aus e-mail von Ingrid Rumpf, 27. Juni 2024, 9:57 Uhr
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<https://mailchi.mp/4a1d7f0c3d5a/bip-aktuell-309-francesca-albanese-im-interview-raz-segal-verliert-jobangebot?e=cf5abdaf13>
*BIP-Aktuell #309: **Francesca Albanese im Interview - Raz Segal
verliert Jobangebot*
*Zwei Berichte über Redner der BIP-Konferenz in Nürnberg*
*BIP-Aktuell #309:*
1. Interview mit Francesca Albanese Interview - Raz Segal verliert
Jobangebot
2. Adalah: Bezirksgericht genehmigt die Zwangsumsiedlung des
Beduinendorfs Ras Jrabah
*/Diese Woche enthält /**BIP Aktuell/zwei Teile, die sich beide auf die
BIP-Konferenz beziehen, die im Mai in Nürnberg stattfand. Der erste Teil
ist ein Interview mit Francesca Albanese, der zweite ein Bericht über
die Universität von Minnesota, die Prof. Dr. Raz Segal eine leitende
Stelle verweigerte - ein Akt der politischen Repression und Zensur./*
Das folgende Interview wurde von Mario Damolin
<https://bib-jetzt.us14.list-manage.com/track/click?u=d2d027ff28580d7b9d45684bc&id=3deb8123ac&e=cf5abdaf13>
auf der BIP-Konferenz mit Francesca Albanese, Sonderberichterstatterin
der UN für die besetzten palästinensischen Gebiete, geführt. Es wird
hier mit seiner Erlaubnis veröffentlicht:
UN-Sonderberichterstatterin für die Menschenrechte in den besetzten
palästinensischen Gebieten Francesca Albanese. Quelle: 2022, Wikipedia
<https://bib-jetzt.us14.list-manage.com/track/click?u=d2d027ff28580d7b9d45684bc&id=98be2c6fef&e=cf5abdaf13>.
*Die Choreografie der Heuchelei *
Ende Mai fand in Nürnberg die Dritte Internationale Konferenz des
/„Bündnis für Gerechtigkeit zwischen Israelis und Palästinensern“ (BIP)/
statt. Thema: „Koloniale Gewalt und der Weg zur Gerechtigkeit“. Vor
nahezu 200 Teilnehmern sprachen Referenten aus Israel, Palästina, USA,
England und Deutschland. Anwesend war auch Francesca Albanese, die
UN-Sonderberichterstatterin für Palästina und die besetzten Gebiete. Die
promovierte Völkerrechtlerin referierte über das Thema: „Was kann die
UNO für die Menschen in Israel/Palästina tun?“
*Frage*: /Als UN-Sonderberichterstatterin für die Menschenrechtslage in
den Palästinensischen Gebieten stehen Sie mitten im Scheinwerferlicht
einer weltpolitischen Krisenlage, in der man sehr oft zwischen Lüge und
Wahrheit nur schwer unterscheiden kann. Es gibt im Deutschen ein
Sprichwort, das ungefähr so lautet: „Je größer die Lüge, desto
unsichtbarer wird sie.“ Kennen Sie dieses System in Ihrer politischen
Arbeit? /
*Albanese*: Oh ja, das kenne ich. Kenne ich gut. Für die Arbeit im
politischen Feld ist es das, was ich „Truman-Show“ nenne, und was im
gleichnamigen Hollywood-Film exemplarisch vorgeführt wird: die
Inszenierung tatsächlichen Lebens als Reality-Show. Anders gesagt: die
Konstruktion einer parallelen Realität. Konkret etwa im Verhältnis
Deutschland - Israel. Ich will da nur in aller Bescheidenheit anmerken,
dass in Deutschland, genauer in der deutschen Politik, ein Narrativ über
Israel besteht, das mit der Realität dort und in den palästinensischen
Gebieten nichts zu tun hat. In Deutschland wird dauernd die
Holocaust-Karte gezogen, dauernd wird eine Geisteshaltung beschworen,
die dieses deutsche Schuldbewusstsein stimuliert. Und deshalb halte ich
gerade in Deutschland diese Auseinandersetzung für sehr wichtig, und
deshalb komme ich auch zu dieser Konferenz des „/Bündnisses für
Gerechtigkeit zwischen Israelis und Palästinensern“. /
*Frage*: /Ein nicht unwichtiger Teil dieser Stimulierung wird auch von
den Medien im Lande getragen… /
*Albanese*: ….der Journalismus hat bisher versagt, die akademische Welt
verstummt oder verhindert ein Engagement, die Zivilgesellschaft ist zum
Teil merkwürdig befangen, nur die Jungen mucken auf. Es war für mich ein
Schock mitzubekommen, wie die deutsche Polizei grob und brutal mit
Protestierenden umging, die Solidarität mit Palästina forderten.
Solidarität mit Menschen aus Palästina heißt doch nicht automatisch
Feindschaft gegenüber israelischen Menschen. Es ist hier schon so, dass
man den Kopf in den Sand steckt und die Realität nicht sehen will. Und
ich sehe diese katastrophale, mörderische Realität jeden Tag, ob in Gaza
oder in der Westbank. Wir müssen gegen die herrschende Ignoranz kämpfen,
gerade auch in Deutschland.
*Frage*/: Irgendwie hat es den Anschein, dass gerade in Deutschland
wieder diese Lebenslügen aufbrechen, die vorgeben, die böse
Vergangenheit doch bewältigt zu haben und damit auf der guten Seite zu
stehen…. /
*Albanese*:…Sie sagen Lebenslügen, ich meine Traumata. Wenn ich die
These wagen darf: Gerade viele Deutsche haben offenbar das Trauma nicht
genug bearbeitet, was sie im „Dritten Reich“ angerichtet haben, die
Vernichtung der Juden. Und auf der anderen Seite gibt es eine
Lebenslüge, wie Sie das nennen, der jüdisch-israelischen Mehrheit, die
einfach nicht wahrhaben will, was sie seit Jahrzehnten den
Palästinensern antut, von Massakern bei der Staatsgründung über
dauerhafte ethnische Säuberungen und Vertreibung bis hin zu steigender
Gewalt in der Westbank durch einen brutalen Siedlerkolonialismus und dem
derzeitigen massenhaften Mord an Frauen und Kindern in Gaza. Ich
bezeichne das, und übrigens nicht nur ich, als Völkermord. Südafrika und
andere Staaten haben ja in diese Richtung reagiert. Für mich als
Juristin, spezialisiert auf Völkerrecht, die ich dieses ganze Elend vor
Augen habe, ist völlig klar: Sollte der jüdischen Mehrheit in Israel je
einmal aufgehen, was da wirklich passiert ist, wie die Existenzgrundlage
und die Kultur der Palästinenser systematisch zerstört und vernichtet
wird, hat das am Ende verheerende psychologische Folgen in dieser
Gesellschaft.
*Frage/:/*/Wie beeinflussen denn diese Lebenslügen Ihre Arbeit als
Sonderberichterstatterin bei der UN?/
*Albanese*: Diese Lebenslügen haben vor allem in den westlichen Staaten,
aber auch in Israel zu einer enormen Heuchelei geführt, gegen die ich
täglich kämpfen muss. Und mein Part in dieser „Truman Show“, um darauf
zurückzukommen, ist eben, diese Choreografie der Heuchelei zu
demaskieren oder zu stören…
*Frage*:…/in Teilen der deutschen Presse, aber auch international werden
Sie deshalb auch als „BDS-Ikone“, Antisemitin oder gar als
Hamas-Unterstützerin geschmäht, besonders von der deutschen
Springer-Presse. Trifft Sie das, wie gehen Sie damit um? /
*Albanese*: Das ist natürlich schmerzhaft, aber auch einigermaßen
lächerlich. Gerade für mich, die ich mit den Büchern von Primo Levi groß
geworden bin. Wie soll ich etwa Hamas-Unterstützerin sein, wenn diese
terroristische Gruppe jene Palästinenser unterdrückt, benutzt und
ausbeutet, deren Interessen ich zu vertreten habe, für deren
Menschenrechte und Menschenwürde ich einzutreten habe? Die Palästinenser
waren die ersten Opfer dieser diktatorischen Hamas-Politik. Diese
Verleumdungen, dieser Schmutz mir gegenüber, das sind alles Kampagnen,
die vor allem der israelischen Regierung dienen und von deren
politischen und medialen Freunden losgetreten werden. Das ist alles
Einschüchterung.
*Frage*: /Israel ist offensichtlich weder durch UN-Resolutionen noch
durch Anordnungen des Internationalen Gerichtshofes (IGH) zu bewegen,
von seiner Gewaltpolitik abzurücken. Im Gegenteil: die Tötungen gehen
weiter. Das Völkerrecht wird permanent verletzt, eigentlich wird das
Völkerrecht in dieser konkreten Auseinandersetzung seit Jahrzehnten von
Israel permanent außer Kraft gesetzt. Dagegen gibt es überall auf der
Welt Demonstrationen. /
*Albanese*: Die vielen jungen Demonstranten überall auf der Welt waren
und sind ganz konkret in ihren Forderungen nach Anwendung des
Internationalen Rechts. Sie sind dann aber auch meist mit dieser
Heuchelei konfrontiert, die Israel einfach machen lässt, was es will.
Der israelische Ex-Diplomat Daniel Levy hat einmal gesagt: „Wir müssen
die generelle Straflosigkeit, die Israel bei all seinen Aktivitäten
zugestanden wird, im Auge haben - und den daraus wachsenden Extremismus
innerhalb und außerhalb der israelischen Gesellschaft.“ Wir müssen in
der Implementierung des Internationalen Rechts beharrlich sein - und
zwar zugunsten von Israelis und Palästinensern. Und wir müssen nicht nur
die jüdische Geschichte zu verstehen versuchen, sondern auch die
Geschichte der Palästinenser mit all ihrer Unterdrückung,
Rechtlosigkeit, mit zwölf bewaffneten Auseinandersetzungen seit 1948.
Wir müssen darauf hinarbeiten, dass ein Verständnis beider Parteien für
einander entsteht.
*Frage*: /Das ist leichter gesagt als getan. Die Traumata beider Seiten
sind so groß, dass man doch den Eindruck haben kann: dieser Konflikt ist
letztlich unlösbar./
*Albanese*: Ja, es scheint so, aber diese Traumata werden durch die
aktuellen Ereignisse – das schreckliche Massaker der Hamas vom 7.
Oktober 2023 und die darauf folgende genozidale Reaktion des
israelischen Militärs – noch befeuert. Das alles muss aufhören, sofort.
Eine israelische Kollegin sagte mir vor kurzem bei einer Reise durch das
Land: Der Holocaust ist passiert, wir sind verfolgt und umgebracht
worden, das ist historisch anerkannt; und wir müssen diese Erinnerung
hochhalten; jetzt können wir neu anfangen, können reflektieren, wie wir
gelitten haben. Nur könnten die Palästinenser das eben nicht, denn ihre
Geschichte sei im Westen kein Thema, sie seien nicht in der Lage, ihre
Geschichte zu historisieren. Sie erleben das heute als Fortsetzung der
„Nakba“ 1948, die ethnische Säuberung Palästinas, und sie stehen da, mit
nichts in der Hand.
*Frage*: /Viele Israelis sehen das Thema Nakba, die Vertreibung von 750
000 Palästinensern aus ihren Dörfern, völlig anders: die seien
freiwillig gegangen, auf Anordnung ihrer Führer, oder: das Land sei eh
von Gott den Juden versprochen etc. Da prallen unterschiedliche
Geschichtsschreibungen aufeinander. /
*Albanese*: Man sollte sich ehrlich machen. Der radikale Zionist
Wladimir Jabotinsky oder auch Staatsgründer David Ben-Gurion haben immer
wieder von „Kolonisierung“ Palästinas gesprochen. Von Jabotinsky ist
folgendes Zitat überliefert: „Habt ihr je einmal indigene Menschen
gesehen, die nicht revoltiert haben, wenn man ihnen ihr Land weggenommen
hat?“ Wir haben es hier also mit Siedler-Kolonialismus zu tun, ein
Begriff, der sowohl von der zionistischen Nomenklatura als auch ihren
Verbündeten, etwa auch Deutschland, strikt abgelehnt wird.
*Frage*: /Glauben Sie denn, dass über diese historisch definierten
Klippen eine Verständigung in naher Zukunft möglich sein wird? Dass etwa
die Israelis ihre eindeutig dominante – und vor allem militärisch
//begründete – Stellung aufgeben werden? /
*Albanese*: Das kann ich nur hoffen. Es gibt ein Buch der vom
Europäischen Parlament mit dem Sacharow-Preis ausgezeichneten
israelischen Sprachwissenschaftlerin Nurit Peled-Elhanan mit dem Titel
/„Palästina in israelischen Schulbüchern. Ideologie und Propaganda in
der Erziehung“./ In dieser luziden und akribischen Studie beschreibt die
Autorin in aller Drastik, wie in Israel die Schüler indoktriniert,
gegenüber Palästinensern positioniert, rassistische Theoreme verbreitet
werden und so eine „jüdische Identität“ geformt wird. Eine erschreckende
Analyse, da kann einem schon jede Hoffnung für eine friedliche Zukunft
dort abhanden kommen. Mit dieser Indoktrination gehen die jungen Leute
dann zum Militärdienst, vielleicht in die besetzten Gebiete, und da muss
man sich nicht wundern, welche Grausamkeiten dort geschehen.
*Frage*: /Die meisten israelischen Medien, vor allem das Fernsehen,
berichten sehr tendenziös über den Krieg. Man hört, dass viele Leute gar
nicht wissen oder wissen wollen, was da im aktuellen Krieg vor sich
geht. Wie können die Israelis aus dieser verfahrenen Situation befreit
werden?/
*Albanese*: Ja, es gibt eine spezifische Blindheit in der israelischen
Gesellschaft. Aber meine Antwort auf ihre Frage ist ziemlich einfach:
Die internationale Gemeinschaft muss nur genügend Druck auf Israel
ausüben, um die Anordnungen des Internationalen Gerichtshofs auch
glaubwürdig zu vertreten und durchzusetzen. Und konkret bedeutet das
auch, Sanktionen gegen Israel zu verhängen, um dieses Land auf die Ebene
des Internationalen Rechts zu bringen. Und natürlich muss man verhandeln.
*Frage*/: Wie Sanktionen etwa gegen Russland wirken, weiß man jetzt. Sie
sind offenbar ziemlich erfolglos./
*Albanese*: Israel ist ein anderer Fall. Das Land ist stark abhängig vom
Westen mit all seinen Erfindungen im technologischen,
sicherheitsrelevanten und KI-Bereich. Bei einer Einigkeit im Westen
würde das bestimmt Wirkung zeigen.
Frau Albanese, wir danken für das Gespräch.
Prof. Dr. Raz Segal. Quelle: 2017, /Scholarly Commons/
<https://bib-jetzt.us14.list-manage.com/track/click?u=d2d027ff28580d7b9d45684bc&id=9092fe1aa8&e=cf5abdaf13>.
Ein anderer Redner der BIP-Konferenz, Prof. Dr. Raz Segal von der
/Stockston University/ in New Jersey, Historiker und Experte für die
Erforschung von Völkermord, wurde angegriffen, weil er seine moralisch
und akademisch begründete Meinung geäußert hat. Nach einem strengen und
transparenten Auswahlverfahren wurde Segal eine leitende Position an der
Universität von Minnesota angeboten
<https://bib-jetzt.us14.list-manage.com/track/click?u=d2d027ff28580d7b9d45684bc&id=12b3ec7a63&e=cf5abdaf13>.
Zusätzlich zu einer Professur wurde Segal angeboten, Direktor des
Zentrums für Holocaust- und Völkermordstudien (CHGS) der Universität
Minnesota zu werden.
Aufgrund des Drucks von Spendern, die mit Segals Analyse, nach der
Israel im Gazastreifen einen Völkermord begeht, nicht einverstanden
waren - ein Argument, das er in seinem Artikel für /Jewish Currents/
erläuterte: A Textbook Case of Genocide
<https://bib-jetzt.us14.list-manage.com/track/click?u=d2d027ff28580d7b9d45684bc&id=7f5b3e8ae3&e=cf5abdaf13>
(Ein Lehrbuchfall von Völkermord) darlegte, zog die Universität das
Angebot an Segal zurück. Dies hat in den USA einen Skandal ausgelöst,
und Hunderte von Professoren haben sich in einem Schreiben
<https://bib-jetzt.us14.list-manage.com/track/click?u=d2d027ff28580d7b9d45684bc&id=c252e2530d&e=cf5abdaf13>
an die Universität von Minnesota über diesen Akt der akademischen Zensur
empört.
Wie Segal selbst in einem Interview für /Democracy Now/ erklärte
<https://bib-jetzt.us14.list-manage.com/track/click?u=d2d027ff28580d7b9d45684bc&id=9603094335&e=cf5abdaf13>,
hing die Entscheidung, das Stellenangebot zurückzuziehen, mit seiner
Identität als Jude zusammen, und zwar aufgrund der Erwartung, dass er
als Jude seine Unterstützung für den Zionismus und den Staat Israel zum
Ausdruck bringen müsse, sonst habe er die Folgen zu tragen. Eine solche
Erwartung in Verbindung mit dem Widerruf des Angebots für eine
akademische Stelle ist ein antisemitischer Akt. Es handelt sich um die
Art von Antisemitismus, die in Deutschland häufig Juden unterstellt
wird, die bestraft werden, wenn sie sich nicht an die von ihnen
erwarteten politischen Ansichten halten (siehe BIP-Aktuell #145
<https://bib-jetzt.us14.list-manage.com/track/click?u=d2d027ff28580d7b9d45684bc&id=ce20720948&e=cf5abdaf13>).
*****************************************************
*Werde Mitglied im Bündnis für Gerechtigkeit zwischen Israelis und
Palästinensern e.V. (BIP) und unterstütze unsere Arbeit. Jahresbeitrag
für stimmberechtigte ordentliche Mitglieder*
*150 €, für Fördermitglieder 100 €. *
Ein Aufnahmeantrag ist an den Vorstand zu stellen: info@bip-jetzt.de.
Weitere Informationen: www.bip-jetzt.de
<https://bib-jetzt.us14.list-manage.com/track/click?u=d2d027ff28580d7b9d45684bc&id=a8567584cc&e=cf5abdaf13>
^****************************************************************************************
*BIP Aktuell berichtet an dieser Stelle regelmäßig über
Menschenrechtsverletzungen im besetzten Palästina, die in unseren Medien
zumeist nicht erwähnt werden. **dfsf*
Die palästinensische Menschenrechtsorganisation Adalah (Vorsitzender Dr.
Hassan Jabareen, Redner auf der 3. Internationalen Nürnberger
BIP-Konferenz), berichtete am 6.6.2024:
*Bezirksgericht genehmigt die Zwangsumsiedlung des Beduinendorfs Ras
Jrabah *
„Obwohl das Gericht anerkannte, dass die Bewohner seit mindestens 1978
auf dem Land wohnen durften, ordnete es an, dass die gesamte Bevölkerung
von über 500 Bewohnern ihre Häuser abreißen und das Dorf bis Ende 2024
räumen muss. Die Zwangsumsiedlung von Ras Jrabah, einem Dorf, das schon
vor der Gründung des Staates Israel bestand, soll Platz für die
Erweiterung der jüdischen Stadt Dimona im Negev schaffen.
Am 3. Juni 2024 wies das Bezirksgericht Be'er Sheva die Berufung von
Adalah gegen eine Entscheidung der unteren Instanz ab, mit der die
Zwangsumsiedlung der gesamten Bevölkerung des Beduinendorfs Ras Jrabah
in der Naqab (Negev, Südisrael) mit über 500 Personen genehmigt wurde.
In der Berufung, die am 9. Januar 2024 von der Adalah-Anwältin Myssana
Morany eingereicht wurde, wird argumentiert, dass die im Juli 2023
ergangene Entscheidung des Bezirksgerichts, zehn Räumungsklagen des
Staates gegen alle Bewohner von Ras Jrabah zu genehmigen, die
Segregation unterstützt und die grundlegendsten Rechte der Bewohner
verletzt. Nach Ansicht von Adalah wird diese Verletzung durch den Grund
für die Versuche des Staates, die Bewohner von Ras Jrabah - die einer
nationalen Minderheit angehören und in ihrem Heimatland leben - zu
vertreiben, noch verschärft, nämlich um Platz für einen neuen Stadtteil
der jüdischen Stadt Dimona zu schaffen. Es handelt sich also um eine
eindeutige rassistische Diskriminierung, die sowohl nach israelischem
als auch nach internationalem Recht verboten ist. Adalah hat die
Bewohner von Ras Jrabah während des gesamten Gerichtsverfahrens vertreten.
Nach einer Anhörung am 29. Mai 2024 stimmte das Bezirksgericht mit dem
Amtsgericht überein und erkannte an, dass die Bewohner von Ras Jrabah
seit mindestens 1978, also seit fast 50 Jahren, in dem Dorf wohnten.
Anders als das Amtsgericht entschied das Bezirksgericht jedoch, dass die
Beschwerdeführer ein stillschweigendes Recht hatten, sich auf dem
Grundstück aufzuhalten, und keine unbefugten Eindringlinge waren. Dieses
Recht, so das Bezirksgericht, ergebe sich daraus, dass die israelische
Landbehörde von dem jahrzehntelangen Aufenthalt der Dorfbewohner auf dem
Grundstück wusste und in dieser Zeit keine Maßnahmen gegen sie ergriffen
habe. Das Gericht stellte jedoch auch fest, dass dieses Recht jederzeit
vom Eigentümer des Grundstücks widerrufen werden kann, was nach dem
israelischen System für öffentliches Land der Staat ist. Somit wurde das
Recht aufgehoben, als die israelische Landbehörde (ILA)
Räumungsbescheide verschickte und Klagen gegen die Bewohner von Ras
Jrabah einreichte.
Das Gericht stellte ferner fest, dass der Rat der israelischem
Landbehörde Beduinen Grundstücke ohne Bieterverfahren zuweisen kann,
allerdings nur innerhalb von Beduinendörfern und- städten. Infolgedessen
entschied das Gericht, dass die Behörde den Bewohnern von Ras Jrabah
keine Grundstücke im neuen Stadtteil Dimona zuteilen darf, der auf den
Ruinen des Beduinendorfes errichtet werden soll.
Adalah argumentiert, dass diese Entscheidung das Ausmaß der Segregation
in Israel verdeutlicht: Nach dieser Entscheidung können sich die
Regierungsbehörden weigern und sogar behaupten, nicht befugt zu sein,
die Integration von Beduinen in jüdische Städte in Erwägung zu ziehen,
was zur Folge hat, dass sie zwangsweise in Beduinendörfer umgesiedelt
werden. Diese Politik verfestigt die systematische Segregation und zielt
darauf ab, die beduinische Bevölkerung auf ein minimales Gebiet in
ausschließlich beduinischen Städten zu konzentrieren.
Das Gericht wies die Behauptung von Adalah, es handele sich um
Segregation, mit der Begründung zurück, dass ’die Beschwerdeführer wie
jede andere Person berechtigt sind, sich an den Geboten für den Kauf von
Grundstücken in der Nachbarschaft zu beteiligen, die auf dem Land gebaut
werden sollen. Daher gibt es keine Grundlage für die Behauptung einer
Ungleichbehandlung gegenüber anderen potenziellen Bewohnern, die sich
ebenfalls um die Teilnahme an diesen Ausschreibungen bemühen.” Das
Gericht stellte somit fest, dass es keine rassistische Trennung gebe,
allein aufgrund der Tatsache, dass Personen aus Ras Jrabah nicht daran
gehindert werden, Land in dem neuen Stadtteil von Dimona zu erwerben,
der auf den Ruinen ihres Dorfes errichtet werden soll.
Das Gericht zitierte eine Aussage des Koordinators der Beduinenbehörde
über den Ort, an den die Beschwerdeführer umgesiedelt werden sollen:
´Zunächst einmal werfen wir niemanden auf die Straße, egal ob wir
Vereinbarungen oder Meinungsverschiedenheiten haben... Niemand wird auf
die Straße geworfen, bis eine Lösung gefunden ist. Das Letzte, was die
Beduinenbehörde will, ist, Menschen auf die Straße zu setzen.’ Diese
Aussage ist äußerst irreführend. Tatsächlich ist die Beduinenbehörde
speziell damit beauftragt, Beduinen zu vertreiben und sie in verarmte,
ausschließlich von Beduinen bewohnte Gemeinden umzusiedeln. In vielen
Fällen führt sie den Abriss von Häusern durch, ohne dass vereinbarte
Alternativunterkünfte bereitgestellt werden. Allein im Jahr 2023 rissen
die staatlichen Behörden 3.283 Gebäude ab, darunter viele Wohnhäuser,
und machten mehr als 300 Bewohner obdachlos. Zuletzt wurden im Mai 2024
alle 75 Gebäude im Beduinendorf Wadi al-Khalil, darunter 47 Wohnhäuser,
abgerissen, so dass mehr als 300 Bewohner ohne Wohnung bleiben.
Unmittelbar nach dem Urteil des Bezirksgerichts reagierte die ILA auf
wiederholte Anfragen von /Bimkom - Planners for Planning Rights/ im
Namen der Bewohner von Ras Jrabah, die über ihre Integration in das neue
Stadtviertel Dimona verhandeln wollten. In der Antwort der ILA hieß es,
dass es derzeit keinen Raum für Diskussionen in dieser Angelegenheit
gebe, da die Entscheidung des Gerichts selbsterklärend sei.
Hintergrund:
Ras Jrabah umfasst eine Fläche von 340 Dunam (ca. 84 Hektar) Land, das
den Mitgliedern des Al-Hawashleh-Stammes gehört, die dort seit
Generationen leben. Ras Jrabah grenzt an die jüdische Stadt Dimona, die
auf dem Land des Al-Hawashleh-Stammes errichtet wurde. Die Bewohner von
Ras Jrabah - vertreten durch Adalah - wehren sich seit Mai 2019 gegen
die Versuche des Staates, sie zu vertreiben. Damals reichte die ILA zehn
Räumungsklagen gegen die Bewohner ein und forderte sie auf, ihre Häuser
zu verlassen. Die Räumung wird damit begründet, dass die nahe gelegene
jüdische Stadt Dimona auf dem Land von Ras Jrabah erweitert werden soll.
Den Bewohnern wurde nur eine einzige Möglichkeit angeboten: die
Umsiedlung in die nahe gelegene Beduinenstadt Qasr Al-Sirr.
Das Gericht entschied, die Räumungsklagen im Juli 2023 zu genehmigen. In
ihrer Berufung argumentierte Adalah, dass das Gericht einen schweren
Fehler begangen habe, als es zu dem Schluss kam, dass die Bewohner von
Ras Jrabah keinen rechtmäßigen Anspruch auf das Land hätten. Obwohl das
Gericht anerkannte, dass das Dorf nach seiner Einschätzung seit 45
Jahren an genau diesem Ort existiert, und ungeachtet der späteren
Entwicklung des Dorfes, wurde in dem Urteil unerklärlicherweise davon
ausgegangen, dass sich die Bewohner unrechtmäßig in ihren Häusern
aufhalten, und sie wurden als Eindringlinge und nicht als Mitglieder
einer seit langem bestehenden Gemeinschaft dargestellt.
Im Jahr 2022, noch vor der Entscheidung des Gerichts, äußerten sich
UN-Menschenrechtsexperten besorgt über die Zwangsräumung von Ras Jrabah
<https://bib-jetzt.us14.list-manage.com/track/click?u=d2d027ff28580d7b9d45684bc&id=3431de43b8&e=cf5abdaf13>.
Sie stellten fest, dass ´etwa 500 Beduinen im Dorf Ras Jrabah, das von
den israelischen Behörden nicht anerkannt wird, unmittelbar von der
Räumung bedroht sind`, und forderten die israelischen Behörden auf, ´die
Räumungen und den Abriss von Häusern, die der traditionellen Lebensweise
der Beduinen, ihrem Lebensunterhalt, ihren kulturellen Praktiken und
ihrer Beziehung zu ihrem Land irreparablen Schaden zufügen könnten,
unverzüglich einzustellen`".
https://www.adalah.org/en/content/view/11130
<https://bib-jetzt.us14.list-manage.com/track/click?u=d2d027ff28580d7b9d45684bc&id=92722be52f&e=cf5abdaf13>
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