörderischer Entscheidung musste den Kollegen von Ursula von der Leyens Großvater überlassen werden. Es wäre klüger gewesen, in Verhandlungen einzutreten und so Garantien für die Zivilbevölkerung zu erhalten, als Öl ins Feuer zu gießen. Es ist leicht, mit dem Blut anderer Leute kämpferisch zu sein …


Geburtenklinik in Mariupol

Es ist wichtig, im Voraus zu verstehen, dass nicht die ukrainische Armee die Verteidigung von Mariupol sicherstellt, sondern die Asow-Miliz, die aus ausländischen Söldnern besteht.

In ihrer Zusammenfassung der Situation vom 7. März 2022 stellt die russische UN-Mission in New York fest: „Einwohner berichten, dass die ukrainischen Streitkräfte das Personal des Krankenhauses Natal Nr. 1 aus der Stadt Mariupol vertrieben und eine Schießanlage in der Einrichtung installiert haben. “

Am 8. März veröffentlichte das unabhängige russische Medium Lenta.ru die Aussagen von Zivilisten aus Mariupol, die sagten, dass das Entbindungskrankenhaus von den Milizen des Asow-Regiments übernommen wurde, die die zivilen Bewohner vertrieben und sie mit ihren Waffen bedrohten. Sie bestätigen damit die Aussagen des russischen Botschafters einige Stunden zuvor.

Das Krankenhaus von Mariupol befindet sich in einer beherrschenden Position, die sich hervorragend für die Aufstellung von Panzerabwehrwaffen und zur Beobachtung eignet. Am 9. März beschossen die russischen Streitkräfte das Gebäude. CNN zufolge gibt es 17 Verletzte, aber das Filmmaterial zeigt keine Verletzten auf dem Gelände, und es gibt keine Hinweise darauf, dass die gemeldeten Opfer mit diesem Angriff in Zusammenhang stehen. Wir sprechen von Kindern, aber in Wirklichkeit sehen wir nichts. Es mag wahr sein, aber es kann auch falsch sein … Was die EU-Führer nicht daran hindert, dies als Kriegsverbrechen zu betrachten … Was Zelensky erlaubt, kurz danach eine Flugverbotszone über der Ukraine zu fordern …

In Wirklichkeit wissen wir nicht genau, was passiert ist. Aber die Abfolge der Ereignisse deutet darauf hin, dass die russischen Streitkräfte eine Stellung des Asow-Regiments angegriffen haben und dass sich in der Entbindungsstation damals keine Zivilisten aufhielten.

Das Problem ist, dass die paramilitärischen Milizen, die für die Verteidigung der Städte zuständig sind, von der internationalen Gemeinschaft ermutigt werden, sich nicht an die Regeln des Krieges zu halten. Es scheint, dass die Ukrainer das Szenario des Entbindungsheims in Kuwait City im Jahr 1990 nachgestellt haben, das von der Firma Hill & Knowlton für 10,7 Millionen Dollar komplett inszeniert worden war, um den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen davon zu überzeugen, im Irak für die Operation Wüstenschild/Sturm zu intervenieren.

Auch westliche Politiker haben acht Jahre lang Raketenangriffe gegen die Zivilbevölkerung im Donbass hingenommen, ohne irgendwelche Sanktionen gegen die ukrainische Regierung zu beschließen. Wir sind längst in eine Dynamik eingetreten, in der westliche Politiker bereit sind, das Völkerrecht ihrem Ziel zu opfern, Russland zu schwächen.

 

Teil 3: Schlussfolgerungen


Als ehemaliger Geheimdinestmitarbeiter fällt mir als Erstes auf, dass die westlichen Nachrichtendienste die Situation ein Jahr lang überhaupt nicht dargestellt haben. In der Schweiz wurden die Dienste dafür kritisiert, dass sie kein korrektes Bild der Lage geliefert haben. Überall in der westlichen Welt scheint es so zu sein, dass die Dienste von den Politikern überwältigt werden. Das Problem ist, dass es die Politiker sind, die entscheiden: Der beste Nachrichtendienst der Welt ist nutzlos, wenn der Entscheidungsträger nicht auf ihn hört. Genau das ist in dieser Krise geschehen.

Während also einige Nachrichtendienste ein sehr genaues und rationales Bild der Situation hatten, hatten andere eindeutig das gleiche Bild, das von unseren Medien verbreitet wurde. In dieser Krise haben die Dienste der Länder des „neuen Europa“ eine wichtige Rolle gespielt. Das Problem ist, dass ich die Erfahrung gemacht habe, dass sie auf der analytischen Ebene extrem schlecht sind: Sie sind doktrinär und verfügen nicht über die notwendige intellektuelle und politische Unabhängigkeit, um eine Situation mit militärischer „Qualität“ zu beurteilen. Es ist besser, sie als Feinde denn als Freunde zu haben.

Es scheint, dass die Politiker in einigen europäischen Ländern ihre Dienste absichtlich ignoriert haben, um ideologisch auf die Situation zu reagieren. Aus diesem Grund war diese Krise von Anfang an irrational. Man wird feststellen, dass alle Dokumente, die der Öffentlichkeit während dieser Krise vorgelegt wurden, von Politikern auf der Grundlage kommerzieller Quellen präsentiert wurden…

Einige westliche Politiker wollten offensichtlich, dass es zu einem Konflikt kommt. In den Vereinigten Staaten waren die Angriffsszenarien, die Anthony Blinken dem Sicherheitsrat vorstellte, nur die Frucht der Phantasie eines für ihn arbeitenden Tiger-Teams: Er tat genau das, was Donald Rumsfeld 2002 tat, der damit die CIA und andere Geheimdienste „umging“, die weit weniger überzeugend über die irakischen Chemiewaffen berichteten.

Die dramatischen Entwicklungen, die wir heute erleben, haben Ursachen, die wir kannten, aber nicht sehen wollten:

– auf strategischer Ebene die Ausweitung der NATO (auf die wir hier nicht eingegangen sind);

– auf politischer Ebene die Weigerung des Westens, die Minsker Vereinbarungen umzusetzen;

– und auf operativer Ebene seit Jahren die kontinuierlichen und wiederholten Angriffe auf die Zivilbevölkerung des Donbass  und die dramatische Zunahme Ende Februar 2022.

Mit anderen Worten: Natürlich können wir den russischen Angriff bedauern und verurteilen. Aber WIR (d.h. die Vereinigten Staaten, Frankreich und die Europäische Union an der Spitze) haben die Bedingungen für den Ausbruch eines Konflikts geschaffen. Wir zeigen Mitgefühl für das ukrainische Volk und die zwei Millionen Flüchtlinge. Das ist gut so. Hätten wir aber auch nur ein Minimum an Mitgefühl für die gleiche Anzahl von Flüchtlingen aus der ukrainischen Bevölkerung des Donbass gehabt, die von ihrer eigenen Regierung massakriert wurden und sich seit acht Jahren in Russland ansammeln, wäre das alles wahrscheinlich nicht passiert.

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Zivile Opfer 2018-2021. UN-Beobachtungsmission in der Ukraine



Ob der Begriff „Völkermord“ auf die von der Bevölkerung des Donbass erlittenen Übergriffe zutrifft, ist eine offene Frage. Dieser Begriff ist in der Regel größeren Fällen vorbehalten (Holocaust usw.), aber die Definition der Völkermordkonvention ist wahrscheinlich weit genug gefasst, um anwendbar zu sein. Juristen werden das zu schätzen wissen.

Offensichtlich hat uns dieser Konflikt in eine Hysterie geführt. Sanktionen scheinen das bevorzugte Instrument unserer Außenpolitik geworden zu sein. Hätten wir darauf bestanden, dass die Ukraine die Minsker Vereinbarungen einhält, die wir ausgehandelt und gebilligt haben, wäre das alles nicht passiert. Die Verurteilung von Wladimir Putin ist auch unsere Sache. Es macht keinen Sinn, im Nachhinein zu jammern, wir hätten vorher handeln müssen. Doch weder Emmanuel Macron (als Garant und Mitglied des UN-Sicherheitsrats) noch Olaf Scholz oder Wolodymyr Selenskij haben sich an ihre Verpflichtungen gehalten. Letztlich betrifft die wahre Niederlage diejenigen, die keine Stimme haben.

Die Europäische Union war nicht in der Lage, die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen zu fördern, im Gegenteil, sie hat nicht reagiert, als die Ukraine ihre eigene Bevölkerung im Donbass bombardierte. Hätte sie dies getan, hätte Wladimir Putin nicht reagieren müssen. Durch ihre Abwesenheit in der diplomatischen Phase zeichnete sich die EU dadurch aus, dass sie den Konflikt anheizte. Am 27. Februar erklärte die ukrainische Regierung, Verhandlungen mit Russland aufzunehmen. Doch nur wenige Stunden später beschließt die Europäische Union ein Budget von 450 Millionen Euro für Waffenlieferungen an die Ukraine und gießt damit Öl ins Feuer. Die Ukrainer sind nun der Meinung, dass sie keine Einigung mehr erzielen müssen. Der Widerstand der Asowschen Milizen in Mariupol führte sogar zu einer Erhöhung der Waffenlieferungen um 500 Millionen Euro.

In der Ukraine werden mit dem Segen der westlichen Länder diejenigen ausgeschaltet, die sich für Verhandlungen einsetzen. Dies ist der Fall von Denis Kirejew, einem der ukrainischen Verhandlungsführer, der am 5. März vom ukrainischen Geheimdienst (SBU) ermordet wurde, weil er Russland zu wohlgesonnen war und als Verräter galt. Dasselbe Schicksal ereilte Dmitrij Demjanenko, den ehemaligen stellvertretenden Leiter der SBU-Hauptdirektion für Kiew und die Region, der am 10. März ermordet wird, weil er ein Abkommen mit Russland zu sehr befürwortet. Er wird von der Mirotvorets-Miliz („Friedensstifter“) getötet. Diese Miliz ist mit der Mirotvorets-Website verbunden, auf der die „Feinde der Ukraine“ mit ihren persönlichen Daten, Adressen und Telefonnummern aufgelistet sind, um sie zu belästigen oder sogar zu eliminieren; eine strafbare Praxis in vielen Ländern, aber nicht in der Ukraine. Die UNO und einige europäische Länder haben ihre Schließung gefordert… was von der Rada abgelehnt wurde.

Letztendlich wird der Preis hoch sein, aber Wladimir Putin wird wahrscheinlich die Ziele erreichen, die er sich selbst gesetzt hat. Seine Beziehungen zu Peking haben sich gefestigt. China tritt als Vermittler in dem Konflikt auf, während die Schweiz in die Liste der Feinde Russlands aufgenommen wurde. Die Amerikaner müssen Venezuela und den Iran um Öl bitten, um aus der Energie-Sackgasse herauszukommen, in die sie sich selbst gebracht haben: Juan Guaido verlässt endgültig die Szene und die Vereinigten Staaten müssen die gegen ihre Feinde verhängten Sanktionen kläglich zurücknehmen.

Westliche Minister, die versuchen, die russische Wirtschaft zum Einsturz zu bringen und das russische Volk leiden zu lassen, und die sogar zur Ermordung Putins aufrufen, zeigen (auch wenn sie die Form ihrer Äußerungen teilweise zurückgenommen haben, aber nicht die zentrale Aussage!), dass unsere Führer nicht besser sind als die, die wir hassen. Denn die Sanktionierung russischer Sportler von den Para-Olympischen Spielen oder russischer Künstler hat absolut nichts mit einem Kampf gegen Putin zu tun.

Wir erkennen also an, dass Russland eine Demokratie ist, da wir der Meinung sind, dass das russische Volk für den Krieg verantwortlich ist. Wenn nicht, warum versuchen wir dann, eine ganze Bevölkerung für den Fehler eines Einzelnen zu bestrafen? Denken Sie daran, dass Kollektivstrafen nach den Genfer Konventionen verboten sind …

Die Lehre, die wir aus diesem Konflikt ziehen müssen, ist unser Sinn für die variable Geometrie der Menschheit. Wenn uns der Frieden und die Ukraine so sehr am Herzen liegen, warum haben wir sie dann nicht stärker ermutigt, die von ihr unterzeichneten und von den Mitgliedern des Sicherheitsrats gebilligten Abkommen einzuhalten?

Die Integrität der Medien wird daran gemessen, ob sie bereit sind, sich an die Bedingungen der Münchner Charta zu halten. Während der Covid-Krise ist es ihnen gelungen, den Hass auf die Chinesen zu schüren, und ihre polarisierende Botschaft führt zu den gleichen Folgen gegenüber den Russen. Der Journalismus verliert mehr und mehr an Professionalität und wird militant…

Wie Goethe sagte: „Je größer das Licht, desto dunkler der Schatten.“ Je mehr die Sanktionen gegen Russland exzessiv werden, desto mehr verdeutlichen die Fälle, in denen wir nichts getan haben, unseren Rassismus und unsere Unterwürfigkeit. Warum hat kein westlicher Politiker acht Jahre lang auf die Angriffe gegen die Zivilbevölkerung im Donbass reagiert?

Was macht den Konflikt in der Ukraine schließlich schlimmer als den Krieg im Irak, in Afghanistan oder Libyen? Welche Sanktionen haben wir gegen diejenigen beschlossen, die die internationale Gemeinschaft vorsätzlich belogen haben, um ungerechte, ungerechtfertigte, nicht zu rechtfertigende und mörderische Kriege zu führen? Haben wir versucht, das amerikanische Volk „leiden zu lassen“, das uns vor dem Irak-Krieg belogen hat (weil es eine Demokratie ist!)? Haben wir auch nur eine einzige Sanktion gegen die Länder, Unternehmen oder Politiker beschlossen, die den Konflikt im Jemen anheizen, der als die „schlimmste humanitäre Katastrophe der Welt“ gilt? Haben wir Sanktionen gegen die Länder der Europäischen Union verhängt, die auf ihrem Territorium zum Nutzen der Vereinigten Staaten die schlimmsten Folterungen durchführen?

Die Frage zu stellen heißt, sie zu beantworten… und die Antwort ist nicht ruhmreich.

Jacques Baud ist ehemaliger Oberst des Generalstabs, ehemaliges Mitglied des strategischen Nachrichtendienstes der Schweiz und Spezialist für die osteuropäischen Länder. Er wurde bei den amerikanischen und britischen Geheimdiensten ausgebildet. Er war Leiter der Doktrin für die Friedensoperationen der Vereinten Nationen. Als Experte der Vereinten Nationen für Rechtsstaatlichkeit und Sicherheitsinstitutionen konzipierte und leitete er den ersten multidimensionalen Nachrichtendienst der Vereinten Nationen im Sudan. Er arbeitete für die Afrikanische Union und war fünf Jahre lang bei der NATO für den Kampf gegen die Verbreitung von Kleinwaffen zuständig. Unmittelbar nach dem Zusammenbruch der UdSSR führte er Gespräche mit hochrangigen russischen Militär- und Geheimdienstvertretern. Innerhalb der NATO verfolgte er die Ukraine-Krise von 2014 an und beteiligte sich anschließend an Hilfsprogrammen für die Ukraine. Jacques Baud ist Autor mehrerer Bücher über Geheimdienste, Krieg und Terrorismus, wie Le Détournement (SIGEST Verlag), Govern by fake news, The Navalny affair und Poutine, master of the game? (Max Milo Verlag).


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Info: https://overton-magazin.de/krass-konkret//die-militaerische-lage-in-der-ukraine/


unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

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11.01.2023

Der OSZE-Bericht über Kriegsverbrechen in der Ukraine, Stand 24. Februar 2022

humanrights-online.org, abgerufen am 11.01.2023

Am 24. Februar 2022 marschierte die Russische Föderation in die Ukraine ein. Seit dem 24. Februar sind die Ukrainer dem Beschuss und der brutalen Gewalt durch russische Soldaten ausgesetzt.


Die OSZE legt ihren BERICHT über Verstöße gegen internationales Menschenrecht und Völkerrecht, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Ukraine seit dem 24. Februar 2022 vor. Der Bericht wurde von den Professoren Wolfgang Benedek, Veronika Bílková und Marco Sassòli erstellt.


Info: https://humanrights-online.org/de/der-osze-bericht-ueber-kriegsverbrechen-in-der-ukraine-stand-24-februar-2022




Weiteres:




bundestag.de, abgerufen am 11.01.2023

Zivile Opfer im Konflikt in der Ostukraine bis Februar 2022

Auswärtiges/Antwort - 21.04.2022 (hib 182/2022)


Berlin: (hib/AHE) Die Sonderbeobachtungsmission in der Ukraine der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) beziffert die Zahl der zivilen Opfer im Konflikt in der Ostukraine zwischen 2016 und dem 24. Februar 2022 - dem Tag des russischen Angriffs auf die Ukraine - auf insgesamt 1.541, darunter 1.264 Verletzte und 277 Tote. Wie die Bundesregierung in der Antwort (20/1440) auf eine Kleine Anfrage (20/1269) der AfD-Fraktion schreibt, lägen ihr die Zahlen zu den militärischen Opfern in diesem Zeitraum nicht vor. Die Berichte der OSZE Sonderbeobachtungsmission seien bis zur Einstellung der Berichterstattung am 7. März 2022 eine wichtige Grundlage für die Lagebewertung der Bundesregierung gewesen.

Die Mission habe im Rahmen ihrer Beobachtertätigkeit seit dem Jahr 2014 immer wieder zur Präsenz von gepanzerten Fahrzeugen und Waffensystemen Russlands und der Ukraine berichtet, die entsprechend der Minsker Vereinbarungen hätten zurückgezogen werden sollen. Die entsprechenden Berichte seien öffentlich einsehbar unter: www.osce.org/ukraine-smm/reports.


Info: https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-890944




Weiteres:




Daily and spot reports from the Special Monitoring Mission to Ukraine


osce.org, abgerufen am 11.01.2023

The OSCE Special Monitoring Mission to Ukraine gathers information and reports each day on the security situation with daily reports, and in response to specific incidents on the ground with spot reports.



Link zu OSZE Tagesberichten


Info: https://www.osce.org/ukraine-smm/reports?page=15



(31.12.2021-26.02.2022 selbst noch nicht ausgewertet)


unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

11.01.2023

Interview
Ein weltweites Kriegsregime droht

Raúl Sánchez Cedillo ist spanischer Philosoph und hat sich seit Ende der 1990er-Jahre als politischer Aktivist für eine Neugründung Europas durch einen konstituierenden Prozess eingesetzt. Über die Fundación de los Comunes und die Universidad Nómada hatte er engen Kontakt zu unabhängigen künstlerischen und politischen Initiativen aus der Ukraine in der Zeit des Euromaidan 2014, dem Aufstand gegen die Janukowitsch-Regierung. (Foto: Verlag Katakrak)  (Bild)

medico.de/blog, Veröffentlicht am 05. Dezember 2022

Der spanische Philosoph und Aktivist Raúl Sánchez Cedillo plädiert in seinem Buch „Dieser Krieg endet nicht in der Ukraine“ für einen konstituierenden Frieden und fürchtet einen autoritären Kapitalismus.


medico: In deinem Buch „Dieser Krieg endet nicht in der Ukraine“, das gerade in Spanien erschienen ist, unternimmst du den Versuch einer europäischen Annäherung an den Krieg in der Ukraine ausgehend von einer europäischen Gegenöffentlichkeit. Woher rühren deine politischen Beziehungen zu den postsowjetischen Ereignissen, die du so detailliert in deinem Buch schilderst?


Raúl Sánchez Cedillo: Ich bin seit den 1990er Jahren politisch aktiv. Europäische Politik habe ich immer für zentral gehalten, um eine emanzipatorische Politik zu entwickeln und war an vielen Bewegungen beteiligt, die sich zugleich als Bestandteil der globalisierungskritischen Bewegung sahen, in der wir einen europäischen Zweig bildeten. Für fortschrittliche Bewegungen, auch die der Migrant:innen, schien uns ein gemeinsamer politischer Raum, wie er zum Beispiel durch eine europäische Verfassung hätte entstehen können, viel interessanter als die aufgesplitterte politische Landschaft, wie wir sie heute vorfinden.


Im Zusammenhang mit den großen kommunalen Bewegungen wie den Indignados in Spanien haben wir zum Beispiel die „Universidad Nómada“ (die nomadische Universität) geschaffen. Wir wollten damals "Monsterinstitutionen" kreieren, die eine Brücke zwischen Politik und Kunst schlagen sollten – außerhalb der Kulturindustrie und doch innerhalb der Institutionen. Dabei haben wir sehr eng mit osteuropäischen Künstlerkollektiven zusammen gearbeitet. Zum Beispiel mit „chto Delat“ – eine bis heute arbeitende Gruppe aus Sankt Petersburg – genauso wie mit kleinen Gruppen in der Ukraine und in Polen. Daraus entstand eine Konferenz, die wir gemeinsam mit dem Reina Sofia Museum 2014 organisierten: „Die neue Entführung Europas – Schulden, Krieg, demokratische Revolutionen“.


Sie fand zufälligerweise zur gleichen Zeit wie der Euromaidan in der Ukraine und die russische Invasion der Krim statt. Wir luden damals die Aktivist:innen ein, von denen sich heute viele für den Kriegseinsatz aussprechen und selbst Teil der Armee oder von Milizen sind. All diese Gruppen sehen sich in einem gemeinsamen Kampf mit der NATO. Europa als umkämpfter Raum, in dem unabhängige politische und künstlerische Kollektive aus Osteuropa gemeinsam mit antikapitalistischen westlichen Kollektiven interagieren und ihre Kämpfe zusammenführen, ist als gemeinsame Idee durch den Ukraine-Krieg erst einmal auf Eis gelegt. Schon damals waren die Aussichten nicht besonders gut. Viele ukrainische Linke kritisierten uns, weil wir der Meinung waren, dass ein Krieg mit Russland unbedingt vermieden werden müsse, auch wenn die Besatzung der Krim absolut nicht akzeptabel war. Unter ihnen gab es zudem unterschiedliche Einschätzungen über den Maidan und die Rolle der rechten Kräfte.


Im Grunde nahm die politische Entwicklung in der Ukraine vorweg, was überall in Europa passieren sollte: eine Renationalisierung der Politik. Die Idee eines gemeinsamen Europas, geprägt von den west- und osteuropäischen Erfahrungen, das soziale Bewegungen und gemeinsame Kämpfe gegen die Prekarität der Arbeit, für Bewegungsfreiheit und für ein gemeinsames föderatives Wohlfahrtssystem mitgestalten, löste sich in Luft auf. Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass die Pandemie zudem die schlimmsten politischen Leidenschaften geweckt hat. Verschwörungstheorien und Vorurteile haben sich rasend verbreitet. Auch das hatte einen Effekt auf alle Akteur:innen.


Du kritisierst die ukrainische Linke, die deutlich den Krieg und die Nato-Unterstützung befürwortet. Warum?

Mir fällt es schwer zu verstehen – ohne das Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung in Frage zu stellen – dass der Militarismus, das offene Bekennen zur ukrainischen Armee, in der kleinen ukrainischen Linken eine solche Rolle spielt. Sie machen sich zum Teil einer Nato-Intervention in der Ukraine, die nicht nur die militärische Ausrüstung stellt, sondern auch direkt militärische Informationen liefert und militärische Operationen mit steuert.


Für mich besteht ein Unterschied in der legitimen Selbstverteidigung gegen die Invasion und einem Militarismus in der Sprache und in den Handlungen, der verlangt, dass man sich auf die Seite der NATO stellt. Die Hoffnung vieler Linker, dass man gemeinsam mit der NATO Putin aus dem Amt verjagen könne, dem eine sozialistische Revolution folgen werde, und man bei dieser Gelegenheit auch noch die ukrainische Oligarchie vertreibe, erstaunt mich. Die Neoliberalisierung und die Deregulierung der Ukraine ist seit dem Maidan ein fortlaufender Prozess. Nichts spricht dafür, dass der durch den Krieg gestoppt wird. Um die sozialen und politischen Rechte in der Ukraine ist es doch seither ziemlich schlecht gestellt.


Der britische Wirtschaftshistoriker Adam Tooze schrieb kürzlich, die EU und die NATO verlangten mitten im Krieg von der Ukraine eine solche Deregulierungspolitik, dass man schon von einem „Krieg ohne Staat“ sprechen müsse …

Das sagt er jetzt. Am Anfang war er auch der Meinung wie viele, dass dieser Krieg dazu diene, ein integriertes Europa von oben zu bauen. Jetzt wird aber immer klarer, dass genau das nicht kommen wird.


Ist nicht nachvollziehbar, dass die ukrainische Linke die Hoffnung hat, mit diesem Krieg endlich aus der postsowjetischen Bedingung, aus der imperialen und stalinistischen Geschichte austreten zu können, die, wie der Krieg beweist, in einer endlosen Wiederholungsschleife zu bestehen scheint?

Ja, natürlich. Die Ukraine hat über die ganze Moderne hinweg eine tragische Geschichte. Immer dann, wenn es um ihre Unabhängigkeit ging, war dies tragisch. Im Bürgerkrieg nach dem ersten Weltkrieg kämpften fünf verschiedene Armeen um die Unabhängigkeit und bekämpften sich zugleich gegenseitig. Es gab zwei verschiedene Republiken. Alle gegründet und erkämpft von Ukrainer:innen.


Die Ukraine ist ein Grenzland zu vielen Ländern und Regionen. Hier liegt eine lange Geschichte von Bevölkerungsaustausch und Deportationen vor, die tiefe Spuren hinterlassen hat. Die Idee, gerade hier einen homogenen Nationalstaat schaffen zu wollen, halte ich für einen Irrweg. Die beste Zeit hatte die Ukraine in der Chruschtschow-Periode. Sowohl Chruschtschow wie Trotzki waren aus der Ukraine. Die Rolle der ukrainischen Kommunisten, darunter viele Juden, ist fundamental bei der Entstehung der Sowjetunion. Man sollte nicht vergessen, dass Putin in seiner Rede vor der Invasion die sowjetische Zeit für das Entstehen einer unabhängigen Ukraine verantwortlich gemacht hat, weil gerade zu Beginn der 1920er Jahre das linguistische Problem auf eine kluge Weise gelöst wurde. Damals wurde die ukrainische Sprache gefördert und anerkannt. Auch Taras Schewtschenko zählte zum Literaturkanon als Dichter der ukrainischen Sprache und Tradition.


Nach dem Ende der Sowjetunion erlebten alle Arten von Nationalismen, der imperiale, vorurteilsgeladene, panrussische Nationalismus, aber auch der bis dahin unterdrückte ukrainische Nationalismus von Petljura und danach Bandera, bei dem Antisemitismus eine Rolle spielt, ein Revival. Der Antisemitismus spielt im ukrainischen, russischen und polnischen Nationalismus eine Schlüsselrolle. Das darf man nicht vergessen.


Gerade findet eine Art Rekomposition dieses Nationalismus im realen politischen Raum statt. Selensky, ein russischsprachiger, ukrainischer Jude mit herausragender Medienkompetenz, ist ganz wesentlich an der Neugründung eines Nationalismus beteiligt, der verkündet, dass jetzt eine ukrainische Nation entsteht, die sich vom russischen Einfluss befreit und den Westen umarmt. Das ist angesichts der linguistischen, historischen und kulturellen Geschichte der Ukraine einfach nicht möglich. Oder wenn, dann gelingt das nur durch einen sehr schrecklichen Krieg, in dem ethnische Säuberungen und die Unterdrückung von Minderheiten stattfinden. Dieser Krieg zur Nationenbildung der Ukraine wird niemals enden. Die Frustrationen der russischsprachigen Bevölkerung werden zunehmen. Man kann mit einem solchen aggressiven Nationalismus keinen Staat bauen. Was die Ukraine anbetrifft, ist Krieg unter keinen Umständen eine Lösung.


In der gesamten Rhetorik um den Ukraine-Krieg spielt der Topos des „gerechten Krieges“ eine zentrale Rolle. Kann man das angesichts des Rechts auf Selbstverteidigung gegen einen Aggressor bestreiten?

Ich kritisiere den Begriff „gerechter Krieg“ und halte ihn generell für einen schwierigen Begriff. Damit wurden die Kreuzzüge oder die Kriege gegen das Osmanische Reich gerechtfertigt. Er hat zuallererst eine theologische Grundlage. Ein „gerechter Krieg“ wird im Namen Gottes geführt. Die ganze Menschenrechtsdoktrin belebte ihn dann auf säkularer Basis wieder, zum Beispiel im Jugoslawien-Krieg oder in den Krisen Afrikas. Hier werden Kriege nicht im Namen Gottes, sondern im Namen der Menschenrechte geführt. Das ist eine Form von westlicher Heuchelei aus den 1990er Jahren. Das muss man kritisieren. Und selbst Lenin sprach von „gerechten Kriegen“. Bei ihm geschah das im Namen des Proletariats. Er behauptete, ihn im Namen von unterdrückten Völkern und Klassen zu führen und verteidigte damit den Bürgerkrieg. Das ist harte Leninsche Doktrin. Ich kritisiere generell die Verwendung dieses Begriffs. Es gibt keine klar abgrenzbaren nationalen Kriege und Befreiungskonflikte mehr. Immer sind darin Imperien, militärische Systeme und Bündnisse involviert, die diese Konflikte benutzen, um ihre eigenen Ziele zu verfolgen. Man kann das nicht mehr voneinander trennen.


Was also bedeutet dieser Diskurs über den „gerechten Krieg“ oder die Völkerrechtsverletzung? Das ist apologetische Propaganda. Denn es gibt keine reale internationale Struktur, die internationales Recht über die Parteien hinweg durchsetzen kann. Ich berufe mich in meinem Buch auf den Rechtswissenschaftler Hans Kelsen, der sich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges eine internationale Polizeikraft vorstellte, die nur dazu da sein sollte, Krieg auf jeden Fall zu unterbinden. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg und angesichts der Atomkriegsgefahr könne der Krieg nicht mehr als Fortsetzung der Politik gedacht und geführt werden. Kelsen stellte sich eine Art Weltsouverän vor, der den Auftrag hätte, Kriege oder eine Klimakatastrophe zu verhindern und dem sich alle regionalen Mächte unterzuordnen hätten. Die Weltordnung, die in Jalta gegründet wurde, hat die Verwirklichung dieser Idee verhindert. Deshalb kann es keinen gerechten Krieg geben.


In der gegenwärtigen Debatte wird Russland als das radikal Böse dargestellt. Und alle historischen Kontexte werden gern als Whataboutism denunziert. Du widmest dich trotzdem sehr intensiv der Transformationsgeschichte Russlands nach 1990. Wie erklärt sie den gegenwärtigen Krieg?

Natürlich ist Putin schrecklich. Er ist ein reaktionärer, rechtsextremer, homophober, antikommunistischer Oligarch. Das reicht als Beschreibung. Aber das Putin-Regime ist lange Zeit von den westlichen Mächten unterstützt worden. Der Westen und allen voran Jeffrey Sachs als Jelzin-Berater, der heute alles bereut, unterstützten erst Jelzin und dann Putin gegen eine mögliche sowjetische Restauration. Lange Zeit hat der Westen also ein panrussisches, autoritäres Regime der Oligarchen gutgeheißen. Jelzin und Putin führten bereits ein neoimperiales Regime an. Diese Entwicklung hat sich beständig selbst verstärkt.


Die politische Situation in Russland ist verheerend. Wenn man sich allein die Duma anschaut. Alle Parteien sind sich über diesen Krieg einig. Die gesamte politische Klasse steht hinter diesem Krieg und also auch wichtige Teile der Gesellschaft. Das ganze Narrativ darüber, dass Putin isoliert sei und von der Elite entmachtet werden wird, ist vollkommener Unsinn. Und es gibt Leute, die noch schlimmer sind als Putin. Schau dir den Diskurs der Kommunistischen Partei an. Die Idee, man könne die reaktionäre Elite in Russland durch einen chirurgischen Krieg loswerden, hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun. Das alles bedient nur das historische Opfer-Narrativ in Russland, das auf die Tatsache mehrerer Invasionen zurückgreifen kann. Dagegen gab es immer eine große Opferbereitschaft in Russland. Wir müssen die Hegemonie des Nationalismus in Russland als Tatsache zur Kenntnis nehmen.


Dein Buch macht klar, dass es keinen Weg gibt, diese Krise durch Krieg zu lösen. Gleichzeitig erleben wir überall eine überwältigende Mobilisierung der Öffentlichkeit für den Krieg. Überall haben wir kapitalistische Systeme. Inwieweit hängen Kapitalismus und Krieg zusammen?

Wir müssen ausgehen von einem weltweiten kapitalistischen System unter US-amerikanischer Führung, das sich in einem langwährenden Krisenmodus befindet. Die Aggressivität der USA in diesem Krieg hat damit zu tun, dass sie hier ihre Führungsposition gegenüber China, aber auch gegenüber einer möglichen Autonomie der EU verteidigen. Da werden Widersprüche deutlich. Macron empörte sich bereits darüber, dass die scharfe Kriegspolitik der USA für Europa und Frankreich enorme ökonomische und soziale Folgen haben werde, während die USA Gas aus Fracking auf den Weltmarkt wirft und der Dollar stark wird. Die Erhöhung der Zinsraten in den USA zwang auch die EU zu diesem Schritt und führt in Westeuropa zu einer Rezession.


Aus US-amerikanischen Strategiepapieren geht längst hervor, dass sie diesen Krieg zur Verteidigung der eigenen Hegemonie gegenüber China nutzen und dabei auch einen ökonomischen Krieg gegen den vermeintlichen Hauptgegner nicht scheuen. Die Schwächung eines semiperipheren Russlands als Bündnispartner Chinas ist ganz im Sinne dieser Strategie, genauso wie die Schwächung einer autonomen EU. Das ist allerdings ein sehr geopolitisches Argument. Ich bin eigentlich kein Freund der Geopolitik, weil sich auf diesem Gebiet Paranoiker, Verschwörungsanhänger und Faschisten sammeln.


Die inneren Widersprüche in den USA sind beredter. Viele sagen, dass sich die USA auf einen Bürgerkrieg zubewegen. Das hat es bis auf den ersten Bürgerkrieg in den USA nicht gegeben. Eine Periode also, in der die föderative Macht zur Durchsetzung von Rechtsnormen ernsthaft gefährdet ist, wo Militarisierung und bewaffnete Konflikte in der nahen Zukunft absolut denkbar sind. Auch die ökonomische Situation für die subalternen Klassen ist dramatisch. Ein Krieg ist ein möglicher Weg aus diesen Dilemmata. Er schafft Ordnung und Disziplin. Denn die Demokraten in den USA, aber auch die Eliten hier sind zunehmend weniger in der Lage, sozialen Zusammenhalt herzustellen, wenn es um ökologische oder Einkommensgerechtigkeit geht.


Dabei gab es Hoffnung. Man dachte, endlich sei der Neoliberalismus tot. Der immer wieder angekündigte Tod des Neoliberalismus ist jedoch mittlerweile ein B-Movie, das seit Jahrzehnten gespielt wird. Man denkt, er wäre eine Ideologie, aber nein, Neoliberalismus ist Klassenpolitik in einer Zeit, in der der Kapitalismus als eine soziale Beziehung, als sozialer Extraktivismus und Ausbeutung nicht in der Lage ist, die Forderungen der überwiegenden Mehrheit der Menschen in der Welt zu erfüllen. Das trifft auch für die Mehrheit der Bevölkerung in der ersten Welt zu.

Du sprichst in deinem Buch von einem Kriegsregime, das in unseren Gesellschaften als Logik, in der man sich verfängt, Einzug halten könnte. Das bezieht sich nicht nur auf den Krieg in der Ukraine?

Autoritäre Regime lieben die Idee des Krieges. Meloni in Italien beispielsweise. Sie erklärt sich flugs zur Atlantikerin und verknüpft das sofort mit repressiven Gesetzen in Italien. Man sieht das auch bei der Debatte um die Verschärfung der Gesetze in Bezug auf Klimaaktivist:innen. Ich finde es erschreckend, mit welcher Repression und welchen Worten auf deren Aktionen reagiert wird. Die Verführung, die in der Kriegsrhetorik liegt, hat historische Parallelen zum Ersten Weltkrieg, bei dem es um innersystemische Krisen und Konflikte ging.


Seit dem Ersten Weltkrieg ist Krieg überhaupt die wichtigste Quelle für Faschismus. Danach entwickelten sich der Antisemitismus, der Nationalismus, der Antikommunismus zu großer Blüte. Es entstand auch ein besonderer Pathos und die Faszination für die Katastrophe. Heute gibt es allerdings einen großen Unterschied zu damals. Die biopolitischen Kriegskapazitäten, wozu die totale Mobilisierung von Bevölkerungen gehört, sind enorm gewachsen. Wer in dieser Situation davon spricht, mit diesem Krieg Russland endgültig schlagen zu wollen, bringt die ganze Biosphäre in Gefahr. Die Situation ist dramatisch in der Ukraine. Aber es kann nur einen Weg geben, nämlich diesen Krieg so schnell wie möglich zu beenden.


Man hält die westlichen Werte hoch und schafft durch Kriegsrhetorik politische Ordnung und Disziplin?

In Russland begann das Kriegsregime mit dem Machtantritt von Putin. Man muss sich nur an die Kriege in Tschetschenien erinnern, die ihn an der Macht konsolidierten. Ich denke, dass das Kriegsregime einen Fluchtweg für die radikale Mitte darstellt. Diese Mitte ist das Rückgrat der Konstruktion Europa. Aber ich glaube nicht, dass ein solches mit Feindbildern ausgestattetes Ordnungssystem wirklich eine Ordnung schaffen kann, dass es mit diesen Anarcho-Faschisten wie Putin oder Lukaschenko oder den serbischen Nationalisten Schluss machen kann. Natürlich nicht, Krieg schafft nur mehr Instabilität, mehr Vorurteile und mehr nationalistischen Faschismus. Das Kriegsregime enthält keinen Vorschlag für eine soziale ökologische Transition. Und in Wahrheit ist der gesamte grüne Diskurs deshalb ruiniert. Statt eines ökologischen Umbaus erleben wir nun die Renaissance der fossilen Energien. Das alles zu einer Zeit, da wir überhaupt keine Zeit mehr haben und der Anstieg der Treibhausgase uns schon jetzt in die Katastrophe treibt. Statt einer neuen Herangehensweise um Klimastabilität zu erreichen, statt Degrowth und weltweiter Umverteilung, gibt es diesen Krieg und ein weltweites Kriegsregime.


Der Historiker Christopher Clarke bezeichnete die Eliten im Ersten Weltkrieg als Schlafwandler. Das erleben wir heute wieder. Da ist eine ideologische Denkweise auf dem Vormarsch. Der demokratische Kapitalismus überschreitet gerade eine Grenze, hinter der er seine demokratische Seite abstreift.


Dagegen braucht es eine demokratische Revolte, damit sich ein konstituierender Friedensprozess in Europa herausbildet. Wenn nicht, ist zu fürchten, dass wir einen neokolonialen, autoritären Kapitalismus erleben werden, der auf Apartheid und militärischem Kolonialismus beruhen wird. Und das wird legitimiert durch das Freund-Feind-Schema, das sich gerade herausbildet.


Wenn man allerdings Kurden oder Syrer fragt, würden sie vielleicht doch den Unterschied zwischen Erdogan oder dem Assad-Regime und den USA betonen. Müssen wir in der Beschreibung des Kriegsregimes auch über diese Unterschiede sprechen?

Ich bin damit vollkommen einverstanden. Die Kurden brauchten die NATO-Unterstützung, um zu überleben. Aber ich würde Rojava nicht mit der Ukraine gleichsetzen, auch wenn das noch kommen kann. Seit der Poroschenko-Regierung, die nach dem Euromaidan an der Macht war, gab es auch in der Ukraine eine Eskalation in Richtung Krieg. Die Ukraine hätte möglicherweise die heutige Situation mit einer anderen Politik vermeiden können. Die Kurden hatten keine Wahl. Die Minsker Abkommen waren eine Grundlage für eine friedliche Perspektive. Aber die nationalistische Agenda in der Ukraine und die hegemonialen Interessen der NATO verhinderten diese Möglichkeit ebenso wie das russische Kriegsregime.


Dass Russland einen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine führen wird, wie es das in Tschetschenien getan hat, ist nicht auszuschließen. Gerade bei einem Gegner wie Russland – dort steht ja nicht nur Putin, sondern das ganze Regime auf dem Spiel. Sie werden eine strategische Niederlage um keinen Preis zulassen.


Wir müssen die drei Krisen verstehen, die in der Ukraine ineinandergreifen. Es gibt einerseits eine Krise im Weltsystem um die Hegemonie zwischen China, den USA und einer gewissen Multipolarität. Dann gibt es einen innerimperialistischen Konflikt zwischen Russland und den westlichen Mächten, der eine Geschichte, aber auch eine Gegenwart aus oligarchischen Kämpfen um globale Märkte hat. Und natürlich einen Nationalstaat, der sich gegen eine Invasion wehrt.


Um eine politische Haltung zu entwickeln, muss man die Verflechtung aller drei Krisen verstehen. Wenn man sich nur auf die völkerrechtswidrige Invasion in der Ukraine beruft, landet man bei reiner Moral. Als die Ukrainer:innen 1991 mit überwältigender Mehrheit für die Unabhängigkeit stimmten, haben sie doch nicht für eine Idee von Autonomie gestimmt, die die Selbstopferung der Ukraine vorsieht. Das ist doch eine reaktionäre, ja faschistische Erzählung, die allerdings Wurzeln in der nationalistischen Tradition hat.

Konstituierender Frieden und Exodus tauchen in deinem Buch als Idee am Horizont auf. Was verstehst du darunter?


Die vorliegenden Szenarien sind alle schrecklich. Aber die Widersprüche darin sind auch offenkundig. Nach dem Ersten Weltkrieg gab es auch die Oktoberrevolution. Hoffentlich werden wir weder diese Art von Krieg noch diese Art von Revolution erleben. Denn es begann und endete mit einem Bürgerkrieg. Aber wir befinden uns an einem Kipppunkt des Kapitalismus. Er ist in eine Phase eingetreten, in der das Kapital überall vom finalen Ende bedroht ist. Die Aussichten auf eine Konvivenz zwischen Demokratie und Kapitalismus werden immer schlechter. Ich bin überrascht, wie viele glauben, dass Biden die Demokratie retten wird. Für mich ist das eine Form von neokolonialem Optimismus. Wer behauptet, eine zivilisatorische Position zu vertreten und seine Beziehung zu Erdogan, zu Katar und Saudi Arabien dafür verbessert, betreibt neokoloniale Heuchelei.


Die Lage ist verzweifelt. Aber wir können nicht wissen, ob aus den aufgezählten Widersprüchen nicht neue emanzipatorische Bewegungen entstehen, die soziale Gerechtigkeit mit einer ökologischen Transformation, Internationalismus und der Ablehnung der kapitalistischen Herrschaft verbinden. Um so etwas möglich zu machen, muss man zuallererst den Krieg bekämpfen, der die Vernunft unterdrückt, Leidenschaften und Todestriebe weckt und letztlich den Faschismus nährt.


Ich spreche von konstituierendem Frieden, weil Pazifismus zuallererst den Raum schafft, damit wir überhaupt von etwas Neuem, dem Ende des Kapitalismus sprechen können.

Das Interview führte Katja Maurer.


medico unterstützt die Übersetzung und deutschsprachige Veröffentlichung des Buches von Raúl Sánchez Cedillo, "Dieser Krieg endet nicht in der Ukraine", im Verlag transversal texts. Es erscheint zum Jahrestag des Kriegsbeginns im Februar 2023 und wird auch auf der medico-Webseite kostenlos abrufbar sein.


Eine kürzere Fassung erschien zuerst im medico-Rundschreiben 4/2022. Das Rundschreiben schicken wir Ihnen gerne kostenlos zu. Jetzt abonnieren!


Info: https://www.medico.de/blog/ein-weltweites-kriegsregime-droht-18900


unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.




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Kommentar

Moralische Mobilmachung



medico.de, vom 12. Dezember 2022, Von Mario Neumann

Die allgegenwärtige Moralisierung der Politik schwächt Kritik und Opposition


„Wir befinden uns im Krieg. Wie ich Ihnen am Donnerstag sagte, haben wir Europäer heute Morgen eine gemeinsame Entscheidung getroffen, um uns zu schützen.“ Das sind die Worte des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Sie stammen allerdings nicht aus dem Jahr 2022, sondern aus einer Fernsehansprache zu den großflächigen Corona-Maßnahmen Frankreichs im März 2020. Die Kriegsmetapher durchzieht in permanenter Wiederholung die bald drei Jahre alte Grundsatzrede. Nicht eine demokratische Idee gesundheitlicher Versorgung und Fürsorge sollte es richten, sondern die polizeilich-militärische Mobilmachung der Gesellschaft zur Bekämpfung eines äußeren Feindes. „Wir befinden uns im Krieg, zugegebenermaßen in einem Gesundheitskrieg: Wir kämpfen weder gegen eine Armee noch gegen eine andere Nation. Aber der Feind ist da, unsichtbar, nicht greifbar, auf dem Vormarsch. Und das erfordert unsere allgemeine Mobilisierung“, so Macron.


Von heute aus betrachtet erscheint diese mediengetriebene „allgemeine Mobilisierung“ der Bevölkerung in der Pandemie wie eine Blaupause dafür, wie der tatsächliche Krieg, den Putins Armee in der Ukraine entfesselt hat, medial und politisch orchestriert wird. Dieser Krieg verdrängt seit Monaten jede andere Weltkrise und hat das Medienspektakel rund um Corona bruchlos abgelöst. Seitdem wird aus den deutschen Wohnzimmern nicht mehr das Pflegepersonal beklatscht, sondern der ukrainische Widerstand gegen die russische Invasion. Unzweifelhaft haben diese Menschen nicht nur unseren Applaus, sondern auch unsere Empathie und Solidarität verdient, ebenso wie ukrainische Geflüchtete, die in Deutschland, auch wieder einmal in oftmals beeindruckender Weise, von Privatpersonen aufgenommen und unterstützt werden.


Suche nach Normalität

Beunruhigend ist etwas anderes. In der deutschen „Zuschauerloge“ (Habermas) scheint es tatsächlich meistens um uns zu gehen, wenn von der Ukraine die Rede ist. Es scheint so, als ob dabei die untergründige Verunsicherung und Angst auch das kritische Denken und die gesellschaftliche Opposition in die Arme der westlichen Herrschaft treiben – kaum jemand spricht heute eine andere Sprache als die der Macht. Die moralische Rigidität, mit der die Mehrheitsgesellschaft bereits zur Befolgung der Corona-Maßnahmen aufrief und jeden Zweifel an ihrem autoritären Geist als unsolidarisch brandmarkte, ist dabei noch gut in Erinnerung und schuf vermeintliche Sicherheit in unsicheren Zeiten. Heute ist unübersehbar, dass der emotional hoch besetzte Einsatz für die Aufrüstung der Ukraine bis zu ihrem Sieg auch eine Übersprungshandlung darstellt. Als wolle man sich, wie bei Corona, noch einmal der Einsicht verweigern, dass der eigene, privilegierte Lebensentwurf längst an ein Ende gekommen ist. Die hierzulande entfachte Begeisterung für den Kampf gegen Putin scheint das Versprechen in sich zu tragen, dass an der Front all das noch zu verteidigen ist, was längst von innen heraus porös geworden ist.


Die dem folgende, allgegenwärtige Militarisierung der Sprache hat ihre Quelle nicht in Kampfbereitschaft, sondern im Wunsch nach Sicherheit und Normalität – und dem Glauben, dass in der Auflösung des vermeintlichen Widerspruchs zwischen Gut und Böse, ergo einem Sieg über Putin, die Rückkehr in das alte Leben möglich sein könnte. Das bedeutet im Umkehrschluss auch: Man ist ganz offensichtlich dazu bereit, die Menschen der Ukraine diesen Krieg auch für den Westen kämpfen zu lassen und dessen Unterstützung als uneigennützige Solidarität zu verkaufen. Einen Krieg nicht nur für Freiheit und Demokratie, sondern für die Fortsetzung der imperialen Lebensweise, der postkolonialen Ausbeutung und der privatisierten Bequemlichkeit unter westlicher Hegemonie. „Die Ukrainer sind bereit, für die europäische Perspektive zu sterben. Wir wollen, dass sie mit uns den europäischen Traum leben“ – so klingt das euphemistisch aus dem Munde von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.


Neuer Nationalismus

All das hat dramatische wie bittere Konsequenzen. Im Schatten der medial inszenierten Dichotomie von Gut und Böse wird heute ein neues nationales Selbstverständnis und Selbstbewusstsein gestiftet, das alle offenkundigen Widersprüche überspielt und dessen Überzeugungskraft nur über einen äußeren Feind generiert wird. Man schmückt die eigene, brüchig gewordene Lebensweise mit blau-gelben Flaggen und nimmt Putins Krieg nicht als Anlass zum Zweifel an einer vom Westen dominierten Weltordnung, sondern zu ihrer Bekräftigung. Der ukrainische Widerstand gegen einen wild gewordenen russischen Autoritarismus wird untergründig kurzgeschlossen mit einem Kampf für jene westliche Gemeinschaft, deren Ortskräfte in Afghanistan immer noch vergeblich auf Ausreise warten. So können sich die politischen Eliten sanieren und auf dem Rücken der angegriffenen Ukrainer:innen den moralischen Druck erhöhen, ihrer von der NATO garantierten „Werteordnung“ beizutreten.


Die dabei stattfindende, skurrile Umwertung der Werte, in der die NATO sich zum Verbündeten von dekolonialen Kämpfen stilisiert und Russland zu ihrem Außen erklärt, obwohl dessen gegenwärtige Verfassung zu nicht unerheblichen Teilen die Handschrift des Westens trägt, sind nur vor dem Hintergrund der moralischen Entpolitisierung und unkritischen Enthistorisierung des Tagesgeschehens möglich. Sie sind nichts anderes als eine schleichende Zerstörung der Vernunft im Namen des Guten. Die moralische Rigidität und Überheblichkeit oder kurz: die unübersehbare Moralisierung der Politik, die wir seit Jahren erleben, leistet tatsächlich einem neuen Autoritarismus Vorschub und nicht dem Kampf für Freiheit, Feminismus und Menschenrechte. Es ist daher an der Zeit, einen fundamentalen Einspruch zu erheben gegen das neue deutsche Selbstbild und die neu gestiftete Selbstgewissheit, die sich heute in deren Windschatten herausbilden. Denn es bleibt im Sinne Max Horkheimers und in den Vokabeln unserer Zeit dabei: Wer vom Neoliberalismus nicht reden will, möge auch vom Autoritarismus schweigen.


Solidarität in Zeiten des Krieges

Tatsächliche Solidarität wäre mehr als kurzfristig abrufbare Empathie, die so schnell geht, wie sie kommt. Es ginge ihr um einen Abschied von einer privilegierten Lebensweise zugunsten eines gemeinsamen Dritten jenseits der Geopolitik. Das Gespräch darüber wäre aber nicht mit westlicher Überheblichkeit, sondern mit der Anerkennung der eigenen historischen kolonialen Verantwortung zu eröffnen. Dass zu dieser Selbstveränderung hierzulande kaum jemand bereit ist, ist unübersehbar. Dies zeigt nicht zuletzt der absurde Diskurs über die Klebeaktionen der „Letzten Generation“, deren ebenso berechtigten wie moderaten Proteste hierzulande von den gleichen Akteuren in die Nähe des Terrorismus gerückt werden, die sich in der Außenpolitik als Weltretter:innen generieren und sich mit dem Heldenmut der Ukraine schmücken.


Die Regierungen und Eliten des Westens erheben heute Anspruch auf moralische Kategorien, den Gehalt sozialer Bewegungen und auf den Widerstand der Ukrainer:innen. Diesen Versuchen, Emanzipationskämpfe mit einem neuen Nationalismus westlicher Prägung zu verrühren, sollten wir mit aller Kraft widerstehen. Mit einem Denken und Tun, deren Nüchternheit eine wahre Empathie und Solidarität möglich machen – anstatt eines moralisch hochgerüsteten Nationalismus, der in Wahrheit vor allem westliche Privilegien verteidigen möchte. „Dient nicht die Bedrohung durch eine atomare Katastrophe, die das Menschengeschlecht auslöschen könnte, ebenso sehr dazu, gerade diejenigen Kräfte zu schützen, die diese Gefahr verewigen? Die Anstrengungen, eine solche Katastrophe zu verhindern, überschatten die Suche nach ihren etwaigen Ursachen“ – so lauten die ersten Sätze in Herbert Marcuses Vorrede zu seiner Schrift über den „eindimensionalen Menschen“. Sie trägt den bezeichnenden Titel „Die Paralyse der Kritik: eine Gesellschaft ohne Opposition“. Jedes Wort aktueller denn je.


Info: https://www.medico.de/blog/moralische-mobilmachung-18915


unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

11.01.2023

Zur offiziellen Eröffnung des Marinearsenals in Rostock-Warnemünde im Beisein von Bundesverteidigungsministerin und Ministerpräsidentin des Landes Mecklenburg-Vorpommern erklärt das Rostocker Friedensbündnis:

rostocker-friedensbuendnis.de, Erstellt am 11. Januar 2023 - 12:10

Seit mehreren Monaten ist das neue Marinearsenal „Warnowwerft“ auf dem Gelände der größten Werft der DDR bereits in Betrieb. Der Staat hat es von den insolventen MV-Werften gekauft. Der Name „Warnowwerft“ soll nach zahlreichen Eigentümerwechseln und Umbenennungen ab 1990 vermutlich die Akzeptanz des Arsenals bei der Bevölkerung fördern. Die Marine wird hier aber nicht in der Tradition der Warnowwerft zivilen Schiffbau betreiben, sondern Kriegsschiffe reparieren. Versprochen werden 500 Arbeitsplätze. Wer dort arbeitet, fällt allerdings unter den Tarif des öffentlichen Dienstes und verdient damit weniger als in der Industrie. Das Verteidigungsministerium blockiert außerdem die Ansiedlung eines Herstellers von Plattformen für Offshore-Windparks in der Nachbarschaft des Arsenals. Das, was als Rettung der MV-Werften angepriesen wurde, erweist sich als schlechter Tausch.


Das Verteidigungsministerium lobt den Beitrag des Arsenals zur Einsatzbereitschaft der Marine. Es passt in sein Konzept: Die von Rostock aus gesteuerte Marine übernimmt immer mehr Führungsaufgaben in der Ostsee und darüber hinaus. Passend zum Politikerbesuch hat daher auch ein Zerstörer der US-Marine in Rostock festgemacht: eine ganz spezielle Drohgebärde im Ukrainekrieg.


Das Rostocker Friedensbündnis fordert zivile statt militärischer Arbeitsplätze und Einsatz für Waffenstillstand und Verhandlungen anstelle jeder weiteren Eskalation des Krieges.  


Info: http://rostocker-friedensbuendnis.de/node/575

11.01.2023

FAZ korrigiert sich selbst

aus e-mail von Inrid Rumpf, 11. Januar 2023, 12:39 Uhr


Ein bemerkens- und anerkennungswerter Vorgang bei der FAZ! Allerdings

ist der Artikel "Doppelstandards für den Frieden" auch unterirdisch und

man fragt sich, wie sowas überhaupt erscheinen konnte. Artikel und

Korrektur auch im Anhang.


Korrektur der FAZ zu einem vorher dort erschienenen Artikel


*DerursprünglichandieserStelleveröffentlichteBeitrag„Doppelstandardsfür

den Frieden“ enthielt eine erhebliche Zahl sachlicher Fehler, für die

wir um Entschuldigung bitten. Die Korrekturen.*


Der ursprünglich an dieser Stelle veröffentlichte Beitrag

„Doppelstandards für den Frieden“ (Feuilleton vom 4. Januar) enthielt

eine erhebliche Zahl sachlicher Fehler. So stimmt es

nicht,dassIsraelnachdemSechstagekrieg1967„bereitwar,dasineinemVerteidigungskrieg

gegen die Palästinenser eroberte Westjordanland zu räumen“. Es gab

Angebote wie die Zurückgabe der Golanhöhen und des Sinais, sofern Syrien

und Ägypten Frieden mit Israel schließen würden, was die Arabische Liga

ablehnte. Ein vollständiger Abzug aus dem Westjordanland war nicht

Regierungslinie.


Von einem „Verteidigungskrieg gegen die Palästinenser“ 1967 kann nicht

die Rede sein, da

diePalästinensernichtKriegsparteiwaren.Auchwareskein„Verteidigungskrieg“,sondern

ein Überraschungsangriff, die Forschung spricht allenfalls von einem

Präventivkrieg

aufgrundaggressiverSchritteÄgyptens.Esistinkorrekt,dassdiepalästinensischeFührung

bis heute an der Position festhalte: „keine Verhandlungen mit Israel,

keine territorialen Kompromisse, das ganze Land gehört den Palästinensern“.


DieBereitschaftzumKompromissentlangder1967erLinienistspätestensseit1988offizielle

Linie der PLO, belegt unter anderem durch die Oslo-Verträge der

Neunzigerjahre. Die

EuropäischeUnionfinanziertdenAufbaupalästinensischerInstitutionennicht„mitmehrals

einer Milliarde Euro im Jahr“. Die EU-Hilfe für die Palästinenser lag

2021 wie in den Vorjahren in der Größenordnung von 340 Millionen Euro.

Es stimmt nicht, dass „privater arabischer Besitz“ von den „jüdischen

Siedlungen unberührt“ bleibe. Die Enteignung und Besiedlung privaten

palästinensischen Landes ist vielmehr Hauptkonfliktpunkt im Westjordanland.


Der erwähnte „Paragraph 47 der UN-Charta“ enthält keine Bestimmung zur

Besetzung fremden Territoriums. Es gab keine „drei Angriffskriege“ von

Palästinensern gegen Israel,

undandenAbraham-AbkommenhabensichnichtfünfarabischeStaatenbeteiligt,sondern

vier. Der Gazastreifen ist nicht „seit 2007 frei“, sondern wird bis

heute von Israel und Ägypten abgeriegelt. Die Studie, auf die der

Artikel fußt, ist als Book-on-Demand von der Organisation Sallux

veröffentlicht worden und heißt nicht „Two States for Two Peoples“,

sondern „Two States for Two Peoples?“.


FürdieFehlerbittenwirumEntschuldigung.“


Quelle:F.A.Z.


Anlage Artikel Thiel vom 4.1.2023


Korrektur der FAT v. 8.1.2023

11.01.2023

Werteorientierte Außenpolitik   Deutschland kooperiert weiter eng mit der Türkei bei Repression gegen türkische Opposition. Ausreiseverbote für kurdische Aktivisten nehmen zu; Geheimdienst MİT hat in Deutschland Bewegungsfreiheit.

 

german-foreign-policy.com, 11 Januar 2023

BERLIN/ANKARA (Eigener Bericht) – Die Bundesrepublik untersagt einer steigenden Zahl deutscher Staatsbürger die Ausreise und geht dabei offenbar in stillem Einvernehmen mit den Behörden der Türkei unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan vor. Wie die Bundesregierung einräumt, ist die Zahl der Bundesbürger, deren in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte garantiertes Recht auf Freizügigkeit sie damit einschränkt, im Jahr 2022 auf 66 gestiegen. Hinzu kommt der Entzug von Reisepässen und von Personalausweisen durch Kommunen; die Zahl dieser Fälle ist unbekannt. Betroffen sind überwiegend Menschen kurdischer Herkunft, auf die es die türkischen Behörden abgesehen haben. Nicht wenige von ihnen werden zudem, selbst wenn sie die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, bei Besuchen in der Türkei inhaftiert oder auch an der Rückreise gehindert. Öffentlich wahrnehmbare Schritte dagegen leitet die Bundesregierung nicht ein, ebensowenig wirksame Maßnahmen gegen Übergriffe des türkischen Geheimdienstes MİT auf deutschem Territorium. Der Grund für die Berliner Rücksichtnahme sind außenpolitische Motive: Auch für die rot-gelb-grüne Bundesregierung stechen geostrategische Erwägungen die Menschenrechte.


Zizat: Kein Recht auf Freizügigkeit

Die Bundesrepublik untersagt einer steigenden Zahl deutscher Staatsbürger die Ausreise. Dies geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage im Deutschen Bundestag hervor. Demnach hat die Bundespolizei die Zahl der Personen, die sie gehindert hat, die Bundesrepublik zu verlassen, von nur 3 im Jahr 2018 auf 66 im Jahr 2022 gesteigert. Insgesamt sind seit 2018 131 deutsche Staatsbürger betroffen.[1] Hinzu kommt eine nicht genauer bekannte Zahl an Deutschen, denen Kommunen die Ausreise verweigern. So wird von einer 18-Jährigen berichtet, deren Reisepass von der Stadt Oberhausen eingezogen wurde; sie erhält seither nicht einmal einen vorläufigen Personalausweis. Als Grund für die Maßnahmen werden nicht näher beschriebene Einträge in „nationalen, europäischen und internationalen Datenbanken“ genannt, darunter etwa das Schengener Informationssystem. Betroffen sind offenkundig ganz überwiegend Personen kurdischer Herkunft, denen zum Beispiel vorgeworfen wird, ihrer Ausreise stehe „das Interesse“ Deutschlands „an seiner inneren und äußeren Sicherheit sowie das internationale Ansehen der Bundesrepublik Deutschland“ im Wege.[2] Die Angaben der Bundesregierung sind offenbar unvollständig: Für 2021 verzeichnen kurdische Aktivisten mehr Ausreiseverbote in ihren Reihen, als die Regierung insgesamt für dieses Jahr nennt.


Mord im Geheimdienstauftrag

Die Praxis der Ausreiseverbote hält auch in diesem, bislang erst wenige Tage alten Jahr an. So untersagten die deutschen Behörden Ende vergangener Woche mehreren Personen die Ausreise nach Frankreich, wo sie an einer Demonstration zur Erinnerung an die Opfer eines vor zehn Jahren verübten Dreifachmordes erinnern wollten.[3] Am 9. Januar 2013 waren in Paris die kurdischen Aktivistinnen Sakine Cansız, Fidan Doğan sowie Leyla Şaylemez von einem V-Mann des türkischen Geheimdienstes MİT erschossen worden; laut der Aussage zweier hochrangiger türkischer Geheimdienstmitarbeiter wurde die Operation, die den Dreifachmord beinhaltete, von einem führenden MİT-Funktionär geleitet. Zudem sei davon auszugehen, wird einer der beiden zitiert, dass der Mord nicht ohne eine Zustimmung des damaligen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan habe verübt werden können.[4] Ermittlungen dazu wurden zunächst eingestellt und erst 2019 wieder aufgenommen, als ein weiterer Mordplan des MİT in Paris bekannt wurde. Allerdings kommen sie nicht voran – auch, weil die französische Regierung ihre Erkenntnisse zu dem Fall als „Staatsgeheimnis“ klassifiziert.[5] Auf der Pariser Demonstration, an der die an der Ausreise gehinderten Personen am vergangenen Wochenende teilnehmen wollten, wurde eine rasche Aufklärung gefordert.


In der Türkei festgesetzt

Die Tatsache, dass in hohem Maße kurdische Aktivisten von den Ausreiseverboten betroffen sind, legt nahe, dass Berlin den Entzug staatsbürgerlicher Freiheitsrechte im Einvernehmen mit Ankara vornimmt. Darauf deutet auch hin, dass die türkischen Behörden unübliche, drastische Maßnahmen gegen Deutsche verhängen können, ohne dass die Bundesregierung wahrnehmbar dagegen vorgeht. So waren im Oktober laut Angaben des Auswärtigen Amts 64 deutsche Staatsbürger in der Türkei in Haft, neun mehr als im Juni. Zudem dürfen 58 Deutsche nicht mehr aus der Türkei ausreisen, gleichfalls neun mehr als im Juni. Grund ist in zahlreichen Fällen, dass die Betroffenen in der Bundesrepublik in kurdischen Vereinen aktiv waren oder Kritik an der türkischen Regierung unter Präsident Erdoğan geübt haben. Die Abgeordnete Gökay Akbulut (Die Linke), die mit Anfragen im Bundestag die Behörden zur Herausgabe ihrer Kenntnisse über Ausreiseverweigerungen in Deutschland und der Türkei veranlasst hat, berichtet, immer wieder würden aus der Bundesrepublik kommende Personen „bei der Einreise in die Türkei allein wegen Beiträgen in sozialen Medien festgehalten“; ihnen werde beispielsweise „Präsidentenbeleidigung“, zuweilen sogar „Unterstützung von vermeintlichen Terrororganisationen vorgeworfen“.[6] Öffentlich wahrnehmbare Schritte der Bundesregierung dagegen sind nicht bekannt.


Bewegungsfreiheit für den MİT

Dem entspricht, dass nach wie vor der türkische Geheimdienst MİT in der Bundesrepublik Aktivisten und Sympathisanten der türkischen Opposition verfolgen kann. Im Jahr 2017 schätzte der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom die Zahl der hauptamtlichen MİT-Agenten in der Bundesrepublik auf rund 400 [7]; sie seien „in Tarnfirmen wie Reisebüros“, in allerlei weiteren Unternehmen, aber auch „in religiösen Zusammenhängen wie den DİTİB-Moscheen“ tätig [8]. Hinzu kämen zahllose Privatpersonen, „die entweder von Agenten abgeschöpft werden oder die aus chauvinistischer Gesinnung Mitbürgerinnen und Mitbürger ausspähen und denunzieren“. Wie Schmidt-Eenboom berichtet, hat der deutsche BND den MİT, mit dem er jahrzehntelang sehr eng zusammengearbeitet hat, „als Gestapo-ähnlichen Geheimdienst gebrandmarkt“ – laut Schmidt-Eenbooms Einschätzung „zu Recht“. Der Geheimdienstexperte stellte im vergangenen Jahr fest, die Bundesregierung habe ihre Pflicht, die Bevölkerung vor den Aktivitäten des MİT zu schützen, „sträflich vernachlässigt“; selbst die „Osmanen Germania“, eine „Frontorganisation des MİT“, sei erst verboten worden, nachdem sie sich mit „Kriegswaffen aus der Schweiz“ aufgerüstet habe.[9] In zunehmendem Maß werden Schmidt-Eenboom zufolge nicht nur Politiker, sondern zudem Journalisten in Deutschland vom MİT ausgeforscht.


Brücke nach Osten

Der Grund dafür, dass Berlin dem MİT Bewegungsfreiheit lässt, die Augen zudrückt, wenn deutsche Staatsbürger in der Türkei aus nichtigen Gründen festgehalten werden, und sogar ihrerseits das Menschenrecht der Freizügigkeit einschränkt, um Belangen der Regierung unter Präsident Erdoğan Genüge zu tun, sind außenpolitische Interessen. Deutschland benötigt die Türkei als geostrategische Brücke in den Kaukasus wie auch in den Nahen und Mittleren Osten.[10] Die deutsche Wirtschaft nutzt die Türkei als ein Sprungbrett in die islamische Welt und zum Teil auch in die turksprachigen Staaten Zentralasiens. Außerdem gilt die Einbindung Ankaras als alternativlos, um zu verhindern, dass die Türkei sich enger als bisher an Russland bindet und damit den längst schwindenden globalen Einfluss des Westens noch weiter schwächt. Dies ist der Grund, weshalb die Bundesregierung sogar die türkischen Invasionen nach Syrien, die Attacken auf irakisches Hoheitsgebiet sowie die Okkupation syrischen Territoriums nicht zum Anlass für eine Verschlechterung der Beziehungen nimmt (german-foreign-policy.com berichtete [11]): Geostrategische Belange stechen auch unter der rot-gelb-grünen Bundesregierung und dem von Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) geführten Auswärtigen Amt, die sich öffentlichkeitswirksam einer angeblich werteorientierten Außenpolitik verschrieben haben, die Menschenrechte aus.

 

[1], [2] Erkan Pehlivan: Deutschland verbietet immer mehr Deutschen die Ausreise. fr.de 10.10.2023.

[3] Bundespolizei verhindert Ausreise nach Paris. anfdeutsch.com 07.01.2023.

[4], [5] Nick Brauns: Blutspur nach Ankara. junge Welt 09.01.2023.

[6] Susanne Güsten: Wegen Kritik an Türkei: Erdogan lässt mehr als 120 Deutsche festhalten. tagesspiegel.de 12.10.2022.

[7] Andreas Förster: MIT hat Spione in deutschen Banken, Reisebüros und Schulen. berliner-zeitung.de 30.03.2017.

[8], [9] Stefan Kreitewolf: „Das Verbot der Grauen Wölfe hat höchste Priorität“. dtj-online.de 03.03.2022.

[10] S. dazu Brücke in die islamische Welt und Die türkische Seidenstraße.

[11] S. dazu Die Invasionsmacht als Partner und Berlins Ziele in Ankara.


Info: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9128


11.01.2023

Die wichtigsten außenpolitischen Ergebnisse des Jahres 2022

mid.ru, vom 29 Dezember 2022 12:12
2665-29-12-2022

Das scheidende Jahr war voll von wirklich historischen Ereignissen und wurde für Russlands Außenpolitik tatsächlich zum Wendejahr, indem es im Zeichen der Gestaltung einer neuen internationalen Realität verlaufen ist.


Anfang des Jahres erreichte die von der Nato provozierte Militarisierung an den westlichen Grenzen Russlands eine gefährliche Linie. Nach der Weigerung des „kollektiven Westens“, Russlands Initiativen bezüglich der Sicherheitsgarantien ernsthaft zu betrachten, wurde endgültig klar, dass er auch künftig die politischen bzw. diplomatischen Bemühungen um die Sicherheit Russlands und russischer Menschen hochmütig abweisen würde. Genauso hatten sich die westlichen Länder mit den USA an der Spitze auch geweigert, zwecks Umsetzung des Minsker „Maßnahmenkomplexes“ richtig zu kooperieren und, und gleichzeitig den Terror des Kiewer Regimes gegen friedliche Donbass-Einwohner übersehen, die den blutigen Staatsstreich auf dem Maidan nicht akzeptieren wollten.


Zwecks Neutralisierung der Gefahren für die nationale Sicherheit, die ein unannehmbares Niveau erreicht hatten, entschied sich die Führung der Russischen Föderation für schwere, aber notwendige Schritte: für die Anerkennung der Unabhängigkeit der Volksrepubliken Donezk und Lugansk, für den Beginn der militärischen Sonderoperation im Sinne des Artikels 51 der UN-Charta, für die Referenden in den Volksrepubliken Donezk und Lugansk sowie in den befreiten Teilen der Gebiete Saporoschje und Cherson samt ihrer weiteren Aufnahme in die Russische Föderation. Diese Ereignisse, wie auch die „Heimkehr“ der Krim im Jahr 2014, werden für immer und ewig richtige Meilensteine in der russischen Geschichte bleiben. Gleichzeitig wurde damit ein Ende  für die 30-jährigen fairen Versuche Russlands gesetzt, ein gleichberechtigtes Zusammenwirken mit dem „kollektiven Westen“ zu entwickeln.


Russlands entschlossenes Vorgehen hat die wahren Absichten und Vorgehensweisen der westlichen Länder gegenüber unserem Land offensichtlich gemacht. Indem westliche Spitzenpolitiker sich unverhohlen zu antirussischer Rhetorik herabließen und offen einräumten, dass der Minsker „Maßnahmenkomplex“ nichts als ein Versuch gewesen war, dem Kiewer Regime Zeit für Durchschnaufen zu geben und es mit Nato-Waffen vollzupumpen, redeten sie gleichzeitig von der Absicht, unser Land „strategisch zu besiegen“ und als geopolitisches Subjekt von der internationalen Arena zu beseitigen.


Als Reaktion auf diverse antirussische Provokationen musste unser Land aus dem Europarat austreten und auf seine Vollmachten als Mitglied  des UN-Menschenrechtsrats verzichten, indem es zum Beobachter wurde. Trotz des ganzen Drucks gab Russland seine grundsätzlichen außenpolitischen Einstellungen nicht auf und brachte eine konstruktive internationale Tagesordnung weiter intensiv voran. Die russische Diplomatie verteidigte entschlossen die nationalen Interessen, wobei sie sich auf die Ziele und Prinzipien der UN-Charta und des Völkerrechts stützte.

Die weitere Entwicklung der Situation bestätigte, dass der größte Teil der Weltgemeinschaft Russlands Vorgehensweise positiv bewertet, auch aus der Sicht der Förderung der gemeinsamen Bemühungen um Bekämpfung der neokolonialen Praktiken des Westens.


Im Rahmen der New Yorker Plattform der Gruppe der Freunde für den Schutz der UN-Charta haben wir und unsere Gleichgesinnten eine politische Erklärung über Unterstützung der UN-Charta befürwortet (am 5. November in Teheran). In der UN-Vollversammlung wurde von den absolut meisten Mitgliedsstaaten Russlands jährliche Resolution über Bekämpfung der Heroisierung des Nazismus befürwortet, zu deren Co-Autoren mehr als 30 Staaten gehörten (allerdings haben Deutschland, Italien und Japan zum ersten Mal dagegen gestimmt, die offenbar die Verbrechen der deutschen Nazis, der italienischen Faschisten und der japanischen Militaristen während des Zweiten Weltkriegs vergessen haben). Auf unsere Initiative wurde eine ganze Reihe von anderen thematischen Resolutionen der UN-Vollversammlung sowie von politischen Deklarationen und gemeinsamen Erklärungen in diversen Ausschüssen sowie in Plenarsitzungen der Vollversammlung vereinbart.


Zudem blieben wir auch unseren Verpflichtungen zur Festigung der internationalen Sicherheit und strategischen Stabilität treu. Auf unsere Initiative wurde im Januar eine Gemeinsame Erklärung der Spitzenpolitiker der fünf Atomwaffen besitzenden Staaten über Vorbeugung einem Atomkrieg und über Unzulässigkeit des Wettrüstens vereinbart.


Ein besonderes Augenmerk wurde auf die intransparenten Aktivitäten der USA im Bereich von biologischen Forschungen gerichtet, die einen globalen Umfang erreicht haben. Wir bestanden darauf, dass im September in die  gemeinsame Erklärung nach einer Beratung der Mitgliedsstaaten der Biowaffenkonvention die Besorgnisse über die militärbiologischen Aktivitäten der USA im Kontext der Arbeit von Biolaboren auf  dem Territorium der Ukraine aufgenommen wurden.

Sehr intensiv entwickelte sich das internationale Zusammenwirken im Rahmen der Eurasischen Wirtschaftsunion, der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit und des BRICS-Bündnisses, das auf Festigung einer positiven Tagesordnung der multilateralen Kooperation ausgerichtet war.


Im Rahmen von BRICS fanden mehr als 150 Veranstaltungen statt, insbesondere der 14. Gipfel am 23. und 24. Juni. Darüber hinaus nahm das Zentrum für Entwicklung und Erforschung von Impfstoffen virtuell seine Arbeit auf; es begann auch die praktische Umsetzung des Abkommens über Kooperation im Bereich der Satellitengruppierung  für Fernsondierung der Erde; es wurde die BRICS-Allianz im Bereich der technischen Berufsausbildung gegründet. Es wurde die Arbeit am Wortlaut eines Abkommens über Zusammenwirken und gegenseitige administrative Unterstützung in den Zollangelegenheiten sowie eines Memorandums über Regelung von medizinischen Produkten beendet. Es fand das erste Treffen der Leiter von Anti-Korruptions-Behörden statt; es wurde die Initiative zur Beseitigung von „sicheren Häfen“ für kriminelle Aktive von korrupten Beamten vereinbart.


Unsere systematischen Bemühungen um die Förderung der Kooperation auf Gebieten Politik, Sicherheit, Wirtschaft und humanitäre Verbindungen im Rahmen der SOZ trugen zur Festigung der Rolle dieser Vereinigung in den internationalen Angelegenheiten bei. Eine besondere Bedeutung hatte die am 15. September in Samarkand getroffene Entscheidung, die SOZ-Aktivitäten in der modernen geopolitischen Realität zu vervollkommnen, die sich konsequent als effektiver Faktor der Entstehung  einer neuen multipolaren Weltordnung etabliert. Im Rahmen des Gipfeltreffens in Samarkand wurde ein Memorandum über Verpflichtungen des Irans zwecks Erhaltens des Status des SOZ-Mitglieds, das zu einem richtigen Meilenstein bei der Entwicklung der Organisation wurde.


Beim Gipfeltreffen des Höchsten eurasischen Wirtschaftsrats am 9. Dezember in Bischkek wurde die Aufrechterhaltung der makroökonomischen Stabilität in den EAWU-Ländern festgestellt; darüber hinaus  wurde ein Zuwachs des gegenseitigen Handels (in den ersten neun Monaten dieses Jahres um zwölf Prozent im Jahresvergleich), der Investitionen (um 6,6 Prozent), der Landwirtschaftsproduktion (um 5,4 Prozent) und der Industrie (um 0,3 Prozent) registriert. Es wurden die neuen Richtungen der internationalen Aktivitäten der EAWU für das Jahr 2023 festgelegt, die eine Intensivierung des Zusammenwirkens mit den traditionellen Handels- und Wirtschaftspartnern der Union vorsehen. Zudem wurden neue aussichtsreiche Kooperationsrichtungen bestimmt. Es wurden auch diverse Initiativen zur Organisation eines vereinigten EAWU-, SOZ- und BRICS-Gipfeltreffens und zur Entwicklung einer Kryptowährung der Union erörtert.


Einen wichtigen Impuls bekam die Entwicklung der Handels- und Wirtschaftsverbindungen der EAWU mit ausländischen Partnern. Im scheidenden Jahr wurden acht internationale Verträge abgeschlossen, insbesondere mit dritten Ländern, die diverse Fragen im Kontext der Arbeit und Entwicklung der Union betreffen sowie die Lösung der vor der Union stehenden Aufgaben vorsehen. Im Rahmen der Eurasischen Wirtschaftskommission wurden Memoranden über gegenseitige Verständigung bzw. Zusammenarbeit mit dem Gemeinsamen Markt für das Östliche und Südliche Afrika (COMESA), dem Sekretariat  der Beratung über Vertrauensmaßnahmen in Asien (CICA) und den Vereinigten Arabischen Emiraten unterzeichnet. In der Abschlussphase befinden sich die Verhandlungen über vollwertige Abkommen über freien Handel mit Ägypten und dem Iran. Die EAWU-Spitzenpolitiker haben Entscheidungen zum Beginn von offiziellen Verhandlungen über eine Liberalisierung des Handels mit Indonesien und den VAE getroffen.


Es wurden in diesem Jahr die Verbündetenbeziehungen mit der Republik Belarus weiter gefestigt. Minsk zeigte Verständnis für die Ursachen, Ziele und Aufgaben der militärischen Sonderoperation und stellte im Februar und März seine Plattform für drei Runden der russisch-ukrainischen Verhandlungen zur Verfügung. Vor dem Hintergrund der Gefahren, die vom ukrainischen Territorium und von den Nato-Kontingenten in den Nachbarländern ausgehen, wurden auf dem Territorium der Republik zusätzliche Kontingente der gemeinsamen Regionalen Truppengruppierung aufgestellt, deren Aufgabe war bzw. ist, die Sicherheit an den westlichen Grenzen des Unionsstaates zu fördern. Es wurde die Umsetzung von etwa 60 Prozent der für 2023 vorgesehenen Veranstaltungen durch zuständige Behörden diplomatisch begleitet, die im Rahmen von 28 Unionsprogrammen umgesetzt werden. Insbesondere geht es dabei um die Unterzeichnung von wichtigen bilateralen Verträgen. Es wurde die Konzeption der Informationssicherheit des Unionsstaates abgesprochen.


Im Rahmen der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten wurde eine Reihe von großen Initiativen in Erfüllung gebracht, die auf eine Festigung der Integrationsverbindungen in allen Aspekten der Arbeit dieser Organisation ausgerichtet sind. Die GUS-Staatsoberhäupter haben beschlossen, die Arbeit der GUS-Menschenrechtskommission zu starten, damit dieses Satzungsgremium die praktische Arbeit als regionaler Mechanismus zum Menschenrechtsschutz beginnen könnte. Im Dezember hat  das 15. Forum der kreativen und wissenschaftlichen Intellektuellen der GUS-Länder erfolgreich stattgefunden.


Es funktionierten erfolgreich die Mechanismen der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS), die in diesem Jahr ihr 30-jähriges Jubiläum beging. Innerhalb des Jahres fanden fünf OVKS-Gipfel statt, darunter drei außerordentliche Tagungen des Rats für kollektive Sicherheit zur Lösung dringender Fragen zur Gewährleistung der Sicherheit, darunter die Situation in der Republik Kasachstan (10. Januar). Unter Berücksichtigung der zunehmenden Herausforderungen für die Biosicherheit wurde in OVKS eine neue Richtung der Zusammenarbeit eingeleitet und ein profiliertes Hilfsorgan geschaffen – Koordinierungsrat für Biosicherheit. In den Erklärungen der Außenminister der OVKS-Mitgliedsstaaten vom 10. Juni und 23. November wurden die Positionen zur Verteidigung und striktem Einhalten des grundlegenden Prinzips der gleichen und unteilbaren Sicherheit bestätigt.


Es wurden Initiativen zur Festigung und Befüllung mit praktischem Inhalt der Verbindungen zwischen OVKS, GUS und SOZ energisch vorangebracht. Auf dem OVKS-Gipfel in Jerewan am 23. November wurde eine Liste konkreter praktischer Maßnahmen und Richtungen zur Entwicklung des Zusammenwirkens von diesen drei Organisationen gebilligt.


Es funktioniert effektiv das Format „Fünf Länder Zentralasiens plus Russland“. Während des am 14. Oktober in Astana auf Initiative des Präsidenten Russlands, Wladimir Putin, stattgefundenen 1. Russland-Zentralasien-Gipfels bekam die Erfahrung des 30-jährigen Zusammenwirkens Russlands mit den Staaten der Region eine hohe Einschätzung, es wurde die Erhöhung der Effizienz des Zusammenwirkens im Rahmen der Verbündetenbeziehungen und strategischen Partnerschaft einheitlich unterstützt. Ein wichtiges Ergebnis war der Start des Interparlamentarischen Forums Russland-Zentralasien sowie des Dialogs der Frauen zentralasiatischer Staaten und der Russischen Föderation.


Auf dem unter Teilnahme des Präsidenten der Russischen Föderation, Wladimir Putin, stattgefundenen 6. Kaspischen Gipfel (29. Juni, Aschgabat) wurde das Format regelmäßiger Außenministertreffen der Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres aufgenommen.


Auf den Plattformen ASEAN, Ostasiengipfel und APEC wurden Fragen über die Festigung der multipolaren Weltordnung, Aufnahme einer praktischen Kooperation zwischen den Ländern der Asien-Pazifik-Region und Bekämpfung der zunehmenden Bedrohungen für eine stabile Entwicklung der Region gestellt. In der Nahostrichtung entwickelte sich das Zusammenwirken im Rahmen des strategischen Dialogs Russland – Kooperationsrat der Arabischen Staaten des Golfes (CCASG) und im Format Russland - Arabische Liga.


Bedeutende Anstrengungen wurden von der russischen Diplomatie bei der friedlichen Regelung der internationalen Konflikte unternommen. Es wurde aktiv die Stabilisierung der Situation in Afghanistan gefördert. Es wurde ein komplexes Herangehen zum syrischen Dossier, darunter im Astana-Format gefördert. Es wurde eine komplexe Normalisierung der Beziehungen zwischen Aserbaidschan und Armenien, Deblockieren der Verkehrsverbindungen, Delimitation der Grenze, Abstimmung eines Friedensvertrags, Lösung der humanitären Probleme gefördert. Eine hohe Einschätzung verdienten die Handlungen russischer Friedenssoldaten, die ein Sicherheitsgarant in der Region bleiben.


Zur Vermeidung der Eskalation in der Region mit schweren Folgen für die regionale und internationale Sicherheit wurden die Teilnehmer des Gemeinsamen umfassenden Aktionsplans zum iranischen Atomprogramm zur Akzeptanz der Alternativlosigkeit der Rückkehr zu Bedingungen der Resolution 2231 des UN-Sicherheitsrats bewegt.


Vor dem Hintergrund einer kontinuierlichen Entwicklung der Geschäftskooperation mit einem breiten Kreis ausländischer Partner wurde die Aussichtslosigkeit der Versuche unfreundlicher Länder, Russland wirtschaftlich zu isolieren, entlarvt.


Mit Unterstützung des Außenministeriums Russlands fanden mehrere große internationale Veranstaltungen wie das St. Petersburger Internationale Wirtschaftsforum, Russische Energiewoche unter Teilnahme des Präsidenten der Russischen Föderation, Wladimir Putin und das Kaspische Wirtschaftsforum, auf dem der Premierminister der Russischen Föderation, Michail Mischustin, auftrat, statt.


Es wurde das konstruktive Zusammenwirken mit den ölexportierenden Ländern in OPEC-Plus fortgesetzt. Auf dem 33. Ministertreffen, das am 5. Oktober stattfand, wurden Vereinbarungen zur Verlängerung der Gültigkeit der Erklärung über Zusammenarbeit der OPEC-Länder und Staaten, die nicht zu dieser Organisation gehören, bis 31. Dezember 2023 erreicht. Es wurden Beschlüsse über die Senkung der Ölförderung um zwei Mio. Barrel pro Tag ab November getroffen.

Es entwickelten sich erfolgreich Kontakte mit zahlreichen internationalen Partnern, die an einem konstruktiven Dialog mit Russland interessiert sind. In diesem Jahr hatte der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Putin, mehr als 70 Treffen mit den Anführern anderer Staaten und internationalen Organisationen, nahm an rund 300 außenpolitischen Veranstaltungen teil und hatte mehr als 220 Telefonate mit ausländischen Staats- und Regierungschefs.


Es entwickelte sich dynamisch der ganze Komplex der russisch-chinesischen Beziehungen. Ihr beispiellos hohes Niveau, Nachhaltigkeit und Stabilität, die auf tiefen historischen Traditionen, gegenseitigem Respekt und Unterstützung beruhen, wurden in einer großangelegten Gemeinsamen Erklärung der Russischen Föderation und der Volksrepublik China über internationale Beziehungen, die in eine neue Epoche eintreten, und globale nachhaltige Entwicklung, die nach den Verhandlungen der beiden Staatschefs in Peking (4. Februar) angenommen wurde, widerspiegelt.


Am 22. Februar wurde während des offiziellen Besuchs des Präsidenten Aserbaidschans, Ilham Alijew, in Moskau die Erklärung über Verbündetenzusammenwirken zwischen der Russischen Föderation und der Republik Aserbaidschan unterzeichnet, die bilaterale Beziehungen auf ein qualitativ neues Niveau brachte. Am 19. April wurde während des ersten offiziellen Besuchs des Premierministers Armeniens, Nikol Paschinjan, in Russland anlässlich des 30. Jahrestags der Aufstellung der diplomatischen Beziehungen die Gemeinsame russisch-armenische Erklärung der Anführer zum ganzen Komplex der bilateralen Fragen angenommen, die die strategische Ausrichtung und einen privilegierten Charakter der Verbündetenbeziehungen Moskaus und Jerewans fixierte. Mit beiden Ländern wurde ein breiter Kreis anderer Dokumente über eine Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen unterzeichnet.


Es gab ergebnisreiche Kontakte zu einem breiten Kreis der Fragen mit Indien, Iran, Ägypten, Saudi-Arabien, VAE, Türkei, vielen anderen freundlichen Staaten. Es wurde der Kurs auf eine umfassende Entwicklung des Zusammenwirkens mit Schwellenländern und regionalen Vereinigungen Afrikas, vor allem mit der Afrikanischen Union, gehalten. Es wurde das Zusammenwirken mit den Ländern der Region Lateinamerikas und der Karibischen Staaten vertieft. Am 16. Februar fanden in Moskau die ersten in der Geschichte Verhandlungen der Außen- und Verteidigungsminister Russlands und Brasiliens im 2+2-Format statt.


Es trat das russisch-venezolanische Abkommen über die Nutzung des Weltraums für friedliche Ziele in Kraft, es wurde ein Abkommen mit Antigua und Barbuda über die Grundlagen der Beziehungen ratifiziert, ein Abkommen über Zusammenarbeit im Bildungsbereich mit Kuba sowie ein Zwischenregierungsabkommen mit Nicaragua über Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe bei Zollangelegenheiten unterzeichnet.


Es wurden erfolgreich russische außenpolitische Initiativen im humanitären Bereich umgesetzt. Am 5. September wurde durch Erlass Nr.611 des Präsidenten der Russischen Föderation das Konzept der humanitären Politik der Russischen Föderation, das vom Außenministerium Russlands in Koordinierung mit anderen föderalen Exekutivorganen ausgearbeitet worden war, gebilligt. Ein wichtiges Ereignis des Jahres war der Start des komplexen Staatsprogramms „Unterstützung und Förderung der russischen Sprache im Ausland“.


Im Dezember wurde in Sankt Petersburg und Kasan von russischen Organisatoren mit Erfolg das Internationale Forum zum 50. Jahrestag des Übereinkommens zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt durchgeführt, das die größte Veranstaltung nach der Zahl und Status ausländischer Teilnehmer bei Feierlichkeiten des Jubiläumsjahres wurde.


Unter der Schirmherrschaft der Regierungskommission für Angelegenheiten der Landsleute im Ausland fanden mehr als 40 länderbezogene und vier regionale Konferenzen statt. Von ihnen wurden Resolutionen und Erklärungen angenommen, die die Russophobie, Versuche des Canceln der russischen Kultur und die Absonderung der Russischen Welt verurteilen. Es wurden regionale Jugendkonferenzen organisiert, es fand ein Regionales Forum der Landsleute russischsprachiger Gemeinden der Länder der GUS, des Nahen Ostens und Asiens statt. Es wurde der Weltverband der russischsprachigen Frauen unter der Schirmherrschaft des Eurasischen Frauenforums eingerichtet.


Ein wichtiger Faktor bei der Konsolidierung der Diaspora blieb der Kampf um die Aufrechterhaltung des historischen Gedenkens, vor allem zum Thema Großer Vaterländischer Krieg. Die Veranstaltungen anlässlich des Tages des Sieges am 9. Mai fanden in mehr als 120 Ländern statt. Das Schlüsselereignis des Jahres war die Durchführung der thematischen Konferenz „Wirtschaftskooperation: Landsleute und Regionen Russlands. Antworten auf die Herausforderungen der Zeit“ (1.-2. November) in Moskau, an der 140 Delegierte aus 80 Ländern teilnahmen.


Info: https://mid.ru/de/foreign_policy/news/1846036


unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

11.01.2023

Kooperation EU tritt NATO bei

jungewelt.de, 11.01.2023, Von Jörg Kronauer

Gemeinsame Erklärung: Krieg gegen Russland und Machtkampf der USA mit China werden auch in Brüssel geführt


 

Olivier Matthys/AP Photo/dpa

Charles Michel, Präsident des Europäischen Rates, NATO-Chef Jens Stoltenberg und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Dienstag im NATO-Hauptquartier


Die EU und die NATO verzahnen ihre militärischen, politischen und wirtschaftlichen Aktivitäten noch enger als bisher. Dies geht aus einer gemeinsamen Erklärung der beiden Bündnisse hervor, die NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, EU-Ratspräsident Charles Michel und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Dienstag im Brüsseler Hauptquartier des transatlantischen Kriegspakts unterzeichnet haben. Demnach soll nicht nur die Zusammenarbeit auf den bisherigen Kooperationsfeldern intensiviert werden. Geplant sind nun auch gemeinsame Aktivitäten beim Schutz kritischer Infrastrukturen – zum Beispiel der Energie- und der Wasserversorgung –, eine gemeinsame Stärkung der »Resilienz«, also der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Abwehrfähigkeit in Konflikten, sowie gemeinsame Aktivitäten bei der Nutzung modernster Technologien. Letzteres bezieht sich explizit auf die Raumfahrt und auf sogenannte disruptive Technologien; zu diesen zählt insbesondere »künstliche Intelligenz« (KI). NATO und EU wollen sich zudem gemeinsam mit den Folgen der Klimakatastrophe für Sicherheitsfragen befassen.

Besonderes Gewicht legt die gemeinsame Erklärung von EU und NATO darauf, sich im »zunehmenden geostrategischen Wettbewerb« Seite an Seite zu positionieren. Dies gilt zunächst für den Machtkampf mit Russland, dessen Krieg in der Ukraine die Erklärung als »schwerwiegendste Bedrohung für die euroatlantische Sicherheit seit Jahrzehnten« einstuft. Im Ukraine-Krieg und im Wirtschaftskrieg gegen Russland operieren EU und NATO schon heute in engstmöglicher Abstimmung. Die Erklärung weitet das nun aber auch auf die Konkurrenz des Westens mit der Volksrepublik China aus. So heißt es in dem Papier, »Chinas wachsende Durchsetzungskraft und seine Politik« stellten »Herausforderungen dar, mit denen wir uns befassen müssen«. Die geplante engere Koordination bietet den USA neue Möglichkeiten, auf die China-Politik der EU und indirekt auch auf jene Deutschlands Einfluss zu nehmen. Als konkretes Beispiel für gemeinsame Tätigkeiten, die sich faktisch gegen Moskau und Beijing gleichermaßen richten, nennt die Erklärung »ausländische Manipulation von Informationen und Einmischung«.


Wie am Dienstag in Brüssel hervorgehoben wurde, hat die Kooperation zwischen EU und NATO eine mittlerweile mehr als 20jährige Geschichte. Sie hatte 2002 mit einer Erklärung begonnen, die der EU die Nutzung von NATO-Infrastruktur gewährte. Die EU benötigte dies, da sie militärisch noch nicht hinlänglich aufgestellt war. Die NATO wiederum konnte hoffen, dass »Europas« Wille, kostspielige eigene Militärstrukturen aufzubauen, erlahmen würde, wenn die EU sich bei ihr einklinke – die EU werde von ihr abhängig bleiben. 2016 und 2018 festigten beide Bündnisse ihre Kooperation mit zwei gemeinsamen Erklärungen, in denen etwa gemeinsame Anstrengungen in der Cyberkriegführung und in puncto »militärische Mobilität« initiiert wurden. Die am Dienstag unterzeichnete Erklärung baut ausdrücklich darauf auf. In ihr heißt es, NATO und EU würden auch in Zukunft »komplementäre, kohärente und sich wechselseitig verstärkende Rollen« spielen.


Eine Erfolgsgarantie gibt es auf die Erklärung allerdings nicht. Bereits in der Vergangenheit hat vor allem die Türkei sich bei Absprachen und gemeinsamen Aktivitäten immer wieder quergestellt – offiziell unter Verweis darauf, dass sie das EU-Mitglied Zypern völkerrechtlich nicht anerkenne.


Info: https://www.jungewelt.de/artikel/442542.kooperation-eu-tritt-nato-bei.html


unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

11.01.2023

Da er im Donbass recherchierte: Journalist verliert Lehrauftrag und verklagt Universität Kiel

test.rtde.tech, 10 Jan. 2023 15:31 Uhr, Eine Analyse von Susan Bonath

Mit seiner Recherche im Donbass verstieß der frühere NDR-Journalist Patrik Baab wohl gegen westliche Propaganda-Auflagen. Nach einem medialen Shitstorm setzten ihn zwei Hochschulen vor die Tür. Nun klagt er gegen die Kündigung seines Lehrauftrags durch die Universität in Kiel.




© Klaus M Hoefer / imago stock&people


Für ein geplantes Buch untersucht der renommierte Journalist Patrik Baab die Hintergründe des Krieges in der Ukraine. Da liegt es nahe, sich ein Bild von der Realität vor Ort zu machen. Ein Jahr nach seinem Besuch der Westukraine reiste er im September in den östlichen Donbass, den die Regierung des Landes seit 2014 beschießt und bombardiert. Doch Journalisten, die der westlichen Propaganda Paroli bieten, brauchen ein schnelles Pferd: Ein medialer Shitstorm, gespickt mit Halbwahrheiten und Verleumdungen, brach über Baab herein. Zwei Hochschulen verboten ihm die Lehre. Nun zieht er vors Gericht.


Recherche im Donbass

Patrik Baab ist ein erfahrener Investigativ-Journalist. Unter anderem für den NDR produzierte er zahlreiche Beiträge. Sein Wissen gab er an Studenten weiter. Nebenher schreibt er ein Buch über den Krieg in der Ukraine. Welche Vorgeschichte hatte dieser? Wer und was ließ wann die Lage eskalieren? Was berichten Betroffene vor Ort?


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Analyse

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Seine Reise war lange geplant. Ein Jahr zuvor, so berichtet Baab, habe er in der Westukraine recherchiert. Dass er in den Semesterferien im vergangenen September direkt auf die Referenden zum Anschluss an die Russische Föderation stieß, "war reiner Zufall". Baab filmte in zerstörten Städten, sprach mit Anwohnern, machte sich ein Bild über die Wahlen – guter Journalismus, möchte man meinen.


Eine Reise in ein Kriegsgebiet ist gefährlich. Weil Baab nicht lebensmüde ist, hatte er Sergei Filbert an seiner Seite. Filbert betreibt den gut frequentierten YouTube-Kanal Druschba FM. Er spricht die Sprache und kennt das Land. Unter der Rubrik Grenzland veröffentlichte Baab auf seinem Kanal mehrere Videos von seiner Reise – diese Möglichkeit hatte er woanders nicht. Doch der Westen hat Filberts Heimat Russland zum Feind erklärt. Als angeblicher "Putin-Freund" steht Filbert seit Jahren am Pranger der deutschen Leitmedien. Das öffentlich-rechtliche ZDF bezeichnete ihn beispielsweise im November als einen von "Russlands deutschen Propaganda-Kriegern".


Shitstorm und Rauswurf

Der Shitstorm ließ nicht lange auf sich warten. Er holte Baab noch während seiner Reise ein, nahm vermutlich auf t-online seinen Anfang. Autor Lars Wienand behauptete mal eben wahrheitswidrig, Baab sei als "Wahlbeobachter" in die Ukraine gereist. Andere Medien übernahmen diese Darstellung offensichtlich ungeprüft.


Der t-online-Autor Wienand hatte die Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW) in Berlin angefragt, an welcher Baab unter anderem lehrte. Auf diese Weise von seiner privaten Recherche-Reise in den Donbass. Noch vor dem Erscheinen seines Artikels erklärte die HMKW ihren Dozenten unter Verweis auf selbigen zum Geächteten. Ihr Rundum-Abschlag mit bekannten Propaganda-Begriffen mündete in dem Vorwurf "journalistischer Scheinobjektivität und der Ankündigung:

"Wir haben Herrn Baab mitgeteilt, dass es mit den Grundprinzipien unserer Hochschule nicht vereinbar ist, ihn weiter als Lehrbeauftragten an unserer Hochschule einzusetzen."

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Das versetzte auch die Kieler Christian-Albrechts-Universität (CAU) in Alarmstimmung. Mit dieser hatte Baab bereits eine Lehrvereinbarung für das gegenwärtige Wintersemester abgeschlossen. In einem moralisierenden Dreizeiler verkündete sie, Baabs Lehrauftrag umgehend zu kündigen. Wenige Tage später teilte sie dies ihrem Dozenten schriftlich mit. Das dreiseitige Schreiben liegt der Autorin vor.


Zum Verständnis: Lehraufträge von staatlichen Universitäten sind öffentlich-rechtliche Verträge außerhalb des Arbeits- und Beamtenrechts. Dozenten werden damit zahlreiche Rechte fest Angestellter, wie Tarifgehalt, Zulagen, Urlaub, Lohnfortzahlung bei Krankheit und so weiter, verwehrt. Gewerkschaften kritisieren diese Praxis seit langem. Dennoch dürfen Universitäten einmal erteilte Lehraufträge nicht ohne wichtigen Grund, wie etwa fehlende Studenten oder Verstöße gegen die Lehrvereinbarung, vorzeitig beenden. Private moralische Haltungen und politische Anschauungen zu bestimmten Themen gehören nicht dazu. Denn die Freiheit von Forschung und Lehre, der Meinung und der Presse, ist ein demokratisches Grundrecht, geregelt im Artikel 5 des Grundgesetzes.


Uni mit "eindeutiger Haltung"

Die Kieler Uni ficht das Grundgesetz genauso wenig an wie die HMKW. In Sachen Ukraine-Krieg stellen die Bildungseinrichtungen das politisch erwünschte Freund-Feind-Schema zur Schau: Die NATO und die Ukraine seien gut, die Russen böse. Mit Bösen spricht man nicht, den Guten glaubt man alles – und wer es anders sieht, der fliegt, Journalismus hin oder her.


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Mit anderen Worten: Die CAU verlangt von ihren Dozenten zum Ukraine-Krieg eine vorgegebene politische Haltung, beruflich wie privat. In ihrem Schreiben an Baab widerruft sie hoch emotionalisiert seinen Lehrauftrag. Statt fundierter Belege für ihre aneinander gereihten Vorwürfe trägt sie vor allem Wertungen, Beschuldigungen und persönliche Zuschreibungen darin vor, ersichtlich abgeschrieben bei t-online.


So habe Baab sich "während der Scheinreferenden" als "westlicher Wahlbeobachter" im Donbass aufgehalten und dort zu allem Übel an einer Pressekonferenz mit russischen Medien teilgenommen – ohne sich, wie vorgeschrieben, von den Vereinten Nationen (UN) für diese Aufgabe zertifizieren lassen. Obwohl Baab eindeutig zu verstehen gab, dass er im Donbass ausschließlich für sein Buch recherchiert habe und von Lobeshymnen auf die russische Regierung nichts zu hören oder lesen war, bestand die CAU auch in ihrer ablehnenden Widerspruchsbegründung auf ihrer Deutung. Weiter führte sie aus:

"Das vorstehende Verhalten ist geeignet, die eindeutige Haltung der Christian-Albrechts-Universität zum Krieg in der Ukraine in Frage zu stellen. Ihr Auftreten als "Beobachter" der Scheinreferenden verleiht der völkerrechtswidrigen Besetzung und Annexion ukrainischer Staatsgebiete durch Russland den Anschein von Legitimität."

Die Haltung der Universität beschreiben die Unterzeichner Christian Martin, Robert Seyfert und Dirk Nabers, allesamt Professoren aus den Bereichen Politik und Soziologie, wie folgt: Da die CAU sich dem Frieden verpflichtet fühle, stehe sie an der Seite der Ukraine und unterstütze "nachdrücklich das konsequente Vorgehen der Bundesregierung und die EU-Sanktionen gegen den Aggressor Russland". Sie habe deshalb bereits den Studentenaustausch und die Wissenschaftskooperation mit Russland eingestellt.


Gesinnungskontrolle statt Lehrfreiheit

Anders ausgedrückt: Weil die Kieler Uni für Frieden sei, hat sie sich auf die Seite einer Kriegspartei, nämlich der Ukraine, geschlagen und damit hinter die politischen Ansichten und Bestrebungen der Bundesregierung und der NATO gestellt. Kritik an der deutschen und der EU-Politik ist unerwünscht. Gleiches verlangt sie von ihren Dozenten. Die Uni ist ganz offensichtlich zu einem politischen Tendenzbetrieb mutiert, der die persönliche Gesinnung seiner Mitarbeiter und Dozenten allumfassend kontrolliert.


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Durch Baabs Recherche-Reise befürchtet die Bildungseinrichtung nunmehr einen "Ansehensverlust". Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, schrieb sie, dass ein Teil der Dozenten das Verhalten Russlands befürworten könnte. Kein Wort verlieren die Unterzeichner über die Aufgabe von Journalisten, sauber zu recherchieren. Auch zur Freiheit der Wissenschaft, Presse und Meinung schweigen sie. Offenbar sollen nun auch Journalismus-Studenten zu Propagandisten der Regierenden "erzogen" werden. Einen anderen Schluss lässt das Gebaren kaum zu.


Falsche Behauptungen

Nach erfolglosem Widerspruch klagt Patrik Baab nun vor dem Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht gegen seinen Rauswurf. Das ist zuständig, weil Probleme mit Lehraufträgen nicht unter das Arbeitsrecht fallen. Rechtsanwalt Marius Potthoff, Urlaubsvertreter von Baabs Anwalt Volker Arndt, wirft der CAU in der vorläufigen Klage-Begründung mehrere Falschbehauptungen vor. Sein Mandant sei weder als Wahlbeobachter in die Ukraine gereist, noch habe er sich vom russischen Regime vereinnahmen lassen oder den Krieg relativiert. Er schreibt darin zum Beispiel:

"Der Kläger hat als Journalist, der sich der Berichterstattung vor Ort – und nicht wie andere Medienbeobachter aus der Ferne – verpflichtet fühlt, in hohem Maße risikoreiche Recherchen angestellt, um die Situation vor Ort tatsächlich mit seiner journalistischen Erfahrung wahrzunehmen und darüber zu berichten."

Der Anwalt betont: In der schwierigen und gefährlichen Kriegssituation habe Baab gegenüber allen Seiten stets kritische Distanz gewahrt. Er habe beobachtet, gefilmt und mit Menschen gesprochen – und dies in einer grund- und menschenrechtlich legitimierten Art und Weise. Seine Anwesenheit in der Ost-Ukraine habe auch nicht, wie vorgeworfen, zu einem Vorteil der russischen Regierung beigetragen. Baab habe vielmehr seine journalistische Sorgfaltspflicht erfüllt. Der Widerruf seines Lehrauftrags sei daher rechtswidrig.


Baab und sein Anwalt kritisieren noch mehr am Vorgehen der Kieler Universität. Diese habe ihm keinerlei rechtliches Gehör gewährt. "Man hat nicht mit mir geredet, sondern mich einfach vor vollendete Tatsachen gestellt", erklärt er im Gespräch mit der Autorin.


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NDR begleicht "alte Rechnungen"

Doch damit nicht genug. Auch Baabs ehemaliger Arbeitgeber, der NDR, stieg in die Kampagne ein. Dabei sparte der öffentlich-rechtliche Sender nicht mit persönlichen Angriffen gegen Baab und nutzte die Gelegenheit ganz offensichtlich, um alte Rechnungen zu begleichen.


Denn Baab war kein bequemer Mitläufer. Bereits 2019 hatten er und weitere Kollegen schwerwiegende Missstände im öffentlich-rechtlichen Rundfunk angemahnt. Im Raum stand unter anderem der Verdacht auf politische Einflussnahme. Offenbar wollte der Sender die Vorwürfe gegen ihn relativieren, indem er den Überbringer als "Persona non grata" diskreditiert, die gemeinsame Sache mit "Verschwörungserzählern" mache. Die üblichen Kontaktschuld-Vorwürfe also.


Politischer Zensoren-Klüngel

Baabs Einschätzung nach spielt seine Kritik am NDR eine große Rolle für die Reaktion der Universitäten. Er sprach von einem "offensichtlichen Racheakt". In den Führungsetagen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks treibe ein "politischer Medienklüngel" unter dem Deckmantel "Investigativ-Recherche" sein Unwesen. Dieser nutze wirtschaftlich abhängige freie Journalisten dazu, erwünschte Botschaften zu propagieren. Dieser Klüngel, glaubt Baab, reiche bis in die Universität hinein.


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So müssen dann auch renommierte Journalisten wie Patrik Baab fürchten, wegen unliebsamer Berichterstattung auf dem sinnbildlichen, öffentlichen Scheiterhaufen zu landen. Dies würde die nicht nur gefühlte weitgehende Gleichschaltung der deutschen Leitmedien nicht nur in Sachen Russland und Ukraine-Krieg, sondern auch zur Causa Corona zumindest teilweise erklären.

Wer so agiert, produziert natürlich vorauseilenden Gehorsam durch Angst vor Rauswurf, Arbeitslosigkeit und maximalem Reputationsverlust. Vor allem produziert er Propaganda, die dem Verständnis von freiem Journalismus widerspricht. Und wenn die Universitäten entsprechend "ausgebildeten" Nachwuchs in die Medienwelt entlassen, ist das aktuelle Resultat kaum verwunderlich. Die Anfänge dieser Entwicklung sind vermutlich längst schon überschritten.


Realitätsprobe verboten

Recherche vor Ort, so erklärt Baab, "ist nicht nur Teil des journalistischen Auftrags, sondern für die Beschaffung von Informationen zwingend erforderlich". "Das ist eine Realitätsprobe", sagt er. Nur so könne man etwa regierungsamtliche Verlautbarungen auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen. Dies sei offenbar verboten.


Selbstverständlich müsse man als Journalist mit beiden Seiten reden, meint er. Nur könne man verhindern, von einer Seite "vor den Karren gespannt" zu werden. Entsprechende Vorwürfe der Uni gegen Baab müssten sich vielmehr an Journalisten richten, die ungeprüft die Propaganda der ukrainischen Regierung und der NATO übernehmen und wiedergeben – sich also vor deren Karren spannen lassen.


Die CAU selbst will sich zu ihrer Ausdrucksweise nicht äußern. Auf Nachfrage der Autorin berief sie sich auf das laufende Verfahren, das Patrik Baab in Gang setzte und schweigt. Somit bleibt es vorerst ihr Geheimnis, auf welcher gesetzlichen Grundlage sie von ihren Mitarbeitern und Dozenten fordert, bestimmte politische Haltungen beruflich wie privat nach außen zu tragen – zulasten der Objektivität.


Mehr zum Thema - Wahlbeobachter in Donezk? NDR-Journalist verliert Lehrauftrag


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Info: https://test.rtde.tech/inland/159319-da-er-im-donbass-recherchierte


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11.01.2023

Ein ethnisch reines Kosovo ohne Serben – Das Ziel Pristinas?

test.rtde.tech, vom 10 Jan. 2023 18:08 Uhr,Eine Analyse von Marinko Učur

Die Spannungen in der abtrünnigen serbischen Provinz Kosovo hatten sich zuletzt massiv zugespitzt. Unter Verweis auf die Sicherheit der lokalen serbischen Bevölkerung in den Gemeinden im Norden beantragte Belgrad eine erneute Stationierung seiner Truppen.




Quelle: Gettyimages.ru © Erkin Keci / Anadolu Agenc


Blick auf eine Straße in Mitrovica, Nord-Kosovo, am 30. Dezember 2022, die mit serbischen Fahnen für die Neujahrsfeierlichkeiten geschmückt ist.



Es besteht keine Notwendigkeit, die serbische Armee nach Kosovo und Metochien zurückzuversetzen und sich auf die UN-Resolution 1244 zu berufen! Mit diesen Worten wandte sich die fast ausschließlich aus Soldaten der NATO-Staaten zusammengesetzte internationale Friedensmission KFOR  in einem Schreiben an die serbische Staatsspitze.


Realistischerweise war eine andere Antwort gar nicht zu erwarten, denn bisher hat sich die KFOR nicht nur gegenüber Serbien zunehmend misstrauisch verhalten, sondern auch gegenüber der realen Möglichkeit, dass dieses Land eines Tages mit einem in der UN-Resolution 1244 festgehaltenen legitimen Vorschlag auftreten wird. Natürlich hat die KFOR mit keinem Wort zum Ausdruck gebracht, dass das erwähnte Dokument der Vereinten Nationen nicht mehr rechtskräftig ist, aber es ist klar, dass dadurch versucht wird, internationale rechtsverbindliche Vereinbarungen zu ignorieren. Wie sehr sich der Westen und jene Machtzentren, die über das KFOR-Mandat entscheiden, an diese halten, wird auch am Beispiel des Minsker Abkommens deutlich, das von ukrainischer Seite jahrelang ignoriert wurde und schließlich zur Einleitung der speziellen Militäroperation Russlands in der Ukraine führte.


NATO-Mission KFOR lehnt Belgrads Ersuchen um Stationierung von serbischen Truppen im Kosovo ab





NATO-Mission KFOR lehnt Belgrads Ersuchen um Stationierung von serbischen Truppen im Kosovo ab





In einer Lage, in der allein im Jahr 2022 Serben durch ethnisch motivierte Zwischenfälle, angestiftet durch lokale Albaner, ermutigt von Albin Kurtis Regime, bis zu 150 Mal angegriffen wurden, hatte Belgrad keine andere Wahl, als auf die Zurückführung von 1.000 serbischen Sicherheitskräften (wie dies durch die Resolution 1244 vorgesehen ist) zu beharren. Das ständige Ignorieren Pristinas, die Bildung eines Verbunds Serbischer Gemeinden durchzuführen, was durch das Brüsseler Abkommen von 2013 vorgesehen ist, beunruhigte zunehmend Belgrad, das entschlossen ist, die Sicherheit und Identität der serbischen Gemeinschaft in der Provinz sowie sein spirituelles und kulturelles Erbe zu wahren.


Die Antwort der KFOR war nicht nur kühl und nichts Neues, sondern auch ernüchternd für die Regierung in Belgrad, die kaum noch Spielraum hat, um seine eigene Bevölkerung zu schützen. In der vergangenen Zeit, seit Albin Kurti an die Macht gekommen ist, kam es fast jeden zweiten Tag zu Vorfällen zum Nachteil der Serben. In ihnen wurden Serben tätlich angegriffen und festgenommen, Häuser serbischer Familien wurden geplündert oder mit Graffiti beschmiert, in Kirchengebäude wurde eingebrochen und daraufhin wurden sie geplündert. Das gut informierte Portal kosovo-online.com berichtete, dass die Behörden von Pristina am 25. Dezember dem Patriarchen der serbisch-orthodoxen Kirche, Porfirije, verboten haben, am Vorabend zu Weihnachten das Patriarchat von Peć, dem geistlichen Sitz dieser Kirche seit 1346, zu besuchen. Einen Tag später haben ihn die Behörden von Pristina am administrativen Grenzübergang Merdare abgewiesen. Am selben Tag wurde der Journalistin des serbischen öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders RTS, Svetlana Vukmirović, die üblicherweise über das Leben der Serben in der Provinz berichtet, die Einreise ins Kosovo verboten.


Kosovo: Zwei jugendliche Serben durch Schüsse aus Auto verletzt





Kosovo: Zwei jugendliche Serben durch Schüsse aus Auto verletzt






Es ist schwierig, alle Beispiele für Missbrauch und Missachtung der Rechte von Serben in diesem Gebiet aufzuzählen. Das hat in der Tat zu hohe Wellen geschlagen, was zu einem Zeitpunkt dazu führte, die Kampfbereitschaft der serbischen Armee auf das höchste Niveau zu heben. Brüssel sendete "beiden Seiten" immer wieder sterile und unnötige Friedensbotschaften und empfahl Ruhe zu bewahren. Die Relativierung von Schuld und deren ständige Zuweisung beider Seiten wird in Belgrad mitunter als äußerst heuchlerisch und beleidigend empfunden. Deswegen ist die Behauptung der KFOR in ihrer Antwort an die serbischen Behörden, dass die Rückkehr der serbischen Sicherheitskräfte ins Kosovo nicht erforderlich sei, sinnlos. Denn sie kümmern sich angeblich um die Sicherheit aller Bürger und führen ihre Arbeit in der angeblich durch die Resolution 1244, auf die sich Serbien bezieht, festgelegten Weise aus.


Die Frage und das Dilemma bleiben – wie kommt es, dass es weiterhin ethnisch motivierte Vorfälle gibt? Wie kommt es, dass immer noch nur Serben Opfer sind? Allein am Vorabend zum orthodoxen Weihnachtsfest und am Tag dieses Feiertags wurden drei serbische junge Männer angegriffen, die von den Feierlichkeiten zurückkehrten. In einem Fall handelte es sich um einen versuchten Mord, der vom Büro für Kosovo und Metochien der serbischen Regierung gemeldet wurde.


Gefährlicher Höhepunkt der Spannungen im Norden Kosovos





Gefährlicher Höhepunkt der Spannungen im Norden Kosovos






So wurden Stefan Stojanović (11) und Miloš Stojanović (21) am vergangenen Freitag in Gotovuša bei Štrpce verletzt, als ein lokaler Albaner, Azema Kurtaj, übrigens Mitglied der sogenannten Sicherheitskräfte von Kosovo (KBS), auf sie geschossen hatte. Im zweiten Fall wurde der Serbe Stefan Tomić (18) aus dem Dorf Klokot, brutal verprügelt, als er und sein Bruder von der mitternächtlichen Weihnachtsliturgie in die Kirche des Hl. Petrus und Paulus in Klokot zurückkehrten. "Jemand wollte uns ein blutiges Weihnachtsfest bereiten", sagte der Leiter des serbischen Büros für Kosovo und Metochien, Petar Petković, nach dem Vorfall resigniert.


Die Verhaftung eines Albaners, der auf zwei junge Serben geschossen hatte, ist für die verbliebenen Serben im Kosovo keine Garantie dafür, dass ihr Leben sicherer und erträglicher sein wird. Proteste der serbischen Bevölkerung sind daher fast an der Tagesordnung. Sie sind eine Warnung an die Behörden in Belgrad, aber auch für Pristina, das nichts unternimmt, um diese Vorfälle zu stoppen. Mit der Unterstützung aus Brüssel wird schon lange nicht mehr gerechnet. Die dortigen Bürokraten haben nämlich außer kurzen Mitteilungen und Aufrufen zur Enthaltung von Gewalt an "beide Seiten" keine Mechanismen, um der Willkür von Kurti und seinem monoethnischen Regime Einhalt zu gebieten.

Mehr zum Thema - Russisches Außenministerium: "Kosovo-Behörden nehmen Kurs auf Eskalation"

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11.01.2023

SWP-Studie: Der Donbas-Konflikt
Widerstreitende Narrative und Interessen,
schwieriger Friedensprozess


SWP-Studie
Stiftung Wissenschaft und Politik
Deutsches Institut für
Internationale Politik und Sicherheit
Sabine Fischer
Der Donbas-Konflikt
Widerstreitende Narrative und Interessen, schwieriger Friedensprozess
SWP-Studie 3
Februar 2019, Berlin


Russland annektierte 2014 in Reaktion auf den Kyiwer »Euromaidan« die
Krim und entfachte einen Krieg im Osten der Ukraine. Dort herrscht seitdem
ein bewaffneter Konflikt, in dem bis heute Menschen sterben. Seit fünf
Jahren versuchen Deutschland und seine westlichen Partner, diesen Konflikt
durch Verhandlungen politisch zu lösen – bislang jedoch ohne Erfolg. Die
Minsker Waffenstillstands-Vereinbarungen von 2014 und 2015 sind nicht
umgesetzt.


Verantwortung dafür tragen die Akteure. Die separatistischen »Volks-
republiken« in Donezk und Luhansk, die fast vollständig von Russland
abhängig sind, haben seit 2014 diktatorische, quasi-staatliche Strukturen
aufgebaut. Russland ist Konfliktpartei, weigert sich aber, dies anzuerkennen.
Die Ukraine hat einige ihrer Verpflichtungen gemäß den Minsker Vereinba-
rungen erfüllt, andere nicht. Hinzu kommen negative Dynamiken auf allen
Ebenen des Konflikts. Kyiw und die »Volksrepubliken« driften immer weiter
auseinander. Die humanitäre Notlage von Millionen Menschen entlang
der Konfliktlinie ist bedrückend und droht in dauerhafte Armut und Unter-
entwicklung überzugehen.


Die EU und ihre Mitgliedstaaten nähern sich dem Konflikt arbeitsteilig.
Brüssel erhält die Sanktionen gegen Russland aufrecht und treibt die
Umsetzung des Assoziierungsabkommens mit der Ukraine voran. Deutsch-
land und Frankreich gestalten die Friedensverhandlungen im sogenannten
Normandie-Format. Alle Konfliktparteien müssen angehalten werden,
Eskalationsrisiken zu vermeiden. Viel stärkeres Augenmerk als bisher muss
der lokalen Ebene und der humanitären Katastrophe dort gelten. Schritte
auf dieser Ebene haben eine begrenzte Reichweite, sind aber unabdingbar
für weitergehende Friedenslösungen.


Info: https://www.swp-berlin.org/publications/products/studien/2019S03_fhs.pdf


unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

10.01.2023

Schweiz: Plädoyer für eine Neutralität der Besonnenen

globalbridge.ch, vom 08. Januar 2023 Autor: Verena Tobler in Allgemein, Geschichte

(Red.) Die Schweiz ist, so steht es in der Verfassung, neutral. Ausgerechnet jetzt bei Ausbruch der Krieges in der Ukraine aber hat die Regierung, der Bundesrat, wie die Regierung in der Schweiz heisst, die Neutralität verletzt und sich – offensichtlich emotional überfordert – auf die Seite der Ukraine positioniert. Damit hat die Schweiz auch die in der Vergangenheit oft gehabte Chance, als Vermittlerin zu funktionieren, total vergeben. Jetzt läuft eine Unterschriftensammlung, um die Schweizer Neutralität wieder einzuführen und zu festigen. Die Schweizer Soziologin Verena Tobler hat dazu ein – zumindest für Schweizer – interessantes, wenn auch nicht ganz einfach zu lesendes Plädoyer verfasst. (Zur Autorin siehe am Schluss des Beitrags.)


In Reaktion auf den Ukraine-Krieg hat der letztjährige Schweizer Bundespräsident Ignazio Cassis, zusammen mit den drei Frauen im Bundesrat, die tradierte schweizerische Neutralität versenkt. Diese war allerdings seit längerem bedroht und zwar aus vielschichtigen Gründen – hier nur einige davon:

• Kritik an der Neutralität gab’s seit dem Zweiten Weltkrieg: Die wirtschaftlichen Verflechtungen mit den Achsenmächten brachten den Verdacht auf, die Schweiz sei eine Kriegsgewinnlerin.

• Seit 1945 hat die Schweiz sich stark verändert: Das grenzenlose Weltwirtschaften hat unserem Land neue Abhängigkeiten und ein Übermass an Komplexität gebracht. Ein Tohuwabohu, das nicht nur die Parteien und die Stimmbürgerschaft, sondern manchmal auch den Staat oft überfordert.

• Die Bevölkerung hat sich durch die Einwanderung nahezu verdoppelt: Multikulturalisiert und globalisiert nimmt der Anteil an Neuschweizerinnen und Neuschweizern in der Stimmbürgerschaft rasch zu. Viele sind heute – direkt oder indirekt – mit dem Ausland verbunden und haben inzwischen zwei oder sogar noch mehr Pässe.

• Die Parteien sind zersplittert. Alt- und Neulinke verstehen sich nicht: Erstere sind systemkritisch, letztere, je nachdem, an individuenzentrierter Sensibilität oder Empfindlichkeit orientiert. Grüne und Grünliberale stehen in Konkurrenz, wollen aber genauso weiterwachsen wie die SVP, die Alt- und Neoliberalen – erstere nationalterritorial verortet, letztere an der Hyperglobalisierung interessiert.

• Zu unguter Letzt: Früher waren politische Ämter an Strukturen und damit verantwortungsethisch an- und eingebunden, heute werden sie oft als persönliche Rolle interpretiert ….und dann entsprechend gesinnungsethisch eingefärbt oder publikumswirksam zelebriert.


I Was tun in solch vertrackter Situation? – ein paar Vorüberlegungen


11. Zuerst, was wir ganz und gar nicht brauchen können, ist „Groupthink“ (1) 

Gruppendenken hat sich bereits in der Corona-Krise angekündigt: Es kommt auf, wenn Menschen Angst haben oder verunsichert sind. Dann nehmen Schwarz-Weiss-Malerei und Lagerdenken überhand, die Eigengruppe wird idealisiert, Andersdenkende und Fremde werden dämonisiert; es gilt nur noch das Entweder-Oder – das sind Erlebens- und Verhaltensmuster, die mit Realitätsverzerrungen verbunden sind und die zu gravierenden Fehlentscheidungen führen.


12. Was wir stattdessen dringend brauchen ist ein Grundkonsens 

Ein Grundkonsens über die zentralen staatspolitischen Institutionen – und dazu gehören in der Schweiz beide: Die Neutralität und die Direkte Demokratie.

• Die Direkte Demokratie gibt den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern die Möglichkeit, über wichtige Gesetze und Sachgeschäfte direkt und eigenständig zu entscheiden. Beides setzt Sachkenntnisse und Sachverstand voraus, aber auch ein besonderes Verhältnis der Bürger und Bürgerinnen zu ihrem Staat und zu ihren Mitbürgern.

Denn lebendig bleibt die Direkte Demokratie nur auf der Basis von „Politischer Fairness“. 

Diese schliesst ein:          
• die Pflicht zu einer sachbezogenen Auseinandersetzung,
• den Mut, parteienübergreifend und kontrovers miteinander zu debattieren,           
 • den Respekt, der allen zukommt – auch dem politischen Gegner.

Das ist der Boden, auf dem die Direkte Demokratie auch künftig funktionieren und unser Land in einer Welt voller Widersprüche und Ambivalenzen langfristig bestehen kann.

In diesem Sinn will ich im Folgenden über die schweizerische Neutralität nachdenken. Nicht ihre staatspolitischen Regeln und Implikationen werde ich fokussieren, sondern jenen Aspekt der Neutralität ins Zentrum stellen, der unserem Land Besonnenheit bringt.


II Zur Neutralitäts-Initiative 

„Neutralität“ – eine unparteiische Haltung in internationalen Konflikten – beinhaltet das Verhältnis der Schweiz zu sich selbst und zur übrigen Welt: Nicht nur zu Europa und zum Westen, sondern zu jener weit grösseren „Restwelt“, deren Bedeutung und numerisches Gewicht rasch zunimmt. 

Weil derzeit die tradierte Neutralität der Schweiz von innen und von aussen bedroht ist, hat Altbundesrat Blocher eine Initiative angestossen. Konzipiert aber wurde die Neutralitäts-Initiative von einer  parteien-übergrei-fenden Gruppe und zwar so, dass Herr Blocher w e i t – sogar sehr weit! – über seinen eigenen Schatten springen musste. Zu diesem Wagnis sei ihm herzlich gratuliert.

Nur ganz kurz zu dem, was von der tradierten Neutralität erwahrt werden soll. Wie bisher hat die Schweiz eine bewaffnete Neutralität mit einer Armee zur Selbstverteidigung. Sie beteiligt sich weder an Kriegen noch an nicht-militärischen Zwangsmassnahmen und sie tritt auch keinen Militärbündnissen bei. Aber ganz und gar UNO-konform trägt sie jene Sanktionen mit, welche die UNO verhängt.


21. Doch jetzt zum Neuen an der Initiative 

Sie beinhaltet eine zukunftsweisende Chance für unser Land. Da heisst es nämlich:       

„Die Schweiz nutzt ihre Neutralität,                                                                                            
für die Verhinderung und Lösung von Konflikten                                                                
und steht als Vermittlerin zur Verfügung.“

Dieser Passus ist ein Segen! – so wichtig, dass er Verfassungsrang braucht. Und zwar aus zwei Gründen: 

Zum einen kann auf dieser Basis das IKRK weiterhin seine Arbeit machen:                                                     
 • auf beiden Seiten eines Kriegsgeschehens die Opfer unterstützen, 
• das Los der Flüchtlinge erleichtern 
• Menschen in aller Welt vor staatlicher Willkür schützen.

Zum andern aber geht dieser Passus weit darüber hinaus: Die offizielle Schweiz wird dazu verpflichtet, sich aktiv für den Frieden zu engagieren. Denn die integrale Neutralität, die dem IKRK seine Arbeit ermöglicht, vermag das nicht. Deshalb soll unser Land künftig konfliktlösende und friedenstiftende Institutionen schaffen und anbieten, während seine „Staatsträger“ und „Staatsträgerinnen“ an ein Amt gebunden sind, das sie verfassungsgemäss und auf verantwortungsethischer Basis zu erfüllen haben. Damit wird – hoffentlich! – auch in der Schweizer Bevölkerung wieder jene Besonnenheit ermöglicht, die für das gelingende Zusammenleben unverzichtbar ist.

Gestützt auf diesem neuen Neutralitätsverständnis wird die Schweiz zu einem weltoffenen Land: 
Zu einem Staat, in dem der Bundesrat, die Behörden und die Bürger und Bürgerinnen künftig lernen können, was nicht nur sie, sondern auch was andere brauchen, damit auf unserem Planeten ein gemeinsames und friedliches Überleben möglich wird. Denn dazu reicht die individualistische Optik, wie sie die liberale Ideologie vorgibt, nicht aus. Stattdessen sind – realitätsadäquat – sowohl die vorhandenen Ressourcen und der energetisch-technologische und juristische Machtapparat mitzudenken als auch die sozial konstruierte Wirklichkeit: die Institutionen und die verbindlichen Rollen, auf denen alle Gesellschaften seit je und je und überall basieren. Auch wenn die konkrete Ausformung dieser gesellschaftlichen Parameter zeit- und kontextspezifisch unterschiedlich und in der ungleichen Weltwirtschaft sogar konfliktiv sind – in ihnen steckt der Schlüssel zum Überleben.


22. Diesen neuen Spross habe ich „die Neutralität der Besonnenen“ getauft.

Besonnenheit braucht unser kleines Land, brauchen der Bundesrat, die Bundesbehörden und die Stimmbürger und Stimmbürgerinnen, wenn in der Schweiz sowohl die Direkte Demokratie als auch der interne Frieden erhalten bleiben sollen. Besonnenheit braucht aber auch die grosse Welt – und zwar in Ost und West sowie in Süd und Nord, soll die Menschheit künftig auf sozial und ökologisch nachhaltiger Basis überleben.

• Was aber meint Besonnenheit? 

Laut Wikipedia, jene überlegte Gelassenheit, die sich in schwierigen Situationen ausreichend Verstand erwahren kann, so dass es zu keinen vorschnellen und unüberlegten Entscheidungen und Taten kommt. Während Besonnenheit auf den rationalen Aspekt verweist, fokussiert Gelassenheit den emotionalen: eine innere Ruhe – trotz Tohuwabohu und Ambivalenzen!

In meiner eigenen Diktion setzt Besonnenheit „Ambiguitätstoleranz“ voraus: die Bereitschaft, Licht und Schatten zusammenzudenken. Das gilt für den eigenen Lebensstil, aber auch für die Moral (2). Denn Moral ist zwar nötig, aber leider auch schrötig. Und schrötig bleibt sie, so lange sie ihren eigenen Schatten ausblendet.

Gleichzeitig ist mit dem neuen Neutralitäts-Passus die Gefahr gebannt, dass die Schweiz – vor lauter Besonnenheit – gar nicht handelt. Im Gegenteil: Die Schweiz handelt! Aber nicht kriegerisch, sondern am Ausgleich orientiert und auf Dienste verpflichtet, die Konflikte verhindern und lösen helfen.

Im Folgenden will ich die Behauptung, dass beide, die grosse Welt und die kleine Schweiz, auf Besonnenheit angewiesen sind, mit einem Blick nach aussen und mit einem nach innen, in die Schweiz, unterlegen.


III  Zuerst der Blick hinaus über die Zäune unseres Nationalstaats


31. Weshalb ist die grosse Welt – mehr denn je – auf Besonnenheit angewiesen?

„Earth4all“ (3), die Folgeschrift auf „Die Grenzen des Wachstums“, die Meadows vor 50 Jahren verfasst hat, listet fünf (4). Probleme auf, für deren Lösung es eine ausserordentliche Kehrtwende braucht. Ich greife hier nur die zwei dringlichsten auf: Zum einen die klimatische und ökologische Bedrohung in Form der Klimaerwärmung und sinkenden Biodiversität; zum andern die soziale Bedrohung: die gewaltigen Ungleichgewichte zwischen arm und reich. Die beiden Probleme sind dramatisch miteinander verknüpft und Earth4all prognostiziert:

„Wenn wir unseren derzeitigen ökonomischen und politischen Kurs beibehalten, steuern wir auf eine weiter wachsende Ungleichheit zu.“ Das löst soziale Spannungen aus, gesellschaftliche Zusammenbrüche, Kriege 

„Diese Faktoren tragen (…) zu inadäquaten Antworten auf den klimatischen und ökologischen Notstand bei“ (5).

Kurz: Wir stecken in einem Teufelskreis, den wir uns nicht länger leisten können! 

Ein Teufelskreis, den ich seit langem (6) – oft verzweifelt, bislang aber vergeblich – anmahne. Vielleicht greife ich ja nach einem Strohhalm? Doch nur keine unnötige Sorge! Auch mir ist klar, dass die kleine Schweiz die Welt nicht retten kann. 

Was unser Land aber kann: Zum gelingenden Gang der Dinge beitragen. 

Fakt ist: Kriege innerhalb und zwischen Staaten verunmöglichen, dass an der ökologischen und der sozialen Nachhaltigkeit gearbeitet werden kann. Kriege bewirken, zumindest kurz- und mittelfristig, das pure Gegenteil davon. Der Ukrainekrieg ist nur eines von vielen Beispielen dafür. Konflikte zu verhindern und zu lösen wird deshalb dringender denn je. Und präzis das schreibt die Neutralitätsinitiative der Schweiz in ihre Verfassung.

Kurz: Die Welt ist auf mehr Besonnenheit angewiesen und die Schweiz kann dazu beitragen!


32. Weshalb aber gebietet Besonnenheit der Schweiz, nicht der NATO beizutreten?

Eine weltoffene Schweiz schlägt sich nicht auf die Seite der westlichen Grossmächte. Wer ausreichend nüchtern ist, um genau hinzusehen, der weiss, dass die USA und andere NATO-Staaten seit Dekaden Kriege führen. Allein die USA haben seit 1991 251mal militärisch (7) interveniert und zwar oft völkerrechtswidrig und stets mit gravierenden Schäden für die dortigen Menschen und deren Umwelt. Und horribile dictu: Es sind Kriege, die zunehmend im Namen der Menschenrechte bzw. der westlichen Werte und der Moral geführt werden.

Bei näherem Hinsehen zeigt sich aber, dass es sich nicht um Moral handelt, sondern um system- und strukturblindes Moralisieren. Denn soll unser Urteil über eine Moral – präziser: über eine spezifische gesellschaftliche Moralität – ethischen Kriterien genügen, so haben wir den Zugriff auf die Ressourcen in Rechnung zu stellen, mit dem die beurteilte Gesellschaft ihren Mitgliedern das Überleben sichern kann. Und dieser Zugriff fällt systematisch aus dem westlichen Wahrnehmungsraster hinaus – aus dem liberalen und dem neoliberalen.

Wenn die USA für ihren Lebens- und Rechtsstandard aber derzeit sechs Planeten, die Schweiz immerhin noch drei vernutzen, dann stellen sich viele Fragen: Wozu misst der Westen die restliche Welt an seinem eigenen Lebensstandard, obwohl der mit massivem Überkonsum verbunden ist? Und warum massen sich ausgerechnet jene, die viel zu viel beanspruchen und die viel zu viel verbrauchen, an, den andern zu sagen, was rechtens ist und wo’s künftig lang gehen soll? Wird damit nicht zweierlei ausgeblendet: Erstens die Verbindung, die zwischen wirtschaftlichen Strukturen einerseits, rechtlichen und sozialen Leistungen andererseits besteht? Zweitens, dass der Westen seinen Lebensstandard und Überkonsum nur halten kann, so lange er über mehr Kapital, den besseren energetisch-technologischen Machtapparat, das überlegene juristische Instrumentarium verfügt? Wagen wir einen Blick ins Auge des Zyklons. Denn so ausgerüstet kommen wir derzeit in der Schweiz alle – reich und arm, wenn auch zu ungleichen Teilen – in den Genuss eines grenzenlosen Zugriffs auf die globalen Ressourcen. Ein Zugriff, den sich vermutlich die Mehrheit der Menschen wünscht, ein Zugriff, der aber zwangsläufig anderswo und oft weit entfernt mit unökologischer Bewirtschaftung und schwindenden Ressourcen zusammengeht. 

Besonnene Alt- und Neuschweizer und -schweizerinnen wissen: Das system- und strukturblinde Moralisieren, das derzeit im Schwange ist, verdeckt die geostrategisch entscheidenden Interessen. Das, wozu der Kapitalismus laufend gezwungen ist
 • neue Märkte zu erobern  
• neue Investitionsmöglichkeiten zu ergattern oder zu erstreiten
• den Zugang zu Rohstoffen, seltenen Erden zu erschliessen oder zu kontrollieren.

Eine Dynamik, die, wie die Ungleichgewichte, direkt mit der grenzenlosen Wachstumswirtschaft verbunden ist.

Zugegeben – die Sache ist ambivalent: Der Westen hat mit seinem Wirtschaftssystem die Industrialisierung, die Wissenschaft, die weltweite Mobilität, das weltweite Netz ermöglicht und vielen Menschen ein besseres und längeres Leben gebracht. Ein Wirtschaftsmodell, das inzwischen von den meisten nicht-westlichen Staaten übernommen wurde: Sie hatten die Wahl – entweder erfolgreich mitzumachen oder aber unterzugehen.

Doch der Westen hat bereits vor 500 Jahren damit begonnen, sich die Restwelt zu seinem Vorteil zuzurichten und zu unterwerfen: Eroberung, Kolonialisierung, Sklaverei, Ausbeutung, Fremdherrschaft kamen zum Zug. Der Westen hat bereits zwei Weltkriege angezettelt und er scheint nicht zu zögern, einen Dritten zu entfachen. Und der Westen ist, obwohl hauptverantwortlich für die Klimaerwärmung, die sinkende Biodiversität, die rasch wachsende Polarisierung zwischen Armen und Reichen, wild entschlossen, sich „seine“ unipolare Welt zu erhalten und weiterzufahren mit seinem Titanic-Kurs. Liz Truss – die einstige britische Aussen- und Premierministerin – hat das im April 2022 bislang am klarsten formuliert: 

„Wir brauchen eine Wirtschafts-NATO die unseren Lebensstandard verteidigt.“

Kurz: das westliche Grossmachtstreben verschärft die Probleme, statt sie zu lösen!        

So kann es nicht weitergehen: Es reicht!

Auf der Basis der Neutralitäts-Initiative mit ihrem Besonnenheitspassus haben die offiziellen Vertreter und Vertreterinnen der Schweiz mit Blick auf die grosse Welt künftig einen verfassungsmässigen Auftrag zu erfüllen:
• Sie haben dafür zu sorgen, dass Konflikte verstanden, verhindert, vermitteln werden können.
• Sie haben über- oder allparteilich zu intervenieren – eine grosse und wunderbare Herausforderung!

Die Schweiz und ihre offiziellen Vertreter und Vertreterinnen nehmen künftig Partei für den Frieden und für den Ausgleich.


IV  Zwei Blicke ins Innere der Schweiz

Zuerst sei klargestellt: Als Privatpersonen können Schweizer und Schweizerinnen selbstverständlich auch künftig Partei nehmen und sich der Probleme in aller Welt parteilich annehmen. Als eine, die lebenslang mit Migrierenden und Flüchtenden in und aus aller Welt und an den damit verbundenen Schwierigkeiten gearbeitet hat, bin ich aber überzeugt, dass in der Schweiz zwei Probleme anstehen. Zwei Schwierigkeiten, für die es ebenfalls Besonnenheit braucht, wenn sie denn konstruktiv gelöst werden sollen.


41.  Besonne Neutralität ist nötig, damit unser Land nicht in im Tohuwabohu endet

Die Bevölkerung der Schweiz hat sich in den letzten sieben Dekaden beinahe verdoppelt und zwar aufgrund einer Immigration, die zuerst aus den südlichen Staaten Europas stammte, heute zunehmend aus aller Welt kommt. Inzwischen ist vermutlich ein grosser Teil der Schweizer Bevölkerung über die Einwanderung, die Eltern oder eine Heirat mit dem Ausland verbunden. Kurz: die Schweiz ist multiethnisch oder multikulturell, aber auch extrem heterogen zusammengesetzt und inzwischen – ebenso stark – soziokulturell polarisiert. Darüber mag man nun jubilieren oder jammern! Aber gelingt es nicht, mit diesen Faktoren besonnen umzugehen, riskiert unser Land sich politisch aufzureiben – weiter zu zersplittern – auseinanderzufallen – unterzugehen!

Wichtig für eine konfliktlösungsorientierte Aussen- und Innenpolitik ist es zu wissen, dass die meisten Neulinge in unserem Land im internationalen System aufgestiegen sind und in die Schweiz gekommen sind, weil es ihnen hier besser geht. Sogar Deutsche wandern ein, weil sie hier mehr verdienen. Sofern die Immigrierten aber aus dem armen Teil der Welt stammen, gehörten sie oder ihre Eltern meistens der dortigen Mittel- oder Oberschicht an. Das gilt sogar für Kriegs- und Armutsflüchtlinge, denn die Ärmsten können selten weg! 

Und sofern sie inzwischen eingeschweizert wurden – und das sind viele, haben sie oft ihren Pass behalten oder besitzen sogar mehrere Pässe. Ein Kurde hat mir geraten, sie als „Neuschweizer“ zu bezeichnen. Viele davon, wenn auch nicht alle, nehmen selbstverständlich weiterhin und oft sehr aktiv am Geschick ihrer einstigen Heimat teil. Das ist gut so und darf auch so bleiben. 

Ihr politisches Engagement in Ehren: Das soll und darf Sache der immigrierten Personen bleiben.

Aus zwei gewichtigen Gründen darf es aber nicht zur Sache der offiziellen Schweiz werden: 

• Erstens hegen manche Immigrationsgruppen Umsturzpläne mit Blick auf ihr Heimatland und haben auch unter sich entsprechend heftige politische Differenzen – das ist kein Vorwurf: beides darf sein! Ihr politisches Engagement also in Ehren: Die offizielle Schweiz soll sich n i c h t darin verwickeln lassen. Sonst haben wir nicht nur den Parteiensalat, sondern nimmt das Tohuwabohu in unserem Land massiv zu. Bereits rufen iranische Neuschweizer und -schweizerinnen dazu auf, die Schweiz solle den Iran sanktionieren. Möchte-gern-Bundesrat Jositsch nahm dieses Begehren – bezeichnender Weise just noch vor den Bundesratswahlen – sofort auf. Dass er damit gegen wichtige Grundsätze im Völkerrecht (8) verstösst, ist dem Sozialdemokraten wohl genauso entgangen, wie dass Immigrierte aus der Türkei, aus Kurdistan, Eritrea oder Sri Lanka diese Einmischungspraxis ebenfalls einfordern könnten. Im Tagblatt habe ich vor Jahren gelesen, die Stadt Zürich beherberge Menschen aus 157 Nationen. Direkt damit verbunden die Gretchenfrage: Soll die Schweiz sich nun künftig in die inneren Angelegenheiten der Länder in aller Welt einmischen? Eine Hybris, welche die Neutralitätsinitiative untersagt: Die Schweiz trägt Sanktionen mit, aber nur wenn diese von der UNO formell beschlossen wurden.

• Zweitens ist es nicht nur unklug, sondern kontraproduktiv, wenn sich wirtschaftsmächtigere Staaten in die Innenpolitik von ärmeren Staaten einmischen. Diese Einmischungen sind weder demokratisch noch zielführend, weil unsachgemäss. Sicher: In vielen armen Ländern sind, genauso wie bei uns in der Schweiz, künftig Systemveränderungen nötig. Aber die Bevölkerung der betreffenden Staaten hat sich für Veränderungen zu entscheiden, die eigenständig aufgegleist werden und über die demokratisch entschieden wird. Derzeit ein Kampf, bei dem die dortigen Ober- und Mittelschichten oft in der Minderheit sind. Das gilt nicht nur für den Iran, aus dem sich die Oberschichten und viele Gebildete in den Westen abgesetzt haben – in die USA, nach Österreich, in die Schweiz. Es gilt prinzipiell, nämlich überall in den Staaten und für die Bevölkerungen, die in der ungleichen Weltwirtschaft am unteren Ende platziert sind oder an den Rand geraten sind. 

Was die Einmischung von aussen und oben bringt, sei am Beispiel von Ägypten erläutert: Denn was der liberale Westen 2011 als arabischen Frühling bezeichnet und aktiv unterstützt hatte, war zum Scheitern verurteilt. Von jugendlichen Netz-Aktivisten und -Aktivistinnen lanciert, von den städtischen Mittelschichten beflügelt und von George Soros’ „Open Society Foundations“ (9) unterstützt, wurde Mubarak zwar gestürzt – zweifellos ein Despot! Er hatte das Militär zu einem wirtschaftlichen Machtfaktor ausgebaut, so dass andere Wirtschaftsagenten kaum Geschäfte führen oder gründen konnten. Auch demokratische Verfahren waren unmöglich. Vorauszusehen aber war, was bei demokratischen Wahlen passiere würde. Denn für die Bevölkerungsmehrheit, vorab für die vielen Armen in den Städten und auf dem Land, gab es keine staatlich organisierte Umverteilungs- und Solidarinstitutionen. Der überfamiliale Ausgleich wurde seit Dekaden von den Moscheen und den Muslimbrüdern auf der Basis von religiösen Regeln organisiert – etwas, das der Westen und Kairos liberal orientierten Wohlstandskinder übersehen hatten, ja verabscheuten und bekämpften: System- und strukturblind dafür, dass in einem Staat, in dem die formelle Erwerbsarbeit einer Minderheit vorbehalten ist, modernistische bzw. individualistische Werte aus strukturellen Gründen nicht oder nur selten demokratisch durchgesetzt werden können. Besonders peinlich für den Westen: Als General Abdel Fattah al-Sisi den demokratisch gewählten Präsident Mursi stürzte, herrschte weitherum Erleichterung. Und als der Präsident, der sich an die Macht geputscht hatte, dann Hunderte Islamisten ermorden liess, den demokratisch gewählten Mursi samt seinen Regierungsmitgliedern ins Gefängnis steckte und ohne ausreichend rechtliche Grundlagen zahlreiche Todesurteile vollstrecken liess, schauten alle weg! Alle, die sich angeblich für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte engagieren. Und die Schweiz? Sie macht bei dieser Drückebergerpolitik regelmässig mit – zu gewichtig ihre wirtschaftlichen Interessen; zu blind für die Schatten der liberalen Weltwirtschaft.

Wer nota bene ausreichend systembewusst ist, der weiss auch, dass die westlichen Hilfsprogramme in Afghanistan oder Haiti die dortigen Armutsprobleme in keiner Weise lösen, weil sie nicht sachgerecht sind. Im Gegenteil: Sie führen zu potemkinschen Staaten, fördern die vertikale Integration (10) und führen langfristig in die wirtschaftliche, soziale und politische Katastrophe. Wie erwähnt: Die liberale Optik fokussiert die Individuen und blendet aus, dass individuelle Freiheiten und Rechte wirtschaftliche Kapazitäten voraussetzen, die in armen Staaten fehlen. Die Welt lässt sich nicht von aussen und von oben integrieren! Es sei denn auf der Basis von extremen Ungleichgewichten und, direkt damit verbunden, einem ungeheuerlichen Totalitarismus.


2. Besonnene Neutralität verzichtet darauf, system- und strukturblind zu moralisieren!

Derzeit mehren sich die Stimmen, die sich unbedarft aus dem wirtschaftlichen und juristischen Hochoben der westlichen Wohlfahrtsstaaten in die internen Belange und Auseinandersetzungen in aller Welt einmischen. Auch die offizielle Schweiz läuft Gefahr, gegenüber Staaten in Afrika und Asien diesen arroganten Kurs einzuschlagen und system- und strukturblind auf die arme oder auf traditionale Restwelt hinunter zu moralisieren. 

Besonnene Alt- und Neuschweizer und -schweizerinnen warnen davor, das Hohelied von Menschenrechten und westlichen Werten zu singen, o h n e  die wirtschaftlichen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für den westlichen Rechtsstandard zu bedenken. Wir sind mit Widersprüchen und Ambivalenzen konfrontiert: Ambiguitätstoleranz ist erforderlich. 

Was nun folgt, ist k e i n Plädoyer gegen die Menschenrechte! Ich plädiere dafür, genauer hinzusehen.

Denn bereits 1948, als der Menschenrechtskatalog erarbeitet wurde, wiesen die Vertretungen der sechs sozialistischen Staaten darauf hin, dass einige der Menschenrechte an wirtschaftliche Voraussetzungen gebunden sind. Sie forderten deshalb ein Menschenrecht auf wirtschaftliche Teilhabe – ein Recht, das vom damals machtmässig weit überlegenen Westen abgeblockt wurde. Deshalb haben sich die sozialistischen Staaten in der Schlussabstimmung dann der Stimme enthalten.

Wie unsachgemäss und arrogant das system- und strukturblinde Moralisieren aus dem weltwirtschaftlichen Hochoben ist, sei zum Schluss an der Geschlechtergleichstellung und an der One-Love-Kampagne illustriert.


 • Zuerst zur Gleichstellung von Mann und Frau

Nota bene ein wichtiges Ziel, um soziale und ökologische Nachhaltigkeit zu erreichen. Was der Westen aber beharrlich ignoriert, sind die Voraussetzungen finanzieller, energetisch-technologischer, medizinischer und institutioneller Art, die es für diese Gleichstellung braucht. Im Bild oben knapp und gewitzt zusammengefasst. 



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Konkret: Was hat mich denn als Frau befreit? Fliessendes Wasser und Elektrizität, die Waschmaschine, der Staubsauger, der Geschirrspülautomat etc., Binden, Tampons und die Pille sowie eine gute Bildung und Ausbildung. Dazu kommt eine ausreichende Zahl von Erwerbsarbeitsplätzen, für die keine Spitzenmuskelkraft erforderlich ist. Dann die Kindergärten und Schulen, all die Krippen und Horte, in denen unsere Kinder versorgt werden.  Ebenso teuer: Der aufwändige Rechtsapparat, der inzwischen in der Schweiz sowohl im öffentlichen Raum als auch in der Familie, sogar manchmal bis ins Ehebett für Ordnung sorgt – alles Errungenschaften, die im armen Teil der Welt für den Grossteil der Frauen aus wirtschaftlichen Gründen nicht zu haben sind.


• Als zweites Beispiel die One-Love-Kampagne          

Sie hat in Qatar einen neuen Höhepunkt erreicht: eine Kampagne, die von einer Bewegung getragen wird, die sich seit drei Dekaden lauthals – wie an der Züricher Street-Parade – und publikumswirksam – wie die deutsche Innenministerin Nancy Faeser – in Szene setzt und das dank der neuen Medien immer effektiver kann. Als die Fussballer aufgefordert wurden, eine One-Love-Armbinde zu tragen, hat die Fifa diese öffentliche Inszenierung westlicher Werte gestoppt und damit “on the spot” für eine Quasi-Ordnung gesorgt.

Weit wichtiger: Die ganze Kampagne ist, obwohl ich persönlich die Anliegen der LGBTQ-Community durchaus verstehe und ernst nehme, erschreckend system- und strukturblind!  Wir haben es erneut mit Moralisieren zu tun, statt mit einer Moral, die ihre Voraussetzungen beachtet und sich auf ihre Rahmenbedingungen besinnt. 

Die LGBTQueers fragen nämlich nie, was das alles kostet:  
 • künstliche Befruchtung & Besamung
• Leihmutterschaft
• Geschlechtsumwandlung etc.

Auch nicht wie und von wem ihre Any-thing-goes-Wünsche finanziert werden sollen. (11) Stattdessen wird unethisch, weil weder auf dem Kontext noch auf die verfügbaren Ressourcen bezogen, ignoriert, dass im Jahr 2021 4.1 Milliarden Menschen ohne monetär abgesicherte Solidarnetze überleben mussten. (12) 

Konkret heisst das: Bis heute sind für die Hälfte der Menschen die eigenen Kinder die einzige Altersversicherung! Er sei denn, die Kirchen, die Moscheen, die Tempel helfen. Konkret: Im armen Teil der Welt sind die Menschen, wenn sie alt und schwach werden, auf die Unterstützung ihrer physiologischen Kinder angewiesen. Deshalb ist in armen Staaten aus höchst rationalen Gründen die Homosexualität oft verpönt oder wird u. U. sogar bestraft. Nota bene sind die nicht-monetär abgesicherten Solidarinstitutionen auch ein gewichtiger Grund dafür, dass im armen Teil der Welt vielerorts an verbindlichen Verwandtschafts-, Generationen-, Geschlechtsrollen festgehalten wird.

Richtig: Es sind Ordnungsvorstellungen, die den Menschenrechten widersprechen bzw. mit den Erwartungen der LGBTQ-Community und von vielen Feministinnen unvereinbar sind! Doch wenn wir genauer hinsehen, sind die Gründe dafür wirtschaftlicher Art: Sie haben zu tun mit den weltweiten Ungleichgewichten und der damit verbundenen mangelnden energetisch-technologischen Ausrüstung, mit der geringen Zahl an formellen Erwerbsarbeitsplätzen und entsprechend mit den fehlenden überfamilialen Solidarinstitutionen.

Besonnene Neuschweizer und -schweizerinnen aus armen Ländern messen die Zustände in ihrer alten Heimat deshalb nicht am Schweizer Lebensstandard. Auch nicht am hiesigen De-Luxe-Rechtskonsum. Sie kennen die Ursachen der Armut in ihrem  Herkunftsland und sind mit den Gründen für deren „menschenrechtliche Besonderheiten“ vertraut. Und genauso wie die Besonnenen unter den Altschweizer und -schweizerinnen wissen sie, dass jedes Recht an wirtschaftliche Voraussetzungen gebunden ist, wenn es denn verlässlich und konstruktiv zum Tragen kommen soll. Und beide, besonnene Alt- und Neuschweizer und -schweizerinnen, sind sich bewusst, dass die anstössigen und problematischen Ungleichgewichte sich im Rahmen des westlichen Weltwirtschaftens herausgebildet haben: Wer einst über mehr Kapital und den effizienteren energetisch-technologischen Machtapparat verfügte, der konnte früher die Welt kolonisieren. Und er kann sie bis heute beherrschen. Nur passiert das seit der Entkolonialisierung über den Freihandel und seit den 70er Jahren noch effektiver im Rahmen der vier neoliberalen Freiheiten. Das sind die Grundlagen nicht nur für das Blocher’sche Wirtschaftsimperium, sondern für alle Schweizer Konzerne, die im Ausland erfolgreich sind und selbstverständlich auch für unseren Wohlfahrtsstaat. Es hat also nicht nur mit firmenspezifischen, sondern auch mit nationalen Interessen zu tun: mit dem energetisch-technologischen, finanziellen und juristischen Machtapparat, der unserem Land für den Zugriff auf die Ressourcen zur Verfügung steht. Und wer noch genauer hinsieht, wird irritiert oder sogar erschreckt feststellen, dass – damals wie heute – das mit dem Machtapparat assozierte Machtgefälle und die damit verbundenen Zumutungen in Namen einer angeblich höherer Kultur, einer besseren Moral bzw. von zivilisatorischen westlichen Werte legitimiert werden.


V  Fazit und Ausblick 

Karl Marx hat einmal gesagt: Die Geschichte wiederholt sich immer zweimal: Das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce. Kolonialisierung, Sklavenhalterei, Ausbeutung – die einstige Tragödie. Und die heutige Farce? Das system- und strukturblinde Moralisieren, wie es derzeit von Woke-Linken und zahlreichen westlichen Staatschefs und Amtsträgern betrieben wird. Ein Wertegeschwurbel, das die realen Interessen verdeckt. Wer aber effektiv sensibel ist, der wird feststellen, dass dieses Gerede sowohl die Gemeinschaften und Gesellschaften als auch die Mehrheit der Frauen und Männer an den weltwirtschaftlichen Rändern abwertet und immer tiefer in Not und Bedrängnis bringt. Wer noch genauer hinsieht, wird auch erkennen, dass sogar jene Menschen in den USA, die von Hillary Clinton als die „Deplorables“ bezeichnet wurden, ebenfalls mit im Boot dieser Aussätzigen sitzen.

Veränderungen sind dringend nötig! Bei uns in der Schweiz und selbstverständlich auch in der armen Welt. 

Was es für diese Veränderungen aber sicher nicht braucht, sind Kriege. Auch kein system- und strukturblindes Moralisieren – erst recht nicht im Namen der Menschenrechte!

Was es hingegen für die nötigen Veränderungen und für universelle Menschenrechte dringend braucht, sind neue Weltwirtschaftsregeln: Regeln, die einen Ausgleich zwischen arm und reich ermöglichen und die es uns ermöglichen, dass weltweit an der sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit gearbeitet werden kann.

Dafür legen besonnene Alt- und Neuschweizer und -schweizerinnen ihre Hand ins Feuer.

Deshalb gilt: Lassen wir in der demokratischen Schweiz das Lagerdenken und die Schwarz-Weiss-Malerei hinter uns. Stehen wir ein für die Neutralitätsinitiative. Sie öffnet der Schweiz das Tor zu jener informierten und weltoffenen Besonnenheit, von der letztlich, da bin ich mir schier sicher, nicht nur besonnene Alt- und Neuschweizer und -schweizerinnen, sondern auch system- und strukturblinde Alt- und Neuschweizer und -schweizerinnen träumen.

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Meinungen in Beiträgen auf Globalbridge.ch entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.


Zur Autorin: Verena Tobler ist Ethnologin, Soziologin sowie ausgebildete Beraterin und Mediatorin. Sie hat praktische Arbeit in Bangladesh, Pakistan, Liberia, im Sudan und in Kamerun geleistet und war an einer Feldforschung in Mozambik beteiligt. Sie war freiberuflich stets mit interkultureller Vermittlungs- und Integrationsarbeit beschäftigt, an Schulen, in Gemeindeämtern, in psychiatrischen Anstalten und auch in Gefängnissen.


Fussnoten:

(1) https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/gruppendenken In der Entscheidungsforschung von Janis (1971) eingeführt, um damit das Zustandekommen unangemessener und fehlerhafter Entscheidungen in Gruppen zu erklären.

(2) Ich spreche hier – vereinfachend – von Moral, weil sie unter dieser Bezeichnung in den Köpfen und Herzen der einzelnen Individuen und Subgruppen spukt. Aber in komplexen Gesellschaften müsste begrifflich differenziert werden: Erstens wären die persönliche oder individuelle Moral und die gesellschaftliche Moralität auseinanderzuhalten, also das, was in einer spezifischen Gesellschaft mehrheitlich als die richtige Moral gilt, zweitens, wären die Moralität und die jeweils verfestigten Rechtsformen zu unterscheiden. Diese legen Normen fest, deren Brüche formell sanktioniert werden. Das wiederum – je nach Urteilsspruch – mehr oder weniger verbindlich.

(3) Sandrine Dixson-Declève, Owen Gaffney, Jayati Ghosh, Jørgen Randers, Johan Rockström, Per Espen Stocknes: Earth for All: Asurvival guide for humanity. 2022.

(4) Die anderen drei Kehrtwenden sind laut Earth for All: Ermächtigung der Frauen; ein für die Menschen und Ökosysteme gesundes Nahrungsmittelsystem; der Einsatz von sauberer Energie.

(5) Ibd: 2022: 14

(6) Wege gegen die Ausländerfeindlichkeit, Wirtschaftswissenschaftliches Institut der Universität Basel1992. http://kernkultur.ch/resources/Lieblingsreferate/Wege_Auslaenderfeindlichkeit.pdf Nachdenken über die zunehmende Einwegmigration: Zur Quadratur des Kreises (In: VHS-Bulletin N. 4, November 2015: 42 – 52 oder: http://www.kernkultur.ch/resources/Artikel/Zur_Quadratur_des_Kreises.pdf

(7) Congressional Research Service: Instances of Use of United States Armed Forces Abroad, 1798 – 2022. Updated March 8, 2022.

(8) Generalversammlung der UNO 24.10.1970: Erklärung über Grundsätze des Völkerrechts: Der eine wichtige Grundsatz betrifft die Pflicht, im Einklang mit der Charta, sich nicht in Angelegenheiten einzugreifen, die zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehören. Der andere ist: Der Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker.

(9) Vgl. NZZ, 14.05.2019: Wie Georg Soroas vom Messias zum Volksfeind wurde.

(10) Ich erlaube mir eine ausführliche Anmerkung: Denn mit Vertikaler Integration bezeichne ich jenen vieldimensionalen Prozess, der jene Regeln, Prozesse, Mechanismen erfasst, die in der liberalen Wirtschaft zum Tragen kommen und die dafür sorgen, dass die wirtschaftlichen, politischen, sozialen Ungleichgewichte zwischen und innerhalb der Staaten rasant zunehmen. Vertikale Integration hat zum Resultat, dass sich die wirtschaftliche und politische Macht zunehmend im transnationalen Hochoben konzentriert, d.h. in der Verfügungsgewalt von immer weniger, aber dafür umso mächtigeren Konzernen, Einzelpersonen und Staaten. 

 a) über den Markt bzw. den sog, Freihandel: Unternehmungen, die mit mehr Kapital und den besseren energetisch-technologischen Apparaturen ausgestattet sind, über das raffiniertere wissenschaftliche Know How und die effizientere Organisationskapazität verfügen, bewirken im transnationalen Kontext, dass schwächere Unternehmungen gar nicht erst aufkommen, aus dem Feld geschlagen oder aufgefressen werden. Der Neoliberalismus mit seinen vier Freiheiten verschärft die Ungleichentwicklung und die damit verbundene Vertikale Integration erst recht.
b) über transnationale Strukturen: Export von Landwirtschaftsprodukten und Rohstoffen aus den wenig entwickelten Ländern; Export von High-Tech-Produkten aus den hoch entwickelten Ländern – mit entsprechend sinkenden Terms of Trades für die landwirtschaftlichen Produkte der armen Staaten und einer enormen Massierung der Macht bei der Regierung im export-finanzierten armen Staat.
c) über die transnationale Migration: die ungleichen Lebensstandards in reichen und armen Staaten oder Regionen lösen die Migration von Süd nach Nord aus mit dem Resultat: Abwanderung aus armen Staaten, Zuwanderung in reiche Staaten – also Brain Gain für die HDC, Brain Drain für die LDC. Und der Irrsinn: All diese Menschen bewegen sich von dort, wo man i. d. R. noch einen kleinen ökologischen Fussabdruck hat, in jene Staaten, die für ihren Wohlstand 3, 4, ja 6 und mehr Planeten verkonsumieren.
d) über internationale Hilfe: Entwicklungszusammenarbeit und der Kampf für Menschenrechte können – müssen aber nicht! – zur Vertikalen Integration beitragen. Dabei kann die Entwicklungszusammenarbeit wichtige Voraussetzungen für Entwicklung bereitstellen: Ausbildung, Brücken, Strassenbau, Gesundheitsversorgung. Werden jedoch die Wirtschaftsregeln nicht so verändert, dass auch im armen Staat horizontale wirtschaftliche Verflechtungen mit lokaler Kapitalakkumulation, Gewerbebetrieben, KMUs und einer ausreichenden Zahl an Arbeitsplätzen, lokalen Märkten und einer ebensolchen Nachfrage möglich werden, dann münden Hilfsprojekte. Denn so lange die Bevölkerungsmehrheit keine formelle Erwerbsarbeit hat, weder Steuern noch Abgaben leisten kann, sind weder staatlich organisierte Solidarinstitutionen noch wird eine Demokratie möglich, die ihren Namen verdient. Entwicklungszusammenarbeit, die n i c h t dafür sorgt, dass effektive Entwicklung möglich wird, bringt viele „nur“ auf den Geschmack: Sie wandern, sofern sie nicht mehr oder nicht bei den NGOs angestellt sind, ab in hoch entwickelte Staaten. Jüngstes Beispiel für diese Form der Vertikalen Integration ist die Abwanderung der einstigen westlichen Hilfskräfte aus Afghanistan.

Bei der Vertikalen Integration handelt sich um einen Prozess, der zunehmend in jenen Totalitarismus mündet, den wir bereits in zwei Varianten kennen – in der stalinistischen und in der nationalsozialistischen. Längst ist er auch in den westlichen Staaten mit ihren alten Demokratien spürbar und beobachtbar: Die Bürgerlichen Freiheiten und Rechte verschwinden. Nicht nur die Rede- und Meinungsfreiheit, sondern auch das Recht auf umfassende und sachliche Information wird über die im entrückten Hochoben zentrierten Medienplattformen abgeschafft. Statt umfassende Informationen anzubieten, betreiben viele Medienmonopole inzwischen Manipulation. In der milderen Form: der Zugang zu anderen Auffassungen und zusätzlichen Fakten wird systematisch gesperrt; die schwerwiegendere Form: Es werden altbekannte Formen des Rassismus aufgewärmt. So hält z. B.  die Slawenfeindlichkeit, mit der Hitler einst für seinen Russlandfeldzug mobilisiert hatte, nun auch in der Schweiz Einzug. Am 22.4.22 wurde in der Stadt St. Gallen ein Konzert von Tschaikowsky abgesagt, weil die Aufführung russischer Musik im öffentlichen Raum des Klosterhofs unzumutbar sei. https://www.tagblatt.ch/kultur/ostschweizerkultur/oper-tschaikowski-wird-als-staatskomponist-missbraucht-warum-das-theater-stgallen-kurzfristig-das-programm-der-festspiele-aendert-ld.2279018.

Nota bene konnten sich China und die asiatischen Tigerstaaten der vertikalen Integrationsdynamik entziehen. Der eine Grund dafür: Sie hatten seit Jahrhunderten, ja Jahrtausenden eine staatliche Organisation, die einerseits auf Märkte, professionelle Arbeitsteilung, Berufsausbildung und Geld abstellte, die andererseits mit Bürokratie, Steuern bzw. Abschöpfungs- und Organisationsprozessen sowie mit Schrift und Buchhaltung zusammenging. Der andere Grund: Diese Staaten öffneten sich erst für den Welthandel, als sie sich intern auf einen energetisch-technologischen Stand gebracht hatten, der es ihnen gestattete, im Freihandel erfolgreich mitzumachen.

(11) Ich war im Jahr 2000 an einen feministischen Kongress geladen, um dort über die Situation der Frauen im armen Teil der Welt zu referieren. Am Schluss der Tagung forderten LGBTQ-AktivistInnen eine neues Menschenrecht: Jeder Mensch soll nach der Geburt eigenständig sein Geschlecht bestimmen können. In der Schlussrunde stellte ich die Frage, wer denn dieses Recht finanzieren soll. Der Jurist Rainer Schweizer leitete die Diskussion und schloss sie mit der Bemerkung: „Jetzt haben wir alle Fragen beantwortet ausser jener von Verena Tobler. Und ich gebe zu, auch ich habe mir diese Frage noch nie gestellt. Aber ich versichere ihr: Ich nehme sie jetzt mit mir nach Hause!“

(12) Eine Welt Nr.2 / Juni 2022; DEZA-Magazin für Entwicklung und Zusammenarbeit: S. 25


Info: https://globalbridge.ch/schweiz-plaedoyer-fuer-eine-neutralitaet-der-besonnenen


unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

10.01.2023

Eine nukleare Ukraine? Der Westen übersieht die reale Gefahr

    rtde.live, 9 Jan. 2023 21:15 Uhr, Von Olga Sucharewskaja

Kiew ist durchaus in der Lage, einen nuklearen Sprengsatz zu bauen, und Regierungsbeamte haben des Öfteren Gedanken geäußert, die in diese Richtung gehen. Inmitten der "Besorgnis" über eine angebliche "russische Bedrohung" übersieht der Westen die wirkliche Gefahr.


Quelle: Legion-media.ru © Vla


dislav Mitic


Zitat: Im vergangenen Jahr diskutierten westliche Medien und hochrangige Politiker über die Möglichkeit, dass Russland in der Ukraine taktische Atomwaffen einsetzen könnte. Es wurde sogar über die Wahrscheinlichkeit eines weltweiten Atomkriegs spekuliert. Man könnte jedoch auch argumentieren, dass das Risiko einer nuklearen Eskalation auf der anderen Seite der Barrikade wahrscheinlich viel höher ist.


Warum die USA Falschmeldungen über angebliche russische "nukleare Bedrohung" der Ukraine verbreiten




Analyse

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Die atomare Geschichte der Ukraine

Die Ukraine war nach dem Zusammenbruch der UdSSR ein Nuklearstaat, nachdem zunächst 1.700 Atomsprengköpfe im Land verblieben. Die damaligen ukrainischen Politiker hatten die Klugheit, diesen atomaren Status aufzugeben. Die Sprengköpfe wurden unter internationaler Überwachung nach Russland transportiert und ihre Trägersysteme zerstört. Die Raketensilos in der Ukraine ‒ mit Ausnahme eines, das heute als Museum in der Nähe von Kiew dient ‒ wurden gesprengt, während die strategischen Bomber, die Atomwaffen tragen konnten, entweder nach Russland verlegt oder zerstört wurden.


Trotzdem gab es in der Ukraine immer noch viele Nuklearspezialisten, da in Charkow bereits seit den 1930er Jahren an der Kernspaltung geforscht wurde. Darüber hinaus wurden während der Sowjetzeit in der Ukraine fünf Kernkraftwerke gebaut: Saporoschje, Rowno, Chmelnizki, das Kernkraftwerk Südukraine sowie das berüchtigte Tschernobyl, wo ein Unfall zu einer Explosion führte, die radioaktive Niederschläge über ganz Europa verbreitete.


Darüber hinaus wird Uran im ukrainischen Gebiet Kirowograd abgebaut und in einer Anlage in der Stadt Scholtyje Wody angereichert. In den 2010er Jahren gab es zusammen mit dem russischen Unternehmen Rosatom Pläne, in der Ukraine eine Anlage zu bauen, die Brennstäbe für Kernkraftwerke produzieren sollte. Diese wurden jedoch nach dem Putsch auf dem Maidan im Jahr 2014 aufgegeben, als das Land eine feindselige Haltung gegenüber Russland einnah


Derzeit sind drei der fünf Kernkraftwerke der Ukraine unter der Kontrolle von Kiew. Tschernobyl, das auch nach dem Unfall von 1986 weiterhin Energie erzeugte, wurde 2020 endgültig abgeschaltet, während Saporoschje, das größte Atomkraftwerk Europas, seit vergangenem Jahr von russischen Truppen bewacht wird. Die Anlage wird derzeit von Rosatom betrieben, produziert aber hauptsächlich aus Sicherheitsgründen vorerst keine Energie. Grund dafür sind regelmäßige Raketen- und Artillerieangriffe ukrainischer Truppen, die zahlreiche notwendige Betriebseinrichtungen beschädigt haben.


Der Drang zu den Atomwaffen

Es sei darauf hingewiesen, dass nicht alle in der Ukraine glücklich darüber waren, dass das Land seine Atomwaffen aufgab. Ukrainische Politiker konnten oft die Tatsache nicht verbergen, dass ihr Traum von der Wiedererlangung von Atomwaffen weniger mit der Sicherheit des eigenen Landes verbunden ist als vielmehr mit dem Wunsch, dem Rest der Welt ihren Willen aufzuzwingen. Radikale ukrainische Nationalisten waren besonders unzufrieden mit der Aufgabe des Atomstatus des Landes, und viele ihrer Manifeste enthalten Klauseln, in denen die Wiederherstellung dieses Status gefordert wird.


Hat der Westen noch Angst vor Atomwaffen? Warum Ukraine-Krieg nicht mit Kubakrise vergleichbar ist




Analyse

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Beispielsweise wird "die Rückkehr zu Atomwaffen" ausdrücklich als Ziel in Absatz zwei des Abschnitts "Militärdoktrin" in der Programmerklärung der Organisation "Patrioten der Ukraine" genannt, während Absatz sieben des Abschnitts "Außenpolitik" lautet: "Das ultimative Ziel der ukrainischen Außenpolitik ist die Weltherrschaft." Die Organisation "Patrioten der Ukraine" wurde 2014 vom berüchtigten Andrei Bilezkij gegründet, der sie auf der Grundlage der Ideologie des neonazistischen Bataillons Asow aufbaute und bereits 2007 davon träumte, dass die Ukraine wieder Atomwaffen besitzen werde.


Im Jahr 2009 forderte der Gebietsrat von Ternopol – der damals von Oleg Tiagniboks neonazistischer Swoboda-Partei dominiert wurde, die bis 2004 Sozialnationale Partei hieß – den ukrainischen Präsidenten, den Premierminister und den Vorsitzenden der Werchowna Rada auf, "das Budapester Memorandum von 1994 zu kündigen und den Nuklearstatus der Ukraine wiederherzustellen".


Die Sehnsucht der Ukraine nach einer Atombombe nahm besonders nach dem Februar 2014 zu. In einem Interview mit USA Today im März desselben Jahres bezeichnete der ukrainische Abgeordnete Pawel Risanenko den Beitritt der Ukraine zum Vertrag über die Nichtverbreitung von Atomwaffen als "großen Fehler". Und das war nicht nur die Meinung eines einzelnen Abgeordneten. Nur wenige Tage später reichten Vertreter der Partei Batkiwschtschyna, unter Führung von Ex-Premierministerin Julia Timoschenko, und der Partei UDAR unter Führung des derzeitigen Kiewer Bürgermeisters Witali Klitschko, darunter der Sekretär des parlamentarischen Ausschusses für nationale Sicherheit und Verteidigung, Sergej Kaplin, einen Gesetzentwurf zum Austritt aus dem Vertrag über die Nichtverbreitung von Atomwaffen ein. Kaplin behauptete, die Ukraine könne Atomwaffen innerhalb von nur zwei Jahren bauen, weil man bereits über fast alles Nötige verfüge: das spaltbare Material, die Ausrüstung – außer Zentrifugen –, die Technologie, die Spezialisten und sogar die Träger. Im September desselben Jahres äußerte auch der damalige Verteidigungsminister der Ukraine, Waleri Geletej, den Wunsch, Atomwaffen zu entwickeln.




Im Dezember 2018 kündigte der ehemalige Vertreter der ukrainischen Mission bei der NATO, Generalmajor Pjotr Garaschtschuk, die reale Möglichkeit an, dass die Ukraine ihre eigenen Atomwaffen herstellt. Im Jahr 2019 bezeichnete Aleksander Turtschynow, der im Februar 2014 die Macht in der Ukraine an sich gerissen hatte, den Verzicht der Ukraine auf Atomwaffen als "historischen Fehler". Nach ihm erklärte im April 2021 der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrei Melnik, dass das Land ein Nuklearprogramm starten und eine Atombombe bauen würde, wenn der Westen der Ukraine bei ihrer Konfrontation mit Russland nicht helfen würde. Und am 19. Februar 2022, kurz vor Beginn der militärischen Sonderoperation Russlands, kündigte der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij auf der Münchner Sicherheitskonferenz an, dass die Ukraine das Recht habe, das Budapester Memorandum aufzugeben, das den atomwaffenfreien Status des Landes festlegt.


Kiew könnte eine "schmutzige Bombe" im Dnjepr zünden





Analyse

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Die vielleicht auffälligste Aussage eines ukrainischen Politikers stammt jedoch von Dawid Arachamija, dem Vorsitzenden der regierenden parlamentarischen Fraktion des ukrainischen Parlaments, "Diener des Volkes". "Wir könnten die ganze Welt erpressen, und wir würden sogar Geld für den Unterhalt der Atomwaffen bekommen, wie es jetzt in vielen anderen Ländern geschieht", sagte er Mitte 2021.


Die Bandbreite an Möglichkeiten

Wäre die Ukraine technisch in der Lage, eine Atombombe zu bauen? Absolut. Allerdings würde die Anreicherung von Uran-235 auf die Reinheit, die zum Auslösen einer Kernspaltung erforderlich ist, viel Geld kosten, vor allem, um Zentrifugen zur Trennung von Isotopen herzustellen. Obwohl Zentrifugation der effektivste Weg ist, Isotope zu trennen, ist er jedoch nicht der einzige. Die ersten amerikanischen Atombomben, die man über Hiroshima und Nagasaki abwarf, wurden ohne den Einsatz dieser Technologie hergestellt.


Außerdem darf nicht vergessen werden, dass es nicht nur Uran-, sondern auch Plutonium-Bomben gibt. Sogenannte Brutreaktoren werden verwendet, um Plutonium zu synthetisieren, meistens unter Verwendung von Schwerwasserreaktoren. Selbst ein Forschungsreaktor ist in der Lage, waffenfähiges Plutonium zu produzieren. Derzeit gibt es eine Kernforschungsanlage am Institut für Physik und Technologie in Charkow und einen für die Produktion von Plutonium geeigneten Reaktor am Institut für Kernforschung der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine in Kiew. Bis März 2022 existierte in Charkow eine in den USA gebaute Anlage, die Isotope durch Bestrahlung der Ausgangsmaterialien mit einem starken Neutronenfluss herstellen konnte und die auch zur Herstellung spaltbarer Materialien für eine Bombe verwendet werden könnte.



Darüber hinaus verfügt die Ukraine über die technischen Möglichkeiten, eine Atomwaffe auf der Basis von Uran-233 anstelle von Uran-235 zu bauen, das bei Atomwaffen üblicherweise verwendet wird. Eine ähnliche Bombe wurde 1955 von den USA während der Operation Teapot (Teekessel) getestet, und ihre Stärke war vergleichbar mit jener der Bombe "Fat Man" (Fetter Mann), mit der die japanische Stadt Nagasaki zerstört wurde. Um Uran-233 zu erhalten, reicht es aus, ein Brennelement eines konventionellen Kernkraftreaktors durch eine Thorium-232-Kassette zu ersetzen, von dem sich ein Vorrat in der Nähe von Mariupol befindet ‒ einer Stadt, die Anfang vergangenen Jahres von den ukrainischen Nationalisten des Regiments Asow erbittert verteidigt wurde.


Es gibt ein weiteres indirektes Zeichen dafür, dass sowohl Uran- als auch Plutoniumwaffen auf Anweisung der Post-Maidan-Behörden heimlich entwickelt wurden. Anfang 2021 hat die Ukraine den Export abgebrannter Kernbrennstoffe (SNF) nach Russland vollständig verboten, wie es eine Vereinbarung über die Lieferung von Kernbrennstoffen durch Rosatom vorschrieb. SNF ist unter anderem eine Quelle für waffenfähiges Plutonium, das aus Brennstoffzellen isoliert werden kann, die zuvor in einem Kernkraftreaktor im Einsatz waren.


Atomkraft am Rande der Katastrophe

Ebenso gefährlich ist die Atompolitik der ukrainischen Regierung. Die Ukraine erbte fünf Kernkraftwerke mit 18 aktiven Reaktoren von der UdSSR. Drei davon wurden bis zum Jahr 2000 im KKW Tschernobyl außer Betrieb genommen. Fünf der sechs Reaktoren im KKW Saporoschje, drei der vier Reaktoren im KKW Rowno, einer der beiden Reaktoren im KKW Chmelnizki und alle drei Reaktoren des KKW Südukraine haben ihre ursprüngliche Lebensdauer längst überschritten und trotzdem eine Genehmigung zu Verlängerung ihrer Betriebsdauer um weitere zehn bis fünfzehn Jahre erhalten. Die Verlängerungen wurden oft unter Verletzung bestehender Vorschriften gewährt, da die staatliche Nuklearaufsichtsbehörde der Ukraine nach 2015 die Zusammenarbeit mit der russischen Nuklearindustrie eingestellt hat und die Reaktorbehälter seitdem nicht mehr gewartet oder überholt wurden, die nach längerer Einwirkung von Neutronenstrahlung spröde werden. Bereits 2015 stellten unabhängige Gutachter den kritischen Zustand des Reaktors Nummer eins des KKW Südukraine fest, dessen Laufzeit dennoch bis 2025 verlängert wurde.


Wer blinzelt zuerst – Ist ein Atomkrieg zwischen Russland und den USA möglich?




Analyse

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Die ukrainische Union der Veteranen der Kernenergieindustrie sandte im April 2020 ein Warnschreiben an die Regierung, in dem argumentiert wurde, dass der Kernenergiesektor des Landes mit einer "bedrohlichen Situation" konfrontiert sei, die laut den Verfassern des Schreibens durchaus zu "einem zweiten Tschernobyl" führen könnte.


Der Mangel an Rechenschaftspflicht, der bereits in der Katastrophe von 1986 resultierte, führt somit dazu, den technischen Zustand der Reaktoren zu vernachlässigen, die von ihren russischen Entwicklern nicht ordnungsgemäß überwacht und gewartet werden können. Während der Amtszeit von Präsident Wiktor Juschtschenko wurde die Entscheidung getroffen, einige der Standardbrennstäbe in ukrainischen Reaktoren durch nicht lizenzierte Brennelemente der amerikanischen Westinghouse Electric Company zu ersetzen. Dieses Experiment führte 2012 zu einer Notabschaltung des Reaktors Nummer drei des KKW Südukraine, nachdem Brennelemente von Westinghouse aufgrund der spezifischen Konstruktionsmerkmale der amerikanischen Variante beschädigt worden waren.



Dass von Westinghouse hergestellte Brennelemente in Reaktoren sowjetischer Bauart zu Fehlfunktionen neigen, war keine Überraschung. Sie haben wiederholt Notabschaltungen in Kernkraftwerken in Finnland, Ungarn, der Tschechischen Republik und in der Slowakei verursacht, aber das hat die ukrainische Führung nicht davon abgehalten, auf die amerikanischen Brennelemente zurückzugreifen. Nicht einmal finanzielle Verluste in Höhe von rund 175 Millionen US-Dollar, die durch die Verwendung nicht vorgesehener Baugruppen verursacht wurden, haben die Ukraine davon abgehalten, riskante Experimente in ihren Nuklearanlagen durchzuführen.


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Die Putsch-Regierung, die 2014 an die Macht kam, stürzte sich umgehend in eigene Experimente bei der Atomkraft – zusammen mit Westinghouse, das damals unter finanziellen Nöten litt. Für das amerikanische Unternehmen, das 2017 Insolvenz anmelden musste, hätte der ukrainische Markt eine dringend benötigte Rettungsleine sein können – wurde er aber nicht, denn es stellte sich erneut heraus, dass die Brennelemente von Westinghouse für Reaktoren vom sowjetischen Typ WWER gefährlich waren. Notabschaltungen in ukrainischen Kernkraftwerken wurden zu einem Routineereignis, und dennoch entfielen bis Ende 2018 ganze 46 Prozent des gesamten Kernbrennstoffverbrauchs in der Ukraine auf Baugruppen von Westinghouse.


Diese riskanten Experimente gingen über die Verwendung von Nicht-Standard-Brennelementen hinaus. Im Herbst 2014 gab Kiew die Anweisung, die Stromproduktion im KKW Südukraine um fünf bis sieben Prozent zu steigern. Um dies zu erreichen, sollten drei WWER-Reaktoren im sogenannten "kontrollierten Durchlauf-Modus" betrieben werden, wofür von ukrainischen und britischen Ingenieuren ein kompletter Steuer-Algorithmus entwickelt wurde. Es war dieselbe Art von Experiment, das 1986 zur Explosion im Kernkraftwerk Tschernobyl führte. Eine mögliche Katastrophe wurde nur durch einen Streik abgewendet, der vom Personal des KKW organisiert wurde, das sich weigerte, Befehle von außen auszuführen. Dies könnte der ehemalige NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen gemeint haben, als er sagte: "Wir haben auf ukrainisches Ersuchen hin ein kleines Team ziviler Experten in die Ukraine entsandt, um die Ukrainer bei der Verbesserung der Sicherheit ihrer zivilen Kernkraftwerke zu unterstützen."


Die "revolutionäre Zwangslage" wurde als Vorwand für einen Massenexodus erfahrener Nuklearingenieure aus ukrainischen Kernkraftwerken benutzt. Wie die ukrainische Abgeordnete Wiktoria Wojzizkaja im Jahr 2018 sagte, dachten buchstäblich alle Kategorien von Arbeitnehmern in der ukrainischen Nuklearindustrie daran, die ukrainischen KKW zu verlassen – vom Turbinenpersonal über Monteure bis hin zu Ingenieuren, die an den Reaktoren und anderen Hightech-Anlagen arbeiteten.



Die Provokation zur nuklearen Eskalation

Nachdem die russischen Streitkräfte die Kontrolle über das KKW Saporoschje übernommen hatten, wurde es ununterbrochen zum Ziel ukrainischen Beschusses, manchmal unter Einsatz von aus dem Westen gelieferten Mehrfachraketenwerfern, schwerer Artillerie und Angriffsdrohnen. Die Anlage erlitt erhebliche Schäden und musste aufgrund der Zerstörung von Betriebssystemen und der Bedrohung der Reaktoren selbst die Stromerzeugung einstellen. Gleichzeitig konnte eine Inspektionsmission der Internationalen Organisation für Atomenergie vor Ort nicht feststellen, wer nun genau auf das Gelände des KKW geschossen hat – wo russische Soldaten stationiert waren.

Medwedew schwört Rache und droht mit Atomschlag gegen Washington





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Während sich die westlichen Medien damit beschäftigten, Hysterie über einen möglichen Einsatz taktischer Atomwaffen durch Russland in der Ukraine zu schüren, stellte sich heraus, dass die Ukraine angeblich eine Provokation genau dieser Art plante. Laut russischen Geheimdiensten befanden sich das Östliche Bergbau- und Anreicherungskombinat in der Stadt Scholtyje Wody und das Kiewer Institut für nukleare Forschung im Oktober 2022 in der Endphase der Entwicklung einer radioaktiven "schmutzigen Bombe", im Auftrag der ukrainischen Regierung. Eine Raketenfabrik in Dnjepropetrowsk baute ein Modell der russischen Iskander-Rakete nach, mit der eine radioaktive Ladung in die Sperrzone von Tschernobyl geschossen werden sollte. Die Absicht dahinter war, Russland des Einsatzes von Atomwaffen zu beschuldigen und die NATO zu einem Gegenschlag zu provozieren. Mit anderen Worten: einen Atomkrieg in Europa zu beginnen.

All diese Tatsachen bedeuten, dass die heutige Ukraine wohl eine echte Bedrohung für die nukleare Sicherheit nicht nur in Europa, sondern weltweit darstellt. Die Ukraine hat alles, was es braucht, von verantwortungslosen und korrupten Spezialisten, die für die Sicherheit an nuklearen Standorten verantwortlich sind, bis hin zu den technischen Möglichkeiten.


Aus dem Englischen


Olga Sucharewskaja ist eine ehemalige ukrainische Diplomatin.


Mehr zum Thema - Kiews Hunger nach Atomwaffen – ein Grund für Russlands Sonderoperation in der Ukraine


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10.01.2023

OVKS – Russlands problematisches Militärbündnis (Teil1)

pressenza.com, vom 09.01.23 - Alex Männer - EuroBRICS



Russische OVKS-Truppen bei einer Übung in Tadschikistan (Bild von © Nozim Kalandarov/TASS)


Nach fast 30-jährigem Bestehen hatte die russisch geführte Militärallianz „OVKS“ mit ihrem ersten Einsatz vor knapp einem Jahr international von sich reden gemacht. Im Rahmen einer Friedensmission hat das Bündnis maßgeblich dazu beigetragen, die blutigen Ausschreitungen in Kasachstan zu beenden und die konstitutionelle Ordnung des Landes wiederherzustellen. Ungeachtet dieses Erfolgs kämpft die OVKS nach wie vor mit enormen Problemen, die die Einheit der Partner zu gefährden scheinen.


Vor knapp einem Jahr hatte das von Russland geführte Militärbündnis „Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit“ (OVKS) maßgeblich zur Niederschlagung der blutigen Ausschreitungen in Kasachstan beigetragen und damit seinen ersten Einsatz absolviert. Nur dank der Unterstützung der Bündnispartner waren die Militär- und Sicherheitskräfte des zentralasiatischen Landes in der Lage gewesen, eine weitaus gefährlichere Eskalation zu verhindern und die konstitutionelle Ordnung wiederherzustellen.


Für Moskau selbst gilt die OVKS deshalb zweifellos als ein zentraler Aspekt der russischen Sicherheitspolitik, die geprägt ist durch das Erbe der Sowjetunion und den Status als Militär- und Atommacht. Vor allem der Untergang der UdSSR läutete für die Russen die größte geopolitische Katastrophe der jüngsten Geschichte ein, deren Konsequenzen sie nach wie vor nicht überwunden haben. Denn der Zerfall des einstigen eng verflochtenen Staates hat nicht nur die jahrhundertealten Grundlagen für wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Beziehungen zerstört, sondern brachte vor allem schwerwiegende sicherheitspolitischen Herausforderungen, und zwar für die meisten Teilrepubliken.


Die Folgen davon waren Bürgerkriege, territoriale und ethnische Konflikte sowie der soziale und wirtschaftliche Niedergang, was den Nährboden für die Banden-Kriminalität der 1990er Jahre sowie den Terrorismus bereitete. Und unmittelbar darin begründet sich der aus Moskaus Sicht notwendige Kurs auf die Reintegration des Territoriums der ehemaligen Sowjetunion. Diese ist für die Russen auch deshalb wichtig, weil sie künftig als Basis für ein noch größeres Kooperationsformat dienen und Russland und seine Partner mit asiatischen Ländern wie China oder Indien langfristig zu vereinen soll.


Funktion der OVKS

Um seine weltpolitischen Ziele angesichts der zunehmenden Herausforderungen auf der globalen Bühne zu erreichen, ist Russland zudem auf ein sicheres Umfeld angewiesen. Deshalb will es sowohl die bestehenden Spannungen und Konfliktherde in den angrenzenden Regionen beseitigen und neue verhindern, als auch gemeinsame sicherheitspolitische Interessen mit anderen Staaten finden und weiterentwickeln.


Diesbezüglich setzt die russische Führung große Hoffnungen in die militärische und sicherheitspolitische Partnerschaft im Rahmen des 1992 gegründeten Militärbündnisses OVKS, das heute als eine wichtige Grundlage für diverse Integrationsprozesse auf dem Territorium der ehemaligen UdSSR gilt. Gemeinsam mit Weißrussland, Armenien, Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan kooperiert man unter anderem im militärischen Bereich sowie bei der Bekämpfung von Terrorismus und Extremismus und der Bekämpfung des Drogenhandels.


Der Einflussbereich der OVKS ist vor allem aus der zentralasiatischen Region, in die Moskau  auch weitere Staaten einbeziehen will. Dort stationiert die OVKS auch ihre 2009 geschaffene „schnellen Eingreiftruppen“, die 20.000 Soldaten zählen und im Grunde die Streitkräfte der Allianz bilden.


Ihre erste und bis heute einzige offizielle Mission hatte die OVKS zwischen dem 6. und 10. Januar des vergangenen Jahres durchgeführt. Damals verhalf ein etwa 5.000 Mann starkes Kontingent der Regierung Kasachstans, die Sicherheitslage im Land angesichts der Gewalt unter Kontrolle zu bringen und die konstitutionelle Ordnung wiederherzustellen.


Dies verdeutlicht das Potential der OVKS als in der zentralasiatischen Region und auch die Tatsache, dass dieses Bündnis für die Sicherheit und das Überleben eines ihrer Mitglieder von entscheidender Bedeutung sein kann. Dennoch steht diese Allianz weiterhin vor enormen Herausforderungen, die es früher oder später zu bewältigen gilt. Dazu zählen übrigens nicht nur die äußeren Einwirkungen, wie etwa der Bergkarabach-Konflikt oder der wachsende Einfluss der USA und der Türkei in Zentralasien. Viel schwerer scheinen die internen Streitigkeiten und Unklarheiten in der OVKS zu wiegen.


Interne Herausforderungen

Wie die Journalistin Silvia Stöber in einem Bericht der Tagesschau anführt, siehe die OVKS-Partnerschaft zwar unter anderem einen militärischen Beistand vor, allerding werde diese Option in erster Linie unter dem Blickwinkel der jeweiligen Interessen der Mitglieder in Betracht gezogen. Wobei diese Vereinbarungen, die im Artikel 4 der OVKS-Charta festgeschrieben sind, ähnliche Mechanismen umfassen, wie etwa die Verpflichtungen bei der Nordatlantik-Allianz: „Im Falle einer Aggression (eines bewaffneten Angriffs, der die Sicherheit, die Stabilität, die territoriale Integrität und die Souveränität bedroht) gegen einen Mitgliedstaat leisten alle anderen Mitgliedstaaten auf Ersuchen dieses Mitgliedstaates diesem unverzüglich die erforderliche Hilfe, auch militärischer Art.“


Im Falle Armeniens jedoch, das im Frühjahr 2021 angesichts der Auseinandersetzung mit Aserbaidschan im Bergkarabach-Konflikt um Beistand gebeten hatte, sind weder Russland noch eines der anderen Mitgliedsländer an der Seite der Armenier militärisch aktiv geworden. Das liegt unter anderem daran, dass Aserbaidschan seinerseits  gute Beziehungen zu Moskau, Minsk & Co. unterhält und dass niemand daran etwas ändern will, zum Leidwesen Eriwans.


Dessen Führung missfällt es natürlich und darum äußerte sie im Dezember öffentlich den Unmut über Russland. Der armenische Premier Nikol Paschinjan warf den russischen OVKS-Friedenstruppen Angaben der Zeitung „Vzgljad“ zufolge vor, ihre Aufgaben in Bergkarabach nicht zu erfüllen. Seiner Ansicht nach verstößt es de facto gegen das trilaterale Abkommen zwischen Armenien, Russland und Aserbaidschan vom November 2020.


Moskau wies diese Vorwurf zuerück. „Die russischen Friedenstruppen tun alles in ihrer Macht Stehende, um in den Gebieten, in denen sie tätig sind, für Ruhe und Ordnung zu sorgen, und sie handeln ausschließlich nach dem Geist und dem Wortlaut der Dokumente, die zwischen den Parteien unterzeichnet wurden“, teilte der Kreml-Pressesprecher Dmitri Peskow mit.


Als ein weiteres internes Problem der OVKS, dass es bei der NATO übrigens nicht gibt, gilt die Tatsache, dass die OVKS-Partner – mit der Ausnahme Russlands – ihre Verantwortung nur für diejenigen Region teilen (wollen), in denen sie präsent sind und in denen ihre Interessen liegen. Diese Staaten betrachten die OVKS auch als eine Art Verpflichtung Moskaus, sie vor inneren Konflikten zu schützen, was etwa der besagte Einsatz in Kasachstan gezeigt hat. Die zentralasiatischen Mitglieder sind in hohem Maße auch daran interessiert, dass die OVKS vor allem im Kampf gegen den militanten Islamismus sowie bei der Sicherung der Grenzen zu Afghanistans aushilft. Und auch Armenien hat – aufgrund der Konfrontation mit Aserbaidschan und der Türkei – ein großes Interesse an der Sicherung seiner Grenzen.


Abgesehen davon gibt es noch zahlreiche andere Streitfragen innerhalb der Allianz, die in erster mit der Hilfe Russlands gelöst wurden – zuletzt auch im Konflikt zwischen Tadschikistan und Kirgisistan. Im vergangenen September war es an der Grenze zwischen diese beiden Ex-Sowjetrepubliken zu militärischen Zusammenstößen gekommen, bei denen Medien zufolge zahlreiche Menschen getötet wurden. Als Hauptgrund für die Auseinandersetzung zwischen Bischkek und Duschanbe gilt die Verteilung von Wasserressourcen in der Grenzregion. Vor allem das Fehlen einer klaren Abgrenzung hat zu Streitigkeiten über die Nutzung von Land und Wasser geführt, wobei es häufig zu Zusammenstößen zwischen den Grenzschutzbeamten der beiden Länder und zu Kämpfen zwischen den nach der Auflösung der UdSSR getrennten Gemeinden kam.

Es ist fraglich, ob der tadschikisch-kirgisische Konflikt endgültig beigelegt wurde. Klar ist jedoch, dass die OVKS einen immensen Imageschaden in dieser Angelegenheit davontrug. Nicht zuletzt wegen den Berichten, wonach Kirgisistan den Wunsch geäußert haben soll, die Organisation wegen ihrer angeblichen Untätigkeit zu verlassen.


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Info: http://www.pressenza.net/?l=de&track=2023/01/ovks-russlands-problematisches-militaerbuendnis-teil-1


unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

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