aus e-mail von Doris Pumphrey, 2. Januar 2025, 20:10 Uhr
https://afsaneyebahar.com/wp-content/uploads/2025/01/ac1.1.2025.pdf
1.1.2025
*Imperiale Hybris (und ihre Folgen) in Syrien *
/Von Alastair Crooke -- Übersetzung von Andreas Mylaeus/
*/Die Geschichte Syriens ist nicht so einfach wie „Präsident Assad ist
gestürzt“ und die „technokratischen Salafisten“ sind an die Macht
gekommen. /*
In gewisser Weise war der Zusammenbruch vorhersehbar. Es war bekannt,
dass Assad seit einigen Jahren von Ägypten und den Vereinigten
Arabischen Emiraten beeinflusst wurde. Sie hatten ihn gedrängt, mit dem
Iran und Russland zu brechen und sich dem Westen zuzuwenden. Seit etwa
drei bis vier Jahren hatte er schrittweise Signale für einen solchen
Schritt ausgesandt und diesen auch umgesetzt. Vor allem der Iran sah
sich zunehmenden Hindernissen bei operativen Angelegenheiten gegenüber,
bei denen er mit den syrischen Streitkräften zusammenarbeitete. Seine
Wende war als Botschaft an den Iran gedacht.
Die finanzielle Lage Syriens war nach Jahren der US-amerikanischen
Caesar-Sanktionen und dem Verlust aller landwirtschaftlichen und
Energieeinnahmen, die von den USA im besetzten Nordosten Syriens
beschlagnahmt wurden, *katastrophal*. Syrien hatte schlichtweg /keine
Wirtschaft/.
Zweifellos wurde Assad die Kontaktaufnahme mit Israel und Washington als
einziger gangbarer Ausweg aus seinem Dilemma präsentiert.
„Normalisierung“ könnte zur Aufhebung der Sanktionen führen, flehten sie
ihn an. Und Assad, so berichten Personen, die mit ihm in Kontakt
standen, glaubte (selbst in der elften Stunde vor der „Invasion“ des
HTS), dass die arabischen Staaten, die Washington nahestehen, sich für
seine weitere Führung entschieden hätten, anstatt zuzusehen, wie Syrien
salafistischen Fanatikern zum Opfer fällt.
Um es klar zu sagen: Moskau und Teheran hatten Assad gewarnt, dass seine
Armee (als Ganzes) zu schwach, zu unterbezahlt und zu sehr von
ausländischen Geheimdiensten unterwandert und bestochen sei, um eine
effektive Verteidigung des Staates zu gewährleisten. Assad wurde auch
wiederholt vor der Bedrohung durch Dschihadisten in Idlib gewarnt, die
planten, Aleppo einzunehmen, aber der Präsident ignorierte die Warnungen
nicht nur – er wies sie zurück.
Ihm wurde nicht nur einmal, sondern zweimal eine sehr große externe
Militärmacht angeboten, sogar in den „letzten Tagen“, als Jolanis
Milizen vorrückten. Assad lehnte ab. „/Wir sind stark/“, sagte er bei
der ersten Gelegenheit zu einem Gesprächspartner; doch kurz darauf, bei
einer zweiten Gelegenheit, gab er zu: „/Meine Armee läuft davon./“
Assad wurde von seinen Verbündeten nicht im Stich gelassen. Es war
jedoch zu spät. Er hatte sich einmal zu oft um 180 Grad gedreht. Zwei
der Hauptakteure (Russland und der Iran) waren frustriert und konnten
nicht helfen, da Assads Zustimmung fehlte.
Ein Syrer, der die Familie Assad kannte und kurz vor der Invasion
Aleppos ausführlich mit dem Präsidenten gesprochen hatte, fand ihn
überraschend zuversichtlich und gelassen – er versicherte seinem Freund,
dass es in Aleppo genügend Truppen (2.500) gebe, um mit Jolanis
Drohungen fertig zu werden, und deutete an, dass Präsident Sissi bereit
sein könnte, Syrien zu helfen. (Ägypten fürchtete natürlich, dass
Islamisten der Muslimbruderschaft in einem ehemals säkularen Baath-Staat
die Macht übernehmen könnten).
Ibrahim Al-Amine, Herausgeber von */Al-Akhbar/*, bemerkte eine ähnliche
Wahrnehmung von Assad:
/"Assad schien mehr und mehr davon überzeugt zu sein, dass Abu Dhabi in
der Lage sei, sein Problem mit den Amerikanern und einigen Europäern zu
lösen, und er hörte viel über wirtschaftliche Versuchungen, wenn er der
Strategie zustimmte, das Bündnis mit den Widerstandskräften zu
verlassen. Einer von Assads Mitarbeitern, der bis zu den letzten Stunden
vor seiner Abreise aus Damaskus bei ihm blieb, sagte, dass der Mann
immer noch hoffte, dass etwas Großes geschehen würde, um den Angriff der
bewaffneten Gruppen zu stoppen. Er glaubte, dass „die arabische und
internationale Gemeinschaft“ es vorziehen würde, dass er an der Macht
bleibt, anstatt dass Islamisten die Verwaltung Syriens übernehmen. /
Doch selbst als die Truppen von Dschalani auf der Autobahn M5 in
Richtung Damaskus unterwegs waren, unternahmen die Mitglieder der
Assad-Familie und wichtige Beamte keine Anstalten, sich auf eine Abreise
vorzubereiten oder enge Freunde zu warnen, über solche Eventualitäten
nachzudenken, so der Gesprächspartner. Selbst als Assad /auf dem Weg
/nach Moskau nach Hmeimin fuhr, wurde an Freunde kein Ratschlag zum
„Ausstieg“ gesendet.
Die Gesprächspartner sagten, dass sie nach Assads stillschweigender
Abreise nach Moskau nicht wussten, wer genau oder wann der syrischen
Armee befohlen hatte, sich zurückzuziehen und den Übergang vorzubereiten.
Assad besuchte Moskau am 28. November kurz – einen Tag nach den
Angriffen der HTS in der Provinz Aleppo und ihrem raschen Vormarsch nach
Süden (und einen Tag nach dem Waffenstillstand im Libanon). Die
russischen Behörden haben sich nicht zum Inhalt der Treffen des
Präsidenten in Moskau geäußert, und die Familie Assad sagte, dass der
Präsident ebenfalls mit verschlossenem Mund aus Russland zurückgekehrt sei.
Anschließend reiste Assad schließlich nach Moskau ab (entweder am 7.
Dezember, nachdem er ein Privatflugzeug auf mehrere Flüge nach Dubai
geschickt hatte, oder am 8. Dezember) – und sagte erneut praktisch
niemandem in seinem unmittelbaren und familiären Umfeld, dass er
endgültig abreisen würde.
Was hat diese untypische Denkweise verursacht? Das weiß niemand.
Familienmitglieder spekulieren jedoch, dass Baschar al-Assad durch die
schwere Krankheit seiner Frau Asma, der er sehr zugetan ist, emotional
stark desorientiert war.
Offen gesagt, während die drei Hauptakteure klar erkennen konnten, in
welche /Richtung /sich die Ereignisse bewegten (die Fragilität des
Staates war keine Überraschung), war Assads Verweigerungshaltung und die
daraus resultierende Geschwindigkeit der militärischen /Auflösung
/dennoch überraschend. Das war der wahre „schwarze Schwan“.
Was hat die Ereignisse ausgelöst? Erdogan fordert seit mehreren Jahren,
dass Assad erstens mit der „legitimen syrischen Opposition“ verhandelt,
zweitens die Verfassung neu entwirft und drittens Präsident Erdogan
persönlich trifft (was Assad konsequent ablehnt). Alle drei Mächte
drängten Assad, mit der „Opposition“ zu verhandeln, aber er wollte nicht
und wollte sich auch nicht mit Erdogan treffen. (Beide verabscheuen sich
gegenseitig). Die Frustration darüber war groß.
Erdogan „gehört“ nun unbestreitbar das „*ehemalige Syrien“*. Die
osmanischen Irredentisten sind begeistert und fordern mehr türkischen
Revanchismus. Andere – die eher säkularen Stadtbewohner der Türkei –
sind jedoch weniger begeistert von der Zurschaustellung des türkischen
religiösen Nationalismus.
Erdogan könnte jedoch (oder wird es bald) die Reue des Käufers
verspüren: Ja, die Türkei steht als neuer Hausherr Syriens da, aber er
ist jetzt „verantwortlich“ für das, was als Nächstes passiert. (HTS ist
eindeutig als türkischer Stellvertreter entlarvt.) Minderheiten werden
getötet; brutale sektiererische Hinrichtungen nehmen zu; der
Sektierertum wird extremer. Eine syrische Wirtschaft ist noch nicht in
Sicht; es gibt keine Einnahmen und keinen Treibstoff für die
Benzinraffinerie (die zuvor vom Iran beliefert wurde).
Erdogans Eintreten für eine umbenannte und verwestlichte Al-Qaida war
schon immer ein Risiko, das sich als hauchdünn erweisen könnte (wie die
sektiererischen Morde auf grausame Weise zeigen). Wird es Jolani
gelingen, seine Al-Qaida-im-Anzug-Verjüngungskur bei seinen heterodoxen
Anhängern durchzusetzen? Abu Ali al-Anbari, zu dieser Zeit (2012–2013)
der wichtigste Berater von al-Baghdadi, gab diese vernichtende
*Einschätzung *von Jolani ab:
„/Er ist ein gerissener Mensch, hat zwei Gesichter, vergöttert sich
selbst, kümmert sich nicht um seine Soldaten, ist bereit, ihr Blut zu
opfern, um sich in den Medien einen Namen zu machen – er strahlt, wenn
er seinen Namen auf Satellitenkanälen /erwähnt hört.“
Auf jeden Fall ist eines klar: Erdogans Taktik hat das ehemals (und
größtenteils) ruhende sunnitische Sektierertum und den osmanischen
Imperialismus neu entfacht. Die Folgen werden vielfältig sein und sich
auf die gesamte Region auswirken. Ägypten ist bereits besorgt – ebenso
wie König Abdullah in Jordanien.
Viele Israelis sehen sich als die „Gewinner“ des syrischen Aufruhrs, da
die Versorgungslinie der Achse des Widerstands in der Mitte durchtrennt
wurde. Der israelische Sicherheitschef Ronan Bar wurde
höchstwahrscheinlich von Ibrahim Kalin, dem türkischen Geheimdienstchef,
über die erwartete Invasion in Idlib informiert, als sie sich am 19.
November in Istanbul trafen – rechtzeitig, damit Israel den
Waffenstillstand im Libanon in Kraft setzen und den Durchmarsch der
Hisbollah-Truppen nach Syrien verhindern konnte (Israel bombardierte
sofort alle Grenzübergänge zwischen dem Libanon und Syrien).
Dennoch könnten die Israelis feststellen, dass ein neu entfachter
salafistischer Fanatismus nicht ihr Freund – und letztlich auch nicht zu
ihrem Vorteil ist.
Der Iran wird am 17. Januar 2025 das lang erwartete
Verteidigungsabkommen mit Russland unterzeichnen.
Russland wird sich auf den Krieg in der Ukraine konzentrieren und sich
aus dem Sumpf im Nahen Osten heraushalten – um sich auf die langsame
globale Umstrukturierung zu konzentrieren, die stattgefunden hat, und
auf den Versuch den Blick auf das grosse Ganze zur richten, um Trump zu
gegebener Zeit dazu zu bringen, die Sicherheitsinteressen des
asiatischen „Kernlandes“ („Heartland“) und der BRICS anzuerkennen und
einer Grenze zum Sicherheitsbereich des Randlandes („Rimland“ –
Atlantiker) zuzustimmen, damit eine Zusammenarbeit in Fragen der
globalen strategischen Stabilität und der europäischen Sicherheit
vereinbart werden kann.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.