15.10.2021

«Putin im O-Ton über die Energiekrise und die Strompreise in Europa

linkezeitung.de, VON  ⋅ 15. OKTOBER 2021 ⋅ HINTERLASSE EINEN KOMMENTAR

von Thomas Röper – http://www.anti-spiegel.ruAuf der Podiumsdiskussion der Konferenz „Russische Energiewoche“ hat sich Putin zwei Stunden lang den Fragen einer US-Journalistin von CNBC zur Situation auf dem europäischen Markt für Gas und Strom gestellt. Ich habe den interessanten Teil der Diskussion übersetzt.


Auf der Podiumsdiskussion der Konferenz „Russische Energiewoche“ hat sich Putin zwei Stunden lang den Fragen einer US-Journalistin von CNBC zur Situation auf dem europäischen Markt für Gas und Strom gestellt. Ich habe den interessanten Teil der Diskussion übersetzt.

Hadley Gamble, eine führende Moderatorin von CNBC, hat den russischen Präsidenten Putin bei der Podiumsdiskussion der Konferenz „Russische Energiewoche“ Stunden lang befragt. Die Podiumsdiskussion dauerte über zwei Stunden, allerdings gehörten dazu auch Reden von Putin und anderen Regierungschefs, die per Video zugeschaltet waren. Daher kann ich die ganze Diskussion nicht übersetzen, denn sie war zu lang. Aber da die US-Journalistin versucht hat, Putin „zu grillen“ und ihn mit all den Vorwürfen konfrontiert hat, die man in westlichen Medien über Russlands angebliche Schuld an der Energiekrise in Europa lesen kann, habe ich den entsprechenden Teil der Diskussion übersetzt.

Der Anti-Spiegel hat seit Ende Juli über die sich abzeichnende Energiekrise in Europa berichtet, weshalb Anti-Spiegel-Leser das Thema gut kennen, eine aktuelle Zusammenfassung der Problematik finden Sie hier. Aber da Leser des Anti-Spiegel das Thema kennen, ist es sicher auch interessant, sich anzuschauen, was Putin selbst dazu und zu den Vorwürfen westlicher Politiker und Medien gesagt hat.

Beginn der Übersetzung:

Gamble: Herr Präsident, in Ihrer Rede sprachen Sie über die Gaskrise. Ich denke, wir können mit diesem Thema weitermachen. Sie sprachen von davon, dass alles verdreht wird und von leeren politischen Parolen. In der letzten Woche wurde viel darüber gesprochen, was gerade passiert. Ich möchte Sie direkt fragen: Setzt Russland Energie als Waffe ein?

Putin: Russland setzt überhaupt keine Waffen ein, wie Sie vielleicht bemerkt haben. Was die Wirtschaft betrifft, wo setzen wir Waffen ein? An welchen Konflikten sind wir beteiligt? Was die Wirtschaft anbelangt, so ist das vollkommen ausgeschlossen. Selbst in den schwierigsten Zeiten des Kalten Krieges hat Russland permanent, konsequent und unter voller Einhaltung seiner vertraglichen Verpflichtungen Gas nach Europa geliefert. Übrigens haben sich auch Ihre Landsleute, die Vereinigten Staaten, seinerzeit gegen dieses „Leitungen-für-Gas“-Projekt gewehrt. Die damalige Führung der Bundesrepublik beharrte jedoch darauf und hat dieses Projekt umgesetzt. Es funktioniert bis heute und ist ein aktiver Bestandteil des Energiemixes in Europa. (Anm. d. Übers.: Leitungen für Gas war eine der ersten Pipelines, die Gas aus der Sowjetunion nach Deutschland geliefert hat. Die USA haben damals mit allen Mitteln – aber vergeblich – versucht, das Projekt zu verhindern.)

Energie als Waffe einzusetzen, ist politisch motiviertes Geschwätz, das jeder Grundlage entbehrt.

Sehen Sie sich an, was jetzt passiert. Europa produziert jährlich etwa 54 Milliarden Kubikmeter Gas. Aber im Vereinigten Königreich, in den Niederlanden und in Norwegen ist die Produktion rückläufig und sie wird aller Voraussicht nach weiter sinken. Gazprom allein produziert mehr als 500 Milliarden Kubikmeter Gas. Die Produktion wächst und wird weiter wachsen, denn allein die Reserven von Gazprom liegen bei über 35 Billionen Kubikmetern Gas. Wenn man es global betrachtet, sind Russlands Reserven unbegrenzt, sie haben globalen Charakter.

Wir steigern unsere Lieferungen nach Europa auch unter den für uns heute schwierigen Bedingungen. Gazprom hat die Gaslieferungen nach Europa um 10 Prozent erhöht, und insgesamt liegt der Anstieg der Gaslieferungen nach Europa bei etwa 15 Prozent, einschließlich von Flüssiggas, denn auch der Flüssiggas-Export ist um auf etwa 13 oder 14 Prozent gestiegen. Wir sind bereit, das weiter zu tun. Ich möchte betonen, dass es keinen einzigen Fall gegeben hat, in dem sich unsere Unternehmen geweigert haben, Anfragen unserer Partner nach einer Erhöhung der Lieferungen nachzukommen. Selbst in den schwierigen Herbst- und Winterperioden der vergangenen Jahre haben wir, wenn unsere Partner uns gebeten haben, die Lieferungen über unsere vertraglichen Verpflichtungen hinaus zu erhöhen, dies immer getan und werden es auch weiterhin tun. Was unsere Partner bestellen, liefern wir auch.

Ich möchte Sie auch auf die Tatsache aufmerksam machen, dass die Lieferungen von z. B. US-amerikanischem Flüssiggas für Europa nach Asien „gesegelt“ sind, als die Preissituation dort günstig war. Von allen ausgefallenen Flüssiggas-Lieferungen auf den europäischen Markt, das waren etwas mehr als 14 Milliarden Kubikmeter Gas – in Form von Flüssiggas, meine ich – entfällt etwa die Hälfte auf von US-Betreibern nicht geliefertes Gas.

Wer benutzt also die Energie für einen bestimmten Zweck? Wir oder jemand anderes? Wir erhöhen unserer Lieferungen, aber unsere Partner aus anderen Ländern, einschließlich der USA, verringern die Lieferungen nach Europa. Diese Dinge sind offen, man muss nur im Internet nachsehen, es ist alles da. Aber Sie sprechen von Anschuldigungen, dass Russland Energie als Waffe einsetzt. Das ist völliger Unsinn, Quatsch, politisch motiviertes Geschwätz, das ist unseriös und entbehrt jeder Grundlage. Das nur generell.

Gamble: Aber in diesem Jahr sind die Gaspreise in Europa innerhalb weniger Wochen um 600 Prozent gestiegen und die Weltmarktpreise explodieren. Wie kann man Europa dazu bringen, zu glauben, dass man ein zuverlässiger Gaspartner ist, wenn man die Energie nicht über Pipelines liefert?

Putin (lacht): Sie ist eine schöne Frau. Ich erzähle ihr etwas, und sie antwortet mir das Gegenteil. Als ob sie nicht gehört hätte, was ich gesagt habe. Ich werde es Ihnen noch einmal sagen.

Gamble: Herr Präsident, ich habe Sie gehört.

Putin: Sehen Sie, Sie haben gerade gesagt: Wir liefern kein Gas über Pipelines nach Europa. Sie werden in die Irre geführt. Sowohl Sie, liebe Kollegin, als auch alle anderen, die aus solchen Quellen schöpfen. Wir erhöhen unsere Lieferungen nach Europa, Gazprom erhöht seine Lieferungen nach Europa um 10 Prozent und Russland insgesamt erhöht seine Lieferungen nach Europa um 15 Prozent. Wir erhöhen die Lieferungen durch Gaspipelines um 10 Prozent und die Flüssiggas-Lieferungen um 13 Prozent. Wir liefern mehr nach Europa, nicht weniger, wir erhöhen das Angebot. Aber andere Anbieter haben die Menge um 14 Milliarden Kubikmeter reduziert. Davon stammt die Hälfte der Kürzungen von US-Lieferanten.

Habe ich etwas unverständliches gesagt? Haben Sie mir zugehört? Wir erhöhen die Lieferungen. Und wenn wir gebeten werden, sie stärker zu erhöhen, sind wir bereit dazu. Wir erhöhen sie um so viel, wie unsere Partner bei uns bestellen. Es gibt keine einzige Ablehnung von Bestellungen.

Außerdem erhöhen wir auch die Lieferungen Richtung Türkei, über Blue Stream und Turkish Stream, so erhöhen wir die Lieferungen auf den Balkan, die gehen jetzt durch Turkish Stream, und wir erhöhen die Lieferungen auf den bestehenden Routen. Wir haben sogar die Lieferungen über die ukrainische Pipeline erhöht. Die diesjährigen Lieferungen durch die ukrainische Pipeline gehen um 10 Prozent über unsere vertraglichen Transitverpflichtungen hinaus. Um mehr können wir dort nicht erhöhen.

Alle sagen uns, dass wir die Lieferungen über die Ukraine erhöhen sollen. Es ist gefährlich, den Druck auf einer Pipeline zu erhöhen, die seit Jahrzehnten nicht mehr repariert worden ist- Wenn man den Druck erhöht, kann sie explodieren, und Europa wird diese Route ganz verlieren. Die Ausrüstung dort ist zu 80 Prozent abgenutzt, über 80 Prozent. (Anm. d. Übers.: Das ist ein großes Problem der chronisch bankrotten Ukraine: Sie hat die Transitgebühren, die sie für den Gastransit nach Europa erhält, all die Jahrzehnte in den Staatshaushalt gesteckt, anstatt wenigstens die nötigen Wartungs- und Modernisierungsarbeiten an der Pipeline vorzunehmen)

Niemand will zuhören, niemand will das hören. Alle sind nur darauf aus, Russland die Schuld zu geben.

Gamble: Wer? Die europäischen Partner? Sonst noch jemand?

Putin: Diejenigen, die Russland unfreundlich gegenüberstehen. Die können in Europa oder irgendwo anders auf der Welt sein.

Gamble: Okay. Erklären Sie bitte, die Märkte versuchen, eine Art von Stabilität zu erreichen. Sie sagen, dass Sie das Angebot um weitere 15 Prozent erhöhen können, denn laut der Internationalen Energieagentur würde eine Erhöhung um 15 Prozent die Märkte beruhigen?

Putin: Ich habe doch gesagt, dass wir die Lieferungen bereits um 15 Prozent erhöht haben. Jetzt gerade. In den ersten neun Monaten dieses Jahres sind die Gaslieferungen nach Europa um 15 Prozent gestiegen.

Das Problem liegt nicht bei uns. Das Problem liegt bei den Europäern selbst. Sie haben es nicht rechtzeitig abgerufen. Zunächst einmal haben die Windkraftanlagen im Sommer nicht funktioniert, das ist ein bekanntes Problem. Da kann man nichts machen, so war das Wetter. Sie haben nicht rechtzeitig die richtige Menge an Gas in ihre unterirdischen Speicher gepumpt. Sie haben nur 75 Prozent hineingepumpt, was sehr wenig ist. Jeder versteht das, jeder sieht das. Die Lieferungen aus anderen Regionen nach Europa, einschließlich aus den Vereinigten Staaten, sind zurückgegangen. Wir haben unsere Lieferungen erhöht, die USA haben ihre Lieferungen reduziert. Natürlich hat das alles eine Panik ausgelöst.

Ein Teil der Energieressourcen, ein Teil des Gases, wird in ukrainischen Untergrundspeichern gelagert. Es werden ungefähr, ich könnte mich irren, denn es gibt keine genauen Daten, aber etwa 18 Milliarden Kubikmeter Gas, etwas mehr, wurden in die ukrainischen Untergrundspeicher gepumpt. Ein erheblicher Teil dieses gespeicherten Gases gehört jedoch nicht den ukrainischen Betreibern, sondern europäischen und anderen privaten Betreibern. Wir wissen und unsere westlichen Partner wissen, was im ukrainischen Energiesektor vor sich geht.

Im Jahr 2008 konnten wir das russische Gas, das wir dort gelagert hatten, nicht herausholen. Was war der Grund für die Energiekrise mit der Ukraine im Jahr 2008? Wir haben gefordert, dass sie uns unser Gas wiedergeben, aber sie haben sich geweigert, es uns zu geben. Sie begannen, es selbst zu verbrauchen. Jetzt sagen einige unverantwortliche Politiker in der Ukraine, dass sie das Gas verstaatlichen sollten, das in den unterirdischen Gasspeichern gelagert wird, aber nicht ihnen gehört. Und was können wir jetzt beobachten? Private Betreiber, darunter auch ausländische, haben begonnen, nach und nach Gas aus den unterirdischen Speichern der Ukraine abzupumpen.

Wir sind bereit, noch mehr zu liefern, aber dafür sind Bestellungen erforderlich. Ich habe Ihnen gesagt: Wir erhöhen unsere Lieferungen um das, was von uns verlangt wird. Jetzt haben wir um 15 Prozent aufgestockt; wenn sie mehr bestellen, werden wir weiter aufstocken und mehr geben. Das liegt im Rahmen unserer vertraglichen Verpflichtungen. Wir erfüllen nicht nur alles, sondern sind sogar bereit, mehr als unsere vertraglichen Verpflichtungen zu liefern, was jedoch entsprechende Bestellungen voraussetzt. Wir können das Gas nicht nach nirgendwo schicken. Wir liefern so viel, wie sie nachfragen. Es gibt keinen einzigen Fall, in dem wir uns geweigert hätten, zu liefern.

Gamble: Könnten Sie bitte sagen, dass es keine Versuche geben wird, höhere Preise zu erpressen?

Putin: Sie wissen, worum es hier geht, das ist die zweite sehr wichtige Frage.

Unsere europäischen Partner, das habe ich kürzlich gesagt, insbesondere die frühere Europäische Kommission, bestanden auf der Schaffung einer europäischen Drehscheibe, einer Börse, und sie glaubten, dass der offene Markt ein Gleichgewicht des Gasangebots auf dem Energiemarkt schaffen würde. Wir haben ihnen immer gesagt, dass man sich weiterhin an langfristigen Verträgen orientieren sollte. Das ist ein anderes System der Preisfindung. Die Preisgestaltung bei langfristigen Verträgen ist an den Weltmarktpreis für Rohöl und alle möglichen anderen Erdölprodukte gebunden. Das ist kein Geheimnis. Es handelt sich jedoch um ein marktorientiertes Preissystem, das wiederum an den auf den Weltmärkten notierten Ölpreis gekoppelt ist. Daran kann nichts diktiert werden. Mehr noch: der Gaspreis ändert sich mit einer gewissen Verzögerung gegenüber dem Ölpreis über einen Zeitraum von sechs Monaten, was den Produzenten und Verbrauchern die Möglichkeit gibt, sich auf das Geschehen einzustellen und im Voraus gewisse Anpassungen vorzunehmen.

Aber auf dem Spotmarkt wird der Preis anders gebildet: Er hängt vom Angebot und von einer Reihe schwer vorhersehbarer Umstände ab, es gibt viele Unvorhersehbares. Der Winter war kalt und lang, die Gasspeicher wurden nicht gefüllt, die Windkraft ist ausgeblieben, die Preise in Asien sind gestiegen, das Gas für den europäischen Markt ging nach Asien. Die Gründe für den Preisanstieg auf dem europäischen Markt liegen offen zu Tage.

Aber nicht Gazprom erhält dieses Geld: weder die 2.000 Dollar pro 1.000 Kubikmeter, noch die 1.500 oder 1.225 Dollar, die es heute kostet. Gazprom verkauft sein Gas im Rahmen langfristiger, an den Ölpreis gebundener Verträge. Unsere Kollegen, die Leiter unserer Unternehmen, sitzen hier und wissen, wie hoch die Ölpreise derzeit sind: 82 oder 81 Dollar pro Barrel kostet unsere Ölsorte Urals. Das ist der Ölpreis, an den Gazprom gekoppelt ist. Es bekommt nicht 2.000 Dollar pro 1.000 Kubikmeter, sondern es bekommt seinen Preis von dort.

Deshalb haben wir Nord Stream 1 gebaut, die erste Pipeline durch die Ostsee nach Deutschland, jetzt werden wir Nord Stream 2 fertigstellen. Deutschland zahlt nicht 2.000, nicht 1.500, sondern 250 oder 230, maximal 300 Dollar pro 1.000 Kubikmeter. Gazprom verliert sogar. Bei einem Verkauf auf dem Spotmarkt würde es 1.200 Dollar pro 1.000 Kubikmeter erhalten, aber es erhält 250 bis 300. Dennoch ist der Produzent an dieser Stabilität interessiert. Warum? Weil er weiß, dass er diese und jene Menge mindestens zu diesem und jenem Preis verkaufen wird, und dann passt er seine Investitionspolitik entsprechend an. Und das ist sowohl für den Produzenten als auch für den Verbraucher von Vorteil.

Gamble: Könnten Sie mir bitte sagen, was ein fairer Preis für russisches Gas ist?

Putin: Das habe ich Ihnen bereits gesagt.

Gamble: Wenn das der aktuelle Ölpreis ist.

Putin: Ich habe gesagt, dass das ein fairer Preis ist, der nicht durch eine Richtlinie, sondern durch den Ölmarkt reguliert wird. Der Ölpreis ist letztes oder vorletztes Jahr gefallen, und so sind auch die Gaspreise gesunken. Und Gazprom musste natürlich trotzdem zu dem schlechten Preis liefern. Es ist einfach so, dass auch seine Produktion gesunken ist, seine Einnahmen sind gesunken, seine Nettogewinne sind gesunken – alles ist gesunken. Die Ölpreise sind wieder langsam angestiegen und seine Einnahmen sind wieder angestiegen.

Aber es sind nicht die spekulativen Preise vom europäischen Spotmarkt, die es bekommt. Ich möchte, dass Sie das hören und dass die Menschen, die unser heutiges Gespräch verfolgen, das hören. Dazprom bekommt einen Preis auf Basis der Ölpreise, und nicht die 2.000 Dollar, ich wiederhole das zum dritten Mal, die es an der Londoner Börse oder anderswo in Europa kostet, sondern es sind langfristige Verträge. Soll sich Deutschland tief vor Gerhard Schröder dafür verneigen, dass Länder wie Deutschland, unser Hauptabnehmer, jetzt Gas für 300 Dollar bekommt, statt für 1.000 oder 1.500.

Gamble: Herr Präsident, es gibt ein großes Problem mit, wie Sie sagten, Schuldzuweisungen. Es gibt eine Person, die Russland mit Sicherheit wegen nichts beschuldigt: die scheidende deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie hat immer gefordert, dass Sie auch nach 2024 den Gastransit durch die Ukraine nach Europa nutzen. Können Sie sich dazu äußern?

Putin: Zu sagen, dass sie Russland wegen nichts beschuldigt, ist eine große Übertreibung. Wir haben bei vielen Fragen und Problemen und sehr unterschiedliche Ansätze. Es gibt Vorwürfe…

Gamble: Ja, aber nicht bei Nord Stream.

Putin: Ja. Was Nord Stream 2 angeht, haben Sie Recht, da hat sie uns nie etwas vorgeworfen, denn sowohl sie als auch ich sind immer davon ausgegangen, dass es sich um ein rein wirtschaftliches Projekt handelt und nicht um ein politisch motiviertes, wie die Gegner des Projekts immer behaupten. Die sagten immer, es sei wirtschaftlich unrentabel, nur politisch motiviert, Russland würde dabei nur verlieren, aber aus politischen Gründen, um die Ukraine zu umgehen, baut Russland Nord Stream 1 und Nord Stream 2 und Turkish Stream und so weiter.

Hören Sie: Das ist auch so ein Unsinn, kommt zurück auf den Teppich, wie wir sagen, und ich werde Ihnen jetzt sagen, warum.

Zunächst einmal wurde die ukrainische Pipeline deshalb gebaut, weil wir Gas in einer bestimmten Region Russlands gefördert haben: dem Urengoi-Feld, dort gibt es eine Gruppe von Gasfeldern. Die gehen aber auch langsam zur Neige. Deshalb sind wir dazu übergegangen, in nördlicheren Regionen zu fördern, auf der Jamal-Halbinsel, und von dort aus haben wir mit dem Aufbau unseres neuen Transportsystems begonnen, auch für die Versorgung von Russland selbst, und wir tun das nun schon seit zwei Jahrzehnten, beharrlich und schrittweise, unter Berücksichtigung unserer Möglichkeiten. Und von dort aus haben wir auch begonnen, Exportrouten aufzubauen. Das ist der Ursprung von Nord Stream 1 und Nord Stream 2.

Und nun zur wirtschaftlichen Sinnhaftigkeit und den politischen Motiven. Diese Route zu unseren Hauptabnehmern in Europa, hören Sie mir bitte endlich genau zu, ist immerhin 2.000 Kilometer kürzer als die Route durch die Ukraine, 2.000 Kilometer kürzer und damit billiger. Der Transortweg ist kürzer und damit billiger, auch für die Endverbraucher, weil der Preis für den Transport und die Transitgebühren in den Endpreis für die Verbraucher, auch in Europa und in der Bundesrepublik, einfließen. Der Weg ist a) kürzer; b) daher billiger; c) es handelt sich um moderne Ausrüstung und Leitungen, was bedeutet, dass man das Gas mit höherem Druck durch die Pipeline pumpen kann. Das gilt auch für die Gaspumpstationen.

Was ist eine Gaspumpstation? Das eine kleine Fabrik, die das Gas weiterpumpt, aber um das Gas zu befördern, nutzt sie es und gibt etwas davon in die Atmosphäre ab.

Nord Stream 1 und insbesondere Nord Stream 2 emittieren daher 5,6 Mal weniger CO2 als das ukrainische Gastransportsystem. Diejenigen, die behaupten, es handele sich um eine Art politische Motivation, ignorieren das Offensichtliche. Sie tun das aus politischen Gründen.

Bei Nord Stream 2 und Nord Stream 1 handelt es sich um rein wirtschaftliche Projekte. Das war und ist die Position der jetzt scheidenden Bundeskanzlerin, und ich stimme dem voll zu.

Gamble: Aber sind Sie nach 2024 bereit, Ihre Verpflichtungen, Gas durch die Ukraine zu pumpen, zu verlängern?

Putin: Auch das ist eine rein wirtschaftliche Frage. Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass der Verschleiß des ukrainischen Gastransportsystems nach verschiedenen Schätzungen zwischen 80 und 85 Prozent liegt. Um den Gastransport aufrechtzuerhalten – oder erst recht, um ihn zu erhöhen – und wir erhöhen ihn heute trotz allem, trotz unserer politischen Differenzen, denn wie ich bereits sagte, geht das Volumen des Gastransports in diesem Jahr um 10 Prozent über unsere vertraglichen Verpflichtungen hinaus. Dafür könnten sie sich zumindest bedanken, aber wir hören nur Beschimpfungen in unsere Richtung. Aber um den Gastransit aufrecht zu erhalten, muss man das System wieder in einen Zustand versetzen, damit es normal arbeiten kann. Das ist der erste Punkt.

Zweitens müssen wir wissen, wie viel wir verkaufen können. Da ist eine sehr wichtige Frage. Ich habe Frau Merkel das gesagt; sie stellt uns diese Frage immer wieder.

Als Antwort auf Ihre Frage sage ich, dass wir bereit sind, diesen Vertrag zu erhalten, und darüber hinaus, wenn die wirtschaftlichen und technischen Bedingungen geschaffen werden, können wir ihn sogar erhöhen. Wir sind dazu bereit. Aber wir müssen wissen, wie viel man bei uns kaufen wird.

Sicherlich haben wir auch Fragen zur Umweltpolitik und zum Übergang zu einer CO2-armen Wirtschaft, zum Kohlenstoff-Fußabdruck und so weiter. Wenn Europa sich von Kohlenwasserstoffen und langfristig auch von Gas abwendet, wie können wir uns dann heute verpflichten, den Transit durch die Ukraine zu erhöhen, wenn Europa nicht bei uns kaufen will? Sagen Sie uns, wie viel Sie kaufen werden, schließen Sie Verträge über die Mengen ab, dann werden wir verstehen, wie viel wir über die nördliche Route pumpen können, wie viel wir über Turkish Stream pumpen können, wie viel ukrainischen Gastransit wir erhalten oder sogar erhöhen können. Wir müssen verstehen, wie groß der Markt ist.

Aber wenn Europa uns und allen anderen erzählt, dass es seinen Verbrauch reduzieren will, dass es fossile Brennstoffe aufgeben will, aber gleichzeitig von uns verlangt, dass wir noch wer weiß wie viele, vielleicht 100, Jahre nach 2024 Gas durch die Ukraine pumpen müssen, seid Ihr da alle noch bei Trost, oder was? Lasst uns zusammensetzen, die Karten offen auf den Tisch legen, und alles durchrechnen. Sind wir dazu bereit oder nicht? Die Antwort ist positiv: Ja, das sind wir. Man muss es durchrechnen.

Gamble: Letzte Woche hat der stellvertretende russische Premierminister Alexander Novak angedeutet, dass eine schnelle Beseitigung der regulatorischen Hürden vor dem Start von Nord Stream 2 zumindest kurzfristig die Gaskrise in Europa lindern könnte. Bitte sagen Sie mir, ob Sie von Europa Signale erhalten haben, dass es den Prozess der Beseitigung administrativer Hindernisse beschleunigen kann, damit Nord Stream so bald wie möglich in Betrieb gehen kann.

Putin: Nein. Im Gegenteil, wir sehen, dass die administrativen Hindernisse nicht beseitigt werden, es gibt verschiedene Probleme im Zusammenhang mit dem dritten Energiepaket in Europa, das auch Nord Stream 2 regelt. Hier gibt es eine Reihe von Details, auf die ich jetzt nicht eingehen möchte. Es gibt sie, diese administrativen Hindernisse, sie sind noch nicht überwunden, sie sind noch nicht beseitigt. Ich weiß, dass der Betreiber von Nord Stream 2 im Gespräch ist, auch mit den deutschen Behörden. Die deutsche Regulierungsbehörde muss die entsprechende Entscheidung treffen, was sie bisher nicht getan hat.

Aber natürlich, wenn es uns gelänge, die Lieferungen über diese Route zu erhöhen, also um hundert Prozent, dann können wir mit absoluter Sicherheit sagen, dass die Spannungen auf dem europäischen Energiemarkt deutlich abnehmen würden. Das würde sich natürlich auch auf die Gaspreise auf dem europäischen Markt auswirken. Das ist eine offensichtliche Sache. Doch die administrativen Hindernisse lassen das noch nicht zu.

Ende der Übersetzung


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