nds-fluerat.org, vom 15. Mai 2024 um 08:05 Uhr
Pressemitteilung vom 15. Mai 2024 -
https://www.nds-fluerat.org/59390/aktuelles/appell-der-zivilgesellsc
haft-nein-zur-diskriminierenden-bezahlkarte-fuer-gefluechtete/
Appell der Zivilgesellschaft: "Nein" zur diskriminierenden Bezahlkarte für Geflüchtete
Breites Bündnis fordert: Die Landesregierung muss ihr Versprechen nach
Gleichbehandlung aller Menschen in Niedersachsen umsetzen!
Die niedersächsische Landesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag
angekündigt, „Rassismus mit aller Kraft“ zu bekämpfen, und versprochen,
„dass alle ankommenden Geflüchteten in Niedersachsen gleich behandelt
werden und ihnen möglichst schnell ein selbstbestimmtes Leben
ermöglicht wird.“ Nach Einschätzung eines zivilgesellschaftliches
Bündnisses von bislang mehr als 40 Initiativen und Organisationen droht
mit der Bezahlkarte jedoch das genaue Gegenteil: Systematische
Diskriminierung und Ausgrenzung von Geflüchteten anstatt
Chancengleichheit und gleichberechtigter gesellschaftlicher Teilhabe.
Deshalb appellieren die Organisationen und Initiativen an die rot-grüne
Landesregierung sich auf ihre Versprechen zu besinnen und die
Gleichbehandlung aller Menschen in Niedersachsen sicherzustellen,
statt mit der Bezahlkarte ein neues Diskriminierungsinstrument zu
schaffen.
Die Bezahlkarte ist populistische Symbolpolitik
Bereits im November hatten sich alle Bundesländer und die
Bundesregierung darauf verständigt, für Menschen im Asylverfahren oder
mit Duldung, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz
erhalten, bundesweit eine Debit-Karte einzuführen, die Beschränkungen
im Zahlungsverkehr und bei der Verfügbarkeit von Bargeld ermöglichen
soll. Am 26. April hat der Bundestag nun die Einführung einer sog.
Bezahlkarte für Geflüchtete beschlossen. Damit ist ein
Diskriminierungsinstrument auf den Weg gebracht, das schutzsuchende
Menschen davon abhalten soll, nach Deutschland zu kommen.
Der Beschluss, eine Bezahlkarte einzuführen, folgt auf eine massive
Kampagne gegen Geflüchtete, die den Eindruck vermittelt, die Menschen
würden allein deshalb nach Deutschland kommen, um hier von
Sozialleistungen zu leben. Wissenschaftliche Studien zeigen jedoch,
dass die Hoffnung auf Rechtsstaatlichkeit, einen Arbeitsplatz und das
Vorhandensein von Familie und Freund:innen entscheidend dafür sind,
welches Land Menschen zu erreichen versuchen.
Wer vor Krieg und Gewalt flieht, wird sich nicht davon abhalten lassen,
weil es in Deutschland eine Bezahlkarte gibt. Die Bezahlkarte wird
ihren vorgegebenen Zweck nicht erreichen, Geflüchtete jedoch in
essenziellen Lebensbereichen diskriminieren. Sie ist Ausdruck einer
populistischen Symbolpolitik, die Schutzsuchende weiter ausgrenzt,
diskriminiert und kontrolliert.
Kein Existenzminimum für Geflüchtete
Mit einer Bezahlkarte werden die sozialen Rechte Geflüchteter weiter
eingeschränkt. Das grundgesetzlich garantierte Existenzminimum wird
damit weiter unterschritten. Schon jetzt liegen die Leistungen für
Geflüchtete in den ersten drei Jahren ihres Aufenthalts um fast 20%
unter dem Bürgergeld, welches die verfassungsrechtlich garantierte
Untergrenze des Existenzminimum markiert.
Dabei hatte das Bundesverfassungsgericht schon 2012 geurteilt, dass das
Existenzminimum “migrationspolitisch nicht zu relativieren" sei - ein
Leitsatz, den die Politik seither geflissentlich ignoriert. In ihrem
Koalitionsvertrag hatte die Ampel-Regierung noch angekündigt, dass sie
"das Asylbewerberleistungsgesetz im Lichte der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts weiterentwickeln" werde. Anders als bei der
"Schuldenbremse" scheint die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgericht zum Asylbewerberleistungsgesetz und damit auch
die Einhaltung des Grundgesetzes aber niemanden mehr zu interessieren.
Was sehen die Gesetzesänderungen und die Bezahlkarte konkret vor?
Zukünftig bekommen Menschen, die Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, grundsätzlich - also auch wenn
sie nicht mehr in einer Erstaufnahmeeinrichtung leben müssen -
vorrangig Sachleistungen statt Bargeld.
Die Leistungen sollen auf eine Bezahlkarte gebucht werden. Die
Bezahlkarte ist eine Guthabenkarte ohne Kontobindung. Überweisungen und
Lastschriften können eingeschränkt oder gar vollkommen ausgeschlossen
werden. Und nach Vorstellung der Bundesländer und der Bundesregierung
sollen die Menschen nur einen kleinen Betrag (einigen Bundesländern
schwebt ein Betrag in Höhe von 50€/Monat pro Erwachsenem und in Höhe
von 10€/pro Kind vor) in bar abheben können.
Aber die Bezahlkarte funktioniert nur in Geschäften mit dafür
ausgestatteten Lesegeräten, z.B. für Mastercard oder VISA. Vielerorts
kann man sie nicht einsetzen, etwa auf Flohmärkten, beim Gemeindefest
oder in der Schulcaféteria. Händler:innengruppen, die Geldtransfers ins
Ausland anbieten, sind ebenfalls ausgeschlossen. Für die Menschen
bedeutet dies, alltäglich Diskriminierung und Stigmatisierung zu
erleben!
Eine Einschränkung von Überweisungen führt zu gesellschaftlichem
Ausschluss von Geflüchteten: Die Mitgliedschaft in Sport- und
gemeinnützigen Vereinen, der Kauf eines Deutschlandtickets, der
günstige Einkauf im Internet, sogar der Handyvertrag - all dies wird
erschwert oder gar verhindert.
Der Ausschluss jeglicher Überweisungsmöglichkeit läuft überdies auf
eine erhebliche Behinderung,wenn nicht Verhinderung einer
Rechtsvertretung hinaus: Oft gibt es am Wohnort keine spezialisierten
Asylanwält:innen, deshalb greifen Geflüchtete auf Kanzleien zurück, die
weiter entfernt sind. Ohne Überweisungsmöglichkeit müssten sie dort
jeden Monat persönlich erscheinen, um die vereinbarten monatlichen
Raten per Bezahlkarte zu zahlen, und die Kanzleien müssen mit
entsprechenden Kartenlesegeräten ausgestattet sein.
Es besteht die Möglichkeit, die Bezahlkarte regional einzuschränken, so
dass sie beispielsweise nur in dem Postleitzahlengebiet funktioniert,
in dem man wohnt. Dies würde eine faktische Mobilitätseinschränkung mit
sich bringen.
Gesundheitskarte statt diskriminierender Bezahlkarte!
Eine Bezahlkarte kann sinnvoll sein, wenn sie - wie in Hannover -
diskriminierungsfrei umgesetzt wird. Die Ausgabe einer "Social Card"
u.a. auch an Geflüchtete, die Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, bietet Möglichkeiten der
Digitalisierung und Vereinfachung von Verwaltungsprozessen, ohne dass
der Zahlungsverkehr und die Verfügbarkeit von Bargeld in irgendeiner
Weise eingeschränkt wird. Die hannoversche “Social Card” gerät nun aber
in Gefahr, wenn die Landesregierung ihre Pläne umsetzen sollte, nach
denen allen Kommunen vorgegeben werden soll, Bargeldauszahlungen zu
beschränken und Überweisungen zu verbieten.
Die Einführung einer Bezahlkarte soll einer kritischen Öffentlichkeit
mit dem Argument schmackhaft gemacht werden, dass sie zu einer
Entbürokratisierung und der Erleichterung von Verwaltungsabläufen
führen würde. Sofern in Niedersachsen dann die genannten Restriktionen
- Beschränkung von Bargeldauszahlungen und Überweisungen - für die es
dann "Ausnahmen" geben soll, eingeführt werden sollten, ist damit aber
kaum zu rechnen.
Das Argument erscheint auch alles andere als glaubwürdig, wenn die
Landesregierung auf der anderen Seite weiterhin daran festhält, keine
elektronische Gesundheitskarte für Geflüchtete einzuführen. Eine solche
Karte würde tatsächlich den Verwaltungsaufwand verringern und zudem den
Geflüchteten mühselige Gänge zum Sozialamt ersparen, wo sie sich einen
sog. Behandlungsschein ausstellen lassen müssen.
Die Bezahlkarte ist Teil eines Angriffs auf die Rechte Schutz suchender
Menschen!
Die Einführung einer restriktiven Bezahlkarte ist Teil eines großen
Angriffs auf die Rechte Schutz suchender Menschen. Der Abbau der
sozialen Rechte Geflüchteter passt sich ein in den Ausbau der Festung
Europa und die Bestrebungen, sich der Verantwortung für den
Flüchtlingsschutz und den Verpflichtungen nicht zuletzt in Form der
Genfer Flüchtlingskonvention nach und nach zu entledigen. Der extremen
Rechten ist es gelungen, einen bestimmenden Diskurs zu entwickeln, der
Schutz suchende Menschen nur mehr als Bedrohung betrachtet. Dieses
rassistische Narrativ greifen leider immer mehr Parteien auf. Sie
treiben damit Entsolidarisierungsprozesse voran und helfen
unfreiwillig, den gesellschaftlichen Diskurs immer weiter nach rechts
zu verschieben.
Die Landesregierung muss ihr Versprechen halten!
Die rot-grüne Landesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag
angekündigt, „Rassismus mit aller Kraft“ zu bekämpfen, und versprochen,
„dass alle ankommenden Geflüchteten in Niedersachsen gleich behandelt
werden und ihnen möglichst schnell ein selbstbestimmtes Leben
ermöglicht wird.“ Mit der Bezahlkarte droht genau das Gegenteil:
Systematische Diskriminierung und Ausgrenzung von Geflüchteten anstatt
Chancengleichheit und gleichberechtigter gesellschaftlicher Teilhabe.
Die Bezahlkarte als Diskriminierungsinstrument muss daher verhindert werden!
Wir appellieren an die Landesregierung, sich auf ihre Versprechen zu
besinnen, statt mit der Bezahlkarte ein neues
Diskriminierungsinstrument zu schaffen.
Unterzeichner:innen:
Bundes-und landesweit:
Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.
ADV-Nord e.V. – Afrikanischer Dachverband Norddeutschland
Arbeitsgemeinschaft Migrantinnen, Migranten und Flüchtlinge in
Niedersachsen – amfn e.V.
Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (BumF) e.V.
Bundes Roma Verband e.V.
Roma Center e.V./ Roma Antidiscrimination Network
Landesjugendring Niedersachsen e.V.
NTFN – Netzwerk für traumatisierte Flüchtlinge in Niedersachsen e.V.
Niedersächsischer Integrationsrat e.V.
Pena.ger - die Bundesweite Online-Beratungsstelle für Geflüchtete
Verband Entwicklungspolitik Niedersachsen e.V. (VEN)
Regional:
AIDS-Hilfe Oldenburg e.V.
Ak Asyl e.V. Göttingen
Andersraum e.V., Hannover
Arbeitskreis Asyl Cuxhaven e. V.
Arbeitskreis Flüchtlingshilfe e.V. Nordhorn
Basisdemokratischer Fachrat Sozialwissenschaften der Leibniz
Universität Hannover
Chaoskollektiv e.V., Braunschweig
Entwicklungspolitisches Informationszentrum (EPIZ), Göttingen
Flüchtlingshilfe auf dem Hümmling e.V.
Fridays for Future Hannover
Hannover Solidarisch
Haus der Kulturen e.V. aus Lüneburg
IBIS – Interkulturelle Arbeitsstelle e. V., Oldenburg
Initiative für internationalen Kulturaustausch (IIK) e. V., Hannover
Institut für angewandte Kulturforschung e.V. (ifak ), Göttingen
JANUN Oldenburg e.V.
Janusz Korczak – Humanitäre Flüchtlingshilfe e.V., Hannover
kargah e.V., Hannover
Migra Braunschweig
Migrationsberatung BLEIBEN im Wendland
No Lager Osnabrück
Refugee Law Clinic Hannover e.V
Refugee Law Clinic Osnabrück e.V.
REFUGIUM Flüchtlingshilfe e.V. Braunschweig
Seebrücke Braunschweig
Seebrücke Lüneburg
Seebrücke Wolfenbüttel
Solinet Hannover
United Against Racism Oldenburg
Unterstützerkreis Flüchtlingsunterkünfte Hannover e.V.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.