jungewelt.de, 11.01.2024 / Thema / Seite 12
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Am 29.12.2023 hat die Republik Südafrika gegen Israel Klage wegen Völkermords beim Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag eingereicht. Darin wird auch verlangt, dass Israel zur Einstellung seiner Angriffe in Gaza aufgefordert werden solle. Südafrika macht in der Klageschrift geltend, die Handlungen der israelischen Streitkräfte in Gaza hätten
»einen völkermörderischen Charakter«, da sie auf die Vernichtung der Palästinenser in diesem Gebiet abzielten. Die Reg...
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aus e-mail von Doris Pumphrey, 10. Januar 2024, 20:49 Uhr
11.1.2024
*Völkerrecht
Der schwerste Vorwurf*
Dokumentiert:
Auszüge aus Südafrikas Völkermordanklage gegen Israel
Am 29.12.2023 hat die Republik Südafrika gegen Israel Klage wegen
Völkermords beim Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag
eingereicht. Darin wird auch verlangt, dass Israel zur Einstellung
seiner Angriffe in Gaza aufgefordert werden solle. Südafrika macht in
der Klageschrift geltend, die Handlungen der israelischen Streitkräfte
in Gaza hätten »einen völkermörderischen Charakter«, da sie auf die
Vernichtung der Palästinenser in diesem Gebiet abzielten. Die Regierung
in Pretoria beruft sich bei der Klage auf die 1948 maßgeblich in
Reaktion auf den Holocaust von der UN-Generalversammlung beschlossene
Völkermordkonvention, die sowohl von Südafrika wie auch von Israel
unterzeichnet worden ist. Die Anhörungen zur Klage in Den Haag sind für
den heutigen Donnerstag und den morgigen Freitag angesetzt. Wir
dokumentieren an dieser Stelle einen Auszug aus der Klageschrift. (jW)
Siehe PDF im Anhang
https://www.jungewelt.de/artikel/467099.v%C3%B6lkerrecht-der-schwerste-
vorwurf.html 11.1.2024
Völkerrecht
Der schwerste Vorwurf
Dokumentiert:
Auszüge aus Südafrikas Völkermordanklage gegen Israel
Am 29.12.2023 hat die Republik Südafrika gegen Israel Klage wegen
Völkermords beim Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag eingereicht.
Darin wird auch verlangt, dass Israel zur Einstellung seiner Angriffe in Gaza
aufgefordert werden solle. Südafrika macht in der Klageschrift geltend, die
Handlungen der israelischen Streitkräfte in Gaza hätten »einen
völkermörderischen Charakter«, da sie auf die Vernichtung der Palästinenser in
diesem Gebiet abzielten. Die Regierung in Pretoria beruft sich bei der Klage auf
die 1948 maßgeblich in Reaktion auf den Holocaust von der UN-
Generalversammlung beschlossene Völkermordkonvention, die sowohl von
Südafrika wie auch von Israel unterzeichnet worden ist. Die Anhörungen zur
Klage in Den Haag sind für den heutigen Donnerstag und den morgigen Freitag
angesetzt. Wir dokumentieren an dieser Stelle einen Auszug aus der
Klageschrift. (jW)
I. Einleitung
1. Dieser Antrag betrifft angedrohte und billigend in Kauf genommene Handlungen,
die Regierung und Militär des Staates Israel nach den Anschlägen vom 7. Oktober
2023 gegen das palästinensische Volk, eine eigene nationale und ethnische Gruppe,
unternommen haben. Südafrika verurteilt unmissverständlich alle Verletzungen des
Völkerrechts durch alle Parteien, einschließlich der direkten Angriffe auf israelische
Zivilisten und andere Staatsangehörige sowie Geiselnahmen durch die Hamas und
andere bewaffnete palästinensische Gruppen. Kein bewaffneter Angriff auf das
Hoheitsgebiet eines Staates, wie schwerwiegend er auch sein mag – selbst ein
Angriff, bei dem Greueltaten begangen werden – kann jedoch eine mögliche
Rechtfertigung oder Verteidigung von Verstößen gegen das Übereinkommen von
1948 über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes
(»Völkermordkonvention«) sein; sei es aus rechtlichen oder moralischen Gründen.
Die von Südafrika beklagten Handlungen und Unterlassungen Israels haben
völkermörderischen Charakter, weil sie auf die Vernichtung eines wesentlichen Teils
der palästinensischen nationalen und ethnischen Gruppe, d. h. des Teils der
palästinensischen Gruppe im Gazastreifen (»Palästinenser in Gaza«), abzielen. (…)
Südafrika ist sich des besonderen Gewichts der Verantwortung bei der Einleitung
eines Verfahrens gegen Israel wegen Verstößen gegen die Völkermordkonvention
bewusst. Südafrika ist sich aber als Vertragsstaat der Völkermordkonvention auch
seiner eigenen Verpflichtung zur Verhinderung von Völkermord bewusst. Handlungen
und Unterlassungen Israels in bezug auf die Palästinenser verstoßen gegen die
Völkermordkonvention. Dies ist auch die Ansicht zahlreicher anderer Vertragsstaaten
der Konvention, einschließlich des Staates Palästina selbst, der die »führenden
Politiker der Welt« aufforderte, »Verantwortung zu übernehmen (…), um den
Völkermord an unserem Volk zu beenden«. Experten der Vereinten Nationen haben
seit mehr als zehn Wochen wiederholt »Alarm geschlagen«, dass »in Anbetracht von
Erklärungen israelischer Politiker und ihrer Verbündeten, begleitet von Militäraktionen
in Gaza und einer Eskalation der Verhaftungen und Tötungen im Westjordanland«,
die »Gefahr eines Völkermords am palästinensischen Volk« besteht. (…)
Wiederholte Erklärungen von Vertretern des israelischen Staates, auch auf höchster
Ebene, wie durch den israelischen Präsidenten, den Premierminister und den
Verteidigungsminister, haben die völkermörderische Absicht zum Ausdruck gebracht.
Diese Absicht erschließt sich vollumfänglich aus der Art und der Durchführung von
Israels Militäroperation in Gaza. Unter anderem im Hinblick darauf, dass Israel es
unterlässt, notwendige Nahrungsmittel, Wasser, Medizin, Treibstoff, Unterkunft und
andere humanitäre Unterstützung für das belagerte und eingeschlossene
palästinensische Volk bereitzustellen oder sicherzustellen, was sie an den Rand
einer Hungersnot getrieben hat. (…)
Israel hat mittlerweile über 21.110 namentlich bekannte Palästinenser getötet,
darunter 7.729 Kinder – mehr als 7.780 weitere werden vermisst, vermutlich tot unter
den Ruinen –, und hat mehr als 55.243 weitere verwundet und ihnen enorme
körperliche und seelische Schäden zugefügt. Israel hat außerdem weite Teile Gazas,
darunter ganze Nachbarschaften, verwüstet, und mehr als 355.000 palästinensische
Gebäude zerstört, Bäckereien, Schulen, Universitäten, Geschäfte, Gotteshäuser,
Friedhöfe, kulturelle und archäologische Stätten, Gemeinde- und Gerichtsgebäude,
kritische Infrastruktur, darunter Wasser- und Abwasseranlagen und
Elektrizitätsnetzwerke, außerdem große landwirtschaftliche Flächen und führt einen
unnachgiebigen Angriff gegen das palästinensische Gesundheitssystem. Israel hat
Gaza bereits in Schutt und Asche gelegt und tut dies weiterhin, es tötet die
Bevölkerung, fügt ihr Leid zu, zerstört sie und will ihr Lebensbedingungen auferlegen,
die eine physische Vernichtung als Gruppe bedeuten. (…)
In Anbetracht der außerordentlichen Dringlichkeit der Situation ersucht Südafrika um
eine beschleunigte Anhörung für seinen Antrag und einen Erlass vorläufiger
Maßnahmen. Darüber hinaus ersucht Südafrika gemäß Artikel 74 (4) des
Gerichtshofs den Präsidenten des Gerichtshofs, die palästinensische Bevölkerung in
Gaza zu schützen, indem er Israel auffordert, unverzüglich alle militärischen Angriffe
einzustellen, die einen Verstoß gegen die Völkermordkonvention darstellen oder
einen solchen zur Folge haben. (…)
III. Die Fakten
A. Einführung
Seit dem 7. Oktober 2023 führt Israel einen großangelegten militärischen Angriff über
den Land-, Luft- und Seeweg auf den Gazastreifen (»Gaza«), einen schmalen
Landstreifen von etwa 365 Quadratkilometern – eines der am dichtesten besiedelten
Gebiete der Welt. Der Gazastreifen, in dem etwa 2,3 Millionen Menschen leben – fast
die Hälfte davon Kinder – ist durch Israel dem ausgesetzt, was als »schwerste
konventionelle Bombenkampagne« in der Geschichte der modernen Kriegführung
beschrieben wurde. Allein bis zum 29. Oktober 2023 wurden etwa 6.000 Bomben pro
Woche auf die winzige Enklave abgeworfen. In etwas mehr als zwei Monaten hatten
Israels militärische Angriffe »mehr Zerstörung angerichtet als die Zerstörung von
Aleppo in Syrien zwischen 2012 und 2016, als im ukrainischen Mariupol oder im
Verhältnis dazu die alliierten Bombenangriffe auf Deutschland im Zweiten Weltkrieg«.
Die von Israel angerichtete Zerstörung ist so extrem, dass »Gaza jetzt vom Weltraum
aus gesehen eine andere Farbe hat«. (…)
B. Hintergrund
(…)
3. Die Anschläge in Israel vom 7. Oktober 2023
Israels Militärangriff im Gazastreifen und seine verstärkte Militärkampagne im
Westjordanland wurden als Reaktion auf einen Angriff in Israel am 7. Oktober 2023
(genannt »Operation Al-Aqsa-Flut«) durch zwei bewaffnete palästinensische
Gruppen gestartet – dem militärischen Flügel der Hamas (den »Essedin-al-Kassam-
Brigaden«) und dem Palästinensischen Islamischen Dschihad. Die beiden Gruppen
feuerten große Raketensalven auf Israel ab, durchbrachen den israelischen Zaun,
der den Gazastreifen abtrennt, und griffen israelische Militärstützpunkte, zivile Städte
sowie ein Musikfestival an, das von Tausenden Jugendlichen besucht wurde, unter
Umständen, die vom Ankläger des Internationalen Strafgerichtshofs untersucht
werden. Südafrika verurteilt unmissverständlich die Angriffe auf israelische und
ausländische Zivilisten durch die Hamas und andere bewaffnete palästinensische
Gruppen sowie die Geiselnahme am 7. Oktober 2023, wie ausdrücklich in seiner
Verbalnote an Israel vom 21. Dezember 2023 festgehalten. (…)
Als Reaktion auf die Anschläge vom 7. Oktober 2023 schwor Israel, die Hamas zu
»zerschlagen und zu eliminieren« und »die feindlichen Kräfte, die in unser Gebiet
eingedrungen sind, zu beseitigen und die Sicherheit wiederherzustellen«. Am 7.
Oktober 2023 erklärte der israelische Premierminister, dass »die IDF (Israel Defence
Forces; jW) sofort alle ihre Kräfte einsetzen werden, um die Fähigkeiten der Hamas
zu zerstören. Wir werden sie vernichten und diesen dunklen Tag, den sie dem Staat
Israel und seinem Volk aufgezwungen haben, mit aller Kraft rächen.« (…)
C. Völkermörderische Handlungen gegen das palästinensische Volk
(…)
Die Zahl der getöteten palästinensischen Journalisten ist deutlich höher als in jedem
anderen Konflikt der letzten 100 Jahre. In den zwei Monaten seit dem 7. Oktober
2023 überstieg die Zahl der getöteten Journalisten bereits die Zahl des gesamten
Zweiten Weltkriegs. (…)
Die Chefs der Vereinten Nationen und des Internationalen Komitees vom Roten
Kreuz (IKRK) – denen Konfliktsituationen nicht fremd sind – haben das, was sich in
Gaza abspielt, eine »Krise der Menschheit« genannt. »Veteranen der humanitären
Hilfe, die in Kriegsgebieten und Katastrophen auf der ganzen Welt gedient haben –
Menschen, die alles gesehen haben – (sagen), dass sie nichts Vergleichbares
gesehen haben zu dem, was sie heute in Gaza sehen.« (…)
1. Das Töten der Palästinenser in Gaza
(…)
»Nirgendwo ist es sicher in Gaza«, machten der UN-Generalsekretär und mit ihm
viele andere Experten der Vereinten Nationen der internationalen Gemeinschaft
gegenüber deutlich. Palästinenser in Gaza wurden in ihren Häusern, an Orten, an
denen sie Schutz suchten, in Krankenhäusern, in UNWRA-Schulen, in Kirchen, in
Moscheen und bei dem Versuch, Nahrung und Wasser für ihre Familien zu finden,
getötet. Sie wurden getötet, bei dem Versuch zu entkommen, an den Orten, zu
denen sie geflohen waren, und sogar während sie versuchten, entlang der von Israel
als »sicher« deklarierten Routen zu fliehen. Berichte über Massenhinrichtungen
durch israelische Soldaten häufen sich, auch an mehreren Mitgliedern derselben
Familie – Männern, Frauen und ältere Menschen. (…)
Es gibt auch Berichte über unbewaffnete Menschen – einschließlich israelischer
Geiseln – die auf der Stelle erschossen werden, obwohl sie keine Gefahr darstellen,
und auch, wenn sie weiße Fahnen schwenkten. Angriffe auf palästinensische Häuser
und Wohnblocks machen einen Großteil der Toten aus, wobei Israel Berichten
zufolge künstliche Intelligenz (»KI«) einsetzt, um bis zu 100 Bombenziele pro Tag zu
finden. (…)
Schätzungen zufolge ist die Zahl der allein in den ersten drei Wochen in Gaza
getöteten palästinensischen Kinder höher (insgesamt 3.195) als die Gesamtzahl der
Kinder, die seit 2019 jedes Jahr in den Konfliktgebieten der Welt getötet wurden. Das
Ausmaß der Tötung palästinensischer Kinder in Gaza ist so groß, dass die Vereinten
Nationen es als »Kinderfriedhof« bezeichnet haben. In der Tat hat die beispiellose
Zahl der Opfer palästinensischer Kinder den UNICEF-Sprecher dazu veranlasst,
Israels Angriffe auf Gaza als »Krieg gegen Kinder« zu bezeichnen. (…)
Auch Ärzte, Journalisten, Lehrer, Akademiker und andere Berufsgruppen werden in
noch nie dagewesenem Ausmaß getötet. Bis heute hat Israel mehr als 311 Ärzte,
Krankenschwestern und anderes Gesundheitspersonal getötet, einschließlich Ärzten
und Krankenwagenfahrern, die im Dienst starben; 103 Journalisten wurden getötet,
d. h. mehr als ein Journalist pro Tag und mehr als 73 Prozent der Gesamtzahl der
weltweit getöteten Journalisten und Medienmitarbeiter im Jahr 2023. 40 Mitarbeiter
des Zivilschutzes, die bei der Bergung von Opfern aus den Trümmern helfen, wurden
im Dienst getötet, und über 209 Lehrer und Erzieher. 144 Mitarbeiter der Vereinten
Nationen wurden ebenfalls getötet. Die »höchste Zahl an getöteten Helfern in der
Geschichte der UN in so kurzer Zeit«. (…)
Die Palästinenser in Gaza werden nicht nur durch israelische Waffen getötet. Sie
sind auch vom Hungertod, von Dehydrierung und Krankheiten bedroht, da die
israelische Belagerung anhält, die Hilfslieferungen für die palästinensische
Bevölkerung unzureichend sind und die Verteilung dieser begrenzten Hilfsgüter, die
in das Gebiet gelangen dürfen, aufgrund der Dezimierung der Infrastruktur des
Gazastreifens durch die israelischen Militärangriffe äußerst schwierig ist.
2. Verursachung schwerer körperlicher und seelischer Schäden für
Palästinenser in Gaza
Mehr als 55.243 Palästinenser wurden seit dem 7. Oktober 2023 infolge der
israelischen Militärangriffe auf den Gazastreifen verwundet, die meisten von ihnen
Frauen und Kinder. Verbrennungen und Amputationen sind typische Verletzungen,
wobei schätzungsweise 1.000 Kinder ein oder beide Beine verloren haben. (…)
Insbesondere im Norden des Gazastreifens gibt es keine funktionierenden
Krankenhäuser mehr, so dass Verletzte darauf beschränkt sind »auf den Tod zu
warten«. Da sie keine Operation oder eine über die erste Hilfe hinausgehende
medizinische Behandlung in Anspruch nehmen können, sterben sie einen langsamen
und qualvollen Tod, aufgrund ihrer Verletzungen oder an den daraus resultierenden
Infektionen. (…)
3. Massenhafte Vertreibung von Palästinensern aus ihren Häusern
Schätzungen zufolge wurden von 2,3 Millionen Einwohnern des Gazastreifens mehr
als 1,9 Millionen – etwa 85 Prozent der Bevölkerung – aus ihren Häusern vertrieben.
Es gibt keine sichere Zuflucht. Diejenigen, die nicht gehen können oder sich weigern,
vertrieben zu werden, wurden getötet oder sind extrem gefährdet, in ihren Häusern
getötet zu werden. (…)
4. Verweigerung des Zugangs zu angemessener Nahrung und Wasser
Am 9. Oktober 2023 verhängte Israel eine »vollständige Belagerung« des
Gazastreifens, so dass kein Strom, keine Nahrungsmittel, kein Wasser und kein
Treibstoff in den Gazastreifen gelangen. Zwar wurde die Belagerung seither teilweise
gelockert, da seit dem 21. Oktober 2023 einige Hilfsgütertransporter in den
Gazastreifen fahren durften, doch dies bleibt völlig unzureichend und weit unter dem
Durchschnitt vor dem Oktober 2023, der bei etwa 500 Lastwagen pro Tag lag.
Außerdem liegen die seit dem 21. November 2023 zugelassenen Treibstoffimporte
»weit unter den Mindestanforderungen für wesentliche humanitäre Operationen«,
was bedeutet, dass die begrenzte humanitäre Hilfe, die zugelassen wird, nicht ohne
weiteres von den Grenzübergängen in den Gazastreifen transportiert werden kann.
(…)
Israel hat die palästinensische Bevölkerung im Gazastreifen an den Rand einer
Hungersnot getrieben. Internationale Organisationen warnen, »die Gefahr einer
Hungersnot ist real« (Welternährungsprogramm, WFP) und dass sie »jeden Tag
weiter steigt« (IPC). Die meisten Palästinenser in Gaza hungern jetzt, wobei die
Hungersnot täglich steigt. Die Weltgesundheitsorganisation warnt, »der Hunger
verwüstet Gaza«. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen hat erklärt, »vier der
fünf hungrigsten Menschen der Welt befinden sich in Gaza«. (…)
»Oxfam und Human Rights Watch sind sogar so weit gegangen, Israel ausdrücklich
vorzuwerfen, den Hunger ›als Kriegswaffe‹ gegen die palästinensische Bevölkerung
in Gaza einzusetzen.«
(…)
7. Zerstörung des palästinensischen Lebens in Gaza
Am 16. November 2023 haben 15 Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen und
21 Mitglieder von UN-Arbeitsgruppen vor einem »sich abzeichnenden Völkermord« in
Gaza gewarnt. Sie haben beobachtet, dass das Ausmaß der Zerstörung von
»Wohneinheiten, Krankenhäusern, Schulen, Moscheen, Bäckereien,
Wasserleitungen, Abwasserkanälen und Elektrizitätsnetzen … droht, eine
Fortsetzung des palästinensischen Lebens in Gaza unmöglich zu machen«. (…)
Israel hat den Justizpalast angegriffen – das wichtigste palästinensische
Gerichtsgebäude in Gaza, in dem der Oberste Palästinensische Gerichtshof, das
Verfassungsgericht, das Appellationsgericht, das Berufungsgericht, das Gericht der
ersten Instanz, das Verwaltungsgericht und das Amtsgericht sowie ein Archiv mit
Gerichtsakten und anderen historischen Akten beheimatet war. (…)
Israel hat alle vier Universitäten des Gazastreifens ins Visier genommen – darunter
auch die Islamische Universität von Gaza, die älteste Hochschuleinrichtung in
diesem Gebiet, die Generationen von Ärzten und Ingenieuren ausgebildet hat – und
hat damit die Campus für die Ausbildung künftiger Generationen von Palästinensern
zerstört. (…)
Genauso wie Israel die offiziellen Erinnerungen und Aufzeichnungen der
Palästinenser in Gaza durch die Zerstörung der Archive und Wahrzeichen des
Gazastreifens vernichtet, so löscht es auch das persönliche Leben und das private
Gedächtnis, die Geschichte und die Zukunft der Palästinenser aus, indem es
Friedhöfe bombardiert und planiert, Familienaufzeichnungen und Fotos vernichtet,
ganze Familien über mehrere Generationen auslöscht und eine ganze Generation
von Kindern tötet, verstümmelt und traumatisiert. (…)
8. Verhängung von Maßnahmen zur Verhinderung palästinensischer Geburten
Das Vorgehen Israels trifft palästinensische Frauen und Kinder im Gazastreifen
besonders hart: Schätzungsweise 70 Prozent der Getöteten sind Frauen und Kinder.
Jede Stunde werden in Gaza schätzungsweise zwei Mütter getötet. Allein bis zum 11.
Dezember 2023 wurden schätzungsweise 7.729 Kinder getötet, und mindestens
4.700 weitere Frauen und Kinder gelten als vermisst, die unter den Trümmern
vermutet werden. Es gibt mehrere Augenzeugenberichte von schwangeren Frauen,
die von israelischen Soldaten ermordet wurden, auch dann, als sie versuchten,
medizinische Versorgung zu erhalten. (…)
Berichten zufolge sterben immer mehr palästinensische Babys im Gazastreifen an
völlig vermeidbaren Ursachen, die durch Israels Aktionen verursacht werden:
Neugeborene bis zu drei Monaten sterben an Durchfall, Unterkühlung und anderen
vermeidbaren Ursachen. Ohne wichtige Ausrüstung und medizinische Unterstützung
haben Frühgeborene und untergewichtige Babys wenig bis gar keine
Überlebenschance. (…)
D. Äußerungen von Völkermordabsichten gegen das palästinensische Volk
durch israelische Staatsbeamte und Andere
Die Beweise für die besondere Absicht (»dolus specialis«) der israelischen
Staatsbeamten, Völkermord zu begehen und daran festzuhalten, völkermörderische
Handlungen zu begehen bzw. sie nicht zu verhindern, sind seit Oktober 2023 deutlich
und offenkundig. Diese Absichtserklärungen – in Verbindung mit dem Ausmaß des
Tötens, Verstümmelns, Vertreibens und der Zerstörung vor Ort sowie auch mit der
Belagerung – belegen einen sich entfaltenden und anhaltenden Völkermord. Dazu
gehören Erklärungen der folgenden Personen, die die höchste Verantwortung tragen:
Premierminister von Israel: Am 16. Oktober 2023 beschrieb (Benjamin Netanjahu)
in einer Ansprache vor der israelischen Knesset, die Situation als »einen Kampf
zwischen den Kindern des Lichts und den Kindern der Finsternis, zwischen
Menschlichkeit und dem Gesetz des Dschungels« (…)
Am 28. Oktober 2023, als die israelischen Streitkräfte ihre Landinvasion des
Gazastreifens vorbereiteten, berief sich der Premierminister auf die biblische
Geschichte der totalen Vernichtung von Amalek durch die Israeliten, indem er
erklärte: »Ihr müsst daran denken, was Amalek euch angetan hat, sagt unsere
Heilige Bibel. Und wir erinnern uns«. (…) Die entsprechende Bibelstelle lautet wie
folgt: »Nun geht hin, greift Amalek an und verbannt alles, was ihm gehört. Verschont
niemanden, sondern tötet Männer und Frauen, Säuglinge und Kleinkinder, Rinder
und Schafe, Kamele und Esel«.
Präsident von Israel: Am 12. Oktober 2023 stellte Präsident Isaac Herzog klar, dass
Israel nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten unterscheide (…): »Eine ganze Nation
da draußen ist dafür verantwortlich. Es ist nicht wahr, dass die Zivilisten nichts davon
wissen, nicht involviert sind. Es ist absolut nicht wahr. … und wir werden kämpfen,
bis wir ihnen das Rückgrat brechen.« (…) Der israelische Präsident ist einer von
vielen Israelis, die handschriftliche »Botschaften« auf Bomben geschrieben haben,
die über Gaza abgeworfen werden.
Israelischer Verteidigungsminister: Am 9. Oktober 2023 teilte der
Verteidigungsminister Joaw Gallant in einem »Lagebericht« der israelischen Armee
mit, dass Israel »eine vollständige Belagerung des Gazastreifens verhängt hat. Kein
Strom, keine Lebensmittel, kein Wasser, kein Treibstoff. Alles wird geschlossen. Wir
kämpfen gegen menschliche Tiere und handeln dementsprechend.« Er informierte
auch die Truppen an der Grenze zum Gazastreifen, dass er »alle Fesseln gelöst«
habe, mit den Worten, dass »Gaza nicht mehr so sein wird wie vorher. Wir werden
alles eliminieren. Wenn es nicht einen Tag dauert, wird es eine Woche dauern. Es
wird Wochen oder sogar Monate dauern, wir werden alle Orte erreichen.« (…)
Israelischer Minister für Energie und Infrastruktur: »Tweet« vom 13. Oktober
2023, Israel
Katz erklärte: »Der gesamten Zivilbevölkerung in Gaza wird befohlen, den
Gazastreifen sofort zu verlassen. Wir werden gewinnen. Sie werden keinen einzigen
Tropfen Wasser oder eine einzige Batterie erhalten, bis sie die Welt verlassen.« (…)
Israelischer Minister für kulturelles Erbe: Am 1. November 2023 postete Amichai
Elijahu auf Facebook: »Der Norden des Gazastreifens, schöner als je zuvor. Alles ist
in die Luft gesprengt und platt gemacht, einfach eine Freude für die Augen (…)«. Er
stellte auch einen nuklearen Angriff auf den Gazastreifen in Aussicht. (…)
Soldaten der israelischen Armee: Israelische Soldaten in Uniform wurden am 5.
Dezember 2023 gefilmt, wie sie tanzten und sangen »Möge ihr Dorf brennen, möge
Gaza ausgelöscht werden«; und zwei Tage später, am 7. Dezember 2023, tanzten,
sangen und skandierten sie in Gaza, »Wir kennen unser Motto: Es gibt keine
unbeteiligten Zivilisten« und »die Saat von Amalek auslöschen«. (…)
Eine ähnliche völkermörderische Rhetorik ist auch in der israelischen
Zivilgesellschaft an der Tagesordnung, wobei völkermörderische Botschaften in den
israelischen Medien routinemäßig – ohne Zensur oder Sanktionen – verbreitet
werden. In Medienberichten wird dazu aufgerufen, Gaza solle »ausgelöscht« und in
ein »Schlachthaus« verwandelt werden, die »Hamas solle nicht eliminiert« werden,
lieber solle »Gaza zerstört werden«, mit der wiederholten Behauptung, dass es
»keine Unschuldigen gibt … Es gibt keine Bevölkerung. Es gibt 2,5 Millionen
Terroristen«. (…)
IV. Südafrikas Forderungen
Auf der Grundlage der obigen Ausführungen sowie der im Laufe dieses Verfahrens
vorzulegenden weiteren Beweise ist Südafrika der Ansicht, dass das Verhalten
Israels – durch seine Staatsorgane, Staatsagenten, und andere Personen und
Einrichtungen, die auf seine Anweisungen oder unter seiner Leitung, Kontrolle oder
Einflussnahme handeln – in Bezug auf die Palästinenser in Gaza gegen seine
Verpflichtungen aus der Völkermordkonvention verstößt,
einschließlich der Artikel I, III, IV, V und VI, in Verbindung mit Artikel II. Diese
Verstöße gegen die
Völkermordkonvention umfassen, sind aber nicht beschränkt auf:
(a) Unterlassung der Verhütung von Völkermord unter Verstoß gegen Artikel I;
(b) die Begehung von Völkermord unter Verstoß gegen Artikel III Buchstabe a);
(c) Verschwörung zum Völkermord unter Verstoß gegen Artikel III (b);
(d) die unmittelbare und öffentliche Aufforderung zum Völkermord unter Verstoß
gegen Artikel III Buchstabe c);
(e) Versuch der Begehung von Völkermord unter Verstoß gegen Artikel III (d);
(f) Beihilfe zum Völkermord unter Verstoß gegen Artikel III Buchstabe e);
(g) Unterlassung der Bestrafung von Völkermord, Verschwörung zum Völkermord,
direkter und öffentlicher Aufstachelung zum Völkermord, des versuchten
Völkermordes und der Mittäterschaft am Völkermord unter Verletzung der Artikel I, III,
IV und VI;
(h) Unterlassung des Erlasses der erforderlichen Rechtsvorschriften, Bestimmungen
der Völkermordkonvention umzusetzen und wirksame Strafen für Personen
vorzusehen, die sich des Völkermordes, der Verschwörung Völkermordes, der
Anstiftung zum Völkermord, des versuchten Völkermordes und der Mittäterschaft an
Völkermordes schuldig gemacht haben, unter Verstoß gegen Artikel V; und
(i) als notwendige und begleitende Verpflichtung gemäß Artikel I, III, IV, V und VI die
Untersuchung der gegen die Palästinenser in Gaza begangenen völkermörderischen
Akte durch zuständige internationale Gremien oder Untersuchungsmissionen nicht
zuzulassen und/oder direkt oder indirekt zu behindern (…)
Link zur vollständigen Klageschrift in englischer Sprache: https://kurzelinks.de/hkls
Auswahl und Übersetzung aus dem Englischen: Dominik Wetzel
Info: https://www.jungewelt.de/artikel/467099.v%C3%B6lkerrecht-der-schwerste-vorwurf.html
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.