seniora.org, 25. Oktober 2023, 19.10.2023 University of California, Berkeley - Video-Interview mit Ilan Pappé - Transkript
(Red.) Es ist erschütternd, wie wenig wir über die Geschichte und die Kultur Palästinas wissen. Gleiches gilt für die Geschichte und Kultur Israels. In dem Propaganda-Trommelfeuer der täglichen schrecklichen Bilder und Berichte über den unmenschlichen Krieg in Palästina den moralischen Kompass zu behalten, ist extrem herausfordernd. Da ist es wichtig, einen Schritt zurück zu tun und sich helfen zu lassen: Ilan Pappé versucht in diesem Vortrag und bei der Beantwortung von Fragen von Studenten einen geschichtlichen Hintergrund für diese Situation zu skizzieren, ohne den man nicht verstehen kann, was vor sich geht. Gleichzeitig deutet er an, wie dies alles menschenwürdig gelöst werden könnte.(am)
Das Transkript und die Übersetzung für seniora.org besorgte Andreas Mylaeus
Ussama Makdisi:
Guten Abend und herzlich willkommen. Mein Name ist Ussama Makdisi und ich bin der Chancellor's Chair und Professor am Fachbereich Geschichte hier an der UC Berkeley.
Bevor ich unseren Redner und die Veranstaltung heute Abend vorstelle, wurde ich gebeten, eine Erklärung der juristischen Fakultät zu verlesen, an der wir gerade tagen. Die Rechtsfakultät sagt: "Freie Meinungsäußerung und akademische Freiheit sind grundlegende Werte für die Universität von Kalifornien. Die UC Berkeley hat sich der Überzeugung verschrieben, dass Äußerungen, die uns nicht gefallen oder mit denen wir nicht einverstanden sind, mit respektvollem Umgang und nicht mit Zensur begegnet werden sollten. Die Gemeinschaftsprinzipien der UC Berkeley verlangen Höflichkeit und Respekt im persönlichen Umgang miteinander. Wenn Sie einen anderen Standpunkt vertreten möchten als die Gäste des heutigen Abends, können Sie dies in jedem Bereich des Campus tun, der für die freie Meinungsäußerung zugänglich ist. Sie können natürlich zu gegebener Zeit Fragen stellen – und Sie werden die Notizen bekommen, die verteilt werden –, aber Sie dürfen die Veranstaltung nicht stören. Wir bitten Sie als Zuhörer, sich den Rednern und den anwesenden Studenten gegenüber respektvoll zu verhalten und von jeglichem störenden Verhalten Abstand zu nehmen. Wenn Sie versuchen, die Veranstaltung zu stören, werden Sie aufgefordert, den Veranstaltungsort zu verlassen und müssen mit disziplinarischen Maßnahmen rechnen."
[Beifall]
Nun also zu weniger disziplinarischen Dingen. Ich möchte mich bei allen Sponsoren dieses Vortrags an der UC Berkeley bedanken. Das sind die Law Students for Justice in Palestine [Beifall], das Department of History, das Center for Middle Eastern Studies, das Department of Ethnic Studies, das Islamophobia Research and Documentation Project of the Center for Race and Gender. Ich muss auch die Unterstützung von [?], Dr. Hatim Bazian sowie die unverzichtbare Hilfe von Herrn Hassan Fuda [?] erwähnen.
Mir ist natürlich klar, dass wir angesichts der anhaltenden unmenschlichen Brutalisierung des Gazastreifens unter außergewöhnlichen Umständen hier zusammengekommen sind. Mir ist auch klar, dass es in diesem Raum viel Schmerz und Wut gibt. Viele von Ihnen leiden wie ich. Viele von Ihnen haben Freunde in Palästina und Israel, und einige von Ihnen haben aufgrund der anhaltenden Situation Freunde oder Angehörige verloren. Viele von Ihnen sind wie ich wütend über die offensichtliche Doppelmoral, die wir überall in diesem Land sehen, über die Abwertung der palästinensischen Menschlichkeit und Geschichte, auch durch Mitglieder dieser Institution. Viele von Ihnen werden eingeschüchtert, vor allem die Studenten hier, weil sie sich für Gerechtigkeit und Gleichheit in Palästina einsetzen. Ich hoffe jedoch, Sie schöpfen ein wenig Hoffnung aus der Tatsache, dass wir eine so angesehene Persönlichkeit wie Professor Ilan Pappé zu Gast haben [Beifall].
Vornehm und gleichzeitig bodenständig. Es gibt nur wenige Persönlichkeiten, die so erhaben, so intelligent und so brillant wie Ilan und gleichzeitig so bodenständig sind. Ich sage das, weil Ilan nicht nur ein brillanter Historiker und Kollege ist. Er ist auch ein wundervoller Mensch, dessen Anwesenheit hier dringend erforderlich ist, um den entscheidenden Kontext zu liefern, der uns hilft, die Geschehnisse in Israel und natürlich im besetzten Palästina zu verstehen.
Professor Ilan Pappé ist der Direktor des Europäischen Zentrums für Palästinastudien an der Universität von Exeter im Vereinigten Königreich, des ersten Zentrums dieser Art, soweit ich weiß, in ganz Europa, ja sogar in ganz Europa und den Vereinigten Staaten. Seinen Doktortitel erwarb er 1984 an der Universität Oxford, wo er unter der Leitung von Professor Albert Hourani arbeitete. Bis 2007 war Ilan Professor an der Universität von Haifa, von der er aufgrund seiner ideologischen Positionen verwiesen wurde. Mit anderen Worten: Er bestand darauf, die Forschung über die Nakba von 1948 auszugraben und zu unterstützen. [Beifall] Er zog nach Exeter, wo er heute am Institut für Arabische und Islamische Studien lehrt. Professor Pape hat bisher 20 Bücher geschrieben, von denen das berühmteste zweifellos sein 2006 erschienenes Buch Die ethnische Säuberung Palästinas ist, das natürlich den Zorn vieler im politischen Establishment und vieler im akademischen Establishment auf sich zog, weil Ilan einer der ersten war – zumindest in englischer Sprache und aus israelischer Sicht, einer Dissidentenperspektive –, der die Frage der ethnischen Säuberung direkt aufgeworfen hat, so dass es in gewisser Weise schwer zu leugnen war.
Er ist auch Autor von The Biggest Prison On Earth – a History of the Israeli Occupation. Sein neuestes Buch, das er gemeinsam mit Ramzy Baroud herausgegeben hat, trägt den interessanten Titel Our Vision For Liberation (Unsere Vision für die Befreiung).
Vor allem aber erinnert uns Professor Pappé an die ethischen Herausforderungen, die mit einer guten historischen Arbeit verbunden sind. Bei dieser guten Arbeit zeigt er auch die Folgen einer heimtückischen, entmenschlichenden und enthistorisierten Arbeit auf. Professor Pappé ist – natürlich – nicht nur ein Freund, nicht nur ein Kollege. Er stammt auch aus Haifa und wurde dort geboren. Er diente 1973 in der israelischen Armee und ist heute einer der führenden Kritiker des kolonialen Zionismus und eine der klarsten Stimmen gegen die unmenschliche und unethische Behandlung des palästinensischen Volkes. Dafür wird Ilan – wie ich bereits festgestellt habe – verfolgt, eben weil er die Vorstellung widerlegt, dass das, was in Palästina und in Israel geschieht, ein inhärenter oder uralter religiöser Konflikt sei. Er beharrt – meiner Meinung nach zu Recht – darauf, dass das, was in Palästina und Israel geschieht, ein säkularer Konflikt ist, ein kolonialer Konflikt, bei dem jeder von uns die Möglichkeit hat, sich der Gerechtigkeit anzuschließen oder nicht. Aber es ist eine säkulare Entscheidung. Er erinnert uns daran, dass es heute um die Frage geht, wie wir uns unsere Zukunft vorstellen wollen, für welche Art von Zukunft wir kämpfen wollen, und um das zu tun, hat Ilan immer gesagt: "Wir müssen wissen, was für eine Vergangenheit wir durchgemacht haben, um an den Punkt zu gelangen, an dem wir heute sind."
Begrüßen Sie also mit mir Professor Ilan Pappé, der zum Thema Die Krise des Zionismus, Chancen für Palästina sprechen wird.
Zum Schluss noch eine Erinnerung: Dieser Titel kam vor Monaten auf. Die Dinge haben sich also in den letzten Wochen geändert. Aber ich bin mir sicher, dass Professor Pappé in der Lage sein wird, eine Lösung dafür zu finden. Bitte begrüßen Sie also Professor Ilan Pappé.
[Beifall]
Ilan Pappé:
Vielen Dank, ich danke Ihnen sehr. [Beifall]
Vielen Dank, Ussama, für Ihre sehr freundliche Einführung. Ich danke Ihnen allen, dass Sie heute hier sind. Ich möchte allen Organisationen danken, die diese Veranstaltung möglich gemacht haben, und ich weiß es wirklich zu schätzen, dass Sie sich die Zeit genommen haben, in diesem entscheidenden und schmerzhaften Moment in der Geschichte Israels und Palästinas bei uns zu sein.
Vor dem 7. Oktober 2023 blickte ein Großteil der israelisch-jüdischen Gesellschaft mit einer gewissen Angst und Besorgnis auf die letzten Wochen dieses Monats. Der Hauptdiskurs in Israel bis zum 7. Oktober 2023 war: Was wird die Zukunft Israels sein? Wöchentliche Demonstrationen von Hunderttausenden von Israelis waren Teil einer Protestbewegung gegen den Versuch der Regierung, die israelische Verfassung zu ändern und ein neues politisches System zu schaffen, in dem die politischen Mächte die totale Kontrolle über das Justizsystem haben und der öffentliche Bereich weitaus stärker von messianischen und religiösen jüdischen Gruppen kontrolliert wird.
In einem meiner Artikel beschreibe ich diesen besonderen Kampf um die Identität Israels, der bis zum 7. Oktober 2023 das Hauptthema war, als einen Kampf zwischen dem Staat Judäa und dem Staat Israel. Der Staat Judäa war der Staat, der im Westjordanland von jüdischen Siedlern gegründet wurde und der eine Art Kombination aus messianischem Judentum, zionistischem Fanatismus und Rassismus darstellte und zu einer Art Machtstruktur wurde, die in den letzten Jahren, insbesondere unter der Netanjahu-Regierung, sehr viel stärker in den Vordergrund trat und im Begriff war, ihre Lebensweise, ihre Lebensauffassung dem Rest Israels jenseits dessen, was wir Judäa nennen, in gewissem Sinne jenseits des Westjordanlands oder des jüdischen Raums im Westjordanland aufzuzwingen.
Dagegen stand der Staat Israel. Der Staat Israel, wenn Sie so wollen, wird am besten durch die Stadt Tel Aviv verkörpert, die Idee, dass Israel pluralistisch, demokratisch, säkular, vor allem westlich oder europäisch ist, wenn Sie so wollen, und der um sein Leben gegen den Staat Judäa kämpft. Dies schien der Schwerpunkt zu sein – fast könnte man es einen Bürgerkrieg nennen, wenn auch nicht einen echten Bürgerkrieg, so doch zumindest einen kalten Bürgerkrieg, einen kulturellen Krieg, den die israelischen Juden untereinander führen. Als einige Leute zu beiden Seiten dieses inner-israelischen Streits sagten: "Was ist zum Beispiel mit der Besetzung des Westjordanlandes? Sollte das nicht Teil der Diskussion über die Zukunft Israels sein?" Ihnen wurde gesagt: "Nein! Die Besatzung sollte von keiner Seite erwähnt werden. Die Besatzung ist irrelevant für die Zukunft Israels", wurde uns gesagt. Tatsächlich wurde jeder, der versuchte, die Besatzung als Thema in die Proteste, die wöchentlichen Proteste, gegen die Gesetzesreform oder Gesetzesrevolution, wie sie es gerne nennen, einzubringen, aufgefordert, zu gehen und nicht mit einer größeren Gruppe von Demonstranten zu erscheinen, die die israelische Flagge schwenkten.
Wenn Sie die palästinensische Flagge zu dieser Demonstration mitgebracht hätten, wären Sie mit Sicherheit zusammengeschlagen und aus der Demonstration geworfen worden. Wenn Sie die Tatsache erwähnen würden, dass die Zukunft Israels vielleicht auch die Bedingungen und die Situation der fast zwei Millionen palästinensischen Bürger Israels einschließt, die im letzten Jahr durch einen Prozess der Kriminalisierung gegangen sind... Kriminelle Banden terrorisieren immer noch das Leben der palästinensischen Bürger in Israel, überall in Israel... Bewaffnete Banden, kriminelle Banden, viele von ihnen sind ehemalige Kollaborateure Israels im Westjordanland und im Gazastreifen, die nach dem Osloer Abkommen aus diesen Gebieten abgezogen wurden, die sehr, sehr gut mit Waffen ausgerüstet und völlig immunisiert sind gegen jede polizeiliche Verfolgung oder jede Art von wirksamen Maßnahmen zur Bekämpfung der Kriminalität, was bedeutet, dass, wie viele von Ihnen vielleicht wissen, Palästinenser, die in Israel selbst leben – ich spreche von israelischen Bürgern – Angst haben, nachts auf die Straße zu gehen, wegen der neuen Realität in ihren Straßen und Plätzen. Auch das sollte also kein Thema sein, das in der Öffentlichkeit über die Zukunft Israels diskutiert werden sollte.
Wenn man Ostjerusalem und die ethnische Säuberung der arabischen Stadtteile Jerusalems erwähnen wollte, sagten die Demonstranten und ihre Anführer erneut: "Das ist kein wichtiges Thema." Oder wie Amira Hass, die mutige Journalistin von Haaretz, es ausgedrückt hat: "Soweit es die Israelis betrifft – und das ist bis zum 7. Oktober 2023 – existierte die Besatzung nicht." Was bedeutet: Sie existierte nicht mehr als Problem. Das Problem ist gelöst. Es ist gelöst. Es gibt eine PA (die Palästinensische Autonomiebehörde). Es gibt eine sehr intensive jüdische Präsenz von Siedlungen im Westjordanland. Niemand muss sich mehr damit befassen. Wenn man sich die letzten vier Wahlkämpfe in Israel ansieht – und davon gab es einige, wie Sie sich vielleicht erinnern, einen nach dem anderen im Jahresrhythmus: Niemand hat das Palästina-Thema erwähnt, die Palästina-Frage, die Besatzung – nennen Sie es, wie Sie wollen – das war kein Thema, über das die Israelis abstimmen sollten, weil es als Problem nicht mehr existierte.
Wenn man den Gazastreifen erwähnte, wenn man über die Belagerung des Gazastreifens sprach, sagten die Leute wieder: "Wovon redest du? Das ist doch auch ein Thema, das niemanden mehr stört." Und sie wurden auf die tägliche Tötung von Palästinensern im letzten Jahr – sagen wir, in den letzten zwei Jahren – hingewiesen, auf die tägliche Tötung von Palästinensern im Westjordanland, und darauf, dass die schwache Palästinensische Autonomiebehörde nicht in der Lage ist, die Palästinenser vor der Gewalt der Siedler, der israelischen Armee und der israelischen Grenzpolizei zu schützen, nicht bedeutet, dass es keine palästinensischen Gruppen gibt, die versuchen werden, die Palästinenser zu verteidigen, nicht nur im Gazastreifen, sondern auch in anderen Teilen des historischen Palästina. Das wurde der israelischen Öffentlichkeit, den politischen Entscheidungsträgern und den Chefs des israelischen Militärs und Geheimdienstes immer wieder gesagt. Aber sie sagten: "Nein, es gibt kein Problem. Das einzige Problem ist die Gesetzesreform, ob wir sie nun akzeptieren oder nicht."
Und es war ganz klar, warum all diese anderen Themen nicht behandelt wurden, denn im Wesentlichen hatten wir in Israel einen Kampf zwischen zwei Formen der Apartheid: Es gab die säkulare israelische Apartheid, in der die israelischen Juden definitiv das Leben in einer Demokratie genießen, in einer pluralistischen Demokratie, wenn Sie so wollen, einer Demokratie westlichen Stils. Das ist die Art von Apartheid, die sie aufrechterhalten wollen. Und es gab die Gegenversion der Apartheid, die messianische, die religiöse, die theokratische Version. Der Kampf war also eine inner-jüdische Angelegenheit, bei der es darum ging, wie das jüdische Leben in der Öffentlichkeit aussehen soll, ohne Bezug auf das Leben der Palästinenser, sei es unter der Besatzung im Westjordanland, unter der Belagerung im Gazastreifen oder unter einem diskriminierenden System innerhalb Israels, ganz zu schweigen von den vielen Millionen palästinensischer Flüchtlinge.
All das war da, und es ist den Israelis am Morgen des 7. Oktobers um die Ohren geflogen. Und es gibt jetzt eine optische Täuschung, als ob aufgrund des Schocks, den Israel am Morgen des 7. Oktober erlitten hat, all diese Risse im Gebäude, im zionistischen Gebäude, verschwunden seien, weil der Hamas-Angriff so brutal, so verheerend war, dass alle internen Debatten vergessen seien und alle hinter der Armee und ihrem gegenwärtigen Plan stünden, in den Gazastreifen einzumarschieren und mit der bereits begonnenen völkermörderischen Politik vor Ort zu beginnen. Ich glaube, das ist eine optische Täuschung. Ich denke, dass die israelischen inneren Unruhen nicht verschwinden werden. Sie werden zurückkehren. Ich weiß nicht wann, aber sie werden zurückkehren.
Aber was noch wichtiger ist, und darauf sollten wir, denke ich, als Aktivisten, als Akademiker, als jeder, der auf die eine oder andere Weise mit Palästina und dem palästinensischen Kampf zu tun hat, bestehen, ist unser Beharren darauf, dass die Ereignisse des 7. Oktober – wie auch immer wir sie verstehen, wie auch immer wir sie betrachten: vom menschlichen Standpunkt aus, vom strategischen Standpunkt aus, vom moralischen Standpunkt aus – wie auch immer wir uns ihnen nähern, wir sollten nicht in die Falle tappen – wie es scheint, tappen sogar viele gute Leute in diesem Land in diese Falle – die Ereignisse des 7. Oktobers zu dekontextualisieren und zu dehistorisieren.
Und daran wird sich auch in den kommenden Wochen nichts ändern: Die grundlegende Realität vor Ort ist immer noch dieselbe Realität vor Ort wie vor dem 7. Oktober. Das palästinensische Volk befindet sich seit wahrscheinlich 1929, wahrscheinlich seit 1929, in einem Befreiungskampf. Es ist ein antikolonialistischer Kampf. Es ist ein antikolonialistischer Kampf gegen die Siedler. Und jeder antikolonialistische Kampf hat seine Höhen und Tiefen. Jeder antikolonialistische Kampf hat glorreiche Momente und schwierige Momente der Gewalt. Die Entkolonialisierung ist kein pharmazeutischer Prozess. Sie ist kein steriler Prozess. Es ist eine chaotische Angelegenheit, und je länger der Kolonialismus und die Unterdrückung andauern, desto wahrscheinlicher ist es, dass der Ausbruch gewalttätig und verzweifelt ist, in vielerlei Hinsicht.
Und das ist so wichtig, um die Menschen an die Geschichte der Sklavenaufstände in diesem Land zu erinnern und wie sie endeten. Die Aufstände der amerikanischen Ureinwohner, die Rebellionen der Algerier gegen die Siedler in Algerien, das Massaker von Oran während des Befreiungskampfes der FLN. Dies ist Teil des Befreiungskampfes. Man kann manchmal einige der strategischen Ideen in Frage stellen, man kann einige unangenehme Momente haben, und das zu Recht, über die Art und Weise, wie die Dinge gemacht wurden. Aber man darf nie seinen moralischen Kompass verlieren, damit man das Ereignis selbst nicht dekontextualisiert und enthistorisiert.
Sie scheinen gegen eine typische Berichterstattung anzukämpfen, sowohl in den Medien als auch in der Wissenschaft in diesem Land und im Westen im Allgemeinen und im globalen Norden im Allgemeinen, die die Fähigkeit hat, ein Ereignis zu nehmen und mit dem Ereignis zu beginnen, als ob es keine Geschichte hätte, als ob es keine Konsequenzen hätte. Ich meine, selbst die Geschichten über die Party oder das Festival, das am 7. Oktober überfallen wurde, erwähnen nicht die Tatsache, dass dies ein Fest der Liebe und des Friedens war, anderthalb Kilometer vom Ghetto von Gaza entfernt. Die Menschen feierten Liebe und Frieden, während die Menschen in Gaza zwei Kilometer von diesem Zaun entfernt unter einer der brutalsten Belagerungen in der Geschichte der Menschheit standen, die seit mehr als 15 Jahren andauert und von den Israelis kontrolliert wurde, die entschieden, wie viele Kalorien in den Gazastreifen gelangen, die entschieden, wer rein und wer raus geht, und die zwei Millionen Menschen im größten Gefängnis, einem offenen Gefängnis der Welt, festhielten.
In all diesen Kontexten kann man sich, denke ich, moralisch bewegen, ohne den Kompass zu verlieren. Aber viel wichtiger als der unmittelbare Kontext und sogar der Kontext der Belagerung – und darauf möchte ich mich heute Abend konzentrieren – ist die Tatsache, dass eine der größten Herausforderungen für Palästina-Aktivisten oder Palästina-Wissenschaftler, die Aktivisten sind, darin besteht, dass wir eine jahrzehntelange Propaganda und Fälschungen und Gegenerzählungen nicht mit Soundbites bekämpfen können. Das ist unser Hauptproblem, denke ich. Wir brauchen Raum. Wir brauchen Zeit, um die Realität zu erklären, denn so viele Kanäle, so viele Informationsquellen, so viele Orte, an denen Wissen produziert wird, haben ein Bild, eine Analyse von Palästina gezeichnet, die falsch und fabriziert ist und die über die Jahre mit Hilfe der akademischen Welt, der Medien, Hollywood, Fernsehserien und so weiter aufgebaut wurde. Ich meine, das sind Medien, die auf den Verstand und die Emotionen der Menschen einwirken, und sie haben eine bestimmte Geschichte geschaffen, die man nicht mit einem einzigen Soundbite widerlegen kann.
Sie können sie nicht einmal allein durch Ihr Gerechtigkeitsempfinden anfechten. Man kann sie nur widerlegen, wenn der Gerechtigkeitssinn auf einer profunden Kenntnis der Geschichte, einer profunden und genauen Analyse der Realität und der richtigen Sprache beruht. Denn die Sprache, die sogar von liberalen, so genannten progressiven Kräften verwendet wird, ist eine Sprache, die Israel immunisiert und es nicht zulässt, dass der palästinensische antikoloniale Kampf gerechtfertigt, akzeptiert und legitimiert wird.
Und wissen Sie, im Pantheon des antikolonialen Kampfes, in das viele Menschen viele Helden von Nelson Mandela über Gandhi bis hin zu anderen wichtigen Führern der Befreiungsbewegungen aufnehmen würden, werden Sie keinen einzigen Palästinenser finden. Die werden immer als Terroristen behandelt, obwohl sie im Grunde genommen auch eine antikolonialistische Bewegung waren.
Und diese Art von Beharrlichkeit, die richtige Sprache zu verwenden, die Geschichte des Ortes zu kennen und die richtige Analyse zu haben, ist etwas, wie ich schon sagte, wofür man Raum braucht. Man kann nicht einfach kommen und sagen. "Du hast Unrecht und ich habe Recht." Und das ist eine große Herausforderung für uns alle, denke ich, in einem Moment, wie zum Beispiel in diesen Tagen in Amerika, wo es diese bedingungslose Unterstützung für Israel und eine heuchlerische Haltung gegenüber dem Leiden der Israelis zu geben scheint, die zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte Palästinas gegenüber dem Leiden der Palästinenser gezeigt wurde.
Die Geschichtsstunde, die das Gegenmittel gegen die Enthistorisierung der Ereignisse des 7. Oktobers und der Ereignisse ist, die sich heute und wahrscheinlich in den nächsten Wochen, wenn nicht Monaten, vor unseren Augen abspielen, hat zwei Ebenen, zwei Grundpfeiler, auf denen sie stehen sollten und die meiner Meinung nach für jeden sehr wichtig sind, egal ob er auf individueller oder institutioneller Basis im akademischen Bereich oder im Medienbereich an öffentlichen Debatten beteiligt ist, diese gleichen Pfeiler sind für alle diese Arten von Kämpfen relevant.
Einer davon ist: Niemals von unserem Beharren auf einer genauen Definition des Zionismus abzulassen. Das ist so wichtig. Man kann, man sollte keine Diskussion darüber zulassen, was heute in Israel oder in Palästina vor sich geht, ohne über den Zionismus zu sprechen. Und deshalb – und das ist kein Zufall – haben Israel und seine Unterstützer in diesem Land und in anderen Ländern so viele Anstrengungen unternommen, um Antizionismus mit Antisemitismus gleichzusetzen. Wer das Wort Zionismus auch nur erwähnt, befindet sich bereits im Bereich, im gefährlichen Bereich, als Antisemit zu gelten und wird deshalb zum Schweigen gebracht. Das heißt aber nicht, dass dies nicht der einzige und richtige Weg ist, die Geschichte zu beginnen.
Die Geschichte beginnt mit einer Ideologie, die rassistisch ist. In ihrem Kern ist sie eine rassistische Ideologie. Sie gehört zur Genealogie des Rassismus – und nicht zur Geschichte der Befreiungsbewegungen, wie sie an den meisten amerikanischen Universitäten gelehrt wird – und auch nicht zur Geschichte der nationalen Bewegungen, wie sie in den meisten Ländern des globalen Nordens gelehrt wird oder über die die westlichen Medien sprechen und berichten. Nein! Sie gehört zur Geschichte des Rassismus. Sie ist eine Ideologie, die nicht an ihrem Ursprung gemessen werden darf, sondern in der Art und Weise, wie sie sich in dem Land Palästina manifestiert hat. Und dieser Rassismus ist Teil des siedlungskolonialen Charakters der zionistischen Bewegung.
Es handelt sich nämlich um eine Bewegung, die nicht außergewöhnlich ist, die Sie auch hierzulande [in den USA] von Europäern kennen, die aus Europa hinausgeworfen wurden und einen anderen Ort finden mussten, um anderswo Europäer zu sein, weil sie als Europäer nicht akzeptiert wurden. Und sie fanden Länder, in denen bereits andere Menschen lebten, und wie der verstorbene Patrick Wolfe gesagt hat, wurde bei dieser Begegnung die Logik der Eliminierung des Eingeborenen in dem Moment aktiviert, als diese Siedler auf die Eingeborenen trafen. Und das trifft auch auf Palästina zu. Eine Politik der Eliminierung war die DNA der zionistischen Begegnung mit den Palästinensern seit den Anfängen der zionistischen Bewegung im späten 19. Jahrhundert. Um es in weniger akademischen Worten auszudrücken: Man wollte so viel Palästina wie möglich mit so wenigen Palästinensern wie möglich. Es gab immer die demografische und die geografische Dimension, die Bevölkerungsdimension und die Raumdimension. Je mehr Raum man hat, desto weniger will man die einheimische Bevölkerung darin haben.
Eliminierungspolitik kann Völkermord, ethnische Säuberung oder Apartheid sein. Sie nimmt an verschiedenen Orten unterschiedliche Formen an, und sie nimmt an ein und demselben Ort unterschiedliche Formen an, je nach Kapazität, historischen Umständen und Bedingungen. Aber man kann das, was in Gaza geschah, nicht aus dieser israelischen und davor zionistischen Eliminierungspolitik herausnehmen, aus der Eliminierung der Eingeborenen, einer Eliminierung der Eingeborenen, die zuerst im zionistischen Denken, in den Zeichnungen zionistischer Maler, in den Schriften zionistischer Denker begann und in den 1930er Jahren zu einer Strategie wurde, die 1948 in der ethnischen Säuberung Palästinas erstmals umgesetzt wurde, die mit der Vertreibung der Hälfte der Palästinenser und der Zerstörung der Hälfte der Dörfer Palästinas endete. Übrigens sind viele dieser Dörfer... Auf den Ruinen dieser Dörfer... Einige der Kibbuzim, die von der Hamas für ein paar Stunden besetzt wurden, wurden auf den Ruinen dieser palästinensischen Dörfer von 1948 gebaut. Und nicht wenige der Palästinenser, die in diese Kibbuzim gingen, waren eine dritte Generation palästinensischer Flüchtlinge aus eben diesen zerstörten Dörfern, nicht weit von Gaza entfernt. Auch das ist Teil der Geschichte.
Nicht alles, was ich hier sage, bedeutet, dass ich alles rechtfertige, was getan wurde. Nein! Das tue ich nicht! Aber es bedeutet, dass es Ihnen einen historischen Kontext gibt, ohne den Sie nicht an die Quelle der Gewalt herankommen und nur die Symptome der Gewalt behandeln. Und man muss an die Quelle der Gewalt gehen. Und die Quelle der Gewalt ist eine bestimmte Ideologie, eine bestimmte rassistische Ideologie, eine zionistische Ideologie, die im Kern die Idee der Eliminierung der Eingeborenen ist.
Wie ich bereits sagte, ist dies nicht nur im Zionismus der Fall. Es gab auch andere europäische Siedlerkolonialbewegungen, die definitiv von der Idee der Eliminierung der Eingeborenen motiviert und inspiriert waren.
Wenn man sich also nur oberflächlich mit dieser Geschichte befasst, versteht man, dass für eine ideologische Bewegung, die von der Idee motiviert ist, so viel neues Land wie möglich mit so wenig Einheimischen wie möglich zu besitzen, die historische Periode, in der sie konzipiert wurde, und die historische Periode, in der sie ihre Politik der Eliminierung umsetzte, wirklich wichtig ist. Wenn man nun diese Politik der Eliminierung im 19. Jahrhundert durchgeführt hat, wie es in den Vereinigten Staaten geschehen ist, dann spricht man von einer Welt, die dem Kolonialismus, dem Rassismus und anderen kollektiven Menschenrechten oder Bürgerrechten gegenüber ziemlich gleichgültig war.
Aber wenn Sie sich sagen: Moment mal, das wurde doch nach dem Zweiten Weltkrieg gemacht. Es geschah im Jahr der Erklärung der Menschenrechte, auf die die Welt so stolz war, weil sie der Welt nach dem Zweiten Weltkrieg sagte: Wir haben jetzt die moralische Grundlage, die sicherstellt, dass das massive Töten von Menschen, wie wir es im Zweiten Weltkrieg gesehen haben, der Rassismus, den wir an so vielen Orten gesehen haben, ausgerottet wird, weil es einen moralischen Konsens gibt. Wenn man bedenkt, dass Südafrika im selben Jahr das Apartheidgesetz erließ und Israel die ethnische Säuberung Palästinas durchführte, beginnt man die Botschaft zu verstehen, die sowohl das Apartheidregime in Südafrika als auch, was noch wichtiger ist, der zionistische Staat 1948 von der internationalen Gemeinschaft erhielten: Ja, wir verkünden mit Stolz die Erklärung der Menschenrechte, aber wir sagen euch auch: Sie gilt nicht für euch. Sie gilt nicht für euch.
Die Botschaft der Welt war, dass die ethnische Säuberung Palästinas hauptsächlich aus dem Grund akzeptabel ist – ich meine, das war die Propaganda, ich glaube nicht, dass das der wahre Grund war – aber es war die Art zu sagen, in den Worten eines amerikanischen Intellektuellen: Es war die Tolerierung einer kleinen Ungerechtigkeit, um eine viel größere Ungerechtigkeit zu korrigieren, nämlich: Die Palästinenser mussten die Juden für tausend Jahre europäischen und christlichen Antisemitismus entschädigen.
Und die Abmachung war sehr klar, und deshalb war Israel der erste Staat, der ein neues Deutschland anerkannte – die Menschen in Europa und im Westen zögerten sehr, ob sie Westdeutschland als Mitglied der zivilisierten Nationen akzeptieren sollten, so wenige Jahre nach dem Naziregime – aber in dem Moment, in dem sie grünes Licht von Israel bekamen – das vorgab, und das nicht zu Recht, sowohl die Überlebenden des Holocausts als auch die Opfer des Holocausts als ultimativer Vertreter des Holocausts zu vertreten – sagten sie: "Wir werden ein neues Deutschland ausrufen und im Gegenzug wollen wir, dass sich der Westen nicht in das einmischt, was wir in Palästina tun."
Man hätte erwartet, dass Israel zumindest das dritte Land ist, das ein neues Deutschland anerkennt, nicht das erste. Aber es war sehr wichtig für sie [die Israelis], dieses Abkommen zu schließen. Es bedeutete auch, dass das neue Deutschland Israel mit einer enormen finanziellen Unterstützung versorgte, die dazu beitrug, die moderne israelische Armee bereits in den frühen 1950er Jahren aufzubauen.
Wenn nun die Botschaft aus der Welt kam, dass ethnische Säuberungen im Falle des Staates Israel eine akzeptable Methode der nationalen Sicherheitsstrategie sind, ist es nicht so überraschend, dass die ethnischen Säuberungen fortgesetzt wurden. Israel hat zwischen 1948 und 1967 36 Dörfer innerhalb Israels vertrieben. Israel hat 300.000 Palästinenser aus dem Westjordanland und dem Gazastreifen während des Juni 1967 Krieges vertrieben. Von 1967 bis heute hat Israel fast 700.000 Palästinenser aus dem Westjordanland und dem Gazastreifen vertrieben, und während wir hier sprechen, setzt Israel die ethnische Säuberung in Orten wie Masafi [?], Yata [?], den südlichen Hebron-Bergen, dem Großraum Jerusalem und anderen Teilen Palästinas fort.
Die ethnische Säuberung der Palästinenser wurde zur DNA der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern, und sie beschäftigt Hunderttausende von Menschen, um sie durchzuführen, denn es handelt sich nicht um massive ethnische Säuberungen wie 1948. Es handelt sich um schrittweise ethnische Säuberungen. Manchmal handelt es sich um die Vertreibung einer Person, einer Familie. Manchmal handelt es sich nicht einmal um eine Vertreibung. Manchmal handelt es sich um die Schließung eines Dorfes oder die Abriegelung des Gazastreifens. Das ist auch eine Form der ethnischen Säuberung, denn wenn man das Gaza-Ghetto schafft, muss man die zwei Millionen Palästinenser nicht in das demografische Gleichgewicht zwischen Arabern und Juden einrechnen, weil diese Palästinenser kein Mitspracherecht bei der Zukunft des historischen Palästina haben.
Das ist die eine historische Säule, die notwendig ist für jeden, der diese abscheuliche Sprache benutzt, die jetzt gegen die Palästinenser verwendet wird, wenn Leute uns sagen, dass wir den Terrorismus unterstützen, wenn Leute das, was am 7. Oktober morgens passiert ist, mit dem Holocaust vergleichen und damit die Erinnerung an den Holocaust völlig missbrauchen – entweder verstehen sie es nicht oder sie wissen nicht, was sie tun – aber selbst wenn sie sich darauf einlassen und die hohe moralische Warte einnehmen, es ist so wichtig, dieses besondere Ereignis in die breitere Geschichte des modernen Palästinas und die besondere Geschichte der Belagerung des Gazastreifens einzuordnen, die 2007 begann, die unmenschliche Belagerung von 2 Millionen Menschen in einer der längsten, wahrscheinlich der längsten Belagerung, die es je für eine so große Anzahl von Menschen in Bezug auf Nahrung, Wasser, Bewegungsfreiheit und andere grundlegende Lebensbedürfnisse gegeben hat, die bereits die Vereinten Nationen im Jahr 2020 zu der Feststellung veranlasste, dass das Leben im Gazastreifen für Menschen unerträglich ist. Schon vor drei Jahren waren sie der Meinung, dass wir die rote Linie in Gaza überschritten haben.
Seien Sie also nicht überrascht, wenn die Leute dort ausbrechen. Es gibt Empörung. Es gibt Rache. Es gibt Gewalt. Natürlich gibt es das. Das Gleiche geschah bei den Aufständen der Sklaven, der indianischen Ureinwohner Amerikas, der kolonisierten Völker von Indien bis Nordafrika. Der antikoloniale Kampf ist, wie ich bereits sagte, kein Werk von Quäkern und Pazifisten. Er kann sehr gewalttätig und sehr friedlich sein, und vieles davon hängt davon ab, wie sehr der Kolonisator, der ethnische Säuberer, bereit ist, die Tatsache zu akzeptieren, dass die Menschen, die kolonisiert oder unterdrückt werden, nicht verschwinden und ihren Kampf nicht aufgeben werden. Je eher man das begreift, desto wahrscheinlicher ist ein friedlicher Übergang von einer kolonialistischen zu einer postkolonialistischen Realität.
Wenn ihr euch weigert, dies zu verstehen, wird es euch immer wieder ins Gesicht schlagen, und der 7. Oktober ist nicht der letzte Moment eines solchen Ereignisses.
Aber es gibt noch einen anderen historischen Kontext, auf den ich Sie aufmerksam machen möchte, und der ist sehr wichtig, denn bei all dem Diskurs, der die Berichterstattung in den Medien und von den Politikern in diesem Land und im Westen im Allgemeinen begleitet, war sehr gut zu beobachten, wie die Menschen zu Verallgemeinerungen über die Palästinenser übergingen, wie sie diese Adjektive über die Palästinenser, die allgemeinen Eigenschaften der Palästinenser, verwendeten. Wir haben das schon nach 911 über Muslime im Allgemeinen gehört. Wir haben es während der Kolonialzeit gegen alle Menschen getan, die es wagten, das Imperium herauszufordern. Das ist nichts Neues. Aber es ist wichtig, die Menschen daran zu erinnern, dass der Zionismus eine Katastrophe war, die ein Palästina zerstört hat, das ohne den Zionismus anders gewesen wäre.
Es ist so wichtig, die Menschen daran zu erinnern, wie Palästina vor 1948 war. Ein Palästina, in dem Muslime, Christen und Juden nebeneinander lebten, als die Koexistenz keine erfundene Idee von "leben und leben lassen" war, sondern eine ursprüngliche, echte Form des Zusammenlebens. Man sollte das natürlich nicht idealisieren. Es gab Spannungen, es gab Krisenmomente. Aber es war ein Mosaik des Lebens, das es den Menschen besonders in Palästina ermöglichte, auch das zu genießen, was das Land zu bieten hatte. Und das Land hatte etwas zu bieten, was man heute in Palästina nicht mehr findet. Das Land bot zum Beispiel Wasser im Überfluss. Nur Menschen, die sich an Palästina vor 1948 erinnern, wissen, dass jedes palästinensische Dorf einen Bach mit frischem Wasser hatte. Wissen Sie, diese zionistische Fabel, die der Präsident der EU erst kürzlich wiederholt hat, indem er sagte, dass der Zionismus die Wüste zum Blühen gebracht habe... Das ist eine solche Fälschung der Geschichte.
Der Zionismus hat ein blühendes Land an vielen Stellen in eine Wüste verwandelt. Das ist etwas, das man... Aber man kann es nur tun, wenn man – mit Hilfe von Historikern – das Palästina rekonstruiert, das es vor 1948 gab, sowohl in Bezug auf die Menschen und die menschlichen Beziehungen als auch in ökologischer Hinsicht. Die ganze Verbindung zwischen Palästinensern und Kräutern zum Beispiel, eine Natur, die der Zionismus zerstört hat, war Teil der Lebensqualität, die die Palästinenser hatten.
Wie der verstorbene Emil Habibi es ausgedrückt hat, als er in der Abbas-Straße in Haifa lebte. Er sagte: "Vor 1948 wusste ich nicht, wer in meiner Straße ein Christ oder ein Muslim war." Und ich denke, das ist etwas, das keine Nostalgie um der Nostalgie willen ist. Dies ist eine alternative Geschichte, wenn Sie so wollen, in dem Sinne, dass es die Möglichkeit eines anderen Palästinas gab.
Und in diese Geschichte sollten wir auch die Tatsache einbeziehen, dass die palästinensische Nationalbewegung, die palästinensische antikolonialistische Nationalbewegung, von dem Moment an, als der Zionismus in Palästina, im historischen Palästina, Fuß fasste, zwei Prinzipien treu war, und das ist so gut dokumentiert, dass man sich nicht sehr anstrengen muss, es zu finden: Es gab zwei Prinzipien, denen die Palästinenser treu waren, und sie sagten es insbesondere den Amerikanern, denn die Amerikaner brachten dieses Prinzip durch Präsident Woodrow Wilson 1918 in die arabische Welt, insbesondere in den östlichen Mittelmeerraum, und die Vereinten Nationen wiederholten diese Prinzipien.
Ein Grundsatz war das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Die Palästinenser sagten: "Wir verdienen auch das Recht auf Selbstbestimmung, wie die Iraker, wie die Libanesen, wie die Ägypter."
Das zweite Prinzip war die Demokratie: "Wissen Sie, wenn Sie uns aus der osmanischen Herrschaft herausholen, unter der wir 400 Jahre lang standen, und Sie wollen, dass wir über unsere Zukunft nach der osmanischen Herrschaft entscheiden, was wird dann unsere Zukunft sein? Wie wird unser Regime, unser Staat, unsere politische Existenz aussehen? Wir wollen demokratisch – durch die Abstimmung der Mehrheit – entscheiden, ob wir Teil von Großsyrien sein wollen, ob wir ein unabhängiges arabisches Palästina sein wollen, vielleicht wollen wir in einer föderierten panarabischen Republik sein, aber das ist unsere Sache."
Und jede amerikanische Delegation, die von 1918 bis 1948 dorthin reiste, jede internationale Delegation, ob angloamerikanisch oder eine andere Organisation, antwortete den Palästinensern, dass das Prinzip der Demokratie und der Selbstbestimmung zwar von der westlichen Welt hochgehalten wird und sie es als die richtigen Pfeiler ansehen, auf denen die neue post-osmanische arabische Welt aufgebaut werden soll, dass es aber nicht auf Palästina angewendet werden kann, weil das britische Empire versprochen hatte, aus Palästina einen jüdischen Staat zu machen. Und weil die Juden eine so winzige Minderheit sind, kann der Grundsatz der Selbstbestimmung nicht auf die Palästinenser angewandt werden, und natürlich kommt der Grundsatz der Mehrheit oder demokratischer Wahlen für die Palästinenser nicht in Frage.
Dies ist auch wichtig im Zusammenhang mit unserer historischen Reise in die Vergangenheit, um die Art der Unterdrückung, die Art der Geschichte oder die Genologie des Rassismus zu kontextualisieren, die vom Westen gebilligt und unterstützt wurde, als es um Palästina ging. Diese andere Säule ist nicht nur wichtig, um uns daran zu erinnern, was der Zionismus getan hat oder was Palästina hätte sein können.
Dies ist das Fundament, auf dem wir ein Palästina nach der Befreiung, ein post-koloniales Palästina aufbauen werden. Dies ist das Fundament. Und denken Sie über die Elemente dieser Vergangenheit nach und darüber, wie sie sich auf eine andere Realität beziehen als die, die wir hatten, und lassen Sie sich durch den aktuellen Angriff auf den Gazastreifen, die völkermörderische Politik Israels, nicht davon abhalten, weiter über die Befreiung Palästinas nachzudenken und darüber, wie das befreite Palästina aussehen würde.
Und sprechen Sie mit den Palästinensern, die nicht nur über den taktischen Schritt von morgen nachdenken, sondern die sich das vorstellen – so habe ich es in meinem Buch mit Ramzy Baroud gemacht, wir haben mit 40 palästinensischen Denkern gesprochen und sie gefragt: Wie stellen Sie sich ein befreites Palästina vor? Und wenn man sich anschaut, wie die Vision, ihre Vision für die Befreiung und die Vision der Befreiung nicht nur darin besteht, wie man für die Befreiung kämpft, sondern was wird die Befreiung mit sich bringen?
Es sind all die Elemente, die es in Palästina vor 1948 gab: Eine Gesellschaft, die nicht aufgrund von Religion, Sekte oder kultureller Identität diskriminiert, eine Gesellschaft, die die Demokratie respektiert, eine Gesellschaft, die die Prinzipien von "leben und leben lassen" respektiert, und – was vielleicht noch wichtiger ist – eine Gesellschaft, die Palästina organisch in die arabische Welt, in die muslimische Welt zurückbringt, an den Ort, aus dem es mit Gewalt herausgeholt wurde. Teil der arabischen Welt zu sein, ist für viele Menschen kein einfaches Szenario, und das zu Recht. Aber man kann nicht Teil der Lösung oder der positiveren Szenarien für die arabische Welt sein, wenn man nicht Teil der Probleme der arabischen Welt ist. Man kann keine Diskussion über die Menschenrechte im Iran oder die Bürgerrechte in Ägypten führen, wenn man die Bürger- und Menschenrechte der Palästinenser nicht mit einbezieht. Diese Diskussionen sind sinnlos, weil man immer wieder auf den Exzeptionalismus des palästinensischen Mangels an diesen Rechten stößt und sich in einer unterlegenen Position wiederfindet, wenn man der arabischen Welt von außen helfen will, mit diesen Fragen der Menschenrechte und Bürgerrechte umzugehen. Und nur wenn Palästina, das zukünftige Palästina, Teil der arabischen Welt wäre, wäre es Teil ihrer Probleme, aber auch Teil ihrer Lösung.
Abschließend möchte ich sagen, dass ich den wichtigsten Punkt wiederholen möchte, den ich heute Abend wirklich ansprechen möchte: Es gibt immer eine Illusion mit einer Dramatik, und man darf das Drama, das wir sehen, nicht unterschätzen, die menschliche Katastrophe, und wir sehen leider, denke ich, nur den Anfang der menschlichen Katastrophe, die Israel leider nicht nur im Gazastreifen, sondern auch im Westjordanland anrichten wird. Sie werden dies als Vorwand nutzen, um ihre Politik auch im Westjordanland zu ändern. Natürlich ist es am dringlichsten, zu versuchen, dies mit allen uns in diesem Land zur Verfügung stehenden Mitteln zu stoppen, um Druck für eine internationale Intervention auszuüben und diese völkermörderische Politik zu stoppen, die, wie gesagt, ich befürchte, auch auf das Westjordanland ausgedehnt werden könnte. Aber ein Teil dessen, was wir immer tun müssen ist, Strategien für die Zukunft zu entwickeln, denn die grundlegenden Fragen werden auch nach dem Ende dieses besonderen Augenblicks auf die eine oder andere Weise weiter bestehen.
Und es ist diese Art von Diskussion, die meiner Meinung nach sicherstellen würde, dass wir unseren moralischen Kompass nicht verlieren. Wir lassen uns nicht davon abschrecken, dass man uns zu sagen versucht: "Nach dem, was am 7. Oktober geschehen ist, könnt ihr doch nicht eure alten Positionen zur Moral beibehalten." Und wir sollten die Menschen daran erinnern, dass niemand das Recht Algeriens, frei zu sein, das Recht Kenias, frei zu sein, das Recht Indiens, frei vom Kolonialismus zu sein, in Frage gestellt hat, ungeachtet aller Zwischenfälle im Befreiungskampf, ungeachtet des Ausmaßes der Gewalt, die dort herrschte, ungeachtet der Art und Weise, in der die antikolonialistischen Kräfte mit den kolonialistischen Kräften aufeinandertrafen.
Wir stellen niemals das Grundrecht auf Befreiung und Unabhängigkeit in Frage, und das sollten wir auch im Falle Palästinas nicht tun. Wenn man ein friedliches Palästina will, muss man zuallererst über ein freies Palästina sprechen.
Ich danke Ihnen.
[Beifall]
Ussama Makdisi:
Ilan, ich danke Ihnen für diesen außergewöhnlichen Vortrag, der wieder einmal die Bedeutung der Geschichte verdeutlicht hat. Es sind also zwei Historiker hier, viele aus dem Fachbereich Geschichte, Studenten und Dozenten.
Einerseits, Ilan, gibt uns der Blick auf die Geschichte und das Beharren auf einer ehrlichen Interpretation und Wiedergabe der Vergangenheit, insbesondere des palästinensischen Kolonial-Zionismus, die Möglichkeiten der Geschichte Palästinas vor dem Zionismus, den ökumenischen Charakter Palästinas, den Pluralismus Palästinas, wie Sie sagten, eine Vision für die Zukunft.
Aber wenn ich ein paar Fragen stellen dürfte, Ilan, um diese Sache fortzusetzen. Die erste Frage lautet also: Sie haben die ganze Genealogie der antikolonialen Bewegungen erwähnt, und wir sollten uns mit ihnen und ihren Erfahrungen befassen und einerseits differenziert betrachten, was heute vor sich geht, und nicht vor der Tatsache zurückschrecken, dass es selbst auf Seiten der antikolonialen Befreiungsbewegungen außerordentliche Gewalt gibt. Aber was ist mit der Tatsache, dass hier – und Sie erwähnten Joe Biden oder Sie spielten auf Joe Biden an, Sie spielten auf den Holocaust an... Sie sprachen vom Missbrauch der Erinnerung an den Holocaust. Wenn also Joe Biden sagt, dass der Hamas-Angriff – das direkte Zitat lautet "so folgenreich wie der Holocaust ist" – und angesichts der Tatsache, dass es eine so starke Identifikation mit Israel gibt, wie es sie nie mit Südafrika, nie mit Algerien oder Französisch-Algerien, vielleicht in den Vereinigten Staaten, nie mit einer dieser anderen kolonialen Bewegungen gegeben hat – wie stellen Sie sich vor, die antikoloniale Vergangenheit zu nutzen, um uns in der Zukunft zu helfen?
Ilan Pappé:
Wissen Sie, als Sie sprachen, dachte ich an ein bestimmtes Jahrzehnt der Geschichte: Die 1970er Jahre, als die afrikanischen Mitgliedsstaaten in den Vereinten Nationen, die gerade ihre antikolonialistische Befreiung hinter sich hatten, Palästina als eine offene Wunde der Kolonialisierung betrachteten, die geheilt werden musste, was zu ihrer Initiative führte – die Leute denken, es wäre eine arabische Initiative gewesen, aber es war eine afrikanische Initiative –, den Zionismus in der berühmten UN-Resolution von 1975 mit Rassismus gleichzusetzen.
Und wenn man sich anschaut – und viele der Dokumente aus dieser Zeit sind jetzt offengelegt – und ich verdanke es einigen meiner Leute, die daran arbeiten – den amerikanischen Druck auf die afrikanischen Delegationen, der etwa 15 Jahre lang aufrechterhalten wurde, damit sie das zurücknehmen und diese Resolution zurückziehen, wobei sie Einschüchterung und Bestechung einsetzten. Der Druck der Amerikaner auf die afrikanischen Delegationen hielt etwa 15 Jahre lang an, um diese Resolution zurückzuziehen, indem sie Einschüchterung, Bestechung und alles, was sie in der Hand hatten, einsetzten – das ist ein sehr wichtiges Kapitel in der Geschichte, denn es zeigt, dass es im globalen Süden immer noch einen grundlegenden Instinkt gibt, Palästina als kolonisierten Raum zu betrachten, den palästinensischen Widerstand als antikolonialistische Bewegung zu sehen und ihm Solidarität und Hilfe zu gewähren. Aber die politischen und vor allem die wirtschaftlichen Umstände lassen es nicht zu, dass dieses Gefühl – sogar in der arabischen Welt – zum Vorschein kommt.
Mit anderen Worten: Ich denke, was wir suchen sollten – weil die Palästinenser allein nicht in der Lage sein werden, dies zu tun – wir sollten nach der Art von Solidarität suchen, die es, wie Sie wissen, in den 70er Jahren von Lateinamerika bis Südostasien gab. Es gab diese Solidarität zuerst mit Algerien und dann mit Palästina: Das sind die beiden Bastionen des Kolonialismus, die befreit werden mussten.
Wir müssen sehen, ob es einen Weg gibt, diese Intersektionalität, diese transnationale Solidarität wieder zu schaffen. Diesmal haben wir gelernt, und wir haben es von Gruppen hier in den Vereinigten Staaten gelernt, dass wir nicht mehr im Zeitalter der nationalen Befreiungskämpfe sind. Vielerorts befinden wir uns vielmehr im Zeitalter des Kampfes von Minderheiten, von kulturellen Gruppen, von Afroamerikanern, von amerikanischen Ureinwohnern, First Nations und so weiter. Das ist die neue internationale Solidaritätsbewegung, von der ich denke die palästinensische antikoloniale Bewegung getragen werden kann.
Und es gibt zumindest Anzeichen dafür, dass die Produktion von Wissen an einigen Orten dekolonisiert wird. Ich meine die Tatsache, dass man über Palästina in akademischen Zeitschriften über indigene Studien lesen kann. Zeitschriften, die sich mit Siedlerkolonialismus befassen, haben Sonderausgaben zu Palästina. Es ist nicht leicht...
Ich habe heute Nachmittag, heute Mittag, mit Ihren Studenten gesprochen und ihnen gesagt: Es ist sehr schwierig, Palästina in einem allgemeinen Kurs über Kolonialismus und Antikolonialismus, Rassismus und Völkermord zu behandeln. Es ist also noch ein langer Weg zu gehen, und natürlich muss das Thema aus den Elfenbeintürmen in die Öffentlichkeit und den öffentlichen Diskurs getragen werden. Aber ich glaube, es ist möglich, weil es dort passiert ist. Es muss einen Grundinstinkt geben.
Und sehen Sie, was heute in der arabischen Welt passiert: Der ganze [Son of Abraham-Kult?] scheint viel unbeständiger und unsicherer zu sein als vor dem 7. Oktober, und schon damals stand er nicht auf festem Boden, was die Gesellschaften anging. Ich denke also, dass es die Möglichkeit gibt, diese historischen Momente zu betrachten und sich daran zu erinnern, dass es Momente des Zusammenhalts und der nationalen Solidarität gab, die wiederbelebt werden könnten, natürlich angepasst an die neue Realität des 21. Jahrhunderts.
Ussama Makdisi:
Okay, Ilan, ich danke Ihnen dafür. Aber ehrlich gesagt, wir leben hier. Sie sind gerade erst gekommen, Sie haben eine Woche in den USA verbracht. Aber für diejenigen von uns, die unterrichten und sich in anderen Bereichen für Gerechtigkeit in Palästina einsetzen, waren die letzten zwei Wochen nicht nur ein Schock und ein Horror, zu sehen, was in Gaza und mit Gaza und den Palästinensern passiert. Aber die Reaktion im Westen ist durchweg heftiger und entmenschlichter, als ich mich erinnern kann, und ich unterrichte seit 25 Jahren. Wie bringen Sie also dieses Sprechen über Solidarität und Intersektionalität mit der Tatsache in Einklang, dass wir in gewisser Weise rückwärts zu gehen scheinen? Können Sie mir ein paar...?
Ilan Pappé:
Ja, ich glaube, ich möchte hier zwei Punkte ansprechen: Der eine Punkt ist, dass wir unser strategisches Denken von unserer taktischen Reaktion trennen müssen. Ja, es gibt eine Welle des Schweigens, der Unterdrückung der Meinungsfreiheit, der Nutzung der Ereignisse vom Samstag als Vorwand und eine Lizenz, die Palästinenser als Nazis zu bezeichnen und den 7. Oktober mit dem Holocaust zu vergleichen. Das wird vorübergehen. Das wird vorbeigehen, weil die israelische Politik vor Ort – es ist zynisch, was ich jetzt sage, und es ist schrecklich, was ich jetzt sage – aber Sie können sich auf die Israelis verlassen, dass die Bilder des 7. Oktobers ersetzt werden oder dass zumindest zu diesen Bildern die Bilder hinzukommen, die wir bereits zu Beginn gesehen haben, und dass selbst Leute wie Biden nicht in der Lage sein werden, diese einseitige Vorstellung aufrechtzuerhalten, dass es nur Opfer und Gewalt auf einer Seite gab, leider. Da zähle ich auf die Israelis. Ich wünschte, ich würde es nicht sehen, aber das ist eine Möglichkeit.
Eine Frage ist also, wie man mit dem taktischen Sperrfeuer umgeht. Wie ein Freund von mir zu sagen pflegte: "Du wirst jetzt aus der Luft bombardiert und bist im Bunker. Vielleicht ist es kein guter Zeitpunkt, den Bunker zu verlassen, weil du getötet werden könntest. Aber die Bombardierung wird vorübergehen. Das erste Bombardement wird vorübergehen. Dann werdet ihr eine Chance haben."
Ich glaube nicht, dass die letzten zwei Wochen ein Indikator für eine Kampagne sind, die so lange aufrechterhalten werden kann. Schließlich hat es auch nach dem 11. September einige Zeit gedauert, bis die Akademiker und Studienvereinigungen und andere ihre Kritik ein wenig zurückgenommen haben und sogar im Falle Israels zum Boykott der israelischen Hochschulen zurückgekehrt sind usw. Das ist also ein Punkt.
Aber nicht weniger wichtig ist natürlich, dass Sie alle Ihnen zur Verfügung stehenden Mittel, insbesondere die rechtlichen Mittel, einsetzen, um gegen diese Mobber vorzugehen. Das ist jetzt ein Akt des Mobbings. Wenn es sich bei dem Mobber nicht um eine Person, sondern um die Universitätsleitung oder die Verwaltung handelt, ist es natürlich sehr schwierig, dagegen vorzugehen. Aber dennoch, die Basis... Ich weiß nicht, das ist zumindest das, was ich meinen Kindern sage: Die Basis, wenn man mit einem Tyrannen konfrontiert wird, ist, keine Angst zu haben und sich nicht einschüchtern zu lassen.
[Beifall]
Und sagen Sie es ihnen: Nein! Wir akzeptieren das nicht. Wir akzeptieren es nicht. Wir akzeptieren es nicht, dass wir die palästinensische Flagge nicht schwenken dürfen. Für uns ist dies die Flagge des Kampfes gegen Ungerechtigkeit. Für uns ist dies die Flagge der Gerechtigkeit. Nein, wir scheuen uns nicht zu sagen, dass wir das Recht der Menschen in Gaza verteidigen, sich selbst zu verteidigen. Wissen Sie, all diese Dinge, wenn man in seiner moralischen Auffassung vom Leben gefestigt ist, kann man diese Art von Mobbing, denke ich, in den Griff bekommen.
Wenn Sie sich in einer gefährdeten akademischen Position befinden, sollten Sie natürlich vorsichtiger vorgehen. Aber nicht alle von uns befinden sich in einer prekären Lage. Einige von uns haben eine solidere Position im Leben, und wir sollten sie nutzen, um anderen, die sich in einer schwächeren Position befinden, zu helfen, ob es sich nun um Studenten oder Akademiker ohne Lehrauftrag usw. handelt, um sicherzustellen, dass die Leitung Ihre Position kennt, denn Sie dürfen nicht vergessen: Universitäten sind immer zweierlei: Eine Universität ist ein Unternehmen mit einem Management, aber sie ist auch eine Gemeinschaft von Wissenschaftlern, und als Gemeinschaft von Wissenschaftlern können wir sicher ein bestimmtes Verhalten fordern, das wir von der Leitung vielleicht nicht erwarten können. Aber es ist eine weitaus komplexere Institution als nur das Management. Die Menschen hier sind nicht nur Arbeiter in einem Unternehmen. Es handelt sich um eine weitaus komplexere Beziehung, und wir sollten diese Beziehung nutzen, um zu unseren Prinzipien zu stehen und ihnen treu zu sein.
[Beifall]
Ussama Makdisi:
Vielen Dank, das ist richtig. Und eigentlich, Ilan, sollte ich sagen, dass es jetzt nach den Ereignissen zwei Petitionen oder Erklärungen gibt, die auf diesem Campus im Umlauf sind. Eine, die die Palästinenser einfach dehistorisiert – Sie benutzen das Wort dehistorisiert – und völlig dekontextualisiert, ihre Geschichte auslöscht und nicht zu einem Ende der Gewalt aufruft. Und das andere, an dem ich – ehrlich gesagt – einen kleinen Anteil hatte, nur um ehrlich zu sein. Interessant ist jedoch, dass viele Assistenzprofessoren und Dozenten die Erklärung unterschrieben haben. Denn wenn man sich nicht wehrt, spielt es keine Rolle, wie sicher der Lehrstuhl ist, wenn man sich als Assistent nicht wehrt, wird man sich auch als ordentlicher Professor nicht wehren...
[Beifall]
Ilan Pappé:
Auf jeden Fall, auf jeden Fall. Ich möchte Ihnen nur sagen, dass wir... In meiner Universität bat die Abteilung, der ich angehöre, das Institut für Arabische Islamstudien, keine offizielle Stellungnahme des Instituts zu Palästina zu veröffentlichen. Also haben wir gesagt, okay. Aber sie hatten auch gesagt, ihr könnt individuell unterschreiben. Also hat jedes einzelne Mitglied des Instituts unterschrieben. Es war also gewissermaßen die institutionelle Position, ohne eine institutionelle Position zu haben.
Ussama Makdisi:
Ja, in Ordnung, etwas Hoffnung.
Also ein paar Fragen. Es gibt viele, viele verschiedene Fragen. Eine Frage, die mehrmals wiederholt oder mehrmals gestellt wurde: Sie haben viel über die Palästinenser im Gazastreifen gesprochen, die, wie Sie wissen, bombardiert und verfolgt werden, und jetzt auch im Westjordanland, mit der ethnischen Säuberung, von der Sie sprachen. Was ist mit den Palästinensern innerhalb von Israel? Befürchten Sie nicht, dass die jetzige Situation mit dieser Art von Regierung und Politik und der Entfesselung dieser Art von völkermörderischem Verhalten gegenüber den Palästinensern die Demographie neu gestalten wird, und die Frage ist dann die nach den Menschen innerhalb Israels, den Palästinensern innerhalb Israels, aber auch die Angst vor einer weiteren Nakba?
Ilan Pappé:
Zunächst einmal müssen wir sagen, dass die Situation der Palästinenser in Israel schon vor den Ereignissen vom Samstag, den 7. Oktober, unerträglich war. Jeden Tag wurde jemand ermordet oder getötet. In den meisten palästinensischen Dörfern und Städten Israels gehen die Menschen abends nicht mehr auf die Straße, weil sie Angst vor dem Terror der kriminellen Banden haben. Die Minister, die für das Leben und das Wohlergehen der Palästinenser in Israel verantwortlich sind, sind die fanatischsten, messianischsten Zionisten. Ihre Lage war also bereits prekär und führte bereits zur Auswanderung, was meiner Meinung nach das Hauptziel dieser Politik war.
Ich denke also, dass die Ereignisse dies noch gefährlicher machen, und deshalb halte ich es für so wichtig, den Unterschied zu erklären zwischen einer Reaktion auf eine bestimmte Aktion, die am 7. Oktober stattfand, und der Art und Weise, wie Israel die Ereignisse des 7. Oktobers ausnutzt, um eine Ideologie und eine Vision, die es schon vorher und unabhängig von den Ereignissen am 7. Oktober hatte, auf eine viel rücksichtslosere und brutalere Weise umzusetzen.
Das ist nicht neu. Ich meine, Israel hat das von 1948 bis heute immer getan. Manchmal ohne Vorwand und manchmal unter einem Vorwand, der eine Reaktion oder Vergeltung oder sogar Rache zu sein schien, aber in Wirklichkeit eine viel nüchternere Umsetzung der Vision ist, die es als Siedler-Kolonialbewegung hat, von einem entvölkerten Palästina.
Info: https://www.seniora.org/wunsch-nach-frieden/der-wunsch-nach-frieden/professor-ilan-pappe-krise-des-zionismus-chance-fuer-palaestina