Der letzte Gewerkschafter Deutschlands
overton-magazin.de, 16ovember 2023 Roberto De Lapuente 44 Kommentare
Martha Doerfler – RLS, Rosa Luxemburg-Stiftung, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons, bearbeitet
Die Republik atmet auf: Nächstes Jahr geht der GDL-Vorsitzende Claus Weselsky in Rente. Dabei ist es schade, der Mann wird diesem Land fehlen.
Diesen Bahnwarnstreik muss man noch überstehen, vielleicht auch noch einen richtigen Streik, aber dann geht Claus Weselsky 2024 endlich in Rente. Man spürt, wie viele im Lande – angefangen bei den angebotsorientierten Journalisten in den bedeutenden Redaktionen Deutschlands – tief durchatmen. Nicht mehr lange, dann hat man diesen Querulanten los, der mit einem Fingerschnippen die Republik lahmzulegen vermag.
Die Wut köchelt noch, aber nicht mehr ganz so brutal wie vor einigen Jahren. Damals druckte manches Revolverblatt die Anschrift und Telefonnummer von Claus Weselsky auf ihre Seiten. Man möge ihn anrufen, ausschimpfen, mal ordentlich den Marsch blasen. Dazu verfolgungsbetreute man ihn, seine Angehörigen: Vor einigen Jahren galt der GDL-Vorsitzende als schlimmste Gefahr für den öffentlichen Frieden – kaum eine positive Nachricht gab es zu seiner Person. Bis neulich, als man verkünden konnte: Er geht in Rente.
Das Anti-Weselsky-Gesetz
Eine Verhandlungsrunde gilt es noch zu überstehen. Werktätige und Pendler schielen auf das, was sich da abzeichnet, fürchten sich wieder vorm Stillstand – befeuert wird diese Angst von den Medien, die klarmachen, wer die Verantwortung trägt: Die GDL, besser gesagt der starke Mann an der Spitze der Lokführergewerkschaft. Dass an einem Verhandlungstisch stets zwei Parteien sitzen, in diesem Fall eben die GDL mit der Deutschen Bahn, die sich ziert und verweigert, versucht sich möglichst billig aus dieser Affäre zu stehlen, bleibt jedoch ungesagt.
Das Tarifeinheitsgesetz sollte vor einigen Jahren, Andrea Nahles war noch Bundesarbeitsministerin, die Macht kleiner Duodezgewerkschafter bändigen. Das Gesetz wurde nach einer Streikwelle der GDL forciert und sollte in Betrieben, in denen es mehrere Gewerkschaften gibt, diejenige als maßgeblich einordnen, die die meisten Mitglieder aufzubieten hat.
Es funktionierte zum Glück, wie fast alles, was die letzten Bundesregierungen gesetzlich anpackten, nicht ganz rund – in etlichen Betrieben der DB ist weiterhin unklar, wer die Mehrheit der Mitglieder in Anspruch nehmen kann: Die GDL – oder die eher der Bahn verpflichtete EVG?
Im Zuge der Debatten um die Gesetzesforderungen nahm man Weselsky ins Visier. Für viele im Lande war dieses Gesetzesvorhaben ein Anti-Weselsky-Gesetz. Nie wieder sollte ein einzelner Mann in Deutschland die Macht haben, den Verkehr anzuhalten und das Wirtschaftsleben zu lähmen. Dass der Mann eine Freude an seiner Machtausübung hat, galt gemeinhin als klarer Fall. Etwas Diabolisches heftete man ihm an, etwas Größenwahnsinniges und viel Elitäres, denn schließlich nehme er auf die Belange der fleißig arbeitenden Menschen im Lande keinerlei Rücksicht.
Klassenlose Gesellschaft?
In einem Interview (leider nicht mehr verfügbar) fragte er, ob man denn besser nachts streiken solle – damit es keiner merkt. Der Streik spielt natürlich immer mit den Belangen derer, die Leistungen in Anspruch nehmen. Das Kalkül ist, dass so bemerkbar gemacht wird, dass es eine Schieflage gibt. Die Reaktion derer, die dann die Folgen eines Streiks ausbaden müssen, können demnach zwischen Ärger und Verständnis variieren, also zwischen GDL- oder DB-Verurteilung. Dass es die GDL und namentlich Claus Weselsky sein sollen, die die Empörung ernten, dafür sorgte in den letzten Jahren – wie bereits erwähnt – eine breite Medienfront.
Über viele Jahrzehnte hat man dieser Gesellschaft im Zuge der Neoliberalisierung eingeimpft, dass es keine Klassen mehr gäbe. Die klassenlose Gesellschaft: Das war und ist eine der strategischen Lügen des Marktradikalismus.
Jene vermeintliche Klassenlosigkeit kanalisiert Aufbegehren und bettet die Partikularinteressen der arbeitenden Menschen in ein Weltbild, in dem alle an einem Strang ziehen: Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Chef und Untergebener, Milliardär und Habenichts. Dass die Interessen gemeinhin allerdings entgegenstehen, bemäntelt man mit dem Kniff, die Klassengesellschaft zu leugnen. Sie simuliert den Burgfrieden am Arbeitsmarkt und in der Sozialpolitik. In dem oben genannten Interview machte Weselsky seinerzeit klar, dass die Arbeitswelt kein Schlaraffenland sei, dort fliegen Hühnchen nicht in die Mäuler. Man muss um sie kämpfen.
Zudem konnte diese Auslegung der gesellschaftlichen Dynamiken dazu genutzt werden, um Gewerkschaften schwach zu reden. Insbesondere ihre Streikbereitschaft als längst überkommene Praxis zu stigmatisieren. Der Streik sei demnach ein Gefährder, weil er unser aller Interesse unterminiere. Unternehmen schwäche – und auch jenen schade, die sich vielleicht noch ausgemalt hätten, von den Früchten eines Streikes profitieren zu können. Der Streik sei ja nämlich ein Eingriff in den freien Markt – und da nur und ausschließlich er wisse, wie man die Belange am besten regelt, könne eine ausgeweitete Streikkultur einfach nicht mehr hingenommen und akzeptiert werden. Als Folklore nimmt man Streik vielleicht noch hin, als zweistündigen Warnstreik etwa – als Volksfest geht das. Nicht aber als Arbeitskampf.
Gewerkschaften und die Individualisierung
Diese Ideologisierung hat gefruchtet. Über Jahre lasen wir, wie schädlich Gewerkschaften für uns sein könnten. Man verwies auf Großbritannien, wo Mrs. Thatcher die Interessensvertretungen der Arbeiterschaft zerschlagen hat – und wo angeblich die Wirtschaft deshalb brummte. So sollte man es hier auch halten, dann gehe es aufwärts. Streiken sei von gestern. Und zudem hundsgemein, denn der Streik hindert uns alle an der freien Entfaltung, steht unserem individuellen Lebensmodell im Wege.
Aber genau darum geht es eben im Gewerkschaftswesen: Man ist nicht alleine, nicht vereinzelt – man schließt sich zusammen und bündelt die Kräfte im Kampf gegen »die da oben«, gegen diejenigen, die am längeren Hebel der Wirtschaft sitzen. Gewerkschaften dienen eben nicht dem Individualismus. Sie sind geradezu das Gegenteil davon. Verstehen sich als Kollektiv.
Genau diese Grundidee war es ja, die die neoliberalen Reformer so eine Kampagne gegen das Gewerkschaftswesen starten ließ. Dass dabei sogar noch einer wirklich streikt, die Logik des Arbeitskampfes ohne falsche Zurückhaltung auslebt und seiner kleinen Gewerkschaft der Lokführer Selbstbewusstsein einflößt: Dagegen musste man gesetzlich vorgehen – das konnte einfach nicht angehen.
Zuvor probierte man es mit Rufmord, mit Belagerung und Druck. Versuchte die Wut in der Bevölkerung auf Weselsky zu lotsen. Nicht ganz unerfolgreich. Aber der GDL-Vorsitzende ließ sich nie beeindrucken – sein sächsisches Gemüt half ihm sicher dabei, in der Spur zu bleiben, sich nicht von äußeren Faktoren beeinflussen zu lassen.
Weselsky wird uns fehlen
Dabei war Claus Weselsky sicher kein ganz einfacher Typ in all den Jahren. Mancher Spruch ging daneben und würde, brächte er ihn heute, mit striktester Cancel Culture geahndet. Nicht so bei der GDL, denn der Vorsitzende hat sich über Jahre die Anerkennung und Zufriedenheit seiner Gewerkschaftsmitglieder verdient. Einen wie ihn, das wissen und das fürchten sie, werden sie nicht mehr an die Spitze ihrer Gewerkschaft bekommen. Denn Leute wie er sind Auslaufmodelle, nicht nur bei der GDL, sondern bei allen Parteien.
Claus Weselsky ist vielleicht der letzte Gewerkschafter im Lande. Treppenwitz dieser Geschichte: Er kommt nicht aus dem linken Lager, sondern ist Mitglied der CDU. Man betrachte nur das Personal anderer Gewerkschaften: Dem DGB sitzt zum Beispiel Yasmin Fahimi vor, eine SPD-Karrieristin, die Anfang des Jahres von der Kriegswirtschaft salbaderte – Gewerkschaften vertreten gemeinhin die kleinen Leute, die Kriege ausbaden müssen. Wie kann sie es also nur wagen, so einen Unsinn von sich zu geben? Solche Ja-Sager sind wohl leider das Zukunftsmodell der Gewerkschaften. Fahimi erklärte damals unter anderem auch, dass Dividendenausschüttungen auch bei Unternehmen gelten sollten, die mit Steuergeldern gerettet wurden. Arbeitskampf ist mit solchen Leuten nicht machen …
Mag ja sein, dass viele, die über den Tellerrand zu gucken nicht erzogen wurden, nun mit Erleichterung dem baldigen Renteneintritt Weselskys entgegensehen. Ob sie jemals begreifen werden, dass uns dieser Mann fehlen wird? Sein knorriger Charakter, seine Standfestigkeit und seine Sturheit? Ob sie noch einmal an jenen Claus Weselsky denken werden, wenn sie sich nicht am Wachstum beteiligt fühlen? Sein Abgang mag nicht weniger als eine Zäsur sein. Denn wenn er nicht mehr streiken lässt, ist dieses Land endgültig ein weichgespülter Arbeitsmarkt.
Weselsky hat für seine Gewerkschaftsgenossen gestreikt, keine Frage – aber indirekt hat er der ganzen Republik gezeigt, welche Haltung eine Gewerkschaft an den Tag legen muss, um ihren Anspruch und den Ansprüchen ihrer Mitglieder gerecht zu werden. Und da ist keiner mehr, die in diese Rolle zu schlüpfen imstande oder bereit ist.
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Schlagwörter: Claus Weselsky, Deutsche Bahn, GDL, Gewerkschaften, Tarifeinheitsgesetz, Wanrstreik
44 Kommentare
Vom Prinzip her haben die Wenigsten etwas dagegen, wenn für Arbeitnehmerrechte auch mal gestreikt wird. Was mich bei Weselski immer aufstößt, sind die entsprechenden Forderungen, mit denen er sein Klientel versorgt, wohlwissend, dass das, was er erkämpft, vom Rest der Arbeitnehmer in Deutschland ausgebadet werden muss, und zwar häufig zu Bedingungen, die seine Ergebnisse nur in einer Traumwelt erscheinen lassen. Arbeitszeiten, Gehälter, Urlaub, all dies in der Größenordnung von Weselskis Forderungen, kennt nur ein Bruchteil der Schaffenden, mit Sicherheit sind da Handwerker, Pflegekräfte, Mitarbeiter im Handel und in der Gastronomie und auch fast alle nicht tarifgebundenen sonstigen Arbeitnehmer nicht dabei, und genau diese bestraft er mit seinen Forderungen. Daher wünsche auch ich, dass er abtritt.
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Ich sehe die Gewerkschaften wie die SPD, ein ständiger und mit Berechnung umfallender Teil seiner ideologischen Prämisse.
Wo war die Gewerkschaft in der Corona Zeit?
Wo war sie in all den Jahren wo offensichtlich, Arbeitsplätze ins Ausland verlegt wurden?
Wo war sie bei Harz oder heute Bürgergeld?
Wo ist die Gewerkschaft, um sich für diejenigen stark zu machen, die wegen Neoliberalismus ihre Arbeit verloren?
Wo ist der Aufschrei, das „Flüchtlinge“ bewusst ein System in Anspruch nehmen, ohne Konsequenzen, aber wer als ‚ursprünglicher verdiente Arbeitnehmer‘ konsequent als nicht verdienter brdgmbh Bürger ‚gecancelt’wird?
In dem ehemaligen Deutschland, ist bis heute einiges schief gelaufen und die Gewerkschaften feierten ihre Vorstände für Minimalismus.
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Ja,der Herr Weselsky ist „umstritten“.Bei den Medien,den anderen Gewerkschaftsfunktionären,der Politik.Warum?Er vertritt die Interessen des fahrenden Personals der Bahn.Er ist nicht wie viele andere Funktionäre käuflich.Und er ist „Ossi“ und Sachse.Das Feindbild für den westdeutschen Linken Spießer schlechthin.Denn der ist der festen Überzeugung,dass Arbeit nichts wert ist und diejenigen,die den Laden noch einigermaßen am Laufen halten,schon viel zu viel Geld bekommen.Bei der Mehrzahl der „kleinen“Leute hingegen hat sich Herr Weselsky Respekt und Anerkennung verdient.Meinen auch.Danke dafür!
Weselsky zählt sicherlich zu den Persönlichkeiten, die von Teilen des herrschenden Systems und ihrer angeschlossenen Medienapparate zum Ziel einer ausgereiften Delegitimierungskampagne erkoren worden sind. Wobei sie weniger auf ihn zielen, als das Phänomen des Arbeitskampfes als solchen. Dabei sollte zugleich das tatkräftige Mitwirken der Kaviarlinken nicht vergessen werden, die wie üblich gegen die Rechte und Interessen der Arbeiterschaft agitieren und mit den Eliten kuscheln. Bei den Streiks von 2014 erklärte beispielsweise der Ex-Verdi-Funktionär Riexinger, einer ihrer Leuchttürme: „Die Lohnforderungen der Lokführer sind richtig, der Streik ist falsch, weil er die Belegschaft spaltet.“ Und der seinerzeitige ND-Chefredakteur Strohschneider sekundierte: „Die GDL steht nicht unter politischem Naturschutz.“ Tja. Typische Herrschafts- und Medienanbiederung in Reinkultur – freilich nichts Neues im Westen und schon gar nicht von der kaviarlinken Front.
Allgemein verstößt ein Typ wie Weselsky ja gegen diverse Gebote neoliberaler Tugend, wenn er es wagt Arbeitskämpfe zu führen, die noch diesen Namen verdienen. Selbst wenn sie eher Spiegelfechten und Schattenboxen darstellen. Wie rechts und obrigkeitshörig dieses Land in den letzten Jahrzehnten geworden ist, zeigt sich gerade daran, dass für viele Mitbürger Arbeitskämpfe bitte nur noch ohne Betroffene, nachts und an Feiertagen sowie am besten irgendwo weit draußen in der Pampa ablaufen sollten. Sicherlich eine der luzidesten Signaturen dieser zutiefst algophobischen Gegenwartsgesellschaft, die Reibung, Debatte und Schmerz nicht (mehr) auszuhalten vermag und lieber im wohlig-konformistischen Einheitsbrei weiter dämmert. Bloß nicht aufmucken, bloß keine Konflikte. Bloß kein Schmerz. Es war deshalb nur konsequent, dass die Sammelbewegung zur Proletarierdemütigung damals den Anstoß Tarifeinheitsgesetz auf den Weg brachte. Doch ein Streik, der niemandem wehtut, ist kein Streik.
Zugleich ist das Ganze aber nicht nur Ausdruck einer von den Herrschenden gezielt gestifteten „vermeintlichen Klassenlosigkeit“, sondern auch der allgemeinen systemisch-bedingten Vereinzelungsprozesse, dank derer (wenig überspitzt) jeder nur noch auf sich selbst schaut, nur noch für sich und gegen andere kämpft und nur noch sein eigenes Wohl beziehungsweise das seiner Geldbörse im Blick hat. There no such thing as society – social darwianism rules!
Von diesen Aspekten abgesehen sollten wir aber die Moschee bitte im Hinterhof lassen. Es gibt keine Grund die GdL auf den Schild zu heben oder Weselsky zur Lichtgestalt zu (v)erklären. Wie DGB, Verdi, Cockpit und Co. verkaufen auch sie regelmäßig Arbeiterinteressen und stimmen jedem faulen Kompromiss zu, statt den wirklichen Arbeitskampf zu wagen. Viele Leute wollen aber endlich mal richtige Ergebnisse sehen und nicht bloß wieder die üblichen Kompromisse. Man kennt das Spiel ja auch aus anderen Branchen inzwischen zu genüge: „Fünf Prozent mehr pro Jahr“, werden zu „1,75 bis 2,25 % über 30 Monate“. Das ist in „guten Jahren“ mit viel Glück der Inflationsausgleich gewesen. Und wie die anderen hat auch die GDL bei früheren Streiks jedes Mal lieber einem faulen Kompromiss zugestimmt, als eine Ausweitung des Arbeitskampfs zuzulassen oder ihn gar in andere Branchen zu tragen. 2014 schloss sie ein vierjähriges Stillhalteabkommen, der Abschluss 2021 war ein Witz. Heuer gibt es erst recht keinen Grund auf Besserung zu hoffen. Das knallige Auftreten Herrn Weselskys ist letztlich Show und die paar Arbeitsniederlegungen nichts als etwas Dampfablassen und Arbeiterkalmieren. In Wahrheit sucht er, wie die trotzkistische WSWS zurecht erkannt hat, den Kompromiss und ist ansonsten vollauf mit dem mehr als dubiosen „Projekt Fair Train eG“ beschäftigt. (Verdammt, jetzt habe ich mal die WSWS gelobt.)
Es bleibt dabei: Gewerkschaften stehen nicht an der Seite der arbeitenden Massen, sondern sind – wie andere gesellschaftliche Institutionen auch – aufs engste mit der herrschenden Klasse verwoben, deren Werte sie teilen und vor deren Oberhäuptern sie für ein paar Pöstchen oder etwas „Anerkennung“ allzu gerne katzbuckeln. Ihre vornehmliche Aufgabe, wie die der sogenannten „Linkspartei“ und (früher) der SPD, besteht im Kanalisieren von Protest, dem Spalten und Ablenken der Arbeiterschaft sowie sonstigen systemerhaltenden Tätigkeiten. Herr De Lapuente irrt m.E. deshalb, wenn er schreibt:
Solche Ja-Sager sind wohl leider das Zukunftsmodell der Gewerkschaften.
Nein, Ja-Sager und Systemapologeten sind nicht bloß Zukunft, sondern bereits Vergangenheit und Gegenwart der Gewerkschaften. Dies unterstreicht der Blick in die Geschichte – die Gewerkschaften waren schon immer „Organe des imperialistischen Staates“ wie etwa Malte Meyer schrieb. Er umriss die dort herrschende Arbeitsteilung treffend wie folgt:
Gewerkschaftslinke mit ihren militarismuskritischen Impulsen sind für das gute Gewissen, die Gewerkschaftsrechte dagegen für das pragmatische Alltagsgeschäft zuständig.
Ja, es mag sicher engagierte Gewerkschaftsmitglieder und gerade im Unterbau dieser Institutionen auch tatkräftige Funktionäre geben, denen wirklich das Wohl ihrer Mitmenschen am Herzen liegt. Aber das sind letztlich Idealisten oder eben Schönmaler und es nimmt nicht Wunder, dass solche Typen niemals in die wahrhaft entscheidenden Funktionen oder die wirklich wichtigen Ebenen aufsteigen (dürfen).
Kurzum: Gewerkschaften sind nicht die Lösung, sondern Teil des Problems. Jede wahrhaft linke, das heißt anti-imperialistische, anti-kapitalistische und anti-kolonialistische Bewegung, die sich für die Belange der Massen, das heißt Fortschritt in Freiheit und Freiheit (die wahren drei FFF), einsetzt, muss deshalb zwingend auch anti-syndikalistisch sein, da die führenden Syndikalisten immer Büttel und Instrument des herrschenden bourgeoisen Systems sind. Ob sie Fahimi heißen oder Weselsky.
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@Roberto De Lapuente
Das Interview funktioniert noch auf diesem Weg:
https://web.archive.org/web/20170314063953/https://www.neulandrebellen.de/2017/03/claus-weselsky-am-telefon-sollen-wir-besser-nachts-streiken/
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Persönlich bin ich zwar Gewerkschaftsgegner, weil ich der festen Überzeugung bin, daß die Ursprungsidee längst gekapert ist und Gewerkschaften nur noch dazu dienen das Lohnniveau steuern zu können, bei der Selektion der Beschäftigten zu helfen und Arbeitslose draußen und im Niedriglohnsektor zu halten. Von der Funktionärswirtschaft an den Interessen der Beschäftigten vorbei und der politischen Gleichschaltung will ich gar nicht erst reden. Aber Weselsky hat es immerhin geschafft seine GDL aus dem DGB rauszuhalten der ja nie was anderes war als der Traum von der Einheitsgewerkschaft als Teil der Arbeitsfront. Und wenig hat die SPD im letzten Jahrzehnt besser enttarnt als deren Umgang mit Weselsky. Außerdem war es schön zu sehen, wie sehr auch Leitmedien immer bemüht haben zu verschleiern worum es beim Zwist zwischen GDL und DGB wirklich ging, so erst entstand ja erst das Bild vom gierigen Weselsky.
Langfristig sind das aber Debatten von gestern. Die Generation Home Office und Schneeflöckchen kann damit eh nichts anfangen und für weite Teile der real arbeitenden Bevölkerung gelten eh längst Maximallöhne, die manche wohlmeinend als Mindestlohn verpacken. Die welt von morgen ist entweder jenes nichts mehr besitzen und trotzdem glücklich sein oder eine Welt des Verteilungskampfes und dann wird der Mensch dem Menschen eh wieder zum Wolf.
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Ich habe über Jahrzehnte aktiv in Gewerkschaften gearbeitet. Nie in bezahlten Funktionen und nur im Betrieb. So ein Funktionärsding war nie meins. Habe immer praktisch gearbeitet.
Natürlich hängt die Beschaffenheit der deutschen Gewerkschaften nicht von einem Mann ab . Die Ursachen für das langsame Sterben der Gewerkschaften sind umfassender und komplizierter. Sie sind mit Sicherheit nicht daran festzumachen, dass sich im Apparat mehrheitlich Personen festgesetzt haben, für die eigenes Fortkommen wichtiger ist, als die machtvolle und entschlossene Vertretung der Arbeitnehmer. Auch wenn die GDL sehr geschickt die Tatsache nutzte, dass sie Arbeitnehmer organisierte, die tatsächlich alle Räder stillstehen lassen konnte. Aber die GDL hat allen gezeigt, was mit einer entschlossenen Führung möglichist, Auch schon sein Vorgänger zeichnete sich dadurch aus und am Beispiel der Bahn zeigt sich das sehr deutlich. Die DGB-Gewerkschaft, die beständig seinen Namen wechselte – eine zeitlang hieß sie TRANSNET unter Hansen, der dann die Seiten wechselte und in den Bahnvorstand ging – hätten so ja auch agieren können. Züge können nur mit Lokführern nicht fahren, Stattdenen machten die alles mit, was die Bahn sich wünschte ; Personalabbau, Auslagerung von Leistungen, Unterschiedlichste Beschäftigungsverhältnisse. Die GDL hat gezeigt, dass sie das nicht machen mussten, dass der Spielraum weit größer war.
Als die Bahn , ähnlich wie es in der Industrie gemacht wurde, eine Beschäftigungsgesellschaft gründen wollte, in der mehrere tausend Lokführer ausgebildet und beschäftigt werden sollten, mit dem klaren Ziel der Lohndrückerei, war es die Reaktion der GDL, die das miese Projekt scheitern ließ: die Bahn kann beschäftigen wen und wie sie es will. Darüber hat nicht die Gewerkschaft zu befinden . Aber selbstverständlich wird die GDL jeden Lokführer vertreten, Damit war es das dann mit der „Beschäftigungsgesellschaft“
Das hätte Transnet auch gekonnt, aber nicht gewollt. Und bei der Post, wo es genau so lief, gibt es heute für vergleichbare Tätigkeiten angeblich bis zu fünf verschiedene Beschäftigungsverträge.
Was wir nun erleben werden, ist, dass auch die lammfrommen Gewerkschaften des DGB weiter an Bedeutung verlieren wurden und Ausreißer werden auch gezähmt. Und, auch darüber wird zu sprechen sein, „es kann auch geschossen wurden“ .
Nee , glaubt ihr nicht? Immer noch nicht?
Die meisten Menschen verstehen ihre Rechte, als Pflichten anderen gegenüber, nicht, nur teilweise, oder eben garnicht: Personalvertretung und Tarifautonomie. Ohne Nennung erschliesst sich der Artikel nicht vollständig, Robert. Der Umweg über Marx ist wenig hilfreich.
Die klassenlose Gesellschaft als marxistisches Konzept ist soziobiologisch (in den Sozialwissenschaften) widerlegt: Unser Gruppenverständnis (Solidarität) ist dafür zu gering, für dieses Produkt zu abstrtakt. Wir können Verständnis für Dritte, Lokführer:innen und andere Bahnbedienste die von der GDL vertreten werden, nur entwickeln wenn ihre Arbeit gesellschaftlich wertgeschätzt wird – in Japan gehts übrigens.
Dienstleistungssektor, ähnlich wie im Logistik- und Pflegesektor sind in Deutschlang wenig wertgeschätzte Niedriglohnsektoren in denen die Protagonist:innen entweder unsichtbar (Lokführer:innen, Servicemitarbeitende) sind oder als lästig (Schaffner:innen, Zugbegleitende) empfunden werden.
Dazu kommt der Arbeitsmarkt für Lokführer:innen, durch die GDL vertretene Mitarbeitenden ist vermutlich ein Markt der Arbeitnehmer:innen (Fachkräftemangel). Da dürfen die circa 50% der Gesellschaft die kein Weihnachtsgeld aufgrund fehlender Gewerkschaft und nur ein Deutschland-Ticket bekommen schon ein wenig neidisch sein, ergo sich eben nicht solidarisieren und über die GDL jammern. Wie oft auf Overton schaffen die männlichen Autor:innen nicht Konzepte aus dem 19. und 20. ins 21. Jahrhundert zu übertragen.
Mangelnder Marxismus, Individualismus und Neoliberalismus sind zwar hübsche Ismen, allein als Erklärung nicht ausreichend oder zielführend: Das Deutschland Ticket ist attraktives Sponsoring, oft nur als Jahresabo, einer suburbanen Mittelschicht (um bei den Klassenlosen zu bleiben). Weselsky ist Antiheld oder Antagonist eines privatisierten Staatsunternehmens, dass seit mindestens 30 Jahren Produke (ÖPFV, ÖPNV) auf einem liberalisierten Ogliopolmarkt mit absolut dysfunktionaler Infrastruktur erbringt. Klassisches teile-und-herrsche-Prinzip der Bahn, des Verkehrsministers (FDP) und den Bürger:innen die auf ÖPNV bzw. ÖPFV angewiesen sind, und denen die sich noch ein Kraftfahrzeug leisten können.
Unnötig zu erwähnen, der Nahverkehr ist und war schon immer ein Verlustgeschäft. Die DB AG möchte eigentlich nur Fernverkehr, den Nahverkehr überlässt man den Ländern, der Transportsektor wurde verscherbelt – so können keine Skaleneffekte auf der Gleisinfrastruktur entstehen. Ganz im Gegenteil, man kann sich die Elektrifizierung weiterhin ersparen. Innovativ sind die lokalen Regionalzüge mit Batterie oder Brennstoffzelle, die nicht Teil der DB sind.
Nach zwei Semestern in Japan ist Zugreisen mit der DB etwa so angenehm wie mit Sandpapier zu masturbieren, oder wie man im Österreich sagt: Den öffentlichen Personenverkehr in vollen Zügen geniessen. Wenn der Zug komplett ausfällt, die erste und zweite Klasse im Bus abtransportiert wird, ist man sehr solidarisch gegen die DB AG und kann ein wenig Verständis für Zubegleitende entwickeln.
https://de.wikipedia.org/wiki/Divide_et_impera
https://de.wikipedia.org/wiki/Klassenlose_Gesellschaft
https://de.wikipedia.org/wiki/Personalvertretung
https://de.wikipedia.org/wiki/Tarifautonomie
https://global.jr-central.co.jp/en/company/about/history.html
Was ist besser: eine suboptimale Gewerkschaft oder gar keine Gewerkschaft? Es steht allen Beschäftigtengruppen, die hier als tatsächlich oder vermeintlich Benachteiligte wie Pflegekräfte oder Logistiker genannt wurden, frei ihre mehr oder weniger schlagkräftige Gewerkschaft zu gründen.
Ich finde es schon auffällig, dass sich gerade in den Wirtschaftsbereichen, in denen gewerkschaftliche Maßnahmen wie Streiks schnell und direkt auf große Bevölkerungsgruppen wirken, die „Arbeitgeber“ besonders hartleibig verhalten.
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„Man verwies auf Großbritannien, wo Mrs. Thatcher die Interessensvertretungen der Arbeiterschaft zerschlagen hat – und wo angeblich die Wirtschaft deshalb brummte. “
Es darf gelacht werden. Das Königreich, einst Werkstatt der Welt, ist fast völlig entindustrialisiert. Die britische Autoindustrie wurde von der deutschen aufgekauft, nicht umgekehrt. Hingegen hier, wo die Metallindustrie unter dem Joch der IG Metall ächzt, eilt sie von Erfolg zu Erfolg. Exportweltmeister sind wir nicht mehr, aber knapp dahinter. Mit Produkten aus eben dieser Metall- und Elektroindustrie. Die Rechten behaupten pausenlos, Deutschland würde entindustrialisiert. Quatsch, wir sind das am meisten industrialisierte Land. Und: üblicherweise erkämpft die IG Metall einen Lohnzuwachs, der dem Kriterium verteilungsgerecht genügt, wie John Maynard Keynes das definiert hat. Inflation plus Produktivitätszuwachs. Die Kritiker können ja mal um den Erdball fliegen und schauen, wo es das nochmal gibt. Viel Spaß!
Aber warum ist das so? Liz Truss hat behauptet, die britischen Arbeiter seien faul und unmotiviert. Das glaube ich sogar. Wenn sie das Werkstor passieren, haben sie keine Rechte mehr. Kein Betriebsrat, keine Gewerkschaft. Ein Management, das Tee trinkt und nicht erreichbar ist, auch bei Produktionsausfällen. Die Leute stehen knöcheltief im Wasser und bekommen Stromschläge. Kein Grund, die Teetasse abzustellen. Seit dem Brexit stinkt es wieder in GB. Das kennt man aus dem Brasilien Bolsonaros, der alle verbotenen Stoffe wieder zugelassen hatte. Wahrscheinlich dasselbe mit dem Arbeitsschutz. Sie können jetzt den Puffing Billy, die erste Lokomotive aus dem Jahr 1808, wieder in Betrieb nehmen. Dass dem Billy ständig der Kessel platzte, ist kein Problem. Arbeitsschutz, wozu?
Hingegen bei uns gibt es Betriebsräte und die Gewerkschaft. Ideal sind die Verhältnisse nicht, aber tausendmal besser als in GB. Ich hätte ja gern die Kritiker mal vor 20 Jahren durch einen Metallbetrieb geführt. Eine Lärm,-Gestank- und Staubhölle. Und wie das jetzt alles besser geworden ist. Aber immer dieses Gejammer, dass die Gewerkschaft nichts tut.
Auch im Ausland zahlt sich das aus. Auch dort haben die Belegschaften dank der Mitbestimmung dieselben Rechte wie bei uns. Das geht überall in der Welt ohne vermeidbare Kollisionen.
Nichts ist falscher, als der von mir zitierte Eingangssatz.
Info: https://overton-magazin.de/hintergrund/wirtschaft/der-letzte-gewerkschafter-deutschlands
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.