Open thread zum Machtkampf in Russland
Der Machtkampf in Russland hat ein vorläufiges Ende gefunden. Wagner-Chef Prigoschin zieht sich zurück, Kremlchef Putin will ihn ungestraft nach Belarus abziehen lassen. Ist Putin nun geschwächt – und wenn ja, was bedeutet das für Russland, die Ukraine und EUropa?
Diese Frage dürfte das Treffen der EU-Außenminister am Montag in Luxemburg beherrschen. Hier können Sie aktuelle Meldungen, Analysen (Links) und Kommentare posten. Wir freuen uns auf Ihr Feedback!
Zum Start zwei konträre Einschätzungen aus Deutschland und China.
Die Meuterei zeige klare Risse in Putins Machtsystem, meint das ZDF:
Prigoschin hat dramatisch offengelegt, wie kaputt das System Putin ist, wie brüchig seine Macht und Sicherheitsapparate sind. Auch Prigoschin konnte sich nicht durchsetzen, nach über einem Jahr Ukraine-Krieg ist Putins Herrschaft aber klar auf Sand gebaut.
ZDF
Dass Putin geschwächt wurde, sei reines Wunschdenken, schreibt die „Global Times (China)
Despite the Western media saying that the revolt exposed the weakness of the Putin administration, the rebellion was quelled in such a short period of time after Putin vowed to take decisive actions on Saturday morning. This in fact shows that the Kremlin maintains a strong capability of deterrence, which will further increase its authority, some experts said.
Global Times
Over to you!
Hier noch ein Kommentar vom „Standard“ in Wien. Er sieht Putin geschwächt, doch das sei keine gute Nachricht:
Nicht unwahrscheinlich ist, dass Putin seinen Verteidigungsminister Schoigu und dessen Generalstabschef Gerassimow entlässt. Hardliner könnten an die Macht kommen. Für die Ukraine wäre das keine gute Perspektive. Und für Putin eine nicht sehr populäre Entscheidung, nicht einmal ein Jahr vor der Präsidentschaftswahl. Die Wahl wird er wohl gewinnen, einen wirklichen Nachfolger gibt es nicht. Aber was kommt dann? Scheitert Putin, droht in Russland ein Bürgerkrieg. Das Gespenst des Chaos der 90er-Jahre steht im Raum. Machtkämpfe, politische Morde. Diesmal allerdings mit diversen Privatarmeen. Dann würde sich der Westen Putin wohl händeringend zurückwünschen. Auch damit die Atomwaffen unter Kontrolle blieben.“
Der Standard
‹ Machtkampf in Russland: Das seltsame Schweigen der EU
15 Comments
Thomas Damrau
26. Juni 2023 @ 09:12
Noch vor kurzem pflegte der Westen die Vision, Putin möge Opfer eines internen Machtkampfes werden: Putin weg, demokratische Kräfte kommen ans Ruder, der Krieg mit der Ukraine wird beendet, Blackrock re-organisiert die russische Wirtschaft, Friede-Freude-Eierkuchen.
Jetzt sah es für einen Augenblick so aus, als könne Putin stürzen. Und dieser Augenblick brachte die (gar nicht so erstaunliche) Erkenntnis, dass Putin vermutlich nicht von der demokratischen Opposition (die ist in Russland marginalisiert), sondern nur mit Panzern und Maschinengewehren gestürzt werden kann. Und die Männer, die in Russland über genügend Panzer und Maschinengewehre gebieten, haben vermutlich noch ein paar Räder mehr ab als Putin.
Westliche Erkenntnis aus der Erkenntnis: keine. Weitermachen, wie bisher. Die Wagemutigen unter den Kommentatoren hoffen, mit mehr Waffenlieferungen die Schwäche Putins ausnutzen zu können. Also mehr Desselben.
Dass es in Russland irgendwann zum Show-Down zwischen den unterschiedlichen militärischen Akteuren kommen würde, war zu erwarten. Möglicherweise hat die Wagner-Truppe als Todesschwadron mit Todesverachtung Gelände für Russland erobert. Aber auf die Dauer lässt sich kein Krieg mit parallel und unkoordiniert operierenden Befehlsstrukturen gewinnen. Daher auch die Forderung des russischen Verteidigungsministerium, die Parallelstrukturen aufzulösen (https://www.derstandard.at/story/3000000174327/reml-will-kontrolle-ueber-soeldner).
Ceterum Censeo: Nicht noch mehr NATO-Rüstungsausgaben mit der Begründung, man müsse „den Russen“ aufhalten!
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ebo
26. Juni 2023 @ 09:36
Doch, es läuft auf verstärkte Aufrüstung der Ukraine hinaus. Denn unsere Experten wollen herausgefunden haben, dass Putin nur auf militärischen Druck reagiert – dies habe der Putschversuch gezeigt. Nur wenn er mit dem Rücken zur Wand stehe, werde er verhandeln.
Rational ist das nicht. Denn zum einen will auch der Westen nicht verhandeln. Zum anderen laufen längst Gespräche mit Putin, etwa über das Getreideabkommen und den Gefangenenaustausch. Die These, er handele nur, wenn man ihm die Pistole auf die Brust setzt, stimmt nicht!
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Godfried van Ommering
26. Juni 2023 @ 09:09
„Die Lösung, die jetzt gefunden wurde, ist fast schon salomonisch. Die Söldner gehen frei aus und Prigoschin, eigentlich ein Freund Putins, kann unbehelligt in Belarus leben. Damit signalisiert die russische Regierung ihren Partnern in Eurasien eine souveräne Stärke. Man ist nicht auf Rache aus, sondern auf Klärung des Konfliktes in Erwachsenenmanier. Alles im Griff.“
So ist es. Diese Triumph-Töne aus dem Westen, wegen der angeblichen Schwächung Putins, sind Quatsch. Man muß sich mal vorstellen über welche Spannungen und Auseinandersetzungen Putin Herr bleiben muß, welche Entscheidungen er zu nehmen hat, welche Verantwortung er trägt und angeblich gerecht wird, – alles betrachtet unter die Annahme der besonderen Komplexität des Staates Russland, wie sie einmal ist, und zwar von einem ganz anderen Charakter als die der Geschäfte des Staates innerhalb der EU oder der USA. Präsident Vucic von Serbien hat gestern zurecht die Tatsache gewürdigt, daß es letztendlich Putins Leistung gewesen ist, die drohende Machtkampf zu beenden ohne Chaos und größeren Kämpfe als die am Samstag.
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Franz
26. Juni 2023 @ 08:55
@ Be careful what you wish for! – An der einen strategischen Seite Europas ist bereits der heutige Erdogan erzeugt worden – durch blinde stumpfsinnige Ablehnung seitens der EU, Merkel-Deutschlands und ihres Rentier-Kapitalismus! – Welche Monster werden an der zweiten strategischen Seite gerade erzeugt?
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ebo
26. Juni 2023 @ 09:08
Erdogan ist ein interessantes Beispiel. Denn auch er überstand einen Militärputsch, auch in Ankara wirkte vieles wie eine Schmierenkomödie. Doch danach hat Erdogan seine Stellung gefestigt; heute sitzt er fester denn je im Sattel…
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european
25. Juni 2023 @ 23:28
Auf dem genannten Telegram-Kanal ist aktuell zu lesen, dass nicht nur Prigoschin, sondern auch ein Teil der Söldnergruppe nach Belarus gehen.
Vielleicht gibt es ja doch noch einen weiteren Plan hinter dieser Aktion, den wir nur noch nicht sehen können?
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ebo
25. Juni 2023 @ 23:35
Diese Vermutung liegt nahe. Wagner könnte ja auch von Minsk weiter ziehen, etwa Richtung Kiew. Umgekehrt gibt es Gerüchte, dass westliche Truppen unter falscher Flagge an der Grenze zu Belarus aufziehen könnten. Alles natürlich mit größter Vorsicht zu genießen. Doch wenn uns die Ereignisse der letzten Tage etwas gelehrt haben, dann wohl, dass es immer verrückter wird und man nichts mehr ausschließen kann…
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european
25. Juni 2023 @ 22:55
@ebo
Solche statements waren zu erwarten, damit Waffen und Geld weiter fließen. Auch in deutschen Medien wurde schon gejubelt, wobei ich mich gefragt habe, worüber eigentlich? Prigoschin als neuer russischer Präsident? Ernsthaft?
Der Ukraine wurde damit kein Gefallen getan. Es führt nur zu weiteren sinnlosen Opfern und verhindert Friedensverhandlungen.
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european
25. Juni 2023 @ 22:31
Prigoschin war ein Unsicherheitsfaktor und wenn man der russischen Regierung hier eines vorwerfen muss, dann ist es, den Mann nicht schon früher aus dem Verkehr gezogen zu haben. Es hat sich seit Wochen angekündigt, dass er aus dem Ruder läuft. Bachmut war einfach zu lang, zu ermüdend und auch zu grausam. Nach Bachmut war Prigoschin schon fast ein Nationalheld. Die Wagner-Söldner genießen hohes Ansehen sowohl in Politik als auch in der Bevölkerung. Der Telegram-Kanal „Neues aus Russland“ hat quasi im Minutentakt berichtet. Interessant, was man dort liest und sonst nirgendwo.
Den eskalierenden Konflikt mit Schoigu muss die russische Regierung ernst nehmen. Da stimmt etwas nicht.
Die Lösung, die jetzt gefunden wurde, ist fast schon salomonisch. Die Söldner gehen frei aus und Prigoschin, eigentlich ein Freund Putins, kann unbehelligt in Belarus leben. Damit signalisiert die russische Regierung ihren Partnern in Eurasien eine souveräne Stärke. Man ist nicht auf Rache aus, sondern auf Klärung des Konfliktes in Erwachsenenmanier. Alles im Griff.
Und Lars Klingbeil? Naja, was will man von dem deutschen Luftikus schon erwarten? Der erhebt ja auch Führungsanspruch in Europa. ????
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ebo
25. Juni 2023 @ 22:45
Ukraine’s president, Volodymyr Zelenskiy, said he discussed the weekend’s turmoil in Russia in a phone call with the US president, Joe Biden, on Sunday and that the events had exposed the weakness of Vladimir Putin’s rule, Reuters reports.
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Art Vanderley
25. Juni 2023 @ 22:19
Letzter Kommentar @ebo , Aussage Klingbeil
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Art Vanderley
25. Juni 2023 @ 22:18
Dem kann ich nur beipflichten.
Die schlimmsten unter den rechten Nationalisten wollen ein Großreich bis nach Portugal…
Putin stabilisiert auch und vor allem nach rechts, was er auch mit dem mißglückten(?)
Attentat gezeigt hat, bei dem er die Tochter seines eigentlichen Ziels erwischt hat.
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Art Vanderley
25. Juni 2023 @ 21:45
Es ist unwahrscheinlich, daß Prigoschin sich geirrt hat über den Angriff auf seine Truppen, also können die nur von Putin angeordnet worden sein. Vermutlicher Grund ist eine zu starke Machtakkumulation durch die Wagnertruppe, die Putin irgendwann gefährlich werden könnte und gegen die er rechtzeitig vorgehen wollte, eigentlich war er schon zu spät dran.
Womit Putin wohl nicht gerechnet hat, ist die entschlossene Reaktion, die aber Sinn macht, denn Prigoschin war eigentlich schon tot und hat die Chancen ergriffen, die er eigentlich nicht hat- nur ein Putsch konnte ihn retten.
Putin hat das vielleicht erkannt und wendet jetzt FSB-Methoden an, erst zurückziehen und dann aus dem Nichts zuschlagen.
Es würde mich nicht wundern, wenn Prigoschin irgendwann einen „skripalen Infekt“ erleidet, wie bereits etwa zehn Personen vor ihm.
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ebo
25. Juni 2023 @ 21:51
Dennoch hat er behauptet, er stehe zu Putin und wolle „nur“ den Sturz des Verteidigungsministers…
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ebo
25. Juni 2023 @ 22:03
SPD-Chef Klingbeil wünscht sich bei Will, dass Putin die Macht verliert. Wäre es etwa besser, wenn Prigoschin übernimmt? Be careful what you wish vor!
Info: https://lostineu.eu/open-thread-zum-machtkampf-in-russland
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
Weiteres:
lostineu.eu, vom 25. Juni 2023
Was sagt die EU zum Machtkampf in Russland? So gut wie nichts – was ungewöhnlich und durchaus seltsam ist.
Die Europäische Union ist normalerweise nicht um Worte verlegen, wenn es um die Wagner-Gruppe und ihren Boss Jewgeni Prigoschin geht.
Im April wurde die Söldnertruppe auf die EU-Sanktionsliste gesetzt; die Außenminister verurteilen regelmäßig Übergriffe der „Wagnerianer“ in Mali und Libyen.
Doch als Prigoschin den Putsch in Russland versuchte, hat es der EU die Sprache verschlagen.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen äußerte sich gar nicht. Dabei will sie sonst immer die erste sein.
Ratspräsident Charles Michel, der die EU-Gipfel organisiert, erklärte: „Wir beobachten die Lage genau“. Er sei mit den Staats- und Regierungschefs der EU und der G7 im Gespräch – doch „dies ist eindeutig eine innere Angelegenheit Russlands.“
Der EU-Außenvertreter Josep Borrell aktivierte das EU-Krisenreaktionszentrum.
Zur Sache wollte sich jedoch niemand in Brüssel äußern. Das ist ungewöhnlich und durchaus seltsam. Schließlich hätte ein Bürgerkrieg in Russland massive Auswirkungen auf die Sicherheit in ganz EUropa – weit über die Ukraine hinaus.
Zudem behaupten die US-Dienste, von Prigoschins Plänen gewußt zu haben. Wurden diese (angeblichen) Erkenntnisse nicht geteilt?
Oder haben unsere Politiker und Diplomaten insgeheim auf einen erfolgreichen Putsch gehofft, wollten ihre Absichten aber verschleiern?
Im Europaparlament gab es schon mehrere Veranstaltungen, bei denen die „Dekolonisierung Russlands“ und der Sturz Putins gefordert wurde…
Siehe auch „Machtkampf in Russland“
P.S. Laut „New York Times“ haben die USA geschwiegen, weil sie nicht verdächtigt werden wollten, einen „Coup“ in Russland zu unterstützen. Das kann man so oder so interpretieren…
‹ Machtkampf in Russland, Streit über das EU-Budget – und Sanktionen ohne Ende › Open thread zum Machtkampf in Russland
2 Comments
KK
25. Juni 2023 @ 18:20„Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen äußerte sich gar nicht.“
DAS ist mal eine gute Nachricht aus Brüssel.
„Zudem behaupten die US-Dienste, von Prigoschins Plänen gewußt zu haben. Wurden diese (angeblichen) Erkenntnisse nicht geteilt?“
Auch wenn ich mich wiederholen sollte: Die Wagner-Truppe ist eine Söldner-Truppe, die sich an den meisstbietenden verkauft. Wer hätte denn noch mehr Geld als Russland?
Hekla
25. Juni 2023 @ 17:52
Da gebe ich KK recht, das ist wirklich eine gute Nachricht. In komplexeren Situationen, besonders in Zusammenhang mit Russland, haben sich bisher alle EU-Repräsentanten fast ausnahmslos nur eskalierend oder für die EU grossen Schaden anrichtend geäussert. Da bin ich dankbar, dass hier mal nicht unbedacht= haltungspolitisch herumgeplappert wurde. Es wäre eine politische Katastrophe, wenn Äusserungen von ihnen als weitere regime-change-Träumereien aufgefasst werden würden..
Oder es hat sich ein mutiger Praktikant in Brüssel gefunden, der ihnen zugeflüstert hat, dass ein destabilisiertes Russland schneller das Ende unserer Zivilisation bewirken könnte, als ein halbwegs stabiles Putin-Russland. Da würde man jetzt schlecht sagen können, dass man letzlich erleichtert ist, dass Putin scheinbar weiter fest im Sattel sitzt.
Info: https://lostineu.eu/machtkampf-in-russland-das-suspekte-schweigen-der-eu
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.