aus e-mail von Doris Pumphrey, 2. November 2024, 17:58 Uhr
Berliner Zeitung 1.11.2024
<https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/geopolitik/wahl-2024-warum-trumps-unberechenbarkeit-die-usa-aussenpolitisch-staerken-koennte-li.2267157>
*America First oder Weltpolizei?
Warum Trumps Unberechenbarkeit die USA stärken könnte
*Trump ist schwer einzuschätzen – von Feind wie Freund. Europa hofft auf
Harris’ Beständigkeit in der Außenpolitik, wird aber in jedem Fall mehr
tun müssen. Die Analyse.
/Von Alice v. Lenthe
/Wird Trumps Unberechenbarkeit zu seiner außenpolitischen Stärke? Welche
Sicherheitsberater würden unter Harris ins Weiße Haus einziehen? Und
übernimmt Amerika auch in den nächsten vier Jahren die Rolle der
Weltpolizei? Eine Mischung aus Berechenbarkeit, Beraterkreis und
Beweggründen des nächsten Präsidenten werden die US-amerikanische
Außenpolitik der kommenden vier Jahre stark beeinflussen. Und damit
Krisen und Konflikte auf der ganzen Welt sowie das Verhältnis zu
Deutschland und Europa bestimmen. Diese drei entscheidenden Faktoren
könnten bei Donald Trump und Kamala Harris nicht verschiedener sein. Ein
Vergleich.
*Berechenbarkeit – Die „Mad-Man-Strategie“
*Während des Vietnamkriegs verfolgte der republikanische Präsident
Richard Nixon, was heute als „Mad-Man-Strategie“ bekannt ist: Der
Präsident signalisierte seinen Kriegsgegnern in Nordvietnam und der
Sowjetunion Irrationalität, um Unberechenbarkeit zu erzeugen. Das Ziel
dieses psychologischen Manövers war es, seine Gegner aus Angst vor einer
Eskalation mit Atomwaffen an den Verhandlungstisch zu bewegen.
Donald Trump behauptete wiederholt, dass Russland die Ukraine unter
seiner Präsidentschaft nicht angegriffen hätte, aus eben dieser Angst
vor seiner unberechenbaren Reaktion. Das zu beweisen oder zu
widerlegen, ist unmöglich. Aber es stimmt, dass Russland es während
Trumps erster Amtszeit nicht wagte, in ein anderes Land
einzumarschieren, anders als unter Biden, Obama oder Bush. In einem
kürzlich erschienen Interview mit der New York Times erklärt Trumps
ehemaliger Sicherheitsberater Robert O’Brien sich dies ebenfalls mit
Trumps strategischer Unberechenbarkeit, mit seiner „Mad-Man-Strategie“.
Unter Kritikern wird allerdings bezweifelt, dass Trumps
Unberechenbarkeit tatsächlich allein von strategischer Natur ist, und so
eine Stärke sein kann. Sein ehemaliger Stabschef im Weißen Haus, John
Kelly, mahnte, dass gerade Trumps impulsive Art ihn für das
Präsidentenamt untauglich mache. Ob nun strategisch oder naturgemäß,
Trumps Unberechenbarkeit dürfte in jedem Fall auch seinen
internationalen Partnern Sorge bereiten.
Anders Kamala Harris. Die Demokratin war die letzten vier Jahre lang
Vizepräsidentin unter Joe Biden, ihre außenpolitischen Positionen würden
sich vermutlich nicht sehr stark von denen ihres Vorgängers
unterscheiden. Mehr Kontinuität und Verbindlichkeit sowohl gegenüber
internationalen Abkommen als auch Partnerländern als unter Trump sind zu
erwarten. Das heißt aber auch, dass ihre Opponenten mit ihr eher wissen,
was sie sich erlauben können.
*Beraterkreis: Hundertprozentige Loyalität ist für Trump ein Muss
*Außenpolitik wird nicht alleine gemacht, auch nicht vom Präsidenten der
Vereinigten Staaten. Welche Berater er oder sie um sich schart, ist also
entscheidend. Dies sind die Personen mit den besten Aussichten auf einen
Beraterposten für nationale Sicherheit oder Außenpolitik unter Harris
und Trump.
Im Falle eines Wahlsieges von Harris ist es wahrscheinlich, dass
ihr jetziger nationaler Sicherheitsberater Philip Gordon weiterhin einen
hohen außenpolitischen Posten einnehmen würde. Er gilt als Experte für
Europa- und Nahostpolitik, war bereits unter Clinton und Obama im Weißen
Haus tätig und verfolgt, wie Harris, einen für die USA traditionellen
und internationalistischen Ansatz. Auch Jake Sullivan, Bidens
derzeitigem nationalen Sicherheitsberater, werden Chancen eingeräumt.
Bereits unter Obama war dieser maßgeblich an Verhandlungen mit dem Iran
über ein Atomabkommen beteiligt. Beide gelten als ausgewiesene
Transatlantiker. Ein eher progressiverer Kandidat wäre Matthew Duss, der
zuvor als außenpolitischer Berater von Bernie Sanders fungierte.
Während Trumps erster Präsidentschaft spielte sein Schwiegersohn Jared
Kushner eine wichtige Rolle in der Außenpolitik, vor allem im Nahen
Osten und bei der Aushandlung der Abraham Accords. Kushner erklärte
allerdings bereits, dass er nicht erneut einen Posten in der Regierung
übernehmen werde. Gute Chancen hat daher Richard Grenell, der während
Trumps erster Amtszeit Botschafter in Deutschland war. In einem
Interview sagte Grenell, dass er als solcher die konservative Politik in
Europa stärken wolle. Dies wurde von Politikern hierzulande
als Einmischung in innere Angelegenheiten verstanden und kritisiert.
Außerdem gelten der bereits erwähnte Robert O’Brien und Elbridge Colby,
Mitarbeiter an Trumps nationaler Sicherheitsstrategie, als
aussichtsreiche Kandidaten. Gegenüber der New York Times sprachen sich
beide für einen harten Kurs gegen China aus. O’Brien verfolgt dabei
einen eskalationsfreudigeren Kurs als Colby.
Grundsätzlich lasse Trump schon jetzt potenzielle Mitarbeiter für seine
Administration auf hundertprozentige Loyalität überprüfen, so Doug
Sosnik, Bill Clintons ehemaliger Berater, gegenüber der Berliner Zeitung.
*Beweggründe: America First vs. Transatlantische Beziehungen
*Trumps Beweggründe hinter seinen außenpolitischen Vorhaben lassen sich
in zwei Worten zusammenfassen: America First. „Trump ist der Meinung,
dass alles, auch Außenpolitik, ein Geschäft ist und dass die Vereinigten
Staaten nicht betrogen werden sollten, indem sie mehr geben, als sie
kriegen. Er hat zum Beispiel behauptet, dass Taiwan nicht zu seiner
eigenen Verteidigung beiträgt und für den Schutz der USA
<https://www.berliner-zeitung.de/topics/usa> bezahlen sollte, obwohl
Taiwan bereits Milliarden für US-Waffen ausgibt“ so Daniel Benjamin,
Präsident der American Academy in Berlin. Ähnlich beschreibt auch
O’Brien gegenüber der New York Times Trumps America-First-Ansatz:
Während seiner ersten Amtszeit bewertete Trump Handelsabkommen oder
Militäreinsätze letztlich immer danach, ob diese in Amerikas Interesse
gewesen seien oder nicht.
Daniel Benjamin: „Trump schert sich nicht darum, Demokratien zu
verteidigen – er will Deals machen. Außerdem ist er ein großer Fan von
Autokraten wie Putin
<https://www.berliner-zeitung.de/topics/wladimir-putin>, Xi oder Orbán
<https://www.berliner-zeitung.de/topics/viktor-orban> und der Macht, die
diese Menschen besitzen.“ Colby stellte im New York Times Interview
klar: „Wir werden nicht mehr Weltpolizei spielen.“ O’Brien hingegen
sagte von Trump, er würde seine „Herzlichkeit“ Putin oder Xi
<https://www.berliner-zeitung.de/topics/xi-jinping> gegenüber nutzen, um
ihnen für mögliche Grenzüberschreitungen besser Konsequenzen aufzeigen
zu können. Eine Schlussfolgerung könnte sein, dass sich Trump zwar
gegen Putin oder Xi stellen würde, allerdings nicht, um andere
Demokratien wie die Ukraine zu verteidigen, sondern allein, wenn er die
Interessen der USA bedroht sähe.
Harris sei laut Benjamin hingegen Transatlantikerin durch und durch und
damit klar in der Nachkriegstradition amerikanischer Präsidenten zu
verorten, die fest an der Seite ihrer Verbündeten stünden. Sie stelle
sich klar gegen Putin und würde sich als Präsidentin weiterhin für die
Freiheit der Ukraine einsetzen. Harris stehe für eine regelbasierte
Weltordnung, Diplomatie und internationale Zusammenarbeit.
*Krisen und Konflikte in der Welt: China, Iran und Russland
*China, Iran oder Russland, welcher Staat wird als die größte Gefahr für
die USA wahrgenommen? Benjamin: „Der Präsident der Vereinigten Staaten
hat nicht den Luxus, sich etwas davon auszusuchen. Er muss sich um alle
drei kümmern.“
Das sehen O’Brien und Colby anders, man müsse Prioritäten setzen: „An
erster Stelle muss die Fähigkeit der USA stehen, die chinesische
Aggression abzuwehren. Das ist das vorrangige Interesse der Vereinigten
Staaten und sollte die Priorität des Verteidigungsministeriums sein“ so
Colby gegenüber der New York Times. Die Chinesen würden trotzdem
wahrscheinlich lieber Trump ins Weiße Haus einziehen sehen, so Benjamin,
denn dieser wäre offener als Harris dafür, mit ihnen Deals einzugehen.
Der Iran stelle ein großes Problem für beide Kandidaten dar, so
Benjamin. Trump kündigte während seiner ersten Amtszeit ein Atomabkommen
mit dem Iran auf, gerade riet er Israel dazu, iranische Nuklearanlagen
zu beschießen. Damit fährt er einen deutlich konfrontativeren Kurs als
Harris. Diese würde als Präsidentin mehr auf diplomatische Initiativen
setzen, um den Iran zurück an den Verhandlungstisch zu bekommen, auch
wenn ihr Vorgänger Biden damit gescheitert sei, so Benjamin.
In ihrem geplanten Umgang mit dem russischen Angriffskrieg gegen die
Ukraine liegen die Kandidaten am weitesten auseinander. Trump behauptete
wiederholt, er würde den Krieg innerhalb eines Tages beenden, sollte er
Präsident werden. Wie genau er dies erreichen will, lässt er offen.
Kritiker befürchten, die Ukraine müsse in diesem Szenario die besetzten
Gebiete an Russland abtreten. Berater Colby äußert sich ähnlich: „Am
Ende wird es wahrscheinlich einen Waffenstillstand irgendwo an der
Kontaktlinie, der militärischen Frontlinie, geben, denn so enden Kriege
wie dieser.“
In jedem Fall ist unter Trump mit einem Stopp von Waffenlieferungen und
finanzieller Unterstützung für die Ukraine zu rechnen: O’Brien und Colby
plädieren dafür, militärische Ressourcen aus der Ukraine abzuziehen und
im Pazifik einzusetzen. Auch Benjamin hält eine solche Entscheidung für
„sehr realistisch.“ Harris hingegen hat mehrfach ihre Unterstützung für
die Ukraine betont. Sie wird aller Wahrscheinlichkeit nach Bidens
Waffenlieferungen und finanzielle Unterstützung für Kiew aufrechterhalten.
*Konsequenzen für Deutschland und Europa: Stärkerer Einsatz in der
Ukraine und womöglich keine Mittelstreckenraketen
*Schon während seiner ersten Amtszeit forderte Trump einen größeren
finanziellen Einsatz für Verteidigung von seinen europäischen Partnern
und drohte sogar mit einem Austritt aus der Nato, sollte dieser nicht
erbracht werden. Er ist nicht bereit, mit den USA weiterhin als Europas
Schutzmacht zu fungieren, sollte er dafür nicht ausreichend kompensiert
werden. Stichwort: Deals. Stichwort: America First. Doch auch unter
Harris wird sich Europa wohl verstärkt selbst um seine Sicherheit
kümmern müssen, denn dies ist eine weitverbreitete Forderung in der
amerikanischen Bevölkerung. Und auch sie sieht in China eine wachsende
Gefahr.
Sollte Trump tatsächlich wiedergewählt werden und die Ukraine ihrem
Schicksal überlassen, um sich auf China zu konzentrieren, wird das
enorme Konsequenzen für die europäischen Länder haben, denn diese
müssten die gesamte Unterstützung des osteuropäischen Landes alleine
schultern. Bei einem möglichen Angriff Russlands auf weitere Länder wie
Moldau oder Georgien ist unwahrscheinlich, dass Trump entschieden
eingreifen wird. Einige Kritiker gehen sogar so weit zu sagen, dass
unter Trump Artikel 5 der Nato ins Wanken geraten könnte, die Garantie,
dass ein Angriff auf ein Nato-Land als ein Angriff auf alle Nato-Länder
verstanden und dementsprechend reagiert wird. Zugespitzt ausgedrückt:
Unter Trump könnten die USA nicht nur die Ukraine, sondern ganz Europa
sich selbst überlassen.
Unter einer US-Präsidentin Harris wären die Konsequenzen für Europa
deutlich weniger extrem. Sie betont immer wieder die Wichtigkeit der
Nato und ihre Unterstützung für die Ukraine. Sie wird Bidens Plan,
amerikanische Mittelstreckenraketen ab 2026 in Deutschland zu
stationieren, eher nicht aufgeben. „Trump würde dieses Vorhaben
wahrscheinlich zurückrollen, wenn Putin das fordert“ so Benjamin. Auch
in Deutschland stationierte US-Truppen könnten unter Trump aus
Deutschland abgezogen und beispielsweise nach Polen oder in die
Pazifik-Region verlegt werden, so O’Brien.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.